Sabine Gruber, Daldossi oder Das Leben des Augenblicks. C.H. Beck

Ein Roadmovie der besonderen Art: Bruno Daldossi ist Kriegsfotograf, von sich und seinem Beruf angeekelt, Trinker und überhaupt kaputt. Marlis, sein Beziehungsanker durch Jahre, hat ihn verlassen. Sie kann und will nicht mehr mit seinen schrecklichen Geschichten leben, nicht in all ihrem Tun und Handeln relativiert und in Beziehung zum Leben in den Kriegsgebieten gesetzt werden. Sie zieht zu einem italienischen Gymnasiallehrer nach Venedig. Und Bruno fährt ihr nach, versucht verzweifelt, sie zurückzugewinnen. Doch sie ist von dem betrunkenen und lallenden Kerl nur angewidert. Aus dieser plötzlichen Lebens- Leere heraus beschließt Bruno, Johanna nach Lampedusa nachzufahren.   Johanna ist Journalistin und erhält den Auftrag, in Lampedusa über die Lage der Flüchtlinge zu recherchieren. Doch als Bruno sie findet, ist sie bereits krank, hat hohes Fieber. Er kümmert sich um sie, versucht auch so etwas wie eine sexuelle Beziehung aufzubauen, was aber nicht gelingt. Schließlich organisiert er für sie den Rückflug nach Österreich. Er selbst kauft ein Boot und macht sich auf die Suche nach einem Jungen irgendwo in Afrika. Der Roman endet mit einem Foto, das Brunos Mutter mit diesem Jungen auf einer Parkbank in Meran zeigt.

Ein hartes Lesebrot, dieser Roman. Die Autorin zeigt zwei Realitäten auf: Die von Marlis, die Zoologin ist und sich um Bären kümmert, die von Bruno, der dem ultimativen Foto nachjagt, im Dreck und Elend lebt, um Dreck, Elend und Schrecken im Bild festzuhalten. Nicht aus moralischen Gründen. Er will nichts verbessern, nicht anklagen, er will nur seine Bilder gedruckt und prämiert sehen. Dass ihn dieses Leben kaputt macht, machen muss, ist klar. Aber so lange er Marlis als Anker in der normalen, bürgerlichen Welt hat, zu der er immer wieder zurückkehren kann, hält er den Druck aus und jagt weiter von einem Kriegsschauplatz zum anderen.  Dann aber, nach der Trennung, verliert er den Boden unter den Füßen. Besäuft sich, kotzt sich an – wird widerlich, unerträglich- unerträglich schildert Sabine Gruber diesen Mann und  seine Fotos, die sie als Bildtext in das Geschehen hineinsetzt.

Brauchen wir so einen Roman? Im Feuilleton wurde er hoch gelobt. Leserinnen – ja, vor allem Frauen  – reagieren unterschiedlich. – Reaktionen aus dem Lesekreis: „Auf S 50 aufgegeben, auf S 126 aufgegeben. Nur mehr quergelesen. Doch auch einige positive Stimmen: Gruber führt uns vor, wie voyeuristisch unsere Gesellschaft ist. Sie braucht solche Bilder, um sich nach dem Betrachten/Lesen dann um so wohliger wegzudrehen und sich dem bürgerlich gesicherten Alltag genüsslich zuzuwenden. Das hat übrigens schon Goethe im Faust I gewusst. Das wissen wir alle. Das ist nicht neu. Warum dann der Roman? Vielleicht um ihren 1999 im Kosovo gefallenen Freund, der Kriegsfotograf war, ein Denkmal zu setzen? Oder vielleicht, um allen zu sagen: Seht her, wie kaputt dieser Beruf macht – auch das wissen wir.Am überzeugendsten wirkt der Roman gegen Schluss, wenn Sabine Gruber die Zustände auf der Insel Lampedusa beschreibt – die Überforderung der Bewohner, die sich gegen das Elend durch Gleichgültigkeit abschotten oder daran verdienen.

Sabine Grubers Sprache ist hart, dicht. Sie findet neue Wendungen, wie“ Sehwürmer“ oder „Traumvernichter“ für Fotos, die man nicht aus dem Hiirn raus bekommt. Ohne Beschönigung analysiert sie den Charakter Bruno Daldossis. Wahrhaft ein gnadenloser Roman.