Theater Akzent: The Tiger Lillies‘ Christmas Carol: A Victorian Gutter

Martyn Jacques: Erzähler, Akkordeon, Klavier. Adrian Stout: Scrooge, Bass, diverse Instrumente wie singende Säge, Budi Butentop: Percussion und Gesang

Die Geschichte vom Geizhals Scrooge und seiner Verwandlung in einen Menschenfreund hatte 2021 in London Première und war gleich ein Riesenerfolg. Ebenso im ausverkauften Theater Akzent. Das Bühnenbild war eine Mischung aus Marionettentheater und Cabaret und zauberte Weihnachtsstimmung mit Augenzwinkern in den Saal. Die drei Sänger erinnerten an Figuren aus Brechts „Dreigroschenoper“. Martyn Jacques als genialer Bänkelsänger erzählte die Geschichte, mal begleitete er sich am Klavier, mal mit dem Akkordeon. Mit beißendem Humor – so weit man den Text mitbekam – erzählte er von den hungernden Straßenkindern in London, von der menschlichen Kälte des Geizhalses, die erst schmilzt, wenn ihm Sterben in totaler Einsamkeit angedroht wird. Alles ohne didaktischen Unterton, die „Moral von der G´schicht“ war in pures musikalischens Vergnügen verpackt. Man schmunzelte, forschte aber zugleich in seinem Innersten nach, wie es da um die eigene Menschenfreundlichkeit steht.

Das Publikum dankte mit frenetischem Applaus und standing ovations. So manche einer – wie auch die Schreiberin dieser Zeilen – hätte sich Übertiteln gewünscht. Denn man konnte das meiste nur erraten, der feine, hinterlistige Humor der Gruppe blieb leider oft auf der Strecke.

http://www.akzent.at

Odeontheater: Alice

Sirene Operntheater und Serapionstheater: Alice nach Lewis Carroll und Kristine Tornqist, Musik: Kurt Schwertsik, Regie: Kristine Tornqist und Max Kaufmann, Francois Pierre Descamps dirigiert „Das Rote Orchester“.

Alice: Ana Grigalashvili, Sopran: Romana Amerling, Mezzosopran: Solmaaz Adeli, Tenor: Gernot Heinrich, Countertenor: Armin Gramer, Bariton: Andreas Jankowitsch, Bassbariton: Steven Scheschareg sowie das Serapions Ensemble

©Odeon/Stefan Smidt, li: Blumengarten, re: Tränenmeer

Am besten man lischt alle Erinnerungen aus Kindheitstagen oder an schon gesehene Aufführungen. Denn kindliches Staunen ist abgesagt. Kristine Tornqist vom Sirene Operntheater und Max Kaufmann setzen auf intellektuellen Dadaismus. Die Bühne ist eher dunkel gehalten, vor der Drehscheibe, auf der sich das spätere Geschehen abspielen wird, liegt Alice und schläft in sich zusammengekauert. Lange Zeit – etwas zu lang – herrscht absolute Stille. Dann beginnt das Orchester zu spielen – eine heiter-ironische Potpourri an Klängen. Kurz Schwertsik hat für diese Produktion keine harte,elekronische Musik komponiert, im Gegenteil: Passend zum Geschehen auf der Bühne unterstreicht, unterläuft, konterkariert er witzig manches, dann wieder betont er Bewegungen, Textpassagen überdeutlich – also eine durchaus gefällige Musik. Max Kaufmann und Kristine Tornqist haben den Text auf den puren Dadaismus eingedampft, man meint Kurt Schwitters und Konsorten zu hören. Statt satt – farblicher Kostüme, wie man sie aus dem Serapionstheater gewohnt ist, tragen die Figuren weiße, aus Karton ausgeschnittene Phantasiegewänder, nahe an einer Möglichkeit, weit genug weg von der Realität. Manche Figuren, wie die Grinsekatze sind ganz dunkel gehalten, ihre Gesichter durch Perücke und Schminke zu fast dämonsich gleichförmigen Masken geformt. Die Musik ersetzt gleichsam die Farben. Dass aus dem Original alle moralisierend-erzieherischen Texte herausgestrichen wurden, tut dem Ganzen gut, aber es fehlt dadurch ein wesentliches Element: Alice hat keinen Grund, sich zu fürchten. Nicht einmal die Königin hat Macht über sie, denn „es ist ja alles nur Papier“, sagt Alice, als sie aus ihrem Taum aufwacht, und zerreißt die Seiten des Buches.

www.odeon-theater.at

Wiener Konzerthaus: Giacomo Puccini, Messa di Gloria und Giuseppe Verdi, Libera me

Adam Fischer dirigiert die Wiener Philharmoniker. Wiener Singverein (Einstudierung Johannes Prinz),Vittorio Grigolo Tenor, Massimo Cavaletti Bariton. Alessia Panza Sopran

Giacomo Puccini: Messa di Gloria

Der hundertste Todestag Puccinis (1924) nähert sich , und schon wird gefeiert. Warum es ausgerechnet das Jugendwerk sein musste, das er als Zwanzigjähriger verfasste, versteht man nicht so recht. Ein wuchtiges Werk ist es allemal, den zukünftigen Puccini hört man schon heraus. Adam Fischer, der kurzfristig für Zubin-Mehta einsprang, war eine ausgezeichnete Wahl. Er dirigierte das Monumentalwerk wie es nur ein weiser, erfahrener Dirigent kann und führte die circa 200 Chorsänger und die volle Orchesterbesetzung mit sicherer Hand. Das Kyrie beginnt leise, hauchzart, bis der kräftige Männerchor mit voller Wucht übernimmt. Dieses Auf und Ab der Intensität hält der Komponist durchgehend bei – wellenförmig schlägt die Musik über den Köpfen der Menschen zusammen, um gleich darauf wieder in eine fast zarte opernhafte Arienbegleitung umzuschlagen. Apropos Arie – Vittorio Grigolo singt seinen Part – „Gratias agimus..“, als stünde er auf einer Opernbühne. Seine Stimme wirkt leicht angestrengt. Um so voller klingt der Bariton Massimo Cavalettis im Benedictus und Agnus Dei. Dem einfühlsamen Dirigat von Adam Fischer ist es zu verdanken, dass das Publikum von der Dramatik der Musik mitgenommmen wurde und sich mitnehmen ließ.

Giuseppe Verdi: Libera me (Herzstück von Verdis Requiem)

Alessia Panza singt die berühmten Eingangszeilen („Libera me, Dominus, de morte aeterna in die illa tremenda) etwas schrill und im schnelleren Tempo als üblich. Heftig lässt Adam Fischer die Höllentöne von „Dies irae, dies illa“ in die Seele dringen. Um so zarter, beruhigender dann der Frauenchor: „Requiem aeternam dona eis“. Heftig, wie ein Musiktsunami, schlagen die Wellen des Schlusses „Libera me, Domine, de morte aeterna“ über dem Publikum zusammen.

Intensiver Applaus, besonders für den Chor und den Dirigenten.

www.konzerthaus,at

Wiener Konzerthaus: Plattform K & K Vienna. Fatma Said: „A Sense of Mosaic“

K&K steht für Kirill Kobantschenko, den Primgeiger der Wiener Philharmoniker und Gründer der Plattform, die sich als „Hommage an die kaiserlich-königliche Musiktradition versteht“ (Zitat aus Programm). Kirill Kobantschenko: Violine, Petra Kovacic Violine, Michael Strasser Viola, Florian Egger, Violoncello, Bartosz Sikorsi Kontrabass, Christoph Eggner Klavier.

Fatma Said, geboren in Kairo, erhielt schon zahlreiche Auszeichnungen in der Kategorie Lied und ist auf dem Weg zu einer internationalen Karriere. In der Saison 2023/24 ist sie Porträtkünstlerin des Wiener Konzerthauses. Das Programm war voller Überraschungen. Die größte Überrasschung aber war die junge Sängerin! Mit ihrem warmen Sopran, der in den Tiefen wie in den Höhen gleichermaßen rein und verführerisch klang, bezauberte Fatma Said sofort das Publikum.

Zum Auftakt gab es von Richard Strauss die Suite „Der Rosenkavalier“, bearbeitet von der Plattform K&K Vienna. Mit ungezähmter Spielfreude überschütteten die Musiker das Publikum mit den bekannten Motiven aus besagter Oper und gaben damit auch das Thema des Abends vor: heitere Melancholie. das Lebensgefühl um 1900. Fatma Said „sang sich ein “ mit Liedern von Brahms (Ophelia Lieder). Mit „Violons dans le soir“ von Camille Saint-Saens verführte sie das Publikum mit ihrem weichen Sopran, der bis ins Mezzo reicht. Mit ihrem romantisch – minimalistisch, fein ziselierenden Stil formte sie aus jedem Lied eine Miniatur-Kostbarkeit. Dies kam besonders stark in dem Lied des ägyptischen Komponisten Sherif Mohie El Din „Against whom?“ zur Geltung. Von Pianissimi steigerte sie sich zu klangvoller Dramatik. Im Lied „Les chemins de l‘amour" von Francis Poulenc erklangen die „chemins de l’amour“ wie hauchzarte Liebesversprechen. Zum Abschluss sang Fatma Said zwei Songs von George Gershwin: „Sommertime“ und „By Strauss“ und zeigte sich von der humorvollen Seite.

Die Musiker der K&K Plattform Vienna spielten mit vollem Steicherklang von Ottorino Respighi die Suite Nr.3, übten sich in einem Tango von Astor Piazzolla: „Invierno porteno“ – wobei man ein wenig das Bandoneon vermisste – und griffen in die volle Dramatik bei den 3 Stücken von Manuel de Falla „Introduccion“, „El sombrero de tres picos“ und „Danza ritual del fuego“.

Als Zugabe sang Fatma Said den bekannten Song „Somewhere over the Rainbow“ von Harold Arlen.

Man darf auf die nächsten Liederabende mit Fatma Said am 11. und 29. Jänner 2024 im Wiener Konzerthaus gespannt sein.

www.konzerthaus.at

Festspielhaus St.Pölten: Sasha Waltz & Guests: Beethoven 7

1. Teil: Diego Noguera: Freiheit/Ekstasis

Eine heftige Musik, die Diego Noguera direkt auf der Bühne auf elektronischen Geräten live abmischt. Fürsorglich werden am Eingang Ohrenstöpsel ausgeteilt, die man tatsächlich braucht. Trotz dieses Schutzes dringt die „Musik“, die sich als gewaltiges Weltgetöse gebärdet, in den Magen, lässt die Sessel vibrieren. Wer es nicht aushält, geht. Und das sind nicht wenige.

Dazu lässt Sasha Waltz graue Urtiere sich in einer Ursuppe wälzen. Es wirkt, als würden sich diese Tiere – alle mit einer fuchsartigen, grauen Gasmaske oder was auch immer auf dem Kopf – aus ihren Schalen herauskämpfen – da ein Bein, dann eine Hand. Eigentlich keine Hand, sondern irgendein Gelenk eines Wesens. Düstere Nebel hüllt sie alle ein, der sich langsam lichtet. Aus den Urtieren werden graue Wesen, die auf zwei Beinen tanzen…der Mensch ist geworden, um im Urfeuer sogleich wieder unterzugehen. Das ist eine sehr persönliche Interpretation – es kann alles aber auch ganz anders gedacht gewesen sein.

Pause– die man dringend braucht

2. Teil: Ludwig van Beethoven, 7. Symphonie, Choreographie von Sasha Waltz % Guests, wie sie ihre Compagnie nennt. Titus Engel dirigiert das Tonkünstler Orchester Niederösterreich

Die Erwartungshaltung ist groß, denn Sasha Waltz wurde für diese Choreographie (Première März 2023 Berlin) von allen Kritikern hochgelobt.

Was ist wichtiger: Bethovens Musik oder der Tanz? Ehrlich: Der Tanz lenkt von der Musik sehr ab. Hin und wieder tut es gut, die Augen zu schließen und sich auf Beetovens wunderbare Musik zu konzentrieren. Ich weiß, das werden Fans von Sasha Waltz als Blasphemie empfinden. Aber so erging es mir! Ich wage daher keine Interpretation des Tanzes, denn die Bilder flossen ineinander über – ebbten im Rhytmus auf und ab. Tänzerinnen in eleganten, an die antiken Gewänder erinnernden Kostümen schwebten über die Bühne. Bilder, die an Isadora Duncan erinnern, wie es in der Anmoderation hieß,

Dann wechselte die Atmosphöre auf Schwarz – Andeutungen auf Beethovens Ablehnung Napoleons? Die weiße Fahne – eine Siegesfahne? Alles ist möglich, alles ist in verschiedene Richtungen deutbar.Ich wage keine Interpretation und frage mich am Ende, ob die Choreographie die Musik vertieft hat oder eher eine rhymische Unterlage zum Tanz war. Ich weiß, auch diese Frage ist Blasphemie.

©Sebastian Bolesch

www.festspielhaus.at

Fabian Panisello, Die Judith von Shimoda

Die neue Oper Wien zu Gast im Theater Akzent

Komposition Fabian Panisello, Libretto: Juan Lucas, Musikalische Leitung Walter Kobera, Inszenierung: Carmen C. Kruse. Bühne, Kostüm, Video: Susanne Brendel. Übertitelung: Mercedes Frühberger

Libretto von Juan Lucas nach dem Schauspiel: Die Geschichte der Ausländerin Okichi von Yamamoto Yuzo (1929) in der nachgelassenen Bearbeitung von Bert Brecht und Hella Wuolijoki. Uraufführung August 2023 der Bregenzer Festspiele.

Ungewöhnliche Atmosphäre im Theater Akzent: Das erste Drittel der Sessel wurde entfernt, um dem Orchester der „Neuen Oper Wien“ unter dem exzellenten Dirigat von Walter Kobera Platz zu machen. Auf der Bühne: Bunt gekleidete Figuren, die wirken, als kämen sie von der Straße, einer Party oder einem Nachtclub. Boden und Rückwand der Bühne sind von perlmuttfarbenen Glasfliesen bedeckt. In der Rückwand werden die Figuren gespiegelt.

Die zeitgenössische Musik ist gewöhnungsbedürftig, aber man „hört sich ein“. Die Anforderungen an die Sänger sind gewaltig. besonders an die Hauptfigur Okichi. Die amerikanische Sopranistin Anna Davidson bewältigt die hohen Töne und die stets wechselnde Stimmführung problemlos. Ebenso alle anderen Sänger.

Der Stoff ist wie gemacht für Brecht. Die Frage nach dem Heldentum hat er in diversen Lehrstücken und Dramen ja immer wieder gestellt und in seiner Fragwürdigkeit von allen Seiten beleuchtet – etwa in dem Drama „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“. Weiters bot ihm der Stoff ein weites Feld für moralische Denkanstöße. Klingt alles sehr theoretisch, ist es aber nicht. Denn durch die herausfordernde Musik und die Kunst der Darsteller wird aus dem „Lehrstück“ eine spannende Sache.

Worum geht es?

1853 landeten amerikanische Schiffe in der heutigen Bucht von Tokyo. Ihr Kommandant Townsend Harris verlangte die Öffnung Japans für den Handel, andernfalls werde die Stadt belagert und beschossen. Es geht um Macht, Einfluss und Geld. Als er während der langwierigen Verhandlungen erkrankte, verlangte er von der Stadtverwaltung zwei Konkubinen, die ihn „pflegen“ sollten. Tatsächlich wurden Kichi und Foku zu ihm geschickt. So weit die Fakten. Bald entwickelte sich in Japan ein Mythos um die beiden Mädchen.

Im Musikdrama „Judith von Shimoda“ geht es vor allem um das Schicksal Okichis nach ihrer „Heldentat“(. Sie soll zum Kommandant Henry Heusken (Harald Hieronymus Hein) geschickt werden, weil es um die Rettung der Stadt, vor allem um profitable Wirtschaftsverträge geht. Zunächst weigert sie sich, da sie als Geisha nie das Areal der „Fremden“ – Amerikaner betreten dürfte. Sie würde ihre Ehre verlieren. Alle reden ihr zu – dann willigt sie ein. In einer der wichtigsten Szenen verlangt der kranke Heusken von Okichi einen Krug Kuhmilch, um seine Darmprobleme damit zu heilen. Obwohl es in ihrem Land streng verboten ist, eine Kuh zu melken, tut sie es dennoch. (Foto oben)

Als sie wieder in ihre Stadt zurückkehrt, wird sie für kurze Zeit mit Ehrungen überschüttet, doch bald schon von allen als Hure beschimpft. Sie wird zur Trinkerin und lebt im Alter in großer Armut. Die Almosen vom Magistrat weist sie zurück. Um sich in ihrer Existenz zu bestätigen, malt sie ihr Konterfei auf die Straße und an die Hauswand. Die Bewohner steigen über das Bild, über Okichi, achtlos hinweg. Nach ihrem Tod wird sie von der Bevölkerung zum Mythos erhoben, Lieder berichten über ihre Heldentat.

Ein feinsinnig gesponnenes Drama, von einer wuchtigen Musik und exzellenten Sängern zu einem Meisterwerk gestaltet.

Am 7 uns 9. November noch im Theater Akzent zu sehen.

www.akzent.at und www.neueoperwien.at

Grafenegg stellt Saisonprogramm 2024 vor

Die Sommersaison in Grafenegg findet 2024 vom 20. Juli bis 8. September statt. Die Neuigkeit: Die Reitschule wird erweitert und 2026 unter dem neuen Namen Rudolf Buchbinder Saal“ eröffnet. Die traurige Nachricht: Yutaka Sado wird heuer zum letzten Mal die Festival-Eröffnung (16. August) dirigieren. Am Programm: George Gershwin und Arnold Schönberg. Er verlässt mit 2024 die Tonkünstler. Ihm folgt Fabien Gabel, der am 23. August das Abendkonzert dirigieren wird. Composer in Residence wird Enno Poppe sein. Er wird am 28. August sein neues Werk „Strom“ dirigieren.

Für Gäste, die Übernachtungsmöglichkeiten suchen, werden neben den schon bestehenden Hotels neu B&B in den umliegenden Kellergassen angeboten.

Das ganze Programm im Detail: www.granegg.com

Volksoper: Jerry Herman, La Cage aux Folles

Musikalische Leitung: Tobias Wögerer. Regie und Choreographie: Melissa King. Bühnenbild: Stephan Prattes. Kostüme: Judith Peter. Licht: Michael Grundner

Längst geht es im Publikum nicht mehr um die Thematisierung von Hetero-, Homosexuell oder LGBTQ+. Diese Aufreger sind längst keine mehr, die Diskussion hat sich in die sozialen Medien verzogen. Was das Publikum des Volkstheaters sehen will, ist eine freche Show mit wundervollen Darstellern. Schon 1991 bescherten die beiden Burgschauspieler Karlheinz Hackl als Albin/Zaza und Frank Hoffmann als Georges mit diesen Rollen der Volksoper einen Riesenerfolg. Obwohl in den 90er Jahren das Gespenst von Aids umging und Homosexualität noch nicht mit der Selbsverständlichkeit in der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wurde wie heute, ging es dem Publikum auch damals nur um die beiden Schauspieler. Sie in diesen ungewöhnlichen Kostümen und Rollen zu sehen, war schon der halbe Erfolg, wenn nicht der ganze.

Und so blieb es. Auch in dieser Wiederaufnahme sind Viktor Gernot als Georges und Drew Sarich als Albin/Zaza das Zugpferd der Produktion. Heute ist das Thema Homosexualität im Alltag akzeptiert, niemand würde sich darüber aufregen – außer vielleicht ein paar ewig Gestrige. Viktor Gernot ist kein tuntiger Georges, eher ein besorgter und liebevoller Partner. Drew Sarich darf und kann in die Extreme der Extreme gehen – schließlich ist er ein versierter Musicaldarsteller. Man genießt seine schrägen Auftritte, mehr aber doch die berührenden, nicht ganz kitschbefreiten Szenen, in denen er um die Akzeptanz seiner Persönlichkeit ringt („Ich bin wer ich bin“) und als er durch seinen Witz das spießige Ehepaar Dindon (sehr gut Sigrid Hauser als Marie Dindon und Nicolaus Hagg als ihr steifer Ehemann) brüskiert. Ein wenig blass bleibt das jungverliebte Paar: Oliver Liebl als Jean Michel und Juliette Khalil als seine Verlobte. Sie haben keine große Chance gegenüber all den Schrägen, Verrückten, die mit wilder Kostümierung und Kapriolen das Publikum leicht begeistern können. Juriaan Bles erntet Extrabeifall mit seinen witzigen Einlagen. Was natürlich nicht fehlen darf: Tanznummern in Cabaretreife, farbenfrohe Kostüme und ein pompöses Bühnenbild. Alles zusammen riss das Publikum am Schluss von den Sesseln. Darsteller und Publikum schwangen sich in einen einheitlichen Freudentaumel ein!

Konzerthaus: Cleveland Orchestra, Simon Keenlyside, Franz Welser-Möst: Gustav Mahler, Lieder und 7. Symphonie

Sechs ausgewählte Lieder, Bearbeitung für Bariton und Orchester von Luciano Berio, interpretiert von Simon Keenlyside

Gustav Mahler wurde in dieser Woche hoch gefeiert: Die Tonkünstler spielten unter Yudaka Sado im Festspielhaus St. Pölten und im Musikverein die 6. Symphonie (s. den Beitrag dazu auf dieser Webseite).

Und nun also Gustav Mahler im Konzerthaus. Im ersten Teil faszinierte Simon Keenlyside als Liedinterpret. Die von Luciano Berio bearbeitete Fassung der 7 ausgewählten Lieder ist keine Neuinterpretation, sondern eine stärkere Betonung der expressionistischen Elemente . Für den Sänger keine leichte Aufgabe. Simon Keenlyside ist bekannt, dass er Lied oder Arie mit exzellenter Wortdeutichkeit und völlig akzentfrei singt, dabei spiegelt sich der Sinn des Liedes in seiner Körpersprache, Gestik und Mimik ebenso wider wie in seinem Gesang. Die 7 ausgewählten Lieder stammen aus der von Achim von Arnim und Clemens Brentano zusammengestellten Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, von denen Mahler 24 vertonte. Sieben interpretierte Keenlyside an diesem Abend. Leicht und spielerisch brachte er die ersten beiden Lieder „Frühlingsmorgen“ und „Ablösung vom Sommer“ vor, die Tragik des Soldatenlebens in „Revelge“ lag dem Bariton besonders gut. Doch auch die feine, zarte Romantik im „Urlicht“, in dem bekannte Melodien, die für Mahler so markant sind, zitiert werden. Begeistern konnte er auch in den letzten beiden Liedern „Rheinlegendchen“ und „Hans und Grete“, die er mit dem für das Volkslied typischen Humor vorbrachte. Welser-Möst leitete das Cleveland Orchestra mit feiner Zurückhaltung. Für die ausgezeichnete Interpretation gab es ausführlichen Beifall.

Gustav Mahler, 7. Symphonie

Nach der Pause war es vorbei mit Zurückhaltung. Der volle Einsatz vom Orchester und Dirigenten war verlangt. Und Welser-Möst schonte weder sich noch das Orchester. Ähnlich wie in der 6. Symphonie komponierte Mahler die Untergangsstimmung dieser Zeit, nur legte er die Themen noch collagenhafter an. Die zu entwirren und zu einem klanglichen Ganzen zusammenzuführen, war die grandiose Misterleistung des Dirigenten und des Orchesters. Wie schon in der 6. verwendete Mahler auch in der 7. Herdenglocken, dazu noch Mandoline und Gitarre. Die Vielfalt der Themen zu strukturieren und in präziser Form zu spielen, die Steigerung und Spannung bis zum furiosen und nihilistischen Ende durchzuhalten, gelang Orchester und Dirigenten bis zum tosenden und tobenden Schluss.

Der Schlussapplaus brach orkanartig los und endete in standing ovations.

Anzumerken ist noch: Welser-Möst, der ja krankheitshalber alle Operntermine absagte, versprach alle Termine im Zyklus „Welser-Möst im Konzerthaus“ einzuhalten.

www.konzerthaus.at

Festspielhaus St. Pölten: Gustav Mahler, Symphonie Nr.6. Judaka Sado dirigiert die Tonkünstler.

Wenn Judaka Sado die Tonkünstler dirigiert, dann weiß man am Ende, Mahler noch nie so aufregend gehört zu haben.

Gustav Mahler gab der 6. Symphonie den Beinamen „Tragische“. Er komponierte sie im Sommer 1903/04, als die tragischen Ereignisse seines Lebens noch in der Ferne lagen. Es war wohl eine Art prophetische Ahnung, die allgemein herrschende Untergangsstimmung dürfte er gespürt haben. Als er 1906 die Uraufführung dirigierte, war das Publikum begeistert, die Kritiker weniger. Sie fassten ihr Urteil mit der Frage zusammen: Wozu der Lärm? (Zitat Ute van der Sanden, die vor Beginn die Einführung hielt)

Judaka Sado ist ein Dirigent, der aus dem „Lärm“ wundervolle Strukturen entstehen lässt. Gebannt hört man ihm zu, bewundert seinen körperlichen Totaleinsatz. Er ziseliert die Strukturen, lenkt die 112 Musiker mit Feingespür durch diese gewaltige Komposition. Anders als so manch selbstverliebter Dirigent, stellt er sich ganz in den Dienst des Komponisten, erarbeitet die musikalische Architektur dieses Monumentalwerkes klar heraus.

Im ersten Satz ertönt die von Mahler so gern eingesetzte Marschmusik, begleitet von einem schwungvollen Seitenthema und dem Klang der Herdenglocken, die für Mahler „Symbol für extremste Weltferne, Entrücktheit und Nähe zu Gott“ (Programmheft) sind. Sado führt die Musiker markig und draufgängerisch durch diesen 1. Satz bis zum pompösen Schluss. Spannung pur. Langeweile kommt keine Sekunde auf, schon gar nicht im nachfolgenden Scherzo. Hier arbeitet Sado die ironische Komponente deutlich heraus: betulich, „altväterisch“ – so Mahlers Angabe. Man darf schmunzeln. Überirdisch fein dirigiert er die Musiker durch das Andante. Man versinkt in der Romantik und möchte daraus nicht aufwachen. (Die Schwärmerei sei entschuldigt, aber so war es!). Im Finale glaubt man sich in die Filmmusik eines Thrillers versetzt: Das Unheil schleicht sich an, droht immer heftiger. Zwei Hammerschläge (ein riesiger Holzhammer wird auf eine Holzkiste gedonnert, genau nach Anweisung des Komponisten) verkünden das Unausweichliche, die Zerstörung triumphiert mit einem letzten Hammerschlag. Auch wenn aus der Ferne die Glocken erklingen – die Hoffnung hat keine Chance.

Als sich Yutako Sado vor dem begeisterten Publikum verbeugt, sieht man in seinem Gesicht die Spüren der Anspannung und Erschöpfung. Er schenkt sich und seinen Musikern nichts, verlangt das Äußerste. Das macht diesen Dirigenten zu einem der besten Mahlerinterpreten.

www.festspielhaus.at

Grafenegg, 25. August 2023: Mahler Chamber Orchestra, Daniil Trifonov, Daniel Harding.

Es war einer dieser Sommernächte, die Menschen mit heiterem Sinn erfüllt. Im Park von Grafenegg lagerten sie und picknickten oder lasen und lachten und redeten…Die Stimmung war erwartungsvoll. Über dem machtvollen Wolkenturm stieg die zarte Silhouette des Mondes auf. Grillen zirpten und hin und wieder hörte man einen Vogel im Schlaf zwitschern.

© Silvia Matras

„Nein, Sie müssen keine Angst vor der Musik eines Komponisten haben, der noch lebt“, meint Ursula Magnes in ihrer humorvollen Einleitung. Der noch lebende Komponist ist George Benjamin (geb. 1960), und schrieb mit „Concerto for Orchestra“ (2019-2020) ein „elegantes Divenkleid für Orchester“ – so wieder Ursula Magnes. Nun, das Divenkleid wirkte ein wenig ramponiert, so als hätte die Trägerin eine Nacht lang wild durchgetanzt. Jedenfalls führte Daniel Harding das Mahler Chamber Orchestra mit sicherer Hand durch das Klanggewirr. Manchmal aggressiv, dann doch auch ein wenig romantisch, hin und wieder glaubte man Vögel zwitschern zu hören – insgesamt eine Musik, die aufweckt und durchaus gut hörbar war. Ursula Magnes hatte nicht zu viel versprcochen.

Danach folgte das mit Spannung erwartete „Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op.54 (1841-45) von Robert Schumann, am Klavier der Starpianist Daniil Trifonov. Ihm eilt der Ruf voraus, ein „Wahnsinniger “ am Klavier zu sein. An diesem Abend wirkte er gezähmt, in sich gekehrt. Innig, zärtlich klangen die flinken Triller im „Allegro affettuoso“ und ebenso feinsinnig erklang das „Andantino grazioso“. Selbst im „Allegro vivace“ ließ der Pianist immer spüren, dass Schumann in diesem Konzert die Liebe zu seiner Frau Clara in Noten gefaßt hatte. Daniel Harding lenkte mit kundiger Hand durch das ausgeklügelte Zusammenspiel zwischen Klavier und Orchester. Ein Abend, der ganz zu dieser Sommerstimmung passte. Obwohl es leicht zu regnen begann, spielte Trifonov als Zugabe Bach.

Nach der Pause ging das Konzert im Auditorium mit der Symphonie Nr.3 F-Dur op. 90 von Johannes Brahms weiter. Brahms schrieb dieses Werk mit 50 Jahren (1883), und man sagt, es sei die Essenz seiner Werke. Die Uraufführung im Wiener Musiverein war ein Triumph. Clara Schumann schrieb in einem Brief an Brahms: „Jeder Satz ist ein Juwel.“ Dirigent und Orchester in Höchstform entführten das Publikum in eine jubelnde Natur, ließen einen Waldzauberteppich erklingen, dass am Ende viele meinten, diese Symphonie noch sie so herzergreifend gehört zu haben. Langer Applaus und standing ovations belohnten Dirigent und Orchester für die großartige Leistung.

www.grafenegg.com

Kultursommer am Semmering: Andrea Eckert präsentiert Georg Kreisler

Begleitet von den Wladigeroff Brothers und Otmar Klein, der mit Rat und viel Information den Abend mitgestaltete.

Endlich wieder Andrea Eckert, die viele vermissen! Und endlich wieder Georg Kreisler in einer stimmigen, künstlerisch hoch qualifizierten Darbietung. Wer Andrea Eckert kennt, der weiß, dass sie die höchsten Anforderunen an sich stellt und das Publikum die höchsten Erwartungen erfüllt sieht. Man denkt an ihre „Callas“ oder „Rosa“ – jüngst noch im Nestroyhoftheater/Hamakom zu sehen.

Im edlen Smoking, die Haare hoch gesteckt, verkörpert sie eine Diseuse aus dem vorigen Jahrhundert, aus der Zeit, als Juden Wien verlassen mussten, wenn sie es noch konnten. Ohne Larmoyanz erzählt Andrea Eckert von Kreisler, der mit 17 Jahren gemeinsam mit seiner Familie in die USA emigrierte. In Wien war der Tod zu Hause – „Der Tod, des muas a Weana sein..“ singt Kreisler/ Eckert – genau mit dem nötigen Mix aus Wiener Schmalz und Hinterfotzigkeit! Drüben war es nicht leicht – und Kreisler fragt: „Meinen Sie, es ist leicht? – Man muss nur wissen, man hat niemals ein Zuhause“. Diese bewußt gemachte Heimatlosigkeit lässt den jungen Kreisler einfacher die Schwierigkeiten „drüben“ und dann wieder „herüben“ überstehen. Er geht nach New York, aber keiner will seine traurigen Lieder hören. Also stellt er um auf Humor, abgrundtiefen Humor, der tief aus der jüdischen Seele kommt. Und er hat Erfolg. Natürlich dürfen jetzt nicht die bekannten Zungenbrecherlieder fehlen, …“Der Putz war da, der Kohn war da…“ und sie diskutieren. Da glänzt Andrea Eckert mit ihrer hinreißenden, humorvollen Darbietung.

Nach dem Krieg kehrt Georg Kreisler nach Österreich zurück – aber er ist nicht willkommen und er riecht denselben Mief wie vor dem Krieg. Berührend in den Liedern „Verlassen“ und „Mein kleines Mädele“. Doch weil der Abend nicht traurig enden soll, entlässt Andrea Eckert uns mit dem Hit „Mein Mann will mich verlassen – Gott sei Dank!“

Für den mitreißenden Abend gab es ganz, ganz herzlichen Applaus!

http://www.andrea-eckert.com http://www.kultursommer-semmering.at

Sophie Heinrich und Paul Rivinius: In Almas Musiksalon, verlegt ins „Muth“

Foto „das Muth“: Helmut Karl Lackner

Die Idee, einen Salon, besser DEN Salon à la Berta Zuckerkandl ins Heute zu transportieren, hatte Sophie Heinrich, Konzertmeisterin bei den Wiener Symphonikern, schon vor einiger Zeit gehabt. Nach ausgiebigem Studium der Literatur über „das Teufelsweib Alma Mahler“ hatte sie Musik von Alma, ihrem Lehrer Alexander Zemlinsky, ihrem Ehemann Gustav Mahler für den Salonabend im Muth zusammengestellt.

Sophie Heinrich spielte auf einer Stradivari. Ihr Begleiter auf einem Bösendorfer Flügel war Paul Rivinius. Neben dem Klavier deuteten ein Lehnsessel und eine alte Stehlampe die Atmosphäre eines Salons um 1900 an. Dort saß Sophie Heinrich und las Zitate aus Almas Tagebuch und Beobachtungen von Zeitgenossen vor. Nach dieser kurzen Introduktion griff sie zum Instrument und verwandelte sich in eine wahre Teufelsgeigerin. Paul Rivinius war ein behutsamer Lenker durch die manchmal recht furiose Salonmusik.

Den Auftakt machte die Serenade in A-Dur von Alexander Zemlinsky, der Alma in Kompositionslehre unterrichtete. Zwischen den beiden soll es ja ein inniges Techtelmechtel gegeben haben. Die Musik ist teils zärtlich-einschläfernd, teils hart und energisch, wie er sich in Gegenwart der Schönen gefühlt haben mag. Dann kam Alma selbst zu Wort – eher zur „Note“. Bevor sie Gustav Mahler heiratete, komponierte sie selbst eifrig. Die beiden Liebeslieder „Bei dir ist es traut“ und „Waldseligkeit“ klingen innig, zärtlich. War die Adresse, an die sie gerichtet waren, noch Zemlinsky oder schon Mahler? Eher Zemlinsky, denn Mahler hatte ihr ja strikt verboten zu komponieren: „Du sollst so werden, wie ich dich brauche!“ schreibt er seiner Braut. Sie soll – so erzählt Sophie Heinrich – eine Nacht lang in ihrem Zimmer ratlos auf und abgewandert sein, unschlüssig, ob sie so einen Tyrannen heiraten will. – Sie wollte! Denn Ruhm und Genialität eines Mannes zogen sie ihr ganzes Leben hindurch an. Und sie scheint sich an dieses Verbot gehalten zu haben. Es wurden außer diesen beiden Liedern aus der Brautzeit keine späteren Kompositionen gefunden. Jedenfall dankt ihr Mahler mit einem innigen Liebeslied und mit dem zu Herzen gehenden Adagietto aus der 5. Symphonie – einfühlsam und virtuos von Sophie Heinrich gespielt, Die Bearbeitung für Violine und Klavier stammt von Robert Wittinger.

Danach vergönnten die beiden Interpreten dem Publikum eine Pause und mit der Sonate von Richard Strauss Erholung von so viel Liebesgeflüster. Diese erfrischende Salonmusik schrieb Strauss mit 23 Jahren und da wußte er bereits, wo es lang gehen soll. Alle Charakteristika seiner Musik waren schon aufbereitet – spannend zu hören!!

http://www.muth.at

Grafenegg – Schlossklänge: Mendelssohn-Bartholdy, Paulus Oratorium

Tonkünstler Orchester Niederösterreich, Dirigent: Fabien Gabel, Arnold Schönberg Chor: Leitung Erwin Ortner

Nikola Hillebrand: Sopran, Johanna Krokovay: Alt, André Schuen: Bariton, Werner Güra: Tenor

Mit dem Oratorium „Paulus“ (Uraufführung 1836 in Düsseldorf) wurde Mendelssohn-Bartholdy schlagartig in ganz Europa bekannt. Er wurde als Originalgenie gefeiert, einer der die Romantik mit der Klassik versöhnte und neu aufstellte. Oratorien wurden vor ihm zahlreich komponiert, alle mit dem Ziel, die Reformation zu stoppen. Nun also kommt ein Komponist mit jüdischem Hintergrund und protestantischem Glauben und versöhnt die Gegensätze!

Der Schönbergchor beginnt mit Macht einen Triumphgesang zu Ehren Gottes, dann setzen die Solistimmen ein:

Mit klarem Sopran, herrlich in der Höhe, sicher in der Mittellage singt Nikola Hillebrand von Stephanus. Dann setzt der Tenor (Werner Güra) etwas verhalten fort mit der Geschichte der Juden, die Moses‘ Gesetze missachteten. Erster Höhepunkt ist die hochdramatische Forderung, formuliert vom Chor: Steinigt ihn (Stepahnaus). Kühl, fast wie ein Chronist, bestätigt der Tenor (Werner Güra)) die Tat. Spätestens mit diesen Szenen versetzt der Komponist die Zuhörer in Hochspannung, untermalt von dem Orchester, das Fabien Gabel stilsicher dirigiert. Opernhaft geht es weiter: Saulus erfährt an sich die Erleuchtung und wird zu Paulus. Großartig setzt da André Schuen mit seinem volltönendem Bariton, der bis in die Tiefen des Basses reicht, ein – er ist ein demütig-kraftvoller Paulus, ein Erneuerer, der die Worte des Herrn über die Grenzen verbreiten wird. Seine Arie „Ihr Männer, was macht ihr da?“ ist Mahnung, Aufforderung, die Gräben zwischen allen Menschen zuzuschütten! Kaum eine passendere Botschaft an all die kriegswahnsinnigen Machtgierigen hätte zu Zeiten wie diesen musikalisch erklingen können!

http://www.grafenegg.com

Tonkünstler: Puccini/Mendelssohn/Nielsen – Festspielhaus St. Pölten

Dirigent: Vincenzo Militarì. Violine: Benny Tseng

Giacomo Puccini: Preludio sinfonico

Puccini war zu Beginn seiner Komponistenkarriere ein begeisterter Anhänger Richard Wagners., wie man aus diesem kurzen Musikstück deutlich heraushören konnte. Weich, schwärmerisch hört es sich an, nichts noch von „Tosca“ oder „La Bohème“. Als Jugendwerk dafür um so interessanter, weil man sich wundert, wie schnell sich Puccini von Wagner verabschiedet und in seinen Opern eine ihm ganz eigene Tonsprache gefunden hat. Der junge italienische Dirigent Vincenzo Militarì hebt den schwärmerischen Tonus des Preludiums elegant hervor, lässt das Publikum so richtig „romantisch“ träumen. Um dann umso schärfer, in fast aggressivem Ton das nächste Stück zu dirigieren:

Felix Mendelssohn Bartholdy: Konzert für Violine und Orchester e-Moll op.64

Militarì muss sich wohl an die virtuose Rasanz seines Solisten, des Geigers Benny Tseng, anpassen. Tseng stammt aus Taiwan und achtet wie viele Solisten aus dem asiatischen Raum in erster Linie auf klares, virtuoses Spiel. Schnelligkeit ist kein Bonus, sondern Voraussetzung. Ebenso Virtuosität. Dass dabei in manchen Passagen der Schmelz, die Weichheit, wofür das Konzert ja bekannt ist, ein wenig zu kurz kommt, nimmt Tseng in Kauf. Gleich zu Beginn brilliert er mit dem Hauptthema und verleitet Orchester und Dirigent zu einem fast atemlosen Spiel. Im Andante des 2. Satzes lässt er sich dann doch auf die fließende Melodie der Kantilenen ein und kommt zu einer gewissen Ruhe, um im 3. Satz, im Allegro molto vivace, dann vollends mit seinen griffsicheren Fingern zu brillieren.

Carl Nielsen: Symphonie Nr.2 op.16 – „Die vier Temperamente“

Der in Dänemark 1865 geborene Carl Nielsen ist trotz seiner Erfolge zu Lebzeiten bei uns weniger bekannt. Um so spannender ist seine Komposition „Die vier Temperamente“ – inspiriert von der Typenlehre des Hippokrates. Militari und das Orchester waren sich einig: keine Übertreibungen, sondern klare Aussagen: Im ersten Satz „Allegro collerico“ hört man bestens das cholerische Temperament: leise brodelt die Melodie, um sich dann in Grimmigkeit zu steigern, ohne überlaut zu werden – das wäre zu sehr Klischee. In dem dem Phlegmatiker gewidmeten Satz weiß Nielsen gekonnt den Humor einzusetzen: Man hört förmlich die Frage des Phlegmatikers: Soll ich, soll ich nicht? Eher nicht. Die Töne ruckeln und zuckeln, zögern, ein Stück vor, zwei zurück. Das „Andante malincolico“ klingt ganz nach Mahler, obwohl, so heißt es in der Literatur, Nielsen sich nicht viel aus seinem berühmten Zeitgenossen machte. Militarì führt das Orchester mit feiner Behutsamkeit, lässt das Publikum in genüsslicher Traurigkeit schwelgen. Wenig überraschend sprudelt der Sanguiniker über vor Geschäftigkeit, Aber dann- ein zarter, fein komponierter Schluss, der alle vier Temperament tröstlich einschließt.

Ein zufriedenes Publikum dankt mit viel Applaus.

http://www.festspielhaus.at

„Ein Sommernachtstraum“ – Shakespeare und Mendelssohn Bartholdy

Zyklus Literatur im Konzerthaus

Klavierduo: Sivan Silver und Gil Garburg.

Lesung: Oberon: Michael Maertens, Titania: Marie-Luise Stockinger, Puck: Daniel Keberle

Vorspiel: Leise, leise führt uns Mendelssohn Bartholdy in die Welt der Feen ein. Dann beginnt die Musik zu schwirren, es quirlt, hörbar schlägt Puck seine Kapriolen. Dabei wird sicher niemand einschlafen, auch nicht Titania, denn die hat nichts anderes vor, als Oberon zu drohen und sich über ihn zu ärgern- ein klassischer Ehestreit. Der bleibt gelassen – typisch Maertens: ihn kann nichts aus der Ruhe bringen. Pfiffig, witzig greift Puck, alias Keberle, in das Geschehen ein: er knurrt, juchzt, lacht, ist ein Wesen zwischen Tier und Kobold. Jedenfalls amüsiert er Oberon, vor allem aber das Publikum. Dann spielt das Klavierduo das von der Titania geforderte Schlaflied – und Marie Luise Stockinger fällt mit dem Kopf auf den Tisch. So kann Oberon ruhig seinen Zaubertraum über Titania senden, in dem sie sich bekanntlich in einen Esel verliebt. Die Traumhandlung wird nur verkürzt erzählt und durch die Musik vermittelt.

Nach der Pause wird Titania geweckt, Puck amüsiert sich köstlich (und das Publikum mit Puck mit) über diese „Liebesaffäre zwischen Titania und Esel. Oberon verkündet – ganz imperialer Zauberoberherr – das Ende des Traumes und die Versöhnung mit Titania. Mit dem berühmten Hochzeitsmarsch, der für das Paar Theseus und Hippolyta erklingt, endet der Sommernachtstraum.

Besser hätte man das Datum für diese Aufführung wählen können: Der Frühling brach mit voller Schönheit über Wien herein. Im Konzerthaus spielte man eine laue Sommernacht – gekonnt von dem Duo Silver-Garburg am Klavier in den Saal gezaubert. Die Musik spielte an diesem Abend eine tragende Handlungsrolle – viele Teile des Dramas hat Mendelssohn Bartholdy durchkomponiert, der Text „füllt“ die Lücken, die die Musik lässt, geschmeidig aus. Ein gelungener Abend, ironisch- heiter , wie es zum Frühlingsbeginn passt.

http://www.konzerthaus.at

Theater Akzent: Tim Fischer: Ich bin die Leander-Zarah auf Probe

Buch: Ulrich Heissig und Tim Fischer

Musikalische Begleitung: Oliver Potratz: Kontrabass, Matthias Weibrich: Piano, Bernd Oezsevin: Schlagzeug, Hauke Reuhen: Vibraphon

Tim Fischer, der bekannte Chansonnier und Schauspieler, widmet sich erneut der Legende „Zarah“. Wenn er im Titel ankündigt „Ich bin Zarah“, dann meint er es auch. Er wirft keinen Blick von außen auf die wegen ihrer Nazivergangenheit nicht unumstrittene Diva, sondern vertritt sie, ist sie. In diesem Sinne verteidigt er sie. Die Einstellung Zarah Leanders zu ihrer Teilnahme an Ufafilmen, ihren Auftritte bei Goebbels und vor Hitler war je eher naiv, entschuldigend. Daher lässt Tim Fischer sie sagen: „Ich war eine politische Idiotin!“, was soviel heißt, damit sei alles entschuldigt und erklärt. Für Zarah sicher, für die Nachwelt nicht immer.

Im eleganten Abendkleid mit stilsicherem Ausschnitt tritt Zarah zur Probe 1938 an. Von Hamburg aus soll die Tournee durch Deutschland gehen, sie wird ein Riesenerfolg und ihr Comeback ist gemacht! Diese Probe lässt Tim Fischer das Publikum miterleben, betört es mit bekannten Liedern wie „Kann denn Liebe Sünde sein“, „Ich steh im Regen..“ oder „Ich weiß, es wird noch ein Wunder geschehen“. Tim Fischer erreicht mit seiner tiefen Stimme, dem breiten Timbre und dem rollenden R fast den Zauber Zarahs. Aber nur fast. Was fehlt, ist die Weichheit, die damals die Zuhörer in das Lied hineinzog. Bei näherem Nachdenken über dieses „Manko“, kommt man darauf, dass es passt, weil Tim Fischer ein kluges Konzept verfolgt: Er singt von Liebe, die Text scheinen weich, aber dahinter lässt er eine neue Seite aufglimmen: Zarahs Humor, Ironie, Schlagfertigkeit und Witz – Waffen, mit denen sie sich selbt gegen alle Vorwürfe verteidigt. Etwa, dass sie einige Male bei Goebbels eingeladen war und ihn schlagfertig abwehren konnte. Dass sie eben eine gefeierte Diva war, weil sie von der Liebe sang, eine Liebe, die in Kriegszeiten schlechte Karten hatte. Sie sinniert über die brave deutsche Frau, die gerade erfährt, dass ihr Mann in „Tapferkeit vor dem Feind“ sein Leben für das Vaterland gelassen hat. Wie wird sie sich und ihre zahlreichen Kinder durchbringen? Wenn Tim Fischer singt: Ich stehe im Regen, dann ist es auch die Frau, die auf die Rückkehr ihres Mannes wartet, der vielleicht schon gefallen ist. Die Liebe bekommt bei Tim Fischer immer eine Konnotation mit der damaligen schweren Zeit, eine doppelte Message, die über den banal scheinenden Text hinaus auch heißt: Denkt an die Liebe, die so sehr in Zeiten wie diesen fehlt. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum das Publikum ihn als Zarah Leander frenetisch feierte.

http://www.akzent.at

FESTSPIELHAUS ST.PÖLTEN: TONKÜNSTLER-ORCHESTER: RACHMANINOW/MAHLER

Sergej Rachmaninow: Konzert für Klavier und Orchester Nr.3 d-Moll op 30. Klavier: Kyohei Sorita, Dirigent Yutaka Sado

1917 aus Russland in die USA emigriert, fühlte sich Rachmaninow nie wirklich in der neuen Heimat „beheimatet“. Sein Herz und seine Wurzeln blieben russisch. Und seine Musik ebenso. Die Amerikaner sahen in ihm mehr den Tastenvirtuosen als den Komponisten. 1910 wurde das Konzert erstmals in New York aufgeführt und es dirigierte kein Geringerer als Gustav Mahler.

Dieses Klavierkonzert verlangt vom Pianisten all sein Können: Technisch sehr schwierig und thematisch ein WEchselbad der Gefühle – eine muikalische Beschreibung des Komponisten, wie er sich in dem neuen Land fühlte. Kyohei Sorita ist ein technisch perfekter Pianist, sein Spiel ist makellos, seine Läufe beeindruckend. Sein Anschlag hart, exakt, was durch den Steinway noch verstärkt wurde. Und so beeindruckt Sorita mehr durch sein Virtuosentum als durch seine Interpretation. Zwar tönt die Musik eines Zerrissenen laut, heftig und schnell, aber es fehlt ein wenig der Gegenpart: die Zärtlichkeit, die tiefen Gefühle, die Rachmaninow durchaus in das Werk komponierte. Dirigent Yutaka Sado führte das Orchester behutsam und zurückhaltend, ließ die Streicher die Musik wie einen feinen Teppich unter das Klavier legen.

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 1 D-Dur inklusive Blumine. Dirigent der Tonkünstler: Yutaka Sado

Nur kurze Zeit nach den wuchtigen Symphonien eines Bruckners und Brahms schrieb Gustav Mahler seine erste Symphonie, in der er alle strenge Logik eines Symphonikers über Bord wirft. 1884 begann er daran zu arbeiten, schrieb immer wieder Neues hinzu – wie die „Blumine“ (eine musikalische Ehrung der Göttin Flora), ließ manches weg. 1889 wurde das Werk in Budapest uraufgeführt. Der damals sehr gefürchtete Kritiker Edward Hanslik schrieb über diese Symphonie: „Das ist keine Musik!“

Gustav Mahler über diese Symphonie: „Sie muss sein wie die Welt, sie muss alles umfassen, auch die weniger schönen Dinge.“ Das gilt wohl für alle Werke Mahlers.

Yutaka Sado schenkte dem Publikum einen Abend, der tief im Gedächtnis bleiben wird. Selten – besser noch nie – hat man diese Symphonie so voller Zartheit, Wildheit, Romantik, Ironie und Versponnenheit gehört. Behutsam beginnen die Streicher, zart, als öffneten sich die Wolken und ein Sonnenstrahl beleuchtet die Erde. Man spürt, wie sehr Orchester und Drigent miteinander verwachsen sind. Sado dirigiert nicht, er schwingt sich in die Melodien ein und mimmt das Orchester mit auf die innere Reise Mahlers. Heiter ist die Luft ringsum, leise erklingt das Lied „Ging heut morgen übers Feld“, ein Thema kollidiert mit dem nächsten, um sich zu einem siegreichen Ende zu arrangieren. In der „Blumine“ lassen Dirigent und Orchester eine Blüte nach der anderen aufblühen. Frühling ist es! Unmittelbar darauf platzt die Energie eines Dorftanzes auf, dann ein Trauermarsch, der in die Träume über einen Lindenbaum hinüberfließt. Um im nächsten Satz das Unwetter über die Welt ziehen zu lassen, Hornisten und Trommler triumphieren, ohne alles zu übertönen. Mit feinem Fingerspitzengefühl lässt der Dirigent die Motive aufsteigen, gibt ihnen Zeit, ohne sie zu zerdehnen. Dem fulminanten Schluss, den die meisten Dirigenten derartig heftig überdrehen, dass nachher die Ohren schmerzen, gibt er den nötigen Wirkungsraum und Stärke, ohne das Tongebilde im puren Lärm und Getöse versinken zu lassen. Auch das für Mahler so typische triumphale Ende bleibt geformt und ausgefeilt.

Das Publikum dankte mit langem Applaus, standing ovation, das Orchester spendete seinem Dirigenten anerkennendem Beifall mit Geigenbogen und Füßen.

Es war eine Sternstunde der Musik!

http://www.festspielhaus.at

P.S.: Ein Kompliment an Dr. Alexander Moore, der ein interessante Einführung zu den beiden Werken hielt. Und einmal mehr sei das Programm lobend erwähnt. Die Informationen sind für Laien und Profis gleichermaßen interessant.

Volksoper Wien: Jacques Offenbach: Orpheus in der Unterwelt

Fast drei Stunden Ausstattungsorgie! Teils optischer Genuss, teils witzig, teils überflüssig. Julian Crouch, für Bühne und Kostüme verwantwortlich, schwelgt im bewusstem Kitsch, manchmal fein dosiert mit ironischer Wirkung, manchmal schwappt diese Orgie über den Topfrand und wird zu viel. Im ersten Teil genießt man all diese Gags – Theater im Theater, das Bühnenbild wie aus der Kitschmottenkiste mit humorigem Zwinkern; da hüpft Eurydike ( Hedwig Ritter stimmlich ziemlich tough) zwischen Tempelsäulen und sammelt Blumen für ihren Liebsten, einen Schäfer. Sie klagt über ihren langweiligen Ehemann Orpheus, Schäfer tauchen auf, Zeit der Schafschur ist – eines der entzückendsten Ballettszenen des Abends entrollt sich: Schafstanz , zuerst in der vollen Wolle, dann geschoren. Choreographie (Gail Skrela) und Kostüme überschlagen sich hier an Einfällen. Orpheus betritt die Bühne (Daniel Kluge – köstlich in der Selbstverleugnung) und gleicht so gar nicht dem aus der Antike tradierten Bild. Statt eines schönen Jünglings, dessen Gesang Steine zum Heulen bringt, spielt da ein selbstverliebter, unattraktaktiver Langeweiler. Eigentlich kann er gar nicht richtig Geige spielen, als Ehemann und Lehrer taugt er schon gar nicht.

Dann Sprung in die Götterwelt – der Schäfer entpuppt sich als Pluto, Gott der Unterwelt – Timothy Fallon gibt einen behäbigen Gott, stimmlich gut. Dass Eurydike nun in der Unterwelt gefangen gehalten wird, ist ihr gar nicht recht. Sie langweilt sich, niemand liebt sie. In den Szenen mit Styx als Wächter und Fliege (Sebastian Matt) haben die Regisseure viele Chancen auf echt gute Humorszenen vergeben. Denn leider fehlt hier das geistvolle Blödeln, es bleibt nur die reine Blödelei. Noch dazu ist Sebastian Max – wie auch Ruth Brauer-Kvam als öffentliche Meinung oder Marco di Sapia als Zeus – nur schwer verständlich. All die folgenden Szenen im Götterhimmel geraten zu langatmig, da fehlt der kluge Strich. Mühsam gehts mit der Vorstellung jeder einzelnen Gottheit voran – wer weiß schon was über die Büchse der Pandora, das Pantscherl zwischen Mars und Venus oder warum Merkur auf Rollschuhen daherkommt. Die Nomenklatur der Götter ist vielleicht gerade noch aus den klassischen Heldensagen bekannt – und das ist kein gesichertes Wissen. Die Langeweile wird dann von zwei herrlichen Tanzszenen aufgemischt, zuerst durch die Parade der Liebespolizei des Cupido. Da hört man die Kinder vor Lachen kreischen und jubeln. Und darauf der temperamentvoll und toll getanzte Cancan – das war Augenweide für die Erwachsenen. Wie überhaupt die Aufführung mehr durch optische Opulenz und tänzerische Einlagen als durch geistreichen Witz begeistert.

www.volksoper.at

Bösendorfer Festival: Schubert, Winterreise

Günther Groissböck: Gesang. Florian Krumpöck: Klavier. Kasematten Wiener Neustadt

Das Opernpublikum kennt Günther Groissböck als außergewöhnlichen Sänger und Rollengestalter, etwa als Wassermann in „Rusalka“ oder als Ochs im „Rosenkavalier“. Nun erobert sich Groissböck auch die Liedszene. Ohne seinen ganzen Stimmunfang zu demonstrieren – wie man das von manchen bekannten Opernstars kennt, die sich auch im Lied als Opernstar beweisen wollen – ziseliert er Wort für Wort, Ton für Ton den Schmerz dieses Menschen, der durch den Winter seiner Seele und der Natur geht und erfährt, was Einsamkeit heißt. Tempowechsel und Steigerung vom Piano zum vollen Bass, leise, zart, bis deutlich laut- weil zutiefst verletzt – so führt Groissböck sich und sein Publikum durch diese Reise. Trotz mehrmaliger Störung (Handy und ein dringend notwendiger Rettungseinsatz) bleibt er konzentriert, bleibt in der Seele des Wanderers, macht alle Tiefen durch, allen Schmerz, der sich in Tränen auflöst und doch nicht weniger wird.

Er beginnt nüchtern („Gute Nacht“): Nimmt Abschied von seinem Liebchen, wünscht ihr gute Nacht. Lässt die Hunde heulen. Es klingt wie ein Faktum: eben nach Abschied. Doch mit jedem Lied steigert Groissböck die Intensität bis zum ersten Höhepunkt – zur „Erstarrung“: Tränen gefrieren zu Eis, der Sänger jagt durch den Schmerz, immer nach „ihrem“ Bild suchen, den Schmerz verstärkend. Im „Lindenbaum“ führt er uns durch eine kurze Idylle, die bald in Dramatik umschlägt. Ab nun gibt es keine Wehmut, nur Dramatik. Traum und Wirklichkeit mischen sich , aber daraus erwachend erkennt er: Die Welt ist eben so beschaffen, in dieser Welt bleibt er immer einsam. Die Krähe wird ihm Lockvogel, lenkt seine Gedanken in den Tod. Vorher noch die bittere Erkenntnis: Menschen sollt ich scheuen, ich muss eine andere Straße gehen. Ein letztes Aufbäumen. Dann der Leiermann. Niemand beachtet seine Musik, doch er findet in ihr Ruhe.

Großartig, wie Günther Groisböck diese Reise gestaltete. Begleitet wurde er kongenial von Florian Krumböck. Wie dessen Finger über die Tasten schwebten, Schuberttöne in selten gehörter Zartheit hervorzauberten, dann wieder mit Macht, aber ohne vorlaute Wucht der Dramatik des Liedes folgten – das war Schubert in reinster, vollkommenster Form!

Infos zu weiteren Veranstaltungen

http://www.kasematten-wn.at und http://www.boesendorfer-wn.at

Wiener Konzerthaus: „Capucelli“ im Zyklus „Grenzenlose Musik“

Der Titel ist Programm: Gautier Capucon und sechs junge Cellisten aus der „Classe d`Excellence de Violoncello“ der Fondation Louis Vuitton Paris offerierten ein buntes Programm, gut gemischt aus klassischen und eigens für diese Gruppe komponierten Werken. Spannend, aufregend. Zum Rahmen „Grenzenlose Musik“ passend kommen die Musiker und Musikerinnen aus verschiedenen Ländern: Frankreich, Österreich, Belgien, Deutschland. Alle haben bereits eine internationale Karriere vorzuweisen.

Ein Musikabend wie dieser löst Reflexionen aus: Man spricht überall von der Krise des Theaters, ja der Kultur im allgemeinen. Führt diverse Gründe, wie Pandemie, Krieg oder Umweltprobleme an, die die Menschen vom Besuch eines Kulturevents abhalten. Aber dass dieser Abend ausverkauft war – wie passt das? Die Erklärung ist einfach: Musik, wie sie an diesem Abend erklang, schafft Bildertheater im Kopf. Der Zuhörer muss sich nicht von dümmlichen Einfällen diverser egomanischer Regisseure quälen lassen – er ist sein eigener Regisseur. Und es waren intensive Bilder, die die Capucelli auslösten!

Mit Astor Piazzollas „La muerte del Angel“ wird das ungewöhnliche Programm eröffnet: Keine Tangostimmung, sondern eher verhaltene Trauer. Léo Delibes „Viens Malika“ ist Romantik pur. Spannend, aufregend dann „The Forest“ von Bryce Dessner, eine Komposition eigens für diese sieben Cellisten. Er wurde durch den Brand der Nôtre Dame dazu inspiriert, als die uralten Eichenbalken langsam verbrannten und zu Boden krachten. Hohe Spannung, das Feuer greift um sich, was für die Ewigkeit geschaffen wurde, stürzt in sich zusammen. Die von der Musik evozierten Bilder sind stark!

Das Programm liefert ein Wechselbad der Gefühle: Auf das Schwere folgt Leichtes: Bela Bartok bittet zum Tanz. Gleich darauf rührt das Stück „Lasst mich allein“ zu Tränen: Antonin Dvorák setzt seine Trauer um die von ihm geliebte Schwägerin Josefina Cermakova in zu Herzen gehende Musik um. Getreu dem Motto auf Schweres folgt Leichtes wiegen die sieben Celli das Publikum in zärtlichen Walzertönen von Tschaikowsky, darauf führt Edvard Grieg Peer Gynt in die Halle des Bergkönigs. Interessant, wie Guillaume Connesson seine Liebe zu Gärten in Musik transponiert: Im „Jardin angleis“ sehen wir lange Blickachsen, elegante Landschaften, der „Jardin japonais“ bleibt abstrakt, kühl, während man im „Jardin francais“ Gekicher, Gekose, Zärtlichkeiten, Tratsch und Intrige mithört. Die drei Stücke wurden ebenfalls für diese Gruppe der Cellisten komponiert. Caroline Sypniewski übernimmt die Melodienführung als Carmen von George Bizet. Und wie! Musik und Körper sind eins. Sie IST Carmen, ihr Cello ist Carmen. Grandios! Mit Maurice Ravels „Bolero“ und Bernsteins „Manbo“ aus der Westsidestory reißen die Capucelli das Publikum zu standing ovations hoch. Den begeisterten Applaus belohnen sie mit zwei Zugaben.

http://www.konzerthaus.at

Das Ensemble „TANGO5“ der Wiener Symphoniker spielte Piazzolla und Händel

Titel: Rhythmus und Dynamik. Ort: Bassano Saal im Kunsthistorischen Museum – im Rahmen der Reihe: Donnerstagabend im Kunsthistorischen

Besetzung: Sophie Heinrich Violine, Ivaylo Jordanov Kontrabass, Andrea Wild E-Gitarre, Maria Radutu Klavier, Milos Todorovski Bandoneon

Die Wiener Symphoniker sind für ihre Vielseitigkeit und innovativen Ideen für Aufführungsorte bekannt. Sie spielen in Gaststätten, an ungewöhnlichen Orten in den Wiener Bezirken und eben auch im Kunsthistorischen Museum. TANGO5 wurde 2021 gegründet mit dem Ziel, den „Tango Nuevo“ von Astor Piazzolla dem Publikum näher zu bringen. Mit Einsatz und Mut zum Experiment beeindruckten sie an diesem Abend im Bassano Saal des Museums, der bis zum letzten Platz gefüllt war.

„Ja, wir können auch Tango spielen“, begrüßte Sophie Heinrich humorvoll das Publikum. „Und ja, wir sind überzeugt, Händel und Tango gehen wunderbar zusammen!“ Die Gemeinsamkeit liegt in der starken Emotionalität. In der Oper „Giulio Cesare in Egitto“ geht es um ganz große Dramatik und Liebe. Die vom Ensemble ausgesuchten Stücke – Ouvertüre, die Arie der Kleopatra „Piangero la sorte mia“ und „Da tempeste il legno infranto“- sind Musik voller Traurigkeit, Sehnsucht – Elemente, die sich im Tango wiederfinden.

Jeder Tango erzählt von Sehnsucht und Schmerz, die unerfüllte Sehnsucht ist süßer Schmerz, vom Bandoneon in langanhaltenden Tönen und langsamen Rhythmen interpretiert. Daher kein Tango ohne Bandoneon! Der Bandoneonspieler Milos Todorowsi war akklamierter Meister dieses Instruments, Sophie Heinrich eine temperamentvolle Geigerin, die den Rhythmus trug, Maria Radutu eine einfühlsame Klavierspielerin, Anna Wild brillierte auf der E-Gitarre und Ivaylo Jordanov ein sicherer Kontrabassist, der für den dunklen Untergrund sorgte.

Buenos Aires ist Tango, ist schön und hässlich, ist elegant und verlottert, ist banal und interessant. Ist Musik, Duft und stinkender Höllenlärm. Tango und Buenos Aires sind eins, ein faszinierendes und verwirrendes Konglomerat“, schrieb ich einmal während einer meiner zahlreichen Aufenthalte in Buenos Aires. Und weiter heißt es in meinen Aufzeichnungen:

 „Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sprach die Welt plötzlich von der reichen Stadt Buenos Aires. Aus Europa holte man sich Architekten und Künstler, um aus der namenlosen Stadt ein neues Paris, London, Madrid und New York zu machen.  Mit an Bord waren die Armen aus allen Teilen Europas: Italiener, Spanier, Polen, Franzosen, Engländer, die nichts weiter mitbrachten als die Sehnsucht nach ihrer Heimat, ihre Musik und die Hoffnung auf das große Geld. Geblieben sind die Sehnsucht und die Musik. Aus der Hoffnung wurde Hoffnungslosigkeit, und aus dem Gemisch von allem entstand der Tango. In den Bars und auf den Plätzen der Vorstädte tanzten die Einwanderer ihre Enttäuschungen weg, sangen von Liebe, Betrug, untreuen Frauen und dem großen Unglück des Lebens. Der Tango war bittersüß, melancholisch, erotisch und oft auch politisch brisant, daher auch lange Zeit bei den braven Bürgern verpönt. Aber die Verlockung dieser Musik war zu groß. Bald erlag ganz Buenos Aires dem Tangofieber, der Tango wurde salonfähig. In jedem Viertel gab es Tanzsalons, Tangoorchester und Tangosänger. Der Sänger Carlos Gardel, der Komponist Astor Piazzolla und Dichter wie Jorge Luís Borges oder Horacio Ferrer machten den Tango weltweit bekannt. Heute verleiht der Tango jedem Stadtviertel von Buenos Aires einen speziellen Mythos, eine unverwechselbare Aura, in die einzutauchen es sich lohnt. Wie und wo man Tango tanzt, das wird zum Signum des Viertels. Nur wenige „barrios“ (Stadtviertel) sind tangofrei.

Ich entkomme ihm nirgendwo. Sich gegen ihn zu wehren, ihn negieren zu wollen ist sinnlos. Er ist das ideale Instrument, mit und in der Stadt zu leben, ihren Puls zu spüren und vom Zuschauer zum Mitmacher aufzusteigen. Und so verbringe ich meine Sonntage in San Telmo. Vor mehr als hundert Jahren zogen die reichen Bürger aus Angst vor der Cholera weg, und Arbeiter aus der Vorstadt nahmen die Patrizierhäuser in Besitz. Der Putz blätterte ab, die Fenster wurden blind, die Gehsteige voll mit Abfall. Diese vernachlässigte Pracht ist heute der ideale Background für Tango und lockt Tänzer und Nichttänzer an. Aus den Cafés, den Wohnungen und Tanzsalons ertönt Tangomusik bis in den frühen Morgen.

Jeden Sonntag tanzen auf der Plaza Dorrego mitten zwischen Buden voll mit Trödel und so genannten Antiquitäten Profitänzer. Hitze oder Regen scheinen ihnen nichts auszumachen. Wenn sie am Abend das Feld räumen, dann ziehen die Hausfrauen von San Telmo Tanzschuhe an und tanzen mit Ehemann oder Sohn bis spät in die Nacht. Sie tanzen ihren eigenen Stil, schwungvoll, erotisch und gefühlvoll. Ich mische mich mit Begeisterung unter sie, weil ich auf den Dichter Horacio Ferrer vertraue, wenn er sagt: „In Buenos Aires ist jeder ein „tanguero“, (einer, der den Tango liebt), auch wenn er nicht tanzen kann.“

Warum ich an dieser Stelle meinen persönlichen Erinnerungen so großen Raum gebe? Weil ich an diesem Abend gespannt warte, ob der Tango, wie ihn das Ensemble spielt, mich erreicht, mich die Gegenwart und den Raum um mich herum vergessen und Buenos Aires in mir aufsteigt lässt. Zum Großteil ist es gelungen, besonders während des Tangos „Adios Nonino“. Vielleicht auch, weil gerade dieser Tango zu meinen Lieblingsstücken zählt und ich oft nach seiner Sehnsuchtsmusik getanzt habe. Das Ensemble spielt den ersten Teil in einem auffallend aggressiven Rhythmus, wodurch im langsamen Mittelteil Sehnsucht, Melancholie und die Unerfüllbarkeit der Hoffnungen umso stärker wirken. Berührend war auch der Tango „Alone“, von Milos Todorowski komponiert und allein mit seinem Bandoneon ohne andere Begleitung gespielt.

Resümee des Abends: Ein Fest für die Sinne. Das Ensemble wurde bejubelt. TANGO5 wird am 3. Dezember 2022 im Muth wieder zum Tango aufspielen. Nach dem Konzert wird das Publikum auf die Bühne zur Milonga gebeten.

http://www.khm.at

http://www.muth.at

http://www.symphoniker.at Das nächste Konzert der Wiener Symphoniker im Kunsthistorischen findet am 8.12. 2022 unter dem Motto: „Die Macht der Liebe statt“.

Wiener Konzerthaus: Andrè Schuen und Daniel Heide: Franz Schubert: Die schöne Müllerin

Zyklus Lied, 1. Konzert

Es geschieht noch: Das Wunder der Magie stellte sich an diesem Abend ein. Dem jungen Bariton aus Südtirol gelang es gemeinsam mit dem Pianisten Daniel Heide, den Liedzyklus „Die schöne Müllerin“ als existentielles Erleben zu gestalten. Ohne mit Tiefen und Lautstärke zu prunken, sang er von der Liebe und dem Tod.

Franz Schubert soll – so im Programmheft nachzulesen – den Gedichtband von Wilhelm Müller vom Schreibtisch eines Freundes, ohne ihn zu fragen, mitgenommen und in einer Nacht einen Großteil der Lieder komponiert haben. Die Faszination dieser schlichten Texte rührten ihn zu tiefgehenden Melodien.

Andrè Schuen schuf an diesem Abend ein Minidrama: Er begann als fröhlicher Bursche, der in die Welt hinausgeht, um sie zu erobern. Der Bach, sein Rauschen, führt ihn in das Haus der schönen Müllerin. Bis dahin klingt alles sehr biedermeierlich. Doch dann taucht Andrè Schuen in die Tiefen der menschlichen Existenz ein. In sich versunken, wird die Stimme immer inniger, nach Innen ausgerichtet. Er zieht das Publikum mit in die Leiden der Liebe, der Eifersucht und der Sehnsucht nach dem Tod. Daniel Heide folgt ihm auf dem Klavier auf dieser Reise als treuer Partner. Ein Abend, wie man ihn selten erleben kann!!! Langanhaltender Beifall, der nicht enden wollte. Selbst auf der Straße und im Bus hörte man mit Begeisterung von diesem Abend reden.

http://www.konzerthaus,at

Volksoper Wien, Carl Millöcker/Theo Mackeben: Die Dubarry

Regie: Jan Philipp Gloger. Musikalische Leitung: Kai Tietje

Foto: Martin Enenkel als Lebell, Harald Schmidt als König Ludwig und Annette Dasch als Dubarry.

Es ist ein kluger Schachzug von Lotte de Beer , mit dieser Operette die Saison und die Ära ihrer Direktion zu eröffnen. Aufgewertet durch aktuelle Gags, optisch witzig durch passende Bühnenbilder (Christof Hetzer) und pfiffige Kostüme (Sibylle Wallum) hat dieser Abend durchaus Potential zum Renner. Gloger hat es an Anspielungen und szenischen Gags nicht fehlen lassen, wenn auch dadurch der Abend sich ein wenig in die Länge zieht. Manche Einfälle sind ziemlich banal – etwa die „Unterrichtsstunde“, in der die Dubarry als Preussin für ihren Aufttritt vor dem Kaiser Franz Josef vorbereitet werden soll. Da werden alle Kalauer über die sprachliche Kluft zwischen Preussen und Österreich aufgeführt. Man kennt sie alle zur Genüge- dem Publikum aber gefällts.

Gloger arbeitet gekonnt mit Zeitensprüngen – einmal sind wir im Berlin der 20er Jahre, dann auf dem französischen Hof, dann wieder in einem Wiener Ballsalon, und im sehr witzigen Diskurs zwischen Dubarry und Ludwig XV. gar in der Gegenwart. Da dürfen sich zwei Theatertiger an witzigen, oft spontanen Einfällen übertreffen. Für den Showmaster Harold Schmidt ist König Ludwig eine Glanzrolle, die er sichtlich genießt. Annette Dasch als Dubarry ist ihm in dieser Szene eine ebenbürtige Partnerin. Stimmlich geraten ihr hin und wieder die Spitzentöne zu hart. Aber vielleicht ist das gewollt – quasi als Rollenbruch.

Das Ensemble singt und spielt insgesamt mit großer Freude und Einsatz. René Lavallery als Kunstmaler und Liebhaber der Dubarry hatte verdienten Szenenapplaus. Besonders reizend spielte und sang Juliette Khalil die Rolle der Verkauferin Margot.

Alles in allem ein amüsanter Abend, der auch manchmal mit drastischen Szenen – etwa die versuchte Vergewaltigung der Dubarry oder die bewusst abstoßende Szene der betrunkenen Männergesellschaft – nicht Operette pur bringt. Ein totaler Schock der Schluss – gekonnt gemacht. Aber er sei hier nicht verraten. Manche Zuschauerinnen waren – wie man in der Pause und nachher vernahm – regelrecht schockiert und meinten, das sei keine Operette. Irgendwie wahr, aber gerade deshalb interessant.

http://www.volksoper.at

Ein Bericht von der Generalprobe am 2. September 2022

Wolkenturm/Grafenegg: Beethoven: Fidelio (Konzertant, Textfassung Walter Jens: Roccos Erzählung, Bearbeitung: Brigitte Karner)

Gstaad Festival Orchestra unter der Leitung von Jaap van Zweden

Es war ein Abend, wie man ihn sich nicht schöner vorstellen konnte: Die Sonne ging in rosaroten Wolken unter und ließ ihr letztes Licht über das Schloss, den Park und den Wolkenturm fallen. Sanfte Wärme bis spät in die Nacht. Decken und Jacken blieben unausgepackt.

„Fidelio“ als konzertante Aufführung ist ein seltenes Erlebnis. Manchmal auch ein seltsames. Wenn etwa Leonore (Sinéad Campell-Wallace) im eleganten roten Abendkleid stimmgewaltig ihr Leid und ihre Sehnsucht nach Florestan besingt („Komm Hoffnung..“) Da schließt man am besten die Augen und versetzt sich selbständig in einen düsteren Raum. Gegen Ende des ersten Aktes macht es durchaus Sinn, wenn der Erzähler/ Rocco das Leid der Gefangenen schildert und der Chor den Gesang „O welche Lust, in freier Luft“ anstimmt. Das hilft dem Zuhörer, in die Oper einzusteigen und sie zu erleben. Trotz Abendkleidung der Protagonisten.

Nach der Pause stieg die Spannung – denn jetzt wird Jonas Kaufmann singen. Er muss „aus dem Stand“ heraus gleich voll einsteigen – glaubt man. Doch er beginnt den berühmten Schrei „Gott!“ – sonst ein Schrei, der durch Mark und Bein geht – mit einem Piano und singt auch weiterhin nicht mit „voller Stimme“. Fast hatte man den Eindruck, dass er sich ein wenig müht. In dem Terzett mit Rocco (Andreas Bauer Kanabas), Florestan und Leonore übertönt die stimmgewaltige Sinéad Campell- Wallace die beiden Männer. Kaufmann hält sich zurück?? Und so bleibt es bis zum Schluss. Die Oper müsste „Leonore“ heißen, weil Campell-Wallace die Rolle derartig stimmgewaltig und alle anderen Stimmen verdrängend verkörpert. Ihr galt auch der meiste Applaus. Zum Ende ehrt der Rocco – Simonischek – den Mut der Frau an sich. Er löst Leonore aus der Einmaligkeit ihres Schicksals und macht sie zur über die Oper hinausreichende Ikone der Frau, die durch Mit-Leiden und entschlossenes Handeln Krieg und Hass besiegt.

Falk Struckmann war ein überzeugender Pizarro. Die Gewalt seiner Stimme ließ die Figur griffig werden. Andreas Bauer-Canabas ein Rocco, genau zwischen Mut und Unterwürfigkeit. Christina Landshamer eine sympathische Marzelline, Matthias Winckhler als Don Fernando ein ruhiger Bote der Gerechtigkeit.

Jaap van Zweeden leitete das Gstaad Festival Orchestra mit feinem Gespür. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn war ein exzellenter Partner der Sänger.

http://www.grafenegg.com

Grafenegg: „Insieme“ im Wolkenturm

Bis auf das letzte Wiesenfleckerl war der Wolkenturm ausverkauft. Die Gruppe „Insieme“ („gemeinsam“) – auf italienische Hits spezialisiert – konnte auf ihre Fans zählen. „Insieme“ – das sind Monika Ballwein, Christian Deix, Erik Arnò, René Velazquez – mischten die Stimmung auf, ließen das Publikum bei „felicità“ von Romina Power mitklatschen und mitsingen. Mit „Come è bello fare l`amore“, „Buona sera, Signorina“ wurde die Stimmung immer lockerer. Blieb aber unter den Erwartungen einer heißen Nacht. Nur zögerlich wurde hin und wieder ein Lichtlein gezündet. Manchmal wurde mitgerockt – eher mitgerockerlt. Je nach Alter. Dass der Song von Andrea Bocelli und Hélène Segara nicht so ganz gelang, machte nichts aus – es war romantisch. Bei „volare“ konnte man wieder gewaltig mitsingen. Nach der Pause wurden die Handylichter häufiger, die Stimmung wärmer trotz hereinbrechender Nachtkälte. „Bella ciao“ und viele andere Hits mit Zugaben rissen alle im Publikum zu begeistertem Applaus mit.

Eine Veranstaltung der Agentur „cayenne“ http://www.cayenne.at

Landestheater Salzburg, George Bizet: Carmen

Aufführungsort: Zirkuszelt in der Arena/Messe Salzburg (wegen Renovierung des Landestheaters)

Gabriel Venzago dirigiert das Mozarteumorchester Salzburg

Man blickt auf das Rund der Zirkusarena und wartet auf den Auftritt der Arbeiterinnen aus der Zigarrenfabrik. Doch die kommen nicht, statt dessen eine Schar von Frauen, die sicher nicht in einer Fabrik arbeiten. Man wartet auf Carmen, die Anführerin der kämpfenden und schreienden Schar. Als sie auftritt ist man irritiert: Carmen im sibernen Abendkleid? Ihre Auftrittsarie „si je t`aime..“ singt sie eher so nebenbei, ganz als wäre das eine nebensächliche Alltäglichkeit, die sie mit links erledigt: so ein paar Jungsoldaten verführen. Dann besteigt sie eine Mondschaukel aus Silber und lässt sich in die Höhe ziehen. Dazwischen turnen und jonglieren einige recht planlos, ein Clown steht herum. Man ist ratlos und wird es immer mehr. Erst am Ende des zweiten Aktes fällt der Groschen: Hier wird nicht Carmen gespielt, wie man sie so oft schon erlebte. Man sieht eine Carmen, die eine Art Zirkusprinzessin ist, im Zirkus mit den Akrobaten lebt. Das Leben spielt sich nicht in einer Räuberhöhle oder Wirtshaus ab, sondern mitten im Zirkus. Ab da waren das Regiekonzept von Andrea Bernard und die Kostüme von Stefanie Seitz verständlich.

Doch weit wichtiger als der Regieeinfall waren die Stimmen. Und was für Stimmen!!!! Luke Sinclair als Don José war (für mich) einer der besten in dieser Rolle, die ich je gehört habe. Solch einen Tenor würde man sich an der Wiener Staatsoper wünschen: Klarer Tenor, mühelos in der Höhe, weich in den tiefen. Und er sah noch dazu gut aus und spielte den verletzten Liebenden mit einer Hingabe, die an die Intensität eines Rolando Villazon erinnert. Es geschah für mich zum ersten Mal, dass die Rolle des Don José die der Carmen überstrahlte. l Deniz Uzun als Carmen war ebenfalls sehr überzeugend, Stimme und Spiel passten genau in die Rolle! Höhepunkte der Oper waren das Liebeduett zwischen José und Carmen und natürlich die Schlussszene! Was für eine tiefe, aussichtslose Liebe war es, die José in der Verzweiflung Carmen töten ließ. Doch leider, leider hatte der Regisseur eine unglückselige Idee: José schleppte Carmen in den Kasten, in dem kurz vorher der bekannte Zaubertrick der zersägten Frau vorgeführt wurde. Dann packte José das am Boden liegende Schwert und bohrte es durch das Holz in Carmens Herz. Die dann tot herausfiel. Diese Aktion zerrisss die Intensität des Tötungsaktes und zog sie ins Lächerliche.

Trotz allem; verdienter tosender Applaus für alle, besonders für Deniz Uzun und Luke Sinclair!!! Danach trat auch der Intendant Carl Philipp von Maldeghem vor den Vorhang und bedankte sich beim Publikum für die Treue, die es dem Theater im Zelt „trotz Sturm, Regen, Kälte und Hitze“ gehalten hat. Viel Applaus für Maldeghem, der sich Gott sei Dank gegen Köln entschieden hat. Nach dieser miesen Hetze der Kölner Presse gegen ihn, durchaus verständlich. Und die Salzburger sind glücklich, dass er bleibt!!!

http://www.salzburger-landestheater.at

Volksoper Wien: Puccini: TURANDOT

Dirigent: Alfred Eschwé. Regie und Choreographie: Renaud Doucet.Bühne und Kostüme: André Barbe. Licht: Guy Simard. Choreinstudierung: Thomas Böttcher.

44. Vorstellung

Besucher der Wiener Staatsoper sind ja nicht gerade verwöhnt, was das Bühnenbild angeht. Das ist entweder nicht vorhanden, also alles schwarz. Bestenfalls stehen ein paar graue Wände um die Sänger. Ausnahmen gibt es natürlich. Die Volksoper hingegen verwöhnt ihr Publikum mit kulinarischen Bühnenbildern und Kostümen! Und muss sich daher nicht um die „Auslastung“ Sorgen machen!

So auch in der „Turandot“. Dieses Märchen von der eiskalten Prinzessin, die unberührt bleiben will, ist ja purer Krieg! Turandot tötet mit Lust, lässt alle Anwärter, die ihre Rätselfragen falsch beantworten, hinrichten. Aber der von Liebe säuselnde Calaf ist ebenfalls ein ziemlich berechnender, kalter Typ. Schaut er doch gelassen zu, wie die arme Liu zu Tode gefoltert wird, weil sie Calafs Namen nicht preisgeben will.

Also: Liebe ist Kampf, Krieg. Erst recht in China – trittst du gegen die Macht (Turandot) auf, bist du schon verloren. Aber – keine Angst, in der Volksoper wird nicht krampfhaft auf aktuell umgedeutet. Das Duo Doucet und Barbe haben ein recht witziges Konzept entwickelt: Die Menschen, die unter Turandots Geißel sich ducken und kriechen, sind mehr Insekten als Menschen. Einige haben lange Fühler, andere eine echsenartige Zeichnungen am Körper.Die königliche Garde gleicht eher Glühwürmchen denn Kämpfern. Schmetterlinge kriechen(!) als Halbwesen über den Boden. Und über allem steht – nicht Turandot, sondern der weibliche Henker. Großartig: Eine Frau mit hinreißender Figur, das Gesicht dunkel, auf dem Kopf einen Helm mit ehernem Busch. Ihre mit riesigen Beißzangen verlängerten Arme erinnern an einen männlichen Hirschkäfer. Mit diesen Zangen wird sie alle Prinzen, aber auch Liu töten.

Die weibliche Henkerin (Foto: Voldksoper Wien)

Etwas gewöhnungsbedürftig wirkt das Outfit Calafs (Vincent Schirrmacher). Er erinnert mit seinen hochgebürsteten Haaren und der Schminke fatal an Pumuckl. Sein armer Vater Timur (sehr gut: Stefan Cerny) muss wie ein Wilder aus den Wäldern mit einem Fell herumlaufen. Aber man akzeptiert auch solche Merkwürdigkeiten, weil die ganze Aufführung mit so viel Lust am Spiel, an Licht (Guy Simard) und Einfällen abgeht. Anja-Nina Bahrmann ist eine ausgezeichnete Liù. Dass sie in ihren zarten Arien, in der sie von ihrer Liebe zu Calaf singt, doch an manchen Stellen forcieren muss, liegt an dem Dirigent Alfred Eschwé. Er lässt Pauken und Trompeten aus vollem Rohr schmettern, nimmt nicht immer genügend Rücksicht auf die Sänger. Zum Gesamtkonzept der phantasieüberbordenden Regie passt sein Dirigat dann irgendwie doch. Auch Calaf (Vincent Schirrmacher) und Melba Ramos als Turandot haben mit dem martialischen Dirigenten manchmal ihre Schwierigkeiten. Humorvoll und gekonnt gespielt und gesungen laufen die Szenen mit den drei Ministern Ping (Alexandre Beuchat), Pang (David Sitka), Pong (JunHo You) ab.

Ein voller Erfolg, bei vollem Haus (obwohl schon die 44. Vorstellung!). Das Publikum dankte mit Jubel, langem Applaus und Blumen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Inszenierung auch in der kommenden Saison am Programm stehen wird!!!

http://www.volksoper.at

Volksoper: Benjamin Britten, Der Tod in Venedig

Inszenierung:David McVicar, Dirigent: Gerrit Prießnitz. Text von Myfanwy Piper, übersetzt von Hans Keller und Claus Hemberg. Nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann

Selbstzweifel, Schreibhemmungen, es geht gar nichts mehr ….seit Goethes Faust ein immer wiederkehrendes Thema in der Kunst. Aber keiner hat es so tief erfasst wie Goethe. Und dann noch Thomas Mann. Wenn ein Künstler sein Talent in Frage stellt, die Quelle der Eingebungen versiegt und die Sprache verstummt, dann wird aus der Schreibkrise eine Lebenskrise.

So weit bei Goethe und Mann nachzuvollziehen und von späteren Vertretern der schreibenden Zunft immer wieder als Thema aufgegriffen und zu einem Text verarbeitet. (Zuletzt Leila Slimani in ihrem jüngst erschienenen Buch: Der Duft der Blumen bei Nacht. Auch sie fährt nach Venedig, um sich aus der Schreibhemmung zu lösen. Der Leser gähnt ausgiebig mit ihr). La Serenissima soll also schon allein durch die Kraft der Musik, die in dem Namen steckt, die Phantasie Aschenbachs beflügeln. Doch leider muss er erkennen, dass Venedig mehr denn je sich als Theater für Touristen aufführt. Der erwartete Ideenschub bleibt aus. Erst der Blick auf den schönen Knaben Tadzio (dargestellt von dem jungen Balletttänzer Victor Cagnin) rüttelt ihn auf und er hofft darauf, dass diese plötzlich entflammte Liebe die Schleusen öffnet und die Worte fließen lässt. Trotz Choleragefahr bleibt Aschenbach, um Tadzio nahe zu sein. Noch in der letzten Lebensminute meint er den schönen Knaben zu sehen, wie er ihm zuwinkt und ihn in ferne Horizonte lockt.

Die Novelle wurde von Visconti 1971 erfolgreich verfilmt, Der Regisseur McVicar meinte wohl, es hätte nicht viel Sinn, gegen diese szenegewaltige Verfilmung anzugehen. Also folgte er ihm, oft allzu sklavisch. Wenn die Reichen und Schönen zum Diner schreiten, wenn die russische Familie sich am Strand breit macht, wenn die Kinder raufen, tanzen, wenn Tadzio hinter der Familie marschiert, immer sich diskret umwendend, ob Aschenbach ihm folgt. Viele im Publikum werden ein Dauerdéjà – vu – Erlebnis haben. Nur leider sind viele Szenen zu lang geraten (- etwa die raufenden und tanzenden Kinder am Strand) und werden zu oft wiederholt, was das Werk zerdehnt. Kürzung hätte gut getan. Bühnenbild und Kostüme von Vicki Mortimer bleiben wie der Film auch in der Zeit um 1900. Manche Bilder emanzipieren sich und entwickeln eine vom Film unbeeinflusste Kraft, etwa die Szene mit dem Gondoliere (Johannes Wimmer in mehreren Rollen), der Aschenbach an den Lido rudert. Mit gekonntem Lichteinsatz wird daraus eine düstere Fahrt ins Ungewisse des nahen Todes.

Die Leistung von Rainer Trost als Gustav von Aschenbach ist besonders hervorzuheben. Im Dauereinsatz auf der Bühne hat er in einem anstrengenden Sprechgesang das Geschehen und zugleich seine eigene Gefühlslage zu kommentieren. Die Rolle des Tadzio, der mit seiner Jugend und Schönheit den alternden Dichter in den Bann zieht, ist mit Victor Cagnin eine Fehlbesetzung. Denn von dem Tänzer springt keinerlei Erotik über. Und damit steht und fällt der Sinn der Geschichte. Aber die Musik rettet viel, fast alles. Unter der sensiblen Führung von Gerrit Prießnitz entfaltet sich die ganze Dynamik der Oper: Von der Düsternis des nahen Todes, von der Sinnlosigkeit der reichen Gesellschaft bis hin zur zarten Liebe, die Aschenbach für Tadzio empfindet, erzählt alles die Musik.

http://www,volksoper.at

P.S: An dieser Stelle möchte ich Direktor Robert Meyer für die fünfzehn spannenden und abwechslungsreichen Abende in der Volksoper danken. Besonders aber auch für seine offenen Worte in der Sendung „Gedanken“ auf Ö1 am Sonntag, 29. Mai 2022. Endlich einmal spricht einer aus, was ich mich schon immer fragte: Was bewegt die Politiker bei der Bestellung diverser künstlerischer Leiter? – Wie kommen sie zu den Nominierungen, ohne je im Theater gesehen worden zu sein????

Wiener Symphoniker: LIEBESIDEAL

Kammermusikkonzert der Wiener Symphoniker im Kunsthistorischen Museum, Bassano Saal

Ein Abend voll vergnüglicher Musik. Die fünf Musiker des Symphonischen Schrammelquintettst, sind: Helmut Lackinger Violine, Edwin Prochart, Violine, Kurt Franz Schmid Klarinette, Peter Hirschfeld Kontragitarre, Ingrid Eder Akkordeon.

Für heitere und informative Wortspenden sorgte Kurt Franz Schmid.

Gleich beim ersten Sück von Johann Schrammel „Kunst und Natur“ fühlte man sich in die Vergangenheit des „Dommayer“ im 18. oder 19. Jahrhundert versetzt, wenn im Garten die Musi spielte. Man will das Tanzbein schwingen, aber wie Kurt Schmid dem Publikum erklärte, hatten die Brüder Johann und Josef Schrammel ihre Musik nicht für den Tanz komponiert. Man hörte Polka, Walzer, Csardas. Mitten drin auch Camille Saint – Saens, Das Liebesduett aus der Oper „Samson und Dalila“.

Wer die vorangegangene Führung im Museum zum Thema Liebe mitmachte, konnte sich im wahrsten Sinn des Wortes „ein Bild“ zu Samson und Dalila machen. Anton van Dyck, ein Schüler von Rubens, konzentrierte sich auf den Moment der Gefangennahme, als seine Geliebte ihn verriet.

Anthony van Dyck, Die Gefangennahme Samsons. Foto: silvia Matras

Doch es gab auch heitere Bilder zum Thema Liebe im Museum zu sehen: Zum Beispiel die drei herrlich glatten, runden Popos, einmal von Gott Amor, dann von dem Knaben Ganymed und der schönen Io, beide gemalt von Correggio. Der von dem jungen Gott Amor ist wohl am verführerischten.

Parmigiano, Bogenschnitzender Amor (Foto: silvia Matras)

Zurück zur Musik der Brüder Schrammel. Ihre Kompositionen waren bei der Aristokratie sehr beliebt. Der Fürstin Eugenie Esterhazy widmeten sie den bekannten „Eugenie-Walzer“ und Pauline von Metternich die Polka „Frühlingsgruß“.

Den vergnüglichen Abend beendeten die Symphoniker mit Fritz Kreisler: Liebesleid und dem echten „Rausschmeißer“ „Hallodri“ von Johann Schrammel.,

Das nächste Kammermusikkonzert findet am 9. Juni 2022 um 19.30 im Bassano-Saal des Kunsthistorischen Museums statt. Ticket:

http://www.symyphoniker.at oder über ticket@konzerthaus.at

Dirigent: Roland Kluttig. Inszenierung: Sandra Leupold.

Es mutet fast wie ein Wunder an: Alles stimmt in dieser Inszenierung! Die sensible Personenführung und die klugen Regieeinfälle von Sandra Leupold- nie überbordend oder gegen den Sinn -, die musikalische Leitung von Roland Kluttig ganz wundervoll!, die beeindruckende Bühne von Mechthild Feuerstein – klug mit wenigen Akzenten versehen, die Kostüme von Jochen Hochfeld – in die Zeit passend und doch nicht „altvatrisch“! Warum ich das für ein Wunder halte? – Die Erklärung ist einfach: Wir Wiener Opernfreunde mussten uns unter dem „neuen“ Direktor an schockierendes Regietheater gewöhnen, was zu einem deutlichen Besucherschwund führt. Die Lust, in die Wiener Oper zu gehen, nimmt immer mehr ab..

Die Grazer Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ überzeugt und begeistert auf allen Linien. Kyle Albertson ist ein Holländer, wie er „im Büchl“ steht und hat tatsächlich Ähnlichkeit mit dem Bild auf dem Hänger, der von oben herabgelassen wird! Er hat nicht nur eine großartige Stimme, sondern spielt auch mit Tiefgang! I,n der Rolle der Senta hat Helene Juntunenzwar nicht alle begeistert (der Applaus war deutlich schwächer als bei den anderen Sängern), aber mir gefiel der metallische Klang der Stimme. Sie nahm der Rolle die peinliche romantische Verklärung, in die Senta in anderen Inszenierung fast automatisch kippt. Da spürt man deutlich die behutsame Führung der Regisseurin! Gleich zu Beginn hebt Mario Lerchenberger mit dem Steuermannslied an und begeistert das Publikum durch seine jungenhafte Stimme. Wilfried Zelinka ist ein staubgrauer, berechnender Vater, der seine Tochter gerne und übereiftig an den reichen Holländer verschachert. Maximilian Schmitt überzeugt als Erik und Mareika Jankowsky als Mary. Die sonst oft verkitschte Oper wird in dieser Inszenierung ein optischer und akustischer Genuss! Mit der Einführung der stummen Figur Richard Wagners (Bernhard Schneider) auf der Bühne bekommt der Abend einen besonders ironisch-witzigen Ton. Er sitzt auf dem obersten Bühnenrand im Hintergrund, dirigiert manchmal, dann wieder sieht er fasziniert zu oder betrachtet etwas ratlos sein eigenes Werk. Das erinnert stark an das Schaupiel „Eurydike geht“ von Elfriede Jelinek, als Nikolaius Habjan eine Jelinekpuppe das Geschehen vom Bühnenrand mimisch und gestisch kommentieren ließ.. Gegen Ende zu mischt sich Wagner ins Bühnengeschehen, um das Chaos, das er mit den Figuren angerichtet hat, zu schlichten. Was ihm nicht gelingt. Verzweifelt rauft er sich die Haare.

Begeisterter und langer Aplaus!

http://www.oper-graz.com

Volksoper Wien: Schoenberg in Hollywood

Musik: Tod Machover, Libretto: Simon Robson, Regie und Bearbeitung: Helen Malkovsky. Bühnenbild und Video: Sophie Lux.

Arnold Schönberg: Marco di Sapia, Alter Ego: Christian Graf, Girl: Lauren Urquhart, Boy: Jeffrey Traganza.Orchester der Volksoper Wien, Dirigent: Gerrit Prießnitz

Zuallererst sei hier die enorme stimmliche Leistung hervorgehoben, die diese Musik von den Sängern abverlangt. Dann ist wichtig: Ohne die ausgezechnete vorherige Einführung im nahen Schönberg-Center wäre es fast unmöglich, dem Geschehen zu folgen. Gezeigt wird eine Biopic. Das Leben Schönbergs (die Schreibweise Schoenberg ist die amerikanische Version, die auch im Titel verwendet wird) wird in knappen Szenen gespielt. Die Schwierigkeit für die Zuseher besteht aus der zeitlichen und örtlichen Zuordnung, sowie der Zuordnung der „beiden Schönbergs“. Mit Hilfe der Einführung findet man den roten Faden, allerdings nicht immer mit Treffsicherheit. Die Oper zeigt das Leben Schönbergs im Rückblick und im Vorausblick. Der zeitliche Dreh- und Angelpunkt ist 1934, als Schönberg in Los Angeles ankommt und den Filmproduzenten Irving Thalberg trifft. Eindrucksvoll sind die Szenen, die in Schönbergs Leben gravierende Spuren hinterließen, wie etwa das Verhältnis Richard Gerstls mit Schönbergs Frau Mathilde. Dezent werden Bilder Gerstls, sein zerquältes Selbstporträt eingespielt, dann sein Selbstmord. Schönberg in den Szenen mit seiner Frau – er verlangt totale Unterwerfung. Alles nur in minimalistischen HInweisen. Dann seine Auseinandersetzung mit dem Judentum. Dazwischen immer wieder seine Karriere in Hollywood.

Alles in allem: ein sehr anstrengender, aber interessanter Abend.

Aufführungsort: Kasino im Schwarzenberg, wo sich die Volksoper eingemietet hat.

http://www.volksoper.at

Wiener Festwochen – Voreröffnung: Mozart/Castellucci: Requiem

Regie, Bühnenbild, Kostüme: Romeo Castellucci. Raphael Pichon dirigiert das Ensemble“Pygmalion“.

Wieder einmal bewahrheitete sich: Zu hohe Erwartungen sind schlecht, man kann nur enttäuscht werden!. Mit welch Überschwang Medien und die ganze Kulturszene Castellucci als den Regisseur, der gewaltige Bilder über die letzten Dinge kreiert, feiert! Und dann das! Schon die Eingangsszene war an Banalität nicht zu übertreffen: Eine Frau schaut fern, raucht, trinkt, legt sich ins Bett und stirbt. Sicher, der Tod ist nie banal. Und tausend Mal tritt er so wie auf der Bühne gezeigt ein. Doch wie die Szene gezeigt wird, ist peinlich, weil langweilig. Dann kommen die Trauergäste, verhüllen alles mit schwarzen Tüchern, die Leiche wird weggetragen. Was danach über gefühlte zwei Stunden folgt, ist ein Katalog der verschwundenen, ausgestorbenen und zerstörten Tiere, Menschen und Gebäude, jede Abteilung in ordentlicher Schrift an die Wand projeziert, die lateinischen Namen dazu, eins nach dem anderen: Ausgestorben: Tiere, Wälder, Menschen, Völker, Sprachen, Gebäude,etc..Ich komme mir vor wie in einem Radiokolleg von Ö1. Entschuldigung -aber das ist mehr als langweilig.Dazu tanzen der Chor und die Sänger auf der Bühne Volkstänze. Manches Mal wird es tiefsymbolisch: Ein Mädchen wird von oben bis unten mit Farbe angeschüttet, an die Wand geheftet, abgenommen, mit Fell bedeckt und mit Hörnern versehen. Sacre du printemps? Ich war den ganzen Abend mit der Deutung dieser Bild- und Schriftfolgen beschäftigt. Darüber „überhörte“ man gänzlich die Musik. Hin und wieder brachte sie sich lautstark zur Geltung. Ich bin mir bewusst, dass ich mit dieser Meinung/Kritik in der Castelluccicommunity als Banause abgestempelt werde. Aber „da schreib ich nun und kann nicht anders“.

http://www.festwochen.at

Wiener Konzerthaus: Matthias Görne und Markus Hinterhäuser: Lieder von Robert Schumann

Beide Interpreten braucht man nicht vorzustellen: Matthias Görne, ein feinsinniger Sänger, der mit seiner Stimme jede Melodie bis in ihre tiefste Tiefe auslotet. Markus Hinterhäuser, der ihn schon seit Jahren einfühlsam auf dem Klavier begleitet.

Die Kongenialität beider Künstler durfte man an diesem Abend wieder erleben. Robert Schumanns Lieder, in der Romantik tief verwurzelt, werden durch Görnes Interpretation zur existentiellen Aussage. Er lässt die Magie des Liedes aufblühen, auch dort, wo der Text auf den ersten Blick sie nicht sofort vermuten lässt. Sein Bariton ist weich, zart, zurückhaltend, sein Bassbariton wuchtig bis in die tiefsten Tiefen der Existenz hineinhorchend.

Robert Schumann war ein Verehrer von Nikolaus Lenau, mochte die dunkle, zarte Melancholie seiner Texte. Matthias Görne brachte beides zum Aufblühen: die zarte Romantik und Naturverehrung – etwa im Lied „Die Sennin“ und die tiefe Verwzeiflung des Einsamen. Nichts ist in seiner Interpretation nebensächlich, jedes Wort bekommt die Tiefe, die Dichter und Komponist ihm zugedacht hatten. Seinen dramatisch-vollen Bass setzt Görne nur sparsam ein, dafür umso wirksamer, etwa am Ende des Liedes „Der schwere Abend“. Intensiv und innig singt er das „Requiem“, das Robert Schumann für den verehrten Dichter Lenau komponierte, Zart beginnt er, bis er mit Einsatz des ganzen Stimmvolumens den Übergang vom Leben in die“Himmelspracht“ singt. Da lässt Görne „Feiertöne“ erklingen, begleitet von einem zurückhaltenden Klavierspiel.

Hochdramatisch entführt Görne sein Publikum in dem Lied „Waldesgespräch“ in eine Atmosphäre, die inhaltlich und musikalisch an den „Erlenkönig“ erinnert. Zärtlich, wie ein Gebet, klingtdas berühmte Lied „Mondnacht“ von Joseph von Eichendorff. Die volle Wucht seines Basses setzt er für das Lied des Harfners ein „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“ (Goethe, Wilhelm Meister). In eine hochdramatische und spannende Szene entführt Görne das PUblikum in der Ballade von Adelbert von Chamisso „Die Löwenbraut“. Eine Nähe zu Goethes berühmter Erzählung „Novelle“ ist unverkennbar. Zärtlich erzählt das Lied von der jungen Braut, die mit einem Löwen als Kindheitsgefährten aufwuchs. Nun muss sie Abschied nehmen, denn sie heriatet. Um das Mädchen nicht dem ungeliebten Bräutigam zu überlassen und aus Wut tötet der Löwe das Mädchen. Der Bräutigam erschießt daraufhin das Tier. Görne schuf mit seiner Interpretation ein lebendiges Drama, die Geschichte von sinnloser Zerstörung, in der die Gewalt des Menschen gegen die der Natur obsiegt.

Es war ein großartiger, einmaliger Abend. Das Publikum dankte den beiden Interpreten mit langem

Applaus.

http://www.konzerthaus.at

Leos Janàcek: Jenufa. Theater an der Wien

Regisseurin: Lotte de Beer, Dirigent: Marc Albrecht, Bühne: Christof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beek, Choreografie: Gail Skrela

Es war die letzte Aufführung, bevor das Theater wegen dringender Renovierungsarbeiten für 2 Jahre schließt. Und es war ein grandioser, würdiger Abschluss.

Lotte de Beer legte eine hochkünstlerische Visitenkarte vor. Man darf sich auf ihre Intendanz in der Volksoper freuen. Obwohl wir alle Robert Meyer nachweinen, der all die Jahre die Volksoper zu einem interessanten und vielseitigen Haus geformt hat.

„Jenufa“ ist keine leichte Oper. Das Thema ist heute nicht mehr aktuell: Jenufa ist schwanger, der Bräutigam lässt sie sitzen. Ihre Stiefmutter versteckt sie bei sich im Haus bis zur Geburt und bringt dann das Neugeborene um , weil sie Junufa in der bigotten Gesellschaft ein ruhiges Leben mit einem anderen Mann sichern will. Der Mord wird entdeckt, die Stiefmutter muss ins Gefängnis.

Was die Regisseurin aus diesem Stoff macht, ist spannend und bewegend. In dem schlichten und kahl – bedrohlichen Bühnenbild scheut sie sich nicht vor bewegten Massenszenen (Schönberg-Chor!). Die Rollen sind alle, wirklich alle großartig besetzt. Allen voran Svetlana Aksenova, die eine berührend schlichte Jenufa singt und spielt!!! Da steht keiner und keine auf der Bühne wie ein(e) Säulenheilige(r), alle sind in ihrer Rolle. Nina Stemme überzeugt in der schwierigen Rolle der Küsterin, die sich zu dem Mord durchringt. Marc Albrecht führt das Radio Symphonieorchester überlegen durch die nicht einfache Musik.

Festspielhaus St. Pölten: Gustav Mahler, Das Lied von der Erde.

Es hätte eine Weltpremière sein sollen, wenn Lemi Ponifasio mit seiner MAU Company aus Samoa und Neuseeland das Werk Mahlers gemeinsam mit den Niederösterreichischen Symphonikern interpretiert hätte. Aber Corona hat es unmöglich gemacht. Dennoch ließ es Lemi Ponifasio sich nicht nehmen und reiste als Botschafter seiner Gruppe an, um über die Vision seiner Choreographie zu erzählen. Zu Beginn gedachte er der Bevölkerung in der Ukraine und widmete ihnen den Abend als Friedenswunsch. Dann sprach er von der engen Verbindung der Samoaner mit der Natur. „Different cultures together“ wäre der Sinn dieses Abends gewesen. In minimierter Form ist das auch gelungen, denn der Tenor Pene Pati stammt aus Samoa.

Dirigent des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters: Hans Graf. Tenor: Pene Pati. Mezzosopran: Tanja Ariana Baumgartner.

1908 und 1909 zählten zu den schwersten Jahren im Leben Gustav Mahlers. Er hatte den Posten als Direktor der Wiener Staatsoper verloren, seine Tochter Maria war gestorben und er selbst litt an einem Herzfehler. In diesen trüben Tagen fand er Trost in den Gedichten „Die chinesische Flöte“, übersetzt von Hans Bethges. Er wählte sechs aus.

„Das Lied von der Erde“ wurde erst nach Mahlers Tod uraufgeführt. Man darf es als sein spirituelles Vermächtnis interpretieren. In diesem Liedzyklus vereinen sich Schwermut, Todessehnsucht mit erinnerter Leichtigkeit. Bilder aus China , wie der“Pavillon aus weißem und grünem Porzellan“ und „junge Mädchen und schöne Knaben“ ,die am Ufer sitzen, steigen auf und vereinen sich mit den Klängen der Musik. Doch das Leben ist nur ein Traum, das sich irreal im Wasser spiegelt. Der Abschied ist gewiss, es wartet der Freund, der ihn hinüber führt – das antike Bild des Fährmanns Charon wird imaginiert. Er wird den Müden in die Fernen führen. Pene Patis schöne Tenorstimme sang nicht immer erfolgreich gegen die Orchestergewalt an. Tanja Ariana Baumgartners dunkler Mezzosopran klang gut, aber es fehlte an Wortdeutlichkeit, Hans Graf ist ein erfahrener Dirigent, der weiß, dass diese Musik, besonders der letzte Teil „Abschied“ sich in die Länge ziehen kann. Wahrscheinlich deshalb drückte er manchmal zu sehr auf zackiges Tempo.

http://www.festspielhaus.at

Great Voices im Wiener Konzerthaus: JUAN DIEGO FLOREZ

  1. Februar 2022

Was für ein Fest! Ein Fest für Florez! Ein Fest für das Publikum!

Florez in Hochform! Er präsentierte ein klug zusammengestelltes Programm, das nichts mit den üblichen Arienliederabenden gemein hatte. Beginnend mit Gluck über Rossini, dann im großen Zeitsprung zu Richard Strauß, Bizet , Offenbach und Donizetti präsentierte er sich als Sänger, der in vielen Rollen und Stimmanforderungen zu Hause ist. Anders als üblich bei solchen Konzerten schuf er jeweils ein Miniformat der jeweiligen Oper. Die Philharmonie Brünn unter Claudio Vandelli leitete jeden Part mit einer Ouvertüre ein. Florez sang dann die Hauptarien daraus.

Florez war in Hochform, konnte seiner Stimme mühelos alles abverlangen: Als Orphée (Gluck, Orphée et Euridice) brillierte er mit sanften Tönen, weichen Höhen und einer schönen Tiefe. Mit „La Pietra del Paragone „von Gioachino Rossini bewies er seine Sicherheit auch in dieser schwer zu singenden Partie. Vor der Pause setzte er das Publikum mit der Arie des Idreno aus „Semiramide“ ( Rossini) in Verzückung.

Nach der Pause wechselte er mit der „Zueignung“ und an „Cäcilie“ von Richard Strauß die Temperatur der Stimmung. Bei diesen stillen Liebesliedern war ein neuer Florez zu spüren: einer mit Zurückhaltung und Zärtlichkeit. Um dann – sehr gekonnt und wohl überlegt – das Publikum mit der Arie des Don José („La fleur que tu m’avais jetée“ aus Bizets „Carmen“) zu Begeisterungsstürmen hinzureißen. Heiterkeit und Ironie verströmte er mit „La Belle Hélène“ von Jacqes Offenbach. Zum Abschluss des offiziellen Teiles sang er ein eher unbekanntes Juwel: Die Arie des“ Don Sebastien, roi de Portugal“ von Gaetano Donizetti.

Die Fans wußten genau, dass es nach dem offiziellen Teil noch lange weitergeht. So war es auch: Florez mit Gitarre und ohne Mascherl sang als obligatorische Zugaben zwei peruanische Volkslieder! Dann noch; „La donne è mobile“ und am Ende die Herausforderung für jeden Tenor: „Ah! mes amis, quel jour de fête“ aus der „Regimentstochter“. Locker, als bedürfte diese Arie keiner Anstrengung, sang er die hohen C hinauf wie nix! Und das am Ende eines langen Konzertabends!

Langer Applaus und standing ovations!

http://www.greatvoices.at

http://www.konzerthaus.at

Volksoper Wien: Der Rosenkavalier.

Aufführung: 17. November 2021

Musik: Richard Strauss, Text: Hugo von Hofmannsthal. Eine Koproduktion mit dem Theater Bonn.

Gleich vorweg: Diese Rosenkavalierproduktion gehört zu den besten der letzten Jahre! Großartige Sänger, allen voran Jacquelyn Wagner als Marschallin und Emma Sventelius als Octavian,.großartige Bühnenbilder (Johannes Leiacker) und eine Regie, weitab von der allgemein gängigen Mode – will heißen: keine überkandidelten Regieeinfälle- sondern alles passt zu Musik und Text. (Regie und Licht: Josef Ernst Köpplinger). Kostüme, die zur Entstehungszeit, knapp vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, passen: Dagmar Morell. Und ein Dirigent, der die romantisch-melancholischen Klänge gekonnt mit den scharfen Akzenten der Moderne, den „Widerhaken“, wie er sie nennt, rüberbringt: Hans Graf.

Jacquelyn Wagner als Marschallin ® Barbara Palffy/Volksoper Wien

In einem Salon mit Rosentapeten und blinden Spiegeln kost ein stürmischer Oktavian die Marschallin und merkt nicht die leichte Zurückhaltung der Geliebten. Schon diese Eingangsszene ist eine der vielen Kostbarkeiten dieser Inszenierung. Emma Sventelius – sie wurde als einzige aus der Bonner Inszenierung übernommen- gibt glaubhaft in Gestalt, Spiel und Gesang einen jungen Mann, der seine erotischen Wünsche ausleben möchte. Die Bettszene wirkt deshalb in keiner Minute peinlich oder abgeschmackt, wie das oft der Fall ist, wenn Octavian eine recht weiblich bis füllige Sängerin ist. Wie nun Jacquelyn Wagner die Marschallin gibt, ist ganz große Schausspiel- und Gesangeskunst. Zurückhaltend, romantisch und frei von Larmoyanz. Und so auch ihre Selbstbetrachtung vor einem blinden Spiegel, der die Spuren der Zeit gnädig mildert. Die weltberühmte Arie „Die Zeit ist ein sonderbar `Ding“ zählt zu den schönsten Momenten der ganzen Oper. Weise vorausschauend sendet sie Octavian als Brautwerber, wissend, dass er auf die reizende junge Sophie ( ganz bezaubernd: Beate Ritter) treffen und dass zwischen den beiden der erotische Funken überspringen wird. Bewusst lenkt die Marschallin Octavian von sich weg. Ob der Abschied leichter wird, wenn er von ihr bestimmt wird? – Allerdings lädt sie Octavian und Sophie, die am Ende ein Paar sind, in ihre Kutsche ein. Ganz wird sie den Geliebten wohl nicht aus den Augen verlieren….Bis es allerdings zu dem versöhnlichen Ende kommt, haben Hofmannsthal und Strauss noch eine Riesenburleske und Intrige rund um den Ochs von Lerchenau (Franz Hawlata) eingebaut. Diese Szenen füllen der Regisseur und Dirigent mit vielen Überraschungsmomenten. Wein- Walzerseligkeit, Bosheiten, Lug und Trug der „vornehmen“ Gesellschaft tun sich auf, dazwischen der zögerliche Octavian und die verzweifelte Sophie. Das ist der Stoff, aus dem eine gute Komödie geschaffen ist. Wenn dazu noch die messerscharfe und streichelweiche Musik kommt, dann ist das Vergnügen pur. Den Reim auf diese „Sozialsatire“ kann sich jeder Zuschauer selber machen, muss aber nicht. Denn Gott sei Dank hat der Regisseur eine mögliche gesellschaftsrelevante Kritik ganz ohne erhobenen Zeigefinger inszeniert.

http://www.volksoper.at

Maria Bill singt Kurt Weill

Kultursommer Semmering. Vorletzter Tag

Musikalische Begleitung: Saxophon, Klarinette, Arrangement: Leonhard Skorupa. Kontrabass: Gregor Aufmesser. Gitarre: Andi Tausch. Schlagzeug; Konstantin Kräutler.

Jahrhundertwendeflair wird von 1930er Jahren überstrahlt. Die Mischung machts aus: Draußen ein strahlender Spätsommertag, die weißen Tischtucher, die weißen Wolken auf einem seidenblauen Himmel leuchten durch die Terrassenfenster herein. Im Saal entführen Maria Bill, Kurt Weill und seine Musik in die 30er, 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Maria Bill-zart, zerbrechlich. zierlich und doch kraftvoll in der Stimme und im Auftreten, singt die von ihr so geliebten und oftmals schon gesungenen Lieder Kurt Weills, unterstützt von den vier jungen Musikern, die ganz auf sie eingeschworen sind. Sie kennt keine Eitelkeit: Das Haar wie schlecht onduliert, das schwarze Mädchenkleid , mit mattrosa Rosen bestickt, bedeckt nicht ihre eckigen Knie. Die dünnen Beine stecken in schweren Stifletten. So singt und erzählt sie von Kurt Weill und seinem Leben, seiner Zusammenarbeit mit Brecht, seiner Liebe zu Lotte Lenya, seiner Flucht aus Deutschland, der bitteren Zeit in Paris und von der harten, aber letztlich doch erfolgreichen Zeit in Amerika. Der Hintergrund aller Lieder ist die Liebe. Nicht nur die Liebe Weills zu seiner leichtlebig-schwierigen Ehefrau und Exehefrau und wieder Ehefrau Lotte Lenya, sondern weit darüber hinaus die Liebe der gequälten Frauenkreatur. Auch wenn sich die Frau für den Sex bezahlen lässt, so ist in ihr doch Liebe. Und immer steckt in allen Liedern die Sehnsucht nach Freiheit, nach einer unbegrenzten Liebe: „Youkali“.

Der erste Teil wirkt ziemlich brechtig – prächtig. Dann nach der Pause kommt Zärtlichkeit, Sehnsucht, tiefe Traurigkeit auf: „Je ne t’aime pas“, „Complainte de la Seine“ geprägt von den Erfahrungen der Naziverfolgung und der Trennung von Lotte Lenya. Berührend das Lied über das französiche Mädchen, das sich in einen deutschen Soldaten verliebt: „Mon ami, my friend“.

Maria Bill darf und kann alles sein: tragisch bis zum Herzzerreißen, mädchenhaft verschämt, hurenhaft aggressiv, lüstern. Sie singt mit ihrem ganzen Körper, erzählt die Geschichte, macht aus jedem Lied eine Biografie. Nie ist es irgendein allgemeines Leid oder eine anonyme Geschichte, immer skulpiert sie mit Händen und dem ganzen Körper, mit Gesicht und Stimme ein Lebewesen heraus, dessen persönliches Schicksal berührt.

Großartig geht eine großartige Saison zu Ende. Wehmütig verlässt das Publikum den Saal. Es wird wieder ein Jahr dauern, bevor das alte, verstaubte, aber von allen so geliebte Südbahnhotel von interessanten Künstlern zum Leben erweckt werden wird.

http://www.kultursommer-semmering.at

Grafenegg: Tschechische Philharmonie: Kabelac und Mahler

Programm: Miloslav Kabelac, Mysterium der Zeit

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 5

Dirigent: Semyon Bychkov

Ein Konzert für Romantiker. Die Tschechischen Philharmonie unter Semyon Bychkov erfüllt die Erwartungen der Romantiker. Denn der Dirigent fordert vom Orchester die ganze Wucht der Dramatik bis hin zu den leisesten Tönen der Gefühlsskala. Das Programm war klug ausgewählt und die Komponisten passten in vieler Hinsicht zueinander.

Miloslav Kabelac (1908 -1979): Mysterium der Zeit (1957)

Miloslav Kabelac schrieb acht Symphonien, die erst jetzt so langsam „entdeckt“ und aufgeführt werden. Sein Leben ist von Verfolgung in der Nazizeit geprägt. 1908 in Prag geboren, wurde er 1932 Dirigent und Regisseur beim Prager Rundfunk. Als er 1939 mit der Kantate „Weichet nicht“ gegen den Einmarsch der deutschen Truppen in sein Land protestierte, wurden seine Werke auf den Index gesetzt. Gemeinsam mit seiner Frau, der jüdischen Pianistin Berta Rixova, überlebte er die Jahre des Nationalsozialismus im Untergrund. Aber auch dem nachfolgenden sozialistischen Regime gefielen seine Kompositionen nicht und wurden bis zu seinem Tod 1979 nie gespielt.

Mit diesen Informationen (dank der ausgezeichneten Texte von Wolfgang Stähr im Programmheft) ausgestattet, wartete man gespannt auf die Komposition. Wie der Titel verheißt – es ging um die Zeit. Sie ist das Absolute, das Unveränderbare, zu Beginn im leisen Takt einer Uhr angedeutet. Der medidative Anfang steigert sich zu rauschhaftem Aufruhr. Man wird an religiöse Tänze aus Indonesien erinnert, bei denen die Teilnehmer unter der Leitung eines Priesters in Trance verfallen. Je heftiger die Schläge der Zeit ertönen, desto mehr gleitet die Musik aus der Trance in den Aufruhr, der eine Endzeit ankündigt. Gewaltig endet dieses kurze Stück, das so minimalistisch leise begann.

Gustav Mahler: 5. Symphonie (1901-1902)

Mit den Trompetenfanfaren weckt Mahler die Menschen aus der Lethargie der Jahrhundertwende. Die „Marcia Funebre“ lässt keine Melancholie zu, gleich darauf folgt ein neuerlicher Weckruf der melancholisch-lethargischen Gemüter. Semyon Bischkov fordert genau das richtige Tempo ein: Zeit geben, die Themen wirken lassen, ohne die Töne zu überdehnen. Und so entwickelt er gekonnt den Aufruhr, das Superdrama, diesen Kampf zwischen dem lethargischen Tod und dem alles Leben Begehrende, vor den Ohren und Augen der Zuhörer.

Diese Thematik setzt sich im 2. Satz fort: Aufruhr und Ruhe im ständigen WEchsel. Beruhigend die feinen Cellipassagen.

Im 3. Satz Am Ende kombiniert Mahler kunstvoll alle Themen zu einem fulminanten Schluss.

Das Adagietto

Das Adagietto, bestens bekannt aus dem Film „Tod in Venedig“ von Visconti, ist wohl das meist gespielte Stück im Radio. Keine Wunschsendung ohne Adagietto. Richard Strauss schrieb 1905 an Mahler:“Ihre 5. Symphonie hat mir neulich …große Freude bereitet, die mir durch das kleine Adagietto etwas getrübt wurde. Daß dasselbe beim Publikum am meisten gefallen hat, geschieht Ihnen dafür auch ganz recht.“ (zitiert nach Programmheft)

Und so ist es bis heute noch: Dieses kurze Stück begeistert, dem Dirigenten und Orchester sind die Diskussionen um Kitsch oder Nichtkitsch herzlich egal. Dem Publikum auch. Man versinkt ist dieser zärtlichen Erotik und der umbändigen Sehnsucht nach Vergessen. Alltag und Banalitäten rücken ab. Es passt nicht hierher, die Emotionen mit Worten nachzubilden. Sie sind stark, und überschreiten die Grenzen der Sprache.

Abkühlen und Aufwühlen: 5. Satz

Mahler und Bishkov wecken die Zuhörer aus ihrem Wohlfühlsentiment. Das Rondofinale ist pfiffig-ironisch, tänzelt, dröhnt, um am Ende in einer betörenden Apotheose des Sieges zu enden.

Nie endenwollender Beifall für Bischkov und das Orchester. Minutenlange Standing Ovations.

http://www.grafenegg.com