Delphine de Vigan, Nach einer wahren Geschichte. Aus dem Französischem von Doris Heinemann. Dumont

Die Autorin stellt die Frage: Wieviel Autobiographisches, wieviel Reales soll, darf ein Roman enthalten. Es gab eine Ära in der Literaturwissenschaft, da galt es als verpönt, nach biographischen Fakten in dem jeweiligen Werk zu fragen. Nun scheint eine Kehrtwende um 180 Grad eingetreten zu sein. „Das Wahre, die Wahrheit“ – siehe Titel – spielt eine Hauptrolle -fragt sich nur : Wahrheit über wen und was, und : Gibt es diese Wahrheit? Mit diesen Fragen spielt Delphine de Vigan geschickt und intelligent, mit enormer Sprachbegabung. Der Forderung nach Wahrheit bis zur Bloßstellung kommt zum Beispiel der Autor Thomas Melle in seinem schonungslosen Bericht über seine Krankheit nach. Ob so ein Buch dann noch Roman genannt werden kann?

Delphine de Vigan packt diesen Fragenkomplex in einen Thriller. Die Ich-Erzählerin ist eine gefeierte Autorin, die von den Lesereisen, dem Erfolg ihres Buches ermüdet ist, sich zurückziehen möchte, um das vom Verlag so dringend geforderte neue Buch zu schreiben. Doch sie hat eine totale Schreibhemmung, kann weder einen Bleistift halten noch sich an den Computer setzen. Da tritt L. in ihr Leben – eine Frau ihres Alters. Sie hat keinen Namen, nur L. Mehr und mehr übernimmt L. die Führung im Leben der Erzählerin, tritt sogar als diese auf. Im Zusammenleben der beiden geht es nicht immer friedlich zu. L. verlangt von der Erzählerin, dass sie das „ultimative Buch“ schreiben soll, wobei in den Diskussionen nicht klar wird, was sie darunter versteht. Doch taucht immer wieder die Frage auf, wieviel persönliches Leben in ein Werk einfließen soll oder darf. Fiktion allein genüge nicht mehr, das hätten die Leser zur Genüge gehabt. Reales, Wahres ist gefordert. Die Diskussionen um die Relevanz eines Romanes bilden die Metaebene, die Handlung selbst ist spannungsgeladen. Der Leser fragt sich, wann und wie kann sich die Icherzählerin aus den Fängen von L. befreien?