Joseph Lorenz: Der unbekannte Arthur S. Im Rahmen der „Attergau Kultur“

Joseph Lorenz, bekannt für seine subtilen Interpretationen der Werke Arthur Schnitzlers, präsentierte diesmal unbekannte Novellen: Der Mörder (1910), Die Braut (1891), Der Andere (1889) Ich (1917). Mit dieser Auswahl rief Joseph Lorenz einmal mehr die Vielseitigkeit dieses Seelenanalysten auf: Mit der Novelle „Der Mörder“ erwies sich Schnitzler als genialer „Krimiautor“ im weitesten Sinn. Er leuchtet mit gnadenloser Präzision in das Innerste einer perfiden Mörderseele. Wie immer beginnt die Erzählung beiläufig – harmlos. Alfred ist der Liebschaft mit der naiv-einfachen Elise überdrüssig. Er peilt eine Verlobung mit Adele an, die schön und reich ist und aus der Oberschicht stammt. Fast vom Schicksal herbeigewünscht, bestimmt der Vater der Braut ein Jahr Bedenkzeit, damit die beiden Verlobten ihre Gefühle überdenken können. So unternimmt Alfred mit der schwer in ihn verliebten Elise eine Weltreise, erliegt er doch ihrem Liebreiz noch immer sehr gerne. Doch gegen Ende der Reise wird der Überdruss immer heftiger und die Gedanken an das baldige Wiedersehen mit Adele immer intensiver. Dann findet er die – wie er glaubt – geniale Methode, die immer heftiger werdenden Herzattacken Elises mit einer Überdosis Morphium zu „lindern“. Elise stirbt in seinen Armen. Alfred, ohne Reue, fiebert auf das Wiedersehen mit Adele hin, doch sie serviert ihn kalt ab. Er stirbt lebensmüde im Duell mit dem Baron, der seine Tat durchschaut hat. Ist die Novelle an sich schon spannend genug, wird sie durch die Interpretation von Lorenz zum atemberaubenden Gallop durch die Seelenabgünde eines Mörders, dessen Gewissen noch manchmal heuchlerisch aufflammt, um ebenso rasch im Gedanken an die schöne Adele zu erlöschen.

Die Braut“ ist eine kurze, aber intensive Analyse der weiblichen Erotik, wenn sie frei von Gesellschaftskonventionen ausgelebt wird. Schonungslos demaskiert Schnitzler den männlichen Besitzanspruch an die Frau, die der Bräutigam zu einer passablen Staffage und zur „liebevoll waltenden Hausfrau“ installiert wissen will. Doch die Braut zieht das freie Dasein einer „aufrichtigen Dirne“ der Ehe vor und flieht vor dem Bräutigam in eine Freiheit, die für jede Frau der Jahrhundertwende noch undenkbar war. Mit kühler Schärfe folgt Joseph Lorenz dem „Zittern und Glühen“ bis in die Tiefe der Seele dieser aufrichtigen Dirne.

„Der Andere“

In dieser kurzen Novelle zeigt Schnitzler, wie rasch romantisch verklärte Liebe in tiefen Hass umschlagen kann. Denn es geht, wie immer, um den männlichen Besitzanspruch an die Frau. Das Andenken an die treu liebende Ehefrau darf auch nach ihrem Tod nicht angezweifelt werden. Dass ein Unbekannter, ein potentiell anderer Liebhaber, der im Leben der Frau eine Rolle gespielt haben mag, an ihrem Grabe kniet, bringt den trauernden Witwer um den Verstand. Wütend zerstört er alles, was ihn an sie erinnert und trampelt mit der ganzen Verachtung eines Mannes, der seinen Alleinbesitzanspruch auf diese Frau aufgehoben glaubt, auf den Scherben des Fotos herum. Ja, Schnitzler weiß genau, wie es um den männlichen Stolz bestellt ist. Wehe, er wird verletzt! Wie gültig das auch heute noch ist, vermittelt Lorenz gekonnt der anwesenden Männerwelt.

„Ich“

Schnitzler hatte Humor! Für das Publikum sicherlich eine neue Erkenntnis. Doch man traute dem kühlen Ton von Joseph Lorenz nicht ganz und schluckte den Lacher hinunter. Da muss doch was Ernstes dahinter stecken, wenn ein einfacher Mann, braver Antgestellter in einem Warenhaus und treu sorgender Familienvater, plötzlich durchdreht. Wenn er alle Menschen und Gegenstände um sich herum mit Namenszetteln versieht: Kasten, Tisch, Mutter, Kind etc…Als die verzweifelte Ehefrau den Arzt ruft, heftet der Objektbenenner einen Zettel auf seine Brust. Darauf steht mit großen Buchtstaben: ICH. Als Lorenz den Zettel sich auf die Brust heftete und rücklings vom Sessel fiel, da trauten sich endlich alle zu lachen. Dass Joseph Lorenz mit solchen Charaden voller Lust den Rahmen einer „ernsthaften“ Lesung bricht, hat er schon mehrmals bravourös bewiesen. Vielleicht wollte Schnitzler mit dieser Geschichte gewisse philosphische oder psychoanalytische Entwicklungen ironisieren? Wie auch immer, es war ein großer Spaß!

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