Ein Sommernachmittag am Semmering, wie bestellt – von der Wiese weht ein zart-bitterer Kräuterduft, die Sicht ist klar. Man trinkt, tratscht und nichts deutet darauf hin, dass ein Großereignis bevorsteht. Nein -kein Gewitter, aber Blitze dennoch. Die schleudert Joseph Lorenz in verschiedenster Dichte aufs verdutzte Publikum herab . Gerade aufs Podium gesprungen, dreht er sich um, als suchte er einen Kollegen…- ist er da oder ist die Luft rein? Dreht er sich um und schon ist er der Zauberlehrling, der feststellt, dass der Meister nicht da ist, dass er frei Haus hat. Der Lehrling jubiliert, befiehlt dem Besen, bis ihn die schiere Verzweiflung überkommt und er den verflixten Besen mit einer Axt entzwei haut, ja haut, mit Wucht. In der Sekunde ist er der Meister, der mit genialer Geste die Materie beruhigt.
Das ist Lorenz – jede Figur lebt, nix da mit Herunterlesen. Er sprüht vor Wut, er zischt vor Eifer und Sucht, er turtelt wie ein Täuberich, er schleicht wie die Schnecke, er fiepst wie Mäuse, er knurrt, krächzt wie der Rabe, er grinst als Bösewicht, er triumphiert als siegreicher Held und wirft der Dame den Handschuh vor die Füße, er ist der greise Sänger, der den herzharten König und sein Schloss verflucht, er ist der betrunkene Phäake, der alles in sich hineinfrißt, er ist Francois Villon, der angespien und verehrt wird, er ist die Flamme, die endlich, endlich frei ist und mit Feuereifer alles zerstört.
Sie fragen sich gerade, was das war – Theater, Zirkus mit Tierakrobatik? Ja auch, aber dennoch immer und immer Balladen -quasi kleine Miniskatches, Mindramen, wo eine Person alle Mitwirkenden spielt. Ja spielt, nicht liest. Einige Balladen sind bekannt, wie „Der Zauberlehrling“, „Der Erlkönig“ oder „Die Bürgschaft“. Neu und vollkommen anders aber Balladen, in denen Tiere die Hauptakteure sind – etwa von Christian Morgenstern, „Gespräch einer Hausschnecke“ – haben Sie schon einmal erlebt, wie sich ein Mensch – ein Schauspieler – in eine Schnecke verwandelt? Eine, die überlegt, ob sie ihr Haus verlassen soll oder nicht? Haben Sie schon einmal erlebt, wie ein Schauspieler zum drohenden Raben wird (Edgar Allan Poe, Der Rabe) oder zum gurrenden Täuberich (Goethe, Adler und Taube)? Oder wie sich ein Schauspieler in eine Flamme verwandelt, die mit verheerender Lust alles in Brand setzt? (Christian Morgenstern, Traum einer Kerzenflamme im Schlafzimmer). Klar, dass das Publikum nach einer Zugabe rief. – Sie war kurz und wirksam: Ernst Jandl, Chanson. Ein Wortkunstkauderwelsch!!
Alle Programme im Detail – http://www.kultursommer-semmering.at