Volkoper Wien: Puccini, La Rondine (Die Schwalbe)

Regie: Lotte de Beer, Dirigent Alexander Joel, Bühne: Christof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beck

Titelfoto: Magda will sich gerade in den Abgrund stürzen (©Barbara Pallfy)

Das Werk ist janusköpfig. Nicht Oper, nicht Operette. Es spielt um 1860 und dann doch auch in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Es gibt Arien, keinen gesprochenen Text. Puccini nahm aus seinen eigenen Werken Anleihen: Da gibt es die Kurtisane aus „La Traviata“, den dazugehörigen „Protektor“ und den Liebhaber. Romantik contra Realismus – wohin neigt Magda, die Kurtisane? Dann gibt es die Gesellschaft, mit dem Lebensziel : möglichst viel Lebensgenuss herauszuholen, am besten verbunden mit gesichertem Luxus – „Manon Lescaut“ lässt grüßen. Und aus „La Bohème“ den Poeten, der wird zwar zur Buffofigur degradiert. Und natürlich die springlebendige und lebenstüchtige Lisette (à la Musette).

All diese Figuren tat Puccini in einen Becher und würfelte sie neu zusammen. Mit einem Schluss, der weder in eine Operette noch in eine Oper passt – eher in ein Werk aus der heutigen Zeit: Magda, die Kurtisane, verzichtet auf ihre „große Liebe“, um nicht sich und ihren geliebten Ruggero unglücklich zu machen. Während Rolando Villazon in seiner Grazer Inzenierung 2017 das Libretto und die Musik ernst nahm und Text und Sinn nicht veränderte und mit dieser Strategie das Werk adelte, geht Lotte de Beer an „La Rondine“ von der feministischen Seite heran. So entsteht eine Operette in der Operette, die teils von dem „Dichter“ Punier, teils von der Kammerzofe Lisette, teils von Puccini geschrieben wird. Was einen – wenn man so will – Heiterkeitseffekt erzielt, aber doch auch Zweifel, ob es dem Werk an sich gut tut. Dabei ist das Wort „geschrieben“ wortwörtlich zu nehmen, denn der Zuseher liest auf einer von der Bühne hängenden Riesenrolle ähnlich einem Flipchart den Text, der gerade entsteht. Doch der Witz müht sich ein wenig und lenkt auch vom Geschehen und der Musik ab. Sinn und Zweck dieses Schreibverwirrspiels eröffnet sich erst ganz am Schluss. Denn da entreißt Lisette dem schreibenden Prunier, der gerade die verzeweifelte Kurtisane Magda in den Abgrund schicken will (ähnlich der Tosca), Papier und Bleistift und schreibt ein vom Feminismus geprägtes Ende: Magda verlässt ihren Geliebten, weil sie frei wie eine Schwalbe sein will.

Büne und Kostüme sind bunt, aufwendig. In einem eleganten Salon des 19. Jahrhunderts „empfängt“ Magda, ganz elegante Salonière, die Gesellschaft. Man spielt und langweilt sich, bis als Thema des Abends die „Liebe“ ausgerufen wird. Magda, die vom reichen Rambaldo ausgehalten wird, träumt von der großen, einzigen und wahren Liebe. Und erregt Gelächter. Szenenwechsel in eine Tanzbar in Paris, wo Magda Ruggero begegnet und sich die beiden ineinander verlieben. Sie bleiben beisammen, etablieren sich in Nizza, bis das Geld ausgeht. Nun sollen Ruggeros Eltern zu einer Heirat zustimmen, was sie auch tun. Der überglückliche Ruggero macht Magda einen Heiratsantrag, den sie jedoch ablehnt und ein freies Leben vorzieht. Das alles wird mit Charme und viel Bühnenzauber abgehandelt. Wäre die Stimme Magdas (Matilda Sterby) in der Höhe nicht schrill und scharf und Leonardo Capalbo von ERscheinung und Stimme ein überzeugenderer Liebhaber, dann könnte man den heiteren Opernverschnitt besser genießen. Stimmlich gut war Rebecca Nelsen als Lisette, wenn sie auch von der Regie zu einer übertrieben komischen Figur geformt wurde. Thimothy Fallon bemühte sich, den Dichter Prunier als Mittelding zwischen Hofnarr und eitlen Poeten zu spielen. Alexander Joel führte mit kundiger Hand das Orchester, Chor und Sänger durch das Stück.

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Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler. Mit einem Nacwort von Elke Heidenreich,

Die Autobiographie einer Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, geschrieben unter dem Deckmantel eines „Romans“. Sibilla Aleramos (1976-1960) Roman erschien 1906 und erregte in ganz Europa großes Aufsehen. Sie gilt als Wegbereiterin des Feminismus in Italien.

Die Icherzählerin Rina verlebt ihre Kindheit in Mailand, ist der Liebling ihres Vaters, den sie vergöttert. „Die Liebe zu meinem Vater beherrschte mich“, gesteht sie gleich zu Beginn. Er wiederum schätzt ihre schnelle Auffassungsgabe und Intelligenz. Emotional ist er jedoch sehr distanziert. Von ihrer Mutter, die unter Depressionen leidet, erfährt sie auch keine Liebe. Als sie 12 Jahre alt ist, wird der Vater in den Süden in ein kleines Dorf versetzt, wo er die Leitung einer Glasfabrik übernimmt. Die 12jährige Rina sucht sich in der neuen Umgebung vergeblich zurechtzufinden. Noch sehr jung beginnt sie in der Fabrik mitzuarbeiten und erweist sich als sehr tüchtig. Aber ihren Vater als Ansprechpartner verliert sie immer mehr. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie glaubt, in einen attraktiven Angestellten verliebt zu sein. Als er sie vergewaltigt, muss geheiratet werden. Da ist sie gerade 17 und steht nun unter der Knute dieses Mannes. Ihre Befreiungsversuche , wie Krankheit oder Streit, enden immer mit Bestrafung Aus Eifersucht verbietet er ihr sämtliche Kontakte zu Menschen, die ihr lieb sind. Isolation und Depression scheinen ihr Schicksal zu sein, ähnlich dem ihrer Mutter. Immer wieder sagt sie sich, sie wird weggehen. Nach zehn Jahren Ehegefängnis hat sie endlich die Kraft, sich zu trennen. Allerdings verliert sie ihren Sohn, der beim Vater leben muss. An diesem Tiefpunkt ihres Lebens endet der Roman.

Sibille Aleramo hält sich mit Zeitungsartikeln finanziel über Wasser. Sehr bald schon hat sie Zutritt zu literarischen Kreisen, ihre Meinung wird allgemein anerkannt. Um effektiver für die Rechte der Frauen kämpfen zu können, tritt sie in die Kommunistische Partei ein. Sie stirbt 1960 mit 83 Jahren. Heute gelten ihr Roman und ihre Schriften als frühes Zeugnis für die Emanzipation einer Frau, der lange Zeit der Begriff selbst noch unbekannt war. Leider strapazieren die immer wiederkehrenden vergeblichen Fluchtgedanken ein wenig die Geduld des Lesers. Man möchte ihr zurufen: Jetzt verlass endlich den Kerl. Aber in diesen Zeiten des anbrechenden Jahrhunderts war eine Trennung schier unmöglich. Da gehörte eine gehörige Portion Kraft dazu, die sie dann endlich unter viel Schmerzen aufbrachte.

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Staatsoper Wien: John Neumeier – Die Kameliendame. Ballett

Nach dem Roan von Alexandre Dumas d.J. „La dame aux camélias“.

Musik Fréderic Chopin. Choreographie, Inszenierung und Lichtkonzept: John Neumeier. Bühne und Kostüme: Jürgen Rose. Musikalische Leitung: Markus Lehtinen. Klavier: Michael Bialk, Igor Zapravdin

Ein Abschiedsgeschenk von John Neumeier? Hoffentlich nicht. Denn wie man erfährt, verlässt er zwar „seine“ Compagnie in Hamburg, gründet aber ein neues Ballettfestival in Baden-Baden. Alle hoffen, dass er mit neuen Choreographien auch weiterhin die Wiener Ballettfans beglückt.

Alle Fotos: Ashley Taylor. Bild links: Marguerite und Armand + Ensemble, Mitte: Armand. rechta: Marguerite und Armand

Denn beglückend ist es immer, wenn der Grandseigneur des Handlungsballetts eine seiner Arbeiten in Wien zeigt. Beglückend ist es dann noch mehr, wenn die beiden Protagonisten Olga Esina und Brendan Saye heißen!

Olga Esina verkörpert in jeder Phase, mit Blicken und Gesten – nur ihre Hände allein erzählen viel von der Geschichte – Marguerite Gautier. Als begehrte Lebedame der Gesellschaft wirkt sie ebens überzeugend wie als erst zögerliche, kokekette Schöne, die sich von Armand Duval gerne umschmeicheln lässt. Doch dann schmilzt die Koketterie und sie begreift, wie sehr sie diesen zunächst schüchternen, leicht tölpelhaft wirkenden jungen Mann zu lieben beginnt. Höhepunkte des Balletts sind derer beiden Szenen, zunächst in ihrem Privatgemach – ein Rausch des gegenseitigen Erkennens, dann der Tanz der beiden mitten in der heiteren Gesellschaft auf dem Lande. Ihr Lieberausch ist von einer Intensität, die einem den Atem nimmt. Saye ist Armand, wie man sich ihn voestellt: dynamisch und zärtlich zugleich, von beieindruckender Sprungkraft und seine Hebefiguren wirken, als würde mit einer Feder tanzen – was Olga Esina ja offensichtlich ist. Als er erkennt, dass Marguerite ihn verlassen hat, wirkt sein Solo wie eine Explosion der Wut und Enttäuschung.

Großartig sind auch alle anderen Figuren rund um das Liebespaar: Als Monsieur Duval, Armands Vater überzeugt Marcos Menha. Diese Rolle birgt große Schwierigkeiten – wie tanzt man einen steifen Menschen ohne Gefühle. Als er von Marguerite den Verzicht auf Armand fordert, ist distanziert und kalt. Doch selbst er, der kalt Überlegende, wird von Marguerites tiefer Trauer erschüttert. Verweigert er ihr bei der Begrüßung den Handkuss, so beugt er sich am Ende voller Respekt über ihre Hand. Immer wieder bewundert man die Personencharakterisierung von John Neumeier. Mit wie wenigen Gesten es ihm gelingt, den Charakter tänzerisch herauszuarbeiten. „Tanz ist die lebendige Gestalt von Emotionen“ (Zitat aus Programmheft) ist sein Credo!

Tänzerisch herausragend sind auch die Figuren des „Balletts im Ballett“: Wie Mahnungen an ihr zukünftiges Schicksal tauchen Manon Lescaut (bekannt aus den Opern von Puccini und Massenet) und Des Grieux vor dem geistigen Auge Marguerites auf. Das Pas de deux als Spiegelbild des eigenen Lebens tanzen Kiyoka Hashimoto und Masayu Kimoto.

Konsequent bleibt Neumeier in der Zeit, wenn er von Jürgen Rose in die Periode des ausgehenden 19. Jahrhunderts passende Kostüme und ein dezentes Bühnenbild einfordert.

Ideal gebettet und geleitet ist das Ballettensemble in der Musik von Chopin – sensibel von Markus Lehtinen dirigiert und von den Pianisten Bialk und Zapravdin congenial gespielt.

Langer und begeisterter Applaus, standing ovations.

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„Die Kameliendame“ ist noch am 22. April und 4. Mai 2024 mit Esina und Saye, am 27. April mit Bottaro und Dato, am 1. Mai mit Papava und Afshar zu sehen.

Festspielhaus St. Pölten: Fouad Boussouf: „Fêu“

Choreographie: Fouad Boussouf. Musik: Francois Caffenne, Kostüme:Gwladys Duthil

Tanz: Serena Bottett, Filippa Correia Lescuyer, Lea Deschaintres, Rose Edjaga, Lola Lefevre, Fiona Pitz, Charlène Pons, Manon Prapotnich, Valentina Rigo, Justine Tourillon

Genau 55 Minuten laufen zehn Frauen in einem abgesteckten Kreis, den sie nie verlassen werden. Mal nach vorne, mal rückwärts, mal bricht eine aus und tanzt in der Mitte. Alle haben Haare bis zu den Schulterblättern oder länger. Diese müssen sie nämlich immer über die Schulter werfen und dabei den Kopf aus dem Hals heraus drehen.

Nachdem ich begriffen hatte, dass dieser Lauf zum Dauerlauf wird, beginnen meine Gedanken zu kreisen (passend zum Kreis-Lauf auf der Bühne). Was könnte der Choreograph damit bezwecken? Und vor meinem Inneren tauchen Bilder von Kreistänzen auf, wie ich sie selbst erlebt hatte: Vielleicht, so kombinierte ich, war Boussouf ebenso stark beeindruckt wie ich von den Trancetanz auf Bali, dem Kecak. Da sitzen Männer in kurzen schwarz-weißkarierten Röcken im Kreis und bewegen ihre Oberkörper vor und zurück nach einem ähnlichen Herzschlagrhythmus wie der auf der Bühne. Das tun sie so lange, bis einer nach dem anderen in Trance verfällt. Aus der sie dann von einem Priester zurückgeholt werden. Aber auf der Bühne gibt es keinen Hinweis auf ein religiöses Ritual. Dann erinnere ich mich an die Trancetänze der Frauen im Salento (Süditalien). Wenn sie während der Ernte von einer Tarantel gestochen werden, müssen sie nach einer Musik tanzen, die den Herzschlag ähnelt. Sie tanzen so lange, bis sie in Trance fallen, dabei werfen sie ähnlich wie die Frauen auf der Bühne, einem Veitstanz ählich, ihre Haare zurück und drehen den Kopf wild im Kreis, Dieses Ritual kann ein bis zwei Tage dauern. Danach fallen die Frauen in einen tiefen Schlaf und sind vom Spinnenstich geheilt. Musik und Tanz als reinigendes Ritual – ob Boussouff wohl solches im Sinne hatte? Oder ich erinnere mich an Frauen auf der Insel Lesbos, die sich bei Vollmond im Olivenhain treffen und zu Liedern der berühmten Dichterin Sappho im Kreis tanzen. Männer müssen fernbleiben! Oder aber, um den Titel „feu“ zu interpretieren – viellicht dachte er an die Hexenverbrennungen. Das Schlussbild sah von der Ferne aus wie ein Fanal, eine brennende Mahnung.

Oder aber, meinte jemand nach der Aufführung, es war einfach nur ein Lauf der Befreiung – ganz ohne Bedeutung. So wie Kinder im Kreis tanzen. Manchmal tanzt eine in die Mitte und alle klatschen. Der Applaus galt den Tänzerinnen, die eine ausgezeichnete Kondition bewiesen.

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Wiener Staatsoper – Solistenkonzert: Benjamin Bernheim

Am Klavier begleitete ihn Carrie-Ann Matheson

Der 1985 in Paris geborene Tenor Benjamin Bernheim hatte in kurzer Zeit eine steile Karriere auf dem Opern- und Liedsektor hingelegt. Er gilt als Grandseigneur der französischen Romantik, was er an diesem Abend überzeugend bewies. Melancholie, Sehnen, Ruhe, Mond und Waldesrauschen beherrschten das erste Lied von Charles Gounod.: „L’Absent“ „Die köstliche Stunde“ von Reynold Hahn führte mit viel franzsösichem Parfüm neuerlich in den vom Mond beglänzten Wald, und Benjamin Bernheim machte daraus ein feinziseliertes Panorama. Jauchzend und hoch angesetzt der Schluss: „C’est l‘ heure exquise!“ Den Höhepunkt des romantischen Kunstliedes bildete der Liedzyklus „Poème de l’amour et de la mer“ von Ernest Chausson. Im ersten Lied, „Les fleurs des eaux“ ließ Benjamin Bernheim spielerisch das Meer über den feinen Sand rollen, man spürt benahe die Wellen auf der Haut, um gleich darauf voll die Emotionen aufwallen zu lassen. Mit der Stimmgewalt des Operntenors besang er in seiner Geliebten die Verkörperung der Liebe und der Jugend. In der Romantik muss gleich nach dem Triumph die Wehmut kommen – und Bernheim sang ahnungsvoll den Abschied herbei. Am Ende gab er dem vollen Drama Raum, wenn er von „l‘ angoisse de mon coeur“ sang.Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung heißt es im darauffolgenden Lied „La mort de l‘ amour“: „Wie Tote waren wir erbleicht“. Der Sänger vermied es, daraus ein larmoyantes Drama zu gestalten, sondern hielt die Emotionen bewußt flach und hauchte das Lied in einem kunstvollen Falsett aus.

Nach der Pause wehte mit Puccini ein frischer, dramatischer Wind und Bernheim ließ den Opernsänger aufblitzen. Volle Oper im Lied „Mentia l’avviso“ . Das Meer fasziniert Puccini und Bernheim. In „Terra e mare“ rollen die Wellen des Meeres durch den Raum, Sturm durchwühlt die Wellen. Ja, das kann Bernheim mit seiner Stimme perfekt. Mit gezügeltem Temperament in Stimme und Ausdruck „reiste“ er danach durch Henri Duparcs „L‘ invitation au voyage“. Verzückung und Ekstase blieben nobel angedeutet. Ganz anders dann Richard Strauss. In „Heimliche Aufforderung“ zog Bernheim alle Register seines Könnens: Von flott bis verträumt. Er ließ das Trinkgelage ebenso lebendig werden wie den Rosengarten und scheute sich nicht, die volle Romantik auszusingen: „O komm, du wunderbare, ersehnte Nacht“. Mit warmem Timbre seiner Stimme sang er von „des Glückes stummen Schweigen“ („Morgen“) Und als Abschluss das wunderbare Lied „Cäcilie“: „Wenn du wüßtest, was träumen heißt“ -genau das hatte er dem Publikum an diesem Abend geschenkt: Das Träumen. Mit seiner vielfärbigen Stimme und dem Mut zum schlichten Ausdruck schuf Benjamin einen meditativen Abend. Er musste nicht mit voller Opernstimme paradieren. Bewusst verzichtete er auf Glanz und Gloria. Nicht unwesentlich trug zu seinem Erfolg Carrie Ann Matheson bei. Wie sie mit zarten, fast schmetterlingsgleichen Händen über die Tasten schwebte und den Atem des Liedes und des Sängers stützte, war congenial!

In der Zugabe erlaubte Bernheim sich, sein Publikum mit der vollen Kraft seiner Opernstimme zu beeindrucken:: „Dein ist mein ganzes Herz“ war der fulminante Schluss.

Begeisterter Applaus http://www.staatsoper.at

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Theater Scala: „Shockheaded Peter“

Junk-Oper nach den Motiven aus „Der Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann von den Tiger Lilies, Julian Couch und Phelim McDermott. Musik von Martyn Jacques

Die aktuelle Inszenierung: Regie und Raum: Marcus Ganser, musikalische Leitung Bela Fischer jr., Kostüm Anna- Sophie Lienbacher, Maske: Gerda Fischer, Zoe Marvie, Requisitenbau: Nikki und Paul Barner. Bühnenbau: Adrian und Emanuel Burcea, Andrei Indries, Gabriel Galea

Welch ein Feuerwerk an Ideen, Farben und Gags! Im schnellen Wechsel schlüpfen 6 Schauspieler und Schauspielerinnen in 29! Rollen. Georg Kusztrich, Bettina Soriat, Leopold Dallinger, Teresa Renner, Georg Hasenzagl, Katrin Fuchs und Bela Fischer jr. sind abwechselnd Eltern, Kinder oder andere Figuren. Nur einen davon hervorzuheben wäre den anderen gegenüber nicht gerecht! Denn alle leisten mit enormer Spielfreude und Körpereinsatz großes Theater mit großem Spaß- und Staunfaktor. Als Zuschauer wird man förmlich von den Einfällen überschüttet. Erschöpft ist am Ende das Publikum von so viel Phantasie, Aktionen und Skurrilitäten. Putzmunter am Ende die Schauspieler.

„Der Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann dürfte noch allen in Erinnerung sein. Ein wenig abgewandelt, von erzieherischen und moralischen Tendenzen befreit haben die Tiger Lillies. zur „Junk-Oper“ vor dem Verstauben gerettet. Marcus Ganser hat es congenial in Anlehnung an die Tiger Lillies -Fassung aufpoliert.

©BettinaFrenzel_TomLackner

Das Wunschkind wird vom Storch in der Kiste geliefert, aber leider, leider ist es alles anderes als ein Wunschkind, also ab unter das Sofa. Und leider, leider haben auch die nachgelieferten Kinder ihre schweren Mängel: Paulinde zündet sich und das Haus an, dem Daumenlutscher werden die Daumen abgeschnitten und so weiter.Alle bösen Kinder sterben. Erleichtert lassen die Eltern die Leichen unter dem Sofa verschwinden. Der Mangel an Zuwendung gebiert Grausamkeiten, grad so aus Jux“, kommentiert der Confrencier. Trotz der genussvoll dargebrachten Grausamkeiten bleibt einem das Lachen nicht im Hals stecken. Denn: Es ist alles nur eine „Junk-Oper“, Theaterdonner eben! Daher darf man sich von Herzen amüsieren! Und voller Begeisterung klatschen und kreischen. Zur Freude des Ensembles!

Infos und Vorverkauf: 01/544 20 70 http://www.theaterzumfuerchten.at

Das Stück bleibt noch bis zum 25. April 2024 in der „Scala“, Wiedner Hauptstraße 108, 1050 Wien zu auf dem Spielplan.

Luca Ventura: Bleich wie der Mond – Capri-Krimi. Diogenes Verlag

Luca Ventura nützt die Krimischiene geschickt, um auf ein brennendes Problem aufmerksam zu machen. Diesmal geht es um die Mozzarellaherstellung aus Büffelmilch. Werden die Tiere artgerecht gehalten? Wie agieren die Tierschützer?

Nino Castaldo liegt tot in einer Tonne voll Wasser. Er stellte in Anacapri den berühmten handgezogenen Mozzarlla her. Inspektor Enrico Rizzi und die Ermittlerin Antonia Cirillo sollen den Fall aufklären. Keine leichte Aufgabe – Rizzi geht die Untersuchung sachte an, Cirillo prescht vor und bringt sich und die Ermittlung immer wieder in Gefahr. Der Kreis der Verdächtigen wird immer größer, besonders verdächtig sind Mitarbeiter der Firma Castaldos und die Familienmitglieder. Bald sind fast alle Personen verdächtig, auch der Produzent der Büffelmilch. Cirillo schnüffelt auf seiner Farm und bringt sich dabei selbst in Gefahr. Doch hier gibt es keinen Verdachtsgrund – die Tiere werden artgerecht gehalten. Aber die Familie ist unter sich zerstritten. Auf der Suche nach dem Mörder streift Rizzi durch sein geliebtes Capri, sieht die Faraglionifelsen im Mondlicht, schwärmt von seine Pfirsichen und kennt natürlich alle Bewohner der Insel. Geschickt beschreibt der Autor die Schönheit der Insel, nicht ohne auch auf die Gefahr des Massentourismus hinzuweisen. Der/die Mörder -in bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis. Die Lösung: Es könnte jeder der zig Verdächtigen gewesen sein, …

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Volksoper: W.A. Mozart: Cosi fan tutte

Eine Produktion des Opernstudios der Volksoper Wien im Muth. Musikalische Bearbeitung für Kammerorchester: Malte Kroidl. Inszenierung und Strichfassung: Maurice Lenhard. Musikalische Leitung: Gregor Hanke. Bühne und Kostüme: Christina Geiger

Titelfoto: Fiordiligi – Kamila Dutkowska und Dorabella -Maria Hegele (Foto: Barbara Palffy)

Ein verjüngter Mozart! Wenn das Ensemble aus dem Opernstudio auf eine Oper schaut, die schon von vielen Regisseuren und berühmten Sängern (oft zu Tode) gespielt wurde, dann weht ein frischer Wind durch das Libretto, und der hinterlistige Humor Mozarts darf voll aufblühen.

Den Erfolg heimst das ganze Team ein: Christina Geiger schuf ein zur Außentemperatur passsendes frühlingshaftes Bühnenbild. Auf einem Nobeltennisplatz findet der Kampf um die Geschlechterhoheit statt. Maurice Lenhard lenkt die jungen Sänger (bis auf Marco di Sapia, der dem Ensemble der Volksoper angehört) mit sensibler Hand durch Gags und heiteren Klamauk und sorgt für Lachen und Lächeln im Publikum. Selten noch sah und hörte man diese Oper so verschmitzt und schwungvoll. Dass die Musik voll zur Geltung kommt, das liegt an der kundigen Leitung von Gregor Hanke. Aber zuallerst an den Sängern:

Fiordiligi (Kamila Dutkoswska) war eine innige, sehr verliebte Braut, ihre Stimme hell, klar in allen Lagen, ihr Spiel zärtlich-verschmitzt. Sie ist es ja, die die Wette Alonsos fast zu Fall bringt und sich lange gegen das Werben des vermeintlichen fremden Kriegers (Ferrando-Stanislaw Napierala) wehrt, bis ihr die Hormone durchgehen und sie sich ihm heftig hingibt. Ihrer Schwester Dorabella (Maria Hegele) gelingt der Umstieg auf den neuen Verehrer problemlos. Sie ist die Intellektuelle, die ihrer Schwester die Finten der Verführung beibringt. Ihr glasklares Timbre passt punktgenau zu dem Charakter.

Foto: Barbara Pallfy

Die Verführer und letzten Endes die Betrogenen sind die beiden reizenden Schurken Guglielmo (Pablo Santa Cruz, im Foto links). Mit seinem sonoren Bassbariton bezirzt er mit viel Spielfreude im Nu die gar nicht spröde Dorabella, während sich der zunächst glücklose Ferrando (Stanislaw Napierala im Foto rechts) sich vergiblich an der treuen Fiordiligi abmüht.

Marco di Sapia singt und spielt Alonso als souveränen „maître de plaisir“, der von vornherein nicht an die ewige Liebe und Treue glaubt. Hinterlistig treibt er die beiden Paare in ein Gefühlschaos. Unterstützt wird er von Despina, mit Urkomik und toller Stimme von Jaye Simmons gesungen.

Eine rundherum gelungene Aufführung. Viel Applaus!

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Grafenegg: Osterkonzert – „The Erlkings“ mit Liedern von Beethoven und Schubert

„The Erlkings“ – das sind: Bryan Benner-Gesang und Gitarre aus Orleans. Ivan Turkaij-Violoncello aus Zagreb. Simon Teurezbacher: Tuba, aus dem Mostviertel. Thomas Toppler-Schlagwerk und Vibraphon aus der Steiermark. Marcello Smigliante-Gentile: Mandoline, aus Neapel.

Diese bunt zusammengewürfelte Gruppe verspricht alles nur keine klassische Interpretation der Lieder. Wer die Originale im Ohr hat – vielleicht von Fritz Wunderlich oder Andrè Schuen -, der muss sie schnell vergessen. Denn Countrysong, Folk und Pop spielt gegen Klassik an und gewinnt. Das kapiert man gleich: „Adelaide“ von Beethoven hat nichts mit Romantik und Schmachten zu tun. Man glaubt sich in einem irischen Pub. In „Sehnsucht“ gibts wenig Sehnsucht, eher stampfendes Werben.

Bryan Brenner moderiert vor jedem Song – so nennt er das Lied „An die Hoffnung“ ein „Cowboycountrysong“. Im Effekt endet es wie ein Schlaflied. Harte Takte leiten das „Mailied“ ein, die Musiker stampfen zum Refrain „be happy forever“.

Bryan Brenner ist ein perfekter Entertainer und hat das Publikum in der Hand. Seine Stimme erinnert an die guten Zeiten der Singersongwriters. Manchmal geht dem Ensemble die Begeisterung durch und es wird heftig. Dann Bryan Brenner entschuldigend: „Das war jetzt ein bisserl übertrieben.“

Nach der Pause wagten sich die Erlkönige an Schubert heran. Dazu Bryan Brenner sehr selbstbewusst: „Schubert erlauben wir uns“ . „Auf dem Wasser zu singen“ und „Der Jüngling am Bach“ sind noch von Schubert angehaucht. Gänzlich ausgeflippt erklingt die „Forelle“. Klingen ist das falsche Wort – sie wird vom Ensemble und mit Begeisterung vom Publikum „eingeklatscht“ – Volksfeststimmung macht sich breit. Gespannt ist man auf den „Erlkönig“. Zur allgemeinen Gaudi fordert Brenner das Publikum auf, den „Erlkönig“ aufzusagen – die ersten Zeilen klappen recht gut, der Rest zerrinnt in Gelächter. Und schon legt die Gruppe los: Thomas Doppler spielt Kastagnetten, als würde er Carmens Auftritt vorbereiten – aber statt Carmen reitet der Vater mit dem Kind. Die Tuba (Simon Teurezbacher) sorgt für Gruseleffekt. Und Brenners Erlkönig hat was von einem verführerischen Straßensänger. Doch es geht auch mit mehr Schubert: „Meeresstille“, „An den Mond“ und die „Nähe des Geliebten“ bringen Schuberttöne, das Verlorensein, das vergebliche Hoffen.

Heftig und an die Grenze des Erträglichen gehend erklingt „Gretchen am Spinnrad“: Mit Männererotik und den passenden Hüftrollern interpretiert Brenner die Verliebtheit Gretchens, als „die eines unaufgeklärten Teenagers“ . Bollywoodreife Leistung!

Begeisterung im Publikum!

http://www.theerlkings.com und http://www.grafenegg.com

Grafenegg: Karfreitagskonzert mit den Tonkünstlern – Richard Wagner: Parsifal, 3. Aufzug, konzertant

Dirigent: Roberto Paternostro, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Choreinstudierung: Martin Schebesta

Während am Karfreitag alle Kulturstätten geschlossen halten, wagte man in Grafenegg die Bühne für „Parsifal – konzertant“ – zu öffnen. Und es war mutig und stimmig! Draußen im Park blühten die Bäume, das Publikum genoss die letzen Sonnenstrahlen – ein „Karfreitagszauber“, wie er nicht schöner hätte sein können. Außer vielleicht noch in der Musik Wagners, genauer: Im 3. Akt, wenn Gurnemanz, gesungen von dem stimmgewaltigen Bassbariton Stephen Milling, den Lenz ankündigt: „Der Winter floh und Lenz ist da!“ Wagner wollte Lenz als Person, als personifzierte Naturerscheinung verstanden wissen, weshalb er ihn ohne Artikel – nur Lenz – ankündigt. Die Musik untermalt diese Personifizierung der Natur, die in den Worten Parsifals noch vorangetrieben wird: „Wohl traf ich Wunerblumen an, die bis zum Haupte süchtig mich umrankten“. „Das ist der Karfreitagszauber,Herr“ erklärt Gurnemanz dem verzückten Parsifal. Klaus Maria Vogt ist die Rolle Parsifals mehr als vertraut. sein Tenor ist sicher und klar, ganz ohne Romantizismus. Was durchaus Sinn ergibt, denn die Musik ist an dieser Stelle verschwenderisch genug.

Was in der konzertanten Aufführung ein wenig auf der Strecke bleiben muss, ist die Mystik um Parsifal. Wagner war ja ein genialer „Synkret“ – elegant vermischte er Orpheus- Christus- und Rittermythen. Parsifal ist Ritter, Erlöser und Heilsbringer . Bevor er aber Amfortas von seinem Leiden erlösen kann, muss er selbst die Welt durchwandern und erfahren, was Leid ist. Denn ohne Mit-Leiden läuft Hilfe, Rettung ins Leere. Feierlich und mit Gespür für dramatischen Aufbau bereitet Wagners Musik uns auf den Auftritt Amfortas, des Leidenden, der nicht sterben kann, vor. Chor und Orchester schwellen zu einem gewaltigen Sturm an – bis die matte, todeswunde Stimme Amfortas zu hören ist. Derek Welton sang Amfortas mit Schmerz und der ganzen Herzenstiefe seines wudervollen Bassbaritons.

Roberto Paternostro forderte die Tonkünstler zu Höchstleistungen heraus. Mit untrüglichem Gespür für die Dramatik tönte die Schlussszene voll durch das Auditorium – der gesamte Chor, die volle Gewalt des Orchesters begleitete Parsifal, der den Schrein öffnet und den Gral entnimmt.

Langer, begeisterter Applaus

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Kammerspiele der Josefstadt: Ferdinand von Schirach: Gott

Julian Pölsler -Regie. Walter Vogelweider-Bühnenbild

Ferdinand von Schirachs Texte und Dramen sind Dynamit. Seine Themen kreisen um nichts Geringeres als um die Frage auf das Recht der Selbsttötung, Beihilfe zum Suzid oder Todesstrafe ja oder nein. Durch kontroverse Stellungnahmen baut er intensive Spannugsmomente auf. Leider aber nicht im Drama: „Gott“. Schirach lässt hier den „Ethikrat“ aufmarschieren – würdige Herren, alle vertreten ihre Meinung mit Fug und Recht und immer klingt es nach einer Sonntagspredigt.

Aus diesem Grund treten in den Kammerspielen wirklich die Würdigsten der Würdigen auf: Michael König als Vorsitzender des Ethikrates, immer um Konsens bemüht, wie ein Fernsehmoderator. Er spricht leise und würdig – dass ihn die Zuhörer ab der 10. Reihe kaum mehr verstanden haben, hört man allseits in der Pause. Diese leise, würdige Art gilt auch für die anderen Vertreter der Öffentlichkeit, wie Keller, Mitglied des Ehrenrates (Andre Pohl), Rechtssachverständiger Litten (Paul Matic) und medizinischer Sachverständiger Sperling (Alexander Strömer). Mag sein, dass die Regie von all diesen Schauspielern leises, würdevolles Sprechen verlangte, kann aber auch sein, dass das Stück schon zu oft abgespielt wurde und die Schausspieler nicht mehr „in der Rolle sind“. Engagierter spielen und sprechen: Rechtsanwalt Biegler (Raphael von Bargen) – er vertritt mit Verve die Rechte Richard Gärtners (überzeugend: Johannes Seilern), der nach dem Tod seiner Frau keinen Sinn mehr im Leben sieht und auf da Recht, sein Leben zu beenden, besteht. Natürlich hat auch die (katholische) Kirche ein Mitspracherecht – Robert Meyer steht aber auf verlorenem Posten, den er aber tapfer argumentierend verteidigt.

Alles in allem reihen sich Sonntagspredigten aneinander, unterbrochen von dem glaubhaften Engagement des Anwalts, der, wie im Programm zu lesen ist, die Meinung des Autors vertritt: „Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben selbstbestimmt zu führen. Dazu gehört auch, selbstbestimmt das Leben zu beenden.“ (Zitat Programmheft: Interview mit Ferdinand von Schirach, die Fragen stellte Peer Teuwsen)

Zusammenfassend stellt sich die Frage: Wem gehört das Leben eines Menschen? Gott, Staat, Institutionen oder dem Menschen selbst?

In der Pause konnte das Publikum über die Frage abstimmen: Würden Sie Beihilfe zum Suizid leisten? Und das tödliche Medikament auch einem 30-Jährigen verabreichen, wenn dieser nichts sehnlichster wünscht als zu sterben? Zwei Drittel stimmten mit ja, ein Drittel mit nein.

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TANGO ORCHESTRAL – Richard Galliano, Yukata Sado, Tonkünstler Orchester

Es war eine Hommage an den französischen Akkordeon- und Bandoneonspieler Richard Galliano, tatkräftig unterstützt von den Tonkünstlern, die Yukata Sado mit der bekannt sensiblen Hand dirigierte.

Galliano war mit Astor Piazzolla eng befreundet. Daher machte es Sinn, mit der Komposition Piazzollas „Las Cuatro Estziones portenas“ ( „Die vier Jahreszeiten in Bueonos Aires“) den Abend zu eröffnen. „Der Frühling“ beginnt mit spitzen, kurzen Takten, die dann langsam in den sanften Tangohauch des Frühlings übergehen. Wer schon einmal im November, Dezember in Buenos Aires war, den wird die Musik an den Duft der Lindenblüten und an das Vogelgezwitscher in den großen Parkanlagen erinnern. Darauf folgte „Der Herbst“ – eine Musik voller Tangoschmelz. Schmelz ohne Schmalz – das treffen die Musiker (circa 30-40 Streicher), Sado und Galliano vortrefflich!

Ein typischer Nino Rota folgte: „Konzert für Streicher“ 1. Satz – heiter, leicht, als Teppich für ein Filmgeschehen ideal. Yukata Sado ließ die Streicher schwelgen.

Dann wieder Auftritt Galliano mit der Eigenkomposition „Tango pour Claude“ für Akkordeon und Streicher, gewidmet Claude Nugaro, dem französischen Jazz-Sänger und Dichter und engem Freund Gallianos. In der darauffolgnden Komposition „La valse à Margaux“ zitiert Galliano wieder Astor Piazzolla, der ihn ermutigt hatte, die französische „Musette Neuve“ zu schaffen, so wie er den Tango Nuevo kreiert hatte. Fortsetzung mit Nina Rotas „Konzert für Streicher“ – 2. 3. und 4. Satz, der zärtlich beginnt, sich in die Weite verbreitert und mit einem allegrissimo endet.. Yukata Sado ließ die Streicher brillieren.

Richard Galliano beendete das Konzert mit den Eigenkompositionen „Habanerando“ und „Opale Concerto“. Sado legte einen zärtlich-sanften Teppich unter Gallianos kunstvolles Spiel, während Galliano aus seinem Akkordeon ganz ungewöhnliche Töne zauberte, die zunächst wie leises Echo durch den Raum zogen, hin und wieder wie ein Dialog zwischen Vogelstimmen klangen und in einem leisen Traum endeten.

Geschickt ließ Galliano das Publikum in dieser Traum-Tangostimmung verweilen und spielte als Zugabe „Oblivion“ von Astor Piazzolla. Unterdessen setzte sich Sado auf die Stufe seines Dirigentenplatzes und hört diesem einmaligen Akkordeonkünstler voller Bewunderung zu. Galliano „versank“ geradezu in seinem Spiel. Zwei weitere Eigenkompositionen beendeten diesen wundervollen Abend.

Begeisterter Applaus und standing ovation!

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Theater Akzent: Martina Gedeck liest „Angst“ von Stefan Zweig

Wenn zwei Größen ihres Faches zusammenwirken, dann ensteht etwas Großes, Einmaliges: Stefan Zweig schürft mit seiner sensiblen Sprache bis in die Tiefe der menschlichen Seelen. Marrtina Gedeck erweckt diese Literatur zum erlebbaren Leben.

Leider hatte Martina Gedeck bei Dreharbeiten ihre Stimmbänder so angestrengt, dass sie sich eine Kehlkopfentzündung eingehandelt hatte. Nichts destotrotz las sie – tapfer durchhaltend und mit vollem Einsatz. Ihre leicht raue Stimme passte sogar ausgezeichnet zum Thema – das da ist: Eine von Angst gepeinigte Frau, die sich für ihr kurzes Techtelmechtel mit einem Geiger schämt, es vor ihrem Ehemann geheim hält. Die Angst vor Entdeckung treibt sie fast in den Selbstmord.

Man sitzt zwar im Theater, aber man lebt die Angst Irenes ganz tief mit, sieht sie mit nervösen Fingern nach dem Geld für die vermeintliche Erpresserin suchen, erlebt sie, wie sie ihren Mann mit übertriebener Heiterkeit zu täuschen versucht, sieht die Szene vor sich, in der sich ihr Mann über die Schlafende, von Albträumen Geplagte, beugt und besorgt ihren Namen ruft. Spürt die Sorge ihres Mannes, der wartet, dass seine Frau sich ihm öffnet, ihm ihren Ehebruch, von dem er längst schon weiß, gesteht. Er hofft auf ein alles klärendes Gespräch und Versöhnung. Wir erleben Irene durch die Straßen von Wien laufen, ratlos, sich vor ihrem Exgeliebten demütigen, fast ohnmächtig in die Apotheke wanken, wo sie endlich das ersehnte Morphium bekommt, das ihrem Leid durch Selbstmord ein Ende setzten wird. Der Schluss ist verblüffend – Stefan Zweig lässt den Konflikt gut enden: Der Ehemann hat zwar ein teuflisches Spiel mit ihr getrieben, für das er sich entschuldigt. Ohne viel Worte nimmt er ihr das verhängnisvolle Fläschchen aus der Hand, trägt die Halbohnmächtige in ihr Bett. Wie aus einem langen Albtraum erwacht sie am nächsten Morgen und sieht ihren Ring am Finger, den sie schon an die Erpresserin verloren glaubte.

Natürlich ist Stefan Zweig vom Männer- und Frauenbild der damaligen Zeit geprägt: Da ist der übermachtige Ehemann, der zwar gütig ist, aber „gütig wie ein Gott, der gnädig verzeiht“. Dennoch ängstigt sich die Frau vor ihm. Sie ist die typische Dame aus guter Gesellschaft, die „ins Leere lebt“, wie sie erkennt, ohne Aufgabe, ohne Ziel. Selbst die Kinder haben mehr Kontakt zu ihrer Gouvernante als zu ihrer Mutter. Der Haushalt wird von Dienstboten tadellos geführt. Die Wohnung ist groß, prächtig und auch ein bisschen kalt, ungemütlich. Mit ganz feinen Pinselstrichen kritisiert Stefan Zweig in dieser Novelle das staubtrockene, streng geregelte Leben des Großbürgertums. Ein Leben, dem er selbst immer wieder durch lange Reisen entflohen ist. So lange, bis die Ehefrau die Scheidung einreichte.

Spontaner und begeisterter Applaus!

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Kasino: Henrik Ibsen – Peer Gynt

Fassung und Übersetzung (nach Christian Morgenstern): Gottfried Greiffenhagen. Regie: Thorleifur Orn Arnarsson. Bühne und Kostüme: Daniel Angermayr

Zwei Klaviere liefern sich einen kämpferischen Dialog, der in wütender Rasanz des einen Klaviers endet (Musik: Gabriel Cazes). Nebelschwaden dringen aus den Bodenritzen -ok, akzeptiert, wir sind im hohen Norden. Aber bei sich murmelt man – nicht schon wieder, kommt kein Stück mehr ohne Nebel aus?

Peer Gynt in kurzen Hosen und einer kecken Bubenkappe (Mavie Hörbiger) war wieder für Tage verschwunden und bereitet seiner Mutter Aase (Barbara Petritsch) großes Leid. Sie weiß, dass ihr Sohn ein Taugenichts, Träumer und Lügengeschichtenerzähler ist. Dennoch liebt sie ihn und manchmal glaubt sie ihm. Die Szenen zwischen Mutter und Sohn sind das Beste an dem ganzen Abend! Mit der großartigen Barbara Petritsch fließt so etwas wie Humanrealität ein, und ihre Präsenz strahlt auch auf Peer über. Aus der abstrakten Gedankenfigur wird ein Mensch. Das Dilemma dieses Dramas, das zum Kanon der „must have seen“ gehört, ist gerade, dass es Ibsen mit prallem Leben gefüllt hat, Regisseure wie Thorleifur Orn Arnarrsson aber der Kraft der Bilder nicht trauen und Abstraktionen bevorzugen. Auch die wunderbare Figur der Solveig (Lilith Häßle, die noch vier weitere Rollen spielt) führt ein Schattendasein und ihre „Erlöserfunktion“ ist nicht tragfähig genug.

Die Reise Peer Gynts zu den Trollen, nach Marokko und Ägypten, sein Wahnwunsch, Kaiser von der ganzen Welt zu werden, wird zu einer Reise ins Nichts, in die Psychiatrie. Zwar bemühen sich Lilith Häßle, Johannes Zirner und Lukas Vogelsang, den Figuren Leben einzuhauchen, spielen aber in häßlichen nackten Fatsuits vergeblich gegen diese abtörnenden Kostüme an. Berührend und echt ist gegen Ende die Sterbestunde der Mutter, als Peer Gynt seine sinnlose Umtriebigkeit erkennen muss.

Alles in allem ein Abend mit Engagement, aber auf die Reise Peer Gynts in sein Ich wurde man nicht „mitgenommen“.

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Festspielhaus St.Pölten: Ballett am Rhein: Drei Meister, drei Werke. Und das Tonkünstlerorchester

Balanchine: Rubies, Hans van Manen: Visions Fugitives, William Forsythe: Enemy in the Figure

„Drei Meister, drei Werke“ führten durch die Ballettentwicklung des 20. Jahrhunderts. GEORG BALANCHINE präsentierte mit „Rubies“ eine heitere, revueartige Show. Zur stark rhythmischen Musik von Strawinskys „Capriccio für Klavier und Orchester“ – Christoph Stöcker dirigierte das Tonkünstler mit Verve und Glamour – entwickelte sich eine Szenerie, die im Moulin Rouge oder am Broadway hingepasst hätte: In roten Glitzerkostümen (Karinka) hatten die Tänzer und Tänzerinnen sichtlich Spaß an der quirligen Choreographie, in der Balanchine das klassische, russische Ballett mit neuen Tanzschritten mischte. Vor allem fielen die Arm- und Handbewegungen auf, die an den lndischen Tempeltanz erinnerten(Titelfoto).

HANS VAN MANEN: „VISIONS fUGITIVES“

©Roman Novitzky

In den am Körper anliegenden Kostümen (Keso Dekker) erinnerten die Tänzer und Tänzerinnen an Glasfiguren aus Merano. Zur Musik von Sergei Prokowjew: „Visions Fugitives“, von Gerald Stöcker fast medidativ dirigiert, entwickelte Hans von Manen Figuren, die extrem fordernd sind, weil sie langsam und von innen kommend getanzt werden müssen. Das erfordert äußerste Aufmerksamkeit auf die kleinste Bewegung. Dazwischen streut Manen auch sehr heitere Pas de deux zwischen Mann und Frau, ungewöhnliche Dreierbeziehungen, die kaum entstanden, sofort wieder zerbrechen. Spannung pur!

WILLIAM FORSYTHE: „ENEMY IN THE FIGURE“

Zur Musik von Thom Williams (Zuspielung) jagt Forsythe, der auch das Bühnbild und die Kostüme entwarf, sein Ensemble im Wahnsinnstempo durch den Raum. Immer wieder knallen sie an die umstehenden Wände und krallen sich fest. Hektik, Verzweiflung oder unlösbares Geheimnis? In einigen Szenen scheinen die Tänzer in einem psychiatrischen Raum zu agieren, verfolgt von einem Scheinwerfer. Um sich in Sicherheit zu wähnen, retten sie sich für Momente hinter einer vorgewölbten Hinterwand. „Enemy“ gilt als Forsythes innovativstes, zugleich aber rätselhaftestes Stück.

Foto: Roman Novitzky

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Staatsoper: Matinee – Ballett „Die Kameliendame“ – John Neumeier, Olga Esina und Brendan Saye

Wenn John Neumeier eine neues Stück präsentiert, dann ist die Ballettwelt elektrisiert. Bei der Matinee am 18. März durfte das Publikum staunend und total gebannt miterleben, wie John Neumeier eine Schlüsselszene aus der „Kameliendame“ erarbeitet. Als Marguerite traten Olga Esina und als Armand Brendan Saye auf. Ihnen war nur wenig Platz vergönnt, gerade nur ein schmaler Streifen vor dem Vorhang, was die Probe erschwerte.

Olga Esina und Brendan Saye sind nicht nur Publikumslieblinge, wie man so leicht dahinschreibt, sondern beide Spitzentänzer der ersten Liga. Sie schaffen das umzusetzen, was John Neumeier mit den Worten „aus dem Herzen heraus muss die Bewegung kommen“ meint. Geprobt wurde die Szene im Schalfzimmer Margueritas. Sie hat sich zurückgezogen von der lärmenden Gesellschaft, fühlt sich schwach, hustet etwas. Armand dringt unaufgefordert in ihr Zimmer ein, überrascht sie. Zunächst weist sie ihn brüsk ab. Neumeier führt die beiden Tänzer sensibel und zugleich intensiv durch diese Szene, bis sie authentisch und packend wirkt.

Es war einer der ganz großen Momente, die Ballettbegeisterte an diesem Vormittag erleben durften: Wie intensiv John Neumeier an der kleinsten Geste arbeitet, sie verbal erklärt und so lange probt, bis aus Esina und Bryan Marguerite und Armand wurden, die gerade ihre Liebe zueinander entdecken. Das Publikum war atemlos und brach in begeisteren Applaus aus. Leider werden Olga Esina und Brendan Saye nicht die Premiere tanzen. Aber am 26. März (leider schon total ausverkauft), am 17. und am 22. April wird dieses Traumpaar wieder zu erleben sein.

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Theater Akzent: „Alice – Spiel um dein Leben“ mit Natalie O´Hara.

Text: Kim Langner, Regie: Francois Camus

Großartig, berührend – es fehlen die richtigen Worte, um diesem Abend gerecht zu werden. Natalie O`Hara kann alles: phantastich Klavier spielen, Pantomime mit einer unglaublichen Wandlungsfahigkeit: Blitzschnell wechselt sie von einer Person zur anderen. So gelingt es ihr mühelos, alle 20 Rollen zu verkörpern.

In diesem Zusammenwirken von Musik, Schauspiel und Pantomime entsteht ein emotional hoch geladener Abend, ohne dass je Kitschalarm ausgerufen werden müsste. Pathosfrei spielt und verkörpert Natalie OHara das Leben der Pianistin Alice Herz-Sommer.

Prag im September 1942. Alice spielt in ihrer Wohnung im Ghetto trotz Verbot der Gestapo KLavier - "Musik ist mein Leben!" sagt sie immer wieder. Ihr fünfjähriger Sohn und ihre Mutter hören andächtig zu, während sie die " Appassionata" von Beethoven spielt. Die Lebensfreude erlischt jäh, als zuerst ihre Mutter in den Osten abtansportiert wird und bald darauf sie selbst, ihr Mann und ihr Sohn. Sie landen in Theresienstadt. Ihr Mann wird in Auschwitz knapp vor Kriegsendes an Typus sterben. Die Spuren ihrer Mutter verlieren sich im Osten. Glück für Alice und ihren Sohn in dieser trostlosen Lage: Das Rote Kreuz wird das Lager besuchen, da als Ferienlager präsentiert werden soll, wo es Konzerte und Kinderopern gibt und auch die berühmte Pianistin Alice Herz-Sommer auftreten wird. Die Musik rettet ihr und dem Sohn das Leben.

Im Hintergrund werden auf der Videowall Zeichnungen einger Insassen eingeblendet. Gräuelbilder mit Toten, Menschengerippen, wie sie üblicherweise in Dokus oder anderen Darstellungen der Konzentrationslager gezeigt werden, vermeidet der Regisseur. Die einzelnen Lagerinsassen und der Leiter werden ohne übliche Schwarzweißzeichnung gezeigt. Szenen, wie der nächtliche Abschied des Ehemanns von seiner Frau gehen tief ins Herz. Auch Szenen mit ihrem Sohn, den sie von den Schrecken des Lagers nicht fernhalten kann und der vor Hunger in der Nacht nicht schlafen kann, berühren, weil Natalie O`Hara sie pathosfrei spielt. Im Mai 1945 endet die Qual und im September 1945 spielt Alice Herz -Sommer wieder ihr erstes Konzert in Prag, das im Radio übertragen wird: Beethoven!

Im Abspann erfährt man, dass Alice und ihr Sohn nach Palästina auswanderten. Er wird ein gefeierter Cellist, sie gab bis zu ihrem 108. Lebensjahr Konzerte. Man sieht Originalaufnahmen von ihr, ihre vom Alter gezeichneten Hände spielen sicher und geschmeidig eine Chopin Etüde. „Musik ist ein Geschenk, sie kann helfen, die härtesten Stunden zu überleben“ lautet ihre Botschaft an die Menschen.

Langer Applaus und standing ovation

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Untertitel: Wie wir noch mehr Natur in unser Leben bringen

Christo Förster ist ein absoluter Freiluftfreak. Er wandert quer durch Europa nur mit Schlafsack und Rucksack und übernachtet so gut wie immer im Freien. Er geht in Japan Eisbaden und macht auch sonst noch so einige Verrücktheiten. So mancher mittelsportlich engagierter Normalbürger mag das alles ein wenig übertrieben finden und er fragt sich, wozu er dieses Buch lesen soll. Natürlich hat Förster auch für uns Normalos ein paar Tipps, wie etwa das Morgenlicht und die Sonne – so sie scheint – etwa 20 Minuten einatmen und genießen. Für Morgenmuffel ein Nogo. Doch auch die Abendmenschen schickt er hinaus, um den Abendhimmel für 20 Minuten zu betrachten. Dabei geht es ihm um medidatives Betrachten, das zur inneren Ruhe führt. – Ehrlich, auch das will gelernt sein, gibt Förster zu. Man müsse dafür nicht gleich Seminare belegen. Mit der Zeit ergibt sich der Effekt, um man kommt zur Ruhe.

Jeden Tag empfiehlt er zwei Stunden irgendwo im Freien zu verbringen. Geht nicht -gibts nicht! Dann halt mit Leptop und in Balkonien!!

All seine Tipps faßt er überschaulich am Ende jedes Kapitels zusammen. Zu manchen Ratschlägen liefert er auch Studien und/ oder Gespräche mit Experten. Keine Angst, wissenschaftlich langweilig wird es nie. Förster erzählt das alles leicht, locker, mit Humor!

Verlag Malik bei Piper: http://www.piper.de

Staatsoper Wien: Orwell/Raskatow: Animal Farm

Foto: Napoleon(Bankl) inmitten seiner Wahlhelfer

Wenn ein genialer Autor (George Orwell), ein ebenso genialer Komponist (Alexander Raskatow), ein aufs Wesentliche reduzierender, kluger Bühnenbildner (Paolo Fantin), ein einfallsreicher, „animalistischer“ Kostümbildner (Klaus Bruns) und ein animalisch orientierter Choreograph (Thomas Wilhelm) zusammenkommen – dann kann nur etwas Großes, Einmaliges daraus werden. Und wenn dann noch Damiano Michieletto auf die Musik und den Text genau hin inszeniert und Alexander Soddy die musikalische Sprache Alexander Raskatows mit genau den richtigen Akzenten dirigiert, nie die Klänge und Lauteffekte überstrapaziert, sondern fein dosiert, im Einklang mit den Sängern dirigiert und ein Ensemble grenzgenial singt und spielt – ja, dann kann nur eine OPERA CONTEMPORANEA, die alle Wünsche erfüllt, das Ergebnis sein.

Im Vorwort zur Textausgabe der Animal Farm, wie sie 1946 in der Ukraine erschien, erklärte George Orwell, was ihn zu diesem Roman in Form einer Fabel, bewogen hatte: Als er sah, wie ein kleiner Junge einen Karrengaul mit der Peitsche schlug, „kam mir der Gedanke, dass, wenn diese Tiere sich nur ihrer Stärke bewußt würden, wir keine Macht über sie hätten.“ (Zitat aus Programmheft, S 55) und dass diese Tiere, einmal an der Macht, sich genau zu solchen Despoten entwickeln würden, wie diese es waren, gegen die sie einst gekämpft hatten. Macht korrumpiert.

In Fabelform erzählt Orwell, wie jede Revolution – er meint nicht nur die russische Oktoberrevolution von 1917 – sich in ihr Gegenteil verkehrt. Schon in der Französischen Revolution hieß es: Die Revolution frißt ihre Kinder. Manipulation, Entmachtung aller kritischen Stimmen, Umschreiben der Vergangenheit und willkürliche Veränderungen der Gesetze – all diese Missstände sind aktueller denn je. Orwell hatte vorausgeahnt, dass seine „einfache, für jedermann verständliche Geschichte“ auch noch weit in die Zukunft hinein Gültigkeit haben wird.

Als Damiano Michieletto, auf der Suche nach einem geeigneten Stoff für eine moderne Oper war, kam ihm die „Aimal Farm“ in den Sinn und er wußte auch sofort, wer der geeignete Komponist dafür ist: Alexander Raskatov, in Russland geboren und seit Jahrzehnten im Westen lebend! Er gilt als der „unzeitgemäße Komponist“ der Gegenwart, weil er sich nicht um Moden, Tendenzen kümmert, Seine Musik verlangt den Sängern extremsportliche Leistungen ab: Hinter Tiermasken singen, grunzen oder trällern, in höchsten Tönen quietschen, ohne die Ohren der Zuhörer zu quälen.

Michieletto versetzt das Geschehen auf eine Tierfarm. Am Beginn sind die Tiere in Käfigen gefangen – das Bühnenbild erinnert in gruseliger Weise an Käfige, in denen Gefangene noch heute in vielen Ländern vor Gericht vorgeführt werden. Grau und düster ist das Leben der Tiere, bis Old Major, – großartig der Bass Gennady Bezzubenkov in dieser kurzen, aber eindrucksvollen Rolle – zur Befreiung von dem Tyrannen Mensch und zur Gleichheit aller Tiere aufruft. Die Revolte gelingt, die Besitzer verlassen ihr Land und schon haben sich zwei Tiere zu Bossen aufgespielt, Bosse, die gleicher sind als alle: Das Schwein Snowball wird der Chefideologe, der ähnlich wie einst Leo Trotzki die theoretischen Strukturen und Ideologien der zukünftigen Diktatur entwirft. Michael Kniffke singt diese Partie mit der nötigen Kälte in der Stimme. Zuerst sein Kompagnon, dann sein Gegenspieler: Napoleon (an Stalins Charakter angepasst), mit „machtvoller“ Stimme von Wolfgang Bankl dargestellt und gespielt. Bald schon erkennt man unter den Tieren: Die Mitläufer, die Vivatschreier, die Bewunderer, den Skeptiker, wie etwa Benjamin, den Esel: bemitleidenswert und mit viel Einsatz gesungen von dem Countertenor Karl Laquit. Auch die Kunst wird instrumentalisiert:

Artem Krutko als Minimus liefert eine köstliche Parodie auf all die Künstler, die sich an die Macht anschleimen. Überhaupt ist die Oper voller humorvoller Exzentrik, etwa wenn die eitle Stute Mollie (Holly Flack, großartig!) Mr. Pilkington (Clemens Unterreiner) verführt und ihr Pferdedasein mit einer rosaglitzernden Existenz als Partygirl tauscht. Mollie entwickelt Verführungstöne jenseits der Königin der Nacht, da purzeln die hohen C und F nur so aus ihrer Pferdekehle.


Es kommt, wie es in einer Revolution immer kommt: Napoleon lässt Snowball und alle anderen Gegner liquidierern. Am Schluss machte er Geschäfte mit dem Menschen, Mr. Pilkington. Zur Bestechung lädt er ihn zu einem Gelage ein, auf dem ein Schwein als besondere Köstlichkeit serviert wird. Die Gesetze von Gleichheit unter den Tieren sind aufgehoben. Es menschelt wieder gehörig. Machtvoll sticht Napoleon das Messer in den Leib des toten Schweines.

Endszene: Napoleon (Bankl) sticht ein Schwein ab. ©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Langer, begeisterter Applaus!

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Burgtheater: Philipp Hochmair mit seiner Band Die Elektrohand Gottes: Jedermann reloaded

Man mag ihn oder mag ihn nicht. Dazwischen gibt es nichts. Es ist eine Frage der Einstellung, wie sehr man die explosive Art dieses ungewöhnlichen Künstlers verstehen will und kann. Denn Philipp Hochmair schont sich und sein Publikum nicht. Er spielt nicht Theater, er existiert so ganz in der Rolle! Die Bühne ist sein Leben. Wer sich auf ihn einlässt, dem werden die Augen für den Text geöffnet. Der altbekannte, etwas „altbochene“ Text Hofmannsthals, in dem es um Gott, Teufel und Buße geht, bekommt neue Dimensionen. Entwickelt eine Kraft, die aus Hochmairs Gestaltung und der Wahnsinnsmusik erwächst. Was ist Schönsprech? – gar nichts, Hochmair löst die Sprache in einen Raprhythmus auf, wiederholt Worte, Satzteile zweimal, dreimal, schreit sie, flüstert sie, tanzt dazu, wälzt sich auf dem Boden, spielt mit dem Mikro, mit dem Totenkopf. ist der Nachbar, der Schuldenknecht, die er beide mitleidlos verhöhnt und ihnen Kleingeld zuwirft, ist die ganze Gesellschaft, ist die Mutter, ist die Buhlschaft. Ja , auch die. Aber völlig unspektakulär, sie ist ihm nicht mehr als Dekor, um das herum er einen Lustgarten errichten will. Der Lustgarten, der Palast – seine Träume lassen sich nur durch Geld verwirklichen. Geld, Geld, Geld – füllt sein Sinnen total aus, er küsst die Geldbeutel, hüllt sich in den Staub des Goldes ein – ein flirrender Umhang weht um ihn, wenn er tanzt. Dann bricht langsam sein Luft-Schloss vom Luxusleben zusammen. Er ist der Tod, der ihm auf die Schulter klopft, und der Mammon auch. Und der Teufel auch. Die Buhlschaft hat sich ohne großes Trara vertschüsst. Jedermann wird ein armes Würstel, das heult und fleht, das sich aber doch einsichtig zeigt – das verschwurbelte Ende, das Hofmannsthal einst so pathetisch bis zur Peinlichkeit in Szene gesetzt hat, löst sich auf in Glockenklang und Höllenmusik, aber wie! Gegen die Todesangst will er ansingen, fordert das Publikum auf mitzusingen, hält das Mikro einer verschreckten Lady in der ersten Reihe unter die Nase: „Sing“. Die Hölle kündigt sich mit dem ihr zustehenden Lärm an. Als alles am Kochen ist, ertönen aus den Reihen des Publikums Buhrufe, aufhören, das ist hier ein hochehrwürdiges Theater, mehr Respekt vor Hofmannthal bitte. Es ist Hochmair selbst, der vom Seiteneingang her den erahnbaren Unmut so mancher in den Raum brüllt. Spaß, Gelächter, das sogleich von dem höllischen Finale verschluckt wird. Eine Trompete erschallt, sie kündet den Untergang Jedermanns hier auf Erden an. Der aber hat seine Schäfchen im Trockenen, weiß sich gerettet. Marschiert mit dem Kreuz herum, er versinkt im Grab… Erschöpft? Keine Spur, eher das Publikum.

©Silvia Matras

In der Goldglitzerjacke des reichen Jedermann steht er am Stiegenaufgang, schreibt Autogramme, lässt sich mit allen, die es wollen, fotografieren, scherzt, freut sich über den Gugelhupf aus der Konditorei Demel. Das Nachspiel an der Treppe dauert noch eine gute halbe Stunde, bis der Jedermann – Hochmair ohne das geringste Zeichen von Müdigkeit das Ende des rasant-exzessiven, wilden, frechen, herrlich unkonventionellen Abends ausruft. „Auf Wiedersehen in Salzburg!“ ruft er den letzten Besuchern nach und verschwindet. Ob er vor dem Domplatz auch so „die Sau raus lassen“ (um im Sprech von Hochmair-Jedermann zu bleiben) wird? Keiner aus dem Publikum kann sich einen gezähmten Hochmair vorstellen….

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Wiener Konzerthaus: Il Giardino d’Amore/Fatma Said/Jakob Józef Orklinski/ Stefan Plewniak

Giovanni Battista Pergolesi: Stabat mater

Besetzung: Sopran: Fatma Said, Alt: Countertenor J.J. Orlinski und Il Giardino d‘ Amore mit Stefan Plewniak Violine und Dirigat

„Stabat mater“ von Pergolesi – passt nicht nur als vorösterliches Thema in die Zeit, sondern ganz besonders auch als Memorial an all die Toten der Kriege ringsum in der Welt. Unterstützt vom sanften Dirigat Plewniaks und den Streichern sangen Fatma Said und Jakub Orlinski die Klagen einer Mutter, die ihren toten Sohn im Arm hält, im harmonischen Gleichklang, dann wieder im Solo. Pergolesi komponierte die Klage der Mutter nicht als reinen Trauergesang. Immer wieder strahlt fast eine heitere, leicht tänzerische Melodie auf, die Trost vermittelt. Saids schöner, heller Sopran, in der Höhe genauso sicher und warm wie in der Mittellage, paart sich mit dem Alt des Countertenors. Atemberaubend lässt Fatma Said die Klage in einem langsam verhauchenden „Amen“ ausklingen.

Nach der Pause werden die beiden Zeitgenossen und Musikheroen des Hochbarock einander gegenübergestellt: Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel. Mit „Gelosia“ forderte Vivaldi die Grenzen der weiblichen Stimme heraus – für Fatma Sais kein Problem, die Töne perlen wie frisches Quellwaser von musikalischen Höhen in den erdigen Boden der Wut. In Händels Arie „Lascia che io panga“ gibt sie dem Schmerz eine beseelte Stimme. Ganz auf das Wesen des Countertenors hin hat Händel „Furibondo spira il vento“ komponiert. Orlinski nimmt die Herausforderung locker an und lässt die Koloraturen in den Höhen spielerisch leicht glänzen. Das Publikum dankte mit Beifallsgetöse.

Danach noch eine Steigerung: Stefan Plewniak und die erste Geigerin Ludmila Piestrak spielten den 2. und 3. Satz des „Concerto in a-moll RV 522 von Antonio Vivaldi. Plewniak im schwarzen Gewand erinnerte an einen Priester, der sich mit dem Teufel verbunden hat: So muss Vivaldi, der prete rosso, auf seine Schülerinnen und sein Publikum gewirkt haben: Wie im Rausch steigerte Plewniak das Tempo zu einer Art Höllenfahrt und nahm seine congeniale Partnerin mit. Jubel im Publikum! Und ein da Capo dazu: Ähnlich rauschhaft der 1. Satz des Concerto D-Dur, RV 208. Dann innig und intensiv: Fatma Said in der Rolle des Farnace aus der gleichnamigen Oper von Vivaldi: „Gelido in ogni vena“. Zu Boden sinken der Countertenor und alle Musiker, während er die Arie des Anastasio aus der Oper „Il Giustino“ (Vivaldi) „Ich fühle es in meiner Brust“ singt. Ein ironischer Spaß? Gemeinsam singen sie die Arie aus der Oper „Rinaldo“ von Friedrich Händel und werden vom Publikum mit Schreiapplaus und standing ovation belohnt.

Mit diesem Konzert ging das „Porträt Fatma Said“ zu Ende.

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Kammerspiele der Josefstadt: Jasmina Reza, James Brown trug Lockenwickler

Regie: Sandra Cervik, Bühnenbild: Sabine Freude. Kostüme: Aleksandra Kica. Aus dem Französischem von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel.

Nun treten sie endlich gemeinsam auf. Maria Köstlinger und Juergen Maurer. Dank ihrer Bekanntheit und schauspielerischen Leistungen gelingt es ihnen, das nicht gerade beste Stück von Jasmina Reza zu retten. Denn die Autorin hat es der Regie und allen ihren Figuren nicht leicht gemacht. Wie zur Entschuldigung oder als Beglaubigung des ziemlich unglaublichen Inhaltes sagt Jasmina Reza: “ Ich möchte die Figuren nicht erklären, dazu bin ich gar nicht in der Lage….und weiter sinngemäß: Nach dem Schreiben entgleiten sie mir“ (Zitiert aus dem Programmheft.) Nun fiel allen Beteiligten, Regisseurin und Schauspielern, die schwierige Aufgabe zu, den absurd-komischen Inhalt, der zugleich sehr real abläuft, zu erhellen.

In einem weißen Raum, der Psychiatrie und angrenzender Park ist, lebt recht vergnüglich Jakob Hutner, der sich für Céline Dion hält. Sein einziger Freund ist ein Weißer, der sich für einen Schwarzen hält. Und die zuständige Psychiaterin würde selbst eine Therapie brauchen. In dieses schräge Ambiente platzen immer wieder die Eltern Jakobs, um sich von seinen Fortschritten in Richtung Heilung des Wahns zu überzeugen. Heilung wird es nicht geben, auch sonst bleibt das Ende ohne Perspektive.

Jasmina Reza ging es in ihren früheren Stücken („Gott des Gemetzels“ und „Kunst“) immer darum, die sogenannte Toleranz der gut Erzogenen, der so genannten Versteher aufzubröseln. Mit blitzgescheiter, komischen Logik lässt sie die Toleranzler scheitern. In „James Brown trug Lockenwickler“ geht sie von ihrem bewährten Rezept ab und wählt die Mittel des Absurden, der Übersteigerung und Überdrehung, um die modisch gewordene Frage nach Identität und Gruppenzugehörigkeit ins Absurde laufen zu lassen. Dabei überfrachtet sie das Stück mit Kapriolen, die die Zuschauer oftmals überfordern, etwa wenn die Psychiaterin das Märchen „Aschenputtel“ völlig verdreht erzählt. Absurdes spielerisch so aufzulösen, dass der Sinn dahinter dennoch aufblitzt, ist eine echte Herausforderung für alle Beteiligten.

Aber. wie so oft, retten die Schauspieler den Abend: Der junge Julian Valerio Rehrl ist ein echter Gewinn für das Ensemble. Er zeigte schon in der Performance „Mozart und Salieri“, die er mit Joseph Lorenz im Theater Akzent aufführte, was in ihm steckt: Ein vor Temperament und Lebendigkeit sprudelnder Jungspund. Als Jakob, der sich für die Sängerin Céline Dion hält, ist er ein Stiller, eine Stille. Seine Bewegungen sind die einer lässigen, leicht gelangweilten Diva, alles nur angedeutet, nie peinlich ausgespielt. Mit Kälte und Gleichgültigkeit verfolgt er die Aktionen seiner Eltern, die er als Bekannte, nicht als Eltern anspricht und sie beim Vornamen nennt. Er wünscht sehr energisch, von ihnen als Céline akzeptiert zu werden. Um ihnen zu beweisen, wie sehr er Céline ist, singt er ihnen zur Bestätigung einen Célinesong vor. Da gehört schon sehr viel Feingespür dazu, dass so eine Szene nicht peinlich wirkt. Rehrl spielt und singt, als wäre es klar, dass er Céline ist – großartig.

Köstlinger und Maurer sind die leidgeprüften Eltern Pascaline und Lionel Hunter. Sie sind Vertreter der „Toleranten“, der „Versteher“. Pascaline ist eine beflissene und devote Mutter, die ungefragt alles macht, was die Psychiaterin und ihr Sohn verlangen. Sie wirft sich sogar auf den Boden und strampelt mit den Beinen, um Freude zu simulieren – eine recht überflüssige Szene. Juergen Maurer ist der Gegenpol – er tut, als ob er versteht und toleriert, bis ihm dann doch der Kragen platzt – eine der vergnüglichsten Szenen des Abends. Dominic Oley spielt den verhuschten Freund, der sich an ein verkümmertes Bäumchen kettet,um es zu retten. Ein wenig mehr Wortdeutlichkeit wäre wünschenswert. Alexandra Krismer ist die verhuschte Psychiatertin und erfüllt diese absurde Rolle mit Bravour und sichtlichem Hochgenuss. Noch ein Wort zum Schluss, der in peinlichen, symbolüberladenem Kitsch endet: Céline verschwindet mit der Titelmusik aus dem Film „Titanic“ in einen sternenbestückten Nachthimmel. Da hat es sich Jasmina Reza zu leicht gemacht. Sie, die sonst einen für einen echten Show down- Schluss bekannt ist, lässt das Stück in einem bedeutungslosem Vakuum enden.

Freundlicher Applaus für die Leistung der Schauspieler

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Niccolò Ammaniti, Fort von hier. Eisele Verlag

Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann

Laut Klappentext dreht sich die Geschichte um den Angeber Graziano Biglia. der sich in ein Filmsternchen verliebt und sie heiratet, aber sich sehr bald für die Lehrerin Flora Palmieri entscheidet. Doch dies geschieht erst im letzten Drittel des 585 Seiten starken Romanes. Will man Leser mit einer verkorksten Liebesgeschichte locken, die ja nur einen Bruchteil des Romans einnnimmt? Der Hauptteil handelt von den Bewohnern eines Dorfes in der Maremma, unweit der Küstenstraße Via Aurelia. In diesem Dorf ist die Trostlosigkeit beheimatet. Nicht unbedingt die absolute Armut wie in dem exzellenten Roman „Ich habe keine Angst“ von Ammaniti. Während letzterer wirklich packend und vielschichtig ist, bleibt so mancher Leser von all den Losertypen, die nur saufen, fluchen und Sex im Kopf haben, unberührt. Selbst die Kinder kennen nur die Fäkaliensprache und Bosheiten, die in schwere Kämpfe ausarten können. Einzige Lichtgestalt: Pietro. Ihn drangsalieren alle Mitschüler, treten, schlagen, beschimpfen ihn. Als er sich in seiner Verzwieflung an besagte Lehrerin wendet, passieren schreckliche Dinge….

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Wiener Konzerthaus: Patricia Kompatchinskaja & Friends: „Dies irae“

Mit „Colloredo“ und „Company of Music“. Einstudierung: Johannes Hemetsberger. Michael Wendeberg: Klavier, Orgel, Cembalo. Patricia Kompatchinskaja: Violine, Idee, Künstlerische Leitung.

„Warum nur spielen, was wir wissen und verstehen. Besser nach vorne schauen und auf Neues stoßen“, schreibt Patricia Kompatchinskaya auf ihrer Homepage als Motto ihrer künstlerischen Tätigkeit. Das gilt auch für die Zuhörer und ganz besonders für die Rezeption der Aufführung“Dies irae“.Man konnte den Analysemotor abschalten und sich einfach auf das Geschehen einlasssen, das aufregend, spannend und total neu für einen Konzertabend war.

Noch hat das eigentliche Konzert nicht begonnen und doch ist man schon mitten drin. Blaues Licht im Saal, dumpfe Glockenschläge, Tritte von marschierenden Soldaten – man wird von Giacinto Scelsis „Okanogon“ (1968), als Tonaufnahme abgespielt, empfangen. Dann betritt Kompatchinskaja die Bühne, sie wirkt wie eine Teufelsgeigerin auf leerer Landstraße. Sie spielt so lange, bis alle aus der „Truppe“ sie einholen. Die Verzauberung durch die Teufelsgeigerin kann beginnen: Abwechselnd werden Kurzkompositionen von George Crumb (1929-2022) und Heinrich Ignaz Biber (1674 – 1704) gespielt. Die Musiker sitzen nicht festgenagelt auf ihrem Platz, sondern bewegen sich auf der Bühne tänzerisch-spielerisch. „Battalia“ (Schlacht) von Biber mischt sich mit Devil Music von Crumb, bei einer Jimmy Hendrixeinlage kreisen wilde Hornissengeigentöne durch den Saal. Zur“ Crucifixus – Improvisation“ von Antonio Lotti ( 1667-1740) tragen Musiker einen offenen Holzsarg durch die Saalmitte, der später als Echokammer für Hammerschläge dient. Kopatchinskaja stellt in diesem Konzert die Hauptfrage, die alle angeht: Wie viel Zeit haben wir noch, bevor die Natur sich rächt und alle Leben auf der Erde vernichtet sein wird?“ Eine Frage, die schon in dem Gregorianischen Hymnus „Dies irae“ gestellt wurde und von Galina Ustwolskaja (1919-2006) neu vertont wurde. Aufwühlend, atemberaubend endet dieser Abend mit dem Einzug der Trompeter von Jericho, die einst die Stadt zu Fall brachten.

Begeisterter und langer Applaus für die alle Musiker und Musikerinnen, ganz besonders für Patricia Kompatchinskaja.

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Kasematten Wr. Neustadt: Franz Grillparzer: Medea. Eine Produktion des Theaterfestivals „wortwiege“

Regie und Spielfassung: Anna Maria Krassnigg, Bühne: Andreas Lungenschmid, Kostüm: Antoaneta Stereva di Brolio, Musik und Film: Christian Mair

Das diesjährige Motto des Festivals lautet „fragil/fragile“. Es wird nach allen Richtungen von Beziehungen gefragt: Wie zerbrechlich sind zwischenmenschliche Beziehungen, wie sehr kann der Einzelne auf politische Sicherheiten bauen, wie stabil sind Verträge, Friedensabkommen etc… In diesem Sinne wurde der Salon zu einem Art Aquarium umgebaut. Fische, Seesterne und anderes fragiles Getier schweben irgendwie losgelöst im Raum.

Endlich, endlich wieder einmal eine Theateraufführung, bei der das Publikum nicht durch skurrile Regieeinfälle vom Sinn abgelenkt und in krause Gedanken umgelenkt wird. Medea ist die Medea, wie Grillparzer sie schrieb: Eine Frau, die liebt, ausgenützt und verraten wird. Sehr sensibel hat Maria Krassnigg den Text leicht gekürzt, sprachlich hin und wieder der Gegenwart angepasst, doch bleibt Grillparzer Grillparzer! Das Bühnenbild ist schlicht, wird von einem weißgrauen Schafwollteppich beherrscht, der das berüchtigte „Goldene Vlies“ symbolisiert, das alle besitzen wollen, weil es dem Besitzer uneingeschränkte Macht verleiht. Doch mit dem Vlies ist ein Fluch verbunden. Einst aus dem Apollotempel in Delphi geraubt, bringt es Leid und Tod demjenigen, der es besitzt.

Kolchis liegt auf der „dunklen Seite der Welt“ am Schwarzen Meer, wo die schöne Königstochter Medea lebt. Sie hat von ihrer Mutter Zauberkräfte geerbt. Jason ist aus der hellen Welt der Griechen nach Kolchis gekommen, um das Goldene Vlies zu rauben. Medea hilft ihm dabei, geblendet von seiner strahlenden Heldenerscheinung. Beide verbindet Liebe und Verbrechen. Doch Flucht, Verbannung und die Erinnerungen an die Taten der Vergangenheit, die als Filmschatten immer wieder Medea heimsuchen, machen beide mürbe. Die Liebe ist zerbrechlich geworden.

Grillparzers Medea – der letzte Teil der Trilogie „Das goldene Vlies“, setzt ein, als Jason und Medea nach jahrelanger Flucht durch Greiechenland in Korinth landen. Jens Ole Schmieder ist ein müder, verzweifelter Jason, einer, der nur noch hofft, in Korinth eine neue Heimat zu finden. Dafür ist er nach kurzem Zögern bereit, sich von Medea zu trennen. Denn König Kreon (ganz aalglatter Politiker: Peter Scholz) will nur ihn und die beiden Söhne aufnehmen. Jason möchte im Grunde, dass Medea so schnell wie möglich von der Bildfläche verschwindet, denn er ist schon von Kreon als Schwiegersohn für Tochter Kreusa (Saskia Klar) bestimmt. Medea wirkt zu Beginn wie eine Lady aus einem englischen Salon – nichts erinnert an die stolze, wilde und unbeherrschte Zauberin von einst. Alles versucht sie, um Jasons Liebe neu zu entflammen. Sie ist sogar bereit, sich anzupassen und von Kreusa ein Lied zu lernen, das Jason einst so gern gesungen hat. Diese Szene ist eine der stärksten im Stück: Kreusa, naiv und beflissen, singt es ihr vor. Hilflos klingt es aus dem Mund Medeas. Jason, verärgert und sich für Medeas hilflosen Versuch der Anpassung schämend, verbietet es ihr.. Doch in diesem Moment – und es ist das einzige Mal – brechen in Medea Wut, Kraft und Verachtung aus. Ganz die Zauberin, die Wilde, die Barbarin singt sie dieses verhasste Lied „Liebe. Dunkler Erdteil“ – es stammt von Ingeborg Bachmann – nun nicht mehr als die verängstigte Medea, sondern als die selbstbewusste Frau, die sie einst war: „Der schwarze König zeigt die Raubtiernägel“ sie ist der schwarze König, der die Raubtiernägel zeigt., Von dem Moment an ist Medea entschlossen zu handeln: Sie überlässt Kreon das gefährliche Kästchen, das Feuer und Tod bringen wird. Im Palast wird nicht nur Kreusa umkommen, sondern auch ihre beiden Kinder. Wie in fast allen Medeainszenierungen scheuen sich die Regisseure, den Kindermord direkt auf der Bühne zu zeigen. ( Bei Grillparzer ersticht Medea die Kinder in einem Seitentrakt, also nicht auf offener Bühne.) Die Schlussszene überlässt Grillparzer Jason und Medea. Jason, gebrochen vom Schmerz, jammert, doch Medea herrscht ihn an: Lebe und ertrage. Sie selbst wird das Vlies nach Delphi bringen und für ihre Tat einstehen. Schade nur, dass Maria Krassnig die großartigen Schlusssätze Medeas gestrichen hat. „Was ist der Erde Glück? – Ein Schatten! Was ist der Erde Ruhm? -Ein Traum!“ Und dem verzweifelten Jason befiehlt sie: „Trage! Dulde! Büße!“

Ein Abend, der rundum gelungen ist. Eine kluge Regie, eine kluge Textbearbeitung, die dem Autor Grillparzer Respekt zeugt, und vor allem gute Schauspieler: Berührend und stark Nina Gabriel als Medea, Jens Ole Schmieder ein müder Held (man hätte sich mehr Wortdeutlichkeit gewünscht), Peter Scholz ein aalglatter Politiker, Saskia Klar ein argloses, naives Kind. Grillparzer wäre mit dieser Aufführung sicher zufrieden gewesen.

Das Publikum war es eindeutig!

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Volksoper: West Side Story

Idee und Buch: Jerome Robbins und Arthur Laurents, Musik: Leonard Bernstein, Gesangstexte: Stephen Sondheim

Regie: Lotte de Beer, Choreographie: Bryon Arias, Bühne: Christopf Hetzer,Kostüme: Jorine van Beck, Dirigent: Ben Glassberg

„I like to be in America“ – mit diesem Song ist das Hauptthema des Musicals angegeben. Einwanderer aus Puerto Rico wollen als Amerikaner akzeptiert werden und ihren Traum vom Eigenheim und friedlicher Koexistenz verwirklichen – im wunderbaren Song „Somewhere there is a place for as“ in einer erträumten Idylle vertont.. Doch wo schon andere den Platz und das Lebensrecht beanspruchen, kommt es unweigerlich zu Konflikten. Aktuell zu erleben: der Konflikt zwischen Israeli und Palästinensern. In der Literatur dramatisiert in „Medea“ von Euripides, Grillparzer und anderen, besonders aber von Shakespeare. Die aktuelle Aufführung folgt in groben Zügen dem Drama Shakespears „Romeo und Julia“, heruntergebrochen auf die Kämpfe zwischen den Straßengangs. Die Jets unter ihrem Anführer Riff (beeindruckend Oliver Liebl) wollen die „Sharks“, die aus Puerto Rico eingewandert sind, nicht dulden. Das Viertel gehört ihnen. In einer Straßenschlacht soll die Entscheidung fallen.. In atemberaubenden Choreographien (Bryon Arias) entwickelt sich ein mörderischer Kampf, in dem Tony (Christof Messner) versucht, Frieden zu stiften, aber selbst zum Mörder wird. Man kommt aus dem Staunen über die unwahrscheinliche Kraft und Gewalt, mit der diese beiden Gangs aufeinander losgehen, nicht heraus. Eine Szene ist stärker, intensiver als die andere. Man erfährt im Programmheft, dass Bryon Arias aus so einem gewaltbereiten Viertel in Puerto Rico stammt und gerne bei so einer Gang dabei gewesen wäre. Doch die Mutter hatte anders entschieden und ihn in die Ballettschule geschckt. So ist erklärbar, warum die Kampfszenen eine derartige Dichte und Heftigkeit bis fast zur Unerträglichkeit entwickeln, etwa die Vergewaltigung Anitas. Myrthes Montero gibt dieser Figur durch ihre Bühnenpräsenz und tolle Stimme Stärke und Ausstrahlung.

Die Liebesgeschichte zwischen Tony und Maria (stimmgewaltig Jaye Simmons) ist der zweite Strang des Geschehens. Manche mögen sich unter den beiden Figuren (in Erinnerung an den Film, der seit der Uraufführung 1961 immer wieder einmal zu sehen war) vielleicht andere Typen vorgestellt haben als die beiden, etwas bieder wirkenden. Aber ihr Aussehen passt punktgenau in die Rolle, die ihnen zugeschrieben wird: Sie wollen anders sein als all die Gewaltbereiten, weit weg gehen und ein bürgerliches Leben führen. Ihr schwärmerischen Liebesduette gehen zu Herzen und bilden einen Gegenpol. Wie schon bei Shakespeare siegt auch in dieser Story der tödliche Hass.

Begeisterter und langer Applaus, besonders für Jaye Simmons, Myrthes Monteiro, Christof Messner und Oliver Liebl. Ganz besonders viel Applaus für die gesamte Tanztruppe! Anerkennungsapplaus für Ben Glassberg, der mit Verve dirigierte.

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Festsoielhaus St. Pölten: Tonkünstler Orchester: Bruckner 7. Dirigent Yutaka Sado

Es gibt Momente im Leben, in denen „die Dinge …positive Eigendynamik annehmen.“ Diese Erfahrung „findet in der siebten Symphonie von Anton Bruckner eine Kristallisation dieses allem menschlichen Leben innewohnenden Phänomens“. So Klaus Laczika im Programmheft und ähnlich auch in der Einführung zu diesem Abend. Als Bruckner die siebte Symphonie komponierte (1881-1883), war er in einem schwebenden Zustands der Zufriedenheit. Was deutlich zu spüren ist, insbesondere wenn Yutaka Sado die Tonkünstler dirigiert. Sado hat sich die Musik Bruckners (und in logischer Folge die Mahlers) zu eigen gemacht. Die innige Verbundenheit mit ihr war an diesem Abend wieder einmal deutlich zu spüren.

Das Allegro moderato beginnt wie eine Musik aus den Tiefen des Traumes geholt, losgelöst von jeglichen Alltagssorgen. Man ahnt den zukünfigen Komponisten Gustav Mahler, der in seinen Symphonien von diesem musikalischen Giganten stark beeindruckt war. Nach einer wahrhaftigen Himmelsfahrt , aus der die Verehrung für Wagner herauszuhören ist, leitet Bruckner zum Adagio über, das er, den Tod Richard Wagner vorausahnend, als Trauermusik komponierte. Trotz der schrecklichhen Erfahrung des Ringtheaterbrandes am 8. Dezember 1881 schrieb er wie in Trance eine sanfte Musik, in der er auch die Tuba, die Wagner eigens für seine Kompositionen bauen ließ, verwendete. Nach einem machtvollen Anklang an sein „Te Deum“ und einem schwingenden, fast fröhlichen Teil klingt das Adagio aus. Scherzo und Finale „sind „harmonischen Experimenten gewidmet“ (Klaus Laczika im Programmheft) und klingen mit schwebender Fröhlichkeit aus.

Wieder einmal hat sich bestätigt: Wenn Yukata Sado dirigiert, genießt man ein besonders intensives Musikerlebnis. Ohne Eitelkeit und bombastische Gesten führt er das Orchester und dringt gleichsam in die feinsten verborgenen Muskeln der Komposition ein. Und das Orchester folgt ihm im vollen Vertrauen. Gemeinsam schaffen sie jedes Mal ein unvergessliches Musikereignis! Um so betrüblicher ist es, dass Yukata Sado mit dieser Saison das Orchester verlässt.

Begeisterter Applaus

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Theater Akzent: Maria Hofstätter liest Max Maetz: Bauernroman. Weilling Land und Leute.

Musik: Linzer Geiger Trio. Dramaturgie: Maria Hofstätter, Idee und Konzept: Peter Gillmayr (Violine)

Max Maetz ist das Pseudonym für Karl Wiesinger (1923-1991). Als Max Maetz mischte er die literarische Szene durch einen Bauernroman auf, in dem er sich kein Blatt vor dem Mund nahm und keine Scheu vor demaskierender Ehrlichkeit hatte. Er beschreibt die bäuerliche Gesellschaft mit beißender Ironie und hintergründigem Humor, alles in Kleinschreibung, ohne Punkt und Beistrich. Ein „gefundenes Fressen“ – um im Jargon von Max Maetz zu bleiben – für die Schauspielerin Maria Hofstätter. Wer sie aus diversen Filmen wie der Paradiestrilogie von Ulrich Seidl kennt, der weiß, wie gut so ein schräger Text bei ihr aufgehoben ist.

Ort der Handlung: Weilling, ein Dorf mit zwei Bauernhöfen, in der Nähe von St. Florian in Oberösterreich. Max erzählt sein Leben von der Geburt bis zum 27. Geburtstag in Ichform. Schon seine Geburt hat’s in sich: Plumpst er doch aus dem Bauch seiner Mutter, die gerade dabei ist, ihren Ehemann, der den Kriegsdienst verweigerte und von glühenden Nazis auf einen Baum aufgehängt wurde, von diesem herunterzuholen. Dabei hilft ihr der Bauer mit dem Beinamen Vulgo K. Der nimmt Mutter und Kind Max auf seinem Hof auf. Nach dem Tod der Mutter und des Bauern erbt Max den Hof. Später noch den Hof Katharinas, die er das Testament zu seinen Gunsten in der Hochzeitsnacht unterschreiben lässt. Er ist nun Großbauer. Was sich alles in dieser Zeit ereignet, erzählt Max in naiv-ironischer Offenheit. Etwa: Auf der Bauerndemo protestieren die Knechte gegen eine Erhöhung des Dieselpreises, damit sich der Großbauer die Heizung seiner Villa leisten kann. In der Hochzeitsnacht gesteht Max Kathi, dass er es als Bub mit der Kuh getrieben hat. Die Kathi tut empört, aber nach kurzer Zeit ist die Ehe in Butter. Natürlich verzichtet Max nicht auf seine Freundin Susi, die ihn im Stall besucht. Er werkt an ihr, während sie clever und scheinheilig die Ehefrau, die draußen im Garten arbeitet, vom Stallfenster aus fragt, wo denn der Max sei. All das liest Maria Hofstätter mit der „aufrechten“ Stimme eines Max, der am Ende alle mit den Worten „A Bauernhof is ka Puff“ zu mehr Moral ermahnt.

Das Linzer Trio (Peter Gillmayr Violine, Kathrin Lenzerweger Violine, Alvin Staple Kontrabass, der auch für die musikalische Bearbeitung verantwortlich ist) unterbricht an passenden Stellen mit passender, den Text ironisch unterlaufender Musik: Als Max mit Bauer Vulgo an einem „black point“ (eine Straßenstelle, an der besonders häufige tödliche Unfälle passieren) einen Supercrash mit Rettung, Feuerwehr etc erleben, spielt man einen Teil aus Bruckners Te Deum. Nach dem fatalen Geständnis des jungverheirateten Max in der Hochzeitsnacht spielt das Trio einen Teil aus Bruckners „Locus iste“, der besonders tragisch-traurig klingt. Zum Leichenschmaus für die verunfallte Katharina hört man Michael Haydns das Kyrie aus dem Deutschen Hochamt „Hier liegt vor deiner Majestät“ . Dank des aufliegenden Handzettels kann man diese treffende Auswahl nachverfolgen und zum Text passend einordnen.

Begeisterter Applaus für Maria Hofstätter und das Linzer Trio.

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Sabine Thiesler: Romeos Tod. Heyne Verlag

Kein Krimi, ein Thriller nur, wenn man Superspannung mit „thrill“ gleichsetzt. Sabine Thiesler hat mit diesem Buch dem Thriller einen neuen Aspekt, eine neue Richtung gegeben. Nicht das Verbrechen und dessen Aufdeckung und Bestrafung stehen im Fokus, sondern Menschen, die aus einer ganz spezifischen Charakterveranlagung ein Verbrechen begehen. Dass die Autorin ihren Protagonisten ein von tiefem Wissen um die menschliche Psyche geschärftes Profil verleiht, ist ein wesentliches Charakteristikum ihrer Romane.

Diesmal führt Sabine Thiesler den Leser in die Welt des Theaters, genauer hinter die Kulissen, noch genauer in die Seelenzustände eines Schauspielers knapp vor seinen Auftritten. Jan Jepik ist Vollblutschauspieler, wenn er den Hamlet spielt, dann ist er Hamlet, duldet kein „Nur so tun als ob“. Er gibt alles an Kraft in die Rolle, das Publikum tobt. Wenn er den Lenz verkörpert, spielt er dessen Wahn als seinen eigenen. Immer wieder, bei jeder Aufführung neu. Sein Privatleben ist ebenso eine Gratwanderung zwischen Wahn und Wirklichkeit. Ebenso seine Liebe zu Mona, einer hocherotischen und toxischen Persönlichkeit. Wie diese Frau die Überempfindlichkeit Jans und dessen Hang zum Wahn -sinn geschickt ausnützt, ihn manipuliert, ihn zum Mörder werden lässt ….das ist große Erzählkunst. Ein Buch, das man nicht am Abend im Bett beginnen sollte. Es besteht die Gefahr, dass man die Nacht durchliest und man am nächsten Tag arbeitsunfähig ist.

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Konzerthaus: ORF Radio-Symphonieorchester: Debussy, Ravel und Mahler.

Dirigentin: Marin Alsop, Sopran: Louise Alder

Claude Debussy: Prélude à l`après – midi d’un faune

Debussy war von Stéphane Mallarmés Gedicht „L´après -midi d`un faune“ so beeindruckt, dass er es in Musik umsetzte. Als Mallarmé sie hörte, war er schwer beeindruckt und meinte sogar. dass Debussy die Themen Schwermut, Sehnsucht und Schmerz noch besser in Töne umgesetzt hätte als er in Worte. Durch das feinsinnige Dirigat von Marin Alsop, die den Flöten genug Raum lässt, entstanden Stimmungsbilder zwischen Traum und Wirklichkeit.

Maurice Ravel: Shéhérezade. Vertonung von Gedichten von Tristan Klingsor. Sopran Marin Alder

An Stelle von Fatma Said, die kurzfristig krank wurde, sprang die junge Sopranistin Louise Alder als Liedinterpretin ein. Mir ihrem feinen, in allen Lagen sicheren Sopran führte Louise Alder das Publikum in die duftende und verträumte Welt des orientalischen Märchens, sensibel und kongenial geleitet von Marin Alsop. Leider mangelte es der Sängerin an Wortdeutlichkeit. Aber der Zauber ihrer Stimme ließ diesen Mangel vergessen.

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 4, Sopran: Louise Alder

Diese Symphonie ist voll von romantischen Zitaten und Symbolen aus der deutschen Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“, zusammengestellt von Achim von Arnim und Clemens Brentano. Mahler verwendet Themen aus der Romantik, der Volks- und Militärmusik und macht daraus eine ganz eigenwillige, neue, nie zuvor gehörte Musik. Genau so empfanden es wohl alle Zuhörer an diesem Abend; Man hörte einen Mahler, den man so noch nie gehört hatte: Manch einem mag der Gedanke gekommen sein, dass Marin Alsops feinsinniges Dirigat dieses Wunder vollbrachte. Sie ließ der Stille ihren Raum, hob die einzelnen Instrumente klar heraus, besonders die Flöten und Bläser. Führte sie im 3. Satz zusammen mit den Geigen zu einer Musik des Paradieses. Auch im Finale bleibt sie der Romantik verpflichtet. Am Ende der Symphonie leitet Gustav Mahler zum Lied „Das himmlische Leben“ (aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“) über. Es störte schon nicht mehr, dass Louise Alder die Worte ineinander verwebte. Denn der fein gewebte Klangteppich, in den Marin Alsop den Text bettete, hatte das Publikum bereits sinnlich umfangen.

Langer und begeisterter Applaus für Orchester, Dirigentin und Sängerin!!

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Theater in der Joefstadt: Peter Turrini: Es muß geschieden sein

Regie: Stephanie Mohr, Bühnenbild und Kostüme: Miriam Busch. Musikalische Leitung und Komposition: Wolfgang Schlögl

VOLLTREFFER! Ein Abend, der rundherum überzeugt! Wo Stephanie Mohr draufsteht, ist gut gemachtes, ehrliches Theater ohne Mätzchen drinnen. Die international viel gefragte Regisseurin ist am Theater in der Josefstadt fast zu Hause. Unter den zahlreichen Inszenierungen seien nur an einige erinnert, wie „Der Boxer“ (Felix Mitterer), „Glaube und Heimat“ von Karl Schönherr, „Der Sohn“ von Florian Zeller und zahlreiche Turrini-Inszenierungen. Das Duo Turrini-Mohr verspricht von vornherein gutes Theater. Dazu noch ein Ensemble, das besser nicht sein könnte – all das zusammen ergibt einen Theaterabend, wie man ihn in Wien nur mehr selten erlebt.

Alles dreht sich um die 1848er Revolution in Wien. Es wird geschossen, Anführer werden „füsiliert“, Kaiser Ferdinand „der Gütige“ flieht zweimal aus Wien. Arbeiter kämpfen und werden getötet. Tote Kinder liegen im Volksgarten, nicht weit vom Burgtheater, das „wegen Aufruhr“ geschlossen ist. In unmittelbarer Nähe probt eine Laientheatergruppe Ferdinand Raimunds „Bauer als Millionär“. Starker Auftritt von Günter Franzmeier als Adam Holzapfel. Pro füsiliertem Rebell verdient er einen Gulden. Ohne zu zögern erschießt er den Gefangenen im Hintergrund, um gleich darauf als Hausmeister mit Besen und Kübel die Bühne des Laientheaters zu reinigen. Er wird immer wieder das Geschehen referieren und -je nach politischer Lage – kommentieren. Auf der Bühne geht die Probe zu Raimunds Stück nur mit vielen Hindernissen vonstatten. Immer wieder stört Gefechtslärm. Der Regisseur Ferdinand, Thomas Frank als gelungene Parodie auf die überhektischen Regisseure von heute, will um jeden Preis proben, auch wenn draußen die Revolution tobt. Die Probenszenen sind von umwerfender Komik, wenn etwa Susanna Wiegand als Katharina Glück das Lied der Fortuna singt – eine Glanzleistung! Berührend spielt Johanna Mahaffy die Zäzilie Wagner, die sich als Jugend vom alten Bauer (Michael Dangl) verabschiedet. Der wiederum hat nur eines im Sinn: Am Burgtheater endlich spielen zu dürfen (ein unerfüllter Wunsch Ferdinand Raimunds). Immer lauter wird der Kampflärm von draußen – bis schließlich die Gruppe sich nicht mehr unberührt von dem Geschehen zeigt: Ein Kleiderbündel wird an Stelle des Kaisers aufgehängt, und die Truppe tanzt im Freiheitsrausch! Bis der Regisseur Ferdinand als Leiche hereingebracht wird – er hat sich ins Kampfgetümmel unter die Arbeiter gemischt und wurde erschossen. -Aus mit lustig, aus mit Theater! Die Wirklichkeit holt auch das Liebespaar Zäzilie und Karl, den Jusstudent aus gutbürgerlichem Haus, ein. Karl, mit Julian Valerian Rehrl als zunächst scheuer Einspringer, später als schwer Verliebter ist die ideale Besetzung. Die Kussszenen zwischen Zäzilie und Karl gelingen dank der Unbekümmertheit beider erfrischend witzig.

Worum es Turrini in diesem Stück ging, eröffnet sich gegen Ende: Die Revolution ist niedergeschlagen, die Aufrührer erschossen, die Bürger müssen eine Treueerklärung unterschreiben. Die Freiheit ist Schall und Rauch. Im Theater ist es leer geworden: Das Liebespaar ist im Gefängnis. Aber der Papa von Karl, der reiche Tuchhändler, kann seinen Sohn durch Beamtenbestechung freikaufen – er geht, küsst seine Geliebte und verspricht, sie bald herauszuholen. Aber – er kommt nicht wieder. Als Zäzilie allein an den Pfahl gebunden zurückbleibt und das „Brüderlein“ anstimmt und immer leiser werdend „es muss geschieden sein“ singt – da wird die Theaterpranke Turrinis spürbar!!! Er weiß, wie man starke Szenen schreibt. Und sie noch steigert: Aus dem Hausmeister Holzapfel ist wieder ein Kaiserlicher geworden. Im Namen des Kaisers soll er Zäzilie erschießen. Doch man bekommt pro „Abschuss“ kaum ein paar Groschen. Er zielt, setzt an – nein, das kann er nicht, er wirft das Gewehr weg. Sein Resümee: Die Bürger haben es sich wieder gerichtet, die Beamten sind wieder brav kaisertreu. Die Armen sind noch ärmer. Das Theater – am Ende. Tot oder irgendwo verweht sind die Theaterleute – sie haben ehrlich gekämpft, gebangt. Turrini: „Im Theater gibt es trotz der Schminke das wirklich Ungeschminkte.“ (Zitat aus Programmheft)

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Festspielhaus St. Pölten: AILEY II

The next generation of dance

Gründer: Alvin Alley. Künstlerische Leitung: Francesca Harper. Das Ensemble: Andrew Bryant, Spencer Everett, Jaryd Farcon, Maya Finman-Palmer, Patrick Gamble, Alfred L. Jordan II, Kiri Moore, Corinth Moulterie, Kali Marie Oliver, Tamia Strickland, Kayla Mei-Wan Thomas, Maggy van den Heuvel.

Das „Alvin Alley American Dance Theater“ wurde 2008 zum „lebendigen amerikanischen Kulturbotschafter in der Welt“ ernannt, weil es „die Einzigartigkeit der afroamerikanischen kulturellen Erfahrung erhalte und die Bewahrung und Bereicherung des amerikanischen modernen Tanzerbes feiere“ (Zitat laut Programmheft). Präsident Barack Obama verlieh Alvin Alley 2014 posthum den „Presidential Medal of Freedom“ in Anerkennung seines Engagements für die Bürgerrechte und den Tanz in Amerika. Die Lebensgeschichte Alvin Alleys (1931-1989) ist geprägt von der Zweiklassengesellschaft der 1940er Jahre. Er wollte schon sehr früh die „black culture“ erforschen. In der Modern Dance School of Laster Horton, die auch für People of Colour offen war, erhielt er seine Tanzausbildung. Nach dessen Tod übernahm er die Leitung der Schule und gründete bald eine eigene Gruppe mit einem ganz eigenen Tanzstil. der einen Kontrapunkt zur Tanzszene der Weißen setzte. Seine AAADT genannte Gruppe feierte bald in der ganzen Welt Erfolge. Aus der Kenntnis heraus, dass der Tanz intenational ist, öffnete er später seine Compagnie für alle Nationen und Farben. 1969 gründete er die Alley School und 1974 Alley II, „The Next Generation of Dance“, die nach Alleys Tod 1989 von Francesca Harper geleitet wird.

Es begann mit „Freedom Series“, einer Choreographie von Francesca Harper aus dem Jahre 2021. Das Ensemble – 12 Tänzerinnen und Tänzer – in dunklen Kostümen (Elias Gurrois) vor einer schwarzen Wand tanzte mit Lichtkugeln und schuf so magische Momente. Die Musik von verschiedenen, nicht genannten Komponisten, peitschte sie in Rasanz zu einem Art „Urtanz“, wobei man die unglaublichen Bewegungsformen, die von Gummimenschen stammen könnten, bestaunte. Man versank in Licht, Musik und Tanz. Es waren mystische Moment.

Es folgte „The lark ascending“, Auszug einer Choreographie von Alvin Alley aus 1972. Nach dem Urtanz ein Art von Frühlings- und Liebestanz, komponiert von Ralph Vaughan Williams. Zu Beginn feierte Kali Marie Oliver den Frühling als Fest des Lebens (s. Foto)“. Der pas de deux von Kali Marie Oliver und Andrew Bryant war eine Offenbarung an Zärtlichkeit.

„The Hunt“, ein Choreographie von Robert Battle aus dem 2001. Es war die Bronx, wie man sie aus der „Westside Story“ kennt- nur wilder. Vier Rasende kämpften gegeneinander und formierten sich in Gruppen doch wieder zusammen. Es waren die Spiele der Straße, die sich die Jugend eroberte. „The Tambours du Bronx“ hämmerten auf die Gruppe ein. Interessant war, dass es drei Frauen und ein Mann waren. die in wilder Raserie atemlos über die Bühne tanzten.

Den krönenden Abschluss bildete die legendäre Choreographie Alleys aus 1960: „Revelations“ Ausstattung und Kostüme stammten von Ves Harper für „Rocka my soul“. Eine Szenerie jagte die andere, den Beginn machte eine Gruppe, die Gebete tanzte und sich zu Gruppen formierte, die an Rodins Skulpturen erinnerten. Wunderbare Soli lösten einander ab. Den Schluss bildete das ganze Ensemble: Frauen in hellen, langen eleganten Kleidern, die an die Mode der Südstaaten erinnerten. Mit breiten Hüten und Fächern ertanzten sie ihre Freiheit, Unabhängigkeit. Jetzt haben wir das Sagen! Männer durften assistieren! Ein großer Spaß zu „Rocka my soul“. Das Publikum ging begeistert mit, tanzte fast in den Sesseln und klatschte den Takt. Ein wahres Fest!!

Applaus und große Begeisterung!!!

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Gabriele Reiterer, Anna Mahler. Bildhauerin, Musikerin, Kosmopolitin. Verlag Molden

Über Alma Mahler sind wir bestens durch Autobiographie, Biographien und Romanbiographien informiert. Wenig, bis gar nichts wußte man bisher über die Tochter Anna. Nun hat Gabriele Reiterer diese Lücke gefüllt. Die bibliophile Biografie ist im flüssig, leicht lesbaren Stil geschrieben und ausführlich recherchiert.

Als Tochter von Gustav und Alma Werfel trug sie schwer an diesem Erbe. Den geliebten, wenn auch strengen Vater verlor sie mit 11 Jahren. Die Mutter war mehr mit sich und ihren Liebschaften beschäftigt und kümmerte sich wenig um das Kind. Schulbildung im klassischen Sinn gab es keine. Anna war nicht Tochter, sondern Begleiterin am Klavier. „…Musik ist eine Krankheit, die man nicht los wird“, sagte sie. Der Ausspruch steht als Motto am Beginn der Biografie. Musik ist also der eine Teil des Erbes. Der andere ist wohl der unstete Charakter, den ihr die Mutter mitgab. Ähnlich wie Alma wird sie die Männer um sich scharen, sie heiraten und sie verlassen. Fünf Ehemänner und einen (?)Geliebten – soweit man weiß. Das macht sie nicht unbedingt sympathisch. Besonders nicht die Art, wie sie sich ihrer Männer entledigte. Den letzten warf sie aus dem gemeinsamen Haus, weil er ihr von einem Moment zum anderen mit seinem greisenhaften Gehabe auf die Nerven ging.

Aber: Sie war schön, inntelligent und daher interessant für die Männerwelt. Die Frauen – ja eine oder andere Freundin. Alles und immer beherrschend: die Mutter. Anna suchte die Distanz, wurde aber immer wieder zurückbeordert – und sie kam, auch deswegen, weil sie die finanzielle Unterstützung brauchte.

Annas Lebenssinn war nicht die Musik – die hielt sie für etwas Selbstverständliches, so wie Essen, Sex – sondern zunächst die Malerei. Bis sie erkannte, dass sie mit dieser Kunstform nicht klar kam. Beeinflusst von Rodin und später von Fritz Wotruba, der auch ihr Lehrer wurde, begann sie Bildhauerei zu lernen. Der Stein faszinierte sie. Vielleicht war es auch eine Methode, ihre inneren Schwierigkeiten los zu werden. Sie konzentrierte sich auf die menschliche Figur, besonders auf Porträts. Davon leben konnte sie nicht. Erfolg hatte sie erst gegen Lebensende – die Eröffnung der Ausstellung in Salzburg erlebte sie nicht mehr.

Ihr Lebensweg war bestimmt durch ihre Herkunft, Emigration über London in die USA. Nach Wien wollte sie nie mehr zurückkehren. Gabriele Reiterer zeichnet eine Frau, die mit dem schweren Erbe ihrer Eltern, den Männern, die sie vergöttern, und dem ewigen Ortswechsel leben muss. Sie findet spät, aber doch, Zuflucht und innere Bestätigung in ihrer Kunst als Bidhauerin.

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Charles Lewinsky, Der Halbbart. Diogenes

Hat sich hier der Autor selbst ein literarisches Denkmal gesetzt? Charles Lewinsky ist bekannt dafür, dass er fleißig recherchiert und aus den gewonnenen Fakten(?) eine spannende Geschichte baut, die stimmen kann oder auch nicht. Sein Protagonist Sebi gleicht ihm.

Sebi (Sebastian) wäschst in einem Dorf in Schwyz Anfang des 14. Jahrhunderts auf. Die Familie ist arm, seine älteren Brüder müssen für das naheliegnde Kloster Frondienst leisten. Dabei verliert Geni, der Besonnene, ein Bein. Sebi ist der Jüngste, vielleicht neun oder zehn. Er ist ein heller Kopf, beobachtet und macht sich seinen Reim. So ist er auch der erste und einzige, der den seltsamen Zuzügler namens Halbbart in seiner Hütte am Rande des Dorfes aufsucht. Aus Neugier und Mitleid wird Freundschaft. Als Sebi als Sauhirt im Kloster arbeiten muss, haut er bald ab, weil ihm die Scheinheiligkeit des Betriebes auf die Nerven geht. Zu den Soldaten will er nicht, weil er Gewalt verabscheut. Er schlägt sich wieder bis in sein Dorf durch. Inzwischen hat sich Halbbart einen guten Ruf als „Heiler“ gemacht. Doch bald wird ihm dieser Ruf zum Verhängnis und er wird als einer, der mit dem Teufel in Verbindung steht, angeklagt. Doch – oh Wunder – freigesprochen. Danach erzählt er Sebi und dessen Freunden endlich die Geschichte, wie es zu seinen Brandwunden im Gesicht gekommen ist. Er wurde in Korneuburg (!) von einer von einem Priester verhetzten Masse an die Tür seines Hauses angebunden und angezündet. Doch irgendwie konnte er sich im letzten Moment befreien. Ist die Geschichte so gewesen? Niemand kann es wissen. Sebi jedoch, fasziniert von der Art, wie Halbbart diese Geschichte erzählt, beschließt, sich als Geschichtenerzähler durchs Leben zu schlagen. Als „Meisterstück“ erzählt er, wie die Schweizer 1315 die Habsburger vertrieben haben. Dabei übertreibt er so, dass er selbst nicht glauben will, was er da erzählt. Doch er wird zum Helden hochgejubelt: Ja, genau so muss der Freiheitskampf stattgefunden haben!!

676 Seiten lang hält Lewinsky die Leser bei der Stange – allerdings verliert er sicher einige am Weg. Denn so detailreich er über Klosterleben, Dorfgeschichten und Tratsch, Aberglauben und Grausamkeiten zu erzählen weiß, und wie es Halbbart und Sebi eben auch machen, am Höhepunkt einer Geschichte abrupt abbricht und von ganz anderen Ereignissen neu beginnt, man legt das Buch erschöpft immer wieder beiseite, um dann doch wieder weiter zu lesen. Irgendwie ist man dann froh, am Ende angekommen zu sein. Die Moral von der Geschicht`: Glaub der Geschichte nicht. Es gibt keine „historisch gesicherten Fakten“.

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Konzerthaus Wien: Fatma Said -Reise durch die Welt der Lieder

Am Klavier: Joseph Middleton

Die aus Ägypten stammende Sängerin Fatma Said ist in dieser Saison die Protagonistin der „Porträtreihe“. Bei ihrem ersten Konzert „A Sense of Mosaic“ im November stellte sie sich mit unbekannten Liedern von Brahms. Camille Saint Saens, Francis Poulenc und vielen anderen vor und begeisterte das Publikum.

Nun also setzte sie ihre Reise durch die Welt der Lieder fort. Sie begann mit Mozartliedern. Die Miniaturen waren eine Herausforderung, der sie anfangs nicht so ganz gewachsen war. Zuweilen kratzte die Höhe. Erst im dritten Lied „Männer suchen stets zu naschen“ fand sie den richtigen Ton und brillierte mit dem humorvollen Schluss. Die Schubertlieder waren mehr ihr Terrain – „Der Tod und das Mädchen“ wurde zu einer schlichten, berührenden Miniatur. In den „Nachtviolen“ zauberte ihre Samtstimme Seligkeit und Frühlingsluft. „Ganymed“ wurde zu einem Bekenntnis der ungezügelten Leidenschaft. Schumanns „Widmung“ an seine Frau Clara wurde zu einem innigen Liebesbekenntnis.

Nach der Pause begeisterte sie das Publikum mit „canciones populares“ von Manuel de Falla, darunter besonders intensiv das Wiegenlied „Nana“ und „Tus ojillos negros“ -„Deine schwarzen Augen“ Zart, nur angehaucht gelang das Lied „Del cabello mas sutil“ („Vom feinsten Haar“). Von der Kraft des Gesanges kündete das Lied „Gib mir eine Flöte und sing“ von Najib Hankash – ein fast träumerisches Bekenntnis zu der Kraft der Musik, insbesondere des Liedes. Joseph Middleton war ein einfühlsamer Begleiter am Klavier.

Weitere Termine:

29. Jänner 2024/ ORF Radio Symphonieorchester Wien: Mahler 4. S<mphonie, Sopransolo: Fatma Said

2. März 2024: Il Giardino d‘ Amore und Fatma Said: Arien von Vivaldi und Händel

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Kammerspiele der Josefstadt: Fritz Hochwälder, Der Himbeerpflücker

Regie: Stephanie Mohr, Bühnenbild: Miriam Busch

Als Fritz Hochwälder das Drama „Der Himbeerpflücker“ 1964 schrieb und es danach bis Ende der 70er Jahre auf diversen Bühnen gespielt wurde, war es ein großer Erfolg, weil das Thema längst fällig war. Hatten doch die wenigsten Leute, vor allem nicht die Jugendlichen, eine Ahnung vom Nazionalsozialismus. In den Schulen kannte man kaum Bert Brecht und schon gar nicht Fritz Hochwälder. Dass die Altnazis es sich nach Ende des Krieges „richten konnten“ und wieder in wichtigen Ämtern saßen, war ebenfalls relativ unbekannt. Als in der Zeitschrift „Falter“ der Bericht über den Euthanasiearzt Groß erschien, kostete es diesem keineswegs seinen Posten, im Gegenteil, er wurde von der Republik mit Ehren ausgezeichnet. In diesen gesellschaftspolitischen Sumpf stach nun Hochwälder mit seinem Drama hinein.

In den 90er Jahren wurde „Der Himbeerpflücker“ nicht mehr gespielt. Ist diese Wiederaufnahme aktuell, relevant unf wichtig für unsere Zeit?. Meiner Meinung nach ja, sogar sehr wichtig. Denn die aktuelle politische Atmosphäre ist ebenso wie damals von Freunderlgeschichten, Korruption etc vergiftet. Außerdem bin ich überzeugt, dass viele junge Menschen von dieser Nachkriegszeit kaum etwas wissen.

Stellt sich die Frage, wie man dieses Stück heute spielt, in einer Zeit, wo Show, Slapstick und überdrehte Performance das Theater ersetzen. Deshalb ist es sinnvoll, dass Stephanie Mohr das Volksstück als bewusste Gegenform wählte.. Leider gerieten manche Szenen zu allzu billigem Klamauk – warum muss Susanne Wiegand als Burgerl vor Entrüstung ihre Wäsche ablegen, warum muss Claudius von Stolzmann als Zagl wie der letzte Dorfdepp agieren? Warum muss das Stück wie eine Feydeau-Komödie ablaufen und müssen die Schauspieler eine Türauf- Türzu – Dauerlauf absolvieren? Warum müssen alle immer und immer wieder Wein, Schnaps und Bier saufen? Warum müssen am Schluss die Mannsbilder in einer „Siegesfeier“ fressen wie die Säue? – Das ist zu billige Charakterisierung, es fehlt die Schärfe einer finsteren Komödie. An manchen Stellen wirkt der Text etwas ausgeleiert – wurde es schon zu oft gespielt? Dennoch, noch einmal gesagt: Das Stück ist wichtig und hat seine Berechtigung. Die Regisseurin hat ja mit dem Ensemble eine wahre Goldgrube – warum nützt sie diese Kräfte nicht? Ein Franzmeier, Stolzmann, Reinthaller etc. sind durchaus für subtiles Spiel zu haben! Sie müssen nicht poltern! Ihnen allen liegt die fiese Komödie, das Hintergründige sehr wohl.

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Charles Lewinsky, Sein Sohn. Diogenes Verlag

Ohne modische Versatzstücke erzählt Charles Lewinsky das Schicksal eines Menschen, der von einer Idee besessen ist und sie ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt und dabei zugrunde geht. Ein wenig Simplicissimus, ein wenig Don Quijote, ein wenig historische Fakten und sehr viel Erzählkunst, die eben aus der Mischung von nachgewiesener Geschichte und Fiktion besteht. Man könnte den Roman auch als Analyse eines Menschen lesen, der konsequent einer Idee nachgeht. Ob es Wahn oder Wirklichkeit ist – das lässt Charles Lewinsky offen.

Das Buch liest sich wie ein Abenteuerroman aus der Zeit nach der französischen Revolution. Louis Chabos wächst in einem Waisenhaus in Mailand auf. Schüchtern und etwas klein von Wuchs wird er von seinen Mitbwohnern schickaniert. Es quält ihn, dass er nicht weiß, wer seine Eltern sind. Mit 12 Jahren wird er dem Marquese als Diener übergeben. Von ihm lernt er, sich zu verteidigen, mutig zu sein. Als junger Mann meldet er sich zur franzsösichen Armee und macht die Schrecknisse des Rußlandfeldzuges mit. Ziellos und verwundet irrt er nach dem Krieg herum, sucht nach einem Hinweis auf die Idendität seines Vaters. Endlich findet er in einem kleinen Dorf in Rätien eine Heimat, gründet eine Familie und es scheint, als habe er Ruhe gefunden und die quälende Suche aufgegeben. Bis ihn eines Tages eine Spur nach Paris führt, zu König Lous-Philippe I. Die Suche endet tragisch,,,,

Charles Lewinsky ist ein Menschenmaler mit Worten. Die Charaktere werden plastisch herausgearbeitet und in ein historisches Ambiente hineinerzählt. Mit vielen Details, fundiert recherchiert, reichert er das Romangeschehen an, ohne es zu beschweren. Er leitet den Leser vom Waisenhaus in Mailand bis in das von Luxus und schrecklicher Armut geprägte Paris. Am Ende ist man erschüttert von dem Leid, das diesem Chabos widerfährt. Ein Leid, das er selbst herausgefordert hat.

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David Hewson: Die Medici Morde. Folioverlag

Ein Venedigkrimi. Aus dem Englischen von Birgit Salzmann

Der Autor hat sich auf Krimis in Venedig spezialisiert und mit „Der Garten der Engel“ einen großen Erfolg eingefahren. Leider ist der neue Band lang nicht so spannend, die Erzählung verliert sich in langatmige historische Recherchen über die Medici und ihre Zeit.

Marmaduke Godolphin ist ein erfolgreicher Fernsehhistoriker, füttert sein Publikum mit nicht immer historisch gesicherten Mythen und Fakten. Seine Serien hatten Erfolg, der gerade im Abflauen ist.Um den Erfolg abzusichern, inszeniert er ein großartiges Schauspiel in Venedig, wozu er seine ganze Crew eingeladen hat. Es sollten Morde an Medicis nachgestellt und nachgewiesen werden. Doch bevor die Show wirklich zu Ende ist, findet man ihn tot in einem der Seitenkanäle. Bis dahin verheißt die Geschichte Spannung. Doch leider verläuft sich das Interesse, da der Autor nun seitenlange historische Recherchen dem Leser zumutet. Schade… Aber für Historienfreaks mag das Buch empfehlenswert sein.

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Wiener Konzerthaus: Nikolaus Habjan: „Abpfiff 2023“

Oboe: Sebastian Breit, Akkordeon: Tobias Kochseder, Violoncello: Eduardo Antiao, Klavier: Ines Schüttengruber

Gemeinsam mit den vier Musikern kommentierte und pfiff Nikolaus Habjan Arien von Mozart, Rossini, Schubert, Beethoven, Verdi. Milhaud, Dvorak u.a.

Es wurde kein Rückblick über 2023, sondern ein echter Ab-Pfiff: Das Jahr soll abgehen, es war nicht immer schön. Deshalb soll der vorletzte Abend der heiteren Muse gehören. Diesmal brachte Habjan keine Puppen mit, sondern sein Talent zum Kunstpfeifen und vier tolle Musiker. Humorvoll und mit einer kleinen Dosis Respektlosigkeit vor manchem unsinnigen Libretti, kommentierte er jeweils vor jedem „Pfiff“ Sinn und Unsinn der folgenden Arie. Gleich zu Beginn amüsierte er das Publikum mit der Arie des Cherubin aus der „Hochzeit des Figaro“ von W.A.Mozart und meinte dazu: „Es ist die Arie eines voll pubertierenden Knaben, der ganz verrückt nach gleich zwei Frauen ist“: „Voi che sapete“. Das Faszinierende an Habjans „Pfiffarien“ ist, dass man die Figur, die Situation und das Ambiente der jweiligen Arie auch ohne Worte miterlebt. Was vorausseetzt, dass das Publikum opernaffin ist. Der vollbesetzte Mozartsaal und der jeweils begeisterte Applaus zwischen den Arien ließen dies vermuten. Von heiter bis romantisch pfiff Habjan dem Publikum die Ohren voll. Unter den gewählten Arien war auch das berühmte „Lied an den Mond“ aus der Oper „Rusalka“ von Anton Dvorak. Das war hohe Kunst, dieses Sehnsuchts- und Liebeslied, das zu den innigsten dieser Gattung gehört, nicht zu verpfeifen. Habjan pfiff sich in die leisen, ganz leisen, dann auch sehr hohen Töne der Arie hinein und versetzte das Publikum direkt an den Teich, an dem der Prinz und Rusalka im Kuss gemeinsam in den Tod gehen. Begleitet von allen vier Musikern mit Innigkeit und Zartheit.

In Kurzfassung brachte er dem Publikum die Gemütslage des verliebten Müllersburschen aus dem Zyklus „Die schöne Müllerin“ von Franz Schubert näher: Der Verliebtheit des Burschen haftet nichts Tragisches an, es ist nur jugendliche Schwärmerei, die bald vergehen sollte. Deshalb pfiff Habjan den Vogelgesang als heitere, tröstliche Begleitung.

Geschickt verquickte er die verschiedenen musikalischen Interpretationen der Orpheusgestalt, pfiff mit Innigkeit die seelenvolle Arie aus Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“ „Ach, ich habe sie verloren“ und kontrastierend die Arie der Eurydike aus Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ : „Der Tod will mir als Freund erscheinen“ („Eurydike findet die Ehe mit Orpheus langweilig, da haut sie lieber mit dem Gott der Unterwelt ab“ – so Habjan). Besonders soll nochmals das Spiel der vier Musiker hervorgehoben werden, die in den „Erholungspausen“ Habjans das Publikum mit Musik von Bach, Wunderer und anderen Komponisten begeisterten.

Das Publikum bejubelte Nikolaus Habjan und seine Musiker mit langem und begeistertem Beifall. Als Zugabe pfiff er die Arie der Rosina aus Rossinis „Barbier von Sevilla“. Dann wünschte er einen guten Rutsch ins Jahr 2024.

www.konzerthaus.at

Wiener Staatsoper: Ballett:“shifting symmetries“

Drei Choreographien: „Concertante“ – Hans van Manen. „In the Middle. Somewhat Elevated“ – Wiliam Forsythe. „Brahms-Schoenberg Quartet “ -George Balanchine

Titelfoto: Concertante, GWielick, ALiashenko © Ashley Taylor

„Shiftng symmetries“- „Verschobene Symmetrien“ wurde als Überbegriff für die drei Ballettchoreografien gewählt. Van Manen, Forsythe und Balanchine sind drei Choreographen, die die Entwicklung des Balletts im 20. Jahrhundert wesentlich prägten.

„Concertante“ – Musik von Frank Martin, zeigt die Choreographie van Manens in konzentrierter Form. Vor schwarzem Bühnenhintergrund bewegen sich die Tänzer zum starken Rhythmus von Frank Martin in großen, raumgreifenden Bewegungen, immer im Blickkontakt zueinaner. aber in Konfrontation der Geschlechter. Vier Paare, die einander in verschiedenen Stadien von Zu- und Abneigung begegnen. Auffallend sind die fordernden Figuren der jeweiligen Pas de deux – Paare zu der starken Musik!! Die interessanten Kostüme (Keso Dekker) erwecken den Eindruck, die Tänzer treten nur in Körperbemalung auf.

In the middle, somewhat elevated“. Elektronische Musik von Tom Willems. William Forsythe zeichnet für Choreographie, Bühne, Licht, Kostüme. Mit dieser Choreographie hat Forsythe gewaltig die Welt des Tanzes verändert.

Die vergoldeten Kirschen, die kaum als solche erkennbar von der Decke hängen, haben keine symbolische Bedeutung – sie waren eine Verlegenheitslösung. Gleichsam die Ironie pur auf jegliches Bühnenbild. Denn nichts sollte vom Tanz ablenken. Es beginnt in völliger Finsternis, plötzlich heftige Donnerschläge, ein Blitz erleuchtet die in grüne, körpernahe Kostüme gekleideten Tänzer und Tänzerinnen. Mit Wucht schlägt die Musik auf Tänzer und Publikum ein – der Boden unter den Füßen erbebt bei jedem Schlag. Da drehen sich keine zarten Elfen und Geister, sondern wuchtige Maschinenmenschen. kraftgesteuert durch die Hammerschläge der Musik. Zwei bis drei Grundbewegungen bestimmen im ersten Drittel das Geschehen. Dann explodieren Paare in spannungsgeladenen Figuren, auffallend anders Davide Dato, den man bisher eher klassisch kannte. Atemlos – das ist wohl der treffende Ausdruck – sieht das Publikum die geballte Gewalt des Tanzes.

„Brahms-Schoenberg Quartet“ (Arnnold Schönberg bearbeitete das Klavierquartett Nr.1 von Johannes Brahms für Orchester)

Einen größeren Gegensatz zu Forsythe gibt es kaum. Man kann es nicht fassen! Da tanzen Ballerinen im eleganten, weißen Tüllröckchen und die Prinzen dazu natürlich im silbrig weißen Wams. Auffallend sexy ist übrigens das Kostüm von Davide Dato, der die Hauptpartie tanzt (Kostüme: Vera Richter). Die Szenerie spielt, wie es sich für ein romantisches Ballett à la Russe gehört, vor einer Schlosskulisse. Allerdings ähnelt es einem Gruselschloss: Schwarze, leere Fensterhöhlen, die Mauern grau-schwarz. Aber dennoch glaubt man sich im „Nussknacker“ oder „Schwanensee“. Man sieht alle beliebten Ballettfiguren, Sprünge, Hebefiguren – halt das ganze klassische Repertoire. Ein Teil des Publikums scheint ganz verzückt danach gewesen zu sein und dankt mit standing ovations. Ein anderer Teil war ein wenig verwirrt – nach Forsythe diese Tüll- und Romantikchoreographie!? Natürlich war es die Absicht Martin Schläpfers, den Bogen von der russischen Klassik bis in die krasse Moderne zu zeigen. Aber nach Forsythe Balanchine – mir erschien das ein wenig unfair. Es war auf jeden Fall ein Abend, an dem der Ballettdirektor die großartige leistung des Wiener Ballettensembles demonstrieren konnte. Das Publikum dankte ihm sehr dafür. Sonderapplaus bekam auch der Dirigient Mattew Rowe, der sehr einfühlend die Tänzer durch die Musik von Martin und Brahms lenkte.

www.wienerstaatsballett.at