Emmy Werner:“…als ob sie Emma hießen.“ Eine Nachbetrachtung. Residenzverlag

Wer wie ich eine regelmäßige und begeisterte Besucherin des Volkstheaters unter Werner und Schottenberg war, der ist sicher neugierig auf dieses Buch. Gleich zu Beginn musste ich mich daran gewöhnen, dass die Autorin von sich in der dritten Person spricht und sich als E. bezeichnet. Der Sinn dieser distanzierten Betrachtung auf die eigene Person wurde mir bis zum Ende des Buches nicht als zwingend notwendiges Stilmittel klar. Manchmal – besonders in der Mitte, wenn Emmy Werner über E. als Theatermacherin der Drachengasse und als Direktorin des Volkstheaters spricht- meinte ich, sie erzählt von einer anderen Person.

Die Kindheit

Obwohl E. ihre Kindheit während des Krieges und in der Nachkriegszeit verbringt, ist sie ein glückliches Kind. Von Mutter und dem älteren Bruder behütet, ohne bewacht zu werden, kann sie ihre Phantasie entfalten. Die Erinnerungen an Bomben sind bleibend, aber nicht traumatisierend. Ihr Verhältnis zum Vater, der spät erst aus dem Krieg zurückkehrt, ist sehr innig. Die ganze Familie ist „opern- und theaternarrisch“. E. beglückt Eltern und Freunde mit von ihr selbst ausgedachten Theaterstücken, streift durch die Umgebung und entdeckt ihre Liebe zu den Möwen, die am Donaukanal kreischend ihre Flugkreise ziehen. Die Zeilen aus dem Gedicht von Morgenstern: „Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen“, deutet sie für sich als gutes Omen und sie sind dann auch titelgebend für ihre Lebenserinnerungen. Ich schmunzelte über so manche Parallelen, die ich selbst auch in meinem Erinnerungskasterl gespeichert habe. Etwa die unerfreuliche Tanzschule, die Freude über Pakete aus dem Ausland, die Ferien auf dem Bauernhof…

Die Liebe zum Theater

E. will Schauspielerin werden, verfehlt ganz knapp die Aufnahmsprüfung am Reinhardtseminar, nimmt Privatunterricht und erhält da und dort kleine Rollen, vor allem am Theater der Jugend. Sie verliebt sich, wird schwanger und heiratet ganz jung. Ihren Ehemann und Sohn erwähnt sie nie namentlich. Man muss es einfach wissen oder googeln: Ehemann und später Ex-Ehemann Georg Lhotzky war Regisseur und drehte unter anderem den Film „Moos auf den Steinen“. Sohn Alexander war Schauspieler. Beide sterben 2016 – das bleibt unbesprochen. E. will über ihren ganz privaten Schmerz nicht reden. Wie sie überhaupt allzu Privates wegblendet. Lieber schreibt sie über ihre Kämpfe und Erfolge bei der Gründung der Drachengasse und ihre Ängste, als Direktorin am Volkstheater Fehler zu machen.

Die Zeit E.’s als Theaterdirektorin wirkt für mich wie eine Aufzählung von Fakten. Nur wenige Namen von Autoren und Schauspielern und Schauspielerinnen werden erwähnt. Da fehlt das erzählerische Fleisch an den nüchternen Knochen. E. begründet diese Erzählhaltung: „…ihr (nämlich E.’s) „Noli me tangere“, ihr Abwehren von allzu viel Nähe war ja evident.“ So lässt die Autorin auch zwischen dem Leser und E. keine wirkliche Nähe aufkommen.

Ihre Leser kann Emmy Werner erst wieder in den Bann ziehen, wenn sie über die Zeit nach dem Theater erzählt, über all die Versuche, das „Leben danach“ sinnvoll zu gestalten. Ab da entsteht zwischen Leser und E. wieder ein empathischer Faden. „Carpe noctem“ ist E.’s Devise – sie nützt die Nacht, um all ihre Lieblingsautoren wieder zu lesen oder neue zu entdecken. Sie spaziert durch ihr geliebtes Wien, entdeckt ihr unbekannte Schönheiten. Sie lernt „genießen zu können“. Der letzte Teil liest sich wie ein amüsanter Ratgeber über das Älterwerden.

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