Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler. Mit einem Nacwort von Elke Heidenreich,

Die Autobiographie einer Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, geschrieben unter dem Deckmantel eines „Romans“. Sibilla Aleramos (1976-1960) Roman erschien 1906 und erregte in ganz Europa großes Aufsehen. Sie gilt als Wegbereiterin des Feminismus in Italien.

Die Icherzählerin Rina verlebt ihre Kindheit in Mailand, ist der Liebling ihres Vaters, den sie vergöttert. „Die Liebe zu meinem Vater beherrschte mich“, gesteht sie gleich zu Beginn. Er wiederum schätzt ihre schnelle Auffassungsgabe und Intelligenz. Emotional ist er jedoch sehr distanziert. Von ihrer Mutter, die unter Depressionen leidet, erfährt sie auch keine Liebe. Als sie 12 Jahre alt ist, wird der Vater in den Süden in ein kleines Dorf versetzt, wo er die Leitung einer Glasfabrik übernimmt. Die 12jährige Rina sucht sich in der neuen Umgebung vergeblich zurechtzufinden. Noch sehr jung beginnt sie in der Fabrik mitzuarbeiten und erweist sich als sehr tüchtig. Aber ihren Vater als Ansprechpartner verliert sie immer mehr. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie glaubt, in einen attraktiven Angestellten verliebt zu sein. Als er sie vergewaltigt, muss geheiratet werden. Da ist sie gerade 17 und steht nun unter der Knute dieses Mannes. Ihre Befreiungsversuche , wie Krankheit oder Streit, enden immer mit Bestrafung Aus Eifersucht verbietet er ihr sämtliche Kontakte zu Menschen, die ihr lieb sind. Isolation und Depression scheinen ihr Schicksal zu sein, ähnlich dem ihrer Mutter. Immer wieder sagt sie sich, sie wird weggehen. Nach zehn Jahren Ehegefängnis hat sie endlich die Kraft, sich zu trennen. Allerdings verliert sie ihren Sohn, der beim Vater leben muss. An diesem Tiefpunkt ihres Lebens endet der Roman.

Sibille Aleramo hält sich mit Zeitungsartikeln finanziel über Wasser. Sehr bald schon hat sie Zutritt zu literarischen Kreisen, ihre Meinung wird allgemein anerkannt. Um effektiver für die Rechte der Frauen kämpfen zu können, tritt sie in die Kommunistische Partei ein. Sie stirbt 1960 mit 83 Jahren. Heute gelten ihr Roman und ihre Schriften als frühes Zeugnis für die Emanzipation einer Frau, der lange Zeit der Begriff selbst noch unbekannt war. Leider strapazieren die immer wiederkehrenden vergeblichen Fluchtgedanken ein wenig die Geduld des Lesers. Man möchte ihr zurufen: Jetzt verlass endlich den Kerl. Aber in diesen Zeiten des anbrechenden Jahrhunderts war eine Trennung schier unmöglich. Da gehörte eine gehörige Portion Kraft dazu, die sie dann endlich unter viel Schmerzen aufbrachte.

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Luca Ventura: Bleich wie der Mond – Capri-Krimi. Diogenes Verlag

Luca Ventura nützt die Krimischiene geschickt, um auf ein brennendes Problem aufmerksam zu machen. Diesmal geht es um die Mozzarellaherstellung aus Büffelmilch. Werden die Tiere artgerecht gehalten? Wie agieren die Tierschützer?

Nino Castaldo liegt tot in einer Tonne voll Wasser. Er stellte in Anacapri den berühmten handgezogenen Mozzarlla her. Inspektor Enrico Rizzi und die Ermittlerin Antonia Cirillo sollen den Fall aufklären. Keine leichte Aufgabe – Rizzi geht die Untersuchung sachte an, Cirillo prescht vor und bringt sich und die Ermittlung immer wieder in Gefahr. Der Kreis der Verdächtigen wird immer größer, besonders verdächtig sind Mitarbeiter der Firma Castaldos und die Familienmitglieder. Bald sind fast alle Personen verdächtig, auch der Produzent der Büffelmilch. Cirillo schnüffelt auf seiner Farm und bringt sich dabei selbst in Gefahr. Doch hier gibt es keinen Verdachtsgrund – die Tiere werden artgerecht gehalten. Aber die Familie ist unter sich zerstritten. Auf der Suche nach dem Mörder streift Rizzi durch sein geliebtes Capri, sieht die Faraglionifelsen im Mondlicht, schwärmt von seine Pfirsichen und kennt natürlich alle Bewohner der Insel. Geschickt beschreibt der Autor die Schönheit der Insel, nicht ohne auch auf die Gefahr des Massentourismus hinzuweisen. Der/die Mörder -in bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis. Die Lösung: Es könnte jeder der zig Verdächtigen gewesen sein, …

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Untertitel: Wie wir noch mehr Natur in unser Leben bringen

Christo Förster ist ein absoluter Freiluftfreak. Er wandert quer durch Europa nur mit Schlafsack und Rucksack und übernachtet so gut wie immer im Freien. Er geht in Japan Eisbaden und macht auch sonst noch so einige Verrücktheiten. So mancher mittelsportlich engagierter Normalbürger mag das alles ein wenig übertrieben finden und er fragt sich, wozu er dieses Buch lesen soll. Natürlich hat Förster auch für uns Normalos ein paar Tipps, wie etwa das Morgenlicht und die Sonne – so sie scheint – etwa 20 Minuten einatmen und genießen. Für Morgenmuffel ein Nogo. Doch auch die Abendmenschen schickt er hinaus, um den Abendhimmel für 20 Minuten zu betrachten. Dabei geht es ihm um medidatives Betrachten, das zur inneren Ruhe führt. – Ehrlich, auch das will gelernt sein, gibt Förster zu. Man müsse dafür nicht gleich Seminare belegen. Mit der Zeit ergibt sich der Effekt, um man kommt zur Ruhe.

Jeden Tag empfiehlt er zwei Stunden irgendwo im Freien zu verbringen. Geht nicht -gibts nicht! Dann halt mit Leptop und in Balkonien!!

All seine Tipps faßt er überschaulich am Ende jedes Kapitels zusammen. Zu manchen Ratschlägen liefert er auch Studien und/ oder Gespräche mit Experten. Keine Angst, wissenschaftlich langweilig wird es nie. Förster erzählt das alles leicht, locker, mit Humor!

Verlag Malik bei Piper: http://www.piper.de

Niccolò Ammaniti, Fort von hier. Eisele Verlag

Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann

Laut Klappentext dreht sich die Geschichte um den Angeber Graziano Biglia. der sich in ein Filmsternchen verliebt und sie heiratet, aber sich sehr bald für die Lehrerin Flora Palmieri entscheidet. Doch dies geschieht erst im letzten Drittel des 585 Seiten starken Romanes. Will man Leser mit einer verkorksten Liebesgeschichte locken, die ja nur einen Bruchteil des Romans einnnimmt? Der Hauptteil handelt von den Bewohnern eines Dorfes in der Maremma, unweit der Küstenstraße Via Aurelia. In diesem Dorf ist die Trostlosigkeit beheimatet. Nicht unbedingt die absolute Armut wie in dem exzellenten Roman „Ich habe keine Angst“ von Ammaniti. Während letzterer wirklich packend und vielschichtig ist, bleibt so mancher Leser von all den Losertypen, die nur saufen, fluchen und Sex im Kopf haben, unberührt. Selbst die Kinder kennen nur die Fäkaliensprache und Bosheiten, die in schwere Kämpfe ausarten können. Einzige Lichtgestalt: Pietro. Ihn drangsalieren alle Mitschüler, treten, schlagen, beschimpfen ihn. Als er sich in seiner Verzwieflung an besagte Lehrerin wendet, passieren schreckliche Dinge….

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Sabine Thiesler: Romeos Tod. Heyne Verlag

Kein Krimi, ein Thriller nur, wenn man Superspannung mit „thrill“ gleichsetzt. Sabine Thiesler hat mit diesem Buch dem Thriller einen neuen Aspekt, eine neue Richtung gegeben. Nicht das Verbrechen und dessen Aufdeckung und Bestrafung stehen im Fokus, sondern Menschen, die aus einer ganz spezifischen Charakterveranlagung ein Verbrechen begehen. Dass die Autorin ihren Protagonisten ein von tiefem Wissen um die menschliche Psyche geschärftes Profil verleiht, ist ein wesentliches Charakteristikum ihrer Romane.

Diesmal führt Sabine Thiesler den Leser in die Welt des Theaters, genauer hinter die Kulissen, noch genauer in die Seelenzustände eines Schauspielers knapp vor seinen Auftritten. Jan Jepik ist Vollblutschauspieler, wenn er den Hamlet spielt, dann ist er Hamlet, duldet kein „Nur so tun als ob“. Er gibt alles an Kraft in die Rolle, das Publikum tobt. Wenn er den Lenz verkörpert, spielt er dessen Wahn als seinen eigenen. Immer wieder, bei jeder Aufführung neu. Sein Privatleben ist ebenso eine Gratwanderung zwischen Wahn und Wirklichkeit. Ebenso seine Liebe zu Mona, einer hocherotischen und toxischen Persönlichkeit. Wie diese Frau die Überempfindlichkeit Jans und dessen Hang zum Wahn -sinn geschickt ausnützt, ihn manipuliert, ihn zum Mörder werden lässt ….das ist große Erzählkunst. Ein Buch, das man nicht am Abend im Bett beginnen sollte. Es besteht die Gefahr, dass man die Nacht durchliest und man am nächsten Tag arbeitsunfähig ist.

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Gabriele Reiterer, Anna Mahler. Bildhauerin, Musikerin, Kosmopolitin. Verlag Molden

Über Alma Mahler sind wir bestens durch Autobiographie, Biographien und Romanbiographien informiert. Wenig, bis gar nichts wußte man bisher über die Tochter Anna. Nun hat Gabriele Reiterer diese Lücke gefüllt. Die bibliophile Biografie ist im flüssig, leicht lesbaren Stil geschrieben und ausführlich recherchiert.

Als Tochter von Gustav und Alma Werfel trug sie schwer an diesem Erbe. Den geliebten, wenn auch strengen Vater verlor sie mit 11 Jahren. Die Mutter war mehr mit sich und ihren Liebschaften beschäftigt und kümmerte sich wenig um das Kind. Schulbildung im klassischen Sinn gab es keine. Anna war nicht Tochter, sondern Begleiterin am Klavier. „…Musik ist eine Krankheit, die man nicht los wird“, sagte sie. Der Ausspruch steht als Motto am Beginn der Biografie. Musik ist also der eine Teil des Erbes. Der andere ist wohl der unstete Charakter, den ihr die Mutter mitgab. Ähnlich wie Alma wird sie die Männer um sich scharen, sie heiraten und sie verlassen. Fünf Ehemänner und einen (?)Geliebten – soweit man weiß. Das macht sie nicht unbedingt sympathisch. Besonders nicht die Art, wie sie sich ihrer Männer entledigte. Den letzten warf sie aus dem gemeinsamen Haus, weil er ihr von einem Moment zum anderen mit seinem greisenhaften Gehabe auf die Nerven ging.

Aber: Sie war schön, inntelligent und daher interessant für die Männerwelt. Die Frauen – ja eine oder andere Freundin. Alles und immer beherrschend: die Mutter. Anna suchte die Distanz, wurde aber immer wieder zurückbeordert – und sie kam, auch deswegen, weil sie die finanzielle Unterstützung brauchte.

Annas Lebenssinn war nicht die Musik – die hielt sie für etwas Selbstverständliches, so wie Essen, Sex – sondern zunächst die Malerei. Bis sie erkannte, dass sie mit dieser Kunstform nicht klar kam. Beeinflusst von Rodin und später von Fritz Wotruba, der auch ihr Lehrer wurde, begann sie Bildhauerei zu lernen. Der Stein faszinierte sie. Vielleicht war es auch eine Methode, ihre inneren Schwierigkeiten los zu werden. Sie konzentrierte sich auf die menschliche Figur, besonders auf Porträts. Davon leben konnte sie nicht. Erfolg hatte sie erst gegen Lebensende – die Eröffnung der Ausstellung in Salzburg erlebte sie nicht mehr.

Ihr Lebensweg war bestimmt durch ihre Herkunft, Emigration über London in die USA. Nach Wien wollte sie nie mehr zurückkehren. Gabriele Reiterer zeichnet eine Frau, die mit dem schweren Erbe ihrer Eltern, den Männern, die sie vergöttern, und dem ewigen Ortswechsel leben muss. Sie findet spät, aber doch, Zuflucht und innere Bestätigung in ihrer Kunst als Bidhauerin.

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Charles Lewinsky, Der Halbbart. Diogenes

Hat sich hier der Autor selbst ein literarisches Denkmal gesetzt? Charles Lewinsky ist bekannt dafür, dass er fleißig recherchiert und aus den gewonnenen Fakten(?) eine spannende Geschichte baut, die stimmen kann oder auch nicht. Sein Protagonist Sebi gleicht ihm.

Sebi (Sebastian) wäschst in einem Dorf in Schwyz Anfang des 14. Jahrhunderts auf. Die Familie ist arm, seine älteren Brüder müssen für das naheliegnde Kloster Frondienst leisten. Dabei verliert Geni, der Besonnene, ein Bein. Sebi ist der Jüngste, vielleicht neun oder zehn. Er ist ein heller Kopf, beobachtet und macht sich seinen Reim. So ist er auch der erste und einzige, der den seltsamen Zuzügler namens Halbbart in seiner Hütte am Rande des Dorfes aufsucht. Aus Neugier und Mitleid wird Freundschaft. Als Sebi als Sauhirt im Kloster arbeiten muss, haut er bald ab, weil ihm die Scheinheiligkeit des Betriebes auf die Nerven geht. Zu den Soldaten will er nicht, weil er Gewalt verabscheut. Er schlägt sich wieder bis in sein Dorf durch. Inzwischen hat sich Halbbart einen guten Ruf als „Heiler“ gemacht. Doch bald wird ihm dieser Ruf zum Verhängnis und er wird als einer, der mit dem Teufel in Verbindung steht, angeklagt. Doch – oh Wunder – freigesprochen. Danach erzählt er Sebi und dessen Freunden endlich die Geschichte, wie es zu seinen Brandwunden im Gesicht gekommen ist. Er wurde in Korneuburg (!) von einer von einem Priester verhetzten Masse an die Tür seines Hauses angebunden und angezündet. Doch irgendwie konnte er sich im letzten Moment befreien. Ist die Geschichte so gewesen? Niemand kann es wissen. Sebi jedoch, fasziniert von der Art, wie Halbbart diese Geschichte erzählt, beschließt, sich als Geschichtenerzähler durchs Leben zu schlagen. Als „Meisterstück“ erzählt er, wie die Schweizer 1315 die Habsburger vertrieben haben. Dabei übertreibt er so, dass er selbst nicht glauben will, was er da erzählt. Doch er wird zum Helden hochgejubelt: Ja, genau so muss der Freiheitskampf stattgefunden haben!!

676 Seiten lang hält Lewinsky die Leser bei der Stange – allerdings verliert er sicher einige am Weg. Denn so detailreich er über Klosterleben, Dorfgeschichten und Tratsch, Aberglauben und Grausamkeiten zu erzählen weiß, und wie es Halbbart und Sebi eben auch machen, am Höhepunkt einer Geschichte abrupt abbricht und von ganz anderen Ereignissen neu beginnt, man legt das Buch erschöpft immer wieder beiseite, um dann doch wieder weiter zu lesen. Irgendwie ist man dann froh, am Ende angekommen zu sein. Die Moral von der Geschicht`: Glaub der Geschichte nicht. Es gibt keine „historisch gesicherten Fakten“.

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Charles Lewinsky, Sein Sohn. Diogenes Verlag

Ohne modische Versatzstücke erzählt Charles Lewinsky das Schicksal eines Menschen, der von einer Idee besessen ist und sie ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt und dabei zugrunde geht. Ein wenig Simplicissimus, ein wenig Don Quijote, ein wenig historische Fakten und sehr viel Erzählkunst, die eben aus der Mischung von nachgewiesener Geschichte und Fiktion besteht. Man könnte den Roman auch als Analyse eines Menschen lesen, der konsequent einer Idee nachgeht. Ob es Wahn oder Wirklichkeit ist – das lässt Charles Lewinsky offen.

Das Buch liest sich wie ein Abenteuerroman aus der Zeit nach der französischen Revolution. Louis Chabos wächst in einem Waisenhaus in Mailand auf. Schüchtern und etwas klein von Wuchs wird er von seinen Mitbwohnern schickaniert. Es quält ihn, dass er nicht weiß, wer seine Eltern sind. Mit 12 Jahren wird er dem Marquese als Diener übergeben. Von ihm lernt er, sich zu verteidigen, mutig zu sein. Als junger Mann meldet er sich zur franzsösichen Armee und macht die Schrecknisse des Rußlandfeldzuges mit. Ziellos und verwundet irrt er nach dem Krieg herum, sucht nach einem Hinweis auf die Idendität seines Vaters. Endlich findet er in einem kleinen Dorf in Rätien eine Heimat, gründet eine Familie und es scheint, als habe er Ruhe gefunden und die quälende Suche aufgegeben. Bis ihn eines Tages eine Spur nach Paris führt, zu König Lous-Philippe I. Die Suche endet tragisch,,,,

Charles Lewinsky ist ein Menschenmaler mit Worten. Die Charaktere werden plastisch herausgearbeitet und in ein historisches Ambiente hineinerzählt. Mit vielen Details, fundiert recherchiert, reichert er das Romangeschehen an, ohne es zu beschweren. Er leitet den Leser vom Waisenhaus in Mailand bis in das von Luxus und schrecklicher Armut geprägte Paris. Am Ende ist man erschüttert von dem Leid, das diesem Chabos widerfährt. Ein Leid, das er selbst herausgefordert hat.

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David Hewson: Die Medici Morde. Folioverlag

Ein Venedigkrimi. Aus dem Englischen von Birgit Salzmann

Der Autor hat sich auf Krimis in Venedig spezialisiert und mit „Der Garten der Engel“ einen großen Erfolg eingefahren. Leider ist der neue Band lang nicht so spannend, die Erzählung verliert sich in langatmige historische Recherchen über die Medici und ihre Zeit.

Marmaduke Godolphin ist ein erfolgreicher Fernsehhistoriker, füttert sein Publikum mit nicht immer historisch gesicherten Mythen und Fakten. Seine Serien hatten Erfolg, der gerade im Abflauen ist.Um den Erfolg abzusichern, inszeniert er ein großartiges Schauspiel in Venedig, wozu er seine ganze Crew eingeladen hat. Es sollten Morde an Medicis nachgestellt und nachgewiesen werden. Doch bevor die Show wirklich zu Ende ist, findet man ihn tot in einem der Seitenkanäle. Bis dahin verheißt die Geschichte Spannung. Doch leider verläuft sich das Interesse, da der Autor nun seitenlange historische Recherchen dem Leser zumutet. Schade… Aber für Historienfreaks mag das Buch empfehlenswert sein.

www.folioverlag.com

Herbert Lackner, Als Schnitzler mit dem Kanzler stritt. Verlag Ueberreuter.

Eine politische Kulturgeschichte Österreichs

Im Kreuzungspunkt zwischen Politik und Kultur gab und gibt es Konflikte. Oft mit tödlichem Ausgang, natürlich für die Künstler, im besten Fall „nur“ Konfrontation. Herbert Lackners Interesse und schriftstellerischer Fokus liegt auf diesem Kreuzungspunkt. Mit akribischer Recherche deckt er Hintergründe und Auswirkungen auf. In dem Buch „Als die Nacht sich senkte“ schreibt er über die Anfänge, als Künstler , besonders jüdische, in der Zwischenkriegszeit mit Anfeindungen zu kämpfen hatten. Im zweiten Band „ Die Flucht der Dichter und Denker“schildert er die Schicksale der Künstler, die dem Naziregime entkamen. Wie ernüchternd für viele die Rückkehr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in die Heimat war, beschreibt Lackner in dem Band „Rückkehr in die fremde Heimat“

Nun ist also der vierte Band erschienen: „Als Schnitzler mit dem Kanzler stritt“. Als Vollprofijournalist findet Lackner immer attraktive Titel, wie eben auch diesen. Das Streitgespräch fand 1928 im Kanzleramt statt. Ignaz Seipel hatte einige Künstler, darunter auch Arthur Schnitzler, zu einer Diskussion über die Verschärfung des „Schmutz- und Schundgesetzes“ eingeladen. Dabei kam es zu einem heftigen Streit zwischen Seipel und Schnitzler, in dem Schnitzler einem Politiker grundsätzlich die Urteilsfähigkeit über Kunst abspricht. Und genau diese Frage ist das grundlegende Thema des Buches. Lackner zeigt auf, wie sich Politik immer wieder der Kultur und der Frage, was als Kultur gelten darf, bemächtigt. Vor allem deckt Herbert Lackner Hintergründe auf, von denen man bisher nichts wußte, etwa wie viele ehemalige Nationalsozialisten es „sich richten konnten“ und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder politische Karriere machten.

Lackner spannt den Bogen von Schnitzlers „Reigen“ bis zum heftig angefeindeten „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard und endet bei den heftig umstrittenenen Aktionen rund um „woke“ und „kulturelle Aneignung“. Die Gefahr, Kultur als Politikum zu missbrauchen, ist immer virulent. So gesehen, liest sich das Buch als Aufruf zur Wachsamkeit. Als Leser stellt man sich am Ende die heikle Frage, wo man sich selbst einordnet – als reaktionär? – Nur weil man vielleicht manches nicht gutheißen kann?! Gehört man zu den Rechten, den „ewig Gestrigen“, weil man Gendern und Regietheater lächerlich findet?

www.ueberreuter.at

Jennifer Ackerman: Die geheime Welt der Vögel.

Untertitel: „Wie sie denken, spielen, sprechen und ihre Kinder erziehen. Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel.

Illustrationen von John Burgoyne

Jennifer Ackerman ist eine weltweit anerkannte Ornithologin. Sie erforscht die Welt der Vögel, ohne sie zu vermenschlichen oder zu verniedlichen. Ihre Forschungsergebnisse hat sie in mehreren Büchern veröffentlicht. In ihrem letzten Werk schreibt sie zwar darüber, wie „Vögel denken, spielen oder sprechen“, aber es folgen keine „lieben“ Geschichten, die man den Kindern am Abend vorliest, sondern faktenbasierte ERgebnisse langer und ausführlicher Beobachtungen. Bei jedem einzelnen Thema, zum Beispiel „Mobbing“ oder „Alarm“, bescheibt sie die für diese Aktion in Frage kommenden Vogelarten. So greifen zum Beispiel Krähen von oben an, Möwen sind besonders fies: sie bekoten ihren Gegner, bis dieser sich nicht mehr rühren kann. Alle Beobachtungen werden in wissenschaftlicher Sprache abgehandelt, aber immrt wieder mal durch witzige Neuigkeiten aus der Vogelwelt aufgelockert. Der Laie wird sich über diese Passagen freuen, der Kenner die wissenschaftlichen Informationen aufsaugen.

Eine ausführliche Literaturliste und ein abundantes Register sind bei der Suche nach spezifischen Themen sehr hilfreich.

www.ullstein.de

Ilona Jerger, Lorenz. Piper Verlag

Konrad Lorenz entwarf mit seiner „Vergleichenden Verhaltensforschung“ ganz neue Sichtweisen auf die Welt der Tiere. Seine Vergleiche Tier-Mensch fanden nicht immer die Zustimmung in der Welt der Wissenschaft. Und seine Parteizugehörigkeit zur NSDAP hat er lange verschwiegen, was man ihm schon zu Lebzeiten übel nahm. Dennoch waren die Österreicher mächtig stolz auf ihn, als er 1973 den Nobelpreis erhielt.

Über ihn erschienen schon zu Lebzeiten viele Artikel, seine Bücher erregten Aufsehen. Nun hat sich Ilona Jerger mit dieser schillernden Persönlichkeit befasst und nach langen Recherchen eine interessante, humorvolle und immer spannend geschriebene Biografie vorgelegt. Wobei sie betont, keine reine Biografie verfasst zu haben, sondern eher eine Romanbiografie. So erlaubte sie sich Details einzuflechten, die vielleicht so hätten stattfinden können, für die es aber keine Beweise gab. Sie führt auch in Ichform eine Tierforscherin ein, die den Spuren ihres großen Vorbildes nachgeht. Dieser erzählerische Kapriole wäre allerdings nicht notwendig gewesen, sie verwirrt eher.

Konrad Lorenz‘ Leben (1903-1989) spiegelt die Geschichte des 20. Jahrhunderts wider.Nach seinem Medizinstudium widmet er sich als Privatgelehrter der Tierforschung und richtet 1926 auf dem Grund es elterlichen Anwesens in Altenberg bei Wien eine zoologische Forschungsstätte ein. Er beobachtet Gänse – die Gans Martina geht in die Geschichte ein -, Vögel, Hunde, eben alles, was um ihn herum kreucht und fleucht. Als er sich der nazionalsozialistischen Ideologie andienert, bekommt er einen Lehrstuhl in Königsberg. Doch bald wird er eingezogen, als Arzt an die Ostfront geschickt und von den Russen gefangen genommen. Doch auch in der Gefangenschaft setzt er seine Tierbeobachtungen fort. Dank seiner medizinischen Kentnisse kann er vielen Kameraden das Leben retten. Nach sechs Jahren Gefangenschaft wird er freigelassen und kehrt nach Altenberg zurück. Sein Ruhm als Forscher verbreitet sich, 1950 leitet er die Forschungsstelle für Vergleichende Verhaltensforschung, später wird er Direktor des Max-Planck-Institutes für Verhaltensphysiologie am Eßsee in Oberbayern. Mit steigendem Ruhm werden die Stimmen gegen ihn immer lauter, seine NS -Vergangenheit kommt ans Licht. Doch unbeirrt arbeitet Lorenz weiter, schreibt Bücher, engagiet sich im Umweltschutz – Hainburg. Er bleibt bis zu seinem Tod der berühmte Mann, der mit den Gänsen, Fischen und Vögeln sprach.

Ilona Jergers Buch ist keine trockene Biografie. Mit vielen interessanten und humorvollen Details gelingt es ihr, den Menschen Konrad Lorenz den Lesern nahe zu bringen. Dabei beschönigt sie nichts, zitiert aus Briefen und Vorträgen reichlich unangenehme Zitate, die Lorenz als glühenden Verfechter der Rasssentheorie ausweisen. Seitenhiebe und Details rund um das Hitlerregime verblüffen – etwa, die Tatsache, dass Hitler nicht einschlafen konnte. Erst wenn sein geliebter Schäferhund mit ihm einen Schlafgesang anstimmte, dann fand der Neurotiker einigermaßen Ruhe. Geschichten über den schrulligen Philosophen Heidegger, den Dichter Celan oder Willy Brandt beleuchten die politischen und kulturellen Entwicklugen..

„Lorenz“ von Ilona Jerger ist ein lebendig geschriebenes, interessantes Buch, ohne moralisierende Überlegungen. Die intensive Recherche macht sich nicht als lästiger Überhang breit, sondern wird geschickt in die Handlung eingebaut.

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Daniel Kehlmann, Lichtspiel. Rowohlt

Warum ausgerechnet ein Roman über G.W.Pabst? Er war ein Gigant der Stummfilmzeit, einer der ganz Großen, an den sich aber heute kaum jemand mehr erinnert – außer Kenner der Stummfilmzeit. Aber wenn Daniel Kehlmann diese Figur ins Zentrum eines 450 Seiten starken Romans stellt, dann hat er gute Gründe. Die zu entdecken ist für den Leser nicht immer einfach.

Die ersten 80 bis 100 Seiten wirken wie ein schnell hingeschriebenes Filmskript: Personen wechseln im raschen Schnitt, kaum erkennbar. Pabst in Hollywood: niemand kümmert sich mehr um den einst Großen Pabst, er ist frustriert und will nur eines: Filme machen, und zwar gute, herausragende. Längst sind seine Erfolgsfilme wie „Die freudlose Gasse“ (mit Greta Garbo und Wener Krauß, 1929 in Deutschland) vergessen. Ein alarmierender Brief seiner Mutter ruft ihn und seine Frau Trude 1939 von Hollywood nach Österreich zurück. Ab diesem Abschnitt beginnt der Roman Fahrt aufzunehmen, man glaubt zu verstehen, was Kehlmann in dieser Figur eines naiven, zum Bleiben gezwungenen „Rückkehrers“ aufzeigen wollte: Österreich hat sich dem Hitlerdeutschland angeschlossen. Der Nazionalsozialismus blüht und gedeiht. Im eigenen Haus (Schloss in der Steiermark) wird die Familie Pabst bespitzelt. Doch er scheint von der politischen Lage unbeeindruckt zu sein – er will nur Filme drehen- Und er lässt sich in als Galionsfigur vor das Hitlersche Propagandasystem spannen. An diesem Punkt bleibt Kehlmann der Figur einiges schuldig: Aus demr Drang, künstlerische Filme zu machen, scheint Pabst blind für die das politische Geschehen um ihn herum zu sein. Die Frage, ob Kunstauftrag oder der Wille, sich künstlerisch zu verwirklichen, die Kompromisse rechtfertigen. die ein unter den Nazis arbeitender Künstler eingehen muss, bleibt unbeantwortet, besser gesagt: unbewertet. Vielleicht stellt Kehlmann die Frage an den Protagonisten überhaupt nicht – aus dem einfachen Grund, keinen moralisierenden Roman schreiben zu wollen. Er überlässt das Urteil darüber dem Leser. Am Ende des Romans ist die Antwort nicht eindeutig klar. So viel Blindheit glaubt man der Hauptfigur – und daher dem Autor – nicht. Dennoch ist der Roman lesenswert, spannend geschrieben, wenn auch durch häufige Wechsel der Erzählperspektiven manchmal ärgerlich modisch.

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Charles Lewinsky, Rauch und Schall. Diogenes

Ein literarisches Kleinod! Ein Tortenstück, das man gierig auf einen Sitz verschlingen möchte. Aber man weiß zu genießen und teilt sich die Stücke/Seiten ein. Nach 30, maximal 40 Seiten schlägt man das Buch zu, um am nächsten Tag auch noch in den Genuss dieser intelligenten Lektüre zu kommen. Und wenn man es zu Ende gelesen hat, dann ist man ein wenig traurig. Ein kluger, witziger Begleiter hat sich gerade verabschiedet.

Charles Lewinsky ist ein brillanter Erzähler. Wie ein Sprach-Gaukler schlüpft er in die Sprache der Goethe- und Weimarerzeit hinein, ohne alterzutümeln. Er kennt sich aus mit all den Hochwohlgeborenen und den nur Wohlgeborenen, die mit leeren Worthülsen, Eifersüchtelein und dummen Spielen den Tag verbringen. Lewinsky persifliert Sprache und Atmosphäre des Weimarer Hofes auf perfid-witzige Art. Goethe, der sehr Verehrte, bleibt da nicht ungeschoren. Im Gegenteil, auf ihn richtet Lewinsky sein ironisches Sprachlorgnon.

Der gute, allseits verehrte Goethe hat eine heftige Schreibhemmung. Um die zu beheben, ist er in die Schweiz gereist, um sich von der imposanten Berglandschaft inspirieren zu lassen. Aber leider bekam er von der anstrengenden Reise in den unbequemen Kutschen statt Inspirationen Furunkeln und Hämorrhoiden. So kehrt er mißmutig nach Weimar zurück. Christiane Vulpius, zu dieser Zeit (es muss wohl um 1779 gewesen sein, genaue Daten gibt Lewinsky nicht an, um nicht den Anschein einer Biografie zu erwecken) noch offiziell seine Haushälterin, inoffiziell seine Geliebte, bereitet ihm einen liebevollen Empfang. Sohn August ist etwa sieben Jahre alt.

Heimgekehrt zieht sich Goethe Tage um Tage in sein Schreibzimmer zurück, doch die Blätter bleiben leer. Christiane versucht alles – wirklich alles -, um ihn aufzuheitern, aber ohne Wirkung. Als ihn dann noch der Auftrag ereilt, für Herzogin Amaliens Geburtstag eine Weihespiel zu schreiben, beginnt sein Dilemma. Mehr sei hier nicht verraten. – Lesen und Genießen empfehle ich allen, die mit Goethe, Christiane Vulpius und Weimar ein wenig vertraut sind. An wem diese Zeit der klassischen Literatur vorbeigegangen ist, der wird sich schwer tun, die Anspielungen und die dahinter versteckte Ironie vollinhaltlich zu genießen.

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Yavud Ekinci: Das ferne Dorf meiner Kindheit. Kunstmann Verlag

Aus dem Türkischen von Gerhard Meier

Yavud Ekinci ist ein engagierter türkischer Schriftsteller, der für die Rechte der Kurden vehement eintritt, was natürlich im Erdoganregime nicht unbeobachtet blieb. Zur Zeit lebt er in Deutschland. Sein Roman „Das ferne Dorf meiner Kindheit“ hat einen biografischen Hintergrund. Die Handlung umspannt fast ein Jahrhundert.

Im ersten Teil schildert er aus der Sicht des Kindes Rüstem das Aufwachsen in einem kurdischen Dorf irgendwo in den anatolischen Bergen. Seine kindliche Welt scheint zunächst unbedroht: Murmelspiele, die ersten verliebten Blicke auf ein Mädchen. Doch bald trübt sich die heitere Kindheit ein – drohende Wolken ziehen auf: In der Schule wird bei Prügelstrafe verboten, Kurdisch zu reden. Sein älterer Bruder hat sich einer Widerstandsgruppe angeschlossen und wird von den Soldaten gesucht. Das Haus, in dem Rüstem mit seinen Großeltern und dem Vater wohnt – seine Mutter ist schon lange tot – wird von den Soldaten durchwühlt. Als der geliebte Großvater stirbt und alle Häuser des Dorfes von den Soldaten in Brand gesetzt werden, geht seine Kindheit jäh zu Ende.

Im zweiten Teil ist Rüstem ein junger Mann. Er besucht die kranke Großmutter im Spital in der Stadt. Dabei erzählt sie ihm aus ihrer Vergangenheit: Sie ist Armenierin, die durch Zwangsheirat vor dem Genozid „gerettet“ wurde. Ihren ersten Ehemann, den sie sehr geliebt hatte und mit dem sie nur 6 Monate verheiratet war, fand sie als von den Soldaten übel zugerichteten Leichnam. Nun ist es ihr einziger Wunsch, neben ihm begraben zu werden. Rüstem lädt gemeinsam mit seinem Vater den Sarg mit der Leiche seiner Großmutter auf einen Traktor. Sie fahren los, um sie an dem von ihr gewünschten Ort zu begraben. Doch sie werden von Soldaten aufgehalten, der Sarg wird zertrümmert, die Leiche mit Schüssen durchbohrt. Die beiden verbringen eine grauenvolle Nacht in einer engen Gefängniszelle gemeinsam mit der schon stinkenden und von Maden angefressenen Leiche. Am nächsten Morgen werden sie zwar freigelassen, aber die Leiche darf nicht begraben werden. Der Vater Rüstems sperrt sich mit ihr in seinem Zimmer ein und erhängt sich.

Yavud Ekinzi meinte in einem Interview, Literatur müsse immer politisch sein, grausam und hart. Aber ehrlich: Zu viel der sehr detaillierten Schilderungen diverser Leichen tut dem Roman nicht gut – angeekelt liest man darüber hinweg und ist fast erleichtert, als man am Ende angekommen ist. Die Bereitschaft, über das Schicksal der Kurden und der Armenier mehr zu erfahren, nimmt mit zunehmender Seitenanzahl ab.

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Niccolò Ammaniti: Ich habe keine Angst. Eisele Verlag

Aus dem Italienischen sehr feinfühlig übersetzt von Ulrich Hartmann

Ammaniti ist Fans der italienischen Literatur längst ein Begriff.“Io non ho paura“ ist eines seiner frühen Bücher, das er wahrscheinlich in den späten 90ern schrieb. 2001 erschien es bei Mondadori und nun also in deutscher Fassung („Ich habe keine Angst“) im Eisele-Verlag.

Ein vier Häuser-Seelendorf , irgendwo im Süden Italiens, es könnte in der Toscana oder Apulien liegen. Aber die von Weizen bedeckten goldgelben Hügel lassen eher Sizilien vermuten. Auch die übergroße Armut, von der Ammaniti immer wieder spricht.

Ammaniti erzählt in der Ichform aus der Sicht des 9-jährigen Michele. Später erfährt man, dass es die Sicht und Erinnerung des Erzählers ist, der sich hin und wieder einschaltet. Was sofort beim ersten Lesen auffällt: Ammaniti schreibt aus der Seele des Kindes. In einer authentischen Sprache erleben wir die Zweifel, Ängste und Gewissensbisse des Buben. Ganz ohne Verkindlichung. Im Gegenteil – die Welt in dem Dorf ist hart. Hart die Erziehungsmethoden – die Mutter versohlt Michele ganz ordentlich, effektiver als ein Mann. Zugleich aber liebt sie ihn und verteidigt ihn mit Tritten und Fausthieben gegen jegliche Angriffe. Den Vater liebt Michele vielleicht noch mehr, wohl weil er nicht allzu oft zu Hause ist. Kehrt er von seinen langen Fahrten mit dem Lastwagen zurück, wird er stürmisch begrüßt, besonders von Maria, der um fünf Jahre jüngeren Schwester.

Obwohl Michele sich oft über sie ärgert, weil sie ihm wie ein Hündchen überall nachfolgt, beschützt er sie dennoch. So beginnt der Roman: Michele sorgt sich um Maria, als sie ihm irgendein Wehwechen vorjammert. Obwohl er weiß, dass sie nur Theater macht, klinkt er sich aus dem Spiel mit seinen Freunden aus, verliert auch den ersten Platz im Radwettfahren. Als Barbara, ebenfalls eine nicht gewollte Mitgespielin, vom Anführer Totenkopf dazu verurteilt wird, ihre Hose runterzulassen und ihre Vagina zu zeigen, macht Michele sich erbötig, an Stelle Barbaras die ausgedachte Strafe auf sich zu nehmen: Er muss auf den Hügel hinauf und in das verfallene Haus hineinklettern, in dem er und keiner von den Freunden noch je waren. Dabei fällt er in ein Erdloch, wo er einen zum Skelett abgemagerten Buben findet. Erschrocken will er fliehen, doch dann merkt er, dass das Skelett lebt, und schon regt sich in ihm sein Mitgefühl. Er verspricht ihm zu helfen.

Warum ich darüber so ausführlich schreibe? Weil schon in den ersten Seiten der Charakter Micheles klar wird: Gerechtigkeitssinn und Mitgefühl für andere sind stark ausgeprägt. Das Ende des spannenden Romans ist spiegelbildich zum Anfang komponiert: Er wird unter hohem Risiko diesen Jungen vor dem Tod retten.

Wunderbar baut Ammaniti die Handlung in die Landschaft und das Wettergeschehen ein. „Alles war mit Korn bedeckt. Die niedrigen Hügel folgten aufeinander wie Wellen eines goldenen Ozeans. Bis zum Horizont nur Korn, Himmel, Grillen, Sonne und Hitze.“ (S 10) Das ist nicht die Sprache des Kindes, sondern die des Erzählers, der sich erinnert. Wie die beiden Sprachebenen fast unmerklich ineinander fließen, das ist große Sprachkunst. Die alles verbrennende Sonne raubt den Erwachsenen den Verstand, die Armut treibt sie in das Verbrechen – die Bewohner des Dorfes werden zu Entführern, um von den Eltern Lösegeld zu erpressen. Als die Sonne alle in die Häuser treibt, legt sich bleierne Stille über das Dorf. Doch ein Gewitter entlädt die Spannung – die Bewohner beschließen den im Loch gefangen gehaltenen Buben zu töten, weil die Aussicht auf Lösegeld gleich null ist.

Anfang der 70er bis in die 90er Jahre wurden in Italien Kinder reicher Eltern, namhafter Politiker gestohlen, um Geld zu erpressen. Diese Verbrechen gingen nicht immer zu Lasten der Brigate Rosse, sondern geschahen oft aus bitterster Armut heraus. Sardinien war damals trauriger Vorreiter in Sachen Entführung. Wohl aus diesen Erinnerungen heraus schrieb Ammaniti diesen Roman.

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Serena Dandini, Die Frau in Hitlers Badewanne

Aus dem Italienischen von Franziska Kristen. btb

Was für eine vertane Chance! Eine interessante Frau mit einem aufregenden Leben hätte eine tolle Biografie oder einen ebensolchen Roman verdient. Aber das Buch ist weder noch. Durch Zeitsprünge und langweilige Anhäufungen von Namen, von denen bis auf Man Ray, Picasso, Breton und Max Ernst die anderen ziemlich unbekannt sind, verliert das Buch an Spannung. Außerdem spricht mitten im Text die Autorin über ihre Gefühle, wenn sie die Fotos ihrer Protagonistin ansieht. Was völlig deplaziert wirkt und ebenfalls den Lesefluss stört. Wenn sie die Protagonistin immer mit dem Attribut „die schönste Frau der Welt“ oder Ähnlichem versieht, so wirkt das aufgesetzt und ein wenig einfältig. Warum gibt es kein einziges Foto von Lee Miller? Eine Biografie über eine Fotografin ohne Fotos!?

Lee Miller ist die Frau in Hitllers Badewanne. Auf dem Cover ist eine Frau zu sehen, die in einer Badewanne sitzt und sich dabei selbst fotografiert. Sie ist auf ihrer Fotorecherche durch die Gräuel des Nachkriegsdeutschland und der Konzentrationslager am Ende in der Wohnung Hitlers gelandet und fragt sich entsetzt und verstört, wie so ein Monster so bieder wohnen konnte. Wie um den Mythos Hitler zu zerstören, lässt sie sich in seiner Badewanne nackt fotografieren.

Der Roman/ die Biografie beginnt mit dieser Szene. Dann springt die Autorin in die Kindheit Lees zurück. Elizabeth „Lee“ Miller wurde 1907 in Poughkeepsie , USA geboren. Früh schon lernte sie für ihren Vater als Fotomodell zu posieren. Sehr jung wurde sie zu einem best bezahlten Fotomodell der Vogue. Sie genießt das Party- und flirrende Liebesleben, wechselt ihre Liebhaber, langweilt sich rasch, beschließt die Seite zu wechseln: Sie reist nach Paris und wird zunächst Assistentin, dann Partnerin und Liebhaberin von Man Rey. Von ihm lernt sie die Kunst der Fotografie. Wechselt Liebhaber ohne mit der Wimper zu zucken, heiratet einen reichen Ägypter, bei dem sie sich auch sehr bald langweilt. Wieder in Paris bewegt sie sich im Surrealistenkreis um Breton und fotografiert die Künstlerszene. Im 2. Weltkrieg ist sie eine der wenigen weiblichen Kriegsberichterstatterinnen. Man gewinnt mehr und mehr den Eindruck, dass Lee Miller ihr Leben verbrennt. Aus Langeweile. Die jedoch schlagartig nach den entsetzlichen Eindrücken in Dachau in tiefe Depressionen umschlägt. Ihre letzten Lebensjahre verbringt sie in England, heiratet Roland Penrose, bekommt einen Sohn. All dies lässt sie aber im Inneren kalt. „Der Schritt von der atemberaubenden, schönen Muse zur armen, alten Irre ist nicht allzugroß“ konstatiert die Autorin (S255) Lee Miller -Penrose stirbt 1977 an Krebs. Verhärmt und in tiefer Depression.

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Daniel Gascón, Der Hipster von der traurigen Gestalt.

Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Verlag Antje Kunstmann

Enrique ist ein politischer Naivling. In Madrid zieht er gegen alle und alles, politisch links oder rechts los. Aber irgendwann hat er von all dem Gerede die Nase voll und zieht aufs Land, ins Dorf Canada in der Provinz Teruel. Er will, weil er brav das Buch von Molino, Das leere Spanien studiert hat, das Dorf wieder beleben. Der Hahn kräht, Kirchenglocken,Traktor und Motorpflug sind für ihn Musik der ländlichen Idylle. Seine Tante, die ihn wegen seiner für sie meist unverständlichen Rhetorik bewundert, melkt für das verwöhnte Stadtbubi, der natürlich kein Fleisch isst, täglich das Schaf. Denn Enrique trinkt nur Schafsmilch. Er fühlt sich rundum wohl und beschließt bald, den hinterwäldlerischen Bewohnern auf die Sprünge in die moderne Welt zu helfen. So gründet er unter anderem einen Workshop zur neuen Männlichkeit, zu dem allerdings alle Männer fernbleiben. Nur seine Tante und deren Freundin sind anwesend. Ein glatter Erfolg für Enrique! Ohne dass er es merkt, hebeln die Dorfbewohner ohne Bosheit , einfach, weil es sich so ergibt, all seine Bemühungen aus. Ja, mehr noch, er wird bald einer von Ihnen. Die Rettung des leeren Spaniens wird auf später verschoben. Als er dann noch zum Bürgermeister gewählt wird, ändert er zwar nichts im Dorf, seine hochfliegenden Pläne formuliert er weiterhin in der absurden Sprache der verdrehten Welt. Dennoch geht im Dorf was weiter, – ein Filmcrew meldet sich an. Bald geht es drunter und drüber und man weiß als Leser nicht mehr so recht, wer außer Enrique noch Don Quijote ist. Es scheint, dass der Don-Quijotismus per se erfolgreich ist.

Ein Schelmenroman, in dem alle Ideen unserer Gegenwart, wie Nachhaltigkeit, Klimawandel, Feminismus und vieles mehr, mit viel Humor und geistreicher Ironie ad absurdum geführt werden.

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Erika Schellenberger: Alles behalten für immer – Ruth Rilke. Verlag Ebersbach & Simon

Der Titel ist ein Zitat aus Rilkes neunter Elegie

Erika Schellenberg hat viel recherchiert, um Ruth Rilke, die Tochter des hochverehrten Dichters Rilke, zu Ehren kommen zu lassen. Sie hat es auch verdient. Denn bisher stand Ruth Rilke immer im übergroßen Schatten ihres Vaters. Wenige wussten überhaupt, dass Rilke eine Tochter hatte.

Rilke heiratete 1901 die Bildhauerin Clara Westhoff, die er im Jahre im Künstlerdorf Worpswede kennengelernt hatte. Ruth wurde im Dezember 1901 geboren. Aber schon bald verließ Rilke Ehefrau und Tochter, weil es ihn in der Welt herumtrieb. Der Kontakt zu seiner Familie blieb jedoch aufrecht. Immer wieder besuchte er Clara und Ruth, die nur wenige, aber ihr sehr kostbare Erinnerungen an ihren Vater hatte.

Das Archiv zu bewahren und zu ordnen wird Ruths Lebensaufgabe. Außerdem betreibt sie die Herausgabe der Rilkewerke in dem renommieren Inselverlag. Sie heiratet nach dem Tod ihres ersten Mannes Willy Fritzsche, der ihr bei der Renovierung des ehemaligen Atelierhauses ihrer Mutter hilft. Ruth wird sich bis zu ihrem Tod 1972 mit dem Nachlass ihres Vaters beschäftigen.

Dass die Autorin fleißig recherchiert hat, steht außer Zweifel. Leider erschweren Zeitsprünge den Lesefluss. Eine „klassische“ Biografie, die sich an den Lebensablauf hält, wäre erhellender gewesen!

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Niccolò Ammaniti: Intimleben. Eiseleverlag

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

Zunächst einmal ein Kompliment an die Übersetzerin. Denn leicht zu übersetzen ist die „verfickte Intelligenzia- und Bourgoissprache“ nicht, die der Autor seinen Protagonisten zuschreibt. Da wird ordinärster „schicker“ Jargon angewendet, und an so manchen Stellen kommt auch die versierte Übersetzerin an ihre Grenzen. Denn Ammaniti beschreibt ausführlich das sexuelle Intimleben – es geht um zwei Pornofilme – und von dem ausgehend beleuchtet er das seelische Intimleben der Protagonistin. Klug und scharfsinnig, spannend geschrieben!

Maria Cristina gilt als die schönste Frau der Welt. Auf den Titel könnte sie gerne verzichten, wäre sie nicht Gattin und mediales Aushängeschild des italienschen Ministerpräsidenten. Als diese wird ihr Leben von ihrer medialen Wirkung bestimmt, und jeder Schritt und jedes Wort sorgfältig von einem Spindoctor geplant. Nun soll sie, was sie noch nie getan hat, ein Fernsehinterview geben – man hofft, dass dadurch die sinkenden UMfragewerte ihres Mannes steigen. Widerwillig nimmt sie an, und hat fortan nur mehr Angst davor. Unversehens begegnet sie einem Jugendfreund. Lebemann Nicola Sarti ist reich, besitzt mehrere Hotels. Sie hatten Jahre keinen Kontakt. Nun schickt er ihr Bilder aus dem Segelturn, den Nicola, Cristina und ihr Bruder gemeinsam in ihrer Jugend unternommen hatten. Dabei drehten Nicola und Cristina aus jugendlichem Übermut ein Pornovideo. Als er ihr dieses ebenfalls sendet, hat sie Angst, er könnte sie erpressen. Und es sieht auch alles danach aus. Mehr sei hier nicht verraten!

Ammaniti ist einer der erfolgreichsten Autoren Italiens. In diesem Roman entlarvt er das Leben der Reichen und Mächtigen, das von Intrigen und den Medien bestimmt ist. Wer sich diesem Imperialismus untwerwirft, verliert seine Seele, sein Intimleben. Durch die bewusst eingesetzte rohe Sprache charakterisiert er diese Gesellschaftsschicht sehr deutlich.

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Susanne Wiborg, Der glückliche Horizont.

Untertitel: Was uns Landschaft bedeutet

Verlag Antje Kunstmann

In dem klugen Vorwort schreibt Susanne Wiborg: „Über Jahrhunderte blieb diese Verbindung (zwischen Mensch und Landschaft) eng und gut dokumentiert, erst mit dem Kulturbruch des Ersten Weltkrieges riss die Kontinuität ab. Plötzlich kamen Landschaft und Natur zugunsten des Urbanen aus der Mode.“ (S 8)

Erst der Tourismus, jetzt der Overtourismus, und die Gefährdung der Natur und Landschaft durch Umweltverschmutzung und Klimawandel rücken die Landschaft wieder in den Fokus der schreibenden Zunft. Man sieht die Gefährdung: die Landschaft dient als Verdienstvehikel – Berge werden mit Aufstiegshilfen zu Massenzielen, Wälder durch Bikes zu Rennstrecken etc..

Doch Susanne Wiborg ist zuversichtlich: Noch hat „die Landschaft ihre Seele nicht verloren“. In den literarischen Texten sucht sie nach Beweisen ihrer Zuversicht, zitiert Zuckmayers und vieler anderer Autoren Begeisterung für die Berge. Insgesamt ist das Buch ein umfassendes Zitatenwerk über alles, was Landschaft ausmacht: Berge, Fluss, Meer, Wiese, Wald, Heide.

Das Quellenverzeichnis am Ende ist ausführlich und hilfreich für alle, die nach brauchbaren Zitaten zum Thema Landschaft suchen.

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Benedict Wells, Becks letzter Sommer. Diogenes

„Es sind Gespräche, die das Leben als lieblosen Unfug enttarnen“, schreibt Benedict Wells mitten im Roman. Aber eher sind es die Aktionen, die der Mensch/der Protagonist und die weiteren Figuren in diesem Roman setzen und das „Leben als lieblosen Unfug“ entlarven. Alles hängt von den Momenten ab, die unvorhersehbar sind. Aus solchen drechselt der Autor seinen Roman, der nicht sein erster, wie es allgemein heißt, sondern sein zweiter ist.

Benedict Wells spielt in diesem Roman das Mozart-Salieri Thema durch: Der genialisch Begabte gegen Mittelmaß. Eine Spannungsbogen, der bis zum Schluss den Plot trägt. Dazu kommt Wells großes Thema, das er in den späteren Romanen („Vom Ende der Einsamkeit“) mit großer Virtuosität durchspielt: die Liebe. oder hier eher: die Unfähigkeit zu lieben.

Beck ist um die 40, widerwillig Musik- und Deutschlehrer an einem Gymnasium. Er hat die Nase voll von seinem Job, aber er hat keine Alternative. Früher spielte er in einer Band, mittelmäßig, mit mäßigem Erfolg. Das Mittelmaß verfolgt ihn, lässt ihn mit dem Leben unzufrieden werden. Der Schüler Rauli Kantas aus Litauen hat musikalisches Genie im Übermaß. Beck träumt davon, ihn zu managen und groß herauszubringen. Doch auch dieser Traum platzt – Beck wird aus dem Vertrag ausgeschlossen.

Angereichert ist dieser „Antientwicklungsroman“ – denn Beck ist am Ende der, der er immer war: ein mittelmäßiger Musiker, nur mit dem Unterschied, dass er resignierend einsieht: den großen, genialischen Einfall wird er nie haben – angereichert also mit Texten aus der Rock- und Popmusik, besonders von Bob Dylan. Sein bester Freund Charlie, ein Schwarzer mit Macken und durchgeknallten Visionen, will unbedingt seine Mutter in Istanbul besuchen. Dass er unter der Karosserie Drogenpäckchen versteckt hält, die er in die Türkei schmuggeln soll, erfährt Beck erst während der Fahrt, an der auch Rauli teilnimmt. Weil Charlie das Geld für die Drogen im Alleingang kassieren will, wird ihm von den Drogengangstern ein Finger abgehackt. Nach Kurzaufenthalt in Istanbul geht die Reise zurück, Charlie stürzt mit dem Flugzeug ab, Rauli startet seine große Karriere, wird drogenabhängig und ziemlich unglücklich. Beck kündigt in der Schule, siedelt in ein kleines Dorf in Süditalien und findet dort ein wenig Frieden. Bis ihn Rauli, nun gefeierter Star, Weiber- und Gitarreheld, besucht. Beiden wird bewusst, dass das Leben nur „ein sinnloser Unfug“ ist. Rauli haut bei Nacht und Nebel mit Becks Lieblingskatze ab und hinterlässt als Geschenk seinen größten, unveröffentlichten Hit. Was Beck damit machen wird, bleibt offen.

Mag schon sein, dass Benedict Wells zu viele Motive auf einmal hineinpackte: Drogen, Musikkarriere, Freundschaft, Verlustängste und dazu noch zwischendrin eine Autorenfigur, die Beck nach seiner Vergangenheit ausfragt. Alles ein bisserl zu viel, dennoch aber ein spannender Roman.

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Anne Rabe: Die Möglichkeit von Glück. Klett-Cotta

Stine ist gerade drei Jahre alt, als die Mauer fällt. Sie fühlt sich als Kind der DDR, ihre Familie allerdings schweigt über diese Zeit. So kramt die heranwachsende Stine in Fotoalben, Zetteln, Notizbüchern und in ihren eigenen ERinnerungen, um mehr über die Vergangenheit und die Verstrickungen ihrer Familie im System zu erfahren. Was die Autorin da an Protagonisten auffahren lässt, kennt man eigentlich schon hinlänglich aus diversen Familien-bzw Geschichtsromanen aus der DDR-Zeit: Der über alles geliebte Großvater – eine in diesem Literaturgenre sehr beliebte und oft verwendete Person -, der fest überzeugt ist vom System und dem DDR-Staat. Die strenge, finstere Großmutter , die auf den Fotos einst ein lustiges, fesches Mädl war, das herzlich lachen konnte. Wie ist sie zu der alten Vergrämten, Versteinerten geworden? Die Mutter haut die Kinder, sie haben Angst vor ihr. Das ist gut so,denn sie sollen vor allem eins lernen: gehorchen. Als Stine eigene Kinder hat, sind Schläge ganz und gar verboten! Dann sind da so seltsame Erinnerungen an Nazis, zuerst verdeckt, dann offen, an Kindereziehungslager, an Stasiakten – kurz, das ganze DDR-Programm. Das Lesen wird durch nicht deutlich gemachte Zeitensprünge, erschwert. Aber in Summe ist das Buch für alle, die von der DDRvergangenheit nicht genug lesen können, empfehlenswert.

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Sibylle Grimbert, der letzte seiner art. Eisele Verlag

Aus dem Französischen von Sabine Schwenk

Sibylle Grimbert lässt den Leser hautnah miterleben, wie es sich anspürt, wenn eine Species ausstirbt. Wenn wir in den Medien vom Artensterben lesen oder hören, sind wir kurz betroffen, aber gleich darauf wenden wir uns dem Alltag zu. Anders im Roman Grimberts: Wir wissen, „es“, dieses Tier ist „der Letzte seiner Art“ und es wird nach ihm keinen Riesenalk mehr geben. Indem die Autorin dieses Aussterben eines seltenen und einmaligen Tieres einen ebenso seltenen, viele würden sagen: seltsamen Menschen erleben lässt, beteiligt sie uns „direkt am Geschehen“. Keine Doku, aber auch keine „Betroffenheitsliteratur“. Sondern:

Es geht um den Riesenalk. – „Nie gehört“, sagen viele. Ja klar, denn er und seine Artgenossen sind Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestorben. Erschlagen von Menschen, die alles von dem Vogel verkauften, Federn, Schnabel, Fleisch. Der circa 85cm große Vogel hatte zwar Flügel, konnte aber nicht fliegen. Dafür gut schwimmen. Dennoch war er auch für Eisbären und Orca eine leichte Beute.

1835 landet der französische Zoologe Gus mit einer Fischfangflotte auf einer kleinen Insel vor Island und wird Zeuge, wie systematisch alle Riesenalks, die dort friedlich lebten, von den Matrosen erschlagen werden. Ein Riesenalk verfängt sich im Netz und Gus rettet ihn. Er beschließt ihn zu behalten, um ihn zu studieren und ihn, wenn er von seinen Wunden und dem Schock geheilt sein wird, nach Lille ins zoologische Museum zu schicken. Doch mit der Zeit wird der Vogel ihm vertraut, er gibt ihm den Namen Prosp. Immer wieder zeichnet er ihn, sein schönes Gefieder, seinen Riesenschnabel. Aus dem verschreckten Vogel wird bald ein Wesen, das zu Gus Vertrauen fasst. Die Jahre vergehen, Gus heiratet und wird Vater zweier Kinder. Prosp wird zum Familienmitglied. Doch immer nagt an Gus die Frage, ob es für Prosp nicht doch noch ein Leben unter Seinesgleichen geben könnte. Alles Suchen und Fragen ist vergeblich – Prosp ist und bleibt der Letzte seiner Art. Gus wird immer mehr zum Eigenbrötler, zieht von Frau und Familie weg in die einsamste Ecke Nordislands, baut eine Hütte und lebt nur mit und für Prosp. Wieder vergehen Jahre, Gus wird alt und krank. Eines Tages verlässt Prosp ihn, taucht ein in die Wellen des Meeres und kehrt nicht mehr zurück. Gus sendet ihm einen Abschiedgruß nach. Später besteigt er ein Schiff, das ihn zu seiner Familie zurückbringt.

Die Autorin betont, dass die Geschichte von der Freundschaft zwischen einem Menschen und einem Riesenalk erfunden ist, basierend auf vielen Fakten der Forschung. Faszinierend werden wir Zeugen, wie sich Mensch und Tier einander annähern, gegenseitig Gewohnheiten übernehmen, bis so etwas wie Freundschaft entsteht. Umso intensiver trifft uns dann der Abschied, das Wissen, er ist der Letzte seiner Art. Ohne das Tier zu vermenschlichen, beschreibt Sibylle Grimbert sein Wesen, seine Vorlieben, seine Gefühle, die Zutraulichkeit, die Verletzlichkeit. Am Ende ist nicht irgendein Vogel ausgestorben, sondern ein Tier namens Prosp mit all seinen Eigenschaften, die wir kennenlernen und lieben durften.

Für diesen Roman wurde Sibylle Grimbert mit dem Prix Goncourt des animaux ausgezeichnet.

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Eine Schurkengeschichte. Aus dem argentinischen Spanisch von Erich Hackl

Ich nenne das Buch nicht „Roman“, wie esauf der Rückseite des Covers betitelt wird, sondern fiktive Biografie. „Fiktiv“ deswegen, weil der Erzähler oder die Figur, die die einzelnen Kapiteln zusammengestellt hat, ein vom Autor ersonnener Journalist ist, der sich verpflichtet fühlt, die Fakten über Fritz Mandl zusammenzutragen und aufzuschreiben. Dabei mischt sich Erdachtes mit Wahrem, was den Leser -also mich – des öfteren verwirrt hat.

In jedem Kapitel lässt der Autor eine Person reden, die mit Mandl zu tun hatte. Die Begegnungen gehen kreuz und quer von Europa über Frankreich bis Argentinien, die zeitliche Abfolge vernachlässigend.

Der Jude Fritz Mandl war im 2. Weltkrieg eine schillernde Persönlichkeit und zählte zu den Reichsten des Landes. In seiner Fabrik in Hirtenberg im Süden Wiens wurden Waffen und Muntion erzeugt, die Mandl an alle Länder und Potentaten, die daran interessiert waren, lieferte. Obwohl befreundet mit allen politischen Playern des Zweiten WEltkrieges, insbesonders mit Mussolini und Graf Starhemberg, wurde er von den Nazis enteignet, hatte aber seine Schäfchen schon längst im Ausland ins Trockene gebracht. Über Frankreich emigirierte er nach Buenos Aires, wo er mit Peron eng befreundet war. Den Argentiniern gaukelte er vor, eine eigene Waffenfabrik errichten zu wollen, was er aber nie realisierte.

In seinem Privatleben haben Frauen eine große Rolle gespielt. Zu allgemeiner Bekannheit hat es die Ehe mit Hedy Lamarr gebracht. Sie floh ja bei Nacht und Nebel aus den ehelichen Fesseln nach Amerika, wo sie schnell als Schauspielerin Karriere machte.

Fritz Mandl war eine schillernde Persönlicheit, wusste sein Vis à Vis von seinen kühnen Plänen zu überzeugen, auch wenn sie sich meist in Schall und Rauch auflösten. Aber Mandl wäre nicht der geworden, der er war – ein charmanter Schurke – wenn seine Partner/Gegner nicht alle mitgespielt hätten. Mitgespielt, weil sie sich von Mandl enormen Profit erhofften. Mandl spielte gekonnt und klug auf dem menschlichen Klavier der Gier, der Gier nach Macht und Geld.

Schade nur, dass sich Eduardo Pogoriles nicht zu einer klaren Struktur und einem geordneten Erzählablauf durchringen konnte. So aber kämpft sich der Leser durch Nebel und verwischte Konturen durch, ohne wirklich zu einm klaren Bild zu kommen.

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Jochen Gutsch und Maxim Leo: Frankie. Penguin Verlag

Ich weiß ein Remediumbuch, das mich nach der Lektüre von Edelbauers Flüssigem Land (s. den Beitrag auf meiner Webseite) wieder ins „Equilibrium“ bringt – auf gut Deutsch: Nach der Lektüre von Edelbauers „Flüssigem Land“ brauchte ich ein Buch, das mich die Anstrengung vergessen lässt – und das ist: „Frankie“, die Geschichte eines ziemlich ramponierten Dorfkaters, der am großen Misthaufen unter einer ausrangierten Badewanne sein Leben fristet. Das ändert sich, als er am „verlassenen Haus“ vorbeistreicht. Da werkt zu Frankies Üverraschung ein Mensch drin, „der mit einem Faden spielt, der von der Decke hängt“. Dem Leser wird gleich klar, der Mensch will sich erhängen. Aber es kommt ihm Frankie dazwischen, der „Menschisch besser als Katzisch“ spricht und überhaupt ein überaus Schlauer ist. Wie sich die Freundschaft zwischen dem Menschen, der sich Gold nennt. und Frankie entwickelt, ist einfach klug, witzig und auch ein wenig philosophisch beschrieben. Ein Buch zum Gernhaben!!!

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Als ich den Roman endlich zu Ende gelesen hatte, brauchte ich ein flüssiges Buch, das mich ins literarische „Equilibrium“ wieder zurückstimmt. Equilibrium ist eines der vielen gestelzten Ausdrücke, die die Autorin gerne verwendet. Überhaupt lässt sie den Leser gerne ratlos zurück, ratlos, weil er nicht so recht weiß, was das Buch soll. Anspielungen an literarische Vorbilder gibt es genug, und jeder wird sie leicht orten: Homer, Odyssee: Die Protagonistin Ruth Schwarz irrt in Österreich umher, vom Wecheselgebirge ins Kamptal und zurück. Sie kommt einfach nicht an, wie einst Odysseues. Und als sie endlich ankommt, ist alles nicht so , wie es sein soll. Da beginnen die nächsten Literaturschnitzelvorbilder durchzuschimmern: Eva Menassse, Dunkelblum und Elfriede Jelinek: Rechnitz. Es gibt ein Loch, wo einst im 2. Weltkrieg Zwangsarbeiter/Juden verhineingeworfen wurden. Das Dorf hat ein Schloss – Kafka lässt grüßen! Dort throhnt eine Gräfin, die alles in der Hand hat. Doch sie ist keine echte Gräfin, eigentlich sind alle nicht wirklich, nicht das, was sie vorgeben. Somit haben wir es also auch mit der in der jüngsten Literatur schon ein wenig abgenützten Frage nach der Identität zu tun. Dass alle Bewohner das Loch verschweigen, es nicht wahrnehmen wollen, nach dem Motto, was ich verschweige, das gibt es nicht, ist auch schon ewig den Österreichern nachgesagt worden. Warum eigentlich nur den Östereichern.? „Lustig, witzig, unterhaltsam“ soll das Buch sein – es hat ja auch Preise bekommen, die bekommt niemand von nix – , aber ich möchte gerne wissen, wer bei der Lektüre gelacht oder auch nur geschnmunzelt hat.

Bitte ein „Equilibrium-Buch“!!! Wer kann mir eines empfehlen? Ich glaube, ich habe schon eines gefunden. WElches das ist, verrate ich in meinem nächsten Beitrag.

Anthony McCarten: GOING ZERO. Diogenes Verlag

Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf Allié

McCarten gelang wieder einmal ein Thriller von brennender Aktualität. Er weckt uns Naivlinge aus den süßen Träumen der analogen Welt auf und zeigt uns, was heute digital und sonst noch irgendwie künstlich alles möglich ist. Mit dem Fazit, dass der Leser am Ende erkennen muss: Was sind wir doch alle zusammen für Naivlinge, wenn wir an den Datenschutz glauben. Wenn wir meinen, wir sind auf der sicheren Seite, können nicht ausspioniert werden. Von wegen! Auch wer keinen Computer anrührt, kein Smartphon verwendet, ist für diejenigen, die im Netz die Macht haben, ein zur Gänze durchleuchteter Mensch, Wer denkt: „Ach Gott, die armen Chinesen, die sind ja total kontrolliert“ und meint, er selber sei vor allen Nachstellugen staatlicher und sonstiger Mächte geschützt, der IRRT!!

Cy Baxter, ein in der Welt von Silicon Valley Vertrauter, reich geworden durch digitale Machenschaften, lanziert den Superdeal seines Lebens: Er möchte beweisen, dass seinem Überwachungssystem keiner entkommt, und sei er noch so gefinkelt. Zehn Personen haben sich für den Test gemeldet: Sie sollen für 30 Tage versuchen, unauffindbar zu sein. Gelingt es den Leuten von Cy Baxter, alle zehn innerhalb der Zeit zu orten und zu stellen, dann geht der Deal auf und er kann mit der CIA fusionieren und somit ein unumschränkte Überwachungsimperium errichten. Schnell sind die ersten neun gefasst, bleibt nur noch eine Person: Kaitlyn Day, eine Bibliothekarin. Sie sollte kein Problem darstellen, da sie ganz offensichtlich noch in der analogen Welt lebt. Doch sie lehrt Cy Baxter das Fürchten, entkommt intelligent und flink allen Versuchen, sie zu fassen. Gegen Ende bekommt der Thriller noch eine neue, überraschende Wendung.

Das Buch ist die ersten hundert Seiten ziemlich technisch und langweilt. Wen aber diese technischen Details nicht interessieren, kann leicht darüber hinweglesen und steigt dann voll und ganz so ab Seite 80 ein. Dann wird das Buch niemand mehr weglegen. Die Frage, die Mc Carten in dem Buch stellt, ist aktueller denn je: Wie weit darf die Überwachung des Bürgers unter dem Mäntelchen der Sicherheit gehen? Darf der Staat dem Bürger seine individuelle Freiheit nehmen, immer unter dem Vorwand, diesen vor möglichen Anschlägen zu schützen? Sind wir, Ottonormalverbraucher schon so an das „Sicherheitsdenken“ gewöhnt worden, dass uns unsere individuelle Freiheit nichts mehr wert ist? Solche und ähnliche Fragen stellt der Autor, die Antwort sollte sich der Leser geben.

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Mike Markart: Venezianische Spaziergänge. Edition Keiper

Mike Markart wohnt in Venedig, schreibt und spaziert durch Venedig, macht ungeschönte, interessante Schwarzweiß-Fotos, trinkt gerne eine Ombra oder auch einen guten Wein. Seine „Erzählungen“ sind Impressionen, die er am Weg mitnimmt – also kein „Reiseführer“. Wohl kann man den ein oder anderen Tipp finden, z.B. über die Gondelwerft „Tramontin“ , die am Ponte Sartorio liegt. Oder den „Campo Santa Marherita“, den von der Jugend bevölkerten Platz.

Allerdings: Die Angaben sind wahrscheinlich absichtlich vage gehalten, damit eben nicht allzu viele Touristen den Hinweisen nachgehen. Denn Markart ist ein Eigenbrötler, der sich nicht gerne unter die Menge mischt, wie alle, die noch in Venedig sesshaft sind. Das werden immer weniger. Hoffentlich bleibt der Autor und schreibt weiter über den Zauber der Stadt.

Die „Veneziaischen Spaziergänge“ lesen sich wie ein Skizzenbuch – man glaubt manche Orte zu erkennen, aber die Linien bleiben verschwommen, nur leicht hingehaucht. Sie versetzen den Leser in eine träumerische Stimmung, wie Venedig im Nebel, so sind die Erzählungen: Über allen liegt ein leichter Schleier des Unscharfen.

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Christine Fischer: Glüscksorte in Dresden. Droste Verlag

Untertitel: Fahr hin & werd glücklich

Genau 80 Tipps mit hübschen Fotos und einem sehr persönlichen Text. Man merkt, die Autorin kennt und liebt ihre Stadt. In der großen Auswahl findet jeder einige Tipps für sich. Mir persönlich gefielen folgende Tipps: 33, Der Kulturpalast. Von außen – Architektur aus der Vorzeit, also nicht sehr ansprechend. Aber innen – tolle Akustik, super Musikprogramm. 27 – Die Brühlsche Terrasse – die findet man zwar in jedem Reiseführer, aber dennoch: Das Café lockt mit herrlicher Aussicht, Kuchen und Kaffee vom Feinsten und vor allem mit einem äußerst freundlichen Personal! 67 – Die Parkeisenbahndurch den „Großen Garten“- ich stieg gleich bei der ersten Station aus, um im zauberhaften Café mit Blick auf den Park den Abend ausklingen zu lassen. Ganz besonders gefiel es mir in der Kunsthofpassage in der Neustadt (Tipp 72) – jung, verrückt und super !!! Ein großes Lob auch den diversen Fotografen!

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Martin Suter, Melody. Diogenes

“ Der kanns halt“, meint die Bibliothekarin, mit der ich gerne einen Plausch über Neuerscheinungen abhalte. Und macht dazu eine Handbewegung, die so zwischen Bewunderung und „wissen wir eh“ wedelt.

Ja, Martin Suter kanns wirklich, auch wenn er immer wieder aus demselben Personentopf schöpft: Da ist ein immens Reicher, alt, aber noch klar im Kopf. Da ist viel Geld, viel Korruption – ach, dazu sagt man eleganter „Einflussnahme“. Da ist ein armer, brotloser Jungjurist und da ist eine schöne, geheimnisvolle Frau. Und eine Superköchin darf nicht fehlen, die die feinsten italienischen Gerichte serviert. Man meint, das kennt man doch schon alles, dann aber doch nicht ganz, denn Suter lässt sich nicht so leicht in die Karten schauen.

Der Plot entwickelt sich wie die russische Puppe: Die Außenpuppe: Der reiche Nationalrat in Ruhestand. Dr. Stotz stellt den jungen Tom Elmer an, der seinen Nachlass ordnen soll. Zweite Puppe: Eine geheimnisvolle Schöne. Sie ist lange schon tot oder verschwunden, war die Braut von Dr. Stotz. Dritte Puppe: Elmer und die Nichte von Dr. Stotz schälen ein Geheimnis nach dem anderen heraus. – Rauskommt: Die vierte und fünfte und sechste Puppe – immer Dr. Stotz, der nicht der ist, als der er in der Gesellschaft gilt. Die Doppelgesichtigkeit, die Doppelperson – ein häufiges Thema in der Literatur, besonders in der Schweiz – Max Frisch, auch Dürrenmatt. Bei Suter ist es die Freude am Vexierspiel, die Freude, den Leser auf Spannung zu halten. Was ihm ja immer wieder gelingt. Und die Freude an der Kritik der superreichen und supersatten Gesellschaft, der Politiker und derer , die sichs richten. Auch in diesem Roman. Mehr sei hier nicht verraten.

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Virginia Hartmann, Tochter des Marschlandes

Aus dem Amerikanischen von Frauke Brodd. Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe

Ihrem Vater verdankt Loni Mae die Liebe zur Natur. Sie erfährt alles über das Leben der Tiere im Marschland Floridas, insbesonders interessiert sie sich für Vögel, die sie perfekt zu zeichnen lernt. Als ihr Vater eines Tages vom Fischen nicht mehr heimkehrt, heißt es, es wäre ein Unfall gewesen. Nach dem Tod des Vaters beschließt Loni Mae nach Washington D.C. zu ziehen, wo sie eine interessante Stelle im Smithsonian Institut bekommt. Sie ist dort glücklich, zeichnet Vögel und hat Freundinnen. Doch eines Tages ruft sie ihr Bruder dringend nach Hause zurück, da die Mutter im Altersheim liegt und unter schwerer Demenz leidet. Er hat das Elternhaus verkauft, um damit das Heim für die Mutter zu finanzieren. Was für Loni Mae als Kurzaufenthalt beginnt, dehnt sich in die Länge. Immer mehr beunruhigt sie der Gedanke, dass der Tod des Vatters kein Unfall war, sondern Mord. Und sie macht sich auf die Suche nach Beweisen.

Klingt, wie ein guter Krimi. Aber eigentlich erwartete sich der Leser etwas anderes – anglelockt durch den Titel, der an den tollen Roman von Delia Owens, Der Gesang der Flusskrebse erinnert. Doch leider hält der Titel nicht, was er verspricht. Viele Seiten kämpft sich der Leser durch Banalitäten, wie Umzugskartons, Streitigkeiten mit Bruder und Schwägerin, Grillparty – und irgendwann legt er das Buch weg.

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Robert Seethaler: Das Café ohne Namen. Claassen bei Ullstein Buchverlage

Im bis zum letzten Platz ausverkauften Theater in der Josefstadt las Robert Seethaler aus seinem neuen Roman „Das Café ohne Namen“. Die Moderatorin Katja Gasser führte humorvoll durch den Abend. Gleich zu Beginn korrigierte Robert Seethaler sie, als sie von „Figuren“ des Romans sprach: „Es sind Menschen aus Fleisch und Blut, über die ich schreibe. Figuren sind mir zu abstrakt.“ Wie wahr ist es, wenn Seethaler diesen Ausdruck für die Menschen, die im Café, rund um den Karmelitermarkt und Prater leben, ablehnt. Denn immer schon – in all seinen Romanen – zeichnet Seethaler Menschen aus Fleisch und Blut. Sie leiden, leben, überleben, lassen sich nicht unterkriegen. Da ist immer jemand, der zuhört, ein Ort, wo man reden, vielleicht auch nur vor sich hin brabbeln kann, ein Bier oder mehr trinken kann, Als Robert Simon – die Namensähnlichkeit mit dem Autor mag kein Zufall sein – 1966 das kleine Café am Karmelitermarkt eröffnet, ist es zu Beginn nicht mehr als eine Wärmestube. Doch bald entwickelt es sich zum Zentrum für alle, die am Markt arbeiten, die rundum wohnen, die Einsamen, die Redebedürftigen. Frauen, die Anschluss suchen, Frauen, die sich zum „Leutausrichten“ regelmäßig treffen. Tausend kleine Bilder entwirft der Autor zu einem Kaleidoskop der Zeit, die ein Aufbruch war und doch für viele kein Weiterkommen bot. „Ich werde beim Schreiben ständig von einer Bilderflut überschüttet“, sagt Seethaler. Ihm sei es wichtig, „die Menschen in seinem Roman mit einer Würde auszustatten“. Die umhüllt jeden einzelnen, auch den hoffnungslosen Preisboxer vom Heumarkt oder die leicht verrückte Frau, die eines Tages auftaucht, trinkt, Unsinn redet, dann plötzlich nicht mehr da ist. Schauplatz ist die Leopoldstadt – und Gott sei Dank lässt Robert Seethaler das Thema Juden und Nazi unberührt. Denn ihm geht es nicht um das sattsam schon abgehandelte Thema der Vergangenheitsaufarbeitung, sondern darum, zu zeigen, welche Kraft und Überlebenswille in den Menschen stecken, auch wenn sie fast schon am Boden liegen und meinen, das Leben endet gleich. Es ist ein Buch voller Zärtlichkeit, Menschlichkeit und Hoffnungswille.

http://www.josefstadt.org und http://www.ullstein.de

Fritz Raddatz: Nizza -mon amour. Arche Verlag

Eine Liebeserklärng an die spröde Schöne des Mittelmeers

…untertitelt der Autor sein Büchlein. Fritz Raddatz (1931-2015) war stellvertretender Leiter des Rohwolt Verlages und Feuilletonchef der ZEIT, schrieb Essays und Romane. Sein Stil und Sicht auf die Stadt Nizza erinneren an Joseph Roth: Feine Beobachtungen, Lob gepaart mit harscher Kritik. Etwa über diverse Architektursünden – wie das Hotel Negresco oder das Museum für moderne Kunst. Seine kritischen Bemerkungen sind ebenso treffend wie die Lobeshymnen. Mit diesem Buch in der Tasche spaziert man mit „kritischem Verstand und Auge“ des Autors bestens ausgerüstet durch die Stadt. Durch seine sehr persönlichen Bemerkungen unterscheidet sich dieses Buch über Nizza wohltuend von den Reiseführern.

http://www.arche-verlag.com

David Hewson, Garten der Engel. Folio Verlag

Aus dem Englischen von Birgit Salzmann

David Hewson ist Italien-, besonders aber Venedigkenner, wo er seit dreißig Jahren lebt. Das Thema „Juden in Venedig unter Mussolinis Herrschaft“ lag lange brach, bis es dieses Jahr gleich durch zwei Autoren aufgegriffen wurde: Edith Schreiber-Wicke schreibt über eine jüdische Sängerin, die vor den Nazis nach Venedig flüchtet, dort aber verschleppt wird – siehe die Besprechung unter „Büchertipps“ – Ihr Schicksal bleibt ungewiss. David Hewsons Buch greift viel tiefer in die Untiefen des Jahres 1943, als die Deutschen in Venedig wie Berserker gegen Juden – egal ob alt oder Baby – vorgingen.

Anlass für David Hewson, dieses Buch zu schreiben, war die Geschichte des Professor Giuseppe Jona. Er war Vorsteher der jüdischen Gemeinde Venedigs und weigerte sich, den Nazis eine Liste aller in Venedig lebenden Juden zu übergeben. Giuseppe Jona beging am 17. September 1943 Selbstmord. Er wurde das Vorbild für den Arzt Diamante in der Geschichte. Die übrigen Figuren sind fiktiv, aber dem tatsächlichen Geschehen des Jahres 1943 angepasst, wie der Autor im Nachwort schreibt.

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen: 1943 und in der Gegenwart, wodurch sich auch zwei ineineander verwobene Erzählstränge ergeben. Im Wesentlichen geht es aber um die Monate September 1943 und später. Der knapp 16-jährige Paolo lebt in Venedig in einem verfallenen Haus mit einigen Webstühlen, hat wenig Kontakt mit der Umwelt, bis eines Tages ein Geschwisterpaar mit vorgehaltenem Messer Einlass begehrt. Es sind von den Nazis gesuchte Partisanen. Der bis dahin von Politik und Weltgeschehen unbeleckte Junge wird nun mit der grausamen Realität konfrontiert: Wie Nazis auf alle Juden und alle, die sich aufmucken, Jagd machen. Menschen werden gefoltert und öffentlich hingerichtet. Der jüdische Arzt Diamante erstellt zwar die Liste der Juden, verbrennt sie jedoch und begeht Selbstmord. In einem infernalischen Akt fangen die Nazischergen alle Personen, die irgendwie nur verdächtig sind, unter anderem den Priester, und erschießen sie.

Es ist ein notwendiges Buch, das schon lange darauf gewartet hatte, geschrieben zu werden. Was Hewson von anderen „Krimiautoren“, unter die er gerne gereiht wird, unterscheidet, ist die differenzierte Sicht auf die Personen: Mitläufer aus Angst, Widerständler aus Wut, solche, die sich freiwillig zu Schergen machen, solche, die mitmachen und dabei versuchen, ihr Fell zu retten, wenn das Naziregime vorbei sein wird. Solche, wie Paolo, der völlig unschuldig in diese infernalische Hetze hineingerät. Solche, wie die Partisanin, deren ungebremste und unreflektierte Wut ihr selbst und Unschuldigen zum Verhängnis wird.

Ein wichtiger Roman, spannend und mit Detailkenntnissen versehen, der unbedingt gelesen werden muss!

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Margret Greiner: MÄDA & MÄDA. Gustav Klimt, die Wiener Werkstätte und die Familie Primavesi

Verlag Kremayr & Scheriau

Sie hat es wieder getan! Margret Greiner hat sich in ihrem neuen Buch wieder auf die Zeit rund um den Maler Gustav Klimt konzentriert. Vorausgegangen sind schon mehrere Bücher über die „Frauen um Gustav Klimt“ :Emilie Flöge, Stonborough-Wittgenstein, Beer-Monti). Nun also galten ihre Recherchen der Familie Primavesi, vor allem Eugenia Primavesi, genannt Mädä, und ihrer Familie, darunter die Tochter Eugenia Gertrude Franziska, ebenfalls Mädä genannt.

Es beginnt recht unterhaltsam: Die gerade einmal 15jährige Eugenia Butschek will Schauspielerin werden. Entsetzen bei der Mutter, Skepsis beim Vater. Wenn sich das Mädchen was vornimmt, dann führt sie es durch. Diese Eigenschaft wird ihr bis ins hohe Alter auch als Eugenia Primavesi erhalten bleiben. Das junge Ding macht Blitzkarriere in Olmütz, wird von dem reichen Unternehmersohn Otto Primavesi verehrt und ziemlich rasch geheiratet. Die Familie Primavesi besitzt eine Zuckerfabrik und ist reich, sehr reich. Eugenia kann nach Lust und Laune Häuser, Villen „bestellen“ und einrichten. Dabei wird sie nicht nur von ihrem Ehemann mit Geld und Verständnis tatkräftig unterstützt, sondern auch von dem Allroundkünstler Anton Hanak und dem Architekt Joseph Hoffmann. Sie setzt sich für deren „Kind“, die Wiener Werkstätte“. ein Gemeinsam mit ihrem Ehemann unterstützt sie diese Kunstrichtung, auch finanziell. Ihr Häuser in Wien und Winkelsdorf werden natürlich nach den strengen Regeln der Wiener Werkstätte eingerichtet und bald zum Zentrum und Zufluchtsort für Gustav Klimt, der auch die beiden Mädä malt (Umschlagbild), den Architekten Joseph Hoffmann und viele andere. Man feiert herrliche Feste bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges hinein. Eugenias Engagement für die Wiener Werkstätte gibt Margrit Greiner Gelegenheit, sehr detailreich diese Kunstrichtung zu schildern. Manchmal etwas zu ausführlich.

Aus verschiedenen Gründen – vor allem aber, weil Eugenia Primavesi als künstlerische Leiterin der Werkstätte sich weigert, eine billige und besser verkäufliche Produktion zu akzeptieren, muss ihr Ehemann , der für die Finanzen zuständig ist, den Konkurs anmelden. Die Ehe wird geschieden, die vier Kinder leben mit der Mutter, werden sich noch in der Nazizeit in alle Welt verstreuen. Tochter Mädä geht nach Kanada, wo sie ein Heim für sozial benachteiligte Kinder gründet und sehr erfolgreich führt. Beide Mädas sterben hochbetagt.

Margret Greiner ist eine versierte Romanbiografie Verfasserin und betreibt vorab intensive Recherchearbeiten, die sie geschickt und oft sehr amüsant in den Text einbaut. Genaue Beobachtung, Menschenkenntnis, gepaart mir Humor und sanfter Ironie sind ihre Stärken. Das Buch ist „lehreich“, ohne belehrend zu wirken.

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Als Kind eines genialen Vaters aufzuwachsen, ist meist eher Last als Lust und Freude. Nur wenige haben es geschafft, über den Schatten des großen Vaters zu springen und eine eigene Karriere aufzubauen, wie etwa die vier Söhne Bachs.

August hatte das Pech, dass er als sensibles Kind nicht die Kraft hatte, sich dem Vater zu widersetzen. Er hätte sicher ohne die Einmischung seines Vaters ein ruhiges, vielleicht auch glückliches Leben geführt. Der Biograf Stephan Oswald zeichnet auf Grund vieler Quellen ein ganz neues Bild von August: Ein Kind, ein junger Mann mit eigenen Interessen und Lebenswünschen. Doch der Vater bestimmt jeden Schritt, der Sohn hat da nichts zu vermelden. Er muss Jus studieren, was er gehorsamst tut. Er wird ein tüchtiger Beamter. Er muss eine Ehe mit einer reichen Adeligen eingehen, die ihn und sie überhaupt nicht glücklich macht. Er trinkt, wird aber kein Alkoholiker, wie allgemein immer angenommen wird. Er stirbt in Rom nicht an der Alkoholsucht, sondern an einer Gehirnblutung.

Stephan Oswald zeigt minutiös und sehr überzeugend auf, wie eine kalte Vaterhand das Leben eines Kindes ruinieren kann. Der große Dichterfürst und einflussreiche Politiker in Weimar benützte seinen Sohn für seine Dienste und Zwecke. Mit dieser Biographie wird das Bild des Sohnes zurechtgerückt. Stephan Oswald gelingt eine längst fällige Korrektur und ein ganz anderer Blick, als man bisher gewohnt ist, auf August von Goethe.

Was der Titel klar macht: Der Einfluss von Christiane Vulpius bleibt unbesprochen. Sie war ihm, soweit bekannt, eine liebevolle und verständige Mutter und versuchte die Kälte des Vaters auszugleichen.

Eine Biografie, die nicht nur für Germanisten und Historiker lesenswert ist.

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Aus dem Italienischen von Katharina Schmidt und Barbara Neeb

Edna, eine 89jährige Frau, verlässt ihr Heim und macht sich mit ihrem Papagei Emil auf, um in Ravensburg, das viele Kilometer weit im Norden liegt, ihren Freund Jakob aus der Kindheit zu suchen. Der Weg ist lang und beschwerlich, eigentlich unmöglich für Edna zu bewältigen. Sie ist viele Tage unterwegs, wird bestohlen, reist dennoch ohne Geld weiter, findet immer wieder freundliche Menschen, wie Hippies, Esoteriker, Motorradfahrer, die ihre weiterhelfen. Mit Emil in der Transportkiste wird sie da und dort fotografiert, wird berühmt. Als sie in Ravensburg ankommt, ist ihr Freund am Vortag verstorben. Aber ihr Lebenswille bleibt ungebrochen.

In abwechselnden Kapiteln erzählt die Autorin von der unwahrscheinlichen Wanderung Ednas und alternierend dazu von ihrer Kindheit als Schwabenkind. So nannte man all die vielen Kinder, deren Eltern aus Not sie zu reichen Bauern in den Norden zum Arbeiten und Geldverdienen schickten. Viele überlebten diesen „Sklavendienst“ nicht und starben. Jakob und Edna arbeiteten auf demselben Hof. Mit Emil im Tragkorb wollten sie gemeinsam von diesem Schreckensort, den Knechten und dem Großbauer fliehen. Edna gelingt es, doch sie lässt in ihrer Angst Jakob im Stich. Der wird gefangen genommen, kann aber alles überstehen und später eine Familie gründen. Edna und Jakob – eine Kinderfreundschaft in harten Zeiten – ein gutes Thema, aber leider zu langatmig und streckenweise unglaubwürdig. Immerhin – das Thema der „Schwabenkinder“, die Fronarbeit auf fremden Bauernhöfen leisten mussten, wird ziemlich eindringlich geschildert.

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Wer ein Buch von Steinfest in die Hand nimmt, weiß, auf welch Bocksprünge an Ideen, Figurenbeschreibung, Wechsel im Stil und Zeiten -kurz auf ein Maximum an Erzählkapriolen – er sich einlässt.

In diesem Roman übertrifft er sich selbst, liefert dem Leser Reales. scheinbar echte Wirklichkeiten, mit schier Unmöglichkeiten. Schon allein eine Buchhandlung irgendwo auf einem Berg im oberösterreichischen Salzkammergut auf 1.700 Meter Höhe ist eine echte „Schnapsidee“, Die Besitzerin Katharina braucht auch, um in der Wintereinsamkeit überleben zu können, jeden Abend ihren Cognac. Sie ist keineswegs eine Trauersuse, im Gegenteil, packt an, wo es notwendig ist. So zum Beispiel, wenn sie auf ihren einsamen Winterskitouren einen fast erfrorenen Mann findet. Den schleppt sie gegen seinen Willen kurzerhand in ihre Buchhandlung, taut ihn auf und befiehlt ihm zu leben. Was der eigentlich gar nicht wollte, er wollte sterben. Weiß aber nicht, warum. Im Laufe der Erzählung wird ihm bewußt, wer er ist und daß er große Schuld auf sich geladen hat. Er fuhr sturzbetrunken auf der eisigen Straße, der Wagen überschlug sich und seine mitfahrende Tochter war tot. Er hat überlebt, sich irgendwie halb bewußtlos auf den Berg geschlichen, um zu sterben. Katharina nennt ihn Robert, befiehlt ihm zu kochen. Nebenbei entpuppt sich er sich als genialer Schneebildhauer. Er formt die Bergspitze, die sich irgendwie wie ein betrunkener Berg zu verändern scheint. Ein weiterer Pflegefall stellt sich ein und wird von Katharina gesund gepflegt: Die Bergdohle Sharp. Sie wird am Schluss die in einer Höhle Eingeschlossenen durch ihre Rufe und Hinweise retten. Wie im Märchen müssen es ja immer drei Personen sein – in diesem Fall gesellt sich noch die Schnee- und Lawinenforscherin Linda zu den beiden und bleibt. Platz ist genug in der Bücherbude. Im nahen Schutzhaus sind genug Vorräte. Das Leben wird gemütlich. Doch nicht so bei Steinfest! Das Bücherhaus rutscht bei einem Schneesturm in eine darunterliegende Höhle. Katharina und Linda sind eingesperrt. Sharp und Robert, nun heißt er Max, retten die beiden.

Als unnötige, eher als manieristisch-modische Kapriole entpuppt sich der Roman im Roman über einen Priester, der vor mehr als 100 Jahren mit einer Fotografin den Berg bestieg und unter Lebensgefahr das Gipfelkreuz angebracht hat.

Ein heitere Roman? Schon, aber nicht nur. Denn es geht um Schuld, wie man damit fertig werden kann. Sowohl Robert-Max als auch Katharina haben ein Menschenleben auf dem Gewissen.

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Sergio del Molino, Leeres Spanien. Wagenbach Verlag

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen

Sergio del Molino arbeitete als Journalist für die spanische Zeitung „Heraldo di Aragon“. und war viele Jahre im „leeren Spanien“ unterwegs. Besonders im Ebrobecken, in der Meseta und in der Mancha sind die Dörfer leer, entvölkert. Die Abwanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte -vor allem in den Umraum von Madrid – hatte zur Folge, dass 84 % der Bevölkerung heute in den Städten lebt und nur 15% im leeren Spanien. Wenn die Jungen keine Arbeit im ländlichen Raum fanden, wanderten sie in die Städte .- ein Phänomen, das nicht nur in Spanien virulent ist. Als Spanien 1986 der EU beitrat, die ländliche Bevölkerung aber keine Förderungen bekamen, kam es zu bürgerkriegsartigen Bewegungen und man begann sich in Politik und Wissenschaft mit dem Problem zu beschäftigen. Auch dieses Buch – so vermerkt der Autor in der Einleitung – hat an der Bewusstwerdung der Probleme einen großen Beitrag geleistet.

Unter dem Francoregime hatte man nur Verachtung für die ländliche Bevölkerung, konstatiert del Molino. Im „leeren Spanien“ wurden Atomkraftwerke geplant und umweltschädliche Uranminen errichtet. Im Umraum von Madrid entstanden Elendsviertel.

Ein ausführliches Kapitel widmet der Autor dem „Mythos der leeren Landschaft“, gefördert durch das plötzliche Interesse der Städter, die sich ähnlich wie einst Don Quijote auf die Suche nach einer Idylle aufmachten. Eine Suche, die sich nicht realisieren ließ. Noch heute belustigen sich die wenigen Bewohner der Mancha über die Reisenden, die „auf den Spuren Don Quijotes“ durch das leere Land ziehen. Das Verlorensein in einer scheinbar endlosen Weite fasziniert Romantiker, ändert aber nichts an der Lage der Bevölkerung.

Seit Erscheinen dieses Buches 2016 hat sich – so der Autor im Vorwort – doch einiges bewegt. Der Autor hat keine Problemlösungen parat, aber indem er aufzeigt, welche soziale und wirtschaftlichen Folgen die entleerten Landschaften haben, wird zumindest über Lösungsmöglichkeiten nachgedacht.

http://www.wagenbach..de