Kathy Page: All unsere Jahre. Wagenbach Verlag

Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender.

Harrys Mutter kann sich glücklich schätzen: Ihr Mann schlägt sie nicht, ist freundlich. Aber ihr fehlt das Salz des Lebens – die Zärtlichkeit, die Überraschungen.

Harry wächst zu einem sensiblen Jungen heran. Sein Lehrer lässt ihn Gedichte auswendig lernen, macht ihn für die Schönheiten der Sprache empfänglich. Dann lernt Hyyry Evelyn kennen und ist sofort von ihr fasziniert. Sie werden ein Paar, heiraten mitten im (Zweiten) Weltkrieg. Er schreibt ihr von der Front seitenlange Sehnsuchtsbriefe, will sie nicht mit Kriegsgreueln belasten. Als er aus dem Krieg unversehrt zurückkommt, hat er nur eines im Sinn: Evelyn glücklich zu machen. Nie spricht er vom Krieg. Sondern von dem, was sie haben werden. Seinen beiden Töchtern ist er ebenso ein liebevoller Vater wie seiner Frau ein nimmermüder, Liebe spendender Ehemann. Aber Evelyn, die Nüchterne, will Äußeres: Ansehen, ein Haus, Garten – eben alles, was zum Mittelstand dazu gehört. Um all das zu realisieren, arbeitet er Stunden um Stunden, viele Überstunden in einem düsteren Büro. Lieber wäre er draußen in der Natur. Den Garten zu pflegen muss als Ersatz für seine Sehnsüchte genügen. Obwohl Evelyn im Laufe der Jahre immer herrischer und egoistischer wird, liebt er sie, sucht alle ihre Wünsche zu erfüllen. Als er an Demenz erkrankt, schiebt sie ihn ins Altersheim ab. Als sie unerwartet stirbt, flüchtet er ins Vergessen und träumt sich zurück in eine Zeit mit ihr, als sie miteinander glücklich waren.

Die Inhaltsangabe liest sich wie ein Dreigroschenroman. Aber Kathy Page gelingt es, das Alltägliche mit Poesie einzuhüllen und zu einem wundervollen Roman über die Liebe zu formen. Jenseits aller Klischees.

Zwar gibt es so einen Mann/Ehemann wie Harry einer ist, in der Realität kaum. Den müsste man einrahmen! Aber nehmen wir ihn als Figur ernst: Weil Harry bedingungslos liebt, kann er all die Bedrängnisse des Alltags ausblenden, sie zu Wunscherfüllungen umformen. Doch trotz der bedingungslosen Liebe steigt dennoch in ihm die Frage auf: Was waren all die Jahre? Wozu diese endlosen Tage im Büro vergeudet? Für Ziele, die nicht wirklich die seinen waren. Und im Leser steigt die Frage auf: Kann bedingungslose Liebe den anderen glücklich machen? – Die Antwort: eher nur den Liebenden, nicht den, der sich geliebt fühlt. Allzu schnell wird Evelyn vom Alltag und den täglichen Begehrlichkeiten, die es zu erfüllen gilt, überschwemmt. Obwohl sich beide in der Zeit ihrer jungen Liebe schworen, den Alltag nie bestimmend werden zu lassen.

Kathy Page ist eine lebenserfahrene Frau, weiß Charaktere wunderbar zu zeichnen, gerät nie in die Nähe von Klischees oder Kitsch. Am besten, man genießt diesen Roman als das was er ist: Ein Bekenntnis zur Liebe.

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