Bernd Polster, Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhmes. Hanser Verlag 2019.

Skandal, dieser Autor demontiert einen der größten Architekten des 20. Jahrhunderts! Er recherchiert nicht, sondern schlüpft in eine fragwürdige Erzählerrolle! Solches und Ähnliches liest man in den Rezensionen. Derartig empörte Aufschreie kommen gewöhnlich, wenn ein Heros aus Kultur, Politik oder Sport vom Sockel gestoßen wird. So war es auch bei Bert Brecht, als bekannt wurde, welch großen schöpferischen Anteil die Frauen rund um ihn bei der Entstehung seiner Werke spielten.

Mangel an Respekt, unzulängliche Dokumentation und kindische Häme wirft man Bernd Polster vor. Um das Bild von Walter Gropius zu rehabilitieren, demontiert man zu aller erst den Autor.

Und ich? – Ich gestehe, ich habe diese Biografie genossen, von der ersten bis zur letzten Seite! Aber ich gestehe auch, dass ich keine anderen Werke über Walter Gropius zum Vergleich gelesen habe. Und ich gestehe, dass ich mit einem gewissen Voyeurismus und einer durchaus mir eingestandenen Schadenfreude diese Enthüllungen las und mir dabei vorkam, als säße ich beim Friseur und genieße die Lektüre von „Gala“ und ähnlichen Tratschblättern.

Was ist dran an den Enthüllungen?

Wieviel kann man glauben, wieviel ist beweisbar? Ehrlich gesagt, das kann ich nicht verifizieren. Blättert man aber den fast hundertseitigen Anhang mit Literaturhinweisen, Zitaten und genauem Personenverzeichnis durch, dann kann man davon ausgehen, dass Bernd Polster verantwortungsvoll genug geforscht hat und seine Erkenntnisse Hand und Fuß haben.

Dass Walter Gropius sein Architekturstudium frühzeitig abgebrochen hatte, ist allgemein bekannt. Dass er trotzdem die Urheberschaft für viele Gebäude erhob, ist ein schwerwiegender Vorwurf. Geschickt holte er namhafte Architekten, wie Meyer, Fieger, Fischer und viele andere ins Boot und ließ sie unter dem Namen seines Büros für sich arbeiten- so Bernd Polster. Nun, das soll ja bis heute Usus sein, hört man aus Architektenkreisen. Dass er aber von sich behauptete: „Das Bauhaus bin ich“ ,zeugt von übergroßem Selbstbewusstsein, das die Mitarbeit aller anderen – und das sind sehr viele -bewusst ausblendet.

Dass Walter Gropius mit einigen Größen der Naziära befreundet war, die ihm sogar Empfehlungsschreiben nach England mitgaben, ist vielleicht weniger bekannt. Als er 1962 in Cambridge das TAC (The Architects Collaborative) gründete, ließ er ebenso wie beim Bauhaus junge Architekten für sich arbeiten, ohne deren Urheberschaft zu nennen. So wird das Rosenthal-Service, das die Keramikerin Katherine de Souza entwarf, noch immer unter dem Namen „Gopius-Sevice“ angeboten.

Zahlreich sind die Vorwürfe, die Bernd Polster erhebt. Was in dem an sich gut geschriebenen und leicht lesbaren Werk stört, sind die Beurteilungen und Beobachtungen eines auktorialen Erzählers, die eher in einen Roman als in eine Biografie mit wissenschaftlichem Anspruch passen. So spricht Bernd Polster immer wieder von „Glücksfeen“, mit denen Gropius ein Geheimabkommen getroffen haben muss. Anders seien die vielen Karriereschübe, die weniger auf Können als auf Protektion zurückzuführen seien, nicht erklärbar.

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