Grafenegg: Tschechische Philharmonie: Kabelac und Mahler

Programm: Miloslav Kabelac, Mysterium der Zeit

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 5

Dirigent: Semyon Bychkov

Ein Konzert für Romantiker. Die Tschechischen Philharmonie unter Semyon Bychkov erfüllt die Erwartungen der Romantiker. Denn der Dirigent fordert vom Orchester die ganze Wucht der Dramatik bis hin zu den leisesten Tönen der Gefühlsskala. Das Programm war klug ausgewählt und die Komponisten passten in vieler Hinsicht zueinander.

Miloslav Kabelac (1908 -1979): Mysterium der Zeit (1957)

Miloslav Kabelac schrieb acht Symphonien, die erst jetzt so langsam „entdeckt“ und aufgeführt werden. Sein Leben ist von Verfolgung in der Nazizeit geprägt. 1908 in Prag geboren, wurde er 1932 Dirigent und Regisseur beim Prager Rundfunk. Als er 1939 mit der Kantate „Weichet nicht“ gegen den Einmarsch der deutschen Truppen in sein Land protestierte, wurden seine Werke auf den Index gesetzt. Gemeinsam mit seiner Frau, der jüdischen Pianistin Berta Rixova, überlebte er die Jahre des Nationalsozialismus im Untergrund. Aber auch dem nachfolgenden sozialistischen Regime gefielen seine Kompositionen nicht und wurden bis zu seinem Tod 1979 nie gespielt.

Mit diesen Informationen (dank der ausgezeichneten Texte von Wolfgang Stähr im Programmheft) ausgestattet, wartete man gespannt auf die Komposition. Wie der Titel verheißt – es ging um die Zeit. Sie ist das Absolute, das Unveränderbare, zu Beginn im leisen Takt einer Uhr angedeutet. Der medidative Anfang steigert sich zu rauschhaftem Aufruhr. Man wird an religiöse Tänze aus Indonesien erinnert, bei denen die Teilnehmer unter der Leitung eines Priesters in Trance verfallen. Je heftiger die Schläge der Zeit ertönen, desto mehr gleitet die Musik aus der Trance in den Aufruhr, der eine Endzeit ankündigt. Gewaltig endet dieses kurze Stück, das so minimalistisch leise begann.

Gustav Mahler: 5. Symphonie (1901-1902)

Mit den Trompetenfanfaren weckt Mahler die Menschen aus der Lethargie der Jahrhundertwende. Die „Marcia Funebre“ lässt keine Melancholie zu, gleich darauf folgt ein neuerlicher Weckruf der melancholisch-lethargischen Gemüter. Semyon Bischkov fordert genau das richtige Tempo ein: Zeit geben, die Themen wirken lassen, ohne die Töne zu überdehnen. Und so entwickelt er gekonnt den Aufruhr, das Superdrama, diesen Kampf zwischen dem lethargischen Tod und dem alles Leben Begehrende, vor den Ohren und Augen der Zuhörer.

Diese Thematik setzt sich im 2. Satz fort: Aufruhr und Ruhe im ständigen WEchsel. Beruhigend die feinen Cellipassagen.

Im 3. Satz Am Ende kombiniert Mahler kunstvoll alle Themen zu einem fulminanten Schluss.

Das Adagietto

Das Adagietto, bestens bekannt aus dem Film „Tod in Venedig“ von Visconti, ist wohl das meist gespielte Stück im Radio. Keine Wunschsendung ohne Adagietto. Richard Strauss schrieb 1905 an Mahler:“Ihre 5. Symphonie hat mir neulich …große Freude bereitet, die mir durch das kleine Adagietto etwas getrübt wurde. Daß dasselbe beim Publikum am meisten gefallen hat, geschieht Ihnen dafür auch ganz recht.“ (zitiert nach Programmheft)

Und so ist es bis heute noch: Dieses kurze Stück begeistert, dem Dirigenten und Orchester sind die Diskussionen um Kitsch oder Nichtkitsch herzlich egal. Dem Publikum auch. Man versinkt ist dieser zärtlichen Erotik und der umbändigen Sehnsucht nach Vergessen. Alltag und Banalitäten rücken ab. Es passt nicht hierher, die Emotionen mit Worten nachzubilden. Sie sind stark, und überschreiten die Grenzen der Sprache.

Abkühlen und Aufwühlen: 5. Satz

Mahler und Bishkov wecken die Zuhörer aus ihrem Wohlfühlsentiment. Das Rondofinale ist pfiffig-ironisch, tänzelt, dröhnt, um am Ende in einer betörenden Apotheose des Sieges zu enden.

Nie endenwollender Beifall für Bischkov und das Orchester. Minutenlange Standing Ovations.

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