Joseph Lorenz, Spiel im Morgengrauen. Theater Akzent

Wenn Joseph Lorenz liest, dann ist die Studiobühne im Theater Akzent bis zum letzten Platz gefüllt. Diesmal also: „Spiel im Morgengrauen“ von Arthur Schnitzler. Ich kenne zur Zeit keinen Sprecher/Schauspieler, der Schnitzler besser lesen könnte als Joseph Lorenz. Mit hoher Sensibilität für Tempo, Zurücknahme, sich aufbauender Dramatik erzeugt Lorenz atemlose Spannung. Alles beginnt sehr unspektakulär: Leutnant Wilhelm Kasba erwacht an einem Sonntagmorgen – wie immer bringt ihm seine Bursche den Kaffee und meldet Besuch an (köstlich, wie Lorenz vom Schnitzlerdeutsch in den böhmische Dialekt umsteigt und gleich steht vor uns die liebenswerte, treuherzige Figur des Burschen). Der ehemalige Dienstkamerad Otto von Bogner bittet ihn um 900 Gulden, die er aus der Firmenkasse „entliehen“ hat und bis zum nächsten Morgen zurücklegen muss. Klar, dass Wilhelm diese Summe nicht hat, er verspricht aber, sein Glück im Baden beim Kartenspiel zu versuchen. Und ab da wird das Erzähltempo rasant, Lorenz lässt die >Zuschauer  bis unter die Haut spüren, was Spielsucht bedeutet: Ausgeliefertsein einer Lust, die ins Verderben führt, führen muss. Als Verführer und Gegenspieler tritt Konsul Schnabel auf, der den Leutnant genussvoll ins Verderben rennen – spielen – lässt. Atemlos rast das Spielgeschehen dahin bis zu dem Augenblick, als Wilhelm um 3h früh mit einer Spielschuld von 11.000 Gulden das Café verlässt. Diabolisch freundlich verlangt der Konsul die Rückerstattung bis zum nächsten Tag. Absturz in die Hoffnungslosigkeit – auch der vermeintlich begüterte Onkel kann nicht helfen. Der Selbstmord scheint der einzige Ausweg. Doch einen Versuch hat Wilhelm noch: Er erniedrigt sich und bittet Leopoldine, die junge Frau des Onkels, um das Geld. Sie könnte es ihm geben – aber zuvor will sie Rache -Rache für eine lang zurückliegendeLiebesnacht, in der Wilhelm sie wie eine Dirne bezahlte und sich davonmachte. Sie jedoch hat den jungen Leutnant damals geliebt, wollte Zärtlichkeit und Vertrauen . Diese Szene las Lorenz mit  großem Feingefühl für weibliche Verletzlichkeit – man konnte die Rache, die Leopoldine nahm, verstehen und mitempfinden: Nach einer Liebesnacht „bezahlt“ sie ihn mit 1000 Gulden und geht. Der Abgrund tut sich auf. Stille im Raum. Selbstmord. Ironie und doppelte Rache der Leopoldine: Sie übergab ihrem Ehemann die 11.000 Gulden für Wilhelm. Als dieser sie seinem Neffen bringt, ist alles zu spät. Berührend der Schluss: Der Onkel ahnt, dass seine Frau den Leutnant besuchte. Doch der Bursche zerstreut den Verdacht und bestätigt schlau und treuherzig den Besuch eines Kameraden. Am Ende hat Bogner die 900 Gulden (der „Lohn“ für die Liebesnacht), Leopoldine ihre Rache und Wilhelm hat sein Leben sinnlos „verspielt“. In zwei Stunden ließ Joseph Lorenz das ganz Spektrum der Sinnlosigkeit und Orientierungslosigkeit eines Offiziers, dem die Ehre mehr galt als sein Leben, vor uns abrollen.