Clara Arnaud, Im Tal der Bärin. Roman im Kunstmann Verlag

Aus dem Französichen von Sophie Beese

Nach vielen Auslandsaufenthalten ließ sich Clara Arnaud in Conserans, einer Region in den Pyrenäen, nieder, wo sie den größten Teil des Jahres lebt.

Das Buch „Im Tal der Bärin“ ist ihr Erstlingswerk, dessen Hauptfigur eine Bärin ist. Gemeint ist aber der Bär als Gesamtbegriff für das Tier an sich. Denn in einer Art Semidokumentation, angereichert mit Fakten rund um das Tier, das einst – und jetzt wieder- die Wälder und Abhänge der REgion beherrschte, verflicht die Autorin die Schicksale der Bewohner der Region mit dem Schicksal einer einzelnen Bärin. Eingerahmt wird die Erzählung vom Schicksal des zehnjährigen Jules Piquemal, der in den Jahren um 1870 ein weibliches Bärenkind direkt aus der Höhle entführt und bei sich aufgezogen hatte. Am Ende des Romans wird Jules als versoffener und herabgekommener Bärenführer in einem New Yorker Hinterhof von eben dieser Bärin getötet. Zu lange hat sie das Martyrium der Dressur erlitten, Schmerzen hingenommen und für ihn getanzt. 1902 findet man seine zerfetzte Leiche, und die Bärin wird von Parkwächtern erschossen.

Diese Rahmenhandlung, halb Fiktion, halb Realität, dient der Autorin gleichsam als Argumentationsgrundlage, als Beweis für die Grundaussage des Romans: Der Mensch findet keinen ehrlichen und respektvollen Umgang mit der Natur, in diesem Fall mit den Bären, die in dieser Region immer schon gejagt wurden. In einem klug differenzierten Personenrepertoir zeigt sie verschiedene Sicht- und Handlungsweisen der Bewohner, ihre Gründe auf, warum sie so und nicht anders handeln wollen/können. Im Grunde geht es um das alte Dilemma und die schwer zu beantwortende Frage: Wieviel wilde, ungezähmte Natur darf bleiben, ab wann gefährden sich Mensch und Tier, in allzu intimer Nähe lebend, gegenseitig?. Wer darf angreifen, töten, wer muss sich zurückziehen?

Anna studiert das Leben der wildlebenen Tiere in diversen Regionen der Welt. Nun ist sie beauftragt worden, die Bärin zu beobachten, die in dieser Region den Schafen ans Fell geht. Ihr Forchungsauftrag heißt dokumentieren, nicht eingreifen. Gaspard ist aus der Stadt geflohen, weil er will, dass seine Kinder in freier Natur aufwachsen. Er lernt das schwere und oft gefährliche Handwerk des Schafhüters vom alten Marco, der ihm nicht nur seine Herde anvertraut, sondern ihn auch in die Gefahren und Schönheiten dieser Arbeit einweiht. Ausführlich, manchmal zu ausführlich und repetitiv schildert Clara Arnaud die Faszination dieser (noch wilden) Natur der Wälder, Almen und Berge. Als der Regen ausbleibt, die Weiden in der Mittellage austrocknen und Schafe und Hirte auf die Hochweiden ausweichen müssen, kommt es zum Showdown. Die Natur in der Gestalt der Bärin rächt sich, Anna sucht einen Ausgleich zwischen Tier und Mensch, doch vergeblich…

Clara Arnaud schildert das Leben der Dorfbewohner und der Hirten mit großer Sachkenntnis, so dass man manchmal den Eindruck gewinnt, ein Sachbuch zu lesen. Klar und deutlich steht am Ende die Ausweglosigkeit der Situation vor Augen: Wo haben die Bären noch ein sicheres Rückzugsgebiet? Bis wohin dürfen Menschen Natur und Terrain für sich beanspruchen? Gibt es eine „rote Linie“? Fragen, die heute überall in der Welt gestellt werden. Wie werden sie beantwortet werden?

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