Festspielhaus St. Pölten: Rachid Ouramdane: Corps extrêmes

Choreographie: Rachid Ouramdane. Musik: Jean – Baptiste Julien, Video: Jean Camille Golmard, Licht: Stéphane Graillot, Bühne: Sylvain Giraudeau.

Was für ein freudvoller und spannender Abschluss der Saison! Alles spielte mit: Das Wetter benahm sich gut: Zuerst Sonne und Wonne, das Gewitter wartete, bis die Aufführung begann. Ab 16h hieß es: Gartenfest für alle auf dem Vorplatz des Theaters. Während der unernsten Einführung zum Stück wurde das Publikum zum Tanzen, Pseudoklettern aufgefordert. Und viele machten mit!

So bestgelaunt begab man sich in den Saal, nichtsahnend, welch fulminante Performance einem den Atem rauben wird.

Licht aus im Saal, es öffnet sich ein Gebirgspanorma mit schwindelnden Abgründen. Einer wagt es, über das von einer Bergspitze zur anderen gespannte und schwingende Band (die Fans nennen es „slackline“) zu balancieren. Du gehst mit ihm, schwingst, siehst unter dir die Abgünde – vielleicht tausend Meter tief oder mehr! Dazu erzählt der Artist – sein Name bleibt als einer der vielen in der Gruppe ein Geheimnis – welche Ängste einerseits und welches berauschende Gefühl der Freiheit ihm dieser Sport bereitet. Dazu hat Jean-Baptiste Julien eine dezente Musik komponiert, nicht effekthaschend, sondern passend zur Aktion, die Stille, Konzentration und Horchen auf die Natur verlangt.

Aus den Abgründen entsteht eine Kletterwand, wie man sie kennt. Männer und Frauen in legerer Alltagskleidung wirbeln über die Bühne, die Wände hinauf, die Wände hinunter, bilden Menschentürme, fliegen durch die Luft, werden im richtigen Moment aufgefangen. Alles ist auf die Hundertstelsekunde abgestimmt. Vertrauen, sich fallen lassen dürfen – ist die Botschaft. Eine Künstlerin erzählt, wie sie nach einem verheerenden Sturz, bei dem sie selbst unverletzt blieb, aber den unter ihr stehenden Fänger schwer verletzte, aufhören wollte. Angst schnürte sie ein, Angst jemanden oder sich selbst zu verletzen. Sie hat sie überwunden.

Der Abend schwingt zwischen Realität und Irrealität – als Zuseher verliert man den Boden, fliegt, träumt, schrickt auf, hält den Atem an. Man ist mitten drin, bangt, ob auch die nächste Kür gut gehen wird. Doch die Gruppe selbst scheint angstbefreit, tänzeln zwischen ihren Flügen durch die Luft, scheinen wie Kinder einander im Kreis zu verfolgen – abkühlen, neue Kraft schöpfen für den nächsten waghalsigen Flug in die Kletterwand oder auf die Schulter der Kollegen.

Das Publikum bedankt sich bei dieser tollen Truppe mit lang anhaltendem Applaus, Bravos und vielen spitzen Schreien. Ein toller Abschluss einer gelungenen Saison!!

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Wiener Konzerthaus – Zwei Abende, die Musik und Dichtung verbinden.

31. Mai 2023, 12.30h: Markus Meyer liest E.T.A. Hoffmann: Seltsame Leiden eines Theaterdirektors. Am Klavier: Adele Liculescu spielt Diverses von Robert Schumann

14. Juni 2023, 19.30h:“Liebe und Verlust“, Udo Samel liest Gedichte und Texte von Goethe. Am Klavier Julius Drake mit Liedern von Schubert bis Beethoven. Tenor: Christoph Prégardien.

Kultursommer Semmering: Joseph Lorenz und Daniel Keberle: Doppelconférence

Regenschleier und Nebelschwaden zogen über die Baumspitzen. Die Hitze war vorbei. Der Sommer vielleicht noch nicht – jedenfalls nicht im Kulturpavillon vor dem Hotel Panhans. Da sorgten Joseph Lorenz und Daniel Keberle für einen heiter-unmelancholischen Vormittag. Beide sind ein gut eingespieltes Paar – man sah sie unter anderem als Anatol (Lorenz) und Max(Keberle).

Diesmal also leichte, bekannte Kost. Der Titel „Doppelconférence“ erinnert ganz bewusst an Waldbrunn und Farkas. Wie Florian Krumpöck in seiner kurzen Begrüßungsrede betonte, möchte der „Kultursommer Semmering“ den jüdischen Künstlern, die einst den Semmering oft und gerne besuchten (Farkas hatte in der Nähe von Reichenau eine Villa) eine Erinnerungsplattform bieten.

Zunächst erklärten Lorenz und Keberle launig den Begriff „Doppelconférence“: Das ist ein „Dialog zwischen einem G´scheiten und einem Blöden – am Ende ist der Blöde nicht gescheiter, der G´scheite scheinbar umso blöder“ (Zitat aus dem Programmzettel). Danach wurden die Rollen verteilt: Lorenz meldete sich sofort und freiwillig für die Rolle des Blöden – solche Rollen spielt er mit Begeisterung und sehr überzeugend (etwa in „Oh, du mein Österreich). Keberle als der Obergscheite (Farkasrolle) warf großsprecherisch mit Fremdwörtern um sich, Lorenz vermengte sie zu neuen Sprachungeburten. Bekannte Szenen folgten im raschen Tempo – man amüsierte sich über den Ober im Kaffeehaus, der für alle Mängel der Speisen eine ERklärung hat und sie natürlich auf die Rechnung setzt- des ham scho zwei Gäste vor Ihnen net essen wollen-. Solche und ähnliche Antworten auf Beschwerden kennen wir ja alle.

Brillant war auch der Beitrag: Was ist ein Statistiker? Oder der Dialog zweier Schwimmlehrer an der Donau. Gegen Schluss durfte natürlich nicht der Sketch fehlen: Kauf deiner Schwiegermutter Levkojen zum Geburtstag. Mit Hilfe der Mnemotechnik wurden daraus „Löwenzähne“. – All diese Witze sind bekannt und wirkten dennoch frisch. Man genoss und amüsierte sich ganz besonders, weil Lorenz, sonst eher als Interpret der „hohen Literatur“ bekannt, sich lustvoll in die Untiefen des „schiefen, grindigen“ Humors stürzte. Keberle war der kongeniale Partner, mehr als ein Stichwortbringer. Diesmal gab es auch Zugaben: Keberle las einen launig-lehrhaften Text von Weigel, Lorenz blätterte lange, dann begann er fast feierlich: Ernst Jandl – ein Gedicht: „So!“ – stand auf und verbeugte sich. Ein genialer Abschluss eines heiteren Vormittags.

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Mein Festivalsommer am Mattsee und Salzburg

VORHANG AUF ZUM FEST AM SEE UND IN SALZBURG

Nirgendwo kann ich besser die Festwochen in Salzburg verbringen als am Mattsee, im Schlosshotel Iglhauser. Tagsüber im Garten und am Steg faulenzen, schwimmen, ein wenig wandern, aber nicht zu viel – denn das Wasser ist zu verlockend.

Abends dann hinein nach Salzburg (24km bis Stadtmitte). Höhepunkt meiner Festspielabende war der Liederabend mit Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch: „Lieder von Liebe und Sehnsucht“ – Jonas Kaufmann mit all seinen Piani, Pianissimi und verträumter Stimme drang in die Seele wohl aller Zuhörer. Berühmte Lieder wie „Nur wer die Sehnsucht kennt“ (Tschaikowski), „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ (Mahler) waren voller Schwermut. Lebensfroh die Vertonung von Franz Liszt „Die drei Zigeuner“( Lenau). Unter standing ovations und begeistertem Applaus bekamen wir 7!!! (in Worten „SIEBEN“) Zugaben, zuletzt das berühmte Abendlied von Johannes Brahms „Guten Abend, gute Nacht“ von Jonas Kaufmann geschenkt.

Ein weiterer Höhepunkt war das Konzert der Wiener Philharmoniker unter dem Dirigat von Riccardo Muti. Schmerzvolle Themen! Tschaikowskis Pathétique hörte man wohl noch nie so subtil und ganz ohne großes Getöse! Thematisch dazupassend folgte die Symphonische Dichtung „Von der Wiege bis zum Grabe“ von Franz Liszt. Den Abschluss bildete die gewaltige Szene „Prologo in cielo“ aus der Oper „Mefistofele“ von Arrigo Boito. Endlich durften wir wieder die mächtige Stimme des Bassbaritons Ildar Abdrazakov hören! Er wurde ja an der Wiener Staatsoper wenige Tage vor seinem Auftritt in „Boris Godunov“ und in „Un Turco in Italia“ kommentarlos vom Programm genommen. Mit gutmütiger Ironie begegnete er als Mefistofele dem göttlichen Meister und schlug ihm die berühmte Wette vor.

Für die dreiteilige Oper „Il Trittico“ von Puccini machten Medien und der Dirigent himself lautstark Werbung. Doch irgendwie blieb das Werk hinter den Erwartungen zurück. Hatte man schon vorab zu viele Lorbeeren gestreut? Zweifellos wurde gut gesungen – besonders beeindruckend Asmik Gregorian in drei verschiedenen Rollen – und Welser-Möst holte alle Feinheiten dieser WErke gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern heraus. Aber diese drei Stücke sind halt nicht so Ohrwürmer wie „Butterfly“ oder „Bohème“.

In Leos Janaceks Oper „Kata Kabanova“ sang und spielte mit großer Ausdruckskraft Corinne Winter die Hauptrolle. Sie überzeugte voll und ganz. Ebenso das gesamte Ensemble und die Wiener Philharmoniker unter dem sicheren Dirigat von Jakub Hrusa..

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Im Wolkenturm von Grafenegg

Mit seiner Band „Die Elektrohand Gottes“ – Tobias Herzz-Hallbauer, Jörg Schittkowaski, Rajko Gohlke, Hanns Clasen.

Der Auftritt glich einem Orgienfest. Mit ekstatischen Schrei: „Schiller, wo bist du? Komm zu uns nach Grafenegg“ – beschwor der Schamane Hochmair den Geist des Dichters herauf. Hochmair als Straßenarbeiter mit Helm, roter Hose und blinkendem Rettungslaiberl, in der Hand Hammer und Rohr. geht schlagend und rufend über die Bühne, die einer ausrangierten Asfinagstation glich: ein alter Stellwagen, auf dem die Autos geleitet und später die Titel der Balladen angezeigt werden. Kreuze, groß, klein, verstaubte Marienstatuen weisen auf alles Möglich hin, nur nicht auf Schiller und seine Zeit. Zum Auftakt wird fest gehämmert, nach Schiller gebrüllt und Nebel in die Luft geschossen. Dann als Versuchsballon „Der Ring des Polykrates“, weils so gut und verwirrend war, gleich nochmals. Jetzt aber mit Vollgas.Ja, wir sollen kapieren: Schiller ist ein Widerständler, misstraut der Macht und den Mächtigen. Auch der Pseudomacht der Frauen und dem blöden Machtgehabe des Königs. Der Jüngling – das Wort gibt es noch und es wirkt ganz heutig!! – vollbringt die sinnlose Mutprobe, wirft jedoch den Handschuh der Dame vor die Füße – „den Dank, Dame, begher ich nicht!“ Fragwürdig ist die Dame – sind die Frauen, die Unmögliches verlangen. („Der Handschuh“)

Ab der Ballade über den Erlkönig steigert sich das Fest, wärmt sich auf zur Orgie. „Now comes the Taucher“ – und wird zum Mysterienspiel über die Ohnmacht des Menschen, der wie Orpheus in den Untergrund steigt, aber aus den Untiefen nicht mehr zurückkehrt. Der Schamane lässt das Laiberl fallen, rappt bis zur Bewußtlosigkeit, kippt in den Untergrund. Als spannendes Drama über Feundschaft tanzt und singt, brüllt und flüstert der Schamane „Die Bürgschaft“ – wird er den Freund noch retten können? Er kanns – und selbst der böse Tyrann hat Tränen in den Augen. Noch eine Steigerung ist möglich: „Wollt ihr das längste Gedicht der Welt hören – die Glocke?“ Das Publikum will, und steigt in den Weltenbau und in die Gesetze, die die Welt zusammenhalten, ein. Am Ende weiß der Schamane: „Schiller lebt! Schiller, du bist da!“ Er spürte ihn.

Bleibt zu hoffen, dass alle, wirklich alle die Reise des Schamenen zu dem Geist Schillers mitgemacht haben. Der Applaus galt der gelungenen Performance und dem immensen Einsatz Hochmairs. Und Schiller?

http://www.grafenegg.com , http://www.cayenne.at

Karl Kraus – ganz persönlich. Olga Schnitzlers Talkshow mit Zeitgenossen.

Elisabeth-Joe Harriet als Olga Schnitzler. Kurt Hexmann als Karl Kraus

Ort des Gespräches: Natürlich im Steigenbergerhotel, Café Herrenhof

„Ja mein Gott, Sie ( gemeint ist das Publikum) leben in Zeiten!“ Mit diesen Worten begrüßt Olga Schnitzler die Zuhörer. Und schon ist die Schiebetür geöffnet, um vom Heute (mit all den Coronaquerelen) in die Vergangenheit zu schauen. In eine Zeit, in der man zwar auch Masken gegen die Grippeviren trug. Aber alles nix gegen heute, meint Olga, die Frau zwischen und in den beiden Zeiten. Elegant und selbstsicher, wie wir uns Olga Schnitzler vorstellen, begrüßt sie Karl Kraus in ihrer Talkshow. Der schießt gleich einmal sein erstes Kanönchen gegen sie ab: Talkschow, auch so ein Wort, das er partout nicht mag. Sie bleibt davon umberührt, schießt kräftig zurück und zitiert Hans Weigels Urteil über Karl Kraus: „Keiner hat Wien und Österreich…. derart verhöhnt…. und keiner hat Österreich tiefer geliebt.“ Diese Aussage ist natürlich Wasser auf den ein wenig (oder sogar sehr) selbstverliebten Karl Kraus. Nun beginnt ein köstliches Pingpong der geistreichen Fragen und ironisch-geistreichen Antworten. Zunächst freundliches Geplauder über die Kindheit im böhmischen Gitschin, dann in Wien. Als tüchtiger Geschäftsmann will der Vater den jugen Karl in seine Firma zwingen. Ging nicht, absolut nicht. Schon damals zeigte sich Kraus als der intelligente Streiter, als der er später in der „Fackel“ bekannt wurde.

Als die „Fackel“ erstmals am 1. April 1899 erschien, sprach ganz Wien von dem kleinen roten Format, in dem fortan gegen alles und jeden zu Felde gezogen wurde. Als Olga Schnitzler Karl Kraus wegen seines allgemein bekannten Bekenntnisses zu Dollfuß auf die Zehen tritt, wird er richtig wütend: Dollfuß sei die einzige Möglichkeit gewesen, sich gegen Hitler zur Wehr zu setzen. Amüsant geht dieser Schlagabtausch weiter, Kraus immer pointiert ironisch mit einer Prise Arroganz, Olga weiblich – schlau angriffig. Und immer wieder holt diese Olga Schnitzler, die bestens vorbereitet ist, Fotos und Erinnerungen hervor, die selbst Karl Kraus schon vergessen zu haben scheint. Eines war Olga klar: will sie in diesem Gespräch bestehen, so muss sie in ihrem Köcher ein Wissen über ihr Gegenüber haben, das mehr als nur die Oberfläche streift. „Ich möchte in die Tiefe Ihrer Persönlichkeit steigen“, verkündet sie zu Beginn. Und Karl Kraus darauf: „Hoffentlich erkenn‘ ich mich nachher selbst noch wieder!“

Es machte Freude, den beiden exzellenten Schauspielern in die Zeit der Jahrhundertwende zu folgen. So manch Zuhörer wünschte sich wahrscheinlich auch heute einen Karl Kraus herbei, der völlig unabhängig gegen Korruption, Partei- und Freunderlwirtschaft vorginge. Der den „Debutromanschreibern, Kolumnisten und Feulletonisten in ihr Stammbuch schreibt, wie Sprache vom Denken abhängt.

Weitere Aufführungstermine: Karl Kraus – ganz persönlich: 27. Februar und 24. April 2022. Jeweils um 15.00Uhr im Café Herrenhof, Steigenbergerhotel, Herrengasse 10, 1010 Wien. http://www.steigenberger.com/hotel-wien/herrenhof

Tickets zu €55.- inkl. Kaffee/Tee, Herrenhoftorte und ein Gläschen Likör.

unter:http://www.pretix.eu/EIH/KIH oder +43676/899 68 050 und sylviareisinger@aon.at

Festspielhaus St.Pölten: José Montalvo: Gloria

Titelfoto © Patrick Berger

José Montalvo präsentierte genau zur richtigen Zeit die richtige Choreographie – der Pandemie zum Trotz fordert er seine Equipe und das Publikum zur Freude am Tanz auf. „Gloria“ – der Titel ist nicht als Ruhm und Ehre, sondern als Jubel, als Lebensfreude zu verstehen. Jede einzelne Tänzerin und jeder einzelne Tänzer verkörpert im Tanz dieses Motto. Obwohl drei Mitglieder des Ensembles coronabedingt nicht dabei sein konnten, ließ Montalvo dennoch die Show über die Bühne gehen. Richtig so, Corona zum Trotz! Denn Angst und Unsicherheit sollen unser Leben so wenig wie möglich beeinträchtigen. Mit „Gloria“ , der Freude am Leben, ausgedrückt durch Tanz, will Montalvo eine kräftige Gegenansage zu Missmut und Depression machen. Und das ist ihm voll gelungen.

Statt 16 Tänzern wirbeln nun 13 Männer und Frauen über die Bühne. Nach dem Rhythmus von „stop and go“ ergreift einer nach dem anderen das Mikro, erzählt von sich und dem unbändigen Wunsch zu tanzen, allen Hindernissen zum Trotz. Keine und keiner von ihnen hatte für eine Tanzausbildung die besten Voraussetzungen. Aber sie kämpften gegen die Voruteile, die Eltern, Lehrer, die Allgemeinheit so hatten: zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn, zu wenig Busen, zu viel Busen. Einer wurde trotz seiner Sehbehinderung ein toller Tänzer. Am Ende jeder Performance ertönt ein wichtiges Lebensmotto: „Ich bin stolz“ (darauf, dass ich heute als Tänzer, Tänzerin hier tanzen kann).

Montalvo bricht mit allen Konventionen – er lässt einen Flamencotänzer Ballett tanzen, zum klassischen Operngesang (Cecilia Bartoli) legt eine schwarze Tänzerin eine afrikanische Sohle aufs Parkett, ein männlicher Tänzer tanzt typisch weibliche Figuren. Nix ist fix in diesem Ensemble. Es gibt keinen E- und U-Tanz. Hip-Hop, Street Dance, Flamenco, Ballett – sie alle sind gleichwertig und können von jedem einzelnen Mitglied spontan getanzt werden.

©Patrick Berger

José Montalvo war einer der ersten Choreographen, der Videos einsetzte. Auf der rechten Bühnenseite werden die Gruppen groß im Video gezeigt, während sie auf der anderen Seit der Bühne tanzen und singen. Diesen Verdoppelungseffekt eigneten sich später viele Regisseure des Opernsektors an. Bei Montaldo sind Videos nie modischer Effekt, sondern wichtiger Teil seiner Aussage. Im weiteren Verlauf des Abends werden sie immer bildgewaltiger, wenn er seine Sorge um die Natur und das Verschwindenn vieler Tierarten artikuliert. Elefanten, Giraffen, Löwen, Bären stehen wie in einer Arche Noah auf Papierschiffen zusammengedrängt und sehen dem Treiben der Menschen regungslos zu. Dass sie auf einem Papierschiff nicht Rettung finden werden, können sie nicht wissen. Darunter tanzen die Menschen, halten Nabelschau – wortwörtlich: Einer nach dem anderen zeigt in Großaufnahme seine Nabel. Oder es tanzen die Frauen mit nacktem Oberkörper, ihre Brüste schwingen lustig im Takt des Tanzes. Es ist dennoch kein Tanz auf dem Vulkan, sondern ein Tanz gegen den Untergang. Am Ende springt der Freudenfunke auch auf das Publikum über, das das Lied über die Nabelschau begeistert mitsingt.

Frenetischer Applaus, standing ovations.

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Theater in der Josefstadt: Andrea Jonasson rezitiert Bert Brecht.

Zu leiser Klaviermusik (Christian Frank) hörte man die Stimme der Schauspielerin geheimnisvoll aus dem Off. Sie zitierte die ersten Zeilen des Gedichtes „Vom armen B.Brecht“. Langsam tritt sie auf. Wie gewohnt, wenn sie einen Rezitationsabend veranstaltet, im Hemd und Anzug ihres geliebten Ehemannes Giorgio Strehler. Dessen 100. Geburtstag feiert sie mit diesem Auftritt ebenso wie den Dichter Bert Brecht. Beide Genies weiß sie ins rechte Licht zu rücken. Strehler als den großen, phantasievollen Regisseur und Brecht als den Dichter, der über die Liebe und deren Flüchtigkeit schreibt und über den „Anstreicher“, wie er Hitler nennt, seine Verachtung schüttet. Allen drei handelnden Personen – Jonasson, Brecht und Strehler – wohnte und wohnt ein starkes soziales Engagement inne. Seitenhiebe auf die österreichische Regierung, die keine Kinder aus dem Lager in Lesbos aufnimmt, werden in dem „Wiegenlied einer proletarischen Mutter“ vernehmbar. Einige der bekannten Lieder aus der „Dreigroschenoper“ trägt sie sehr verhalten, gerade deshalb umso wirksamer vor, so als würde sie ihrer wunderbaren Stimme nicht trauen. Mit besonderer Empathie singt und spielt sie den Barbarasong aus der „Dreigroschenoper“ : „Einst glaubte ich, als ich noch unschuldig war…“. Dazu öffnet sie die zu einem Knoten gebundenen Haare, legt sich rücklings quer über das Klavier und lässt ihre Haare über den Rand des Instrumentes fließen. Dazu der Text: „Ja, da muss man sich doch einfach hinlegen, ja da kann man doch nicht kalt und herzlos sein…“ Eine großartige Performance, die umso mehr berührte, als man spürte, dass dieser fast schon akrobatische Akt einige körperliche Anstrengung kostete. Aber Jonasson ist in allen (Lebens)lagen Diva durch und durch. Die Macht ihrer Stimme übertönt jegliche Schwierigkeit.

Interessant plaudert sie über die kurze, aber innige Freundschaft zwischen Strehler und Bert Brecht, zeigt ein Video mit Strehler bei den Proben zur „Dreigroschenoper“ und schwelgt in Erinnerungen an den großartigen Mann, nein, an die großartigen Männer: „Ich liebe sie beide“, gesteht sie.

Noch einmal apropos Liebe: Eines der schönsten Gedichte über die Liebe, die schwindet, nur die Wolke bleibt in ERinnerung, beginnt so: An jenem Tag im blauen Mond September…“. Zuerst trägt Jonasson es auf Deutsch vor, danach singt sie die italienische Übersetzung „Quel giorno era luna di Settembre“…fast klang die italienische Fassung noch schöner, inniger als die deutsche.

„Ist das nicht herrlich! Nach 15 Monaten Klausur , Schweigen und Einsamkeit bin ich da!“ sagte sie zu Beginn. Ja, es war herrlich. Danke, Andrea Jonasson und danke Christian Frank für die ruhige, unaufdringliche, aber immer passende Klavierbegleitung!

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Richard Teschners Figurenspiegel: Karneval

Theatermuseum Wien im Palais Lobkowitz

Es war ein freudiges Wiedersehen mit all den zarten Figuren aus Teschners „Wunderkammer“. Das Thema „Karneval“ ist nur vordergründig zu verstehen. Eher könnte man die Performance als eine Mantel- und Degenkomödie im Rokokostil deuten.

In dem kleinen, fast intimen Salon im ersten Stock des Theatermuseums bleiben Hektik und Stress ausgesperrt. In den Vitrinen aus den Wiener Werkstätten sind einige Puppen ausgestellt. Erwartungsvoll warten die Zuseher, dass „es“ beginnt, dass Teschners Puppen ihren Zauber zur Wirkung bringen.

Richard Teschner (1879-1948) hatte das Puppenspiel im südostasiatischen Raum kennen gelernt. Bald begann er eigene Puppen zu bauen: zierliche Wesen wie Prinzessinnen, Kavaliere, Ritter, Frösche, Hunde, Fabelwesen aller Art. Um den konventionellen Guckkasten zu verändern, baute Richard Teschner einen Figurenspiegel: In der Mitte eines für Puppenspiele üblichen Holzkastens befindet sich ein etwa ein Meter großer konkav gewölbter Spiegel, von einem vergoldeten Rahmen eingefasst. Dahinter bewegen sich die Figuren. In dem gewölbten Glas sieht der Puppenspieler, der hinter einm dunklen Gazevorhang verborgen ist, die Puppen spiegelverkehrt und kann so ihre Bewegungen genau kontrollieren.

„Karneval“ ist eine Art Minikomödie aus dem Rokoko: Ein Kavalier begleitet seine Dame nach dem Ball nach Hause. Verfolger belauschen das Paar. Die Dame rettet sich in ihr Heim, wo sie ihr Hündchen und ein kleiner Mohr erwarten. Sie sinkt nach dieser Aufregung in Tiefschlaf und träumt ganz wundersame Dinge. Ein Schmetterling umflattert sie, Gespenstertierchen nähern sich und das Mobiliar beginnt um sie herum zu tanzen. Als sie erwacht, stehen die drei Verfolger in ihrem Zimmer. Einer reicht ihr, wie um Abbitte zu leisten, einen Blumenstrauß, den sie empört zurückweist. Auch ihr Kavalier wird zunächst abgewiesen. Doch schlussendlich umarmt sie ihn doch und verschwindet mit ihm in ihr Schlafgemach.

Begleitet wird diese hübsche Geschichte von einer einschläfernden Musik, ein wenig Gamelan, ein wenig Spieldose. Wenn von draußen die tiefen Glockentöne der nahen Augustinerkirche ertönen, dann vermischen sich Traumspiel und Realität.

Wie immer mein Rat: Kommen Sie mindestens eine halbe Stunde vor Beginn, um einen Platz in der 1. oder 2. Reihe zu ergattern. Denn bereits ab der 4. Reihe sind die Feinheiten der Figuren schwer zu erkennen.

Kontakt und Information: T 01/525 24 5303, info@theatermuseum.at

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Joseph Lorenz: Ich, Casanova. 2. Teil

Wieder war der Andrang groß. Im „Theater im Salon“ hatte nicht einmal mehr der kleinste Sessel Platz. Wenn Lorenz liest, dann kommen alle. Und alle passen halt nicht in den Raum, der gerade einmal fünfzig Plätze hat.

Also nun: Fortsetzung des spannenden Lebens von Casanova. Einmal mehr fragt man sich, wie sich Joseph Lorenz durch alle 18 (!) Bände der von Casanova eigenhändig verfassten Biografie durchgearbeitet haben konnte.

Nach einer kurzen Zusammenfassung des ersten Teiles führt uns Joseph Lorenz/ Giacomo Casanova in das bescheiden Haus des Philosophen Jean Jacques Rousseau und lernt dort auch dessen um Jahre ältere Lebensgefährtin, von Rousseau nur „Maman“ genannt, kennen. Mehr scheint Casanova von Voltaire beeindruckt zu sein. Treffen doch da zwei Geistesgrößen aufeinander, die mit Witz, Ironie und scharfem Verstand die Gesellschaft sezieren.

Von Frankreich treibt es Casanova nach Rom, wo ihn Papst Benedikt XIV. empfängt und ihm den freien und ungehinderten Zugang zu den Büchern der vatikanischen Bibliothek erlaubt, auch zu allen, die auf dem Index standen! Als ihm Graf Waldstein 1785 eine gut bezahlte Stellung als Bibliothekar im Schloss Dux anbietet, nimmt Casanova gerne an, ist er doch des ewigen Herumreisens schon müde. Dort hätte er ein bequemes Leben führen können, wäre da nicht aus Venedig ein geheimnisvoller Brief eingelangt, der ihm Rehabilitation versprach. Casanova bricht sofort auf. Auf der Reise holt er sich eine „Galanteriekrankheit“ und muss sich erst einmal auskurieren. Diese pikante und unrühmliche Episode fehlte bisher in Casanovas Memoiren. Erst vor einigen Jahren fand man die fehlenden Seiten, die Casanova nicht zur Veröffentlichung freigeben wollte.

Nur halb genesen reist er voller Ungeduld nach Venedig, in der Hoffnung, von dem Bann, der ihn so viele Jahre von seiner Heimatstadt fernhielt, befreit zu werden. In Venedig lässt ihn der Doge jedoch fünf Stunden warten, um ihm dann ausrichten zu lassen, dass er schleunigst die Stadt zu verlassen habe, will er nicht nochmals in den Bleikammern landen. Zurück auf Schloss Dux schreibt er weiter an seinen „Memoires de ma vie“, die mit dem Jahr 1774 enden und zu Casanovas Lebezeiten nicht veröffentlicht wurden. Der Autor starb 1798 auf Schloss Dux.

Über Umwegen gelangte das Manuskript in den Besitz der Familie Brockhaus. 2010 kaufte es die „Bibliothèque nationale de France“ um 7 Millionen Euro!

Joseph Lorenz führte an diesen beiden Abenden durch das Geschichtstableau des 18. Jahrhunderts. Es war eine Zeit des Auf- und Umbruchs: Gegen den strengen Absolutismus bereiteten geniale Denker wie Voltaire die Revolution vor, während der Großteil des Adels noch ein sorloses Luxusleben führte. Casanova war der beste Zeitzeuge für dieses Jahrhundert. Dank der Ausdruckskraft, mit der Joseph Lorenz aus den Memoiren las, folgte man ihm mit intensiver Aufmerksamkeit.

Infos zum Theater im Salon: http://www.theaterimsalon.at

Joseph Lorenz: „Ich – Casanova“. Teil 1 im „Theater im Salon“

Wenn Joseph Lorenz angekündigt wird, dann kommen alle. Oder doch nicht alle. Denn das private, sehr atmosphärische „Theater im Salon“ hat die Intimität eines Salons, der nur eine begrenzte Anzahl von Gästen Raum bietet. Daher konnte nur ein kleiner Teil seiner Fanschar diesen Abend genießen.

Wie immer fesselte Joseph Lorenz seine „Lorenzgemeinde“. Diesmal mit feinem Humor. Casanovas Memooiren umfassen mehr als tausend Seiten. Geschickt manövrierte Lorenz uns durch dieses abenteuerliche Leben eines intelligenten, geistreichen Beobachters der europäischen Gesellschaft ( 1725 in Venedig – 1798 Dux in Tschechien). Als hochgebildeter Mann, Charmeur, Frauenversteher und Frauenverführer war er in allen Salons der adeligen Welt hoch willkommen. An allen wichtigen Fürsten- und Kaiserhöfen hat er sich umgetan. Meist erfolglos. Friedrich der Große stellte ihn nicht an. Auch nicht Katharina die Große. In Wien schockten ihn die Spitzel, die Maria Theresia auf vermeintlich unmoralische Mädchen und Frauen ansetzte. Nein, das war nicht die Welt, die Casanva gefallen konnte! Da fühlte er sich in Paris schon wohler. Dort sind ihm die Frauen gewogen, lassen sich gerne von seinen charmanten Konversationen zu lächelnder Akzeptanz eines Gespräches und mehr verführen.

Ein keines Trostpflaster für alle, die diesen Abend nicht erleben konnten. Fortsetzung folgt am Samstag, 22. Februar – wieder um 19.30h – im „Theater im Salon“.

Theater im Salon. Copyright: Theater im Salon

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Maria Happel und TROI – Lesung mit musikalischer Begleitung. Wiener Konzerthaus

Nach so vielen bedrückenden Theaterabenden im Umfeld der Burg („Die Bakchen“, Die Hermannsschlacht“ oder „Die Vögel“) geht man gern zu Maria Happel, um ein wenig das strapazierte Theaterherz zu pflegen. Wenn diese Vollblutschauspielerin mit dem Temperament einer Dampfmaschine, die gerade den Berg hinabsaust, ihren Weihnachtshumor über das Pulikum ausgießt, bleibt niemand unberührt. Man weiß, wenn die Happel einen Adventabend vorbereitet, da ist Schmunzeln mit dabei, Lachen, nachdenklich den Kopf senken, eine ganz kleine Träne im Knopfloch – alles schwingt mit, alles geht „wia gschmiad“ in die Sseele.

Wenn dazu noch das Troi – Ensemble flotte bis einschmeichelnde Melodien spielt, dann herrscht Hochstimmung im Saal.

TROI-BAND, Foto: Stephan Mussil

Es sind leicht schwingende Texte, die Maria Happel auswählte. Alltagsituationen rund um den Weihnachtsstress, überspitzt und treffend formuliert. Das junge Paar einigt sich nicht: Sie will eine meterhohe Silbertanne, er eine kleine Fichte. Sie will viel Schmuck, er hätte es lieber spartanisch. Am Ende steht die hohe Silbertanne ganz ohne Schmuck im Zimmer. (Christine Nöstlinger). Oder die Geschichte vom Weihnachtskarpfen, der als geliebter Sepperl nicht geschlachtet wird. (Peter Meissner) Oder der skurrile Text von Hugo Wiener vom singenden Weihnachtsbillet, das ein ganzes Jahr lang „Stille Nacht“ unaufhörlich herunterspult. Am Schluss las Happel den berührenden Brief Albert Einsteins an seine Tochter über die Liebe als wichigste Kraft im All und auf Erden. Als Abschluss wurde das Publikum zum Mitsingen aufgefordert: Mit dem Lied „Es wird scho glei dumpa“ wurde das Licht heruntergedimmt und das unwiederrufliche Ende des Abends damit angezeigt. Logisch deshalb: Keine Zugabe.

http://www.konzerthaus.at,

http://www.unserewebseite.at

http://www.burgtheater.at/ensemble/maria-happel

Elisabeth-Joe Harriet: „Hat sich mir gemocht a Schmerz.“ Eden Bar

Literarisch-musikalischer Abend. Eine Reise durch jüdisches Leben.

Klavier und Geige: Bela Fischer

Wehmütig seufzt die Geige. Sie stimmt uns ein. Auf einen Abend mit Schmerz, Schmunzeln und Lachen. Elisabeth-Joe Harriet, für Verzauberung der vielfältigsten Art zuständig, führt das Publikum in der schummrigen Eden Bar durch das jüdische Leben im Jahreskreis. Gleich jammert und singt sie los: „Oje, oje, hab ich mir aus dem Mantel a Röckle gemacht. Weil das in Teile zerfiel, hab ich mir a Häubl gemacht …bis nix mehr übrig blieb als a Schnipsl und am End a Lidl.“ – In Liedform ist die jüdische Philosophie und Lebenskunst zusammengefasst – die da meint: Aus dem Wenigen doch Großes – „a Lidl“ – machen! Begleitet von Bela Fischer auf der Geige und am Klavier führt die Künstlerin ihr Publikum in das Leben einer jüdischen Gemeinde ein, erzählt über den Rabbi als zentrale Auskunftstelle für alles und jedes. Zur Auflockerung bringt sie jüdische Witze. Sie alle – nämlich die Witze – leben von diesem „Loch“ zwischen Anlauf und Auflösung, der Kunstpause, die die Überraschung vorbereitet. Harriet nennt es „Ellipse“. Ein köstliches Beispiel sei hier zitiert (Kurzfassung): Ein altes Ehepaar beim Abendmahl. Sagt er: „Wenn einer von uns beiden stirbt, ziehe ich nach Paris.“

Eine Schikse wie ich weiß nichts über jüdische Feste. Für solche kam der Abend gerade richtig! Beste Gelegenheit, über Ursprung und Inhalt etwa des Purim- oder Pessachfestes informiert zu werden. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass die jüdische Frau sich am Schabbat nicht frisieren darf – das ist Arbeit und daher verpönt. Eine Perücke löst das Problem elegant. All das und mehr hat Elisabeth-Joe Harriet in einem informativen Büchlein zusammengefasst, illustriert mit Porträts des jüdischen Malers Isidor Kaufmann (1853-1921):

„Jüdischer Festkalender mit Humorbeigaben. Was Sie schon immer nicht gewusst haben! “ Hrsg. Elisabeth-Joe Harriet. Verlag Austria Nostra.

Jeder Besucher bekam auch einen Handzettel mit einer Zusammenfassung der wichtigsten jüdischen Wörter, die zum Teil auch im Wienerischen Eingang fanden, und einigen Sprichwörtern. – „Eine jüdische Seele kann man nicht ergründen“ oder „Eine Frau stellt einen auf die Füße und wirft einen von den Füßen“ – nachzulesen ebenda. In Zukunft werde ich keine E-Mails, sondern „Blizbrife“ versenden. Meschigeh!

http://www.elisabeth-joe-harriet.com

Andrea Jonasson und Roland Koch lesen Tolstoi, Anna Karenina.

Ort: Gläserner Saal, Musikverein. Musikalische Begleitung: Alexander und Konstantin Wladigeroff. Konzept und Dramaturgie: Angelika Hager.

Andrea Jonasson (Bildrechte: Sepp Gallauer/CPS Austria)

Roland Koch (Bildrechte: Bernhard Uhlig)

Angelika Hager gelang das schier Unmögliche: Sie schrieb eine ideale Lesefassung des mehr als tausend starken Romans, den Rosemarie Tietze neu übersetzte. Dabei konzentrierte sich Angelika Hager auf die Liebe zwischen Anna und Wronskij. Die Geschichte von Kitty und dem Gutsbesitzer Ljewin ließ sie außen vor. Kitty wird nur erwähnt, um Wronskij zunächst als leichtsinnigen Bonvivant zu charakterisieren, der dem Mädchen den Hof macht, ohne auch nur im Geringsten an eine Heirat zu denken.

In inneren Monologen, die aus subtil angedeuteten Gesten plötzlich Realität werden, lassen die beiden Vollblutschauspieler Andrea Jonasson und Robert Koch die Leidenschaft aufglühen, zeichnen ein Bild der verlogenen, verknöcherten Gesellschaft in Moskau des 19. Jahrhunderts auf. Eine Gesellschaft, deren Spott und Verachtung Anna zu spüren bekommt, während Wronskij unattackiert bleibt und sein Leben in der Öffentlichkeit fast wie früher leben kann. Die Bösartigkeit und die immer schwächer werdende Liebe Wronskijs treiben Anna in den Selbstmord. Sie wirft sich vor einen Zug.

Andrea Jonasson ist Anna Karenina, im Aussehen elegant, in der Stimme erotisch, verliebt, reuig, verzweifelt und zerstört. Roland Koch ist zunächst ein brillanter Fraueneroberer, dem man den Erfolg in der Gesellschaft abnimmt. Aber auch einer, der aus Liebe zu Anna die militärische Laufbahn aufgibt und mit Verantwortungsbewusstsein diese Beziehung lebt. Und auch einer, der verzweifelt, als er merkt, dass Langeweile und manchmal sogar Hass seine Liebe zu Anna zerstören und er seine Abneigung nicht mehr verbergen kann. Beide lesen, nein spielen diese leidenschaftlich Beziehung ohne Pathos, aber mit einer Intensität, die den Zuschauer voll in das Geschehen mit einbezieht.

Die beiden bulgarischen Musiker Konstantin und Alexander Wladigeroff begleiten und untermalen das Geschehen mit subtilen musikalischen Einfällen. Ein Abend, den man gerne ein zweites Mal erleben möchte. Wo und wann?

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Arthur Schnitzler: Anatol. Szenische Lesung im Südbahnhotel am Semmering

Für viele eine freudige Überraschung: Statt des erkrankten Michael Maertens las Joseph Lorenz den Anatol!

Daniel Keberle war Anatols „Gewissensspiegel“ Max und Gerti Drassl las/spielte die diversen Damen Anatols. Bravourös begleitet und angefeuert wurden Publikum und Darsteller von Maciej Golebiowski auf der Klarinette und Alexander Shevchenko am Bajan.

Joseph Lorenz, mit Schnitzlers Werken sehr vertraut, besonders aber mit der Rolle des Anatol, war – wie zu erwarten – der Anatol schlechthin: Melancholiker, Verführer und immer auch zugleich derjenige, der als Jagender doch der Verlierer ist. Mit der feinen Mischung aus Melancholie, Selbstzweifel und vor allem Ironie schuf Lorenz einen Anatol, wie man ihn in den letzten Jahren besser nicht erlebte. Jede feinste Regung war ihm abzulesen: Eitelkeit, Stolz auf seine Eroberungen, verletzter Stolz. Für humorige Spiegelkritik sorgte Keberle als Max. Er war nicht Stichwortbringer, sondern gleichberechtigter Motor des Geschehens. Beide spielten einander die Pointen in einem gekonnten Ping-Pongspiel zu.

Zwischen ihnen Gerti Drassl zunächst als etwas dümmlich-verliebte Cora in der Episode „Frage an das Schicksal“. Da hatte sie ja nicht allzu viel zu spielen. Schlafen, schlafen, aufwachen und von nichts was wissen. Die freche, schlagfertige Anni im „Abschiedssouper“ war ihr schon eher auf den Leib geschrieben. Großartig der Schluss: Beide wollen einander in der Fertigkeit des Betrügens übertreffen, Anatol muss erkennen, dass ihm Anni überlegen ist. Weniger überzeugte Gerti Drassl in der Episode „Weihnachtseinkäufe“ – sie tat sich schwer, die Mondäne aus Hietzing glaubhaft rüberzubringen.

In „Anatols Hochzeitsmorgen“ liefen alle drei zu Hochform auf: Anatol in seiner Verzweiflung und Angst vor der nahen Hochzeit und dem von Ilona drohenden Boykott, Ilona zuerst als schnurrend-verliebtes Kätzchen, fährt die Krallen aus und Max ist der verzweifelte Schlichter.

Das Trio spielte an zwei Nachmittagen hintereinander. Beide habe ich besucht. Vielleicht war die zweite Vorstellung noch um einen Deut intensiver. Gerti Drassl wirkte sicherer, und Joseph Lorenz konnte noch ein paar Nuancen zulegen. Aber das ist eine sehr subjektive Meinung.

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Kunsthistorisches Museum: Ganymed in Love

Inszenierung: Jacqueline Kornmüller, Produktion: Peter Wolf

Diesmal also ist die Liebe das Thema. Als Gegenentwurf zur mehr und mehr liebeleeren Welt? Oder als Nachdenkimpuls: Wen liebe eigentlich ich? Wer liebt mich? Was ist banale Liebe? Unterschiedliche Begriffe von Liebe werden szenisch, musikalisch im nicht immer klar verständlichen Zusammenhang mit dem gewählten Bild dargestellt. Was aber nicht unbedingt ein Fehler ist. Je mehr Fragen, desto intensiver das nachfolgende Nachdenken darüber. Hier nun meine persönlichen Favoriten:


Johanna Prosl „Frigide“
Foto: Helmut Wimmer

Der Text von Lize Spit zu dem Bild von Joseph Heintz „Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers“ und die intensive Spielweise von Johanna Prosl gehen unter die Haut. Allerdings kann man den Zusammenhang zwischen Bild und Performance nur erahnen. Ein Mädchen beobachtet ihren Vater, als er mit heruntergelassener Hose Pornobilder im Internet anschaut. Voller Angst schleicht sie in ihr Zimmer, der Vater geht ihr nach. Aber nicht die erwartete Missbrauchszene folgt, sondern der ein vorsichtiger Versuch des Vaters, ihr sein Verhalten zu erklären. Gut gespielt.

Ulli Maier (Foto: Funke-Stertz.de)

Ulli Maier zählt zu den intensivsten Schauspielerinnen im Josefstadtensemble. Wer sie als Maria in „Josef und Maria“ von Peter Turrini erleben durfte, weiß, wovon ich rede. Wie sie den Text von Milena Michiko Flasar zum Bild „Alte Frau am Fenster“ von Gerard Drou spielt, das hat Intensität und Tiefe. Eine alte Frau schaut auf ihr Leben zurück, nimmt Abschied von ihr lieb gewordenen Dingen. Nicht wehmütig, sondern fast zufrieden.

Mystisch und einfach schön: Gesang und Tanz von Mira Lu Kovacs vor dem Bild „Das Haupt der Medusa“ von Peter Paul Rubens.

Die Geschichte „Die Schöne und das Biest“ mag wohl Gedankenpate gewesen sein für die Interpretation des Bildes „Heilige Margarete“ von Raffael. Die Heilige blickt unerschrocken auf das fauchende Ungeheuer zu ihren Füßen. Genial, wie Martin Eberle mit seiner Trompete die Leiden, das Warten auf die Schöne (wunderbar getanzt von Manaho Shimokawa) bringt!

Zwölf Szenen und Interpretationen über die Liebe! In der Verschiedenheit liegt der Reiz dieses Abends.Weitere Vorstellungen: 29.5./ 5.6./ 15.6

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Theater Akzent

Valerie Pachner, ein junger aufsteigender Star, bekannt als Wally Neuzil in dem Film „Egon Schiele“ in der Regie von Dieter Berner und als Lola in dem Film „Boden unter den Füßen“ in der Regie von Marie Kreutzer, bezauberte das Publikum des Theaters Akzent mit ihrer schlichten und unprätentiösen Interpretation diverser Texte aus der Zeit der Jahrhundertwende. Alle ausgewählten Texte hatten eine deutliche Stoßrichtung: gegen die damalige Dominanz und Präpotenz der Männerwelt.

Alma, wie sie als Mädel schon war: frech, selbstsicher und kokett. In ihr Tagebuch schreibt sie: Klimt, du bist meiner nicht würdig. Und doch wartet sie auf den Kuss von ihm, freut sich, dass er ihr in Venedig nachstellt, ärgert sich über ihren Stiefvater Carl Moll, der Klimt ganz unverblümt das Haus und die Alma verbietet. Sie beklagt sich über das Verbot und seufzt: „Ach wär ich doch ein Mann!“ Schnitzler bekommt sein Fett weg. Die kluge Auswahl Valerie Pachners entlarvt ihn als ziemlich miesen Frauenheld, der am liebsten einen Harem von süßen Mädeln um sich scharen möchte. Die schmachtende Adele Sandrock geht ihm auf die Nerven. Ihre Liebe hält er für pathetische Schauspielerei. Mahler wird mit „dem“ Brief an seine Verlobte Alma desavouiert: Er verlangt nichts anderes, als dass sie ihre Komponiererei aufgibt! Denn, so fragt er sie ohne Scham: Wie soll sie sich ihm und seinem Wohlergehen widmen, wenn sie komponiert. Das soll sie schön bleiben lassen. Und sie ließ es bleiben. Zu mindest bis zu Mahlers Tod. Auch Schiele wird gehörig zerrupft: Weil er Geld braucht, plant er die Heirat mit der reichen Edith Harms. Seinem Model und Lebensgefährtin Wally Neuzil erklärt er unumwunden, dass sie ausgedient hat. Wenn sie wolle, dann würden sie 1x im Jahr alle drei gemeinsam Urlaub machen. Das hätte ihm so gefallen. Aber nicht Wally. Sie steht auf und geht. Einfach so.

Man spürt, wie engagiert Valerie Pachner hinter all diesen verletzten Frauenfiguren steht und man genießt es, wie dezent, aber wirksam sie den Männern die Maske vom Gesicht nimmt, nein reißt.

Aufgelockert wurde der Abend durch das Streichquartett Sonare, das unter anderem Franz Schubert, Der Tod und das Mädchen und das Adagio aus Mahlers 5. Symphonie sehr stimmig und ruhig darbrachte. http://www.akzent.at

Mehr über Valerie Pachner:

http://www.schlag-agentur.de

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Mit Elisabeth-Joe Harriet und Stephan Paryla-Raky. 

Gesang: Diana Finta

Ort: Eden Bar

Zeit: Valentinstag, Abend.In der überfüllten Edenbar herrscht Hochstimmung! Harriet und Paryla-Raky brennen ein buntes Feuerwerk an ironisch-witzig-bissigen und hin und wieder auch romantischen Texten ab! Geschickt spielen sie einander die Wortbälle zu, wechseln rasch von einem Text zum anderen. Mit Erich Frieds bekanntem Liebesgedicht „Sagt die Liebe“ werden die Spielarten der Liebe und die Rollenverteilung von Mann und Frau abgesteckt. Eine kurze geschichtliche Zusammenfassung über den heiligen Valentin wird launisch aufbereitet, bevor es ins Eingemachte geht. Köstlich der fiktive Briefwechsel zwischen Maria Theresia und Friedrich – zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Große. Er gesteht ihr seine Impotenz und stellt ihr garantierte Kinderlosigkeit in Aussicht, falls sie ihn als Ehemann akzeptiert. Ihre Antwort: „Na danke, samma lieba glei bös!“ Berührend der Brief des Schriftstellers Erich Maria Remarque an Marlene Dietrich, poetisch und zerbrechlich die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, voller bissigem Humor der Streit zwischen dem grantigen Ehepaar „Das Ei ist hart“ von Loriot und dazwischen immer wieder Auszüge aus dem „Tagebuch von Adam und Eva“ von Mark Twain. Wenn Adam am Anfang von diesem „ES“, wie er dieses neue Geschöpf in seinem Garten nennt, gar nicht begeistert war, so muss er am Ende zähneknirschend gestehen: „Ich habe mich geirrt. Es ist besser, mit ihr außerhalb des Gartens zu leben als ohne sie im Garten.“ Mit dieser galanten Verbeugung des Mannes vor dem weiblichen Geschlecht endet dieser feine, klug komponierte Regenbogen über die Liebe.

Zum Abschied gab es für jeden Gast einen dunkelroten Liebesapfel und eine englische Valentinskarte aus 1876.

Infos über die ganze Programmpalette von Elisabeth-Joe Harriet: http://www.elisabeth-joe-harriet.com

Sisis – Intim! Der Titel ist verlockend, besonders für Skeptiker! Die könnten sich fragen, was es über Sisi, sprich Kaiserin Elisabeth, noch viel Neues zu berichten gibt. Neues – vielleicht nicht, aber Details gut aufbereitet und interessant vorgetragen – das kann die Schauspielerin Elisabeth- Joe Harriet garantiert gut. Man trifft sich im Foyer der Silberkammer in der Wiener Hofburg. „Ein unergründlich tiefer See ist meine Seele, den ich oft selbst nicht versteh“ – mit diesem Zitat aus den poetischen Tagebüchern der Kaiserin beginnt Elisabeth- Joe Harriet die „Führung“ durch Elisabeths Leben, ihre Höhen und vor allem ihre Tiefen mit Textstellen aus dem Tagebuch auslotend. Entgegen der allgemeinen Meinung, dass Elisabeths Gedichte rührselig waren, hören wir erstaunt, wie begabt und mit welchem sicheren Gespür für gesellschaftliche und politische Umbrüche sie ihre Umwelt – den Kaiser, die Verwandten und die für sie langweilige Welt der Diplomaten- beschreibt. Man schlendert durch die Silberkammer und bewundert den Reichtum in Gold, Silber und Porzellan, etwa den Mailänder Tafelaufsatz aus Gold mit seinen zahlreichen zierlichen Figuren. Elisabeth- Joe Harriet: „Die Habsburger verdanken einen Großteil ihres Reichtums eigentlich Sisi. Denn sie war so klug, all ihr Vermögen in der Schweiz anzulegen.“ Zur Schweiz hatte sie besonderes Vertrauen, so Joe – Harriet weiter, denn sie verfügte, dass 60 Jahre nach ihrem Tod die poetischen Tagebücher in der Schweiz geöffnet werden sollen.

Über die Kindheit in Possenhofen, den Schürzenjägerischen Vater, dessen Reitleidenschaft Sisi erbte, über das ungezwungene Leben in diesem Haus, über ihre Angst vor Massen, ihre Abneigung gegen Sex, ihre fluchtartigen Reisen erzählt Joe-Harreit äußerst spannend. „Ich hab´ ihn (-Kaiser Franz Josef) ja so lieb, wenn er nur ein Schneider wär´“, soll Sisi öfter gesagt haben. Joe-Harriet korrigiert auch das Bild von der bösen Schwiegermutter Sophie, wie sie überhaupt so manches „historische Detail“ aus den Sisifilmen zurecht rückt.

In der Konditorei Demel

Der 2. Teil des Sisinachmittages findet im Extrastüberl der Konditorei Demel statt, wo ja Sisi ihre kandierten Veilchen immer bestellte. Liebenswürdige Demelerinnen servieren Tee, Kaffee oder heiße Schokolade und eine reiche Tortenauswahl. Dazu liest Elisabeth-Joe Harriet aus Sisis Tagebuch vor – dezent setzt sie Akzente, Fragezeichen, ironische Töne ein, um aus dem Gedicht ein ganz persönliches Bild der Kaiserin zu zeichnen. Mit Erstaunen hört man: Dass Sisi eigentlich blonde Haare hatte, aber sie mit Henna dunkel färbte. Dass sie bis zum Boden reichten und alle drei Wochen nur gewaschen wurden. Die Prozedur dauerte einen ganzen Tag. Dass sie den Sport- und Diätwahn hatte. Dass sie ganz genau über die politische Lage der Monarchie Bescheid wusste. Und vieles mehr. Am Ende haben alle ihren Kaffee und die Torte genossen und verlassen mit vielen Komplimenten den Saal, einige werfen noch einen Blick in die alte Backstube und in das unterirdische Museum der Konditorei. Elisabeth-Joe Harriet zum Schluss ihres Sisi-Nachmittages:“Ich habe mich durch alle Literatur durchgeackert, um diese Person zu verstehen.“ Und wir, ihre Gäste, sind überzeugt, dass wir jetzt ein anderes, reflektierteres Bild von der Kaiserin haben. Wir sind dankbar, dass wir tatsächlich einen Blick in ihre Seele werfen durften. Der Titel der Ankündigung „Sisis Intim“ war nicht nur ein Werbeslogan!

P.S.: Das Ticket für die Silberkammer gilt ein Jahr lang auch für das „Sisi Museum“ und die KaiserappartementsAlle Programme vonElisabeht- Joe-Harriet: http://www.elisabeth-joe-harriet.com

Tickets nur im Vorverkauf unter: 0676/899 68 50 oder sylviareisinger@aon.at

Mit Brillanz, Fachwissen und dem nötigen Schuss Ironie und Humor fabulierte Thomas Maurer über Zukunft – die Zukunft, wie sie für ihn als Kind, als Jugendlicher aussah und wie sie für ihn im Moment aussieht und in den nächsten Jahrzehnten, Jahrhunderten aussehen wird oder könnte. Thomas Maurer ist kein Kabarettist, der das Publikum zu Lachorgien und Schenkelklopfen anfeuert. Fein ziselierte, ausgefeilte Sätze animieren zum Querdenken. Man schmunzelt, lacht, auch des Öfteren sehr herzlich – und wird nach – denklich.

Zukunft heißt Digitalisierung, Robotisierung und künstliche Intelligenz, die einst den Menschen unnötig, ja ausradieren könnte. Vom simplen Handy, mit dem man „nur“ telefonieren konnte, über das Smartphone, das selbstfahrende Auto, den Roboter, der die Altenpflege übernimmt, bis hin zur kybernetischen Intelligenz breitet Maurer eine Zukunft aus, die wir uns so nicht wünschen.

Geschickt baut er sich selbst als digitale Figur ein: Er erscheint auf einem Riesenbildschirm. Gleich zu Beginn bekommen die Politiker ihr Fett ab und man kapiert: Hallo, für diese Zukunft sind sie ziemlich verantwortlich. Da heißt es: Hinschauen und auf Veränderungen reagieren. Dann verlässt der virtuelle Maurer den Schirm und tritt in die Realität ein.

Digitalisierung und Robotisierung sind trockene, schwierige Themen – wer versteht wirklich, was alles dahinter steht und uns vielleicht bedroht. Thomas Maurer gelingt es, die Themen so aufzulockern, dass man mitdenken kann. Keine ganz leichte Kost, denn der Abend verlangt Hirnschmalz – auch vom Publikum!

Festspielhaus St. Pölten

Ein herrlicher Spaß auf hohem Niveau! Zunächst beginnt alles sehr harmlos: Auf der Bühne – eine Familienidylle: Kleinkinder spielen, Frauen und Männer stricken, häkeln und sticken. Eine ganze Weile. Langsam verändert sich das Bühnenbild, ein Glaskirchenfenster wird hochgezogen, die Möbel werden zu einer Art Empore aufgebaut, auf der sich die Musiker etablieren. Männer – manche in weißen Hemden und „Huber-Unterhosen“, wohl um die Familienatmosphäre zu unterstreichen – und Frauen spazieren umher, reden und singen unverständliche Texte, zu denen auch getanzt wird. Man meint in einer Dada-Aufführung der 20er-Jahre zu sitzen, wo Sophie Taeuber-Arp surrealistische Lauttexte tänzerisch interpretiert. Figurentanz auf Rollschuhen. Doch bald geht es an die Sache: Die Truppe formiert sich, man „spielt“ eine Messe der ungewöhnlichen Art – daher auch der Titel. Die Musik schwankt zwischen Volksmusik und Kirchenmusik. Kirchendisco auf Dada! Ungewöhnliche Instrumente, wie das Hang oder die Säge, entführen in ferne Welten.

Zwischen Traum und harter Zirkusrealität entwickelt sich spielerische Akrobatik: Menschenpyramiden, Trapezkunst ohne Netz, fliegende Körper ohne Schwerkraft.  Dazu immer wieder Anspielungen an das Kirchenritual – nie provokant oder peinlich, sondern intelligent- ironisch: Eine Kirchenbank wird zum Kreuz, das einer über die Bühne schleppt, eine Taufe wird zelebriert, Weichrauchgefäße surren durch die Luft. Das einmalige Feuerwerk an Phantasie und Können begeisterte das Publikum. Am Ende präsentierte sich die Truppe mitsamt Kleinkindern und Baby, um zu demonstrieren: Wir sind eine Familie! Den Kern des aus Kanada stammenden Ensembles bilden Antoine Carabinier, Geneviève Gauthier, Julie Carabinier und Alain Carabinier

 Festspielhaus St. Pölten: Am 22., 23., 24. März 2019 wir der Cirque Eloize gastieren. Spaß, Akrobatik und Poesie!.

 http://www.festspielhaus,at

Sona Mac Donald und Joseph Lorenz lasen aus dem berühmten Briefwechsel zwischen Peter Tschaikowski und Nadesha von Meck. Am Klavier: Boris Bloch. Silvia Adler, Gesangspädagogin in Darmstadt, wählte aus den 1200 Briefen, die sich die beiden zwischen 1876 und 1890 schrieben, besonders diejenigen aus, die das langsame Vertrautwerden, den Höhepunkt ihrer Beziehung und das Abflauen bis zum bitteren, unerklärlichen Ende zeigen. In einem Flyer kann sich das Publikum über diesen seltsamen Briefwechsel und die schwierige Beziehung zwischen den beiden Persönlichkeiten vorinformieren (sehr nützlich!).

Als Peter Simonischek und Brigitte Karner 2016 diesen Briefwechsel lasen, legten sie das Hauptgewicht auf die Fürsorge und Sorge, die die Gönnerin für den großen Komponisten hegte. Von Liebe war nur vorsichtig, eher als liebevolle Freundschaft die Rede.  Und es blieb immer eine Lesung.

Zwischen Sona Mac Donald und Joseph Lorenz hingegen entstand vom ersten Moment an eine dramatische Spannung. Der reichen Witwe Nadesha von Meck, Mutter von elf Kindern und große Musikliebhaberin, ging es in erster Linie um Liebe. Sie schlich sich mit ihrer unendlichen Bewunderung und großzügigen finanziellen Unterstützung in die Seele des Komponisten ein. Vorsichtig, sehr vorsichtig steigerte Sona Mac Donald die Temperatur – zuerst sehr gemäßigt, voller fast unterwürfiger Bewunderung, dann immer fordernder – eine Fotografie und das Duwort sollen mehr Nähe erzeugen – bis zum  Liebesgeständnis.    Da wird nicht zart angedeutet, sondern voll aus- und angespielt. 

Joseph Lorenz hat den weitaus schwierigeren Part. Ab dem Augenblick, wo er die Bühne betritt, ist er der verbitterte, verarmte, misstrauische Dichter. Der Mund verkniffen, die Augen halb geschlossen geht er nur sehr zögernd auf die Anfragen dieser reichen Witwe ein. Was will sie von ihm? Liebe kann er ihr nicht geben, wie sie es mit immer größerer Deutlichkeit verlangt. Wohl aber Freundschaft, aus Distanz bitte! (Sie begegneten einander nur zweimal sehr flüchtig auf der Straße). Als er Nadesha, seiner lieben Freundin, wie er sie inzwischen nennt, seine erzwungene Ehe gesteht, da windet er sich in Verzweiflung, nahe am Wahnsinn. Nadeshda von Meck leidet, aber reagiert mit Kalkül: Sie überweist ihm eine große Summe, damit er sich weit weg von der ungeliebten Ehefrau erholen kann. Ein Kammerschauspiel der besonderen Art liefert daraufhin Lorenz ab: Er windet sich zwischen Demütigung und Demut und Dankbarkeit, die er doch immerhin zeigen muss. Aber kein Wort von Liebe. Die kann er nicht empfinden, nicht so, wie Nadeshda es sich ersehnt. Nach zwei glücklichen Sommern, in denen sie nahe beieinander wohnen, aber nicht direkt Kontakt haben, ist diese Liebe ihrerseits zu Ende und die finanzielle Unterstützung ebenfalls. Warum, weiß auch Tschaikowski nicht. Er ahnt es zwar.

Beiden Schauspielern gelingt es, aus einer Lesung ein Drama zu gestalten, das die Seelenzustände beider Protagonisten bis ins Detail nachzeichnet. Ein großartiger Abend! 

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Joseph Lorenz liest: F. Werfel, Eine blassblaue Frauenschrift. Theater Akzent

Wenn Joseph Lorenz Schnitzler, Roth oder Werfel liest, dann füllt sich der Saal bis in die letzten Reihen.   Nach mehreren Abenden im „Dachstüberl“ des Theaters, wo es geschätzte 50 bis 80 Sitzplätze gibt und viele Fans keine Karten mehr bekamen, – nun also endlich die Übersiedlung in den Hauptsaal!

Mit seiner starken Bühnenpräsenz erreichte Joseph Lorenz auch die Besucher in den letzten Reihen. Es muss wieder einmal gesagt werden: Selten zieht ein Schauspieler bei Lesungen das Publikum so tief in die Erzählung hinein. Man meint, in einem Theaterstück zu sitzen, so plastisch erscheinen die einzelnen Figuren!

Die Erzählung „Eine blassblaue Frauenschrift“ schrieb Franz Werfel 1940 in Sanary sur Mer, wo er mit seiner Frau auf eine Ausreise in die Staaten wartete. Es ist eine Rückschau auf das Jahr 1936, als Wien schon ganz schön braun eingefärbt war und man  Juden verächtlich als „Israeliten“ bezeichnete. Werfels Erzählung ist nicht hasserfüllt und ergeht sich auch nicht in einer simplen Schwarzweißmalerei, sondern ist eher eine fein gesponnene, subtile Entlarvung eines „Mitläufercharakters“: Leonidas  stammt aus ärmlichen Verhältnissen und verdankt seinen Aufstieg in die Wiener Gesellschaft dem Selbstmord seines jüdischen Nachbarn, der ihm einen Frack hinterließ. Mit diesem Kleidungsstück erschwindelt er sich den Eintritt in die „gehobene Wiener Gesellschaft“. Nun ist er mit 50 Jahren am Höhepunkt seiner Karriere: Auf den angesehenen Ministerialbeamten im Unterrichtsministerium hören Minister. Er kann mit seinem Leben zufrieden sein. Was will ein Mann mehr: eine reiche, schöne, um Jahre jüngere Frau, dezente Seitensprünge, die nie seine Ehe gefährdeten. Alle längst vergessen. Bis auf Vera, die schöne Jüdin. Ihr Brief rüttelt ihn auf, gefährdet sein Gleichgewicht. Doch am Ende ist alles gut: Er braucht sich um nichts und niemanden zu sorgen: Vera verschwindet nach Montevideo. …Alles wie vorher, kein Grund für Geständnisse, für Gewissensbisse.

Joseph Lorenz taucht in den Text bis tief  auf seinen Grund, lässt Worte bedeutungsschwer aufglänzen. Etwa, wenn er über den Frack spricht, den der verzweifelte jüdische Student Leonidas vermacht. Da hallt das Wort in den Köpfen der Zuschauer wider und bleibt dort drinnen als Symbol der Heuchelei. Oder wenn er die „Israeliten“ mit all der Verachtung, die Leonidas für die Juden aufbringt,belegt. Mehr braucht es nicht, und das Bild des braunen Wien entsteht vor dem geistigen Auge der Zuschauer. Lorenz macht aus Erzählungen Dramen, eingeteilt in Miniakte. Er ziseliert die Figuren subtil heraus, wird zum Heuchler Leonidas, in der nächsten Sekunde wechselt er die Fronten und ist die  Ehefrau Amelie, die in hysterisches Schluchzen ausbricht. Textstellen, über die man vielleicht beim Lesen hinwegsieht, arbeitet er zu Wortkostbarkeiten aus. Mit dieser intensiven Dichte führt er die Zuhörer durch die Erzählung, ohne sie auch nur eine Sekunde in ein gemächliches Zuhören verfallen zu lassen. Bis zum Rande des Möglichen erschöpft, entlässt er sich selbst nur langsam aus der Erzählung.

Ein begeistertes Publikum spendete viel Applaus und Bravos!

Theater Akzent – Programm und Karten: www.akzent.at

 

Joseph Lorenz las die Novelle „Lenz“ von Georg Büchner.

Anlässlich des 180. Todestages von Georg Büchner las Joseph Lorenz die Novelle „Lenz“ im Alumni Club der Medizinischen Universität Wien. Wer sonst als Lorenz könnte es wagen, diese poetische Analyse eines beginnenden Wahns zu lesen? – Nein nicht lesen, leben, erleben lassen. Sich in die Person des vom Wahn getriebenen jungen Dichters Lenz hineinwerfen, mit ihr verschmelzen. Seinen Kampf mit der Sprache, wenn ihm die Worte fehlen, er den Anfang eines Wortes nicht findet, sucht, aufgibt –  schreit,  mit Grimmassen der Verzweiflung seine Umgebung in Schrecken versetzt – all das nicht nur lesen, sondern leben. Wie kein anderer kann Joseph Lorenz das Publikum vergessen lassen, dass es sich um eine Lesung handelt. Es ist Schauspiel, das in seiner Unmittelbarkeit zum EReignis wird. Präzise zuerst die Beschreibung der Natur, die dem Dichter Lenz mehr Bedrohung als Trost ist. Dann die ersten Worte Lenz` an den Pfarrer – ein Suchen, ein Stottern, lange Pausen, in denen es im Hirn des Dichters arbeitet, er nach Klarheit sucht. Klarheit, die nimmer mehr sein wird. Verzweiflung und viele Versuche, sich zu Tode zu bringen. Sie gelingen nicht. Schließlich der Rücktransport in der Kutsche – zurück in ein Leben, das keines ist. „und so lebte er dahin..“ Mit diesen Worten – ganz ruhig und langsam gesprochen – entlässt Joseph Lorenz ein Publikum, dem er fast in Trance diese traurige Figur des Dichters vor Augen führte.

Joseph Lorenz, Spiel im Morgengrauen. Theater Akzent

Wenn Joseph Lorenz liest, dann ist die Studiobühne im Theater Akzent bis zum letzten Platz gefüllt. Diesmal also: „Spiel im Morgengrauen“ von Arthur Schnitzler. Ich kenne zur Zeit keinen Sprecher/Schauspieler, der Schnitzler besser lesen könnte als Joseph Lorenz. Mit hoher Sensibilität für Tempo, Zurücknahme, sich aufbauender Dramatik erzeugt Lorenz atemlose Spannung. Alles beginnt sehr unspektakulär: Leutnant Wilhelm Kasba erwacht an einem Sonntagmorgen – wie immer bringt ihm seine Bursche den Kaffee und meldet Besuch an (köstlich, wie Lorenz vom Schnitzlerdeutsch in den böhmische Dialekt umsteigt und gleich steht vor uns die liebenswerte, treuherzige Figur des Burschen). Der ehemalige Dienstkamerad Otto von Bogner bittet ihn um 900 Gulden, die er aus der Firmenkasse „entliehen“ hat und bis zum nächsten Morgen zurücklegen muss. Klar, dass Wilhelm diese Summe nicht hat, er verspricht aber, sein Glück im Baden beim Kartenspiel zu versuchen. Und ab da wird das Erzähltempo rasant, Lorenz lässt die >Zuschauer  bis unter die Haut spüren, was Spielsucht bedeutet: Ausgeliefertsein einer Lust, die ins Verderben führt, führen muss. Als Verführer und Gegenspieler tritt Konsul Schnabel auf, der den Leutnant genussvoll ins Verderben rennen – spielen – lässt. Atemlos rast das Spielgeschehen dahin bis zu dem Augenblick, als Wilhelm um 3h früh mit einer Spielschuld von 11.000 Gulden das Café verlässt. Diabolisch freundlich verlangt der Konsul die Rückerstattung bis zum nächsten Tag. Absturz in die Hoffnungslosigkeit – auch der vermeintlich begüterte Onkel kann nicht helfen. Der Selbstmord scheint der einzige Ausweg. Doch einen Versuch hat Wilhelm noch: Er erniedrigt sich und bittet Leopoldine, die junge Frau des Onkels, um das Geld. Sie könnte es ihm geben – aber zuvor will sie Rache -Rache für eine lang zurückliegendeLiebesnacht, in der Wilhelm sie wie eine Dirne bezahlte und sich davonmachte. Sie jedoch hat den jungen Leutnant damals geliebt, wollte Zärtlichkeit und Vertrauen . Diese Szene las Lorenz mit  großem Feingefühl für weibliche Verletzlichkeit – man konnte die Rache, die Leopoldine nahm, verstehen und mitempfinden: Nach einer Liebesnacht „bezahlt“ sie ihn mit 1000 Gulden und geht. Der Abgrund tut sich auf. Stille im Raum. Selbstmord. Ironie und doppelte Rache der Leopoldine: Sie übergab ihrem Ehemann die 11.000 Gulden für Wilhelm. Als dieser sie seinem Neffen bringt, ist alles zu spät. Berührend der Schluss: Der Onkel ahnt, dass seine Frau den Leutnant besuchte. Doch der Bursche zerstreut den Verdacht und bestätigt schlau und treuherzig den Besuch eines Kameraden. Am Ende hat Bogner die 900 Gulden (der „Lohn“ für die Liebesnacht), Leopoldine ihre Rache und Wilhelm hat sein Leben sinnlos „verspielt“. In zwei Stunden ließ Joseph Lorenz das ganz Spektrum der Sinnlosigkeit und Orientierungslosigkeit eines Offiziers, dem die Ehre mehr galt als sein Leben, vor uns abrollen.

Joseph Lorenz liest: „Unbekannter Arthur S.“ im Theater Akzent/Studio

Es war eine “ Joseph Lorenz-Woche“.

Zum 85. Todestag Arthur Schnitzlers las Joseph Lorenz am 17.10. in der MedUni Wien die „Traumnovelle“ (s. dazu den Beitrag) und am 20. 10. in der Studiobühne im Theater Akzent „unbekannte Texte“.

Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich kann es nicht oft genug schreiben, sagen: Seine Stimme, seine Gestaltungskraft schafft ein Universum, ist ein Universum. Deshalb passen Schnitzler und er so genial zusammen. Denn worüber schrieb Schnitzler? Über Liebe, Erotik, Sex, verbotene Träume, Lüste, Hass .. das alles macht ja unser gesamtes Gefühlsuniversum aus. Und das alles lässt Lorenz an so einem Abend wie diesen in uns wach werden – mit den Worten Schnitzlers – natürlich.

Wie der Titel versprach, las er unbekannte Texte. Zu Beginn „Der Andere. Aus dem Tagebuch eines Hinterbliebenen“. Ein Mann trauert um seine geliebte Ehefrau. Besucht täglich ihr Grab. Bis er den „Anderen“ eines Tages an ihrem Grab entdeckt. Der Andere ist „jung und schön“ – unbändiger  Hass auf ihn lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Eifersucht wühlt in ihm.  ( Das Thema kehrt wieder m „Weiten Land“ -Hofreiter tötet im Duell den Fähnrich, nicht weil er vielleicht mit seiner Frau eine Liebesbezehung eingegangen sein könnte, sondern weil er jung ist.)  War seine Frau eine Heilige, war sie eine Verworfene? Er starrt auf ihr Bildnis auf seinem Schreibtisch. Ohne Antwort.

Auch in der Erzählung „Die Braut“ geht es um das Bild, das sich die Gesellschaft von der Frau macht, wie sie zu sein hat: rein, bräutlich. Anders darf sie nicht sein, oder sie wird an den Rand der Gesellschaft gestellt. Der Icherzähler begegnet auf einem Maskenball einer Frau, die sich ohne Scham als Prostituierte deklariert. Er will über diese Frau mehr erfahren – und sie erzählt ihm ihre Geschichte. Wie sie nicht die Braut ihres Verlobten sein wollte, sich lossagte, um ihren Trieben, ihrer Lust zu leben. „Es war wieder Trieb geworden, wütender, durstiger Trieb, der den Mann wollte, einfach den Mann-“ Was wissen wir Männer von den Frauen, auch  im Augenblick der höchsten Lust verschließt sich uns ihr Wesen, meint der Icherzähler.

Zur Auflockerung las Joseph Lorenz die skurrile Erzählung „Ich“. Von einem, der an der Wirklichkeit zu zweifeln beginnt und alles, Menschen und Objekte, beschriften muss. Als er auch seine Familie mit Namenszetteln versieht, holt diese den Arzt. Um sich seiner selbst sicher zu sein, hält er dem Arzt einen großen Zettel mit der Aufschrift :ICH“ entgegen.

Nach der Pause schleuderte Joseph Lorenz uns in das Seelenleben eines Mörders hinein. Alfred,ein junger Mann aus der „guten Gesellschaft“, geht eine Liaison mit einem Mädel aus der nicht-feinen Gesellschaft ein. (Beliebtes Thema bei Schnitzler). Alfred meint Elise zu lieben, schätzt ihre Gesellschaft, so lange, bis er Adele, die Tochter eines reichen Kaufmannes, kennen lernt. Er hält um ihre Hand an. Der Vater stellt eine einährige Probezeit, in der sich beide nicht sehen noch schreiben dürfen, als Bedingung. Nun will er Elise los werden. Ihr offen eingestehen, dass er sich mit einer anderen verloben will, wagt er nicht. Auf einer langen Reise erleidet sie Herzattacken. Er tötet sie mit einer Überdosis Morphium und redet sich den Mord als notwendige Tat ein. Zurück in Wien muss er erfahren, dass Adele sich mit einem anderen verlobt hat. Alfred stirbt im Duell. Eine grausame Erzählung. Joseph Lorenz führt uns mit unglaublicher Intensität in die Untiefen dieses Mannes, mit  einer Intensität, die fast nicht zu ertragen ist. Man möchte rufen: Halt, nicht alles preisgeben, ein Quentchen zurück! In diesem eher unsympathischen Ort – das Studio ist klein, eng die Sitze aneinander gekoppelt – ist sein Spiel, seine Sprache zu stark. Sprengt den Rahmen einer Lesung, wird Ereignis, findet statt. Und man ist aufgewühlt.

Stille danach – dann erst Applaus.

 

 

Joseph Lorenz liest die „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler.

Wenn Jospeh Lorenz Schnitzler liest, ersetzt er uns Zuhörern jeden Film oder auch jeden Theaterabend. So klar und von einander abgesetzt führt er uns die einzelnen Figuren vor Augen.

Es beginnt harmlos. Die übliche Eheszene: Fridolin und Albertine kommen von einem Ball zurück. Geplauder. Die ersten Geständnisse: Sie erzählt von dem schönen jungen Dänen, dem sie fast gefolgt wäre, er von dem jungen Mädchen am Strand. Langsam lässt Lorenz die Atmosphäre schwüler werden. Erotik – eingestandene und erträumte, erhoffte, schafft einen feinen Riss zwischen den beiden Eheleuten. Fridolin wird zu einem Krankenbesuch gerufen – und in dieser Nacht folgt er all seinen Lüsten und Vorstellungen. Alle Frauenfiguren, denen er in dieser Nacht begegnet, sind Verkörperungen des männlichen Begehrens oder der Ablehnung. Wie Jospeh Lorenz diese Frauen mit seiner feinen Gestaltungskraft körperlich vor den Zuhörern erstehen lässt, ist immer wieder erstaunlich. Er ist die blasse, schüchterne Marianne, die ihm verschämt ihre Liebe gesteht, dann die blutjunge Prostituierte Mizzi, die für den verstörten Fridolin viel Verständnis aufbringt und vor allem die unbekannte Schöne, die ihn während des Festes, das Schnitzler so zwischen einem Swingerclub und einem erotischen Geheimbund schildert. All diese Frauen lässt Lorenz als lebensvolle Charaktere erstehen, gibt ihnen durch seine Stimme und Gestaltungskraft Aussehen und Auftreten.

Vielleicht, so hörte ich, gibt es eine Wiederholung. Wir hoffen.

Joseph Lorenz las aus dem Roman „Verdi“ von Werfel

Den „Freunden der Wiener Staatsoper“ ein großes Dankeschön, dass sie den Vorschlag von Joseph Lorenz aufgegriffen haben, zweimal Verdi zu präsentieren: Einmal gelesen, einmal gesungen.
In dem wunderschönen, holzgetäfelten Saal im Haus der Ingenieure ging am Mittwoch, 6. April 2016 von 18-20h ein Engel durch den Raum. So sagt man, wenn etwas Außergewöhnliches passiert. Lorenz las und man war in Venedig. Werfel beschreibt eine historisch nicht belegte Begegnung zwischen Verdi und Wagner in dieser Stadt des Verfalls. Die Figur des 70jährigen Verdi, müde, einfallslos, eröffnete sich uns mit all seinen Selbstzweifeln, seiner Wut auf den ERfolg Wagners, seiner Mut- und Einfallslosigkeit beim Komponieren. Seine innersten Gedanken, seine Neid auf Wagner, seine Enttäuschung und zugleich Schadenfreude über seinen Tod – all das las Lorenz mit einer Verve, einer Kraft und einem Mut zum Pathos, das an Oskar Werner erinnerte. Wir, die wir dieses Ereignis miterleben durften, saßen gebannt von dieser Stimme und bekamen die Gänsehaut.
Etwas lautstark wurden wir in die Ralität zurückgeholt, wenn Monika Bohinec, Sorin Coliban, Paolo Rumetz und Jinxu Xiahou dazwischen Verdiarien sangen. Aber – um ehrlich zu sein – der Abend gehörte Lorenz und Werfel. Die Arien unterbrachen den Fluss der ERzählung. Nur ungern ließ man sich immer wieder herausreißen.
Die Fans vonJoseph Lorenz fragen immer wieder: Warum macht sich dieser begnadete Schauspieler so rar? Denn außer in Reichenau, wo er dieses Jahr gleich in zwei Produktionen (in Doderers Dämonen und als Erzähler in Stefan Zweigs Roman „Brennendes Geheimnis“) zu sehen sein wird, tritt er nirgend sonstwo auf.
Sollte jemand mehr Informationen haben, dann lassen Sie es mich bitte wissen!