Ein Pasticcio mit Musik von Antonio Vivaldi, Texte aus Ovids Metamorphosen (Übersetzung Hermann Heiser) und Gedichte von Rainer Maria Rilke
Fassung von Barrie Kosky (Regie und Konzept) und Olaf A. Schmitt (Konzept und Dramaturgie). Musikalische Leitung des Orchesters „Les Musiciens du Prince-Monaco: Gianluca Capuano. Bühnenbild: Michael Levine. Kostüme: Klaus Bruns.Choreographie: Otto Pichler. Video: rocafilm. Licht: Franck Evin
Der Themenschwepunkt der Pfingstfestspiele 2025 hieß Venedig und hat natürlich die Musik Vivaldis (1678-1741) auf den Ideenplan gerufen. Dem unermüdlichen Komponisten schreibt man ja an die hundert Opern und zahllose Serenaden, Arien etc zu. Doch übrig blieben von all diesem Kompositionsreichtum nur „Die vier Jahreszeiten“, die in Venedig an allen Ecken unermüdlich den Touristen in die Ohren gefiedelt werden. Doch Barrie Kosky und Olaf A. Schmitt schürften in die Tiefe und förderten neben Bekanntem einige verborgenen Schätze zutage. Genial war die Idee, diese mit Gedichten aus Ovids Epos „Die Metamorphosen“ zu kombinieren und ein Pasticcio der Sonderklasse daraus zu kochen. Als Erzähler fungierte Orpheus – einfühlsam gesprochen von Angela Winkler. Dass in den „Teig“ noch Rilkegedichte, Tänze und passende Bilder plus Videovergrößerungen hineingemixt wurden, Gesänge, gesprochene Texte neben- und durcheinander angeboten wurden, brachte allerdings den Hefeteig in Gefahr des Übergehens. Nicht selten war man überfordert, die verschiedenen Ideen richtig einzuordnen. Der schnelle Szenenwechsel amüsierte nicht nur, sondern ermüdete auch. Im zweiten Teil stellte sich trotz toller Stimmen und wildwechselndem Bühnenbild Langeweile ein.
Wo Cecilia Bartoli draufsteht, da ist Komik ganz sicher mit dabei! Denn sie liebt es, Drastisches mit Komischem zu mischen, gerade auch in tragischen Szenen, wie etwa in der Episode „Arachne“. Als weltbekannte Textilkünstlerin sonnt sich Arachne im Medienrummel, auf die Gunst und Hilfe der Götter pfeift sie. Das evoziert den Zorn Minervas (urkomisch und stimmlich toll: Nadezhda Karyazina) Als Göttin für Handwerkskunst zuständig, kann sie sich diese Schmähung nicht bieten lassen. Als knarzende Alte verkleidet, humpelt sie, auf den Rollator gestützt, in das Atelier Arachnes. Der musikalische Streit zwischen den beiden gehört zu den besten Szenen des Abends! Arachne wird das Opfer einer boshaften, in ihrer Eitelkeit verletzten Göttin und muss ihr Dasein bis in alle Ewigkeit als Spinne fristen.
Urkomisch auch der Countertenor Philippe Jaroussky als Pygmalion, der sich in seine Statue verliebt. Eine schönere Frau als diese gibt es auf der ganzen Welt nicht. Fehlt nur noch „anima“ – Lebenshauch. Den haucht ihr Juno ein. Doch welche Frau wird sie sein? Kätzchen, Feministin, Nonne? Pygmalion ist ihr Charakter ziemlich egal, Hauptsache, er kann sie zärtlich streicheln. Ob es zu mehr reichen wird? Lea Desandre ist eine wunderbar komische, stimmlich wundervolle singende Statue.
Berührend und in Erinnerung bleibend ist die Geschichte der Tochter Myrrhe, die ihren Vater begehrt. Wie Ovid alleTräume, Wünsche, Laster und manchmal auch Tugenden ohne moralische Schlussfolgerung erzählt, so geschieht es auch hier: Myrrhes Geschichte (intensiv und stark wiederum Lea Desandre) wird ohne Kommentar erzählt und gezeigt: Ihr Begehren, ihre Vereinigung mit dem Vater (unter dem Leintuch – drastisch und zugleich sehr komisch), dann die Entdeckung und der Bannfluch der Götter: sie wird zum Baum, ihre Tränen werden zur Myrrhe.
Nicht alle Geschichten haben die Stärke, zu beeindrucken und/oder zu amüsieren. Langweilig wirkt die des Narziss, der sein eigenes Spiegelbild liebt, gar nicht komisch, sondern fast ein wenig peinlich die Erzählung über Echo, die für ihre Geschwätzigkeit dazu verdammt wird, immer nur die letzen drei Worte zu wiederholen, die ihr zugetragen werden. Ausgezeichnet die Tanzszenen, die meist wie eine Urgewalt über die Szene hereinbrechen und viel Spontanapplaus ernten. Überbordend die Videos der jeweiligen zur Szene passenden Bilder über dem Bett. Dazu noch Musik, Text von Angela Winkler, das kann schon manchmal zu viel werden. Als nervtötend lang wirkt der Schluss: nochmals Orpheus, der von den rasenden Mänaden zerrissen wird. Sein Kopf bleibt über und liegt auf dem Fauteuil im Schlafzimmer. Peinlich! Und nochmals Gang in die Unterwelt, nochmals Gesang Eurydikes – zwar mit der wundervollen Stimme Bartolis – dennoch möchte man nicht mehr mitgehen.
Wer über Ovid und die Metamorphosen mehr wissen will, dem sei der kluge Essay von Stephanie Mc Carter: „Die Metamorphosen des Ovid. Leben. Kunst. Verwandlung“ empfohlen (Im Programmheft S 49ff)