Obwohl es wolkenbruchartig regnete, hatten sich zahlreiche Fans eingefunden – triefend nass und der Sommerkälte von 13° tapfer trotzend. Zu Beginn heizte Klaus Paier mit einem schmissigen Lauf auf dem Akkordeon allen ordentlich ein.
Ziffel, der Intellektuelle, Physiker und Versuchsschriftsteller, und Kalle der Arbeiter treffen einander regel- und unregelmäßig in einem Bahnhofsrestaurant in Helsinki. Sie unterhalten sich locker und unaufgeregt über die wenig hoffnungsspendende Lage als Flüchtlinge.
Bert Brecht schrieb diese Gesprache 1940/41 in Helsinki, als er bereits mehr als sieben Jahre Fluchterfahrung hatte. Es sind keine bitter-schwarzen Gespräche, sondern nüchtern-ironische Statements zur persönlichen Lage eines Flüchtlings und zur Weltlage.
Was ist ein Mensch ohne Pass? – inexistent. Der Pass ist wichtiger als der Mensch – so ihr gemeinsames Statement. Denn Ordnung muss sein, argumentiert Kalle, bitter ironisch die „Ordnung“ im KZ von Dachau rühmend. Dazu Ziffel: Ordnung ist inhuman, Schlampigkeit ist Freiheit. So diskutieren sie locker, immer mit Augenzwinkern, auch über das Bier, das keines ist, und den schlechten Kaffee. Dazwischen spielt Peter Paier mit flinken Fingern Heiter-Witziges zur Auflockerung – was ganz im Sinne Bert Brechts wäre, denn er wollte nie Moralapostel, Künder der Düsternis sein. Seine Kritik kommt bis heute immer auf den heiteren Tanzbeinen daher, tönerne Füße der Moralpredigt war nie seines.
Ein Kabinettstückerl an feinem Mimikhumor liefern Spitzer und Hofstätter ab, als Ziffel seinen „Buchentwurf“ – bestehend nur aus Stichwörtern – Kalle zur gefälligen Kritik vorliest. Der jedoch räumt dem intellektuellen Schlagwortliteraten schell seine Überheblichkeit ab. Ab dem Zeitpunkt sind beide intellektuell gleichwertige Partner. Schnell geht es zur Sache: Fragen über das Erstarken des Faschismus , über den „Wie heißt er doch gleich“, über das „Heldentum“, das die Weltherrschaft anstrebt. Diese bitterernsten Probleme werden in Form von ironischen Fragen aufgelöst – Fragen, über die heute wie damals heftig diskutiert wird. Brecht lesen – und hören – heißt: Auf die Fragen nach den Ursachen der Kriegstreiberei von damals und heute klare Antworten bekommen.
Ein paar Worte zum Spielplan:
Sehr nachdenklich tritt man die Heimreise an. Einige Tage später werden die Salzburger Festspiele eröffnet. Der Intendant hat – wie schon die vorigen Jahre – als Kunstkassandra das Motto „Ich werde in den Tod geboren“ ausgerufen. Regisseure und alle Mitwirkenden liefern also passende Themen: Giulio Cesare in Egitto spielt in einem Bunker, Bomben und Drohnenlärm sind das Hintergrundgeräusch. Und das ist nur einer der vielen blutverheißenden Dramen, die sich auf der Festspielbühne, die die Welt bedeuten soll, abspielen werden. Hat Kunst in schwierigen Zeiten nur diese eine Aufgabe: Das Drohende zum Hauptthema zu machen? Einige Stimmen formulierten bei der Eröffnung der Spiele vorsichtige Skepsis über dieses Todesmotto. Dass es auch anders möglich ist, beweist zum Beispiel das Programm des Festivals am Semmering: Heiteres ja, aber doch mit Ingredienzien der Ironie, des scharfen Humors. Ohne die Bitternis des Todemottos.