Margret Greiner: Margaret Stonborough-Wittgenstein. Grande Dame der Wiener Moderne. Kremayr-Scheriau

Die Wittgensteins zählten zu den reichsten Familien Wiens und der Donaumonarchie. Karl Wittgenstein war ein strenger Patriarch, der über seine Ehefrau Leopoldine und seine sieben Kinder ziemlich unbarmherzig herrschte. Dass drei seiner Söhne Selbstmord begingen, ist sicher auch auf die überstrenge Erziehung zurückzuführen. Gretl, wie sie von allen genannt wurde, ließ sich jedoch nicht von ihrem Vater unterjochen, sie wusste sich durchzusetzen und wurde eine starke, selbstbestimmte Frau, die sich neben Kunst auch intensiv mit Naturwissenschaften und Mathematik beschäftigte und sogar ein Semester lang in Zürich studierte. Sie heiratete den Amerikaner Jerome Stonborough und nannte sich fortan Margaret Stonborough-Wittgenstein. Obwohl die Ehe alles andere als gut war, bekam sie zwei Söhne und ließ sich trotz aller Schwierigkeiten von ihrem depressiven Ehemann nie scheiden. Ihren Reichtum verwendete sie nicht nur für sich und ihre Familie, sondern half mit Geld und guten Kontakten in und zwischen den beiden Weltkriegen überall, wo sie Not sah. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in der von ihr so geliebten Villa Toscana in Gmunden, wo sie trotz Krankheit bis zum Schluss ein offenes Haus führte.

Margret Greiners Stärke ist die Romanbiografie. In dieser  literarischen Form ist sie zu Hause.  Sie erlaubt es ihr, gleichsam in auktorialer Erzählweise die Hauptfigur zu begleiten, ihre Gedanken zu formulieren und Entscheidungen und Taten mit dichterischer Freiheit zu interpretieren. Diese Erzählweise ist nur durch ein intensives Studium der Briefe, Dokumente aus der Zeit und Interviews möglich. Dadurch werden simple Aufzählungen von Namen und Fakten, die so oft Biografien langweilg werden lassen, ausgespart. Gleich zu Beginn schildert Margret Greiner eine der vielen Einladungen im Hause Wittgensteins. Das gibt ihr Gelegenheit, den Prunk der Räume zu entfalten. Die Gäste, wie Brahms, Alt, Klimt und Josef Hoffmann werden nicht im name-dropping aufgezählt, sondern in lebhaften Gesprächen eingeführt. So entsteht ein buntes Tableau der so genannten „guten Gesellschaft“ Wiens. Man hört Schuberts „Winterreise“ – eine Vorausahnung des Todes streift durch den Raum. Der Tod wird in der Familie ein schrecklicher Gast sein: Die Brüder Hans, Kurt und Rudi werden Selbstmord begehen.

Feiner Humor und leise Ironie sind Greiners bevorzugte Stilmittel der Personencharakterisierung. Gretl komponiert zur „Mordsgaudi“ der Familie ein Couplet, in dem sie sich über die Scheinheiligkeit der Reichen mokiert. Vom Schlussrefrain „Hauptsache, die Fassade bröckelt nicht…“ fühlte sich niemand im Hause Wittgenstein im Geringsten angesprochen“. Mit diesem trockenen Nachsatz wird nicht nur die Familie charakterisiert, sondern mit auch  die Gesellschaft rund um die Jahrhundertwende. Ironie blitzt auch bei der Beschreibung der Hochzeitsnacht und des ehelichen Sexuallebens Margarets durch. Da heißt es: „Alles falsche Überhöhung.“

Immer wieder verblüfft es, mit welcher Feinfühligkeit Margret Greiner  künstlerische Werke  interpretiert: Klimt malt Gretl und „was er entdeckte, war die Eleganz ihrer Erscheinung, ihre unkonventionelle Schönheit , eine Sicherheit im Auftreten, wie sie Bildung und Geld verleihen. Unerschrockenheit, kühlen Verstand.Was er erahnte, war ein Herz, das jederzeit der größten Empathie fähig war.“ Besser könnte man den Charakter Margarets, wie er im Bild Klimts aufscheint, nicht charakterisieren.

Gespür für typisch wienerische Ausdrücke ist notwendig, um den Ton der Gesellschaft zu treffen. Auch darin zeigt sich Margret Greiner firm genug. Da ist die Rede von einem „Gschlader“ für schlechten Kaffee, man sudert, raunzt, zerkugelt sich usw. Es ist erstaunlich, wie gut sich die Autorin in das Wiener Milieu der Jahrhundertwende einfühlt. Ihre Stärke ist und bleibt die Romanbiografie. Das bewies sie ja bereits in dem Buch über Emilie Flöge  „Auf Freiheit zugeschnitten“, das 2015 bei Kremayr & Scheriau erschien. Beide Romanbiografien eröffnen dem Leser ein „Tableau vivant“ der Jahrhundertwende. Ihr punktgenau treffender Stil macht das Buch zum puren Lesegenuss.