Dürrenmatts alte Dame hat wieder einmal Hochkonjunktur. Im Burgtheater versucht Maria Happel sie nicht ganz überzeugend darzustellen, im ORF konnte man Christiane Hörbiger in einem Film aus 2008 als das weichgespülte Monster sehen. Nun also die Inszenierung von Stephan Müller mit Andrea Jonasson in der Hauptrolle. Ein Vergleich der beiden Darstellerinnen Hörbiger und Jonasson zeigt die große Bandbreite  an Interpretationsmöglichkeiten dieser Figur auf: Christiane Hörbiger ist nicht mit ganzer Seele die Rächerin, sie hätte ganz gern auch ein wenig Mitleid mit Ill. Manchmal schimmert in ihren Augen so etwas wie wehmütige Erinnerungsliebe auf. Tatsächlich versucht sie am Schluss den Mord an Ill noch zu verhindern – zu spät, die Güllener haben bereits zugeschlagen.

Ganz anders geht der Regisseur Stephan Müller die Sache an: Radikal, brutal, dämonisch, herrschsüchtig, ohne Mitleid, ohne sentimentale Erinnerungen fordert Claire Zachanassian den Tod Ills. Wenn Andrea Jonasson den Güllenern den Besuch abstattet, dann weiß der Zuschauer sofort: Sie kennt kein Pardon. Sie wird ihr Ziel, die Ermordung Ills , erreichen. In ihrem schwarzen, bodenlangen Mantel, mit Halbglatze und einer ehernen Kappe am Hinterkopf, das Gesicht zu einer hinterhältigen Maske aufgepolstert (Kostüme: Birgit Hutter) ist sie die versteinerte Rachegöttin. Großartig! Ihre Befehle erteilt sie knapp, ihre Gesten sind herrisch und dulden keinen Widerspruch. In Kombination mit dem stummen Butler – Markus Kofler erscheint wie eine Version aus dem Film Fahrenheit 451-, ihren lächerlichen Ehemännern (alle 7-9 von Lukas Spisser) und dem bedrohlich knurrenden Panther ist sie eine herrliche Parodie auf all die reichen Milliardäre, denen das Leben ohne solche Absurditäten nicht lebbar ist. Stephan Müller zippt die Szene in die ganz aktuelle Gegenwart, indem er die Meute der Journalisten und vor allem Journalistinnen (großartig Martina Stilp und Alexandra Kismer) auf die Güllener hetzt. Mit ihrer überlästigen Invasion und Gier nach Storys machen sie sich teilschuldig an der Ermordung Ills. Michael König spielt den Ill als einen schicksalergebenen Einfaltspinsel, der Schritt für Schritt zur Erkenntnis seiner Schuld gelangt. Großartig auch die Schar der scheinheiligen Güllener. Allen voran Siegfried Walther als schmieriger Bürgermeister, André Pohl als Pseudohumanist und Johannes Seilern als gefinkelt argumentierender Pfarrer. Dürrenmatts Drama kann man immer wieder neu inszenieren und das Publikum ist immer wieder neu fesseln, denn die Figuren zeigen die menschlichen, allzu menschlichen Schwächen auf, die wir alle in uns haben.

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