Jenny Erpenbeck, KAIROS. Penguin Verlag

Kairos ist der griechische Gott des günstigen, richtigen Moments. Ihn heißt es schnell beim Schopf packen, sonst ist er weg und man sieht nur mehr seinen kahlen Hinterkopf. Was war nun der richtige Augenblick in dieser Geschichte? Wohl nicht, als die 19jährige Katharina sich in den 55 -jährigen Hans verliebt. Denn diese Liebe wird sie fast an den physischen und psychischen Abgrund führen.

Hans W. ist verheiratet, ein Pseudointellektueller,kommt aus dem Westen und lebt aus Überzeugung in der DDR, wird dann als Stasispion angheuert, später selbst bespitzelt. Diese Geschichte erfährt der Leser allerdings erst ganz am Ende und eher nur als Streiflicht. Er will herrschen – über Katharina, sie beherrschen – körperlich in widerlicher Weise, und geistig. Beides gelingt ihm erschreckend – quälend. Da fragt sich der Leser, wozu diese langen, sich immer wiederholenden Quälaktionen über sich ergehen lassen. Cui bono? Und Katharina lässt all die Torturen mit sich geschehen.

Im Gleichschritt mit dem Niedergang dieser Liebe geht der Niedergang der DDR vor sich, den die Autorin zwischen 1987 und 1994 erzählt. Der wirklich erschütternde Teil, und der es wert ist mit viel Aufmerksamkeit gelesen zu werden, sind die letzten 50 Seiten. Sine ira et studio schlildert Jenny Erpenbeck die Konsequenzen der Auflösung der DDR für die arbeitende Bevölkerung, die von einem Tag auf den anderen aus den Institutionen, Fabriken und Unternehmen gejagt wird. Sie zählt die Baulöcher auf, die durch Abriss verschiedener Häuser, Cafés, Theaterbauten entstanden sind und die ein Symbol für den inneren Zustand der Menschen sind. Die DDR war nach dem Zusammenbruch und noch lange danach ohne Hoffnungen auf ein besseres Leben, als das alte war. Tröstlich für den Leser: Katharina hat später geheiratet – nicht Hans. Als dieser stirbt, schickt dessen Sohn zwei Kisten mit allen Erinnerungern an diese „Liebe“. Katharina zögert lange, bevor sie diese Büchsen der Pandora öffnet.

Was den Fluss der Erzählung hemmt, sind die vielen sich wiederholenden Einschübe über Literatur und Musik, die nicht mehr als Zitate sind, namedropping. Nicht alle Namen sagen dem Leser etwas, er müsste ziemlich viel nachschlagen. Jenny Erpenbeck, die als eifrige und penible Recherchiererin bekannt ist, ist hier eindeutig ein Opfer ihres eigenen Fleißes geworden. Die Kunst des Schriftstellers besteht auch darin, sich von Teilen der Recherchen zu trennen, nicht alle in den Roman hineinzustopfen.

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