Volkoper Wien: Puccini, La Rondine (Die Schwalbe)

Regie: Lotte de Beer, Dirigent Alexander Joel, Bühne: Christof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beck

Titelfoto: Magda will sich gerade in den Abgrund stürzen (©Barbara Pallfy)

Das Werk ist janusköpfig. Nicht Oper, nicht Operette. Es spielt um 1860 und dann doch auch in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Es gibt Arien, keinen gesprochenen Text. Puccini nahm aus seinen eigenen Werken Anleihen: Da gibt es die Kurtisane aus „La Traviata“, den dazugehörigen „Protektor“ und den Liebhaber. Romantik contra Realismus – wohin neigt Magda, die Kurtisane? Dann gibt es die Gesellschaft, mit dem Lebensziel : möglichst viel Lebensgenuss herauszuholen, am besten verbunden mit gesichertem Luxus – „Manon Lescaut“ lässt grüßen. Und aus „La Bohème“ den Poeten, der wird zwar zur Buffofigur degradiert. Und natürlich die springlebendige und lebenstüchtige Lisette (à la Musette).

All diese Figuren tat Puccini in einen Becher und würfelte sie neu zusammen. Mit einem Schluss, der weder in eine Operette noch in eine Oper passt – eher in ein Werk aus der heutigen Zeit: Magda, die Kurtisane, verzichtet auf ihre „große Liebe“, um nicht sich und ihren geliebten Ruggero unglücklich zu machen. Während Rolando Villazon in seiner Grazer Inzenierung 2017 das Libretto und die Musik ernst nahm und Text und Sinn nicht veränderte und mit dieser Strategie das Werk adelte, geht Lotte de Beer an „La Rondine“ von der feministischen Seite heran. So entsteht eine Operette in der Operette, die teils von dem „Dichter“ Punier, teils von der Kammerzofe Lisette, teils von Puccini geschrieben wird. Was einen – wenn man so will – Heiterkeitseffekt erzielt, aber doch auch Zweifel, ob es dem Werk an sich gut tut. Dabei ist das Wort „geschrieben“ wortwörtlich zu nehmen, denn der Zuseher liest auf einer von der Bühne hängenden Riesenrolle ähnlich einem Flipchart den Text, der gerade entsteht. Doch der Witz müht sich ein wenig und lenkt auch vom Geschehen und der Musik ab. Sinn und Zweck dieses Schreibverwirrspiels eröffnet sich erst ganz am Schluss. Denn da entreißt Lisette dem schreibenden Prunier, der gerade die verzeweifelte Kurtisane Magda in den Abgrund schicken will (ähnlich der Tosca), Papier und Bleistift und schreibt ein vom Feminismus geprägtes Ende: Magda verlässt ihren Geliebten, weil sie frei wie eine Schwalbe sein will.

Büne und Kostüme sind bunt, aufwendig. In einem eleganten Salon des 19. Jahrhunderts „empfängt“ Magda, ganz elegante Salonière, die Gesellschaft. Man spielt und langweilt sich, bis als Thema des Abends die „Liebe“ ausgerufen wird. Magda, die vom reichen Rambaldo ausgehalten wird, träumt von der großen, einzigen und wahren Liebe. Und erregt Gelächter. Szenenwechsel in eine Tanzbar in Paris, wo Magda Ruggero begegnet und sich die beiden ineinander verlieben. Sie bleiben beisammen, etablieren sich in Nizza, bis das Geld ausgeht. Nun sollen Ruggeros Eltern zu einer Heirat zustimmen, was sie auch tun. Der überglückliche Ruggero macht Magda einen Heiratsantrag, den sie jedoch ablehnt und ein freies Leben vorzieht. Das alles wird mit Charme und viel Bühnenzauber abgehandelt. Wäre die Stimme Magdas (Matilda Sterby) in der Höhe nicht schrill und scharf und Leonardo Capalbo von ERscheinung und Stimme ein überzeugenderer Liebhaber, dann könnte man den heiteren Opernverschnitt besser genießen. Stimmlich gut war Rebecca Nelsen als Lisette, wenn sie auch von der Regie zu einer übertrieben komischen Figur geformt wurde. Thimothy Fallon bemühte sich, den Dichter Prunier als Mittelding zwischen Hofnarr und eitlen Poeten zu spielen. Alexander Joel führte mit kundiger Hand das Orchester, Chor und Sänger durch das Stück.

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Wiener Staatsoper – Solistenkonzert: Benjamin Bernheim

Am Klavier begleitete ihn Carrie-Ann Matheson

Der 1985 in Paris geborene Tenor Benjamin Bernheim hatte in kurzer Zeit eine steile Karriere auf dem Opern- und Liedsektor hingelegt. Er gilt als Grandseigneur der französischen Romantik, was er an diesem Abend überzeugend bewies. Melancholie, Sehnen, Ruhe, Mond und Waldesrauschen beherrschten das erste Lied von Charles Gounod.: „L’Absent“ „Die köstliche Stunde“ von Reynold Hahn führte mit viel franzsösichem Parfüm neuerlich in den vom Mond beglänzten Wald, und Benjamin Bernheim machte daraus ein feinziseliertes Panorama. Jauchzend und hoch angesetzt der Schluss: „C’est l‘ heure exquise!“ Den Höhepunkt des romantischen Kunstliedes bildete der Liedzyklus „Poème de l’amour et de la mer“ von Ernest Chausson. Im ersten Lied, „Les fleurs des eaux“ ließ Benjamin Bernheim spielerisch das Meer über den feinen Sand rollen, man spürt benahe die Wellen auf der Haut, um gleich darauf voll die Emotionen aufwallen zu lassen. Mit der Stimmgewalt des Operntenors besang er in seiner Geliebten die Verkörperung der Liebe und der Jugend. In der Romantik muss gleich nach dem Triumph die Wehmut kommen – und Bernheim sang ahnungsvoll den Abschied herbei. Am Ende gab er dem vollen Drama Raum, wenn er von „l‘ angoisse de mon coeur“ sang.Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung heißt es im darauffolgenden Lied „La mort de l‘ amour“: „Wie Tote waren wir erbleicht“. Der Sänger vermied es, daraus ein larmoyantes Drama zu gestalten, sondern hielt die Emotionen bewußt flach und hauchte das Lied in einem kunstvollen Falsett aus.

Nach der Pause wehte mit Puccini ein frischer, dramatischer Wind und Bernheim ließ den Opernsänger aufblitzen. Volle Oper im Lied „Mentia l’avviso“ . Das Meer fasziniert Puccini und Bernheim. In „Terra e mare“ rollen die Wellen des Meeres durch den Raum, Sturm durchwühlt die Wellen. Ja, das kann Bernheim mit seiner Stimme perfekt. Mit gezügeltem Temperament in Stimme und Ausdruck „reiste“ er danach durch Henri Duparcs „L‘ invitation au voyage“. Verzückung und Ekstase blieben nobel angedeutet. Ganz anders dann Richard Strauss. In „Heimliche Aufforderung“ zog Bernheim alle Register seines Könnens: Von flott bis verträumt. Er ließ das Trinkgelage ebenso lebendig werden wie den Rosengarten und scheute sich nicht, die volle Romantik auszusingen: „O komm, du wunderbare, ersehnte Nacht“. Mit warmem Timbre seiner Stimme sang er von „des Glückes stummen Schweigen“ („Morgen“) Und als Abschluss das wunderbare Lied „Cäcilie“: „Wenn du wüßtest, was träumen heißt“ -genau das hatte er dem Publikum an diesem Abend geschenkt: Das Träumen. Mit seiner vielfärbigen Stimme und dem Mut zum schlichten Ausdruck schuf Benjamin einen meditativen Abend. Er musste nicht mit voller Opernstimme paradieren. Bewusst verzichtete er auf Glanz und Gloria. Nicht unwesentlich trug zu seinem Erfolg Carrie Ann Matheson bei. Wie sie mit zarten, fast schmetterlingsgleichen Händen über die Tasten schwebte und den Atem des Liedes und des Sängers stützte, war congenial!

In der Zugabe erlaubte Bernheim sich, sein Publikum mit der vollen Kraft seiner Opernstimme zu beeindrucken:: „Dein ist mein ganzes Herz“ war der fulminante Schluss.

Begeisterter Applaus http://www.staatsoper.at

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Grafenegg: Osterkonzert – „The Erlkings“ mit Liedern von Beethoven und Schubert

„The Erlkings“ – das sind: Bryan Benner-Gesang und Gitarre aus Orleans. Ivan Turkaij-Violoncello aus Zagreb. Simon Teurezbacher: Tuba, aus dem Mostviertel. Thomas Toppler-Schlagwerk und Vibraphon aus der Steiermark. Marcello Smigliante-Gentile: Mandoline, aus Neapel.

Diese bunt zusammengewürfelte Gruppe verspricht alles nur keine klassische Interpretation der Lieder. Wer die Originale im Ohr hat – vielleicht von Fritz Wunderlich oder Andrè Schuen -, der muss sie schnell vergessen. Denn Countrysong, Folk und Pop spielt gegen Klassik an und gewinnt. Das kapiert man gleich: „Adelaide“ von Beethoven hat nichts mit Romantik und Schmachten zu tun. Man glaubt sich in einem irischen Pub. In „Sehnsucht“ gibts wenig Sehnsucht, eher stampfendes Werben.

Bryan Brenner moderiert vor jedem Song – so nennt er das Lied „An die Hoffnung“ ein „Cowboycountrysong“. Im Effekt endet es wie ein Schlaflied. Harte Takte leiten das „Mailied“ ein, die Musiker stampfen zum Refrain „be happy forever“.

Bryan Brenner ist ein perfekter Entertainer und hat das Publikum in der Hand. Seine Stimme erinnert an die guten Zeiten der Singersongwriters. Manchmal geht dem Ensemble die Begeisterung durch und es wird heftig. Dann Bryan Brenner entschuldigend: „Das war jetzt ein bisserl übertrieben.“

Nach der Pause wagten sich die Erlkönige an Schubert heran. Dazu Bryan Brenner sehr selbstbewusst: „Schubert erlauben wir uns“ . „Auf dem Wasser zu singen“ und „Der Jüngling am Bach“ sind noch von Schubert angehaucht. Gänzlich ausgeflippt erklingt die „Forelle“. Klingen ist das falsche Wort – sie wird vom Ensemble und mit Begeisterung vom Publikum „eingeklatscht“ – Volksfeststimmung macht sich breit. Gespannt ist man auf den „Erlkönig“. Zur allgemeinen Gaudi fordert Brenner das Publikum auf, den „Erlkönig“ aufzusagen – die ersten Zeilen klappen recht gut, der Rest zerrinnt in Gelächter. Und schon legt die Gruppe los: Thomas Doppler spielt Kastagnetten, als würde er Carmens Auftritt vorbereiten – aber statt Carmen reitet der Vater mit dem Kind. Die Tuba (Simon Teurezbacher) sorgt für Gruseleffekt. Und Brenners Erlkönig hat was von einem verführerischen Straßensänger. Doch es geht auch mit mehr Schubert: „Meeresstille“, „An den Mond“ und die „Nähe des Geliebten“ bringen Schuberttöne, das Verlorensein, das vergebliche Hoffen.

Heftig und an die Grenze des Erträglichen gehend erklingt „Gretchen am Spinnrad“: Mit Männererotik und den passenden Hüftrollern interpretiert Brenner die Verliebtheit Gretchens, als „die eines unaufgeklärten Teenagers“ . Bollywoodreife Leistung!

Begeisterung im Publikum!

http://www.theerlkings.com und http://www.grafenegg.com

TANGO ORCHESTRAL – Richard Galliano, Yukata Sado, Tonkünstler Orchester

Es war eine Hommage an den französischen Akkordeon- und Bandoneonspieler Richard Galliano, tatkräftig unterstützt von den Tonkünstlern, die Yukata Sado mit der bekannt sensiblen Hand dirigierte.

Galliano war mit Astor Piazzolla eng befreundet. Daher machte es Sinn, mit der Komposition Piazzollas „Las Cuatro Estziones portenas“ ( „Die vier Jahreszeiten in Bueonos Aires“) den Abend zu eröffnen. „Der Frühling“ beginnt mit spitzen, kurzen Takten, die dann langsam in den sanften Tangohauch des Frühlings übergehen. Wer schon einmal im November, Dezember in Buenos Aires war, den wird die Musik an den Duft der Lindenblüten und an das Vogelgezwitscher in den großen Parkanlagen erinnern. Darauf folgte „Der Herbst“ – eine Musik voller Tangoschmelz. Schmelz ohne Schmalz – das treffen die Musiker (circa 30-40 Streicher), Sado und Galliano vortrefflich!

Ein typischer Nino Rota folgte: „Konzert für Streicher“ 1. Satz – heiter, leicht, als Teppich für ein Filmgeschehen ideal. Yukata Sado ließ die Streicher schwelgen.

Dann wieder Auftritt Galliano mit der Eigenkomposition „Tango pour Claude“ für Akkordeon und Streicher, gewidmet Claude Nugaro, dem französischen Jazz-Sänger und Dichter und engem Freund Gallianos. In der darauffolgnden Komposition „La valse à Margaux“ zitiert Galliano wieder Astor Piazzolla, der ihn ermutigt hatte, die französische „Musette Neuve“ zu schaffen, so wie er den Tango Nuevo kreiert hatte. Fortsetzung mit Nina Rotas „Konzert für Streicher“ – 2. 3. und 4. Satz, der zärtlich beginnt, sich in die Weite verbreitert und mit einem allegrissimo endet.. Yukata Sado ließ die Streicher brillieren.

Richard Galliano beendete das Konzert mit den Eigenkompositionen „Habanerando“ und „Opale Concerto“. Sado legte einen zärtlich-sanften Teppich unter Gallianos kunstvolles Spiel, während Galliano aus seinem Akkordeon ganz ungewöhnliche Töne zauberte, die zunächst wie leises Echo durch den Raum zogen, hin und wieder wie ein Dialog zwischen Vogelstimmen klangen und in einem leisen Traum endeten.

Geschickt ließ Galliano das Publikum in dieser Traum-Tangostimmung verweilen und spielte als Zugabe „Oblivion“ von Astor Piazzolla. Unterdessen setzte sich Sado auf die Stufe seines Dirigentenplatzes und hört diesem einmaligen Akkordeonkünstler voller Bewunderung zu. Galliano „versank“ geradezu in seinem Spiel. Zwei weitere Eigenkompositionen beendeten diesen wundervollen Abend.

Begeisterter Applaus und standing ovation!

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Wiener Konzerthaus: Il Giardino d’Amore/Fatma Said/Jakob Józef Orklinski/ Stefan Plewniak

Giovanni Battista Pergolesi: Stabat mater

Besetzung: Sopran: Fatma Said, Alt: Countertenor J.J. Orlinski und Il Giardino d‘ Amore mit Stefan Plewniak Violine und Dirigat

„Stabat mater“ von Pergolesi – passt nicht nur als vorösterliches Thema in die Zeit, sondern ganz besonders auch als Memorial an all die Toten der Kriege ringsum in der Welt. Unterstützt vom sanften Dirigat Plewniaks und den Streichern sangen Fatma Said und Jakub Orlinski die Klagen einer Mutter, die ihren toten Sohn im Arm hält, im harmonischen Gleichklang, dann wieder im Solo. Pergolesi komponierte die Klage der Mutter nicht als reinen Trauergesang. Immer wieder strahlt fast eine heitere, leicht tänzerische Melodie auf, die Trost vermittelt. Saids schöner, heller Sopran, in der Höhe genauso sicher und warm wie in der Mittellage, paart sich mit dem Alt des Countertenors. Atemberaubend lässt Fatma Said die Klage in einem langsam verhauchenden „Amen“ ausklingen.

Nach der Pause werden die beiden Zeitgenossen und Musikheroen des Hochbarock einander gegenübergestellt: Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel. Mit „Gelosia“ forderte Vivaldi die Grenzen der weiblichen Stimme heraus – für Fatma Sais kein Problem, die Töne perlen wie frisches Quellwaser von musikalischen Höhen in den erdigen Boden der Wut. In Händels Arie „Lascia che io panga“ gibt sie dem Schmerz eine beseelte Stimme. Ganz auf das Wesen des Countertenors hin hat Händel „Furibondo spira il vento“ komponiert. Orlinski nimmt die Herausforderung locker an und lässt die Koloraturen in den Höhen spielerisch leicht glänzen. Das Publikum dankte mit Beifallsgetöse.

Danach noch eine Steigerung: Stefan Plewniak und die erste Geigerin Ludmila Piestrak spielten den 2. und 3. Satz des „Concerto in a-moll RV 522 von Antonio Vivaldi. Plewniak im schwarzen Gewand erinnerte an einen Priester, der sich mit dem Teufel verbunden hat: So muss Vivaldi, der prete rosso, auf seine Schülerinnen und sein Publikum gewirkt haben: Wie im Rausch steigerte Plewniak das Tempo zu einer Art Höllenfahrt und nahm seine congeniale Partnerin mit. Jubel im Publikum! Und ein da Capo dazu: Ähnlich rauschhaft der 1. Satz des Concerto D-Dur, RV 208. Dann innig und intensiv: Fatma Said in der Rolle des Farnace aus der gleichnamigen Oper von Vivaldi: „Gelido in ogni vena“. Zu Boden sinken der Countertenor und alle Musiker, während er die Arie des Anastasio aus der Oper „Il Giustino“ (Vivaldi) „Ich fühle es in meiner Brust“ singt. Ein ironischer Spaß? Gemeinsam singen sie die Arie aus der Oper „Rinaldo“ von Friedrich Händel und werden vom Publikum mit Schreiapplaus und standing ovation belohnt.

Mit diesem Konzert ging das „Porträt Fatma Said“ zu Ende.

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Wiener Konzerthaus: Patricia Kompatchinskaja & Friends: „Dies irae“

Mit „Colloredo“ und „Company of Music“. Einstudierung: Johannes Hemetsberger. Michael Wendeberg: Klavier, Orgel, Cembalo. Patricia Kompatchinskaja: Violine, Idee, Künstlerische Leitung.

„Warum nur spielen, was wir wissen und verstehen. Besser nach vorne schauen und auf Neues stoßen“, schreibt Patricia Kompatchinskaya auf ihrer Homepage als Motto ihrer künstlerischen Tätigkeit. Das gilt auch für die Zuhörer und ganz besonders für die Rezeption der Aufführung“Dies irae“.Man konnte den Analysemotor abschalten und sich einfach auf das Geschehen einlasssen, das aufregend, spannend und total neu für einen Konzertabend war.

Noch hat das eigentliche Konzert nicht begonnen und doch ist man schon mitten drin. Blaues Licht im Saal, dumpfe Glockenschläge, Tritte von marschierenden Soldaten – man wird von Giacinto Scelsis „Okanogon“ (1968), als Tonaufnahme abgespielt, empfangen. Dann betritt Kompatchinskaja die Bühne, sie wirkt wie eine Teufelsgeigerin auf leerer Landstraße. Sie spielt so lange, bis alle aus der „Truppe“ sie einholen. Die Verzauberung durch die Teufelsgeigerin kann beginnen: Abwechselnd werden Kurzkompositionen von George Crumb (1929-2022) und Heinrich Ignaz Biber (1674 – 1704) gespielt. Die Musiker sitzen nicht festgenagelt auf ihrem Platz, sondern bewegen sich auf der Bühne tänzerisch-spielerisch. „Battalia“ (Schlacht) von Biber mischt sich mit Devil Music von Crumb, bei einer Jimmy Hendrixeinlage kreisen wilde Hornissengeigentöne durch den Saal. Zur“ Crucifixus – Improvisation“ von Antonio Lotti ( 1667-1740) tragen Musiker einen offenen Holzsarg durch die Saalmitte, der später als Echokammer für Hammerschläge dient. Kopatchinskaja stellt in diesem Konzert die Hauptfrage, die alle angeht: Wie viel Zeit haben wir noch, bevor die Natur sich rächt und alle Leben auf der Erde vernichtet sein wird?“ Eine Frage, die schon in dem Gregorianischen Hymnus „Dies irae“ gestellt wurde und von Galina Ustwolskaja (1919-2006) neu vertont wurde. Aufwühlend, atemberaubend endet dieser Abend mit dem Einzug der Trompeter von Jericho, die einst die Stadt zu Fall brachten.

Begeisterter und langer Applaus für die alle Musiker und Musikerinnen, ganz besonders für Patricia Kompatchinskaja.

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Volksoper: West Side Story

Idee und Buch: Jerome Robbins und Arthur Laurents, Musik: Leonard Bernstein, Gesangstexte: Stephen Sondheim

Regie: Lotte de Beer, Choreographie: Bryon Arias, Bühne: Christopf Hetzer,Kostüme: Jorine van Beck, Dirigent: Ben Glassberg

„I like to be in America“ – mit diesem Song ist das Hauptthema des Musicals angegeben. Einwanderer aus Puerto Rico wollen als Amerikaner akzeptiert werden und ihren Traum vom Eigenheim und friedlicher Koexistenz verwirklichen – im wunderbaren Song „Somewhere there is a place for as“ in einer erträumten Idylle vertont.. Doch wo schon andere den Platz und das Lebensrecht beanspruchen, kommt es unweigerlich zu Konflikten. Aktuell zu erleben: der Konflikt zwischen Israeli und Palästinensern. In der Literatur dramatisiert in „Medea“ von Euripides, Grillparzer und anderen, besonders aber von Shakespeare. Die aktuelle Aufführung folgt in groben Zügen dem Drama Shakespears „Romeo und Julia“, heruntergebrochen auf die Kämpfe zwischen den Straßengangs. Die Jets unter ihrem Anführer Riff (beeindruckend Oliver Liebl) wollen die „Sharks“, die aus Puerto Rico eingewandert sind, nicht dulden. Das Viertel gehört ihnen. In einer Straßenschlacht soll die Entscheidung fallen.. In atemberaubenden Choreographien (Bryon Arias) entwickelt sich ein mörderischer Kampf, in dem Tony (Christof Messner) versucht, Frieden zu stiften, aber selbst zum Mörder wird. Man kommt aus dem Staunen über die unwahrscheinliche Kraft und Gewalt, mit der diese beiden Gangs aufeinander losgehen, nicht heraus. Eine Szene ist stärker, intensiver als die andere. Man erfährt im Programmheft, dass Bryon Arias aus so einem gewaltbereiten Viertel in Puerto Rico stammt und gerne bei so einer Gang dabei gewesen wäre. Doch die Mutter hatte anders entschieden und ihn in die Ballettschule geschckt. So ist erklärbar, warum die Kampfszenen eine derartige Dichte und Heftigkeit bis fast zur Unerträglichkeit entwickeln, etwa die Vergewaltigung Anitas. Myrthes Montero gibt dieser Figur durch ihre Bühnenpräsenz und tolle Stimme Stärke und Ausstrahlung.

Die Liebesgeschichte zwischen Tony und Maria (stimmgewaltig Jaye Simmons) ist der zweite Strang des Geschehens. Manche mögen sich unter den beiden Figuren (in Erinnerung an den Film, der seit der Uraufführung 1961 immer wieder einmal zu sehen war) vielleicht andere Typen vorgestellt haben als die beiden, etwas bieder wirkenden. Aber ihr Aussehen passt punktgenau in die Rolle, die ihnen zugeschrieben wird: Sie wollen anders sein als all die Gewaltbereiten, weit weg gehen und ein bürgerliches Leben führen. Ihr schwärmerischen Liebesduette gehen zu Herzen und bilden einen Gegenpol. Wie schon bei Shakespeare siegt auch in dieser Story der tödliche Hass.

Begeisterter und langer Applaus, besonders für Jaye Simmons, Myrthes Monteiro, Christof Messner und Oliver Liebl. Ganz besonders viel Applaus für die gesamte Tanztruppe! Anerkennungsapplaus für Ben Glassberg, der mit Verve dirigierte.

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Festsoielhaus St. Pölten: Tonkünstler Orchester: Bruckner 7. Dirigent Yutaka Sado

Es gibt Momente im Leben, in denen „die Dinge …positive Eigendynamik annehmen.“ Diese Erfahrung „findet in der siebten Symphonie von Anton Bruckner eine Kristallisation dieses allem menschlichen Leben innewohnenden Phänomens“. So Klaus Laczika im Programmheft und ähnlich auch in der Einführung zu diesem Abend. Als Bruckner die siebte Symphonie komponierte (1881-1883), war er in einem schwebenden Zustands der Zufriedenheit. Was deutlich zu spüren ist, insbesondere wenn Yutaka Sado die Tonkünstler dirigiert. Sado hat sich die Musik Bruckners (und in logischer Folge die Mahlers) zu eigen gemacht. Die innige Verbundenheit mit ihr war an diesem Abend wieder einmal deutlich zu spüren.

Das Allegro moderato beginnt wie eine Musik aus den Tiefen des Traumes geholt, losgelöst von jeglichen Alltagssorgen. Man ahnt den zukünfigen Komponisten Gustav Mahler, der in seinen Symphonien von diesem musikalischen Giganten stark beeindruckt war. Nach einer wahrhaftigen Himmelsfahrt , aus der die Verehrung für Wagner herauszuhören ist, leitet Bruckner zum Adagio über, das er, den Tod Richard Wagner vorausahnend, als Trauermusik komponierte. Trotz der schrecklichhen Erfahrung des Ringtheaterbrandes am 8. Dezember 1881 schrieb er wie in Trance eine sanfte Musik, in der er auch die Tuba, die Wagner eigens für seine Kompositionen bauen ließ, verwendete. Nach einem machtvollen Anklang an sein „Te Deum“ und einem schwingenden, fast fröhlichen Teil klingt das Adagio aus. Scherzo und Finale „sind „harmonischen Experimenten gewidmet“ (Klaus Laczika im Programmheft) und klingen mit schwebender Fröhlichkeit aus.

Wieder einmal hat sich bestätigt: Wenn Yukata Sado dirigiert, genießt man ein besonders intensives Musikerlebnis. Ohne Eitelkeit und bombastische Gesten führt er das Orchester und dringt gleichsam in die feinsten verborgenen Muskeln der Komposition ein. Und das Orchester folgt ihm im vollen Vertrauen. Gemeinsam schaffen sie jedes Mal ein unvergessliches Musikereignis! Um so betrüblicher ist es, dass Yukata Sado mit dieser Saison das Orchester verlässt.

Begeisterter Applaus

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Konzerthaus: ORF Radio-Symphonieorchester: Debussy, Ravel und Mahler.

Dirigentin: Marin Alsop, Sopran: Louise Alder

Claude Debussy: Prélude à l`après – midi d’un faune

Debussy war von Stéphane Mallarmés Gedicht „L´après -midi d`un faune“ so beeindruckt, dass er es in Musik umsetzte. Als Mallarmé sie hörte, war er schwer beeindruckt und meinte sogar. dass Debussy die Themen Schwermut, Sehnsucht und Schmerz noch besser in Töne umgesetzt hätte als er in Worte. Durch das feinsinnige Dirigat von Marin Alsop, die den Flöten genug Raum lässt, entstanden Stimmungsbilder zwischen Traum und Wirklichkeit.

Maurice Ravel: Shéhérezade. Vertonung von Gedichten von Tristan Klingsor. Sopran Marin Alder

An Stelle von Fatma Said, die kurzfristig krank wurde, sprang die junge Sopranistin Louise Alder als Liedinterpretin ein. Mir ihrem feinen, in allen Lagen sicheren Sopran führte Louise Alder das Publikum in die duftende und verträumte Welt des orientalischen Märchens, sensibel und kongenial geleitet von Marin Alsop. Leider mangelte es der Sängerin an Wortdeutlichkeit. Aber der Zauber ihrer Stimme ließ diesen Mangel vergessen.

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 4, Sopran: Louise Alder

Diese Symphonie ist voll von romantischen Zitaten und Symbolen aus der deutschen Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“, zusammengestellt von Achim von Arnim und Clemens Brentano. Mahler verwendet Themen aus der Romantik, der Volks- und Militärmusik und macht daraus eine ganz eigenwillige, neue, nie zuvor gehörte Musik. Genau so empfanden es wohl alle Zuhörer an diesem Abend; Man hörte einen Mahler, den man so noch nie gehört hatte: Manch einem mag der Gedanke gekommen sein, dass Marin Alsops feinsinniges Dirigat dieses Wunder vollbrachte. Sie ließ der Stille ihren Raum, hob die einzelnen Instrumente klar heraus, besonders die Flöten und Bläser. Führte sie im 3. Satz zusammen mit den Geigen zu einer Musik des Paradieses. Auch im Finale bleibt sie der Romantik verpflichtet. Am Ende der Symphonie leitet Gustav Mahler zum Lied „Das himmlische Leben“ (aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“) über. Es störte schon nicht mehr, dass Louise Alder die Worte ineinander verwebte. Denn der fein gewebte Klangteppich, in den Marin Alsop den Text bettete, hatte das Publikum bereits sinnlich umfangen.

Langer und begeisterter Applaus für Orchester, Dirigentin und Sängerin!!

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Konzerthaus Wien: Fatma Said -Reise durch die Welt der Lieder

Am Klavier: Joseph Middleton

Die aus Ägypten stammende Sängerin Fatma Said ist in dieser Saison die Protagonistin der „Porträtreihe“. Bei ihrem ersten Konzert „A Sense of Mosaic“ im November stellte sie sich mit unbekannten Liedern von Brahms. Camille Saint Saens, Francis Poulenc und vielen anderen vor und begeisterte das Publikum.

Nun also setzte sie ihre Reise durch die Welt der Lieder fort. Sie begann mit Mozartliedern. Die Miniaturen waren eine Herausforderung, der sie anfangs nicht so ganz gewachsen war. Zuweilen kratzte die Höhe. Erst im dritten Lied „Männer suchen stets zu naschen“ fand sie den richtigen Ton und brillierte mit dem humorvollen Schluss. Die Schubertlieder waren mehr ihr Terrain – „Der Tod und das Mädchen“ wurde zu einer schlichten, berührenden Miniatur. In den „Nachtviolen“ zauberte ihre Samtstimme Seligkeit und Frühlingsluft. „Ganymed“ wurde zu einem Bekenntnis der ungezügelten Leidenschaft. Schumanns „Widmung“ an seine Frau Clara wurde zu einem innigen Liebesbekenntnis.

Nach der Pause begeisterte sie das Publikum mit „canciones populares“ von Manuel de Falla, darunter besonders intensiv das Wiegenlied „Nana“ und „Tus ojillos negros“ -„Deine schwarzen Augen“ Zart, nur angehaucht gelang das Lied „Del cabello mas sutil“ („Vom feinsten Haar“). Von der Kraft des Gesanges kündete das Lied „Gib mir eine Flöte und sing“ von Najib Hankash – ein fast träumerisches Bekenntnis zu der Kraft der Musik, insbesondere des Liedes. Joseph Middleton war ein einfühlsamer Begleiter am Klavier.

Weitere Termine:

29. Jänner 2024/ ORF Radio Symphonieorchester Wien: Mahler 4. S<mphonie, Sopransolo: Fatma Said

2. März 2024: Il Giardino d‘ Amore und Fatma Said: Arien von Vivaldi und Händel

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Wiener Konzerthaus: Nikolaus Habjan: „Abpfiff 2023“

Oboe: Sebastian Breit, Akkordeon: Tobias Kochseder, Violoncello: Eduardo Antiao, Klavier: Ines Schüttengruber

Gemeinsam mit den vier Musikern kommentierte und pfiff Nikolaus Habjan Arien von Mozart, Rossini, Schubert, Beethoven, Verdi. Milhaud, Dvorak u.a.

Es wurde kein Rückblick über 2023, sondern ein echter Ab-Pfiff: Das Jahr soll abgehen, es war nicht immer schön. Deshalb soll der vorletzte Abend der heiteren Muse gehören. Diesmal brachte Habjan keine Puppen mit, sondern sein Talent zum Kunstpfeifen und vier tolle Musiker. Humorvoll und mit einer kleinen Dosis Respektlosigkeit vor manchem unsinnigen Libretti, kommentierte er jeweils vor jedem „Pfiff“ Sinn und Unsinn der folgenden Arie. Gleich zu Beginn amüsierte er das Publikum mit der Arie des Cherubin aus der „Hochzeit des Figaro“ von W.A.Mozart und meinte dazu: „Es ist die Arie eines voll pubertierenden Knaben, der ganz verrückt nach gleich zwei Frauen ist“: „Voi che sapete“. Das Faszinierende an Habjans „Pfiffarien“ ist, dass man die Figur, die Situation und das Ambiente der jweiligen Arie auch ohne Worte miterlebt. Was vorausseetzt, dass das Publikum opernaffin ist. Der vollbesetzte Mozartsaal und der jeweils begeisterte Applaus zwischen den Arien ließen dies vermuten. Von heiter bis romantisch pfiff Habjan dem Publikum die Ohren voll. Unter den gewählten Arien war auch das berühmte „Lied an den Mond“ aus der Oper „Rusalka“ von Anton Dvorak. Das war hohe Kunst, dieses Sehnsuchts- und Liebeslied, das zu den innigsten dieser Gattung gehört, nicht zu verpfeifen. Habjan pfiff sich in die leisen, ganz leisen, dann auch sehr hohen Töne der Arie hinein und versetzte das Publikum direkt an den Teich, an dem der Prinz und Rusalka im Kuss gemeinsam in den Tod gehen. Begleitet von allen vier Musikern mit Innigkeit und Zartheit.

In Kurzfassung brachte er dem Publikum die Gemütslage des verliebten Müllersburschen aus dem Zyklus „Die schöne Müllerin“ von Franz Schubert näher: Der Verliebtheit des Burschen haftet nichts Tragisches an, es ist nur jugendliche Schwärmerei, die bald vergehen sollte. Deshalb pfiff Habjan den Vogelgesang als heitere, tröstliche Begleitung.

Geschickt verquickte er die verschiedenen musikalischen Interpretationen der Orpheusgestalt, pfiff mit Innigkeit die seelenvolle Arie aus Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“ „Ach, ich habe sie verloren“ und kontrastierend die Arie der Eurydike aus Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ : „Der Tod will mir als Freund erscheinen“ („Eurydike findet die Ehe mit Orpheus langweilig, da haut sie lieber mit dem Gott der Unterwelt ab“ – so Habjan). Besonders soll nochmals das Spiel der vier Musiker hervorgehoben werden, die in den „Erholungspausen“ Habjans das Publikum mit Musik von Bach, Wunderer und anderen Komponisten begeisterten.

Das Publikum bejubelte Nikolaus Habjan und seine Musiker mit langem und begeistertem Beifall. Als Zugabe pfiff er die Arie der Rosina aus Rossinis „Barbier von Sevilla“. Dann wünschte er einen guten Rutsch ins Jahr 2024.

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Musikverein Wien: Andrè Schuen, Lieder von Schubert und Mahler

Am Klavier: Daniel Heide

Andrè Schuen ist auf dem internationalen Musikparkett längst kein Unbekannter mehr. 2023 sang er in der Wiener Oper und bei den Salzburger Festspielen in Mozarts „Le nozze di Figaro“ beide Male den Grafen Almaviva und jüngst war er als Schwanda, der Dudelsackpfeifer im Museumsquartier (Theater an der Wien) in einer wenig geglückten Inszenierung zu erleben. Man spürte ganz deutlich, dass ihm diese Rolle nicht behagte.

Strahlkraft und Sinnlichkeit seiner Stimme kommen am besten im Liedgesang zur Geltung. In der congenialen Begleitung des Pianisten Daniel Heide war er im Frühjahr im Konzerthaus mit seiner Interpretation der „Schönen Müllerin“ von Franz Schubert zu hören. Ein tiefes Erlebnis, das in Erinnerung bleibt.

Nun also am 16. Dezember im ausverkauften Brahmssaal des Musikvereins. Vom ersten Ton an lebt Schuen in der Musik, steigt tief in das Lied ein, lässt sich auf die existentielle Ebene ein, begleitet von dem sensiblen Pianisten Daniel Heide. Am Beginn standen die „Vier Lieder eines fahrenden Gesellen“. Darf man heutzutage noch den Begriff „Inbrunst“ verwenden? Egal – Schuèn sang sie mit Inbrunst, drang mit seinem vollen, weichen Bariton bis in die Tiefen der Existenz ein. Mit Mut zur Dramatik sang er das Universum Mahlers, besonders intensiv etwa das Lied „Ich hab`ein glühend Messer“ , bei dem sein Bariton tief in den Bass hineinreichte. Mt der Auswahl der Mahler- und Schubertlieder bewies Schuen das Gespür für die tiefe Tragik, die beide Liedkomponisten miteinander verband. Auch Querverweise und Übergänge von einem Komponisten zum anderen wurden deutlich.

Für Schubertlieder ist Schuens Vortragskunst ganz besonders ideal. Mit der sensiblen Klavierbegleitung Daniel Heides und seinem samtig-weichen Bariton gestaltetet er die Lieder zu einem Lebensbild des Komponisten, lässt vergebliche Hoffnungen und flüchtiges Liebesglück spürbar werden.

Ein großer, berührender Abend abseits des allgemeinen Musik- und Medienrummels!! Als Zugabe sang Schuen zuletzt ein ladinisches Volkslied aus seiner Heimat Südtirol. Langer, begeisterter Applaus!

www.andreschuen.com und www.musikverein.at

Volksoper Wien: „Lass uns die Welt vergessen“ Volksoper 1938

Ein Auftragswerk zum 125. Geburtstag der Volksoper Wien. Buch von Theu Boermans unter Verwendung der Operette „Gruss und Kuss aus der Wachau“ von Jara Benes, Hugo Wiener, Kurt Breuer und Fritz Löhner – Beda

Karen Kagarlitsky dirigiert die Originalmusik der Operette, sowie zusätzlich Musik von Arnold Schönberg, Viktor Ullmann, Gustav Mahler und eigene Kompositionen.

Selten noch hat eine öffentliche Institution so akribisch, ehrlich und aufwühlend die eigene NS-Vergangenheit beleuchtet. Dem Dreigespann Theu Boermans (Inszenierung), Bernhard Hammer (Bühnenbild) und Anjen Klerks (Video) gelang ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Mit dem Spiel auf drei Ebenen, die der Probenarbeit zur Operette, zeitgleich mit dem politischen Geschehen „draußen“ und dem Einblick in die Privatatmosphäre aller Beteiligten entstand eine minutiöse Zusammenschau zeitgleicher Ereignisse, die einem manchmal den Atem verschlug.Wie oft hat man schon die Geschichte um den Einmarsch der Hitlertruppen, den Auftritt Hitlers auf dem Heldenplatz und die jubelnden Massen in kurzen Wochenschauausschnitten gesehen! Und wie oft schon davon gehört, gelesen. An diesem Abend jedoch wird man miteinbezogen. Man sieht Hitler am Heldenplatz, die jubelnde Menge und davor die Menschen, die in Furcht ihre Abreise vorbereiten. Starke Szenen wie die, in der die Witwe Bründl (Ulrike Steinsky) die Schönheit der Wachau besingt und sich der jüdische Souffleur Osip Rosental erhängt (beeindruckend Andrea Patton), wird man so schnell nicht vergessen. Während Österreich Schritt für Schritt seine Unabhängigkeit verliert – ebenfalls in Videos eingespielt-, deklariert sich die Hälfte des Volksopernensembles als begeisterte Nazis und übernimmt die Führung im Theater. Nun heißt es: Widerstand oder sich fügen. Wie entscheiden sich die einzelnen Mitglieder? Schnell heißt es : Kunst geht über Politik. Dass aus dem heiter-witzigen Operettenstück im Laufe der Proben unter Naziführung bald der größte Kitsch wird, kann man plastisch miterleben. Ein starkes Ende lässt das Publikum erstarren: Vorne spielen sie das ktischig-fröhliche Finale der Operette, im Hintergrund sehen die K-Insassen auf die unbekümmert – heitere Szenerie herab. Aus dem Off singt Hugo Wiener, der nach Bogotà fliehen konnte: „Im Prater blühen wieder die Bäume“. Der begeisterte Applaus galt den durch die Bank hervorragenden Leistungen der Schauspieler, vor allem aber dem Team der Inszenierung und der Dirigentin. Nicht unerwähnt bleiben soll die akribisch wissenschaftliche Aufarbeitung und Hilfe von Marie Theres Arnbom, Direktorin des Österreischischen Theatermuseums. Das ausgezeichnete Programmheft liefert viele zusätzliche Hintergrundinformationen zur Entstehung des Stückes und zu biografischen Details der an der Operette beteiligten Künstler. Und einmal mehr muss dankbar angemerkt werden: Es ist eine Aufführung frei von didaktischem Erziehungswillen.

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Theater Akzent: The Tiger Lillies‘ Christmas Carol: A Victorian Gutter

Martyn Jacques: Erzähler, Akkordeon, Klavier. Adrian Stout: Scrooge, Bass, diverse Instrumente wie singende Säge, Budi Butentop: Percussion und Gesang

Die Geschichte vom Geizhals Scrooge und seiner Verwandlung in einen Menschenfreund hatte 2021 in London Première und war gleich ein Riesenerfolg. Ebenso im ausverkauften Theater Akzent. Das Bühnenbild war eine Mischung aus Marionettentheater und Cabaret und zauberte Weihnachtsstimmung mit Augenzwinkern in den Saal. Die drei Sänger erinnerten an Figuren aus Brechts „Dreigroschenoper“. Martyn Jacques als genialer Bänkelsänger erzählte die Geschichte, mal begleitete er sich am Klavier, mal mit dem Akkordeon. Mit beißendem Humor – so weit man den Text mitbekam – erzählte er von den hungernden Straßenkindern in London, von der menschlichen Kälte des Geizhalses, die erst schmilzt, wenn ihm Sterben in totaler Einsamkeit angedroht wird. Alles ohne didaktischen Unterton, die „Moral von der G´schicht“ war in pures musikalischens Vergnügen verpackt. Man schmunzelte, forschte aber zugleich in seinem Innersten nach, wie es da um die eigene Menschenfreundlichkeit steht.

Das Publikum dankte mit frenetischem Applaus und standing ovations. So manche einer – wie auch die Schreiberin dieser Zeilen – hätte sich Übertiteln gewünscht. Denn man konnte das meiste nur erraten, der feine, hinterlistige Humor der Gruppe blieb leider oft auf der Strecke.

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Wiener Konzerthaus: Plattform K & K Vienna. Fatma Said: „A Sense of Mosaic“

K&K steht für Kirill Kobantschenko, den Primgeiger der Wiener Philharmoniker und Gründer der Plattform, die sich als „Hommage an die kaiserlich-königliche Musiktradition versteht“ (Zitat aus Programm). Kirill Kobantschenko: Violine, Petra Kovacic Violine, Michael Strasser Viola, Florian Egger, Violoncello, Bartosz Sikorsi Kontrabass, Christoph Eggner Klavier.

Fatma Said, geboren in Kairo, erhielt schon zahlreiche Auszeichnungen in der Kategorie Lied und ist auf dem Weg zu einer internationalen Karriere. In der Saison 2023/24 ist sie Porträtkünstlerin des Wiener Konzerthauses. Das Programm war voller Überraschungen. Die größte Überraschung aber war die junge Sängerin! Mit ihrem warmen Sopran, der in den Tiefen wie in den Höhen gleichermaßen rein und verführerisch klang, bezauberte Fatma Said sofort das Publikum.

Zum Auftakt gab es von Richard Strauss die Suite „Der Rosenkavalier“, bearbeitet von der Plattform K&K Vienna. Mit ungezähmter Spielfreude überschütteten die Musiker das Publikum mit den bekannten Motiven aus besagter Oper und gaben damit auch das Thema des Abends vor: heitere Melancholie. das Lebensgefühl um 1900. Fatma Said „sang sich ein “ mit Liedern von Brahms (Ophelia Lieder). Mit „Violons dans le soir“ von Camille Saint-Saens verführte sie das Publikum mit ihrem weichen Sopran, der bis ins Mezzo reicht. Mit ihrem romantisch – minimalistisch, fein ziselierenden Stil formte sie aus jedem Lied eine Miniatur-Kostbarkeit. Dies kam besonders stark in dem Lied des ägyptischen Komponisten Sherif Mohie El Din „Against whom?“ zur Geltung. Von Pianissimi steigerte sie sich zu klangvoller Dramatik. Im Lied „Les chemins de l‘amour" von Francis Poulenc erklangen die „chemins de l’amour“ wie hauchzarte Liebesversprechen. Zum Abschluss sang Fatma Said zwei Songs von George Gershwin: „Sommertime“ und „By Strauss“ und zeigte sich von der humorvollen Seite.

Die Musiker der K&K Plattform Vienna spielten mit vollem Steicherklang von Ottorino Respighi die Suite Nr.3, übten sich in einem Tango von Astor Piazzolla: „Invierno porteno“ – wobei man ein wenig das Bandoneon vermisste – und griffen in die volle Dramatik bei den 3 Stücken von Manuel de Falla „Introduccion“, „El sombrero de tres picos“ und „Danza ritual del fuego“.

Als Zugabe sang Fatma Said den bekannten Song „Somewhere over the Rainbow“ von Harold Arlen.

Man darf auf die nächsten Liederabende mit Fatma Said am 11. und 29. Jänner 2024 im Wiener Konzerthaus gespannt sein.

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Grafenegg stellt Saisonprogramm 2024 vor

Die Sommersaison in Grafenegg findet 2024 vom 20. Juli bis 8. September statt. Die Neuigkeit: Die Reitschule wird erweitert und 2026 unter dem neuen Namen Rudolf Buchbinder Saal“ eröffnet. Die traurige Nachricht: Yutaka Sado wird heuer zum letzten Mal die Festival-Eröffnung (16. August) dirigieren. Am Programm: George Gershwin und Arnold Schönberg. Er verlässt mit 2024 die Tonkünstler. Ihm folgt Fabien Gabel, der am 23. August das Abendkonzert dirigieren wird. Composer in Residence wird Enno Poppe sein. Er wird am 28. August sein neues Werk „Strom“ dirigieren.

Für Gäste, die Übernachtungsmöglichkeiten suchen, werden neben den schon bestehenden Hotels neu B&B in den umliegenden Kellergassen angeboten.

Das ganze Programm im Detail: www.granegg.com

Konzerthaus: Cleveland Orchestra, Simon Keenlyside, Franz Welser-Möst: Gustav Mahler, Lieder und 7. Symphonie

Sechs ausgewählte Lieder, Bearbeitung für Bariton und Orchester von Luciano Berio, interpretiert von Simon Keenlyside

Gustav Mahler wurde in dieser Woche hoch gefeiert: Die Tonkünstler spielten unter Yudaka Sado im Festspielhaus St. Pölten und im Musikverein die 6. Symphonie (s. den Beitrag dazu auf dieser Webseite).

Und nun also Gustav Mahler im Konzerthaus. Im ersten Teil faszinierte Simon Keenlyside als Liedinterpret. Die von Luciano Berio bearbeitete Fassung der 7 ausgewählten Lieder ist keine Neuinterpretation, sondern eine stärkere Betonung der expressionistischen Elemente . Für den Sänger keine leichte Aufgabe. Simon Keenlyside ist bekannt, dass er Lied oder Arie mit exzellenter Wortdeutichkeit und völlig akzentfrei singt, dabei spiegelt sich der Sinn des Liedes in seiner Körpersprache, Gestik und Mimik ebenso wider wie in seinem Gesang. Die 7 ausgewählten Lieder stammen aus der von Achim von Arnim und Clemens Brentano zusammengestellten Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, von denen Mahler 24 vertonte. Sieben interpretierte Keenlyside an diesem Abend. Leicht und spielerisch brachte er die ersten beiden Lieder „Frühlingsmorgen“ und „Ablösung vom Sommer“ vor, die Tragik des Soldatenlebens in „Revelge“ lag dem Bariton besonders gut. Doch auch die feine, zarte Romantik im „Urlicht“, in dem bekannte Melodien, die für Mahler so markant sind, zitiert werden. Begeistern konnte er auch in den letzten beiden Liedern „Rheinlegendchen“ und „Hans und Grete“, die er mit dem für das Volkslied typischen Humor vorbrachte. Welser-Möst leitete das Cleveland Orchestra mit feiner Zurückhaltung. Für die ausgezeichnete Interpretation gab es ausführlichen Beifall.

Gustav Mahler, 7. Symphonie

Nach der Pause war es vorbei mit Zurückhaltung. Der volle Einsatz vom Orchester und Dirigenten war verlangt. Und Welser-Möst schonte weder sich noch das Orchester. Ähnlich wie in der 6. Symphonie komponierte Mahler die Untergangsstimmung dieser Zeit, nur legte er die Themen noch collagenhafter an. Die zu entwirren und zu einem klanglichen Ganzen zusammenzuführen, war die grandiose Misterleistung des Dirigenten und des Orchesters. Wie schon in der 6. verwendete Mahler auch in der 7. Herdenglocken, dazu noch Mandoline und Gitarre. Die Vielfalt der Themen zu strukturieren und in präziser Form zu spielen, die Steigerung und Spannung bis zum furiosen und nihilistischen Ende durchzuhalten, gelang Orchester und Dirigenten bis zum tosenden und tobenden Schluss.

Der Schlussapplaus brach orkanartig los und endete in standing ovations.

Anzumerken ist noch: Welser-Möst, der ja krankheitshalber alle Operntermine absagte, versprach alle Termine im Zyklus „Welser-Möst im Konzerthaus“ einzuhalten.

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Festspielhaus St. Pölten: Gustav Mahler, Symphonie Nr.6. Judaka Sado dirigiert die Tonkünstler.

Wenn Judaka Sado die Tonkünstler dirigiert, dann weiß man am Ende, Mahler noch nie so aufregend gehört zu haben.

Gustav Mahler gab der 6. Symphonie den Beinamen „Tragische“. Er komponierte sie im Sommer 1903/04, als die tragischen Ereignisse seines Lebens noch in der Ferne lagen. Es war wohl eine Art prophetische Ahnung, die allgemein herrschende Untergangsstimmung dürfte er gespürt haben. Als er 1906 die Uraufführung dirigierte, war das Publikum begeistert, die Kritiker weniger. Sie fassten ihr Urteil mit der Frage zusammen: Wozu der Lärm? (Zitat Ute van der Sanden, die vor Beginn die Einführung hielt)

Judaka Sado ist ein Dirigent, der aus dem „Lärm“ wundervolle Strukturen entstehen lässt. Gebannt hört man ihm zu, bewundert seinen körperlichen Totaleinsatz. Er ziseliert die Strukturen, lenkt die 112 Musiker mit Feingespür durch diese gewaltige Komposition. Anders als so manch selbstverliebter Dirigent, stellt er sich ganz in den Dienst des Komponisten, erarbeitet die musikalische Architektur dieses Monumentalwerkes klar heraus.

Im ersten Satz ertönt die von Mahler so gern eingesetzte Marschmusik, begleitet von einem schwungvollen Seitenthema und dem Klang der Herdenglocken, die für Mahler „Symbol für extremste Weltferne, Entrücktheit und Nähe zu Gott“ (Programmheft) sind. Sado führt die Musiker markig und draufgängerisch durch diesen 1. Satz bis zum pompösen Schluss. Spannung pur. Langeweile kommt keine Sekunde auf, schon gar nicht im nachfolgenden Scherzo. Hier arbeitet Sado die ironische Komponente deutlich heraus: betulich, „altväterisch“ – so Mahlers Angabe. Man darf schmunzeln. Überirdisch fein dirigiert er die Musiker durch das Andante. Man versinkt in der Romantik und möchte daraus nicht aufwachen. (Die Schwärmerei sei entschuldigt, aber so war es!). Im Finale glaubt man sich in die Filmmusik eines Thrillers versetzt: Das Unheil schleicht sich an, droht immer heftiger. Zwei Hammerschläge (ein riesiger Holzhammer wird auf eine Holzkiste gedonnert, genau nach Anweisung des Komponisten) verkünden das Unausweichliche, die Zerstörung triumphiert mit einem letzten Hammerschlag. Auch wenn aus der Ferne die Glocken erklingen – die Hoffnung hat keine Chance.

Als sich Yutako Sado vor dem begeisterten Publikum verbeugt, sieht man in seinem Gesicht die Spüren der Anspannung und Erschöpfung. Er schenkt sich und seinen Musikern nichts, verlangt das Äußerste. Das macht diesen Dirigenten zu einem der besten Mahlerinterpreten.

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Grafenegg, 25. August 2023: Mahler Chamber Orchestra, Daniil Trifonov, Daniel Harding.

Es war einer dieser Sommernächte, die Menschen mit heiterem Sinn erfüllt. Im Park von Grafenegg lagerten sie und picknickten oder lasen und lachten und redeten…Die Stimmung war erwartungsvoll. Über dem machtvollen Wolkenturm stieg die zarte Silhouette des Mondes auf. Grillen zirpten und hin und wieder hörte man einen Vogel im Schlaf zwitschern.

© Silvia Matras

„Nein, Sie müssen keine Angst vor der Musik eines Komponisten haben, der noch lebt“, meint Ursula Magnes in ihrer humorvollen Einleitung. Der noch lebende Komponist ist George Benjamin (geb. 1960), und schrieb mit „Concerto for Orchestra“ (2019-2020) ein „elegantes Divenkleid für Orchester“ – so wieder Ursula Magnes. Nun, das Divenkleid wirkte ein wenig ramponiert, so als hätte die Trägerin eine Nacht lang wild durchgetanzt. Jedenfalls führte Daniel Harding das Mahler Chamber Orchestra mit sicherer Hand durch das Klanggewirr. Manchmal aggressiv, dann doch auch ein wenig romantisch, hin und wieder glaubte man Vögel zwitschern zu hören – insgesamt eine Musik, die aufweckt und durchaus gut hörbar war. Ursula Magnes hatte nicht zu viel versprcochen.

Danach folgte das mit Spannung erwartete „Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op.54 (1841-45) von Robert Schumann, am Klavier der Starpianist Daniil Trifonov. Ihm eilt der Ruf voraus, ein „Wahnsinniger “ am Klavier zu sein. An diesem Abend wirkte er gezähmt, in sich gekehrt. Innig, zärtlich klangen die flinken Triller im „Allegro affettuoso“ und ebenso feinsinnig erklang das „Andantino grazioso“. Selbst im „Allegro vivace“ ließ der Pianist immer spüren, dass Schumann in diesem Konzert die Liebe zu seiner Frau Clara in Noten gefaßt hatte. Daniel Harding lenkte mit kundiger Hand durch das ausgeklügelte Zusammenspiel zwischen Klavier und Orchester. Ein Abend, der ganz zu dieser Sommerstimmung passte. Obwohl es leicht zu regnen begann, spielte Trifonov als Zugabe Bach.

Nach der Pause ging das Konzert im Auditorium mit der Symphonie Nr.3 F-Dur op. 90 von Johannes Brahms weiter. Brahms schrieb dieses Werk mit 50 Jahren (1883), und man sagt, es sei die Essenz seiner Werke. Die Uraufführung im Wiener Musiverein war ein Triumph. Clara Schumann schrieb in einem Brief an Brahms: „Jeder Satz ist ein Juwel.“ Dirigent und Orchester in Höchstform entführten das Publikum in eine jubelnde Natur, ließen einen Waldzauberteppich erklingen, dass am Ende viele meinten, diese Symphonie noch sie so herzergreifend gehört zu haben. Langer Applaus und standing ovations belohnten Dirigent und Orchester für die großartige Leistung.

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Kultursommer am Semmering: Andrea Eckert präsentiert Georg Kreisler

Begleitet von den Wladigeroff Brothers und Otmar Klein, der mit Rat und viel Information den Abend mitgestaltete.

Endlich wieder Andrea Eckert, die viele vermissen! Und endlich wieder Georg Kreisler in einer stimmigen, künstlerisch hoch qualifizierten Darbietung. Wer Andrea Eckert kennt, der weiß, dass sie die höchsten Anforderunen an sich stellt und das Publikum die höchsten Erwartungen erfüllt sieht. Man denkt an ihre „Callas“ oder „Rosa“ – jüngst noch im Nestroyhoftheater/Hamakom zu sehen.

Im edlen Smoking, die Haare hoch gesteckt, verkörpert sie eine Diseuse aus dem vorigen Jahrhundert, aus der Zeit, als Juden Wien verlassen mussten, wenn sie es noch konnten. Ohne Larmoyanz erzählt Andrea Eckert von Kreisler, der mit 17 Jahren gemeinsam mit seiner Familie in die USA emigrierte. In Wien war der Tod zu Hause – „Der Tod, des muas a Weana sein..“ singt Kreisler/ Eckert – genau mit dem nötigen Mix aus Wiener Schmalz und Hinterfotzigkeit! Drüben war es nicht leicht – und Kreisler fragt: „Meinen Sie, es ist leicht? – Man muss nur wissen, man hat niemals ein Zuhause“. Diese bewußt gemachte Heimatlosigkeit lässt den jungen Kreisler einfacher die Schwierigkeiten „drüben“ und dann wieder „herüben“ überstehen. Er geht nach New York, aber keiner will seine traurigen Lieder hören. Also stellt er um auf Humor, abgrundtiefen Humor, der tief aus der jüdischen Seele kommt. Und er hat Erfolg. Natürlich dürfen jetzt nicht die bekannten Zungenbrecherlieder fehlen, …“Der Putz war da, der Kohn war da…“ und sie diskutieren. Da glänzt Andrea Eckert mit ihrer hinreißenden, humorvollen Darbietung.

Nach dem Krieg kehrt Georg Kreisler nach Österreich zurück – aber er ist nicht willkommen und er riecht denselben Mief wie vor dem Krieg. Berührend in den Liedern „Verlassen“ und „Mein kleines Mädele“. Doch weil der Abend nicht traurig enden soll, entlässt Andrea Eckert uns mit dem Hit „Mein Mann will mich verlassen – Gott sei Dank!“

Für den mitreißenden Abend gab es ganz, ganz herzlichen Applaus!

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Sophie Heinrich und Paul Rivinius: In Almas Musiksalon, verlegt ins „Muth“

Foto „das Muth“: Helmut Karl Lackner

Die Idee, einen Salon, besser DEN Salon à la Berta Zuckerkandl ins Heute zu transportieren, hatte Sophie Heinrich, Konzertmeisterin bei den Wiener Symphonikern, schon vor einiger Zeit gehabt. Nach ausgiebigem Studium der Literatur über „das Teufelsweib Alma Mahler“ hatte sie Musik von Alma, ihrem Lehrer Alexander Zemlinsky, ihrem Ehemann Gustav Mahler für den Salonabend im Muth zusammengestellt.

Sophie Heinrich spielte auf einer Stradivari. Ihr Begleiter auf einem Bösendorfer Flügel war Paul Rivinius. Neben dem Klavier deuteten ein Lehnsessel und eine alte Stehlampe die Atmosphäre eines Salons um 1900 an. Dort saß Sophie Heinrich und las Zitate aus Almas Tagebuch und Beobachtungen von Zeitgenossen vor. Nach dieser kurzen Introduktion griff sie zum Instrument und verwandelte sich in eine wahre Teufelsgeigerin. Paul Rivinius war ein behutsamer Lenker durch die manchmal recht furiose Salonmusik.

Den Auftakt machte die Serenade in A-Dur von Alexander Zemlinsky, der Alma in Kompositionslehre unterrichtete. Zwischen den beiden soll es ja ein inniges Techtelmechtel gegeben haben. Die Musik ist teils zärtlich-einschläfernd, teils hart und energisch, wie er sich in Gegenwart der Schönen gefühlt haben mag. Dann kam Alma selbst zu Wort – eher zur „Note“. Bevor sie Gustav Mahler heiratete, komponierte sie selbst eifrig. Die beiden Liebeslieder „Bei dir ist es traut“ und „Waldseligkeit“ klingen innig, zärtlich. War die Adresse, an die sie gerichtet waren, noch Zemlinsky oder schon Mahler? Eher Zemlinsky, denn Mahler hatte ihr ja strikt verboten zu komponieren: „Du sollst so werden, wie ich dich brauche!“ schreibt er seiner Braut. Sie soll – so erzählt Sophie Heinrich – eine Nacht lang in ihrem Zimmer ratlos auf und abgewandert sein, unschlüssig, ob sie so einen Tyrannen heiraten will. – Sie wollte! Denn Ruhm und Genialität eines Mannes zogen sie ihr ganzes Leben hindurch an. Und sie scheint sich an dieses Verbot gehalten zu haben. Es wurden außer diesen beiden Liedern aus der Brautzeit keine späteren Kompositionen gefunden. Jedenfall dankt ihr Mahler mit einem innigen Liebeslied und mit dem zu Herzen gehenden Adagietto aus der 5. Symphonie – einfühlsam und virtuos von Sophie Heinrich gespielt, Die Bearbeitung für Violine und Klavier stammt von Robert Wittinger.

Danach vergönnten die beiden Interpreten dem Publikum eine Pause und mit der Sonate von Richard Strauss Erholung von so viel Liebesgeflüster. Diese erfrischende Salonmusik schrieb Strauss mit 23 Jahren und da wußte er bereits, wo es lang gehen soll. Alle Charakteristika seiner Musik waren schon aufbereitet – spannend zu hören!!

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Grafenegg – Schlossklänge: Mendelssohn-Bartholdy, Paulus Oratorium

Tonkünstler Orchester Niederösterreich, Dirigent: Fabien Gabel, Arnold Schönberg Chor: Leitung Erwin Ortner

Nikola Hillebrand: Sopran, Johanna Krokovay: Alt, André Schuen: Bariton, Werner Güra: Tenor

Mit dem Oratorium „Paulus“ (Uraufführung 1836 in Düsseldorf) wurde Mendelssohn-Bartholdy schlagartig in ganz Europa bekannt. Er wurde als Originalgenie gefeiert, einer der die Romantik mit der Klassik versöhnte und neu aufstellte. Oratorien wurden vor ihm zahlreich komponiert, alle mit dem Ziel, die Reformation zu stoppen. Nun also kommt ein Komponist mit jüdischem Hintergrund und protestantischem Glauben und versöhnt die Gegensätze!

Der Schönbergchor beginnt mit Macht einen Triumphgesang zu Ehren Gottes, dann setzen die Solistimmen ein:

Mit klarem Sopran, herrlich in der Höhe, sicher in der Mittellage singt Nikola Hillebrand von Stephanus. Dann setzt der Tenor (Werner Güra) etwas verhalten fort mit der Geschichte der Juden, die Moses‘ Gesetze missachteten. Erster Höhepunkt ist die hochdramatische Forderung, formuliert vom Chor: Steinigt ihn (Stepahnaus). Kühl, fast wie ein Chronist, bestätigt der Tenor (Werner Güra)) die Tat. Spätestens mit diesen Szenen versetzt der Komponist die Zuhörer in Hochspannung, untermalt von dem Orchester, das Fabien Gabel stilsicher dirigiert. Opernhaft geht es weiter: Saulus erfährt an sich die Erleuchtung und wird zu Paulus. Großartig setzt da André Schuen mit seinem volltönendem Bariton, der bis in die Tiefen des Basses reicht, ein – er ist ein demütig-kraftvoller Paulus, ein Erneuerer, der die Worte des Herrn über die Grenzen verbreiten wird. Seine Arie „Ihr Männer, was macht ihr da?“ ist Mahnung, Aufforderung, die Gräben zwischen allen Menschen zuzuschütten! Kaum eine passendere Botschaft an all die kriegswahnsinnigen Machtgierigen hätte zu Zeiten wie diesen musikalisch erklingen können!

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Tonkünstler: Puccini/Mendelssohn/Nielsen – Festspielhaus St. Pölten

Dirigent: Vincenzo Militarì. Violine: Benny Tseng

Giacomo Puccini: Preludio sinfonico

Puccini war zu Beginn seiner Komponistenkarriere ein begeisterter Anhänger Richard Wagners., wie man aus diesem kurzen Musikstück deutlich heraushören konnte. Weich, schwärmerisch hört es sich an, nichts noch von „Tosca“ oder „La Bohème“. Als Jugendwerk dafür um so interessanter, weil man sich wundert, wie schnell sich Puccini von Wagner verabschiedet und in seinen Opern eine ihm ganz eigene Tonsprache gefunden hat. Der junge italienische Dirigent Vincenzo Militarì hebt den schwärmerischen Tonus des Preludiums elegant hervor, lässt das Publikum so richtig „romantisch“ träumen. Um dann umso schärfer, in fast aggressivem Ton das nächste Stück zu dirigieren:

Felix Mendelssohn Bartholdy: Konzert für Violine und Orchester e-Moll op.64

Militarì muss sich wohl an die virtuose Rasanz seines Solisten, des Geigers Benny Tseng, anpassen. Tseng stammt aus Taiwan und achtet wie viele Solisten aus dem asiatischen Raum in erster Linie auf klares, virtuoses Spiel. Schnelligkeit ist kein Bonus, sondern Voraussetzung. Ebenso Virtuosität. Dass dabei in manchen Passagen der Schmelz, die Weichheit, wofür das Konzert ja bekannt ist, ein wenig zu kurz kommt, nimmt Tseng in Kauf. Gleich zu Beginn brilliert er mit dem Hauptthema und verleitet Orchester und Dirigent zu einem fast atemlosen Spiel. Im Andante des 2. Satzes lässt er sich dann doch auf die fließende Melodie der Kantilenen ein und kommt zu einer gewissen Ruhe, um im 3. Satz, im Allegro molto vivace, dann vollends mit seinen griffsicheren Fingern zu brillieren.

Carl Nielsen: Symphonie Nr.2 op.16 – „Die vier Temperamente“

Der in Dänemark 1865 geborene Carl Nielsen ist trotz seiner Erfolge zu Lebzeiten bei uns weniger bekannt. Um so spannender ist seine Komposition „Die vier Temperamente“ – inspiriert von der Typenlehre des Hippokrates. Militari und das Orchester waren sich einig: keine Übertreibungen, sondern klare Aussagen: Im ersten Satz „Allegro collerico“ hört man bestens das cholerische Temperament: leise brodelt die Melodie, um sich dann in Grimmigkeit zu steigern, ohne überlaut zu werden – das wäre zu sehr Klischee. In dem dem Phlegmatiker gewidmeten Satz weiß Nielsen gekonnt den Humor einzusetzen: Man hört förmlich die Frage des Phlegmatikers: Soll ich, soll ich nicht? Eher nicht. Die Töne ruckeln und zuckeln, zögern, ein Stück vor, zwei zurück. Das „Andante malincolico“ klingt ganz nach Mahler, obwohl, so heißt es in der Literatur, Nielsen sich nicht viel aus seinem berühmten Zeitgenossen machte. Militarì führt das Orchester mit feiner Behutsamkeit, lässt das Publikum in genüsslicher Traurigkeit schwelgen. Wenig überraschend sprudelt der Sanguiniker über vor Geschäftigkeit, Aber dann- ein zarter, fein komponierter Schluss, der alle vier Temperament tröstlich einschließt.

Ein zufriedenes Publikum dankt mit viel Applaus.

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„Ein Sommernachtstraum“ – Shakespeare und Mendelssohn Bartholdy

Zyklus Literatur im Konzerthaus

Klavierduo: Sivan Silver und Gil Garburg.

Lesung: Oberon: Michael Maertens, Titania: Marie-Luise Stockinger, Puck: Daniel Keberle

Vorspiel: Leise, leise führt uns Mendelssohn Bartholdy in die Welt der Feen ein. Dann beginnt die Musik zu schwirren, es quirlt, hörbar schlägt Puck seine Kapriolen. Dabei wird sicher niemand einschlafen, auch nicht Titania, denn die hat nichts anderes vor, als Oberon zu drohen und sich über ihn zu ärgern- ein klassischer Ehestreit. Der bleibt gelassen – typisch Maertens: ihn kann nichts aus der Ruhe bringen. Pfiffig, witzig greift Puck, alias Keberle, in das Geschehen ein: er knurrt, juchzt, lacht, ist ein Wesen zwischen Tier und Kobold. Jedenfalls amüsiert er Oberon, vor allem aber das Publikum. Dann spielt das Klavierduo das von der Titania geforderte Schlaflied – und Marie Luise Stockinger fällt mit dem Kopf auf den Tisch. So kann Oberon ruhig seinen Zaubertraum über Titania senden, in dem sie sich bekanntlich in einen Esel verliebt. Die Traumhandlung wird nur verkürzt erzählt und durch die Musik vermittelt.

Nach der Pause wird Titania geweckt, Puck amüsiert sich köstlich (und das Publikum mit Puck mit) über diese „Liebesaffäre zwischen Titania und Esel. Oberon verkündet – ganz imperialer Zauberoberherr – das Ende des Traumes und die Versöhnung mit Titania. Mit dem berühmten Hochzeitsmarsch, der für das Paar Theseus und Hippolyta erklingt, endet der Sommernachtstraum.

Besser hätte man das Datum für diese Aufführung wählen können: Der Frühling brach mit voller Schönheit über Wien herein. Im Konzerthaus spielte man eine laue Sommernacht – gekonnt von dem Duo Silver-Garburg am Klavier in den Saal gezaubert. Die Musik spielte an diesem Abend eine tragende Handlungsrolle – viele Teile des Dramas hat Mendelssohn Bartholdy durchkomponiert, der Text „füllt“ die Lücken, die die Musik lässt, geschmeidig aus. Ein gelungener Abend, ironisch- heiter , wie es zum Frühlingsbeginn passt.

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Theater Akzent: Tim Fischer: Ich bin die Leander-Zarah auf Probe

Buch: Ulrich Heissig und Tim Fischer

Musikalische Begleitung: Oliver Potratz: Kontrabass, Matthias Weibrich: Piano, Bernd Oezsevin: Schlagzeug, Hauke Reuhen: Vibraphon

Tim Fischer, der bekannte Chansonnier und Schauspieler, widmet sich erneut der Legende „Zarah“. Wenn er im Titel ankündigt „Ich bin Zarah“, dann meint er es auch. Er wirft keinen Blick von außen auf die wegen ihrer Nazivergangenheit nicht unumstrittene Diva, sondern vertritt sie, ist sie. In diesem Sinne verteidigt er sie. Die Einstellung Zarah Leanders zu ihrer Teilnahme an Ufafilmen, ihren Auftritte bei Goebbels und vor Hitler war je eher naiv, entschuldigend. Daher lässt Tim Fischer sie sagen: „Ich war eine politische Idiotin!“, was soviel heißt, damit sei alles entschuldigt und erklärt. Für Zarah sicher, für die Nachwelt nicht immer.

Im eleganten Abendkleid mit stilsicherem Ausschnitt tritt Zarah zur Probe 1938 an. Von Hamburg aus soll die Tournee durch Deutschland gehen, sie wird ein Riesenerfolg und ihr Comeback ist gemacht! Diese Probe lässt Tim Fischer das Publikum miterleben, betört es mit bekannten Liedern wie „Kann denn Liebe Sünde sein“, „Ich steh im Regen..“ oder „Ich weiß, es wird noch ein Wunder geschehen“. Tim Fischer erreicht mit seiner tiefen Stimme, dem breiten Timbre und dem rollenden R fast den Zauber Zarahs. Aber nur fast. Was fehlt, ist die Weichheit, die damals die Zuhörer in das Lied hineinzog. Bei näherem Nachdenken über dieses „Manko“, kommt man darauf, dass es passt, weil Tim Fischer ein kluges Konzept verfolgt: Er singt von Liebe, die Text scheinen weich, aber dahinter lässt er eine neue Seite aufglimmen: Zarahs Humor, Ironie, Schlagfertigkeit und Witz – Waffen, mit denen sie sich selbt gegen alle Vorwürfe verteidigt. Etwa, dass sie einige Male bei Goebbels eingeladen war und ihn schlagfertig abwehren konnte. Dass sie eben eine gefeierte Diva war, weil sie von der Liebe sang, eine Liebe, die in Kriegszeiten schlechte Karten hatte. Sie sinniert über die brave deutsche Frau, die gerade erfährt, dass ihr Mann in „Tapferkeit vor dem Feind“ sein Leben für das Vaterland gelassen hat. Wie wird sie sich und ihre zahlreichen Kinder durchbringen? Wenn Tim Fischer singt: Ich stehe im Regen, dann ist es auch die Frau, die auf die Rückkehr ihres Mannes wartet, der vielleicht schon gefallen ist. Die Liebe bekommt bei Tim Fischer immer eine Konnotation mit der damaligen schweren Zeit, eine doppelte Message, die über den banal scheinenden Text hinaus auch heißt: Denkt an die Liebe, die so sehr in Zeiten wie diesen fehlt. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum das Publikum ihn als Zarah Leander frenetisch feierte.

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FESTSPIELHAUS ST.PÖLTEN: TONKÜNSTLER-ORCHESTER: RACHMANINOW/MAHLER

Sergej Rachmaninow: Konzert für Klavier und Orchester Nr.3 d-Moll op 30. Klavier: Kyohei Sorita, Dirigent Yutaka Sado

1917 aus Russland in die USA emigriert, fühlte sich Rachmaninow nie wirklich in der neuen Heimat „beheimatet“. Sein Herz und seine Wurzeln blieben russisch. Und seine Musik ebenso. Die Amerikaner sahen in ihm mehr den Tastenvirtuosen als den Komponisten. 1910 wurde das Konzert erstmals in New York aufgeführt und es dirigierte kein Geringerer als Gustav Mahler.

Dieses Klavierkonzert verlangt vom Pianisten all sein Können: Technisch sehr schwierig und thematisch ein WEchselbad der Gefühle – eine muikalische Beschreibung des Komponisten, wie er sich in dem neuen Land fühlte. Kyohei Sorita ist ein technisch perfekter Pianist, sein Spiel ist makellos, seine Läufe beeindruckend. Sein Anschlag hart, exakt, was durch den Steinway noch verstärkt wurde. Und so beeindruckt Sorita mehr durch sein Virtuosentum als durch seine Interpretation. Zwar tönt die Musik eines Zerrissenen laut, heftig und schnell, aber es fehlt ein wenig der Gegenpart: die Zärtlichkeit, die tiefen Gefühle, die Rachmaninow durchaus in das Werk komponierte. Dirigent Yutaka Sado führte das Orchester behutsam und zurückhaltend, ließ die Streicher die Musik wie einen feinen Teppich unter das Klavier legen.

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 1 D-Dur inklusive Blumine. Dirigent der Tonkünstler: Yutaka Sado

Nur kurze Zeit nach den wuchtigen Symphonien eines Bruckners und Brahms schrieb Gustav Mahler seine erste Symphonie, in der er alle strenge Logik eines Symphonikers über Bord wirft. 1884 begann er daran zu arbeiten, schrieb immer wieder Neues hinzu – wie die „Blumine“ (eine musikalische Ehrung der Göttin Flora), ließ manches weg. 1889 wurde das Werk in Budapest uraufgeführt. Der damals sehr gefürchtete Kritiker Edward Hanslik schrieb über diese Symphonie: „Das ist keine Musik!“

Gustav Mahler über diese Symphonie: „Sie muss sein wie die Welt, sie muss alles umfassen, auch die weniger schönen Dinge.“ Das gilt wohl für alle Werke Mahlers.

Yutaka Sado schenkte dem Publikum einen Abend, der tief im Gedächtnis bleiben wird. Selten – besser noch nie – hat man diese Symphonie so voller Zartheit, Wildheit, Romantik, Ironie und Versponnenheit gehört. Behutsam beginnen die Streicher, zart, als öffneten sich die Wolken und ein Sonnenstrahl beleuchtet die Erde. Man spürt, wie sehr Orchester und Drigent miteinander verwachsen sind. Sado dirigiert nicht, er schwingt sich in die Melodien ein und mimmt das Orchester mit auf die innere Reise Mahlers. Heiter ist die Luft ringsum, leise erklingt das Lied „Ging heut morgen übers Feld“, ein Thema kollidiert mit dem nächsten, um sich zu einem siegreichen Ende zu arrangieren. In der „Blumine“ lassen Dirigent und Orchester eine Blüte nach der anderen aufblühen. Frühling ist es! Unmittelbar darauf platzt die Energie eines Dorftanzes auf, dann ein Trauermarsch, der in die Träume über einen Lindenbaum hinüberfließt. Um im nächsten Satz das Unwetter über die Welt ziehen zu lassen, Hornisten und Trommler triumphieren, ohne alles zu übertönen. Mit feinem Fingerspitzengefühl lässt der Dirigent die Motive aufsteigen, gibt ihnen Zeit, ohne sie zu zerdehnen. Dem fulminanten Schluss, den die meisten Dirigenten derartig heftig überdrehen, dass nachher die Ohren schmerzen, gibt er den nötigen Wirkungsraum und Stärke, ohne das Tongebilde im puren Lärm und Getöse versinken zu lassen. Auch das für Mahler so typische triumphale Ende bleibt geformt und ausgefeilt.

Das Publikum dankte mit langem Applaus, standing ovation, das Orchester spendete seinem Dirigenten anerkennendem Beifall mit Geigenbogen und Füßen.

Es war eine Sternstunde der Musik!

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P.S.: Ein Kompliment an Dr. Alexander Moore, der ein interessante Einführung zu den beiden Werken hielt. Und einmal mehr sei das Programm lobend erwähnt. Die Informationen sind für Laien und Profis gleichermaßen interessant.

Volksoper Wien: Jacques Offenbach: Orpheus in der Unterwelt

Fast drei Stunden Ausstattungsorgie! Teils optischer Genuss, teils witzig, teils überflüssig. Julian Crouch, für Bühne und Kostüme verwantwortlich, schwelgt im bewusstem Kitsch, manchmal fein dosiert mit ironischer Wirkung, manchmal schwappt diese Orgie über den Topfrand und wird zu viel. Im ersten Teil genießt man all diese Gags – Theater im Theater, das Bühnenbild wie aus der Kitschmottenkiste mit humorigem Zwinkern; da hüpft Eurydike ( Hedwig Ritter stimmlich ziemlich tough) zwischen Tempelsäulen und sammelt Blumen für ihren Liebsten, einen Schäfer. Sie klagt über ihren langweiligen Ehemann Orpheus, Schäfer tauchen auf, Zeit der Schafschur ist – eines der entzückendsten Ballettszenen des Abends entrollt sich: Schafstanz , zuerst in der vollen Wolle, dann geschoren. Choreographie (Gail Skrela) und Kostüme überschlagen sich hier an Einfällen. Orpheus betritt die Bühne (Daniel Kluge – köstlich in der Selbstverleugnung) und gleicht so gar nicht dem aus der Antike tradierten Bild. Statt eines schönen Jünglings, dessen Gesang Steine zum Heulen bringt, spielt da ein selbstverliebter, unattraktaktiver Langeweiler. Eigentlich kann er gar nicht richtig Geige spielen, als Ehemann und Lehrer taugt er schon gar nicht.

Dann Sprung in die Götterwelt – der Schäfer entpuppt sich als Pluto, Gott der Unterwelt – Timothy Fallon gibt einen behäbigen Gott, stimmlich gut. Dass Eurydike nun in der Unterwelt gefangen gehalten wird, ist ihr gar nicht recht. Sie langweilt sich, niemand liebt sie. In den Szenen mit Styx als Wächter und Fliege (Sebastian Matt) haben die Regisseure viele Chancen auf echt gute Humorszenen vergeben. Denn leider fehlt hier das geistvolle Blödeln, es bleibt nur die reine Blödelei. Noch dazu ist Sebastian Max – wie auch Ruth Brauer-Kvam als öffentliche Meinung oder Marco di Sapia als Zeus – nur schwer verständlich. All die folgenden Szenen im Götterhimmel geraten zu langatmig, da fehlt der kluge Strich. Mühsam gehts mit der Vorstellung jeder einzelnen Gottheit voran – wer weiß schon was über die Büchse der Pandora, das Pantscherl zwischen Mars und Venus oder warum Merkur auf Rollschuhen daherkommt. Die Nomenklatur der Götter ist vielleicht gerade noch aus den klassischen Heldensagen bekannt – und das ist kein gesichertes Wissen. Die Langeweile wird dann von zwei herrlichen Tanzszenen aufgemischt, zuerst durch die Parade der Liebespolizei des Cupido. Da hört man die Kinder vor Lachen kreischen und jubeln. Und darauf der temperamentvoll und toll getanzte Cancan – das war Augenweide für die Erwachsenen. Wie überhaupt die Aufführung mehr durch optische Opulenz und tänzerische Einlagen als durch geistreichen Witz begeistert.

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Bösendorfer Festival: Schubert, Winterreise

Günther Groissböck: Gesang. Florian Krumpöck: Klavier. Kasematten Wiener Neustadt

Das Opernpublikum kennt Günther Groissböck als außergewöhnlichen Sänger und Rollengestalter, etwa als Wassermann in „Rusalka“ oder als Ochs im „Rosenkavalier“. Nun erobert sich Groissböck auch die Liedszene. Ohne seinen ganzen Stimmunfang zu demonstrieren – wie man das von manchen bekannten Opernstars kennt, die sich auch im Lied als Opernstar beweisen wollen – ziseliert er Wort für Wort, Ton für Ton den Schmerz dieses Menschen, der durch den Winter seiner Seele und der Natur geht und erfährt, was Einsamkeit heißt. Tempowechsel und Steigerung vom Piano zum vollen Bass, leise, zart, bis deutlich laut- weil zutiefst verletzt – so führt Groissböck sich und sein Publikum durch diese Reise. Trotz mehrmaliger Störung (Handy und ein dringend notwendiger Rettungseinsatz) bleibt er konzentriert, bleibt in der Seele des Wanderers, macht alle Tiefen durch, allen Schmerz, der sich in Tränen auflöst und doch nicht weniger wird.

Er beginnt nüchtern („Gute Nacht“): Nimmt Abschied von seinem Liebchen, wünscht ihr gute Nacht. Lässt die Hunde heulen. Es klingt wie ein Faktum: eben nach Abschied. Doch mit jedem Lied steigert Groissböck die Intensität bis zum ersten Höhepunkt – zur „Erstarrung“: Tränen gefrieren zu Eis, der Sänger jagt durch den Schmerz, immer nach „ihrem“ Bild suchen, den Schmerz verstärkend. Im „Lindenbaum“ führt er uns durch eine kurze Idylle, die bald in Dramatik umschlägt. Ab nun gibt es keine Wehmut, nur Dramatik. Traum und Wirklichkeit mischen sich , aber daraus erwachend erkennt er: Die Welt ist eben so beschaffen, in dieser Welt bleibt er immer einsam. Die Krähe wird ihm Lockvogel, lenkt seine Gedanken in den Tod. Vorher noch die bittere Erkenntnis: Menschen sollt ich scheuen, ich muss eine andere Straße gehen. Ein letztes Aufbäumen. Dann der Leiermann. Niemand beachtet seine Musik, doch er findet in ihr Ruhe.

Großartig, wie Günther Groisböck diese Reise gestaltete. Begleitet wurde er kongenial von Florian Krumböck. Wie dessen Finger über die Tasten schwebten, Schuberttöne in selten gehörter Zartheit hervorzauberten, dann wieder mit Macht, aber ohne vorlaute Wucht der Dramatik des Liedes folgten – das war Schubert in reinster, vollkommenster Form!

Infos zu weiteren Veranstaltungen

http://www.kasematten-wn.at und http://www.boesendorfer-wn.at

Wiener Konzerthaus: „Capucelli“ im Zyklus „Grenzenlose Musik“

Der Titel ist Programm: Gautier Capucon und sechs junge Cellisten aus der „Classe d`Excellence de Violoncello“ der Fondation Louis Vuitton Paris offerierten ein buntes Programm, gut gemischt aus klassischen und eigens für diese Gruppe komponierten Werken. Spannend, aufregend. Zum Rahmen „Grenzenlose Musik“ passend kommen die Musiker und Musikerinnen aus verschiedenen Ländern: Frankreich, Österreich, Belgien, Deutschland. Alle haben bereits eine internationale Karriere vorzuweisen.

Ein Musikabend wie dieser löst Reflexionen aus: Man spricht überall von der Krise des Theaters, ja der Kultur im allgemeinen. Führt diverse Gründe, wie Pandemie, Krieg oder Umweltprobleme an, die die Menschen vom Besuch eines Kulturevents abhalten. Aber dass dieser Abend ausverkauft war – wie passt das? Die Erklärung ist einfach: Musik, wie sie an diesem Abend erklang, schafft Bildertheater im Kopf. Der Zuhörer muss sich nicht von dümmlichen Einfällen diverser egomanischer Regisseure quälen lassen – er ist sein eigener Regisseur. Und es waren intensive Bilder, die die Capucelli auslösten!

Mit Astor Piazzollas „La muerte del Angel“ wird das ungewöhnliche Programm eröffnet: Keine Tangostimmung, sondern eher verhaltene Trauer. Léo Delibes „Viens Malika“ ist Romantik pur. Spannend, aufregend dann „The Forest“ von Bryce Dessner, eine Komposition eigens für diese sieben Cellisten. Er wurde durch den Brand der Nôtre Dame dazu inspiriert, als die uralten Eichenbalken langsam verbrannten und zu Boden krachten. Hohe Spannung, das Feuer greift um sich, was für die Ewigkeit geschaffen wurde, stürzt in sich zusammen. Die von der Musik evozierten Bilder sind stark!

Das Programm liefert ein Wechselbad der Gefühle: Auf das Schwere folgt Leichtes: Bela Bartok bittet zum Tanz. Gleich darauf rührt das Stück „Lasst mich allein“ zu Tränen: Antonin Dvorák setzt seine Trauer um die von ihm geliebte Schwägerin Josefina Cermakova in zu Herzen gehende Musik um. Getreu dem Motto auf Schweres folgt Leichtes wiegen die sieben Celli das Publikum in zärtlichen Walzertönen von Tschaikowsky, darauf führt Edvard Grieg Peer Gynt in die Halle des Bergkönigs. Interessant, wie Guillaume Connesson seine Liebe zu Gärten in Musik transponiert: Im „Jardin angleis“ sehen wir lange Blickachsen, elegante Landschaften, der „Jardin japonais“ bleibt abstrakt, kühl, während man im „Jardin francais“ Gekicher, Gekose, Zärtlichkeiten, Tratsch und Intrige mithört. Die drei Stücke wurden ebenfalls für diese Gruppe der Cellisten komponiert. Caroline Sypniewski übernimmt die Melodienführung als Carmen von George Bizet. Und wie! Musik und Körper sind eins. Sie IST Carmen, ihr Cello ist Carmen. Grandios! Mit Maurice Ravels „Bolero“ und Bernsteins „Manbo“ aus der Westsidestory reißen die Capucelli das Publikum zu standing ovations hoch. Den begeisterten Applaus belohnen sie mit zwei Zugaben.

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Das Ensemble „TANGO5“ der Wiener Symphoniker spielte Piazzolla und Händel

Titel: Rhythmus und Dynamik. Ort: Bassano Saal im Kunsthistorischen Museum – im Rahmen der Reihe: Donnerstagabend im Kunsthistorischen

Besetzung: Sophie Heinrich Violine, Ivaylo Jordanov Kontrabass, Andrea Wild E-Gitarre, Maria Radutu Klavier, Milos Todorovski Bandoneon

Die Wiener Symphoniker sind für ihre Vielseitigkeit und innovativen Ideen für Aufführungsorte bekannt. Sie spielen in Gaststätten, an ungewöhnlichen Orten in den Wiener Bezirken und eben auch im Kunsthistorischen Museum. TANGO5 wurde 2021 gegründet mit dem Ziel, den „Tango Nuevo“ von Astor Piazzolla dem Publikum näher zu bringen. Mit Einsatz und Mut zum Experiment beeindruckten sie an diesem Abend im Bassano Saal des Museums, der bis zum letzten Platz gefüllt war.

„Ja, wir können auch Tango spielen“, begrüßte Sophie Heinrich humorvoll das Publikum. „Und ja, wir sind überzeugt, Händel und Tango gehen wunderbar zusammen!“ Die Gemeinsamkeit liegt in der starken Emotionalität. In der Oper „Giulio Cesare in Egitto“ geht es um ganz große Dramatik und Liebe. Die vom Ensemble ausgesuchten Stücke – Ouvertüre, die Arie der Kleopatra „Piangero la sorte mia“ und „Da tempeste il legno infranto“- sind Musik voller Traurigkeit, Sehnsucht – Elemente, die sich im Tango wiederfinden.

Jeder Tango erzählt von Sehnsucht und Schmerz, die unerfüllte Sehnsucht ist süßer Schmerz, vom Bandoneon in langanhaltenden Tönen und langsamen Rhythmen interpretiert. Daher kein Tango ohne Bandoneon! Der Bandoneonspieler Milos Todorowsi war akklamierter Meister dieses Instruments, Sophie Heinrich eine temperamentvolle Geigerin, die den Rhythmus trug, Maria Radutu eine einfühlsame Klavierspielerin, Anna Wild brillierte auf der E-Gitarre und Ivaylo Jordanov ein sicherer Kontrabassist, der für den dunklen Untergrund sorgte.

Buenos Aires ist Tango, ist schön und hässlich, ist elegant und verlottert, ist banal und interessant. Ist Musik, Duft und stinkender Höllenlärm. Tango und Buenos Aires sind eins, ein faszinierendes und verwirrendes Konglomerat“, schrieb ich einmal während einer meiner zahlreichen Aufenthalte in Buenos Aires. Und weiter heißt es in meinen Aufzeichnungen:

 „Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sprach die Welt plötzlich von der reichen Stadt Buenos Aires. Aus Europa holte man sich Architekten und Künstler, um aus der namenlosen Stadt ein neues Paris, London, Madrid und New York zu machen.  Mit an Bord waren die Armen aus allen Teilen Europas: Italiener, Spanier, Polen, Franzosen, Engländer, die nichts weiter mitbrachten als die Sehnsucht nach ihrer Heimat, ihre Musik und die Hoffnung auf das große Geld. Geblieben sind die Sehnsucht und die Musik. Aus der Hoffnung wurde Hoffnungslosigkeit, und aus dem Gemisch von allem entstand der Tango. In den Bars und auf den Plätzen der Vorstädte tanzten die Einwanderer ihre Enttäuschungen weg, sangen von Liebe, Betrug, untreuen Frauen und dem großen Unglück des Lebens. Der Tango war bittersüß, melancholisch, erotisch und oft auch politisch brisant, daher auch lange Zeit bei den braven Bürgern verpönt. Aber die Verlockung dieser Musik war zu groß. Bald erlag ganz Buenos Aires dem Tangofieber, der Tango wurde salonfähig. In jedem Viertel gab es Tanzsalons, Tangoorchester und Tangosänger. Der Sänger Carlos Gardel, der Komponist Astor Piazzolla und Dichter wie Jorge Luís Borges oder Horacio Ferrer machten den Tango weltweit bekannt. Heute verleiht der Tango jedem Stadtviertel von Buenos Aires einen speziellen Mythos, eine unverwechselbare Aura, in die einzutauchen es sich lohnt. Wie und wo man Tango tanzt, das wird zum Signum des Viertels. Nur wenige „barrios“ (Stadtviertel) sind tangofrei.

Ich entkomme ihm nirgendwo. Sich gegen ihn zu wehren, ihn negieren zu wollen ist sinnlos. Er ist das ideale Instrument, mit und in der Stadt zu leben, ihren Puls zu spüren und vom Zuschauer zum Mitmacher aufzusteigen. Und so verbringe ich meine Sonntage in San Telmo. Vor mehr als hundert Jahren zogen die reichen Bürger aus Angst vor der Cholera weg, und Arbeiter aus der Vorstadt nahmen die Patrizierhäuser in Besitz. Der Putz blätterte ab, die Fenster wurden blind, die Gehsteige voll mit Abfall. Diese vernachlässigte Pracht ist heute der ideale Background für Tango und lockt Tänzer und Nichttänzer an. Aus den Cafés, den Wohnungen und Tanzsalons ertönt Tangomusik bis in den frühen Morgen.

Jeden Sonntag tanzen auf der Plaza Dorrego mitten zwischen Buden voll mit Trödel und so genannten Antiquitäten Profitänzer. Hitze oder Regen scheinen ihnen nichts auszumachen. Wenn sie am Abend das Feld räumen, dann ziehen die Hausfrauen von San Telmo Tanzschuhe an und tanzen mit Ehemann oder Sohn bis spät in die Nacht. Sie tanzen ihren eigenen Stil, schwungvoll, erotisch und gefühlvoll. Ich mische mich mit Begeisterung unter sie, weil ich auf den Dichter Horacio Ferrer vertraue, wenn er sagt: „In Buenos Aires ist jeder ein „tanguero“, (einer, der den Tango liebt), auch wenn er nicht tanzen kann.“

Warum ich an dieser Stelle meinen persönlichen Erinnerungen so großen Raum gebe? Weil ich an diesem Abend gespannt warte, ob der Tango, wie ihn das Ensemble spielt, mich erreicht, mich die Gegenwart und den Raum um mich herum vergessen und Buenos Aires in mir aufsteigt lässt. Zum Großteil ist es gelungen, besonders während des Tangos „Adios Nonino“. Vielleicht auch, weil gerade dieser Tango zu meinen Lieblingsstücken zählt und ich oft nach seiner Sehnsuchtsmusik getanzt habe. Das Ensemble spielt den ersten Teil in einem auffallend aggressiven Rhythmus, wodurch im langsamen Mittelteil Sehnsucht, Melancholie und die Unerfüllbarkeit der Hoffnungen umso stärker wirken. Berührend war auch der Tango „Alone“, von Milos Todorowski komponiert und allein mit seinem Bandoneon ohne andere Begleitung gespielt.

Resümee des Abends: Ein Fest für die Sinne. Das Ensemble wurde bejubelt. TANGO5 wird am 3. Dezember 2022 im Muth wieder zum Tango aufspielen. Nach dem Konzert wird das Publikum auf die Bühne zur Milonga gebeten.

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http://www.muth.at

http://www.symphoniker.at Das nächste Konzert der Wiener Symphoniker im Kunsthistorischen findet am 8.12. 2022 unter dem Motto: „Die Macht der Liebe statt“.

Wiener Konzerthaus: Andrè Schuen und Daniel Heide: Franz Schubert: Die schöne Müllerin

Zyklus Lied, 1. Konzert

Es geschieht noch: Das Wunder der Magie stellte sich an diesem Abend ein. Dem jungen Bariton aus Südtirol gelang es gemeinsam mit dem Pianisten Daniel Heide, den Liedzyklus „Die schöne Müllerin“ als existentielles Erleben zu gestalten. Ohne mit Tiefen und Lautstärke zu prunken, sang er von der Liebe und dem Tod.

Franz Schubert soll – so im Programmheft nachzulesen – den Gedichtband von Wilhelm Müller vom Schreibtisch eines Freundes, ohne ihn zu fragen, mitgenommen und in einer Nacht einen Großteil der Lieder komponiert haben. Die Faszination dieser schlichten Texte rührten ihn zu tiefgehenden Melodien.

Andrè Schuen schuf an diesem Abend ein Minidrama: Er begann als fröhlicher Bursche, der in die Welt hinausgeht, um sie zu erobern. Der Bach, sein Rauschen, führt ihn in das Haus der schönen Müllerin. Bis dahin klingt alles sehr biedermeierlich. Doch dann taucht Andrè Schuen in die Tiefen der menschlichen Existenz ein. In sich versunken, wird die Stimme immer inniger, nach Innen ausgerichtet. Er zieht das Publikum mit in die Leiden der Liebe, der Eifersucht und der Sehnsucht nach dem Tod. Daniel Heide folgt ihm auf dem Klavier auf dieser Reise als treuer Partner. Ein Abend, wie man ihn selten erleben kann!!! Langanhaltender Beifall, der nicht enden wollte. Selbst auf der Straße und im Bus hörte man mit Begeisterung von diesem Abend reden.

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Volksoper Wien, Carl Millöcker/Theo Mackeben: Die Dubarry

Regie: Jan Philipp Gloger. Musikalische Leitung: Kai Tietje

Foto: Martin Enenkel als Lebell, Harald Schmidt als König Ludwig und Annette Dasch als Dubarry.

Es ist ein kluger Schachzug von Lotte de Beer , mit dieser Operette die Saison und die Ära ihrer Direktion zu eröffnen. Aufgewertet durch aktuelle Gags, optisch witzig durch passende Bühnenbilder (Christof Hetzer) und pfiffige Kostüme (Sibylle Wallum) hat dieser Abend durchaus Potential zum Renner. Gloger hat es an Anspielungen und szenischen Gags nicht fehlen lassen, wenn auch dadurch der Abend sich ein wenig in die Länge zieht. Manche Einfälle sind ziemlich banal – etwa die „Unterrichtsstunde“, in der die Dubarry als Preussin für ihren Aufttritt vor dem Kaiser Franz Josef vorbereitet werden soll. Da werden alle Kalauer über die sprachliche Kluft zwischen Preussen und Österreich aufgeführt. Man kennt sie alle zur Genüge- dem Publikum aber gefällts.

Gloger arbeitet gekonnt mit Zeitensprüngen – einmal sind wir im Berlin der 20er Jahre, dann auf dem französischen Hof, dann wieder in einem Wiener Ballsalon, und im sehr witzigen Diskurs zwischen Dubarry und Ludwig XV. gar in der Gegenwart. Da dürfen sich zwei Theatertiger an witzigen, oft spontanen Einfällen übertreffen. Für den Showmaster Harold Schmidt ist König Ludwig eine Glanzrolle, die er sichtlich genießt. Annette Dasch als Dubarry ist ihm in dieser Szene eine ebenbürtige Partnerin. Stimmlich geraten ihr hin und wieder die Spitzentöne zu hart. Aber vielleicht ist das gewollt – quasi als Rollenbruch.

Das Ensemble singt und spielt insgesamt mit großer Freude und Einsatz. René Lavallery als Kunstmaler und Liebhaber der Dubarry hatte verdienten Szenenapplaus. Besonders reizend spielte und sang Juliette Khalil die Rolle der Verkauferin Margot.

Alles in allem ein amüsanter Abend, der auch manchmal mit drastischen Szenen – etwa die versuchte Vergewaltigung der Dubarry oder die bewusst abstoßende Szene der betrunkenen Männergesellschaft – nicht Operette pur bringt. Ein totaler Schock der Schluss – gekonnt gemacht. Aber er sei hier nicht verraten. Manche Zuschauerinnen waren – wie man in der Pause und nachher vernahm – regelrecht schockiert und meinten, das sei keine Operette. Irgendwie wahr, aber gerade deshalb interessant.

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Ein Bericht von der Generalprobe am 2. September 2022

Wolkenturm/Grafenegg: Beethoven: Fidelio (Konzertant, Textfassung Walter Jens: Roccos Erzählung, Bearbeitung: Brigitte Karner)

Gstaad Festival Orchestra unter der Leitung von Jaap van Zweden

Es war ein Abend, wie man ihn sich nicht schöner vorstellen konnte: Die Sonne ging in rosaroten Wolken unter und ließ ihr letztes Licht über das Schloss, den Park und den Wolkenturm fallen. Sanfte Wärme bis spät in die Nacht. Decken und Jacken blieben unausgepackt.

„Fidelio“ als konzertante Aufführung ist ein seltenes Erlebnis. Manchmal auch ein seltsames. Wenn etwa Leonore (Sinéad Campell-Wallace) im eleganten roten Abendkleid stimmgewaltig ihr Leid und ihre Sehnsucht nach Florestan besingt („Komm Hoffnung..“) Da schließt man am besten die Augen und versetzt sich selbständig in einen düsteren Raum. Gegen Ende des ersten Aktes macht es durchaus Sinn, wenn der Erzähler/ Rocco das Leid der Gefangenen schildert und der Chor den Gesang „O welche Lust, in freier Luft“ anstimmt. Das hilft dem Zuhörer, in die Oper einzusteigen und sie zu erleben. Trotz Abendkleidung der Protagonisten.

Nach der Pause stieg die Spannung – denn jetzt wird Jonas Kaufmann singen. Er muss „aus dem Stand“ heraus gleich voll einsteigen – glaubt man. Doch er beginnt den berühmten Schrei „Gott!“ – sonst ein Schrei, der durch Mark und Bein geht – mit einem Piano und singt auch weiterhin nicht mit „voller Stimme“. Fast hatte man den Eindruck, dass er sich ein wenig müht. In dem Terzett mit Rocco (Andreas Bauer Kanabas), Florestan und Leonore übertönt die stimmgewaltige Sinéad Campell- Wallace die beiden Männer. Kaufmann hält sich zurück?? Und so bleibt es bis zum Schluss. Die Oper müsste „Leonore“ heißen, weil Campell-Wallace die Rolle derartig stimmgewaltig und alle anderen Stimmen verdrängend verkörpert. Ihr galt auch der meiste Applaus. Zum Ende ehrt der Rocco – Simonischek – den Mut der Frau an sich. Er löst Leonore aus der Einmaligkeit ihres Schicksals und macht sie zur über die Oper hinausreichende Ikone der Frau, die durch Mit-Leiden und entschlossenes Handeln Krieg und Hass besiegt.

Falk Struckmann war ein überzeugender Pizarro. Die Gewalt seiner Stimme ließ die Figur griffig werden. Andreas Bauer-Canabas ein Rocco, genau zwischen Mut und Unterwürfigkeit. Christina Landshamer eine sympathische Marzelline, Matthias Winckhler als Don Fernando ein ruhiger Bote der Gerechtigkeit.

Jaap van Zweeden leitete das Gstaad Festival Orchestra mit feinem Gespür. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn war ein exzellenter Partner der Sänger.

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Grafenegg: „Insieme“ im Wolkenturm

Bis auf das letzte Wiesenfleckerl war der Wolkenturm ausverkauft. Die Gruppe „Insieme“ („gemeinsam“) – auf italienische Hits spezialisiert – konnte auf ihre Fans zählen. „Insieme“ – das sind Monika Ballwein, Christian Deix, Erik Arnò, René Velazquez – mischten die Stimmung auf, ließen das Publikum bei „felicità“ von Romina Power mitklatschen und mitsingen. Mit „Come è bello fare l`amore“, „Buona sera, Signorina“ wurde die Stimmung immer lockerer. Blieb aber unter den Erwartungen einer heißen Nacht. Nur zögerlich wurde hin und wieder ein Lichtlein gezündet. Manchmal wurde mitgerockt – eher mitgerockerlt. Je nach Alter. Dass der Song von Andrea Bocelli und Hélène Segara nicht so ganz gelang, machte nichts aus – es war romantisch. Bei „volare“ konnte man wieder gewaltig mitsingen. Nach der Pause wurden die Handylichter häufiger, die Stimmung wärmer trotz hereinbrechender Nachtkälte. „Bella ciao“ und viele andere Hits mit Zugaben rissen alle im Publikum zu begeistertem Applaus mit.

Eine Veranstaltung der Agentur „cayenne“ http://www.cayenne.at

Landestheater Salzburg, George Bizet: Carmen

Aufführungsort: Zirkuszelt in der Arena/Messe Salzburg (wegen Renovierung des Landestheaters)

Gabriel Venzago dirigiert das Mozarteumorchester Salzburg

Man blickt auf das Rund der Zirkusarena und wartet auf den Auftritt der Arbeiterinnen aus der Zigarrenfabrik. Doch die kommen nicht, statt dessen eine Schar von Frauen, die sicher nicht in einer Fabrik arbeiten. Man wartet auf Carmen, die Anführerin der kämpfenden und schreienden Schar. Als sie auftritt ist man irritiert: Carmen im sibernen Abendkleid? Ihre Auftrittsarie „si je t`aime..“ singt sie eher so nebenbei, ganz als wäre das eine nebensächliche Alltäglichkeit, die sie mit links erledigt: so ein paar Jungsoldaten verführen. Dann besteigt sie eine Mondschaukel aus Silber und lässt sich in die Höhe ziehen. Dazwischen turnen und jonglieren einige recht planlos, ein Clown steht herum. Man ist ratlos und wird es immer mehr. Erst am Ende des zweiten Aktes fällt der Groschen: Hier wird nicht Carmen gespielt, wie man sie so oft schon erlebte. Man sieht eine Carmen, die eine Art Zirkusprinzessin ist, im Zirkus mit den Akrobaten lebt. Das Leben spielt sich nicht in einer Räuberhöhle oder Wirtshaus ab, sondern mitten im Zirkus. Ab da waren das Regiekonzept von Andrea Bernard und die Kostüme von Stefanie Seitz verständlich.

Doch weit wichtiger als der Regieeinfall waren die Stimmen. Und was für Stimmen!!!! Luke Sinclair als Don José war (für mich) einer der besten in dieser Rolle, die ich je gehört habe. Solch einen Tenor würde man sich an der Wiener Staatsoper wünschen: Klarer Tenor, mühelos in der Höhe, weich in den tiefen. Und er sah noch dazu gut aus und spielte den verletzten Liebenden mit einer Hingabe, die an die Intensität eines Rolando Villazon erinnert. Es geschah für mich zum ersten Mal, dass die Rolle des Don José die der Carmen überstrahlte. l Deniz Uzun als Carmen war ebenfalls sehr überzeugend, Stimme und Spiel passten genau in die Rolle! Höhepunkte der Oper waren das Liebeduett zwischen José und Carmen und natürlich die Schlussszene! Was für eine tiefe, aussichtslose Liebe war es, die José in der Verzweiflung Carmen töten ließ. Doch leider, leider hatte der Regisseur eine unglückselige Idee: José schleppte Carmen in den Kasten, in dem kurz vorher der bekannte Zaubertrick der zersägten Frau vorgeführt wurde. Dann packte José das am Boden liegende Schwert und bohrte es durch das Holz in Carmens Herz. Die dann tot herausfiel. Diese Aktion zerrisss die Intensität des Tötungsaktes und zog sie ins Lächerliche.

Trotz allem; verdienter tosender Applaus für alle, besonders für Deniz Uzun und Luke Sinclair!!! Danach trat auch der Intendant Carl Philipp von Maldeghem vor den Vorhang und bedankte sich beim Publikum für die Treue, die es dem Theater im Zelt „trotz Sturm, Regen, Kälte und Hitze“ gehalten hat. Viel Applaus für Maldeghem, der sich Gott sei Dank gegen Köln entschieden hat. Nach dieser miesen Hetze der Kölner Presse gegen ihn, durchaus verständlich. Und die Salzburger sind glücklich, dass er bleibt!!!

http://www.salzburger-landestheater.at

Volksoper Wien: Puccini: TURANDOT

Dirigent: Alfred Eschwé. Regie und Choreographie: Renaud Doucet.Bühne und Kostüme: André Barbe. Licht: Guy Simard. Choreinstudierung: Thomas Böttcher.

44. Vorstellung

Besucher der Wiener Staatsoper sind ja nicht gerade verwöhnt, was das Bühnenbild angeht. Das ist entweder nicht vorhanden, also alles schwarz. Bestenfalls stehen ein paar graue Wände um die Sänger. Ausnahmen gibt es natürlich. Die Volksoper hingegen verwöhnt ihr Publikum mit kulinarischen Bühnenbildern und Kostümen! Und muss sich daher nicht um die „Auslastung“ Sorgen machen!

So auch in der „Turandot“. Dieses Märchen von der eiskalten Prinzessin, die unberührt bleiben will, ist ja purer Krieg! Turandot tötet mit Lust, lässt alle Anwärter, die ihre Rätselfragen falsch beantworten, hinrichten. Aber der von Liebe säuselnde Calaf ist ebenfalls ein ziemlich berechnender, kalter Typ. Schaut er doch gelassen zu, wie die arme Liu zu Tode gefoltert wird, weil sie Calafs Namen nicht preisgeben will.

Also: Liebe ist Kampf, Krieg. Erst recht in China – trittst du gegen die Macht (Turandot) auf, bist du schon verloren. Aber – keine Angst, in der Volksoper wird nicht krampfhaft auf aktuell umgedeutet. Das Duo Doucet und Barbe haben ein recht witziges Konzept entwickelt: Die Menschen, die unter Turandots Geißel sich ducken und kriechen, sind mehr Insekten als Menschen. Einige haben lange Fühler, andere eine echsenartige Zeichnungen am Körper.Die königliche Garde gleicht eher Glühwürmchen denn Kämpfern. Schmetterlinge kriechen(!) als Halbwesen über den Boden. Und über allem steht – nicht Turandot, sondern der weibliche Henker. Großartig: Eine Frau mit hinreißender Figur, das Gesicht dunkel, auf dem Kopf einen Helm mit ehernem Busch. Ihre mit riesigen Beißzangen verlängerten Arme erinnern an einen männlichen Hirschkäfer. Mit diesen Zangen wird sie alle Prinzen, aber auch Liu töten.

Die weibliche Henkerin (Foto: Voldksoper Wien)

Etwas gewöhnungsbedürftig wirkt das Outfit Calafs (Vincent Schirrmacher). Er erinnert mit seinen hochgebürsteten Haaren und der Schminke fatal an Pumuckl. Sein armer Vater Timur (sehr gut: Stefan Cerny) muss wie ein Wilder aus den Wäldern mit einem Fell herumlaufen. Aber man akzeptiert auch solche Merkwürdigkeiten, weil die ganze Aufführung mit so viel Lust am Spiel, an Licht (Guy Simard) und Einfällen abgeht. Anja-Nina Bahrmann ist eine ausgezeichnete Liù. Dass sie in ihren zarten Arien, in der sie von ihrer Liebe zu Calaf singt, doch an manchen Stellen forcieren muss, liegt an dem Dirigent Alfred Eschwé. Er lässt Pauken und Trompeten aus vollem Rohr schmettern, nimmt nicht immer genügend Rücksicht auf die Sänger. Zum Gesamtkonzept der phantasieüberbordenden Regie passt sein Dirigat dann irgendwie doch. Auch Calaf (Vincent Schirrmacher) und Melba Ramos als Turandot haben mit dem martialischen Dirigenten manchmal ihre Schwierigkeiten. Humorvoll und gekonnt gespielt und gesungen laufen die Szenen mit den drei Ministern Ping (Alexandre Beuchat), Pang (David Sitka), Pong (JunHo You) ab.

Ein voller Erfolg, bei vollem Haus (obwohl schon die 44. Vorstellung!). Das Publikum dankte mit Jubel, langem Applaus und Blumen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Inszenierung auch in der kommenden Saison am Programm stehen wird!!!

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Volksoper: Benjamin Britten, Der Tod in Venedig

Inszenierung:David McVicar, Dirigent: Gerrit Prießnitz. Text von Myfanwy Piper, übersetzt von Hans Keller und Claus Hemberg. Nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann

Selbstzweifel, Schreibhemmungen, es geht gar nichts mehr ….seit Goethes Faust ein immer wiederkehrendes Thema in der Kunst. Aber keiner hat es so tief erfasst wie Goethe. Und dann noch Thomas Mann. Wenn ein Künstler sein Talent in Frage stellt, die Quelle der Eingebungen versiegt und die Sprache verstummt, dann wird aus der Schreibkrise eine Lebenskrise.

So weit bei Goethe und Mann nachzuvollziehen und von späteren Vertretern der schreibenden Zunft immer wieder als Thema aufgegriffen und zu einem Text verarbeitet. (Zuletzt Leila Slimani in ihrem jüngst erschienenen Buch: Der Duft der Blumen bei Nacht. Auch sie fährt nach Venedig, um sich aus der Schreibhemmung zu lösen. Der Leser gähnt ausgiebig mit ihr). La Serenissima soll also schon allein durch die Kraft der Musik, die in dem Namen steckt, die Phantasie Aschenbachs beflügeln. Doch leider muss er erkennen, dass Venedig mehr denn je sich als Theater für Touristen aufführt. Der erwartete Ideenschub bleibt aus. Erst der Blick auf den schönen Knaben Tadzio (dargestellt von dem jungen Balletttänzer Victor Cagnin) rüttelt ihn auf und er hofft darauf, dass diese plötzlich entflammte Liebe die Schleusen öffnet und die Worte fließen lässt. Trotz Choleragefahr bleibt Aschenbach, um Tadzio nahe zu sein. Noch in der letzten Lebensminute meint er den schönen Knaben zu sehen, wie er ihm zuwinkt und ihn in ferne Horizonte lockt.

Die Novelle wurde von Visconti 1971 erfolgreich verfilmt, Der Regisseur McVicar meinte wohl, es hätte nicht viel Sinn, gegen diese szenegewaltige Verfilmung anzugehen. Also folgte er ihm, oft allzu sklavisch. Wenn die Reichen und Schönen zum Diner schreiten, wenn die russische Familie sich am Strand breit macht, wenn die Kinder raufen, tanzen, wenn Tadzio hinter der Familie marschiert, immer sich diskret umwendend, ob Aschenbach ihm folgt. Viele im Publikum werden ein Dauerdéjà – vu – Erlebnis haben. Nur leider sind viele Szenen zu lang geraten (- etwa die raufenden und tanzenden Kinder am Strand) und werden zu oft wiederholt, was das Werk zerdehnt. Kürzung hätte gut getan. Bühnenbild und Kostüme von Vicki Mortimer bleiben wie der Film auch in der Zeit um 1900. Manche Bilder emanzipieren sich und entwickeln eine vom Film unbeeinflusste Kraft, etwa die Szene mit dem Gondoliere (Johannes Wimmer in mehreren Rollen), der Aschenbach an den Lido rudert. Mit gekonntem Lichteinsatz wird daraus eine düstere Fahrt ins Ungewisse des nahen Todes.

Die Leistung von Rainer Trost als Gustav von Aschenbach ist besonders hervorzuheben. Im Dauereinsatz auf der Bühne hat er in einem anstrengenden Sprechgesang das Geschehen und zugleich seine eigene Gefühlslage zu kommentieren. Die Rolle des Tadzio, der mit seiner Jugend und Schönheit den alternden Dichter in den Bann zieht, ist mit Victor Cagnin eine Fehlbesetzung. Denn von dem Tänzer springt keinerlei Erotik über. Und damit steht und fällt der Sinn der Geschichte. Aber die Musik rettet viel, fast alles. Unter der sensiblen Führung von Gerrit Prießnitz entfaltet sich die ganze Dynamik der Oper: Von der Düsternis des nahen Todes, von der Sinnlosigkeit der reichen Gesellschaft bis hin zur zarten Liebe, die Aschenbach für Tadzio empfindet, erzählt alles die Musik.

http://www,volksoper.at

P.S: An dieser Stelle möchte ich Direktor Robert Meyer für die fünfzehn spannenden und abwechslungsreichen Abende in der Volksoper danken. Besonders aber auch für seine offenen Worte in der Sendung „Gedanken“ auf Ö1 am Sonntag, 29. Mai 2022. Endlich einmal spricht einer aus, was ich mich schon immer fragte: Was bewegt die Politiker bei der Bestellung diverser künstlerischer Leiter? – Wie kommen sie zu den Nominierungen, ohne je im Theater gesehen worden zu sein????

Wiener Symphoniker: LIEBESIDEAL

Kammermusikkonzert der Wiener Symphoniker im Kunsthistorischen Museum, Bassano Saal

Ein Abend voll vergnüglicher Musik. Die fünf Musiker des Symphonischen Schrammelquintettst, sind: Helmut Lackinger Violine, Edwin Prochart, Violine, Kurt Franz Schmid Klarinette, Peter Hirschfeld Kontragitarre, Ingrid Eder Akkordeon.

Für heitere und informative Wortspenden sorgte Kurt Franz Schmid.

Gleich beim ersten Sück von Johann Schrammel „Kunst und Natur“ fühlte man sich in die Vergangenheit des „Dommayer“ im 18. oder 19. Jahrhundert versetzt, wenn im Garten die Musi spielte. Man will das Tanzbein schwingen, aber wie Kurt Schmid dem Publikum erklärte, hatten die Brüder Johann und Josef Schrammel ihre Musik nicht für den Tanz komponiert. Man hörte Polka, Walzer, Csardas. Mitten drin auch Camille Saint – Saens, Das Liebesduett aus der Oper „Samson und Dalila“.

Wer die vorangegangene Führung im Museum zum Thema Liebe mitmachte, konnte sich im wahrsten Sinn des Wortes „ein Bild“ zu Samson und Dalila machen. Anton van Dyck, ein Schüler von Rubens, konzentrierte sich auf den Moment der Gefangennahme, als seine Geliebte ihn verriet.

Anthony van Dyck, Die Gefangennahme Samsons. Foto: silvia Matras

Doch es gab auch heitere Bilder zum Thema Liebe im Museum zu sehen: Zum Beispiel die drei herrlich glatten, runden Popos, einmal von Gott Amor, dann von dem Knaben Ganymed und der schönen Io, beide gemalt von Correggio. Der von dem jungen Gott Amor ist wohl am verführerischten.

Parmigiano, Bogenschnitzender Amor (Foto: silvia Matras)

Zurück zur Musik der Brüder Schrammel. Ihre Kompositionen waren bei der Aristokratie sehr beliebt. Der Fürstin Eugenie Esterhazy widmeten sie den bekannten „Eugenie-Walzer“ und Pauline von Metternich die Polka „Frühlingsgruß“.

Den vergnüglichen Abend beendeten die Symphoniker mit Fritz Kreisler: Liebesleid und dem echten „Rausschmeißer“ „Hallodri“ von Johann Schrammel.,

Das nächste Kammermusikkonzert findet am 9. Juni 2022 um 19.30 im Bassano-Saal des Kunsthistorischen Museums statt. Ticket:

http://www.symyphoniker.at oder über ticket@konzerthaus.at

Dirigent: Roland Kluttig. Inszenierung: Sandra Leupold.

Es mutet fast wie ein Wunder an: Alles stimmt in dieser Inszenierung! Die sensible Personenführung und die klugen Regieeinfälle von Sandra Leupold- nie überbordend oder gegen den Sinn -, die musikalische Leitung von Roland Kluttig ganz wundervoll!, die beeindruckende Bühne von Mechthild Feuerstein – klug mit wenigen Akzenten versehen, die Kostüme von Jochen Hochfeld – in die Zeit passend und doch nicht „altvatrisch“! Warum ich das für ein Wunder halte? – Die Erklärung ist einfach: Wir Wiener Opernfreunde mussten uns unter dem „neuen“ Direktor an schockierendes Regietheater gewöhnen, was zu einem deutlichen Besucherschwund führt. Die Lust, in die Wiener Oper zu gehen, nimmt immer mehr ab..

Die Grazer Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ überzeugt und begeistert auf allen Linien. Kyle Albertson ist ein Holländer, wie er „im Büchl“ steht und hat tatsächlich Ähnlichkeit mit dem Bild auf dem Hänger, der von oben herabgelassen wird! Er hat nicht nur eine großartige Stimme, sondern spielt auch mit Tiefgang! I,n der Rolle der Senta hat Helene Juntunenzwar nicht alle begeistert (der Applaus war deutlich schwächer als bei den anderen Sängern), aber mir gefiel der metallische Klang der Stimme. Sie nahm der Rolle die peinliche romantische Verklärung, in die Senta in anderen Inszenierung fast automatisch kippt. Da spürt man deutlich die behutsame Führung der Regisseurin! Gleich zu Beginn hebt Mario Lerchenberger mit dem Steuermannslied an und begeistert das Publikum durch seine jungenhafte Stimme. Wilfried Zelinka ist ein staubgrauer, berechnender Vater, der seine Tochter gerne und übereiftig an den reichen Holländer verschachert. Maximilian Schmitt überzeugt als Erik und Mareika Jankowsky als Mary. Die sonst oft verkitschte Oper wird in dieser Inszenierung ein optischer und akustischer Genuss! Mit der Einführung der stummen Figur Richard Wagners (Bernhard Schneider) auf der Bühne bekommt der Abend einen besonders ironisch-witzigen Ton. Er sitzt auf dem obersten Bühnenrand im Hintergrund, dirigiert manchmal, dann wieder sieht er fasziniert zu oder betrachtet etwas ratlos sein eigenes Werk. Das erinnert stark an das Schaupiel „Eurydike geht“ von Elfriede Jelinek, als Nikolaius Habjan eine Jelinekpuppe das Geschehen vom Bühnenrand mimisch und gestisch kommentieren ließ.. Gegen Ende zu mischt sich Wagner ins Bühnengeschehen, um das Chaos, das er mit den Figuren angerichtet hat, zu schlichten. Was ihm nicht gelingt. Verzweifelt rauft er sich die Haare.

Begeisterter und langer Aplaus!

http://www.oper-graz.com

Volksoper Wien: Schoenberg in Hollywood

Musik: Tod Machover, Libretto: Simon Robson, Regie und Bearbeitung: Helen Malkovsky. Bühnenbild und Video: Sophie Lux.

Arnold Schönberg: Marco di Sapia, Alter Ego: Christian Graf, Girl: Lauren Urquhart, Boy: Jeffrey Traganza.Orchester der Volksoper Wien, Dirigent: Gerrit Prießnitz

Zuallererst sei hier die enorme stimmliche Leistung hervorgehoben, die diese Musik von den Sängern abverlangt. Dann ist wichtig: Ohne die ausgezechnete vorherige Einführung im nahen Schönberg-Center wäre es fast unmöglich, dem Geschehen zu folgen. Gezeigt wird eine Biopic. Das Leben Schönbergs (die Schreibweise Schoenberg ist die amerikanische Version, die auch im Titel verwendet wird) wird in knappen Szenen gespielt. Die Schwierigkeit für die Zuseher besteht aus der zeitlichen und örtlichen Zuordnung, sowie der Zuordnung der „beiden Schönbergs“. Mit Hilfe der Einführung findet man den roten Faden, allerdings nicht immer mit Treffsicherheit. Die Oper zeigt das Leben Schönbergs im Rückblick und im Vorausblick. Der zeitliche Dreh- und Angelpunkt ist 1934, als Schönberg in Los Angeles ankommt und den Filmproduzenten Irving Thalberg trifft. Eindrucksvoll sind die Szenen, die in Schönbergs Leben gravierende Spuren hinterließen, wie etwa das Verhältnis Richard Gerstls mit Schönbergs Frau Mathilde. Dezent werden Bilder Gerstls, sein zerquältes Selbstporträt eingespielt, dann sein Selbstmord. Schönberg in den Szenen mit seiner Frau – er verlangt totale Unterwerfung. Alles nur in minimalistischen HInweisen. Dann seine Auseinandersetzung mit dem Judentum. Dazwischen immer wieder seine Karriere in Hollywood.

Alles in allem: ein sehr anstrengender, aber interessanter Abend.

Aufführungsort: Kasino im Schwarzenberg, wo sich die Volksoper eingemietet hat.

http://www.volksoper.at