Lucy Foley: Die leuchtenden Tage am Bosporus.

Verlag: Insel Taschenbuch/Suhrkamp. Aus dem Englischen von Katja Bendels

Istanbul 1921, oder wie die Besatzungsmächte die Stadt nennen: Konstantinopel. Es sind düstere Zeiten. Die einst so strahlende Stadt wirkt erloschen, die Menshen leiden unter der Besatzung, Misstrauen herrscht überall. Der Titel der deutschen Ausgabe ist daher irreführend. Denn die Stadt leuchtet höchstens durch die gelegten Brände, die vor allem die Häuser der Armenier zerstören.

Zerstört, verstört sind auch die Menschen. Den Besatzern begegnet man mit Missachtung. Sich ihnen auch nur freundlich zu nähern gilt als Verrat. Doch die junge Lehrerin Nur lässt sich nicht beeinflussen. Ihr Kurzzeitehemann ist gefallen, ihr Bruder verschollen. Mit Stickerein bringt sie recht mühevoll ihre Großmutter und Mutter durch. Auch den kleinen armenischen Jungen nimmt sie bei sich auf. Er war ihr letzter Schüler, alle anderen Kinder waren längst schon verschwunden. Als „der Junge“, wie er nur genannt wird, schwer krank wird, ruft Nur den Arzt, der im britischen Militärhospital arbeitet, zu HIlfe. Er nimmt den Jungen im Spital auf, obwohl es streng verboten ist. Nur besucht ihn täglich, muss ihre Abneigung gegen den Arzt und die Briten unterdrücken. Sie leidet doppelt, da das Spital einst das Heim ihrer Familie war.

Alles keine guten Voraussetzungen für die Liebe, die zwischen Nur und dem Arzt George langsam wächst. Denn es ist eine Liebe, die nicht sein kann, sein darf. Zu groß ist die Kluft zwischen einer Bewohnerin der Stadt und einem, der zu den Besetzern gehört. Obwohl beide fähig wären, die gesellschaftlichen Schranken zu überwinden, trennen sie sich. Er kehrt in seine Heimat zurück. Als Beweis ihrer Liebe bittet Nur ihn, den Jungen mitzunehmen. In ihrer Stadt wäre er wegen seiner armenischen Abstammung nicht mehr sicher. Denn der Genozid am armenischen Volk hat begonnen. Nurs Bruder wurde gezwungen, die ärgsten Gräueltaten an den Armeniern mitanzusehen und auch auszuführen. Das hat ihn verändert, zuletzt gebrochen. Er begeht Selbstmord.

Geschickt verpackt Lucy Foley schwerwiegende Folgen des Krieges in eine zarte Liebesgeschichte, die sich spannend, sehr langsam und behutsam entwickelt. So nimmt sie den Leser geschickt mit und konfrontiert ihn mit den historischen Tatsachen, wie den Genozid an den Armeniern, den Aufstieg der „Türkei“ aus den Trümmern des ehemals mächtigen osmanischen Reiches. Sie schildert mit nüchernem Blick, welche Folgen die Grausamkeit des Kriegsgeschehens auf die Seelen der Menschen hat. Am Beispiel des Bruders, der mit seiner Schuld, die er bei der Vertreibung der Armenier auf sich geleaden hat, nicht fertig wird. Als Gegenpol der Entmenschlichung führt sie die positive Figur des Arztes ein, um ein Gegengewicht zu all den Unmenschlichkeiten zu schaffen.

Der Aufbau des Romanes ist allerdings ein wenig ungewöhnlich, sprich nicht gerade leserfreundlich. Wahrscheinlich ist der Aufbau der herrschenden Schreibmode geschuldet, das Geschehen in kleine Kapitel zu zerhacken, in denen die Autorin zeitlich und im steten Perspektivewechsel zwischen den Personen hin- und herspringt. Dieser allseits beliebte Erzählstil wirkt ein wenig allzu bemüht und erschwert das Einsteigen in das Geschehen. Hat man aber erst einmal ein Drittel des Romanes überwunden, dann ist man vom Reiz der Geschichte gefangen.

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