Viola Ardone, Ein Zug voller Hoffnung. C. Bertelsmann

Aus dem Italienischen von Esther Hansen

Neapel, knapp nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Not ist überall, besonders im Armenviertel, wo der achtjährige Amerigo Speranza mit seiner Mutter in einem „Basso“ wohnt, in einem dieser Einzimmerbehausungen, in die man direkt von der Straße hineinsieht. „Meine Mama geht vor und ich hinterher“, heißt es gleich zu Beginn. Der Satz sagt alles: Die Mutter ist energisch, geht rasch, kümmert sich nicht um den Sohn, der hinter ihr herhetzt. Dennoch – er liebt seine Mutter, versteht unbewusst und manches auch bewusst, warum sie so rau und nach außen hin unzugänglich ist. Auf seine Weise liebt er sie. Die ersten sieben Absätze beginnen alle mit „Meine Mama“.

Amerigo wächst auf der Straße auf, macht Streiche, wie alle anderen Kinder auch. In die Schule geht er nicht mehr, er hat keine Lust auf Prügel. Eines Tages geht das Gerücht, die Kinder werden nach Russland verschickt. Angst überfällt alle. Amerigo jedoch ist mutig, als er in den Zug steigt, der ihn in den reichen Norden zu einer „neuen Familie“ bringt. Er unterdrückt Angst und Heimweh, lebt sich schnell bei der neuen Familie ein, wo er sich geborgen und geliebt fühlt. Sein Herz schlägt für die Musik, und er bekommt eine Geige geschenkt und darf Geigenunterricht nehmen. Doch nach einem Jahr heißt es wieder zurück nach Neapel. Wie die Geschichte weitergeht, sei hier nicht verraten.

Was das Buch so wertvoll macht, ist die schlichte und zugleich poetische Sprache. Die Autorin schreibt aus der Sicht des Kindes, ohne je peinlich in Kitsch oder Verniedlichung zu verfallen. Dazu gibt ihr der lebensschlaue Amerigo, der sich auf alles seinen nicht unklugen Reim macht, keine Gelegenheit. Das Schicksal Amerigos und der anderen Kinder, die in den NOrden verschickt wurden, geht einem ganz nahe. Manche Leser werden sich noch an Erzählungen älterer Menschen erinnern, die in Wien in den Nachkriegsjahren nach Schweden, Holland oder in die Schweiz verschickt wurden und gerne an diese Zeit denken. Die Solidarität war in Zeiten der Not überall gleich groß.

Seite für Seite genießt man dieses Buch, wie eine Tafel Schockolade, die man nicht auf einmal verschlingen will. So kann man sich lange auf die nächsten Seiten freuen, bis alle zu Ende gelesen sind. Dann ist man traurig, weil man Amerigo verlassen muss. Aber vielleicht will man ihm ja nach einiger Zeit wieder begegnen – nichts leichter als das: Man liest das Buch nochmals, diesmal vielleicht noch langsamer und genüsslicher.

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