Orestie von Aischylos. Burgtheater

Gleich vorweg: Eine faszinierender Abend mit großartigen sprachlichen Leistungen. So exakt und deutlich verstehbar hat man noch selten einen antiken Sprechchor erlebt (Leitung: Bernd Freytag)! Da könnten so manche Schauspieler im deutschsprachigen Raum lernen, wie  geschultes Sprechen geht.

Zum Stück: Vor allem ist der Erfolg des Abends der genialen Übersetzung von Peter Stein geschuldet. Ihm gelang es, das Archaische, Wuchtige der Sprache Aischylos‘  so zu übersetzen, dass auch dem nicht mit der verworrenen Familientragödie der Atriden Vertrauten das Geschehen klar wurde. Der Regisseur Antú Romero Nunes – hier in Wien kein Unbekannter – pendelte in der Inszenierung geschickt zwischen Antike und Gegenwart, indem er die Figuren wie aus einem Comicheft oder von einer Graffitiwand herausgeschnitten aussehen ließ. Durch diese „Verfremdung“ entstand eine intensive Spannung zwischen antikem Drama und heute. Sieben Frauen – das zu betonen ist wichtig, denn im antiken griechischen Theater spielten ja nur Männer – waren sowohl Chor, Volk und die einzelnen Figuren. Mit wenigen Handgriffen am Kostüm (entworfen von Victoria Behr), das aus Tüchern und Bandagen in Hautfarbe bestand, verwandelte sich Maria Happel in Agamemnon, Caroline Peters in Klytaimestra. Peters machte aus dieser Rolle ein wahres Kammerstück: Einmal kokett sich in den Hüften wiegend, dann wieder tief betroffen vom (vermeintlichen) Tod ihrer Tochter Iphigenie und dann als rasende Mordende. Dabei fällt auf, dass Nunes die Morde auf der Bühne geschehen lässt, während in der Antike alle Grausamkeiten durch einen Boten oder den Chor berichtet wurden. Man versteht, dass er mit dieser fundamentalen Änderung  das grausame Blutvergießen, das wir in Syrien und weltweit erleben, drastisch nahe bringen wollte. Interessant war auch die Doppelrolle von Barbara Petritsch: Gerade noch Amme, die das Morden in dieser schrecklichen Todesfamilie beklagt, dann gleich der freche und siegessichere Aigisth. Sarah Viktoria Frick als Elektra war etwas nervig – teils der Rolle geschuldet, teils ihre Art zu spielen. Deshalb geht auch die berühmte Erkennungszene zwischen ihr und Orest ziemlich daneben.  Andrea Wenzl als Kassandra war sehr berührend. Aenne Schwarz spielte Orest als unsicheren Sohn und Bruder, der von Elektra aufgehetzt, seine Mutter liebt und sie dennoch umbringen  -muss -. Hier treibt der Nunes die Grausamkeit des menschlichen Wesens auf die Spitze. Der Auftritt von Irina Sulaver als Athene war beeindruckend und führte direkt in die Gegenwart: Sie übergibt die richterliche Macht aus ihren Händen an die menschlichen Richter, die sie zu Einsicht und Menschlichkeit mahnt. Eine Mahnung, die heute genau so wichtig ist wie damals, als die Oligarchen in Athen die Macht an das Volk abgeben mussten. Jüngste Ereignisse lassen jedoch Zweifel aufkommen, ob das Volk immer und überall diese Einsicht hat.

Lang anhaltender Applaus.

Das Programmheft bietet eine intensive Auseinandersetzung mit dem antiken Drama. Eine nützliche, zusätzliche Information!

Weitere Termine: 10., 17. 26. Mai, 5. Juni. www.burgtheater.at