Letzte Zuflucht Malerei. Titelbild: Matthew Wong: Landscape with Mother and Child
Matthew Wong kam 1984 in Toronto zur Welt. Seine Eltern stammten aus China und lebten abwechselnd in Hongkong und Kanada. Der häufige Ortswechsel war für Matthew Wong, der, wie später diagnostiziert wurde, unter schweren Depressionen, Autismus und dem Tourrette-Syndrom litt, sehr fordernd. Doch seine Eltern sorgten sich sehr um ihn und förderten sein Studium der Fotografie, wie sie nur konnten. Und so unterstützten sie ihn auch, als er nach Abschluss des Studiums der Fotografie sich für die Malerei entschied. Das Schlüsselerlebnis waren die Bilder von Vincent van Gogh. In ihm sah er einen Künstler, der malte, um das Leben zu bewältigen. Der seine seelischen Probleme im Malen „abarbeitete“. Daher ist der Zuatztitel der Ausstellung voll zutreffend: „Letzte Zuflucht Malerei“. Zutreffend für van Gogh und zutreffend für Matthew Wong. Beide waren Autodidakt, mit dem Unterschied, dass Wong sich intensiv via Internet und Facebook mit der aktuellen Kunstentwicklung auseinandersetzte. Ein Diskussionsforum, das van Gogh nicht zur Verfügung stand. Anders als van Gogh hat Wong schon früh (mit 33 Jahren) Ausstellungen in der renommierten Galerie „Karma“ in New York. In Farbwahl und Stil spürt man den starken Einfluss seines Vorbildes: Strahlendes Gelb, intenives Blau sind immer wiederkehrende Farben, der nervöse Pinselstrich erinnert an Getreidefelder, Blumenbilder van Goghs. Punkte, hastig hingesetzt, als wüßte der Maler um die kurze Zeit, die ihm noch bleibt. Wong ist anerkannt, nimmt an internationalen Kunstforen teil, das Publikum schätzt seine Werke – und dennoch: Matthew Wong nimmt sich am 2. Oktober 2019 mit 36 Jahren das Leben.
Dennoch spiegeln seine Bilder selten seinen inneren Überlebenskampf wider. Im Gegenteil. Für mich sind sie Bewältigungsbilder! Bewältigung der Einsamkeit, aber auch Bilder der Lebensfreude. Aus diesem Grund habe ich als Titelfoto das Bild: Mutter mit Kind gewählt – . Die Mutter, die immer mit ihm war, ihn auf allen Reisen beschützte, sitzt am Rande, bereit, den Sohn durch die Blumenlandschaft zu begleiten.
Die Serie der „blauen Bilder“ (Fotos unten) sind alle in seinem letzten Lebensjahr entstanden. Ja, sie sind von tiefer Melancholie erfüllt. Doch es gibt Hoffnungsstreifen und Sterne, die sich im See in tausend Punkten spiegeln. In der „Sternennacht“ zitiert Wong van Goghs berühmtes Gegenbild.



Selbst die beiden letzten Bilder „The Other Side“ und das an van Goghs Bild des Sessels mit der Pfeife erinnernde Bild „Ohne Titel“ lassen zwar einen Abschied ahnen, aber sie vermitteln nicht die Todesahnung.


Eine Figur blickt mit dem Rücken zum Betrachter sehnsüchtig an ein jenseitiges Ufer, wo ein Haus ihn erwartet. Ein roter Vogel, den ich als „Seelenvogel“ interpretiere, wie in griechischen Mythen, wird seine Seele hinübertragen. Ein tröstlicher Gedanke. Im allerletzten Bild , den Sessel van Goghs zitierend, ist die Verlassenheit sehr stark zu spüren. Allerdings glänzt auf dem Sessel ein Strahlenglanz, vielleicht der Glanz seiner Seele, die er in seinen Bildern hinterlässt. (Man verzeihe mir die allzu persönliche und vielleicht zu romantisierende Deutung!)
Da die Ausstellung am 9. Juni 20225 endet, sollte man sie noch unbedingt ansehen. Sehr empfehlenswert ist auch der Katalog mit wertvollen Beiträgen, wie der Einführung von Joost van der Hoeven oder dem einfühlsamen Artikel „Aufsteigender Regen“ von Richard Shiff. Interessant ist, dass Matthew Wong auch Gedichte in englischer Sprache verfasste. Einige davon sind abgedruckt.