Theater in der Josefstadt: Erwin Steinhauer liest „Leviathan“ von Joseph Roth.

Musikalische Begleitung: Andrej Serkov auf dem Knopfakkordeon

Intensiv und schlicht – so lässt sich dieser Abend zusammenfassen. Erwin Steinhauer liest. Ruhig, gelassen fließt die klare Sprache Joseph Roths dahin. Er – Josph Roth und mit ihm Erwin Steinhauer – lässt sich Zeit, verbreitet dichte Bilder des fiktiven Städtchens Progrody, das nicht zufällig an Brody, die Geburtstadt Joseph Roths, anklingt: Bauern und Bäuerinnen kommen zum Wochenmarkt, es wird gefeilscht, danach geht man zum Korallenhändler Nissen Piczenik und kauft Korallen. Nicht irgendwelche, sondern sorgfältig ausgewählte und liebevoll gehegte. Die Korallen sind für Nissen Piczenik lebendige Wesen, mit Blut erfüllt. Sie kommen aus den Tiefen des Meeres, wo Leviathan sie bewacht. Steinhauers Stimme lässt ein Kopftheater mit dichten Bildern entstehen. Wir sehen die Bäuerinnen, die sich die Korallenketten umglegen, wir sehen das Städtchen, wie es vor mehr als 150 Jahren ausgesehen haben mag. Wir sehen Nissen Piczenik, lassen im Kopf sein Bild entstehen.

Dazwischen spielt Andrej Serkov auf seinem Knopfakkordeon. Seine Töne zaubern ebenfalls Bilder in unsere Seele. Einmal sind es die Korallen, die wie Perlen durch die Hände der Bäuerinnen rieseln, dann hört man die Töne des Dorfes, meint die schweren Schuhe auf dem unebenen Pflaster zu vernehmen.

Dann wird Piczenik vom Teufel versucht – Lakatos liefert Plastikkorallen. Die Bauern verlieren den Respekt vor dem Echten, kaufen den Plunder. Und Piczenik kauft ebenfalls, mischt die echten mit den unechten. Erliegt der teuflischen Welt des Billigmarktes. Verzweifelt über seinen Treuebruch, beginnt er zu trinken. Verkommt. Steigt in den Zug. Wieder begleitet ihn und uns die Musik Serkovs, der Zug wird schneller, rast dem Ziel, dem Hafen zu, wo der Korallenhändler ein Schiff besteigt, das ihn nach Kanada bringen soll. Doch er überlegt es sich anders, gibt seinem Wunsch, zu seinen geliebten Korallen hinabzusteigen, nach und stürzt sich in die Tiefe. Andrej Serkov lässt ganz leise die Wellen über Nissen Piczenik zusammenschlagen. Stille. Lange Zeit schweigt das Publikum, lässt das Kopftheater weiter wirken. Spät erst kommt Applaus auf und dankt für einen Abend, ganz frei von Regieeitelkeiten. Wort und Musik waren die Hauptakteure.

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