Salzburger Festspielsplitter 2025

Andris Nelsons dirigiert die Wiener Philharmoniker: Gustav Mahler, Adagio aus der Symphonie Nr. 10 Fis-Dur und Dimitri Schostakowitsch Symphonie Nr.10 e-Moll op.93

Des 50. Todestag von Schostakowitsch wird in Salzburg ausgiebig gedacht. Genau am 9. August, an seinem Toestag, dirigierte Andris Nelsons die 10. Symphonie. Zuvor jedoch gab es Gustav Mahlers Adagio aus der unvollendeten 10. Symphonie. Warum Andris Nelsons Mahlers Adagio dem Monumentalwerk des Russen vorangestellt hat, mag vielleicht an dem tiefen Leid und der Tragik, die beiden Kompositionen innewohnt, liegen. Gustav Mahler war im Sommer 1910 in einer tiefen Schaffenskrise geschlittert, ausgelöst durch die Eheprobleme. Alma hatte gerade eine Beziehung mit Walter Gropius begonnen. und dieser hatte nichts Eiligeres zu tun, als dies dem Ehemann in einem Brief wissen zu lassen. Nun mag es verpönt sein, in der Musik im Allgemeinen biografische Motive mitzuhören. aber die Innigkeit, mit der Mahler versucht, seiner Ehefrau die Liebe zu gestehen, ist Thema. Und die Philharmoniker machen es unter dem einfühlsamen Dirigat Nelsons‘ deutlich.

Wuchtig, als starker Kontrast dann die 10. Symphonie von Schostakowitsch, in die er von starken körperlichen Schmerzen gequält, aber im Bewusstsein, dass sein Peiniger gestorben war, die volle Tragik seines Lebens hineinkomponierte. Wie eine Erinnerung an all die Qualen und Ängste erklingt der erste Satz, düster und brutal, in Märschen sich aufbäumend, der zweite. Im dritten dann die Ruhe der Gewissheit – seine Musik wird bleiben, Stalins Schrecken sind vorbei. Im Finale verführt er zunächst mit Bedacht die Hörer in ruhige Gewässer, um mit allergrößter Wucht nochmals die Tyrannei Stalins aufbrauen zu lassen und in einem fulminanten Schluss den Sieg seiner Musik zu feiern. Andris Nelsons führt die Wiener Philharmoniker zur Höchstform, er verschmilzt körperlich sichtbar mit der Musik und mit den Musikern. Mit frenetischem Applaus und langen standing ovations bedankte sich das Publikum für diese ganz besondere Feierstunde.

Andrè Schuen und Daniel Heide: LIEDERABEND

©SF/ Marco Borelli

Dass André Schuen Leid glaubhaft rüberbringen kann, bewies er immer wieder mit seiner Interpretation der „Schönen Müllerin“. Geschickt leitet er darin vom Leichten zur Melancholie über und steigerte innig seine Darbietung bis zur Tragik. An diesem Abend jedoch ohne stringentes Konzept war es deutlich schwieriger, das Publikum in einen dramatischen Aufbau einzubinden. Gemeinsam mit seinem einfühlsamen Begleiter Daniel Heide stieg Schuen diesmal in die Liederwelt eines Richard Strauss, Richard Wagner und Alexander Zemlinksy ein. Thematisch kreiste der Abend um Traum, Wehmut, Abschied und Tod, gewürzt, mit einigen heiteren Tropfen wie „Morgen“ und der Zugabe „Zueignung“ (beides Richard Strauss), mit dem der Abend endete. Wohl um das Publikum nicht in allzu melancholischer Stimmung zu entlassen. Die Traumwelt eines Strauss gelang elegant, Wagners Wesendonck-Lieder glitten sanft, aber ohne bleibenden Eindruck vorbei, was zum Großteil dem allzu schwärmerischen und schwammigen Text geschuldet sein mag. Seine interpretatorische und stimmliche Stärke – vom Pianissimo bis zum Bass – kamen erst nach der Pause so voll zum Einsatz mit den dramatischen Liedern von Alexander Zemlinsky. Ein Höhepunkt war sicherlich das Lied „Tod in den Ähren“, in dem Schuen seine Liedkunst voll entfaltete: Vom dramatischen Bass bis zum zarten Piano des Träumers.

Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus.

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Polly Clark: OCEAN. Gefangen im Blau. Eisele Verlag

Aus dem Englischen von Ursula Sturm

Helen ist auf dem Weg nach Hause. Eine Bombe in der U-Bahn schleudert sie in einen tiefen Schacht, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Ein Unbekannter rettet ihr Leben, aber das des Kindes im Bauch leider nicht. Im schwersten Trauma sucht sie diesen Retter, von dem sie nur seinen Vornamen James weiß. Weder der Ehemann Frank noch die Psychotherapeutin kann ihr in dieser traumatischen Situation helfen. Sie meint, einzig James wäre es möglich. Und sie beginnt ihn zu suchen, findet ihn tatsächlich per Zufall. Doch während dieser kurzen, intensiven Begegnung wird James von einem Auto zu Tode gefahren. Das alles wird Helen – und dem sonst geduldigen Leser zu viel. Der folgt Helens verbohrter und sinnloser Liebe zu ihrem toten Retter nur mehr unwillig. Als Rettung ihres Seelenheiles und der kaputten Ehe plant Frank einen Segelturn mit genau demselben Boot, auf dem sie sich kennen – und lieben lernten. Doch auch da geht alles schief. Frank verunglückt bei einem Sturm tödlich….Das Boot wird fast zerschmettert…eine Katastrophe jagt die nächste. Doch am Ende werden Helen, ihr Sohn und das Mädchen, das den schrecklichen Turn mitmachte, von einem fremden Boot gerettet.

Wer Katastrophenschilderungen und ausführliche Segelanweiseungen, inklusive Seekartenlesen etc, liebt, dem sei das Buch empfohlen.

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Kultursommer Semmering: „Madame, ich liebe Sie!“ Eine Heinrich-Heine Hommage

Sven – Eric Bechtolf Lesung, Anett Fritsch – Sopran, Florian Krumpöck: Klavier

Sven – Eric Bechtolf stellte ein spannendes Programm rund um Heinrich Heine und die Liebe zusammen, was fast einen opernhaften Nachmittag ergab: Seine Ehefrau Anett Fritsch lieh den verschiedenen Vertonungen der Heinegedichte – von Robert und Clara Schumann über Johannes Brahms bis zu Richard Strauss ihren strahlenden Sopran, und Bechtolf führte das Publikum in die leidvolle Realität Heinrich Heines ein. Ein geniales Kontrastprogramm! Beide Interpreten sind dem Publikum zum Beispiel aus den Salzburger Festspielen 2015 und 2016 bekannt. In Brechts „Mackie Messer – eine Salzburger Dreigroschenoper“ führte Bechtolf eindrucksvoll Regie. Anett Fritsch sang unter anderem die Gräfin in „Figaros Hochzeit“, ebenfalls unter der Regie von Bechtolf. Beide sind ein gut aufeinander eingespieltes Paar.

Der Heine-Nachmittag war in seinen kontrastreichen Facetten ein ganz besonderes Ereignis. Während Anett Fritsch mit ihrem Sopran, der an großen Opern geschult ist, sich voll in den romantischen Liedern einbrachte – zuweilen etwas zu laut für den Raum -, rückte Bechtolf Heines Ansicht über die Liebe in ein unromantisch – ironisches Licht: “ Wo geht die Liebe hin, wenn sie vergeht? “ fragt Heine und seine Antwort ist desillusionierend: In die Hölle. Heines zweite Lebenshälfte in Paris war zunächst von Freude und vielen Freunden geprägt. Er schrieb Gedicht um Gedicht, heiratete sogar seine „Mathilde“, wie er Augustine Mirat nannte. Aber ab 1848 fesselte ihn eine schwere Krankheit ans Bett – von da an mutieren seine (ironischen) Liebesgedichte zu leidvollen Lebensgedichten. Diesen weiten biografischen Weg zeigte dieser Nachmittag beeindruckend auf. Ein wahres Highlight unter den Lesungen am Semmering, stimmungsvoll am Klavier von Florian Krumpöck begleitet.

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Grafenegg: „Stimmungsbilder“ – Dimitri Schostakowitsch und Antonin Dvorak. European Youth Orchestra. Dirigent: Vasily Petrenko

Dimitri Schostakowitsch: Konzert für Violoncello und Orchester, Nr.1 Es-Dur op. 107 (1959).

Violoncello: Pablo Ferrández

Ein fast bedrohlich graues Licht, Regen und Kälte vertrieben die Lust auf Musik im Wolkenturm. Obwohl genau diese Stimmung perfekt zu Schostakowitsch` extrem fordernder und seelisch mitreißender Musik gepasst hätte, war man froh, sie in der Ruhe des Auditoriums hören zu dürfen und nicht noch zusätzlich von Wetterkapriolen bedroht zu sein !

Als Schostakowitsch das Violinkonzert komponierte, litt er bereits unter der unheilbaren Rückenmarksentzündung. Unter großen Schmerzen schrieb er mit der linken Hand die Noten. Er komponierte eine Art Rückschau auf sein Leben, das von Extremen geprägt war: Von Verboten, Verhöhnung und Straflager bedroht, dann wieder gnädig von Stalin gelobt, war Musik seine Lebensrettung: „Warten auf die Exekution ist eines der Themen, die mich mein Leben hindurch gemartert haben…Viele Seiten meiner Musik sprechen davon.“ (Zitiert aus dem klugen und einfühlsamen Kommentar von Wolfgang Stähr, im Programmheft S12) Das Konzert für Violoncello und Orchester macht diese enorme seelische Belastung deutlich hörbar. Es beginnt eher leicht tänzerisch – aber das ist nur ein kurze Ruhe vor dem Sturm, bevor Orchester und Cello zu einem Seelensturm ansetzen.

©Sion Violon Musique

Pablo Ferrández spielt das Stradivarius Violoncello „Archinto“ aus 1680, eine lebenslage Lehgabe eines Mitglieds der Stretton Gesellschaft. Und man spürt schon nach den ersten Bogenstrichen: Hier spielt ein ganz großer Meister, Mit dem Instrument zu einem Körper verschmolzen, holt Ferrández aus dem edlen Klangkörper die Klage eines Menschen über sein leidvolles Leben heraus. Man hat das Moderato wohl noch selten so intensiv erlebt – die Töne klagen, schreien, beruhigen sich, um sich gleich wieder neu aufzubäumen. Der junge Maestro verschmilzt tief mit dieser leidvollen Musik, und Vasily Petrenko lenkt die engagierten Musiker des Orchesters zu Höchstleistungen. Das Publikum atmet diese tragische Musik mit, erwacht am Ende wie aus einer tiefen Trance. Großer Jubel für alle, besonders aber für Pablo Ferrández, der sich mit dem zärtlichen Idyll von Pablo Casals „Song of the birds“ für den begeisterten Applaus bedank

Antonin Dvorák: Symphonie Nr.8 G-Dur op. 88 (1889)

Einen größeren Kontrast in der musikalischen Stimmungslage kann man sich schwer vorstellen: Schostakowitsch aufwühlend, Dvorák heiter, tänzerisch. Wolfgang Stähr begründet und benennt die Wahl: Die Hölle und das Paradies. (S12 im Programmheft).

Lang musste Dvorák auf Erfolge warten, bis dann endlich ab 1877 Stipendien und ein Staatspreis ihn von der finanziellen Not erlösten. Er konnte sich sogar 1884 ein kleines Landhaus in Südböhmen leisten. Dort komponierte er, umgeben von Waldesrauschen und Vogelsang, die 8. Symphonie, eine Musik des puren Glücksgefühl. Alles, was glücklich macht, hat er voller Zuversicht hineinkomponiert: sanfte Celli, feierliche Choräle, liebliche Flötentöne. Genuss pur! Und so dirigiert auch Petrenko die jungen Musiker: Voller Elan, oft mit humorvollen Gesten und Grimassen, tänzerisch leichtfüßig aufspringend. Das Pblikum war begeistert und bekam als Dank noch drei Zugaben: J. Strauss, Seid umschlungen, Millionen, A. Katschaturian, Suite Nr.1 und J. Texidor, Amparito Roca. Bei dem letzten Musikstück verlässt Petrenko das Pult, schlägt im Hintergrund das Tamburin und die Musiker spielen tanzend und lachend weiter. Die Stimmung erinnert an El Sistema, diese junge, energiegeladene Gruppe aus Venezuela.

Was für ein berauschender, spannender Abend!!!

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Kultursommer Semmering: Maria Hofstätter und Martina Spitzer lesen: Bert Brecht, Flüchtlingsgespräche. Akkordeon: Klaus Paier

Obwohl es wolkenbruchartig regnete, hatten sich zahlreiche Fans eingefunden – triefend nass und der Sommerkälte von 13° tapfer trotzend. Zu Beginn heizte Klaus Paier mit einem schmissigen Lauf auf dem Akkordeon allen ordentlich ein.

Ziffel, der Intellektuelle, Physiker und Versuchsschriftsteller, und Kalle der Arbeiter treffen einander regel- und unregelmäßig in einem Bahnhofsrestaurant in Helsinki. Sie unterhalten sich locker und unaufgeregt über die wenig hoffnungsspendende Lage als Flüchtlinge.

Bert Brecht schrieb diese Gesprache 1940/41 in Helsinki, als er bereits mehr als sieben Jahre Fluchterfahrung hatte. Es sind keine bitter-schwarzen Gespräche, sondern nüchtern-ironische Statements zur persönlichen Lage eines Flüchtlings und zur Weltlage.

Was ist ein Mensch ohne Pass? – inexistent. Der Pass ist wichtiger als der Mensch – so ihr gemeinsames Statement. Denn Ordnung muss sein, argumentiert Kalle, bitter ironisch die „Ordnung“ im KZ von Dachau rühmend. Dazu Ziffel: Ordnung ist inhuman, Schlampigkeit ist Freiheit. So diskutieren sie locker, immer mit Augenzwinkern, auch über das Bier, das keines ist, und den schlechten Kaffee. Dazwischen spielt Peter Paier mit flinken Fingern Heiter-Witziges zur Auflockerung – was ganz im Sinne Bert Brechts wäre, denn er wollte nie Moralapostel, Künder der Düsternis sein. Seine Kritik kommt bis heute immer auf den heiteren Tanzbeinen daher, tönerne Füße der Moralpredigt war nie seines.

Ein Kabinettstückerl an feinem Mimikhumor liefern Spitzer und Hofstätter ab, als Ziffel seinen „Buchentwurf“ – bestehend nur aus Stichwörtern – Kalle zur gefälligen Kritik vorliest. Der jedoch räumt dem intellektuellen Schlagwortliteraten schell seine Überheblichkeit ab. Ab dem Zeitpunkt sind beide intellektuell gleichwertige Partner. Schnell geht es zur Sache: Fragen über das Erstarken des Faschismus , über den „Wie heißt er doch gleich“, über das „Heldentum“, das die Weltherrschaft anstrebt. Diese bitterernsten Probleme werden in Form von ironischen Fragen aufgelöst – Fragen, über die heute wie damals heftig diskutiert wird. Brecht lesen – und hören – heißt: Auf die Fragen nach den Ursachen der Kriegstreiberei von damals und heute klare Antworten bekommen.

Ein paar Worte zum Spielplan:

Sehr nachdenklich tritt man die Heimreise an. Einige Tage später werden die Salzburger Festspiele eröffnet. Der Intendant hat – wie schon die vorigen Jahre – als Kunstkassandra das Motto „Ich werde in den Tod geboren“ ausgerufen. Regisseure und alle Mitwirkenden liefern also passende Themen: Giulio Cesare in Egitto spielt in einem Bunker, Bomben und Drohnenlärm sind das Hintergrundgeräusch. Und das ist nur einer der vielen blutverheißenden Dramen, die sich auf der Festspielbühne, die die Welt bedeuten soll, abspielen werden. Hat Kunst in schwierigen Zeiten nur diese eine Aufgabe: Das Drohende zum Hauptthema zu machen? Einige Stimmen formulierten bei der Eröffnung der Spiele vorsichtige Skepsis über dieses Todesmotto. Dass es auch anders möglich ist, beweist zum Beispiel das Programm des Festivals am Semmering: Heiteres ja, aber doch mit Ingredienzien der Ironie, des scharfen Humors. Ohne die Bitternis des Todemottos.

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Ein Kulturwochenende am Semmering

Mit Ulrike Beimpold, Marianne Sägebrecht, Simeon Goshev, Karl Markovics , Wolfram Berger und Peter Rosmanith

Ulrike Beimpold: Friedrich Torberg, Auf Sommerfrische mit Tante Jolesch

Sie betritt das Podium und ist DA! Hat das Publikum mit einem Wimpernschlag eingenommen. Torberg fließt ihr direkt aus dem Herzen auf die Lippen. Ihre Beziehung zu dem Schriftsteller ist rein literarisch und doch auch biografisch: Über das Sonntagsessen bei Großmutter zum Beispiel. Da hieß es immer – köstlich, wie bei Tante Jolesch. Sie kam gerade als „Frischgfangte“ 1979 an die Burg, als Torberg starb.

So beginnt sie in einer charmanten Mischung aus „Böhmakeln“, „Schönbrunnerdeutsch“ und Jiddisch zu erzählen – wie das damals, zu Tante Jolesch‘ Zeiten so war mit der Sommerfrische: Man siedelte mit der ganzen „Wirtschaft“, Teller, Kleider, Zofe -so man hatte, schlicht die ganze Dienerschaft. Tante Jolesch liebte diese Umsiedlung nicht -„ja, no ja, ein bissl frische Luft darf sein“, wenns auch Cafés, Restaurants und ein bissl Theater gab. Die Zauberberge, wie die Gegend um den Semmering und die Rax genannt wird, kann das heute wieder alles liefern: Theater in Reichenau, Cafés und Konditoreien – alles da. Und am Semmering eben Literatur. Was war das Geheimnis der Tante? Warum scharten sich alle so brav um sie, wenn sie einlud?:Es waren die Krautfleckerln und ihr trockener Humor! Das Geheimnis des Rezeptes gab sie nie preis. Kurz vor ihrem Tod soll sie es gelüftet haben: „Weil ich nie genug gemacht habe“. Mit Anekdoten über Tante Jolesch und andere Lebenskünstler weiß Ulrike Beimpold das Publikum höchlichst zu amüsieren. Und so manch Schlüpfrig-Erotisches wagt sie mutig, mit einem entschuldigenden Lächeln. Dazwischen singt sie – ganz ohne musikalische Begleitung – Lieder von Hermann Leopoldi. Auch mit Blau. Grün und Herr und Frau Kohn amüsiert sie das Publikum. Beimpold darf alles, sie kann alles – Andekdoten, Witze, Trauriges – ja auch Trauriges! Und sie geniert sich nicht ihrer Tränen, die dann auch beim Publikum leise tröpfeln.

Dreimal standing ovations! Man lässt sie ungern ziehen. Und man glaubt ihr, dass sie die zwei Stunden genossen hat. Das Publikum sichtlich und hörbar auch!

Marianne Sägebrecht: Gipfeltreffen – eine Literatour von Säge bis Brecht. Am Klavier: Simeon Goshev

Die Neugier auf die deutsche Schauspielerin und Kaberettistin Marianne Sägebrecht war groß. Wie und was wird sie bringen? Wird sie eher als „Mutter der Subkultur“ oder als Erzkomödiantin auftreten? – Nichts von beiden. Sie war einfach eine Frau, 80 Jahre jung, die aus ihrer Erfahrung heraus Lebensratschläge verteilte, Erinnerungen auffrischte und dazwischen Gedichte von Bert Brecht („Lasst euch nicht verführen!“) und Mascha Kalékos „Der Liebestod“ einstreute. Eine Mischung ohne Richtung, man wusste nicht so recht, wohin die Reise gehen wird. Manches war sehr wehmütig, nachdenklich, wie der Text von Hilde Domin „Abel, steh auf!“ dann wieder eigenwillig humorvoll wie die Hommage an alle Frauen über 60 von Patrizia Morescu. Dieses inhomogene Programm wurde jedoch musikalisch von dem Pianisten Simon Goshev geschickt in professionelle Bahnen gelenkt – er spielte passend zu den divergierenden Texten Musik von Grieg, Gershwin, Ravel, Schumann und bettete so das wunderliche Programm in einen stabilen Rahmen.

Karl Markovics: Fritz von Herzmanovsky – Orlando, Der Gaulschreck im Rosennetz

Wer sich an diesen Text wagt, dem gilt die ungeteilte Bewunderung des Publikums. Denn in dem grotesken Roman über den durch Dummheit und Ignoranz vorprogrammierten Untergang der österreich-ungarischen Monarchie wimmelt es nur so von barock aufgeblähten Namen und bis ins Unglaublich gesteigerten Dummköpfen, die stellvertretend für das gesamte Monarchieszenario stehen.

Also Markovics hat es gewagt, hat sich fast drei Stunden durch das Panoptikum des Gaulschrecks geplagt – ja geplagt, denn allein schon die Schnörkelnamen wie Jaromir Edler von Eynhuf, Hofsekretär beim Kaiserlichen Hoftrommeldepot oder Zephesis Zumpi, kaiserlicher Hofzwerg im Ruhestand, haben es in sich. Die Sprache von Herzmanovsky-Orlando wimmelt nur so von verschnörkelten Obskuritäten, die zu lesen und zwar verständlich zu lesen eine Herausforderung per se ist. Der sich Markovics mit dem Mut eines Turmspringers vom Zehnmeterbrett in die Untiefen der verknöcherten, verdummten Figuren dieses Romans wagend stellt. Er findet für die Figuren den richtigen Ton -näselnd, verkorkst, verdreht, wunderlich, irreal. Vielleicht ist er manchmal einen Tick zu verdreht – er treibt die Sprache bis zu dem Punkt, wo das barocke Volumen der Skurrilität zu viel, zu oft sich wiederholend, ermüdend wirkt. Aber soll so sein, weil Herzmanovsky es so wollte: Er schuf einen Hofstaat, der in seiner Eitelkeit, Einfalt, Selbstverliebtheit sich selbst ad absurdum führte. Ein Staat, der von solchen Typen bevölkert ist, muss zugrunde gehen. Und Markovics sorgte für einen authentisch – skurrilen Untergang. Danach war er sichtlich erschöpft, und das Publikum auch.

Wolfram Berger: Homer – Odyssee. Peter Rosmanith Percussion

Ein Programm für Liebhaber der griechischen Antike! Für Liebhaber großer Heldenerzählungen. Klug gekürzt und in der schlichten Übersetzung von Johann Heinrich Voß erzählte Wolfram Berger ohne Heldenpathos von den Abenteuern des Odysseus. der nach 10 Jahren Krieg mit Troja endlich die Heimfahrt antritt. Aber er muss noch weitere 10 Jahre viele Gefahren und Abenteuer überstehen, bis er zur Gattin Penelope und dem Sohn Telemachos heimkehren kann. Berger beginnt mit einer Rückschau: Odysseus erzählt dem König der Phäaken seine leidvollen. aber auch lustvollen Abenteuer, beginnend mit dem Kampf gegen den einäugigen Riesen Polyphem. Bergers Auswahl zeigt Odysseus als einen unbestechlichen, erotischen Abenteuern mit Kirke oder Kalypso nicht Abgeneigten, aber nach genossener Lust doch ohne Wehmut Weiterziehenden. Grad so, wie es für einen (griechischen) Helden und (ungetreuen) Ehemann sich schickt. Das Männerbild darf nicht angepatzt werden. Ja, zur Zeit Homers und noch viele Jahrhunderte danach durfte, musste der Mann eben noch ein richtiges Mannbild sein! Da mag so manch eine Zuhörerin geschmunzelt haben! Wenn er gleichsam in einem Handstreich alle Freier besiegt und dann endlich das Bett mit Penelope teilt, schleicht sich da nicht die uralte Sehnsucht nach so einem „Kerl“ in so manches Frauenherz?

Peter Rosmanith macht da nicht mit – er unterläuft dieses Heldenbild. Oft deutlich ironisch die Heldenromantik untermalend, begleitet er mit seinen diversen Percussioninstrumenten die Erzählung. Ein congeniales Paar: Berger – ein sehr sich zurücknehmender Heldenverkünder, Rosmanith ein schlauer, mit Musik das Heldenbild unterlaufender Skeptiker!

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Nathalie Rouanet, Indienrot. Edition Atelier

„Nathalie Rouanet nähert sich Amritas Leben und ihren prägenden Momenten. Sie erzählt von Amritas Kindheit in Budapest und im nordindischen Punjab, von Begegnungen mit ungarischen Roma und deren Einfluss auf ihre Malerei, von Amritas Zeit in Paris, die ihre künstlerische und sexuelle Identität geprägt hat, und von ihren Reisen durch den Subkontinent sowie von ihrem Interesse für alte indische Kunst, die sie mit der Farb- und Formgebung der Pariser Avantgarde kombinierte. Ein schillernder, sprachgewaltiger Roman, in dem sich die Persönlichkeit und die intensiven Farben der Amrita Sher-Gil widerspiegelt“

Obiges Zitat stammt aus dem Verlagstext. Ich führe ihn deshalb an, weil er verführerisch eine interessante Romanbiografie über die unbekannte ungarisch-indische Malerin Amrita Sher -Gil (1913-1941) anpreist. Es stimmt, dass diese mit 28 Jahren verstorbene Künstlerin ein interessantes Leben geführt hat. Sie hat alles ausgekostet: Luxus, Männer, Reisen, Bohemienleben. Eheleben und immer neue Beziehungen sowohl in Paris als auch in Indien. Ihre Bilder sind interessant, einige wenige gibt es noch in großen Galerien in der Welt verstreut zu sehen. Die meisten sind im Familienbesitz. Als eine aufregende Frau, die das Leben auskostete, erscheint sie auch in dem Buch, das sich vielversprechend „Roman“ nennt. Aber dieses Versprechen nicht einhält. Rouanet bedient sich einer Erzählweise, wie man sie in einem Fotoalbum findet könnte. Sie dreht Foto für Foto, manchmal auch Video Seite für Seite um, beschreibt, wer und was darauf zu sehen ist. Diese Methode gerät zu einer Namensaufzählung von vielen Unbekannten, hin und wieder auch Bekannten, wie Nehru, mit dem Amrita eine freundschaftliche Beziehung gehabt haben soll. Alles weist auf ein pralles Künstlerleben hin, aber der Text bleibt eine Flüchtigeitsaufnahme. Schade.

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Historientheater auf Schloss Eckartsau: Liebe und Hass bis zum Tod

Es war einer der seltenen Sommersonnentage im Juli. Schloss Eckartsau, umgeben von üppigen Blumenrabatten und einem ins Unendliche sich verlaufenden Park, empfing die Gäste im strahlenden, fast südllich anmutendem Licht. 1896 erwarb Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich diesen Ort der Ruhe und des Vergnügens – er liebte die Jagd, wie alle Habsburger. Von hier aus schrieb er den langen, entscheidenden Liebesbrief an seine geliebte „Soph“, wie er sie zärtlich nannte. Sie sollten nach langen und nervenaufreibenden Kämpfen gegen den Hof und den Kaiser Franz Joseph am 1. Juli 1900 endlich eine morganatische Ehe schließen dürfen. Von dieser berührenden Liebe erzählt Elisabeth -Joe Harriet in dem Historientheater

Elisabeth-Joe Harriet, Ralph Saml, Batrice Gleichner (v.li nach re) Fotocredit: Katharina Schiffl

Liebe und Hass bis zum Tod

Idee, Text und Regie: Elisabeth-Joe Harriet. Franz Ferdinand: Ralph Saml, Sophie: Beatrice Gleicher, Marie Therese: Elisabeth-Joe Harriet

Auf der Feststiege erwarten die Gastgeber, Erzherzogin Marie Therese (Elisabeth-Joe Harriet), Erzherzog Franz Ferdinand ( Ralph Saml) mit seiner Gattin Sophie (Beatrice Gleicher) ihre zahlreichen Gäste und geleiten sie in den Prunksalon in der Beletage. Marie Therese, die geliebte Stiefmutter Franz Ferdinands, hat das illustre Paar in die Gegenwart geholt und lässt sie ihre Geschichte nochmals erleben. Nach einer kurzen Einleitung teilen sich die Gäste in den beiden anliegenden Räumen auf, wo jeweils Franz Ferdinand und Sophie ihr Leben von der Kindheit an erzählen. Dank einer intensiven Recherche in den diversen Archiven gelang Elisabeth-Joe Harriet eine detaillierte Aufarbeitung derer beider Lebensgeschichten. Ihr Ziel war es, die Lügengeschichten und Intrigen, die sich um dieses tragische Paar ranken, aufzudecken und der Wahrheit ihr Recht zukommen zu lassen. Wahrscheinlich ist es dem reichlich zutage geförderten neuen Fakten geschuldet, dass die Figuren ihr Leben in der Vergangenheit erzählen – wobei die Betonung auf „erzählen“ liegt. Die Autorin wollte und konnte wohl auf keine wichtigen Forschungsergebnisse verzichten. Dadurch entstand manchmal der Eindruck einer historischen Geschichtsstunde. Das Lebendige eines Dialoges hat gefehlt, besonders in der Vita Franz Ferdinands. All seine verschiedenen Stationen von der Kindheit bis zur Militärzeit und seine mühsam erkämpfte Eheerlaubnis werden penibel aufgezählt. Beatrice Gleicher als Sophie hatte den wesentlich interessanteren Part über: Nach einer glücklichen Kindheit musste sie sich als Hofdame bei einer nervigen Erzherzogin verdingen. Sie musste lange auf die ersehnte Eheerlaubnis warten. Und es scheint so, als ob Franz Ferdinand auch kein Kostverächter gewesen war: Weil Sophie zu vorehelichem Sex nicht bereit war, holte sich Franz Ferdinand, was er brauchte, bei einer Geliebten. Etwas wehleidig erklärte er ihr in einem Brief , wie sehr es ihn schmerzte, diese Geliebte auf Wunsch Sophies (oder Befehl?)aufgegeben zu haben. Den Brief als Teilfaksimile und in Transskription erhielten die p.t. Gäste als Abschiedsgeschenk mit auf den Weg.

Foto: Silvia Matras

Darin heißt es unter anderem: „Jetzt ist es ganz aus mit ihr (der Geliebten). Soph, jetzt habe ich noch um ein Herz weniger auf der Welt, das Interesse für mich hat, noch um einen Menschen mehr, dem ich nicht sympathisch bin: der jetzt wohl recht über mich schimpfen wird.“ Also müsse sie sich enger an ihn schließen und „alle anderen Leute ersetzen“. Einen Anspruch an sie, den sie ganz und gar gerne tat. Wie Soph` in ihrer Lebenserzählung mit Charme und Humor berichtet.

Nach Ende der Vorstellung bei den Klängen der Eckartsauer Jagdhornbläser und einer Einladung zu einem habsburgtypischen Jagdimbiss (Schnaps und Wildwürstel) genießen einige Gäste noch im idyllischen Café die hausgemachten Torten oder sie spazieren durch den Gartenpark, in dem man sich in Stille und Einsamkeit verlieren kann.

http://www.elisabeth-joe-harriet.com und http://www.schlosseckartsau.at

Grafenegg: Das Ensemble der Grafenegg Academy: Klangwunder

Prélude: Ensembles der Grafenegg Academy

(18h im Auditorium)

13 Bläser spielten Richard Strauss: Serenade für 13 Blasinstrumente Es Dur, danach präsentierte ein Schlagwerkquartett „Tinplay“ von Per Andreasson mit einem Trommelregen, wie ein Ritt über den Bodensee. Als 3. Stück: Arnold Schönberg: Verklärte Nacht , gespielt von dem Streichorchester des Ensembles. Alle Stücke wurden ohne Dirigenten gespielt – eine besondere Glanzleistung des Ensembles.

Abendkonzert im Wolkenturm: Felix Mendelssohn Bartholdy: Hebriden Ouvertüre

1829 unternahm Mendelssohn Bartholdy eine achtmonatige Bildungsreise durch Schottland. Einer der Höhepunkte war der Besuch der Inselgruppe der Hebriden, besonders die Fingalshöhle auf der Insel Staffa. Dieses Erlebnis setzte der Komponist in einer versierten Form der Programmmusik um: Man hört den Sturm, die Wellen, die an die Schiffswand schlagen. Dazu zwitscherte der Zilpzalp aus den Bäumen ringsum um den Wolkenturm sein Abendlied: zilp, zilp, zilp…

Jörg Widmann: Violinkonzert Nr. 2 (2018), der virtuosen Schwester zugeeignet. Dirigent: Jörg Widmann

Danach war es aus mit Romantik: Widmanns Komposition – gespielt von seiner wahrhaft virtuosen Schwester Carolin Widmann – war eine Suche nach den Möglichkeiten und Grenzen eines Instrumentes -nämlich der Geige. Was die Guadagnini Violine aus dem Jahre 1782 nicht alles aushielt: Sie wurde geklopft, gezupft, sie musste Grunzlaute, Knarren eine Holzleiste und andere seltsame Geräusche erzeugen, dann wieder gab sie fast liebliche Töne von sich. Aber immer nur in einem kurzen Aufflackern. Welch ein wunderliches Werk!

Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92 (1811/12)

Nach der Pause musste der Großmeister der Klassik die Gemüter beruhigen. Jörg Widmann dirigierte Beethovens Siebente recht zackig, rasant und arbeitete besonders die Kontraste heraus. Die Symphonie beginnt romantisch, die Streicher sind Bogenführer. Widmann lässt sie spielen, ohne zu dirigieren. Das ist wohl als eine verdiente Ehrung an die jungen, sehr engagierten Musiker der „Grafenegg Academy“ zu verstehen. Doch es ist die Ruhe vor dem Sturm. Denn bald danach jagt Widmann die Musiker hektisch durch die Komposition, hüpft und tanzt wie ein Dirigententeufelchen auf dem Pult auf und ab, um in einer ungewöhnlich heftigen Steigerung zu enden.

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Festspiele Reichenau: Yasmina Reza: DER GOTT DES GEMETZELS

Regie: Philipp Hauß, Bühne: Thea Hoffmann-Asthelm, Kostüme: Atil Kutoglu

Zugegeben: Für den Regisseur Philipp Hauß kein leichtes Unterfangen! Das Burgtheater lieferte 2007 mit Maria Happel und Roland Koch als Véronique und Michel und mit Christiane von Poelnitz und Joachim Meyerhoff als Annette und Alain eine steile, sehr intelligente und Wortspitzen sprühende Vorgabe! Und Roman Polanski fuhr mit Christoph Waltz, Kate Winslet, Judie Foster und John C. Reilly einen riesigen Filmerfolg ein!

Diese Vorgaben wollte Philipp Hauß wohl toppen. Aber mit welchen Mitteln? Die Übertreibung der Übertreibung? Das geht meist schief. Aber Hauß hat dennoch auf diese Wirkung gesetzt – und gewonnen. Denn das Publikum hat gejohlt, als wäre es beim Boxkampf am Heumarkt. Irgendwie glich das Gemetzel auf der Bühne eher einem Körperakrobatikakt mit Schreieffekt als einer Auseinandersetzung. Da nahm Veronique ihren Ehegespons in den Schwitzkasten und schrie sich die Kehle aus (wird Maria Köstlinger am nächsten Tag noch intakte Stimmbänder haben??). Da kriechen Annette (Lilith Häßle) und Alain (Tim Werths) in der Speibe herum etc…Klar Yasmina Reza geht mit den bürgerlichen Spießern – und gemeint sind wir alle, nur merken wir es nicht – nicht zimperlich um. Jeder bekommt sein Fett oder Gespiebenes weg. Aber die Kunst einer gelungenen Komödie gelingt in der langsamen Steigerung. Das fehlte. Aus der hitzigen Diskussion entstand ein Dauergeschrei, aus dem man nur mit Mühe einzelne Wortfetzen verstand.

Maria Köstlinger spielte die arrogant sich aufspielende Pseudointellektuelle zu Beginn ganz ausgezeichnet, hatte glasklare Argumente vorbereitet, warum ihrem Sohn großes Unrecht widerfahren sei. Zugleich spielte sie die Verständnisvolle: Alles könne geklärt werden, man müsse nur darüber reden! Modesätze und Banalitäten fielen. Bis sie in ein ununterbrochenes Schreiduell mit Ehemann und geladenen Gegnern fiel.. Michel, ihr Ehemann (Juergen Maurer) war ein richtiger Duckmäuser, dem erst nach und nach ein Licht über seine „Helikopterehefrau“ aufging. Die Gäste: Tim Werths haspelte als nervöser Anwalt irgendwelche Befehle ins Handy. Seine Ehefrau (Lilith Häßle) hatte kein anderes Mittel, sich durchzusetzen als zu kotzen. Ihr fiel es zu, den Pseudoargumenten und der Scheintoleranz die Maske abzureißen und der elenden Veranstaltung ein Ende zu setzen: Sie schleuderte das Handy in die Blumenvase, die Tulpen durch die Gegend und zerfetzte die Tablebücher, wie Kokoschka und Co . Ein gekonnter Abgesang.

Dem Premièrenpublikum gefiel es ausgezeichnet!

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Festspiele Reichenau: Shakespeare – EIN SOMMERNACHTSTRAUM

Regie: Maria Happel, Bühne Alexandra Burgstaller, Kostüme: Erika Navas, Musik: Helmut Thomas Stippich

Endlich wieder im Südbahnhotel! Man betritt diese alte Hütte, wie es liebevoll genannt wird, mit vielen Erinnerungen an intensive Theatererlebnisse. Nun also „Der Sommernachtstraum“ – Maria Happel hätte dafür keine bessere Kulisse finden können. Es braucht kein Bühnenbild, das Hotel ist ein idealer Rahmen, den die Regisseurin geschickt mitinszeniert.

Langsam mischten sich unter das Publikum die ersten Spielfiguren – hübsche Zimmermädels richteten Vorhänge, staubten Möbel ab, Handwerker mit Helmen werkelten an imaginären Geräten. Dann schritt ein eleganter Poet mit Hut und Spazierstock (Martin Schwab) durch das Publikum, begann eine Rede auf Shakespeare und die Poesie zu halten, wogegen ein junger Spund (Ludwig Blochberger) dagegen wetterte und die neue Zeit mit Wellness und Golf ausrief. Auch das Jungvolk der Komödie warf sich in die Menge, begann zu streiten – man war mitten im „Sommernachtstraum“. So vorbereitet wurde das Publikum in den ersten Stock gebeten und das Spiel begann. Zwist herrscht – bei den „Oberen“ und bei den Jungen. Ein Weiser lenkt mit Güte und List (Niccolas Brieger als Theseus und Oberon) die Geschicke. Lässt Puck (Ludwig Blomberger) seinen nächtilichen Unfug treiben und Hippolyta (Barbara Petritsch) im Schlaf einen Esel lieben, um am Ende alle aus ihren nächtlichen Verwirrungen zu erlösen. Es darf Hochzeit gefeiert werden, die Handwerker dürfen ihr lang geprobtes Spiel „Pyramus und Thisbe“ aufführen.

Der „Sommernachtstraum“ ist längst ein altbekannter Hit für Amateure und solche, die sich im Theater erproben wollen, geworden. Maria Happel beweist Mut, dem Stück noch neue Seiten abzugewinnen – was ihr durchaus gelingt. Zuerst durch die Wahl der Schauspieler: den Erfahrenen (Barbara Petritsch, Nicolas Brieger und André Pohl) stellt sie die Jungen, weniger Bekannten gegenüber und erreicht dadurch eine starke Spannung. Einer der Höhepunkte ist die „Liebesszene“ zwischen Zettel (Sebastian Wendelin) und Hippolyta (Barbara Petritsch): die beiden liefern eine geballte Ladung an Witz und Leidenschaft ohne auch nur einen Hauch von Peinlichkeit. Erfahrung paarte sich mit jugendlichem Ungestüm. Die Handwerksszene wurde mit so viel Freude am Spiel ausagiert, dass man sich köstlich amüsierte, obwohl wahrscheinlich viele aus der Erinnerung an ihr Schultheater schon mitbeten konnten. André Pohl war ein souveräner Squenz, Florian Carove eine patscherte Thisbe, Helmuth Bohatsch eine stoische Wand, Jakob Semotan ein scheuer Löwe, dem das Brüllen nicht gelingen will, und Paul Basonga ein beflissener Mond. Sie alle spielten in der Montur eines heutigen Handwerkers. In ihrer unbeholfenen Kostümierung erzielten sie zusätzliche Komikeffekte.

Das verwirrende Liebespiel zwischen Lysander (Sebastian Egger) , Hermia (Laura Dittmann), Demetrius (Johannes Deckenbach) und Helena (Pia Zimmermann) war erfrischend frech, aber etwas zu hektisch – sie rannten vom Saal auf die Terrasse rein und raus, rein und raus. Das nahm dem Spiel viel an Poesie. Dafür war das Gefolge der Titania zuständig. Sie kamen hereingeschwebt, ganz unverstellt als Feen erkennbar (Kostüme: ERika Navas) und sorgten für Zusatzmärchenatmosphäre.

Drahtzieher des Ganzen war Oberon alias Theseus, von Nicolas Brieger souverän gespielt. Er zuckerte das ganze Märchengeschehen mit seinem feinen Lächeln über all das bunte Treiben, das er veranlasst hatte. Oder besser, das er durch Puck inszenieren ließ. Ludwig Blochberger war ein sportlicher, agiler Puck, ganz ohne Bosheit, eher der gschusselige Diener, der halt manchmal wesentliche Befehle falsch ausführte. Insgesamt eine frische Inszenierung, die in diesem Ambiente ein leichte Spiel hatte!

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Festspiele Reichenau: Joseph Kesselring, ARSEN UND SPITZENHÄUBCHEN

Regie: Roland Koch, Bühne Thea Hoffmann-Axthelm, Kostüme: Katharina Heistinger

Sollten Sie, lieber Leser dieser Zeilen, den gleichnamigen Schwarzweißfilm aus dem Jahr 1944 unter der Regie von Frank Capra in Erinnerung haben, dann vergessen Sie ihn möglichst schnell. Denn aus der klugen und skurrilen, pechschwarzen Komödie machte der Regisseur Roland Koch einen heiteren Klamauk, der sich ziemlich in die Länge zieht. Thea Hoffmann-Axthelm schuf eine praktikable Bühne mit in der Mitte hochgehenden Treppen, sodass auch Zuschauer aus den hinteren Reihen das Geschehen gut mitbekommen. Links am Rand die Truhe mit der jeweiligen Leiche, rechts Tisch und Sessel bilden den Rahmen für ein „Feuerwerk der Absurditäten“. Im Einzelnen sind die Ideen ja witzig – etwa die Rolle Paula Nockers als ewige Braut Elaine oder Elias Eilinghoff als Teddy Brewster, der sich für Präsident Roosevelt hält. Ganz besonders nett und voller Komik in ihrer resoluten Zartheit: Therese Affolter als Abby Brewster. Elisabeth Augustin als zweite Mordende wirkt neben ihr eher unspektakulär. Claudius von Stolzmann bemüht sich redlich, die Rolle des vernünftigen Theaterkritikers mit Komik zu füllen.

Das durch Film und zahlreiche Theateraufführungen bekannte Stück läuft ziemlich zäh ab, die häufig sich wiederholenden Gags ermüden. Eher peinlich gruselig ist die Rolle des Jonathan Brewster (Stefan Jürgens). Der mordende Psychopath wirkt, als wäre er als Frankenstein aus dem Sarg entstiegen. Durch oft zu krasse Überzeichnung geht der Effekt des Komischen verloren. Was auch mit der Rolle des Lieutnant Rooney (Niko Lukic) passiert ist: Warum muss er eine Art Mephisto- oder Fledermausmaske tragen? Warum stolpern und fliegen fast alle Schauspieler die Treppe herunter – einmal ist das lustig, beim dritten Mal verdreht man die Augen oder schließt sie und entschlummert.

Aber: Dem Publikum gefiel es. Zumindest dem Premièrenpublikum. Da gab es eine Clique, die jeden Gag brav belachte. Der Applaus fiel auch recht ordentlich aus.

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Festspiele Reichenau: Joseph Roth, HIOB

Regie: Alexandra Liedtke. Bühne und Kostüme: Johanna Lakner. Dramaturgie: Angelika Messner. Musik: Aliosha Biz

Mit „HIOB“ wird die diesährige Festspielsaison in Reichenau eröffnet. Gleich vorweg: Die Latte wird durch diese Première für alle folgenden Stücke sehr hoch gesteckt. Denn man erlebt eine der selten gewordenen Theaterabende, die im Gedächtnis bleiben werden. Lange, noch nach vielen Jahren wird man sich erinnern, besonders an einen ganz großen Darsteller, der als Mendel Singer alles gab, bis zur Erschöpfung diese Figur durchlitt – an Joseph Lorenz! Schmerzlich musste ihn das Publikum die letzten Jahre in Reichenau vermissen. Jetzt ist er zurückgekehrt und begeisterte alle!

Doch vom Anfang an! Gleich zu Beginn kam die traurige Ansage, dass sich Wolfgang Hübsch bei der Generalprobe verletzt hatte und daher ausfiel. Seine Rollen las die Regisseurin Alexandra Liedtke aus dem Textbuch, was sich gut in das Spielgeschehen einfügte. Denn Liedtke hat sich gemeinsam mit dem Team entschieden, möglichst viel von der Originalsprache Roths beizubehalten. Und so entstand im ersten Teil eine gelungene Mischung aus gelesenen „Zitaten“ und dramatisierten Dialogen nahe am Text. Eine Vorgangsweise, die erfahrene „Reichenauer“ aus den früheren Matinéen kennen, die hauptsächlich von Lorenz gestaltet wurden – zum Beispiel „Amok“ von Stefan Zweig.

Nach einem kurzen Lesung aus Roths Brief aus dem Jahr 1930, in dem er über die schwierigen Zeiten und seine innere Zerrissenheit klagt, glitt Lorenz übergangslos in die Rolle des Mendel Singer, wurde zum Lehrer der kleinen jüdischen Gemeinde irgendwo in Galizien, der versucht die Menschen und das Leben aus der Tiefe seines Glaubens zu verstehen. Seine Frau Deborah (Julia Stemberger ganz die jüdische Mutter!) ist für die Bürden des Alltags zuständig und erträgt die Versponnnehnheit ihres Ehemannes mit Fassung. Sie schützt den schwer behinderten Sohn Menuchim vor Spott und Angriffen, sie liebt ihn mehr als ihre anderen Kinder. In diese Scheinidylle bricht das Unglück herein: Krieg kündigt sich an. Sohn Jonas (Alex Kapl) meldet sich zu den Soldaten, Sohn Schemarjah (Gregor Schulz) flieht über die Grenze, Tochter Mirjam treibt sich mit Burschen im Korn herum. All das wird im Schnelltempo, den Kapiteln des Romans folgend, erzählt, teils zitiert und/oder gelesen. Dadurch entsteht so etwas wie ein Brechtscher Verfremdungseffekt – das Publikum bleibt in Distanz zur Handlung. Erst als Lorenz als Mendel Singer in die „Rolle einsteigt“, nimmt man Anteil. Das geschieht, als Mendel Singer seinen stummen Sohn Menuchim ( der durch das Symbol eines Kinderpullovers dargestellt wird, was jedoch genau in dieser Szene störend wirkt) verzweifelt umarmt und Gott anfleht, ihn dieses Kind lieben zu lehren.

Im zweiten Teil (in Amerika) übernimmt Lorenz als Mendel die Bühne, die distanzierte Form der „Lesung“ und Zitate wird durch hochdramatisches Theater im engsten Sinn abgelöst. Deborah stirbt aus Schock und Kummer über den Tod ihres Sohnes Jonas. Als auch noch Schemarjah – der jetzt Sam genannt wird- im Krieg stirbt und die Tochter in eine Nervenheilanstalt eingeliefert werden muss – da bricht Mendels Gottvertrauen zusammen. Wie gelingt es Lorenz auf der Bühne ganz ohne äußere Hilfmittel vom noch rüstigen Mendel zum alten, gebrochenen Mann zu werden?? Mit welcher Intensität er seinem Gott das Vertrauen und den Gehorsam aufkündigt – das gehört zu den ganz großen Momenten des Theaters. Er rast, wütet, schreit seinen hilflosen Zorn gegen einen leeren Himmel und bricht zu einem fast leblsoen Bündel zusammen. Bis das große Wunder geschieht – der kranke Sohn Menuchim (ebenfalls Gregor Schulz) ist zu einem berühmten Musiker geworden. Vater und Sohn finden zueinander. Die Begegnung zwischen den beiden ist vollkommen kitschfrei, aber mit tiefer Emotionalität gespielt. Jospeh Lorenz traut sich bis an die Grenzen der inneren Gefühle wie Freude, Liebe und kindliches Wundern schauspielerisch vorzudringen. Danach Stille, bis das Publikum in Jubel und Beifall ausbricht, wohl auch, um die eigene Rührung zu kaschieren. Voller Erfolg auch für die jungen Darsteller Katharina Lorenz als Mirjam, Alex Kapl als Jonas (und zwei weiteren Rollen) und Greor Schulz als Schemarjah und Menuchim.

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Margret Greiner,“ In mir tobt und brodelt stets etwas Gefährliches“. Das Leben der Elsa Asenijeff

Elsa Asenijeff (1867-1941) ist eine in Vergessenheit geratene Schriftstellerin, die sich in der männerdominierten Literatur während der Jahrhundertwende und danach mit starkem Willen und Pathos für die Rechte der Frauen im Allgemeinen, im Speziellen für ein lustbetontes Leben, wie es sich Frauen vorstellen und wünschen, einsetzte. Einst als Grande Dame, Literatin und Lebensgefährtin des Bildhauers Max Klinger in Leipziger Künstlerkreisen und darüber hinaus geschätzt, verehrt – besonders von den Männern – wird sie im Alter verspottet und stirbt völlig vergessen, verarmt in Nervenheilanstalten dahinvegetierend, immer aber hell wach und schreibend bis an ihr trauriges Lebenende.

Margret Greiner gibt dieser Kämpferin die ihr gebührende Aufmerksamkeit zurück. Ob sie ihr auch den Platz in der Literatur durch dieses Buch wird sichern können, ist fraglich. Denn Elsa Asenijeffs Sprache ist pathosprall, oft auch schwülstig, und ihre alle Männer umfassende Verachtung – zumindest bis sie Max Klinger kennen lernt – ist nicht immer nachvollziehbar. Sie mochte nicht unter der finanziellen und gesellschaftlichen „Fuchtl“ ihres im Grunde sehr toleranten Ehemanns leben. Sie wollte studieren. Und so siedelt sie von dem Ehenest in Sofia nach Leipzig in die Freiheit, wie sie immer wieder jubelnd schreibt. Obwohl um die Jahrhundertwende Frauen an der Uni nur als Gasthörerinnen gestattet waren, gelingt es ihr bald, durch ihre Intelligenz, Diskussionsfreude und letztlich auch durch ihre aufmüpfigen Schriften die Aufmerksamkeit der Intelligenzia von Leipzig zu erregen. Ihre fast orientalisch antmutende Schönheit (das Titelbild wird ihr offensichtlich nicht gerecht, im Bandinneren gibt es leider keine Fotos) erregt Aufsehen und zugleich Unmut bei den bürgerlichen Schichten. Doch unbeirrt schreibt sie, veröffentlicht und hält Lesungen vor einem begeisterten Publikum. Ihre Geschichten und Gedichte drehen sich immer um Frauen, die in Unterwerfung leben, aber von einem Leben in Unabhängigkeit träumen. Ihre Forderung, Frauen sollten gänzlich die Sexualität ablehnen, ist mehr eine Kampfparole als gelebte Wirklichkeit. Denn kaum kommt der reiche Traumprinz in Person des damals berühmten und gut verdienenden Bildhauers Max Klinger, wirft sie all ihre Vorsätze über Bord. Die beiden werden über 15 Jahre lang ein Paar, das Traumpaar in der Leipziger Künstlerriege. Und nicht nur dort. Klingers Ruf reicht bis Frankreich und Italien. Sie wird sein Modell, seine Muse, seine Trösterin in depressiven Tagen, seine Kritikerin, nie aber seine Ehefrau. Der Traum hat nur einen Widerhaken: Sie ist finanziell von ihm abhängig und wirft sein Geld, das er ihr reichlich gibt, für unnötigen Luxus hinaus. Als sie von ihm ein Kind bekommt, ist er nicht bereit für die Ehe. Sie überlässt das Mädchen einer Französin und lebt ihr Leben mit dem Strahlemann Klinger als Strahlefrau weiter. Bis eines Tages eine ganz Junge ihr den Platz an Klingers Seite streitig macht. Der Geldstrom wird abgedreht, Krieg und Not sind ihre Begleiter. Die Schönheit vergeht, sie wird delogiert, ihre Habe gepfändet. Aber selbst in der Nervenheilanstalt gibt sie nicht auf, schreibt gegen den aufkommenden zweiten Weltkrieg an, warnt unermüdlich. Ihr einsamer Tod berührt sehr.

Als Leserin ist es nicht immer leicht gewesen, diese Frau in ihrer exaltierten Sprache und ihrem theatralischen Auftreten zu lieben. Erst als sie in Not lebt, kämpft und kämpft, wird sie zu „der Elsa Asenijeff“: Kraftvoll, wenn auch oft kraftlos, mutig, wenn auch oft mutlos, in der Sprache präziser, härter, treffender. Pathos und Kitsch fallen ab.

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Tammy Armstrong: Pearly Everlasting. Diogenes Verlag

Aus dem kanadischen Englisch von Peter Torberg.

Bücher über Bären sind gerade en vogue. In „An das Wilde glauben“ beschreibt die Naturforscherin ihren Kampf mit dem Bären, der sie im Gesicht schwer verletzt hatte. Dass sie ihre Forschungen trotz dieser Verletzungen nicht aufgibt, ist die Botschaft dieses spannend geschriebenen Buches. ( Verlag Matthes und Seitz -s. auch die Rezension auf dieser Webseite) Auch wissenschaftslastig, aber verquickt mit einigen persönlichen Schicksalen schreibt Clara Arnaud über eine Bärin, die den Schäfern das Leben schwer macht, und über das Schicksal eines kleinen Bären, der in den Staaten als Tanzbär kläglich endet: „Im Tal der Bärin“, Kunstmann Verlag -s. Rezension auf dieser Webseite

Beide Bücher sind spannend und geben Einblick in das Leben der Bären in der Wildnnis und im Zusammenleben mit Menschen. So auch Tammy Armstrongs Geschichte.

Die Autorin widmet das Buch allen „Bärenflüsterern, die sich, allen Widrigkeiten zum Trotz, ihre Zuversicht bewahren“.

Pearly Everlasting (zu Deutsch: Silberimmortelle) wird zeitgleich mit einem Bären geboren. Sie in einem Holzfällercamp im Norden Canadas, der Bär wird von ihrem Vater in einer Höhle, von der Mutter verlassen, entdeckt und nach Hause gebracht. Seine Frau zieht nun beide auf, so wird Bruno, wie sie den Bären nennen, ihr Bruder, Spielgefährte. Als Schwarzbär gehört er zu den kleinen Bären. Deshalb kann er inmitten der Familie leben und verbringt mit Pearly Everlasting die Kindheit und Jugend. Bis er eines Tages spurlos verschwunden ist. Pearly macht sich mitten im Winter, in Kälte, Schnee und Sturm auf die Suche nach ihm. Was sie dabei alles durchsteht, übersteht, füllt den Großteil des Romans. Durchaus spannend. Eine Warnung sei abgesetzt: Wer es nicht so mit Schnee und Kälte hat, der möge den Roman entweder beim Kaminfeuer oder in der Sommerhitze lesen. Denn die intensive Beschreibung der gefährlichen Abenteuer mitten im tiefsten Wald, im Sturrm und Schneetreiben ist nur schwer auszuhalten. Leicht überträgt sich die Kälte auf den Leser.

Tammy Armstrong, im Stil geschult durch ihr Studium des „Creative Writing“, schreibt eine junge, flotte Feder, die auch Stil- und Grammatikbrüche ganz bewusst einsetzt. Obwohl Pearly Everlasting ihren brüderlichen Spielgefährten über alles liebt, hegt und pflegt, vermenschlicht die Autorin ihn nicht. Er ist und bleibt ein Bär, der zwar Menschennähe gewohnt ist, aber nicht menschlich interpretierbar handelt. Trotz der Spannung, die Tammy Armstrong im Roman aufbauen kann, kommt es da und dort zu gewissen Längen – immer dann, wenn sie allzu oft die Kälte, den Schnee, die Geister der Natur beschwört. Etwas weniger oft über Kälte und Schneesturm erzählen, hätte auch genügt. Insgesamt aber zählt dieser Roman zu den durchaus interessanten Texten über Bären.

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Theater Scala: Martin Walser, In Goethes Hand

Inszenierung: Bruno Max, Bühne: Robert Notsch, Kostüm: Anna Pollack

Goethe in seinem letzten Lebensjahrzehnt weiß sich aller Herzen zu bedienen, sie für seinen Ruhm – auch den in der Nachwelt – einzusetzen. So auch den kreuzbraven und über Goethes Tod hinaus treu ergebenen Eckermann. Darüber schrieb Martin Walser seine satirische Komödie, in der Goethes Eitelkeit und Empathielosigkeit aufgeblättert wird. Damals, in den 70er Jahren, waren die Goetheverehrer empört über das Stück, heute sieht man mit Schmunzeln zu, wie der eitle alte Mann sich lächerlich macht. Der Sympathieträger ist allemal Johann Peter Eckermann.

Bruno Max inszeniert „In Goethes Hand“ ganz nach dem Titel – Eckermann und viele andere aus der Umgebung des Genies sind in Goethes Hand. Manche gehen daran zugrunde, wie der Sohn August, der sich zu Tode säuft, manche sehen vor lauter Bewunderung nicht, wie sie ausgenützt werden. Das Ensemble ist ganz wunderbar besetzt, fast sind die einzelnen Figuren ihren Vorbildern aus dem Gesicht geschnitten. So ist Hans Jürgen Bertram ein Goethe, wie er nicht wahrhaftiger sein könnte: Sprachlich gewollt pathetisch bis zur Lächerlichkeit, mit leichtem Anklang ins Senile. Im Gehabe ganz der Geniale, der nach Bewunderung heischt. Randolf Destaller ist Eckermann durch und durch: Man nimmt ihm die übertriebene Verehrung ab, die er dem Dichterfürsten entgegenbringt, möchte ihm zurufen: Jetzt red schon, sag ihm deine Meinung, verlang endlich ein Salär, von dem du leben kannst! Nix davon tut er, lässt sich mit alten Jagdbogen abspeisen und lässt seine Verlobte Hannchen 12 Jahre auf die Heirat warten. Eva Maria Scholz ist ein klarsichtiges, kluges Hannchen, die ihrem Johann gehörig die Leviten liest. Selbst die Nebenrollen sind glamourös besetzt. Köstlich etwa die Szene, als sich der eitle Alte zwei junge Adorantinnen anlacht: Gustchen Kladzig (spitzbübisch: Lisa Caroline Nemec) und das vor Bewunderung in Dauerohnmacht fallende Dummchen Gertrude (Katharine Krause). In deren Mitte der satt genießende Goehte auf einer Gartenbank! Berührend die Szene, in der Eckermann dem Toten eine Locke abschneidet und in Erinnerungen schwelgt. Dabei weiß er nicht, wovon er in Zukunft leben wird. Tatsächlich soll er ja bettelarm gestorben sein. Es gibt schon Personen, die sich ihm widersetzen, etwa die resche Schwiegertochter Ottilie (Johanna Rehm). Sie weiß sehr gut die Rolle der Dame des Hauses zu spielen und den Ruhm ihres Schwiegervaters zu nützen.

Man steigt einen Abend lang in die Zeit Goethes zurück – kann sein Wissen über die Personen um ihn auffrischen. Unterstützt wird diese „Rückführung“ durch ein geschicktes Bühnenbild (Drehbühne von Robert Notsch) mit einigen wenigen in die Zeit passenden Möbeln und durch Kostüme (Anna Pollack), die ebenfalls die Zeit zitieren. Ein Tipp für die Besucher: Im sehr informativen Programmheft sind alle historischen Personen aufgelistet und charakterisiert – praktisch als Auffrischung! Außerdem schrieb Bruno Max eine kurze, griffige Einleitung zum Stück und zur Person Martin Walser.

http://www.theaterzumfuerchten.at

Wiener Staatsballett: „mahler, live“

„live“. Ein Videoballett. Verschiedene Musikstücke von Franz Liszt. Choreographie: Hans van Manen. Kostüme: Keso Dekker. Licht: Bert Dalhuysen.

Mit Olga Esina und Marcos Menha, Kamera Balázs Delbo. KLavier Shino Takizawa. Titelfoto: Olga Esina © Ashley Taylor/Wiener Staatsballett.

Diese Choreographie aus den späten 70er Jahren gilt als das „Signaturwerk“ von Hans van Manen und fasziniert heute genau noch so wie vor Jahren. Mit „live“ geht Hans van Manen zurück in die 1970er Jahre, als die Videotechnik das Theater eroberte. Das Ballett „live“ ist ein spannender Dialog zwischen einer Tänzerin (Olga Esina) und dem Kameramann Balácz Delbò, einem ehemaligen Tänzer der Wiener Staatsoper, jetzt Kameramann. Er filmt auf der Bühne „live“ die Tänzerin, folgt ihren Bewegungen, zeigt ihr Gesicht in Großformat, lenkt den Blick der Zuseher auf Details wie Beinarbeit oder die Bewegungen der Hände. Sie trägt ein rotes Kostüm, tanzt vor schwarzem Hintergrund, In der Videoprojektion erscheint sie in Schwarz-Weiß. Es entsteht ein Spiel zwischen Realität und Schein (Video), einmal ist dieTänzerin auf der Bühne realer, packender, dann wieder verschwindet sie in die Irrealität des Bildes. Als ein Tänzer (Marcos Menha) die Bühne betritt, entwickelt sich eine kurze Geschichte des Abschiedes. Sie tanzen aufeinander zu, trennen sich. Die Tänzerin verlässt die Bühne und betritt die Gänge der Oper – nur mehr auf Video zu sehen. In den Gängen setzt sich die Auseinandersetzung des Paares fort. Nach einer Annäherung folgt die Trennung. Die Tänzerin verlässt die Oper und geht auf die Straße hinaus. Olga Esina tanzt konzentriert, kühl, aber dennoch geht von ihr eine starke Faszination aus, die sie in der Begegnung mit dem Mann (Marcos Menha) durch Annäherung bis zur gänzlichen Ablehnung auslebt.

Ein spannender Auftakt! Und der pure Kontrast zu dem 2. Teil des Abends,

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Mahler Symphonie Nr.4. Choreographie: Martin Schläpfer. Dirigent: Patrick Lange. Bühne: Florian Etti. Kostüme: Catherine Voeffray. Licht: Thomas Diek

Martin Schläpfer setzte das gesamte Ballettensemble ein und schuf so eine großartige Interpretation der 4. Symphonie Gustav Mahlers. Unter dem Dirigat von Patrick Lange entfaltete sich die ganze Schönheit dieses Werkes: Einmal wirbelten die Elevinnen und Eleven wie Kobolde über die Bühne und ließen den Humor Mahlers und Schläpfers aufblitzen, dann wieder kamen Paare mit berührenden Pas de deux-Szenen, die dem heiteren Treiben eine ernste Note entgegensetzten. Ein Höhepunkt war das Adagio. Zu Beginn tanzen Männer ohne Musik, vielleicht zitiert Schläpfer Thomas Manns „Tod in Venedig“. Bilder von Viscontis Filmversion steigen auf …dann leitet ein wunderbarer Pas de deux die Stimmung des Adagio ein. In den folgenden Bildern lässt Schläpfer den Zuseher in die Schwermut Mahlers versinken, verstärkt durch die traumhafte Lichtregie (Thomas Diek). Von oben senkt sich ein Lichtdreieck mit einem Stab, dessen Muster aus dem Jugenstilrepertoire entnommen ist – eine feine Anspielung an die Entstehungszeit. Der 4. Satz ist die Vertonung eines Volksliedes aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“: „Wir genießen die himmlischen Freuden“ singt Florina Ilie mit ihrem wunderbaren Sopran. Das ganze Ensemble tanzt zu dieser Melodie der puren Lebensfreude!!!

http://www.wiener-staatsballett.at

Liz Moore: Der Gott des Waldes. C.H.Beck Verlag

Aus dem Englischen von Cornelius Hartz

Stephen Kings Urteil über das Buch ist auf dem Cover eingeblendet: „Von Anfang an ist es schwer, diesen langen Roman aus der Hand zu legen. Ab Seite 200…unmöglich.“ Daneben klebt der bekannte rote Aufkleber: Spiegel Bestseller. Auf der Coverrückseite findet man Kaufempfehlungen aller Art, etwa „Irre spannend und fesselnd“. Und zuguter Letzt der Hinweis: „Auf Barack Obamas Summer Reading List“ und „New York Times-Bestseller“e.

Wer kann bei so viel enthusiastischem Lob das Buch ungekauft – und daher ungelesen – auf den Ladentisch zurücklegen? Kaum jemand, es sei denn einer, der ahnt oder weiß: Soviele Vorschusslorbeeren sind ein Schuss, der nach hinten losgeht. Und so ist es auch!:

Zunächst der Inhalt in knappster Form:

In einer gottverlassenen Gegend in den Adirondack Mountains in Nordamerika (mit ausführlicher Karte der Gegend) hat die reiche Familie Van Laars ein Feriencamp für Kids von superreichen Eltern, die ihre Kinder gerne sicher, aber teuer in den Ferien in solche Camps abschieben, errichtet. Gleich zu Beginn der Geschichte verschwindet jedoch ein Mädchen, ausgerechnet die verwöhnte und ziemlich verhaltensgestörte Tochter der Besitzerfamilie. In der Vergangenheit gab es einen ähnlichen schweren Vorfall: es verschwand der kleine Sohn Bear ebenderselben Familie.

Auf 588 Seiten erzählt Liz Moore von der Suche nach diesen beiden Kindern, wobei sie in jedem Kapitel zwischen dem lang zurückliegenden Geschehen (von 1950 bis 1975) und der Gegenwart hin- und herswitcht, was die Spannung sehr mindert, sogar bis auf Null reduziert. Dazu kommen noch eine Unzahl von Personen, die aufgrund der kurzen Kapitel nicht wirklich gut charakterisiert werden. Es kommt bis S 200 nicht einmal die leiseste Spannung auf. Die einzige Spannung, die den Leser bei der Stange hält, besteht darin, dass er – der Leser – darauf wartet, dass es endlich spannend wird. Die Frage, wer nun der Gott des Waldes ist, bleibt unbeantwortet. Auf jeden Fall ein Titel, der viel verspricht und das Versprechen nicht einlöst.

Fazit: Der Leser ist wieder einmal durch geschicktes Marketing getäuscht worden.

Zur Zeit interessiert das Thema „Ferienlager“ für verwöhnte Kids auch eine andere Schriftstellerin. Hannah Richell beschreibt in ihrem Thiller „Das Wochenende“ (Rowohlt Verlag) eine sehr ähnliche Geschichte. Im Ferienlager in einer verlassenen Gegend in Cornwall verschwinden zwei Kinder. Auch hier agieren zahlreiche Personen, aber es gibt eine informative Personenübersicht. Und ähnlich wie im „Gott des Waldes“ eine ausführliche gezeichtnete Karte der Gegend. Die beiden Plots haben viel Ähnlichkeit, mit dem großen Unterschied, dass Hannah Richells Roman schon eher als spannend durchgehen kann.http://www.chbeck.de

CIRCUS BAOBAB: „Yé!“ (Wasser!) Festspielhaus St. Pölten

Bessetzung:

Ecauvre, Jérémy Manche Komposition, Damien Drouin Akrobatik, Nedjma Benchaïb, Mounâ Nemri Choreografie, Solène Capmas Kostüme, Clément Bonnin Licht, Christophe Lachèvre Stage Management, Inès Tavrytzky Tour Management, Virgile Djoudi Produktionsassistenz, Richard Djoudi Produktion (R’en Cirque), Temal Productions Distribution, Raphaël Caputo – Metlili.net Foto, Video

Youla Mamadouba, Abdoulaye Keita, Sylla Fode Kaba, Bangoura Hamidou, Bangoura Momo, Camara Moussa, Camara Ibrahima Sory, Camara Bangaly, Keita Aicha, Sylla M’mahawa, Camara Sekou, Camara Facinet Performer:innen

Das ursprüngliche Programm „Yongoyély“ musste geändert werden, da die Künstler dieser Gruppe (alle aus Guinea) kein Visum bekamen. An ihrer Stelle kam ein Teil der Baobab-Künstler, die die französische Staatsbürgerschaft besitzen und daher problemlos einreisen konnten. Sie führten „“Yé!“ auf und begeisterten das Publikum über die Maßen.

Der Boden der kaum beleuchteten Bühne ist mit Plastikflaschen übersät. Eine Freu hält eine volle Flasche hoch – sie erinnert an eine Gottheit des Wassers, der Natur. Sogleich beginnt ein brutaler Kampf um die spärlichen Reste Wasser, das sich noch in einigen Flaschen befindet. Der Kampf zweier Gangs könnte sich überall in Straßen von Slums oder auf Mistplätzen wie einer in Kairo abspielen. Dabei entwickelt die Gruppe eine atemberaubende Akrobatik: sie wirbeln in Saltos vor und rückwärts, springen durch die Luft, als gäbe es keine Schwerkraft und bilden unvorstellbar komplizierte Menschenpyramiden. Das alles zu einer mitreißenden Musik, die manchmal brutal, dann wieder unbeschwert flott aus der Konserve rauscht. Dazwischen gibt es auch durchaus komische Szenen. Wenn etwa die zwei größten Tänzer der Gruppe – sie erinnern an Marsmenschen im Muskeloutfit und Übergröße- eine Menschenmauer bilden und alle Versuche der Einzelkämpfer, diese Mauer zu überwinden, mit Leichtigkeit abwehren. Das ist Slapstick vom Feinsten. Gegen Ende der eineinhalbstündigen Performance entwickelt die Gruppe noch ein Feuerwerk an Sprüngen und bezieht das Publikum durch rhythmisches Klatschen in das Geschehen mit ein. Aus der bekannt- grausamen Tatsache, dass die Länder des Südens unter drohender Wasserknappheit leiden und Kriege drohen, löst sich eine friedliche Botschaft heraus: Gemeinsam kann die Welt gerettet werden.

Begeisterter Applaus und Ovationen!

http://www.festspielhaus,at

Wiener Symphoniker – Sol Gabetta – Lorenzo Viotti. Wiener Konzerthaus

4. Konzert des Zyklus Festkonzere der Wiener Symphoniker, im Rahmen von „Porträt Sol Gabetta“

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Anton Webern: Im Sommerwind. Idylle für großes Orchester (1904). Dirigent: Lorenzo Viotti

Es muss wohl ein Traumsommer gewesen sein, den der 21-jährige Anton Webern 1904 auf dem Kärntner Landsitz der Familie verbrachte. Voller Begeisterung ließ er sich von dem Gedicht Bruno Willies „Im Sommerwinde“ zu der der zärtlichen Hommage an Sommerdüfte und laue Winde inspirieren. Noch konnte er frei und ungezwungen vor sich hin komponieren, in die strenge Schule Arnold Schönbergs trat er erst später ein. Daher erlaubte er sich in Anklängen an Wagner. Strauss oder auch Hugo Wolf zu schwelgen, jedoch schon mit durchaus eigener Prägung.

Lorenzo Viotti lässt die Romanze voll wirksam erklingen: Gleich zu Beginn gleiten die Streicher, gefolgt von den leisen Bläsern in ein Traumgefilde. Ohne Effekthascherei arbeitet Viotti die leisen Töne heraus, fast fängt er sie mit den Händen ein, um ihnen noch nachzuhören. Ja, man kann sagen, Viotti huldigt in dieser Komposition den leisen, ganz zarten Töne. Jeder einzelne hat seinen Wert, verhallt langsam und lange. Für das Publikum, das vielleicht gestresst oder deprimiert von den aktuellen Nachrichten war, die ideale Musik, um Sommer ohne Welt und ihre Kriegsklänge einströmen zu lassen.

Camille Saint-Saens, Konzert für Violoncello und Orchester Nr.1 a-moll op.33. Violoncello: Sol Gabetta. Dirigent: Lorenzo Viotti

Auch wenn Romain Roland den Freund als einen Menschen charakterisiert, der“ von keiner Leidenschaft geplagt wird“ (Zitat aus Programmheft S 9) und ihm alles Dämonische, Dionysische abspricht, so widerlegt die Aufführung dieses Konzertes ganz und gar diese Meinung. Camille Saint Saens weiß sehr wohl aufs Ganze zu gehen, Sol Gabetta kann auf der Stradivari aus 1717 (eine Leihgabe der Stradivari-Stiftung Habisreutinger-Huggler-Coray) all ihre Kraft und Flinkheit demonstrieren. Ihre Läufe sind präzise, schnell und beeindruckend. Viotti breitet den Orchesterklang als sorgfältig ausgebreiteten Teppich unter ihr virtuoses Spiel. Der Komponist reflektiert seine ruhelose Fahrten durch die Welt, nur manchmal gönnt er sich – also dem Orchester und der Solistin – Ruhe, Einhalt. Dann hört man leichtfüßige Tänze und meint, einen nachdenklichen Komponisten zu vernehmen.

Großer Jubel für die Solistin, die mit einem Flamenco (Suite Espagnol Nr.1) v0n Rogelio Huguet i Tagali dem Publikum dankte.

Nikolai Rimski-Korsakow: Scheherazade op.35. Dirigent: Lorenzo

Die gängige Meinung, Rimski-Korsakow habe eine „Allerweltsmusik“ geschrieben, widerlegte Viotti durch sein temperamentvolles Dirigat ganz und gar.. Nein, so klingt keine Allerweltsmusik. Unter den Händen von Lorenzo Viotti konnte man die Geschichte des Sultans, dessen Grausamkeit erst durch die Klugheit und zärtliche Sinnlichkeit der schönen Scheherazade bezwungen wird, fast „mitlesen“. Dem heftig aufbrausenden Orchesterklängen antwortet Scheherazade mit überirdisch schönen Geigensoli und Oboenklängen. Kriegsgeschrei gegen weibliche Sanftmut und Verführung!

Großer Jubel am Schluss und langer Applaus für das Orchester und seinen Dirigenten!

http://www.konzerthaus.at

Pfingstfestspiele Salzburg 2025: …sofferte onde serene

Matinee, ausgewählte Klaviermusik von Alban Berg bis Wagner. Am Klavier: Tamara Stefanovich. Und „Wesendonck Lieder“ von Richard Wagner. Interpret: Matthias Görne

Da Markus Hinterhäuser an einer Sehenenscheidenentzündung litt, musste er für diese von ihm zusammengestellte Matinee absagen. Tamara Stefanovich spielte an seiner Stelle. Man hörte Musikstücke, die in Venedig entstanden oder Venedig als Inspirationsquelle hatten, etwa von Alban Berg, Franz Liszt und Richard Wagner. Luigi Nonos „..soffferte onde serene“ entstand als Antwort auf mehrere tragische Ereignisse in seiner Familie und in der seines Freundes Maurizio Pollini. Daher der Titel: die sonst heiteren Wellen der Lagune sind in Trauer eingestimmt. Tamara Stefanovich spielte die einzelnen Stücke mit hartem Anschlag, wohl ganz bewusst unprätentiös durch, ohne Atempausen.

Matthias Görne, bekannt als subtiler Schubertinterpret – seine „Winterreise“ gemeinsam mit Hinterhäuser am Klavier ist legendär – ließ unbestimmte Sehnsucht, Trauer und Leiden in seiner Interpretation aufklingen. Leider ist Matthias Görne für seinen Mangel an Wortdeutlichkeit bekannt. So musste man sehr konzentriert den Text im Programmheft mitlesen, was die Aufmerksamkeit schmälerte. Trotz seines warmen Baritons gelang es Görne nicht, der parfümierten Trauer, die in diesen Liedern vorherrscht, Glaubhaftigkeit zu verleihen. Insgesamt hinterließ die Matinee eher einen bedrückenden Eindruck – ob man danach noch nach Venedig reisen will?

http://www.salzburgfestival.at

Pfingstfestspiele Salzburg 2025: Vivaldi, Ovid: Hotel Metamorphosis

Ein Pasticcio mit Musik von Antonio Vivaldi, Texte aus Ovids Metamorphosen (Übersetzung Hermann Heiser) und Gedichte von Rainer Maria Rilke

Fassung von Barrie Kosky (Regie und Konzept) und Olaf A. Schmitt (Konzept und Dramaturgie). Musikalische Leitung des Orchesters „Les Musiciens du Prince-Monaco: Gianluca Capuano. Bühnenbild: Michael Levine. Kostüme: Klaus Bruns.Choreographie: Otto Pichler. Video: rocafilm. Licht: Franck Evin

Der Themenschwepunkt der Pfingstfestspiele 2025 hieß Venedig und hat natürlich die Musik Vivaldis (1678-1741) auf den Ideenplan gerufen. Dem unermüdlichen Komponisten schreibt man ja an die hundert Opern und zahllose Serenaden, Arien etc zu. Doch übrig blieben von all diesem Kompositionsreichtum nur „Die vier Jahreszeiten“, die in Venedig an allen Ecken unermüdlich den Touristen in die Ohren gefiedelt werden. Doch Barrie Kosky und Olaf A. Schmitt schürften in die Tiefe und förderten neben Bekanntem einige verborgenen Schätze zutage. Genial war die Idee, diese mit Gedichten aus Ovids Epos „Die Metamorphosen“ zu kombinieren und ein Pasticcio der Sonderklasse daraus zu kochen. Als Erzähler fungierte Orpheus – einfühlsam gesprochen von Angela Winkler. Dass in den „Teig“ noch Rilkegedichte, Tänze und passende Bilder plus Videovergrößerungen hineingemixt wurden, Gesänge, gesprochene Texte neben- und durcheinander angeboten wurden, brachte allerdings den Hefeteig in Gefahr des Übergehens. Nicht selten war man überfordert, die verschiedenen Ideen richtig einzuordnen. Der schnelle Szenenwechsel amüsierte nicht nur, sondern ermüdete auch. Im zweiten Teil stellte sich trotz toller Stimmen und wildwechselndem Bühnenbild Langeweile ein.

Wo Cecilia Bartoli draufsteht, da ist Komik ganz sicher mit dabei! Denn sie liebt es, Drastisches mit Komischem zu mischen, gerade auch in tragischen Szenen, wie etwa in der Episode „Arachne“. Als weltbekannte Textilkünstlerin sonnt sich Arachne im Medienrummel, auf die Gunst und Hilfe der Götter pfeift sie. Das evoziert den Zorn Minervas (urkomisch und stimmlich toll: Nadezhda Karyazina) Als Göttin für Handwerkskunst zuständig, kann sie sich diese Schmähung nicht bieten lassen. Als knarzende Alte verkleidet, humpelt sie, auf den Rollator gestützt, in das Atelier Arachnes. Der musikalische Streit zwischen den beiden gehört zu den besten Szenen des Abends! Arachne wird das Opfer einer boshaften, in ihrer Eitelkeit verletzten Göttin und muss ihr Dasein bis in alle Ewigkeit als Spinne fristen.

Urkomisch auch der Countertenor Philippe Jaroussky als Pygmalion, der sich in seine Statue verliebt. Eine schönere Frau als diese gibt es auf der ganzen Welt nicht. Fehlt nur noch „anima“ – Lebenshauch. Den haucht ihr Juno ein. Doch welche Frau wird sie sein? Kätzchen, Feministin, Nonne? Pygmalion ist ihr Charakter ziemlich egal, Hauptsache, er kann sie zärtlich streicheln. Ob es zu mehr reichen wird? Lea Desandre ist eine wunderbar komische, stimmlich wundervolle singende Statue.

Berührend und in Erinnerung bleibend ist die Geschichte der Tochter Myrrhe, die ihren Vater begehrt. Wie Ovid alleTräume, Wünsche, Laster und manchmal auch Tugenden ohne moralische Schlussfolgerung erzählt, so geschieht es auch hier: Myrrhes Geschichte (intensiv und stark wiederum Lea Desandre) wird ohne Kommentar erzählt und gezeigt: Ihr Begehren, ihre Vereinigung mit dem Vater (unter dem Leintuch – drastisch und zugleich sehr komisch), dann die Entdeckung und der Bannfluch der Götter: sie wird zum Baum, ihre Tränen werden zur Myrrhe.

Nicht alle Geschichten haben die Stärke, zu beeindrucken und/oder zu amüsieren. Langweilig wirkt die des Narziss, der sein eigenes Spiegelbild liebt, gar nicht komisch, sondern fast ein wenig peinlich die Erzählung über Echo, die für ihre Geschwätzigkeit dazu verdammt wird, immer nur die letzen drei Worte zu wiederholen, die ihr zugetragen werden. Ausgezeichnet die Tanzszenen, die meist wie eine Urgewalt über die Szene hereinbrechen und viel Spontanapplaus ernten. Überbordend die Videos der jeweiligen zur Szene passenden Bilder über dem Bett. Dazu noch Musik, Text von Angela Winkler, das kann schon manchmal zu viel werden. Als nervtötend lang wirkt der Schluss: nochmals Orpheus, der von den rasenden Mänaden zerrissen wird. Sein Kopf bleibt über und liegt auf dem Fauteuil im Schlafzimmer. Peinlich! Und nochmals Gang in die Unterwelt, nochmals Gesang Eurydikes – zwar mit der wundervollen Stimme Bartolis – dennoch möchte man nicht mehr mitgehen.

Wer über Ovid und die Metamorphosen mehr wissen will, dem sei der kluge Essay von Stephanie Mc Carter: „Die Metamorphosen des Ovid. Leben. Kunst. Verwandlung“ empfohlen (Im Programmheft S 49ff)

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Salzburger Pfingstfestspiele: Tod in Venedig. Hamburg Ballett

Untertitel: Ein Totentanz von John Neumeier, frei nach der Novelle von Thomas Mann.

Choreographie, Lichtkonzept und Inszenierung: John Neumeier. Bühnenbild: Peter Schmidt. Kostüme: John Neumeier und Peter Schmidt.

Klavier: David Frey. Musik von Sebastian Bach und Richard Wagner, Orchesterwerke vom Tonträger

Titelfoto: Tadzio (Caspar Sasse) und Gustav von Aschenbach (Edvin Revazov)©Karin West

„Venedig“ heißt das Motto der Pfingstfestspiele 2025. Tod in Venedig, die Novelle von Thomas Mann, bietet sich als erster Einfall an. Die Verfilmung von Luchino Visconti machte den Stoff beim breiten Publikum bekannt. In der Novelle ist Gustav von Aschenbach ein alternder Schriftsteller, der an einer heftigen Schreibhemmung leidet. Venedig, die Stadt der Sinnlichket, soll ihn davon befreien. In der Filmversion ist Aschenbach ein Komponist – mit deutlichen Anspielungen auf Gustav Mahler, dessen Musik den Film beherrscht . Im Ballett Neumeiers ein „Meisterchoreograph“, dem nichts mehr einfällt. Auf den Punkt gebracht: Aschenbach wird zum Symbol des Künstlers in der Schaffenskrise.

John Neumeier interessierte dieses Thema schon viele Jahre. Im Gespräch, das er anlässlich der Uraufführung in der Staatsoper Hamburg 2003 mit Telse Hamann führte (abgedruckt im aktuellen Programmheft), leugnet er die autobiographischen Züge nicht: „Ich kann mich durchaus mit Aschenbach identifizieren, aber es ist auf gar keinen Fall eine Autobiografie“. (Programmheft S 32). Er will Aschenbach als Choreograph in der Krise zwischen abstraktem Konzept und Trieb, Eros, Liebe sehen. Eine sehr aktuelle, heutige Diskrepanz, vor der jeder Choreograph gestellt ist: Konzipiert er – gleichsam auf dem Reißbrett – ein abstraktes Ballett, eine „Creation“ zu einem theoretischen Thema oder lässt er sich auf menschliche Gefühle, auf Annäherung ein. Diesen Zwiespalt macht Neumeier in vielerlei Hinsicht in dem Ballett verständlich: Da klingt die mathematisch aufgebaute Musik Bachs an, wenn Aschenbach sich mit Choreographien um die Figur Friedrich des Großen abmüht. Was immer er probiert, passt nicht. Das verdeutlicht Neumeier durch „falsche Bewegungen“, unharmonsiche Choreographien und vor allem durch Humor. Das Zusammenspiel zwischen ihm und seinen erschaffenen Figuren zertrümmert Aschenbach immer wieder, doch sie kehren mit penetranter Ausdauer zurück, er wird sie nicht los. Edvin Revazov ist der ideale Gustav Aschenbach: steif, humorlos und als solcher sorgt er für so manches Schmunzeln im Publikum. Da nützt es nichts, wenn seine Figuren ihn umschmeicheln – er scheucht sie alle weg, bis er auch das Porträt Friedrich des Großen vernichtet. Aus, er will nicht mehr. Aus dem Hintergrund der Bühne tauchen zwei Figuren auf – die Verdoppelung eines Wanderers. Louis Musin und Matias Oberlin tanzen all das, was Aschenbach fehlt: Mut, Veränderung, Lebensfreude, Keckheit, Neugier. In diesen Augenblicken des prallen Lebens – wunderbar verkörpert von den beiden Tänzern – hört man die Musik Wagners. Sie lockt Aschenbach – nach Venedig. Und schon sind beide die „Führer“, „Verführer“. Als Gondoliere rudern sie Aschenbach an den Lido, ans Meer, an die Orte der Sinnlichkeit, der bequemen Gleichgültigkeit, die man in gesellschaftliche Tänzen auslebt. Später werden sie als Friseure die unheimliche Verjüngung Aschenbachs vornehmen, und wieder später werden sie die mitten im Tode vor Lust herumwirbelnde Gesellschaft mit ihren Gitarrenklängen anfeuern. Vor den Augen Aschenbachs und des Publikum entwickeln sich in Choreographie, Bewegungen, Kostümen, Gesten und Musik „Tableaus“ der Gesellschaft – keine Hammerkritik, die liegt Neumeier nicht, sondern hauchfeine Pinselstriche, an denen man die Distanz zwischen dem noch immer steifen Aschenbach und der allzu freizügig sich gebärdenden „gehobenen“ Gesellschaft auslesen kann. Wäre da nicht einer, der alles durchbricht – Tadzio! Jung, schön, selbstbewusst, wie ein Wirbelsturm bricht er in die feine Soirée des Hotels ein. Unbekümmert und scheinbar nicht wissend um seine Wirkung. Oder doch? Caspar Sassse ist ein koketter Tadzio, ein Junge, der sich seiner Wirkung sehr wohl bewusst ist. Ein Lächeln, ein Wink – Aschenbach verfällt dem Charme. Dem Eros – bis in den Liebestod. Neumeier steigert die Beziehung zwischen den beiden : Von dem konventionellen Handgruß bis zu einem erotischen Liebespas de deux am Schluss: Aschenbach wirft die Kompositionen Bachs weg, überlässt sich den Liebeslockungen Wagners und Tadzios, im Bewusstsein, dass sie tödlich sind. So hält Tadzio den sterbenden Aschenbach wie eine Pietà in den Armen, begleitet von Isoldes Liebestod von Franz Liszt. Aschenbach hat sich für Eros entschieden. Eros und Thanatos haben Apoll, den Gott der strengen Ordnung, besiegt.

Jubel, frenetischer Beifall für die gesamte Truppe, standing ovation für John Neumeier, der sichtlich zu Tränen gerührt ist.

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Anat Gov: Oh mein Gott. Theater Akzent

Regie: Hans Peter Kellner, mit Katharina Stemberger und Wolf Bachofner

Gäbe es Oscars für die besten Stücke des Jahres, müsste die israelische Drehbuchautorin Anat Gov einen erhalten. Gäbe es einen Oscar für kluge Regie, dann einen bitte für Hans Peter Kellner. Und je einen Superoscar müssten Katharina Stemberger für ihre Darstellung als Ela und Wolf Bachofner als Gott erhalten. Ein kluges Stück tatsächlich und buchstäblich über Gott (des Alten Testamentes), die Welt und über uns, die heutigen Menschen. Nicht nur klug, sondern auch sehr amüsant geschrieben. Da wird dem Publikum keine Moral übergestülpt, keine Modethemen verbraten. Nein, es wird schlicht und ehrlich gespielt, und basta!

Ela ist Psychologin. Ihr Leben als alleinerziehende Mutter eines sprachlosen Kindes ist nicht immer einfach. Zu ihrem 44. Geburtstag wollte sie ihrem Leben und dem ihres Sohnes eine Ende setzen. Tat es nicht und hat sich Mut und Sinn für schöne Momente erhalten. Da klopft ein geheimnisvoller Herr an ihre Tür, braucht dringend Hilfe. Er heiße schlicht Gott und sei Gott. Nach einigem ungläubigen Geplänkel geht Ela darauf ein, ihm durch eine Gesprächstherapie zu helfen. Denn Gott will „Schluss machen“. Eine zweite Sintflut wäre notwendig. Mit klugen Fragen und feinfühligem Humor führt ihn Ela zur Erkenntnis, dass es dem Gott an dem Wesentlichsten fehlt, was einen Gott und einen Menschen auszeichnet. Empathie. Sie erinnert ihn gnadenlos an seine böses Spiel, das er mit Hiob getrieben hat. In ERkenntnis seines „bösen Wesens“ weint Gott bitterlich. Das Ende dieses wunderbar klugen und witzigen Diskurses sei hier nicht verraten.

Wolf Bachofner spielt seine Rolle als Gott mit einer Selbstverständlichkeit, einer rührenden Alltäglichkeit, als wäre er einer dieser unglücklichen Geschöpfe, die er selbst erschaffen hatte. Nur hin und wieder kehrt er den „Allmächtigen, Wissenden“ heraus, aber gerade nur so viel, um Ela von seiner Macht zu überzeugen. Katharina Stemberger ist eine sensible, sehr überzeugende Therapeutin, die von Gott gar nichts hält, ihn schlichtweg leugnet. Doch er überzeugt sie von seiner Existenz und sie reagiert menschlich: voll Mitleid mit ihm (was ja nicht lege artis ist!)

Das Publikum bedankte sich mit frenetischem Applaus. Nach so einem Abend weiß man wieder, warum es Theater gibt und wo sein Sinn liegt. Bitte mehr von solchen intelligenten Texten, klugen Regisseuren und tollen Schauspielern!!

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Tonkünstler Orchester: Mahler 8. unter Yutaka Sado. Festspielhaus St. Pölten

Mitwirkende: Magna Peccatrix: Verity Wingate. Una Poenitentium: Eleanor Lyons. Mater Gloriosa : Christina Gansch. Mulier Samaritana: Stepanka Pucalkova. Maria Aegyptiaca: Yajie Zhang. Doktor Marianus:Maximilian Schmitt. Pater Estaticus: Rafael Fingerlos. Pater Profundus: David Steffens. Dazu Wiener Singverein, Slowakischer Philharmonischer Chor und Wiener Sängerknaben.

Ein eindrucksvoller Abend – Höhepunkt und Abschied. Yutaka Sado verabschiedete sich von „seinen“ Tonkünstlern und seinem Publikum des Festspielhauses mit der wuchtigen, alle anderen übertreffenden 8. Symphonie von Gustav Mahler. Zehn Jahre hatte Sado Bruckner und Mahlers Werke dem Publikum in die Seele dirigiert, ist mit den Tonkünstlern aufs innigste verbunden – und wurde zum Publikumsliebling.

120 Musiker, 3 Chöre, Fernorchester auf der Galerie, 9 Singstimmen füllen Raum und Zeit. Die 8. Symphonie wurde von Mahler selbst und dem Publikum der Uraufführung 1910 in München als sein magnum opus angesehen und gefeiert. Sie beeindruckt durch Klangfülle, hochgeistige und geistliche Texte, die zu interpretieren eines Kenners bedarf. Daher sei hier nur ein allgemeiner Eindruck niedergeschrieben. Wuchtig der Anfang: „Veni, creator spiritus!“ Komm, Schöpfer Geist! So lautet der Anfang eines Pfingsthymnus aus dem Mittelalter, der 2. Teil ist die gandiose Vertonung der Erretung Fausts durch die Liebe Gretchens. In einem Brief an seine Frau Alma schrieb Mahler 1910: “ Beim Einritt in das altgewohnte Arbeitszimmer (gemeint ist das Häuschen in Maiernigg am Wörthersee) packte mich der Spiritus creator und schüttelte und peitschte mich acht Wochen lang, bis das Größte fertig war.“ (Zitiert aus dem Programmheft). Mahler feiert im 1. Teil die Liebe, im 2. Teil die Frau als Mittlerin zwischen Mensch, dem Sünder, und dem Göttlichen. Insgesamt ist es das Frauenbild, das er gene seiner Alma übergestülpt hätte: “ Jungfrau, Mutter, Königin, Göttin, bleib gnädig!“ singt Doktor Marianus (alias Mahler, alias Goethe).

Yutaka Sado dirigierte dieses Monumentalwerk mit ruhiger Umsicht. Am Ende wurden er und das Orchester mit Ovationen gefeiert! Gerührt bedankte er sich beim Publikum und gab danach geduldig und mit freundlichem Lächeln Autogramme. Der Andrang war groß wie bei einem Superstar. So musste es sein!

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Matthew Wong – Vincent van Gogh.

Letzte Zuflucht Malerei. Titelbild: Matthew Wong: Landscape with Mother and Child

Matthew Wong kam 1984 in Toronto zur Welt. Seine Eltern stammten aus China und lebten abwechselnd in Hongkong und Kanada. Der häufige Ortswechsel war für Matthew Wong, der, wie später diagnostiziert wurde, unter schweren Depressionen, Autismus und dem Tourrette-Syndrom litt, sehr fordernd. Doch seine Eltern sorgten sich sehr um ihn und förderten sein Studium der Fotografie, wie sie nur konnten. Und so unterstützten sie ihn auch, als er nach Abschluss des Studiums der Fotografie sich für die Malerei entschied. Das Schlüsselerlebnis waren die Bilder von Vincent van Gogh. In ihm sah er einen Künstler, der malte, um das Leben zu bewältigen. Der seine seelischen Probleme im Malen „abarbeitete“. Daher ist der Zuatztitel der Ausstellung voll zutreffend: „Letzte Zuflucht Malerei“. Zutreffend für van Gogh und zutreffend für Matthew Wong. Beide waren Autodidakt, mit dem Unterschied, dass Wong sich intensiv via Internet und Facebook mit der aktuellen Kunstentwicklung auseinandersetzte. Ein Diskussionsforum, das van Gogh nicht zur Verfügung stand. Anders als van Gogh hat Wong schon früh (mit 33 Jahren) Ausstellungen in der renommierten Galerie „Karma“ in New York. In Farbwahl und Stil spürt man den starken Einfluss seines Vorbildes: Strahlendes Gelb, intenives Blau sind immer wiederkehrende Farben, der nervöse Pinselstrich erinnert an Getreidefelder, Blumenbilder van Goghs. Punkte, hastig hingesetzt, als wüßte der Maler um die kurze Zeit, die ihm noch bleibt. Wong ist anerkannt, nimmt an internationalen Kunstforen teil, das Publikum schätzt seine Werke – und dennoch: Matthew Wong nimmt sich am 2. Oktober 2019 mit 36 Jahren das Leben.

Dennoch spiegeln seine Bilder selten seinen inneren Überlebenskampf wider. Im Gegenteil. Für mich sind sie Bewältigungsbilder! Bewältigung der Einsamkeit, aber auch Bilder der Lebensfreude. Aus diesem Grund habe ich als Titelfoto das Bild: Mutter mit Kind gewählt – . Die Mutter, die immer mit ihm war, ihn auf allen Reisen beschützte, sitzt am Rande, bereit, den Sohn durch die Blumenlandschaft zu begleiten.

Die Serie der „blauen Bilder“ (Fotos unten) sind alle in seinem letzten Lebensjahr entstanden. Ja, sie sind von tiefer Melancholie erfüllt. Doch es gibt Hoffnungsstreifen und Sterne, die sich im See in tausend Punkten spiegeln. In der „Sternennacht“ zitiert Wong van Goghs berühmtes Gegenbild.

Selbst die beiden letzten Bilder „The Other Side“ und das an van Goghs Bild des Sessels mit der Pfeife erinnernde Bild „Ohne Titel“ lassen zwar einen Abschied ahnen, aber sie vermitteln nicht die Todesahnung.

Eine Figur blickt mit dem Rücken zum Betrachter sehnsüchtig an ein jenseitiges Ufer, wo ein Haus ihn erwartet. Ein roter Vogel, den ich als „Seelenvogel“ interpretiere, wie in griechischen Mythen, wird seine Seele hinübertragen. Ein tröstlicher Gedanke. Im allerletzten Bild , den Sessel van Goghs zitierend, ist die Verlassenheit sehr stark zu spüren. Allerdings glänzt auf dem Sessel ein Strahlenglanz, vielleicht der Glanz seiner Seele, die er in seinen Bildern hinterlässt. (Man verzeihe mir die allzu persönliche und vielleicht zu romantisierende Deutung!)

Da die Ausstellung am 9. Juni 20225 endet, sollte man sie noch unbedingt ansehen. Sehr empfehlenswert ist auch der Katalog mit wertvollen Beiträgen, wie der Einführung von Joost van der Hoeven oder dem einfühlsamen Artikel „Aufsteigender Regen“ von Richard Shiff. Interessant ist, dass Matthew Wong auch Gedichte in englischer Sprache verfasste. Einige davon sind abgedruckt.

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Kodo Ensemble und Tonkünstler Orchester: Taiko Drum Concerto. Dirigent: Yutaka Sado

Emotion, Überraschung, Kontrast, Wucht, Zartheit

Mit dieser Musik -fremd und aufregend – beginnt eine Reise im Kopf. Eine Reise in ein unbekanntes Land, Rausch des Dionysos, Silenen, Pan, Puccinis Butterfly, banal, erotisch, wild, provokant, laut, am Schluss brüllt Metro Goldwyn Mayers Löwe! Das alles in rasanter Abfolge.

Yuta Sumiyoshi: Ayumi, gespielt vom KODO Ensemble

Sumiyoshi 1991 geboren in Japan, trat mit 19 Jahren dem Kodo-Ensemble bei. Seine Komposition „Ayumi“ beginnt mit leisen Trommelschlägen, die riesige rote Trommel leuchtet geheimnisvoll auf, begleitet von sich sanft wiegenden rosa Videokreisen. Die Trommelrhythmen entführen in die Wüste, vielleicht in die Sahara, hin und wieder menschliche Stimmen. Romantik pur.

Peeter Vähi: Call of Sacred Drums. KODO Ensemble und Tonkünstler unter Yutaka Sado

Der 1955 in Estland geborene Komponist ist für seine spirituell -philosophische Musik bekannt. „Call of Sacred Drums“ wurde an diesem Abend zum ersten Mal gespielt, der Komponist war selbst anwesend. Yukata Sado ist dafür bekannt, dass er – wenn es die Partitur erlaubt – die Anfänge zelebriert, ganz zart lässt er die Bläser kommen, darüber Flötenklänge. Im Hintergrund bleibend steigen die Trommeln ein – um dann plötzlich zu einem rasenden Tanz zu explodieren. Im Kopf des Zuhörers beginnt eine Reise mit dem Zug, man spürt den Rhythmus der Räder. Schneller werden die Trommeln, bis sie die Führung übernehmen und das Orchester schweigt. Schwindelerrend und laut tragen die Trommeln die Hörer durch das Land, schnell und laut bis zum Wahnsinn – um dann doch in einer berührenden Zartheit auszulaufen. Viel Applaus für den Komponisten, die Musiker, die Trommler und den Dirigenten.

Yuzo Toyama (1931-2023): Rhapsodie für Orchester, revidierte Fassung 2001

Die Trommler haben Pause. Der Anfang ist Romantik pur, so zwischen Butterfly und Frühlingszauber à la Schubert oder Schumann …Schellen und Schalmeien schwingen das Publikum ein. Langsam steigert sich das Tempo -bis zu einer plötzlichen Pause, um Atem zu holen, denn gleich wird es stürmisch, der Gong fängt die herumfliegenden Töne ein, bis am Ende eine Steigerung der Steigerung nicht mehr möglich ist.

Ryotero Leo Ikenaga: Inochi

Dem Prinzip der drei vorangehenden Kompositionen folgend beginnt auch dieses Stück mit zarten Trommelschlägen, in die zauberhafte Geigen sich einbinden, die wiederum Celli anschwellen lassen. Nach einer langen Kunstpause setzt Regen oder Sandgeriesel ein, es fallen einzelne Tropfen, die Natur erblüht in einem meditativen Frieden. Doch inochi – die Lebenskraft – will mehr, will wirken und explodiert zu einem heldischen Trommelwirbel.

Und das Publikum springt vor Begeisterung auf, klatscht, wie hypnotisiert von dieser neuen, noch nie gehörten Musik, die Maestro Sado mit der für ihn typischen Demut und tiefem Verständnis in die Seelen der Menschen getragen hat.

In einer wie aus allen Fugen geratenen Improvisation gaben die sechs Musiker des KODO Ensembles noch einmals eine Probe ihres Könnens ab. Einmal noch verbeugen und schon verließen Musiker, Trommler und Dirigent die Bühne. Schade,, das Publikum hätte sie alle noch gerne länger beklatscht.

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Arthur Schnitzler, Das weite Land. Theater in der Josefstadt.

Regie: Janusz Kica. Bühnenbild und Kostüm: Karin Fritz. Gesehen wurde die Voraufführung am 21. Mai 2025

Das Theater in der Josefstadt und Arthur Schnitzler sind traditionell eng miteinander verbunden., hat doch auch Heinrich Schnitzler, der Sohn des Autors, ab 1969 als Vizedirektor dort gearbeitet. Theaterfans haben „Das weite Land“ mindestens schon dreimal gesehen. Viele werden die legendäre Aufführung im Südbahnhotel mit Herbert Föttinger und Petra Morzé noch in Erinnerung haben. Man kann das „Weite Land“ einfach nicht oft genug sehen, meinen einige. Doch – man kann! Die aktuelle Aufführung beweist es! Langweiliger konnte nur noch die Burg dieses Stück inzenieren! (Regie Barbara Frey, Hofreiter: Michael Maertens, Genia Katharina Lorenz)

Schuld an der Langeweile sind die Regie von Janusz Kica und das Bühnenbild von Karin Fritz. Da müssen sich die Figuren, vor allem Genia, an einer Aluwand entlangschleichen. Einen Raum, im Sinne von Wohnraum oder Umfeld, gibt es nicht. Um die Distanz und Gefühlskälte zwischen ihr und dem Ehemann zu unterstreichen, trägt sie Kopfhörer, er einen schäbigen ( als reicher Fabrikant !) Wintermantel und einen verknitterten Anzug, der ihm deutlich zu eng ist. „In deiner Nähe friere ich immer“, begründet er dieses Outfit.. Diese allzu banal-deutlichen Hinweise auf das Regiekonzept hätte es wahrlich nicht gebraucht – denn es müssen alle, wirklich alle Schauspieler nur Text sprechen, bar jeder Gefühlsregung. Gut, akzeptiert man, dass Kica die heutige Gesellschaft so sieht (die Kostüme sind ja ziemlich banal heutig), dann fragt man sich aber, warum er sich ausgerechnet dieses Stück vorgenommen hat. Denn um die Sinnentleerung in unserer Gegenwart zu zeigen, ist der Text von Arthur Schnitzler zu kostbar, zu fein gesponnen. Von der Seele, die ein weites Land ist, bleibt nur der Satz, der Sinn geht verloren.

Die Besetzung: Friedrich Hofreiter: Bernhard Schir, Genia: Maria Köstlinger. Anna Meinhold-Aigner: Sandra Cervik, Otto: Tobias Reinthaller, Direktor Aigner: Herbert Föttinger, Erna: Johanna Mahaffy, Doktor Mauer Marcus Bluhm u,v.a

Höflicher Applaus

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Manfred Koch. RILKE. Dichter der Angst, eine Biographie. C.H. Beck Verlag

Manfred Koch gelingt es, den Dichter Rilke und seine Dichtung mit dem Menschen „Rilke“ und mit der Welt, in der er lebte, im Zusammenhang zu erfassen. Das gleicht wohl einer Mammutaufgabe. Denn Rilkes Dichtung ist Rätsel, das zu interpretieren nicht einfach ist. Sein Leben war so kompliziert wie sein Werk. Man muss schon tiefes Verständnis für das Untergründige, für die Kompliziertheit und die Verschlossenheit dieses Lebens aufbringen. Und das beweist Manfred Koch mit jeder Zeile.

Manfred Koch hebt als wichtigste Komponente in Rilkes Werk und Leben die Angst hervor: Angst vor der Schreibhemmung, Angst vor allzu großer Nähe -vor allem zu den Frauen -. Angst um seine geistige und körperliche Gesundheit und nicht zuletzt auch die ganz triviale Angst vor der Organisation des täglichen Lebens. Und vor allem : Angst, dass er diese Angst eines Tagess verlieren und sich auf die Bequemlichkeit eines bürgerlichen Lebens einlassen könnte. Mit hoher Sprachsensibilität spürt Manfred Koch dieser Ambivalenz der Angst nach: Rilke braucht sie als Antrieb für seine Dichtung, sie macht ihn dünnhäutig, er braucht die Frauen, er liebt es, sich zu verlieben. Aber er weist sie von sich, sobald sie Nähe einfordern. Er lässt sich nicht vereinnahmen, auch nicht von Kunstströmungen. Auch nicht von der Versuchung, sich einer Analyse zu unterziehen, die ihm die Angst mildern oder nehmen könnte. Klarsichtig weiß er um die Notwendigkeit, mit ihr und von ihr zu leben.

Manfred Koch verherrlicht nicht, macht Rilke nicht zum Dichterheroen, wie es viele damals und auch noch heute tun. Er analysiert, versteht, versucht auch die dunkle Seite Rilkes zu erhellen und verständlich zu machen. Fazit: Die Biografie ist ein wertvoller Wegweiser für alle, die sich über eine romantische Schwärmerei hinausgehend für Rilke interessieren.

http://www.chbeck.de

Wiener Staatsballett: Diskussionsforum „Tanzforum“ anlässlich der Première „Kreationen“

»Kre­a­ti­on heißt, zu er­le­ben, wo der Tanz heu­te steht, was ge­gen­wär­ti­ge Künst­ler um­treibt.
Von den Tän­zer*in­nen er­for­dert Kre­a­ti­on den Mut, in ein Ter­rain hin­ein­zu­ge­hen, das nicht von vor­ne­her­ein de­fi­niert ist«, er­läu­tert Mar­tin Schläp­fer – und ist über­zeugt: »Kre­a­ti­on ist eine Grund­vor­aus­set­zung, dass die dar­stel­len­den Küns­te am Le­ben und re­le­vant für un­se­re Ge­sell­schaft blei­ben.«

Ins­ge­samt zehn neue Wer­ke – für die Spiel­plä­ne in der Wie­ner Staats­oper und der Volks­oper Wien, die Ju­gend­kom­pa­nie der Bal­lett­aka­de­mie sowie den Wie­ner Opern­ball – hat Mar­tin Schläp­fer in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren als Chef­cho­reo­graph des Wie­ner Staats­bal­letts ge­schaf­fen und als Gäs­te Alexei Rat­man­sky, Mar­co Goecke, An­drey Kay­da­novs­kiy, An­dre­as Hei­se und Adi Ha­nan für neue Cho­reo­gra­phien ge­win­nen kön­nen – eine Se­rie, die mit der Pre­mie­re Kre­a­tio­nen am 14. Juni in der Volks­oper Wien mit drei Urauf­füh­run­gen – dar­un­ter auch ein im Auf­trag des Wie­ner Staats­bal­lett ent­stan­de­nes mu­si­ka­li­sches Werk der schwe­di­schen Kom­po­nis­tin Lisa Streich – ih­ren Ab­schluss fin­det.

Im Tanz­po­di­um Kre­a­tio­nen – das Re­per­toire von mor­gen? dis­ku­tie­rten die drei Cho­reo­gra­ph*in­nen des Pro­gramms Mar­tin Chaix, Ales­sand­ra Cor­ti und Louis Stiens zu­sam­men mit Mar­tin Schläp­fer über die Be­deu­tung krea­ti­ver Pro­zes­se für ein En­sem­ble, die Si­che­rung einer Bal­lett­kunst für die Ge­gen­wart durch neue Wer­ke sowie ak­tu­el­le Stof­fe, Äs­the­ti­ken und Kör­per­bil­der auf der Bal­lett­büh­ne.

»Für mich ist Cho­reo­gra­phie ein kol­la­bo­ra­ti­ver Pro­zess, die Do­ku­men­ta­ti­on einer Rei­se, ein fort­wäh­ren­der Akt der Ent­schei­dungs­fin­dung und Pro­blem­lö­sung.
Cho­reo­gra­phie be­inhal­tet Über­set­zung, Trans­for­ma­ti­on und Re­cher­che, aber vor allem das Er­zäh­len von Ge­schich­ten.
Ich sehe Cho­reo­gra­phie als eine Mög­lich­keit, die Ver­bin­dung zwi­schen der Ge­schich­ten­er­zäh­le­rin und dem Zu­hö­rer zu fei­ern – die­sen ma­gi­schen Mo­ment, wenn eine Künst­ler*in die Büh­ne be­tritt und etwas zu er­zäh­len hat und je­mand im Pu­bli­kum sitzt und zu­hö­ren möch­te.«

Alessandra Corti

»Cho­reo­gra­phie ist die Kunst der Or­ga­ni­sa­ti­on – von Si­tua­tio­nen bis hin zu emo­tio­na­len Zu­stän­den.
Sie ist ein Spiel zwi­schen Form und Auf­lö­sung.
In mei­ner Ar­beit ver­bin­de ich das Den­ken mit In­tui­ti­on – der Kopf trifft auf das Herz.«

Louis Stiens

»Cho­reo­gra­phie ist für mich der räum­li­che und kör­per­li­che Aus­druck mensch­li­cher und ge­sell­schaft­li­cher Im­pul­se.
Eine cho­reo­gra­phi­sche Ar­beit macht die Mu­sik, die Emo­tio­nen, die die Pro­ta­go­nis­t*in­nen ei­ner Ge­schich­te durch­strö­men, die Dy­na­mik ei­ner Be­we­gung und die kol­lek­ti­ve En­er­gie ei­nes En­sem­bles spür­bar.
Durch den Kör­per wird das Cha­os zu poe­ti­schem Ma­te­ri­al und die Kom­ple­xi­tät ei­ner Emo­ti­on oder ei­nes Ge­dan­kens, der ei­ner Hand­lung zu­grun­de liegt, nimmt Ge­stalt an, um un­se­re tie­fen Wün­sche und in­tims­ten Sehn­süch­te her­vor­zu­ru­fen.«

Martin Chaix

Textauszug aus dem Heft „Opernring“ Nr.45.

http://www.wienerstaatsballett.at

Lexus
OMV

Strabag


Opernring 2
»Kre­a­ti­on heißt, zu er­le­ben, wo der Tanz heu­te steht, was ge­gen­wär­ti­ge Künst­ler um­treibt.
Von den Tän­zer*in­nen er­for­dert Kre­a­ti­on den Mut, in ein Ter­rain hin­ein­zu­ge­hen, das nicht von vor­ne­her­ein de­fi­niert ist«, er­läu­tert Mar­tin Schläp­fer – und ist über­zeugt: »Kre­a­ti­on ist eine Grund­vor­aus­set­zung, dass die dar­stel­len­den Küns­te am Le­ben und re­le­vant für un­se­re Ge­sell­schaft blei­ben.«

Ins­ge­samt zehn neue Wer­ke – für die Spiel­plä­ne in der Wie­ner Staats­oper und der Volks­oper Wien, die Ju­gend­kom­pa­nie der Bal­lett­aka­de­mie sowie den Wie­ner Opern­ball – hat Mar­tin Schläp­fer in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren als Chef­cho­reo­graph des Wie­ner Staats­bal­letts ge­schaf­fen und als Gäs­te Alexei Rat­man­sky, Mar­co Goecke, An­drey Kay­da­novs­kiy, An­dre­as Hei­se und Adi Ha­nan für neue Cho­reo­gra­phien ge­win­nen kön­nen – eine Se­rie, die mit der Pre­mie­re Kre­a­tio­nen am 14. Juni in der Volks­oper Wien mit drei Urauf­füh­run­gen – dar­un­ter auch ein im Auf­trag des Wie­ner Staats­bal­lett ent­stan­de­nes mu­si­ka­li­sches Werk der schwe­di­schen Kom­po­nis­tin Lisa Streich – ih­ren Ab­schluss fin­det.

Im Tanz­po­di­um Kre­a­tio­nen – das Re­per­toire von mor­gen? dis­ku­tie­ren die drei Cho­reo­gra­ph*in­nen des Pro­gramms Mar­tin Chaix, Ales­sand­ra Cor­ti und Louis Stiens zu­sam­men mit Mar­tin Schläp­fer über die Be­deu­tung krea­ti­ver Pro­zes­se für ein En­sem­ble, die Si­che­rung einer Bal­lett­kunst für die Ge­gen­wart durch neue Wer­ke sowie ak­tu­el­le Stof­fe, Äs­the­ti­ken und Kör­per­bil­der auf der Bal­lett­büh­ne.

»Für mich ist Cho­reo­gra­phie ein kol­la­bo­ra­ti­ver Pro­zess, die Do­ku­men­ta­ti­on einer Rei­se, ein fort­wäh­ren­der Akt der Ent­schei­dungs­fin­dung und Pro­blem­lö­sung.
Cho­reo­gra­phie be­inhal­tet Über­set­zung, Trans­for­ma­ti­on und Re­cher­che, aber vor allem das Er­zäh­len von Ge­schich­ten.
Ich sehe Cho­reo­gra­phie als eine Mög­lich­keit, die Ver­bin­dung zwi­schen der Ge­schich­ten­er­zäh­le­rin und dem Zu­hö­rer zu fei­ern – die­sen ma­gi­schen Mo­ment, wenn eine Künst­ler*in die Büh­ne be­tritt und etwas zu er­zäh­len hat und je­mand im Pu­bli­kum sitzt und zu­hö­ren möch­te.«

Alessandra Corti

»Cho­reo­gra­phie ist die Kunst der Or­ga­ni­sa­ti­on – von Si­tua­tio­nen bis hin zu emo­tio­na­len Zu­stän­den.
Sie ist ein Spiel zwi­schen Form und Auf­lö­sung.
In mei­ner Ar­beit ver­bin­de ich das Den­ken mit In­tui­ti­on – der Kopf trifft auf das Herz.«

Louis Stiens

»Cho­reo­gra­phie ist für mich der räum­li­che und kör­per­li­che Aus­druck mensch­li­cher und ge­sell­schaft­li­cher Im­pul­se.
Eine cho­reo­gra­phi­sche Ar­beit macht die Mu­sik, die Emo­tio­nen, die die Pro­ta­go­nis­t*in­nen ei­ner Ge­schich­te durch­strö­men, die Dy­na­mik ei­ner Be­we­gung und die kol­lek­ti­ve En­er­gie ei­nes En­sem­bles spür­bar.
Durch den Kör­per wird das Cha­os zu poe­ti­schem Ma­te­ri­al und die Kom­ple­xi­tät ei­ner Emo­ti­on oder ei­nes Ge­dan­kens, der ei­ner Hand­lung zu­grun­de liegt, nimmt Ge­stalt an, um un­se­re tie­fen Wün­sche und in­tims­ten Sehn­süch­te her­vor­zu­ru­fen.«

Martin Chaix

Generalsponsoren der Wiener Staatsoper

Lexus
OMV

Andrè Schuen: Schubert Schwanengesang und ausgewählte benachbarte Lieder

Klavier: Daniel Heide. Gedichte von: Ludwig Rellstab, Johann Gabriel Seidl, Heinrich Heine.

Der „Schwanengesang“ ist Schuberts Spätwerk, kompositiorisch und inhaltlich weit über die Zeit hinausweisend. Andrè Schuen widmet sich diesen nicht immer leicht vorzutragenden Liedern mit existentieller Intensität. Es geht um Abschied von der Liebsten, um Abschied vom Leben im Gesicherten. Ein Heimatloser, durch die Welt Wandernder ohne Rast sucht Halt und Antwort.

Andrè Schuen ist ein Sänger der Tiefe, der Tiefe des Liedes, der Tiefe der Seele und der Tiefe der Freude, der Tiefe der Liebe und des Abschieds. Der Tiefe des Alleinseins, des Verlorenseins. Sein warmer Bariton, der ohne Mühe in den Bass reicht, ist für den „Schwanengesang“ genau die richtige Stimmlage.

Als eine meisterlich Miniatur gestaltet Schuen frei von jedem Kitsch das Ständchen “ Leise flehen meine Lieder“. Schlicht und leise der Beginn, nach einer kurzen Steigerung wieder sehr leise „Hörst du die Nachtigallen schlagen?“, um das Ende im vollen Liebesrausch herauszusingen: „Komm, beglücke mich!“ Er meidet den sich anbiedernden Schmelz vieler Interpreten und gestaltet so allzu oft schon Gehörtes völlig neu.

Mit großer Dramatik, ohne Angst vor Pathos, interpretiert er „Aufenthalt“ und „In der Ferne“ – manchmal drohend ruhig, dann wieder volles Drama. Jedes Lied zu einem existentiellen Frage des Lebens zu gestalten, ist Andrè Schuens Anliegen. Ernsthaftigkeit und Verantwortung vor dem Komponisten und seinem Werk tragen ihn durch den Abend. Ganz besonders in die Tiefe des Leides, des Schmerzes führt das Lied „Der Atlas“. Von einem, der Glück und Elend des Lebens tragen, spüren, erleiden wollte, singt Schuen, mit der Stimme voller Bassdramatik. Im Schauen, im Besinnen ein Bild zu schaffen gelingt ihm in dem Lied „Ihr Bild“ . Mit leiser, in sich versunkener Stimme gestaltet Schuen, wie das Bild der Geliebten als gewünschte, ersehnte Fata Morgana aufsteigt. Schwebend, wie eine inneres Bild der Erinnerung beginnt „Am Meer“, um in einer bis zur Unerträgichkeit gesteigerten Dramatik zu enden.

Daniel Heise ist der congeniale Begleiter am Klavier, spielt in spürbarer Einigkeit mit dem Sänger, als atmete er mit ihm.

Grpße Begeisterung im Publikum. Drei Zugaben: Der Musensohn, Füllest wieder Busch und Tal, Der Schiffer.

http://www.konzerthaus.at

Joachim B. Schmidt: Ósmann. Diogenes Verlag

Ein kostbares Buch in einer kostbar poetischen Sprache. Ein Chronist dokumentiert die wahre Geschichte des Fährmanns Jón Ósmann, basierend auf der Erzählung des Urenkels des Fährmanns und der Biografie von Kristmunden Bjarnason.

Jón Ósmann, 1862 auf einem Bauernhof in Nordisland geboren, übernimmt schon in jungen Jahren das gefährliche Geschäft des Fährmanns. „Ósmann stand nackt vor seiner Hütte an der Flussmündung des West-Ós, so wird die Flussmündung genannt. Er wünschte seinen Nachbarn einen guten Morgen, dem nebelverhangenen Bergmassiv Tindastóll, der sagnumwobenen Insel Drangey….Er grüßte die Eiderenten auf der Westbank. (S13)“ Nach dem morgendlichen Gruß- und Hustritual nimmt er das tägliche Bad in den eiskalten Fluten des Wassers. Ósmann ist groß, bärenstark, ein begnadeter Säufer vor dem Herrn und ein wunderbarer Poet. Und bei den wenigen, noch verbliebenen Bewohner der fast menschenleeren Gegend sehr angesehen und beliebt. Für jede Karten- und Trinkrunde zu haben, immer bereit, die Menschen aus den gefährlichen Fluten zu retten, oft unter Einsatz seines Lebens. Er wird heiraten, die erste Frau stirbt bei der Geburt des Kindes. Was ihn fast an den Rand des Lebens bringt. Er wird wieder eine Liebe finden, Kinder bekommen. Oft zieht er sich in seine Hütte, weitab vom Dorf, zurück, sinniert und schreibt Gedichte. Poesie ist sein Anker im Leben. Als er aber zusehen muss, wie sein Freund in den Fluten ertrintkt, und er sich die Schuld an diesem Tod gibt, wo keine Schuld ist, bekommt sein Leben Risse. Seine Kräfte schwinden und er beschließt, sein Leben im Fluss zu beenden.

Der Leser taucht in eine raue, versunkene Welt Islands ein, in der der Glaube an Feen und Geister tief verankert ist. Die Menschen in diesem vom Fortschritt vergessenen Teil Islands haben die Wahl, entweder nach Amerika auszuwandern oder zu bleiben und sich mit Körper und Seele dieser allgewaltigen Natur zu verschreiben.

http://www.diogenes.ch

Grafenegg und Festspielhaus St. Pölten: Mozart und Mahler. Yukata Sado dirigiert das Tonkünstler Orchester

Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester in A-Dur, KV 488. Pianist: Kyohei Sorita

Mozart verließ 1781 die ungeliebte Stadt Salzburg und ging nach Wien, wo er 15 Konzerte für Klavier komponierte, die zur Hauptattraktion der Wiener Musikszene wurden. Grund für diesen Erfolg mag wohl in der scheinbaren Leichtigkeit und Heiterkeit liegen, die all diese Konzerte verströmen. So auch dieses Klavierkonzert. Es gilt als das anspruchsvollste unter den 15. Der japanische Pianist Sorita hat trotz seiner Jugend eine beachtenswerte Karriere hingelegt. Er ist Gründer, Produzent und Dirigent des „Japanese National Orchestra“. Mozarts Klavierkonzert klang unter seinem sehr männlich wirkenden Anschlag frisch-fröhlich mit Ausnahme des Adagios, dessen Schwermut er durch Pausen und Verlangsamung gekonnt akzentuierte. Yukata Sado unterlegte sein Spiel mit einen sanften, unaufdringlichen Tonteppich.

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 5

Mit ausladender Geste des Dirigenten und dem berühmten Trompetensolo reißt Sado sofort die volle Aufmerksamkeit des Publikums an sich. Obwohl der erste Satz der Symphonie ein langer Militärtrauermarsch ist, wie Mahler ihn als Kind in der benachbarten Kaserne oft gehört hat, ist dieser Beginn alles andere als traurig. Mag es Tod und Trauer im Leben geben – im Augenblick des Komponierens (1901) ist Mahler glücklich, weil verliebt in seine Alma. Dass der Rauschzustand nicht wird halten können, weiß man. Aber in diesem Sommer 1901 scheint Mahler auf die Zukunft zu pfeifen, er lebt im Hier und Jetzt der Liebe zu Alma. Deshalb komponiert er, was ihm einfällt, tausend Themen mischen sich zu einem spannenden Chaos. Nur ein in Mahlerkompositionen erfahrener Dirigent wie Yukata Sado kann diese Themenfülle präzise herausarbeiten, sie miteinander verbinden. Und so erlebt das Publikum mit Sado, mit Mahler, wie sich Liebesrausch anfühlt – manchmal aufwühlend, besonders im Scherzo, dann wieder sanft, romantisch, träumerisch im Adagietto. Am Schluss aber über alle Skeptiker der Welt triumphierend!

Für den vor Glück strahlenden Dirigenten und die ebenso strahlenden Musiker gab es standing ovations, Bravorufe. Für Yukata Sado eine Rose.

http://www.grafenegg.com und http://www.festspielhaus.at

Neil Simons: Sonny Boys. Theater in der Josefstadt

Klopf, klopf, klopf -hereinspaziert. Nur ein begnadeter Komödienschreiber wie Neil Simons kann aus diesen dämlichen Wörtern eine sprühende Komödie entwickeln. Und nur begandete Komödianten können diese Komödie so spielen, dass die Wortgefechte richtig sprühen und funkeln.

Der Regisseur Stephan Müller weiß, dass er zwei Vollprofis wie Robert Meyer und Herbert Föttinger nicht dreinreden darf. Die beiden wissen Pointen zu setzen und die Aufmerksamkeit des Publikums zu halten. In einem mit Krempel aus den 50er Jahren angefüllten Zimmer (Bühne:: Sophie Lux) traktiert Willie Clark (Robert Meyer) in einer gekonnten Mischung aus Raimunds Menschenfeind und abgetakeltem Schauspieler seinen kreuzbraven Neffen und zugleich auch Agent (Dominic Oley), der für ihn sorgt und sich seine endlos keifenden Lamenti geduldig anhört. Er erreicht, dass Willie nach langem Murren einwilligt, mit seinem langjährigen und herzhaft verhassten Partner Al Lewis (elegant-zurückhaltend: Herbert Föttinger) den vor 50 Jahren erfolgreich gespielten „Doktorwitz“ fürs Fernsehen nochmals zu spielen. Statt des Doktorwitzes, der überhaupt nicht witzig ist, erleidet Willie einen Herzinfarkt und wird zu strenger Bettruhe verdonnert, versorgt vo einer jungen Krankenschwester (Larissa Fuchs mit witzigem Akzent). Ihn erwartet das Altersheim für ausrangierte Schauspieler. Auch Al Lewis wird dort einziehen. Irgendwie versöhnt singen beide Sinatras Erfolgsschlager: „I did it my way“ – Vorhang fällt und das Publikum bricht in Bravorufe und heftigen Applaus aus.

Wahrscheinlich bedauern alle im Publikum, dass mit Herbert Föttinger interessante und spannende Theaterjahre zu Ende gehen. Er hat ein exzellentes Ensemble zusammengestellt, das wirklich alle Rollen ausfüllen konnte. Und auch dafür dankte ihm das Publikum!

http://www.josefstadt.org

Schuberttheater: Die Welt ist ein Würstelstand

Ein MUSS für Puppenspielliebhaber, oder eigentlich für alle, die witziges, pointiertes, schräges, launiges, Lachen machendes Theater lieben!!

Idee und Spiel: Manuela Linshalm, Buch: Manuela Linshalm, Stephan Lack, Regie: Christine Wipplinger, Musik: Heidelinde Gratzl, Puppen: Nikolaus Habjan, Manuela Linshalm, Marianne Meinl, Lisa Zingerle. Bühne: Denise Heschl, Licht: Simon Meusburger.

Man muss sie einfach bewundern: Manula Linshalm bespielt solo (sollte das nicht genderkorrekt „sola“ heißen? – na ich habs nicht so mit dem Gendern) alle Puppen, oft zwei gleichzeitig. Sie schlüpft nicht nur mit den Händen in die Puppen, sondern auch mit ihrer Seele. Das merkt man, wenn man einmal von der Puppe wegguckt und sich auf ihre Mimik konzentriert. Sie ist nicht nur Stimme, sondern sie leidet, freut oder ärgert sich mimisch mit der Puppe mit.

Manuela Linshalm begann gemeinsam mit Nikolaus Habjan im Schuberttheater – ich erinnere mich an großartige Aufführungen, wie zum Beispiel „Was geschah mit Baby Jane?“, wo sie unter der Regie von Nikolaus Habjan schon damals alle Puppen bespielte. Viele gemeinsame Auftritte mit Nikolaus Habjan folgten. Nun steht sie also wieder als Hauptakteurin hinter den Puppen – grandios!

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Resi und der traurige Witwer

©Schuberttheater/Barbara Pallfy

Die Geschichte der Resi Resch, die seit Jahrzehnten den Würstelstand führt, ist rührend, jedoch ohne das Geringste Fuzerl Kitsch. Tapfer und lebensoptimistisch steht sie Tag für Tag hinter der Budel, winkt ihren alten Kunden zu, fragt nach dem werten Befinden der Mutter, Tante, Oma, des Ehemanns. Sie kennt sie alle beim Namen, weiß über Blutdruck bis Masern Bescheid. . Doch keiner kauft ihre Würsteln. Der eine hat Diabetes, der andere ist Vegetarier geworden – da kann sich Resi über die Vegetarier und Veganer alterieren -. Der einzig treue Kunde ist ein depressiver Witwer. Er kommt täglich, um sich auszujammern. Köstlich sind die Dialoge zwischen den beiden – er trauert seit Jahren seiner Verstorbenen nach, und Resi gibt ihm Ezzes, wie er neue Frauen kennenlernen könnte. Sie steht mitten im Leben, das zwar nicht rosig ist, aber sie lässt sich nicht unterkriegen. Ärgert sie sich – und das passiert sehr oft – dann lässt sie perfekte wienerische Schimpfkanonaden los. Ihr besonderer Schützling ist ein Obdachloser. Er darf neben ihrer Hütte seinen Rausch ausschlafen.

In der Nacht ist ihr Stand geschlossen. Da schlüpft aus dem Abfallkübel die glückliche Ratte. Glücklich, weil der Philosoph Schopenhauer ihr persönlichen Ratgeber ist. Genüsslich verspeist sie die Reste, die sie im Umkreis des Standes findet, begleitet von der zarten Melodie eines Xylophons. Heidelinde Gratzl hüllt das Spiel der Puppen durch ihre Musik in eine fast irreale- mystische Atmosphäre. Wenn sie den Betrunkenen mit leisen Akkordeontönen in den Schlaf begleitet oder die exaltierte amerikanische Touristin mit einem wilden Walzer berauscht, dann wird das Theater zur Traumsequenz, in der Vergänglichkeit und Gegenwart verschmelzen.

Jede einzelne Szene ist eine Köstlichkeit per se. Man lacht, trauert, schluchzt und leidet mit den Puppen und muss sich dafür kein Bißchen schämen!

http://www.schuberttheater,at

PS: Diese Zeilen habe ich Ende Jänner 2023 verfasst – und sie gelten auch für die Aufführung am 30. April, als ich das Stück zum 2. Mal sah.

John Steinbeck: Von Mäusen und Menschen. Kammerspiele der Josefstadt

Deutsch von Katrin Janecke und Günter Blöcker. Bearbeitung von Torsten Fischer.

Regie: Torsten Fischer,Bühnenbild und Kostüme: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos

Was macht einen gelungenen Theaterabend aus? Unverzichtbar: Ein guter Text – John Steinbeck ist dafür der Garant. Gute Übersetzung und Bearbeitung sind unverzichtbar Torsten Fischer und Herbert Schäfer seien bedankt.. Ein Regisseur, der seine persönlichen Eitel- und Befindlichkeiten hintan stellt und den Text mit Respekt behandelt -Torsten Fischer ist dafür Garant. Wenn Bühnenbild und Kostüme zum Inhalt passen, ist schon viel gewonnen. Aber noch fehlt das Wesentliche: Das Ensemble! Das Josefstadtensemble ist perfekt aufgestellt – es gibt keine Rolle, die nicht ideal besetzt wurde! -SO GESCHEHEN IN „MÄUSEN UND MENSCHEN“

Der Roman spielt in den 1930er Jahren zur Zeit der großen Wirtschaftskrise. Arbeitslose ziehen über die Landstraßen auf der Suche nach Arbeit. So auch Georgie und Lennie. Sie sind ein ungleiches Paar, das einander braucht: George braucht Lennie, weil er die Einsamkeit fürchtet. Lennie braucht George, weil er geistig behindert ist. Er liebt Mäuse, die er streichelt, bis sie unter seinen Zärtlichkeiten sterben. Ihn vor Spott der anderen und vor seinen unkontrollierbaren Gefühlen zu bewahren, hat sich Lennie zur Lebensaufgabe gemacht. Doch die Katastrophe ist unausweichlich:…

Claudius von Stolzmann ist ein fürsorglicher Kumpel, der auch manchmal streng und barsch mit Lennie umgeht. Trotz aller Schwierigkeiten hält er fest zu ihm. Zu dem großen, schweren und unbeholfenem Lennie, der den Bosheiten des Lebens ohne Lennie ungeschützt ausgesetzt wäre. Robert Joseph Bartl spielt, nein ist dieser Lennie in Figur, Bewegungen und Mimik. Intensiv sind die Szenen, in denen er träumt, mit Lennie in einem eigenen Haus zu leben, Kaninchen und Hühner zu versorgen. Seine unverstellte Kindlichkeit wird auch sein Unglück sein. Die beiden finden Arbeit auf einer Farm. Dort herrschen streng geregelte Arbeitszeiten, kaum Lohn oder Freizeit. Einzig Curley, der Sohn des Bosses, erlaubt sich alle Freiheiten und führt sich als eitler Machogeck auf (Luka Vlatkovic). Seine hübsche Frau (Paula Nocker subtil zwischen naiver Verführerin und Rebellin) kokettiert mit allen Männern, auch mit Lennie. Als der ihr Haar allzuheftig streichelt, wehrt sie sich laut schreiend, worauf er sie aus Angst erwürgt. Eine starke Szene, die unter die Haut geht. George weiß, dass alle nun auf Lennie Jagd machen werden und sie keine Sekunde mehr auf der Farm bleiben können. Tröstend erzählt er dem verzweifelt heulenden Lennie den Traum vom Haus und erschießt ihn. um ihm Verfolgung und Leid zu ersparen. Eine Szene, die in die Annalen der Josefstädter Theratergeschichte eingehen wird. Ebenso wie die Darstellung des alten Knechtes Candy, genial gespielt von Johannes Kriesch. Er fristet auf der Farm ein Gnadenbrot. Sein einziger Trost ist sein alter, sterbenskranker Hund. Ihm den Gandenschuss zu geben, hat er nicht die Kraft. Bis es ein anderer tut. Da steht der alte Curley, schweigt minutenlang, nur in den Augen sieht man den Schmerz, der in seinem Inneren tobt. John Steinbeck war ein Meister solcher dramatisch eingängigen Szenen. Und das Ensemble schwang sich auf diese subtile Tragik ein und schuf Szenen von außerordenlicher Eindringlichkeit.

Begeisterter Applaus und viele Bravorufe belohnten die Darsteller

http://www.josefstadt.org

B

Tom Stoppard: Separatfrieden. Theater Nestroyhof/Hamakom

Eine Privatklinik im Charme der 60er Jahre: weiße Vorhänge, grüne Wände. Halbdrei Uhr Nachts. John Brown verlangt ein Zimmer. Es sei ein Notfall. Ihm fehle nichts, er möchte nur gepflegt werden, regelmäßig sein Essen bekommen – im Bett – und sonst nichts weiter. Sebastian Pass verpasst John Brown das richtige Durchschnittssmenschauftreten: Beiger Anzug, wahrscheinlich billiger Kunststoff, leise Bescheidenheit. Er ist „jeder“, der von „draußen“ nichts mehr hören und wissen will. Typischer Fall von Burnout, würde man heute sagen. Zur Zeit, als Stoppard diese Komödie (?) schrieb (Vietnamkrieg), wohl ein Fall von Kriegs- und Weltekel. Dem Personal passt dieser Brown nicht ins Schema. Krank ist er nicht, aber irgendetwas muss er doch TUN! Man verordnet ihm diverse Therapien, wie Korbflechten, was er dann auch pflichtschuldigst erledigt. Minutenlang darf das Publikum seinen wort- und geräuschlosen Versuchen. einen Korb zu flechten zusehen. Komödie oder Tragödie? Wohl am ehesten Tragik-Komödie. Allerdings gibt die Regisseurin Ingrid Lang der Komödie keine Chance. Sie inszeniert das Ganze als absurdes Theater. Das Krankenhauspersonal redet und bewegt sich in seinen militärisch anmutenden Kostümen (Mira König) wie KI-Roboter oder Patienten aus der Psychiatrie. Dadurch verlieren die komischen Momente jede Kraft und übrig bleibt ein todernstes Stück über einen kriegsmüden Heimkehrer, der von der Welt nichts wissen will. Doch die ERinnerungsbilder holen John Brown ein. Während er in einen aus Ästen geflochtenen Riesenkorb, der als Laterna magica fungiert, stiert, kriecht aus den Wandklappen das als Soldaten mit Grünzeug getarnte Personal auf die Bühne und wälzt sich auf dem Boden, schlägt aufeinander ein. Das alles zum Lied eines Affen (so laut Programm), der aber ein Reisenbär mit Fell und Tatzen ist. Die als Affenbär getarnte Regisseurin Ingrid Lang singt dazu das Lied von Pink Floyd, Us and Them – ein Song über beinharte Überlebensstrategien im Krieg. John Brown verlässt das Spital, als ihm das Personal als große Überraschung ankündigt, dass ihn Familienmitglieder und Freunde besuchen werden.

Anerkennender Applaus!

http://www.hamakom.at

Osterfestspiele Salzburg 2025: Gustav Mahler, 2. Symphonie „Auferstehungssymphonie“.

Esa-Pekka-Salonen dirigiert das Finnish Radio Symphony Orchestra und Chor des Bayrischen Rundfunks. Sopran Julie Roset, Alt Jasmin White

Ein Abend, der ganz und gar dem Motto der diesjährigen Osterfestspiele entsprach: „Wunden und Wunder“. Gustav Mahler komponierte in der 2. Symphonie die Qualen, Wunden und Krisen (damals wie heute), um am Ende Erlösung als Wunder anzubieten. Das „triviale Wunder“, wenn man es salopp ausdrückt, sprich das aktuelle Wunder, war jedenfalls Esa-Pekka – Salonen, der mit dem fast „wundervollen“ Gespür für Rhythmus, Zeit und Stille das Finnish Radio Symphony Orchestra zu Höchstleistungen antrieb.

Auf den zart-zärtlichen Beginn durch Violinen und Bratschen de 1. Satzes folgen Ausbrüche von Celli und Contrabässen – ein für Mahler typischer Temperamentwechsel. Doch der Dirigent ist nicht auf billige Wirkung aus – er hält den Ausbruch im Zaum. Wie auch in der Folge. Denn billiger Lärm ist nicht sein Stil. Zum Ende des Satzes erklingt ein gemäßigter Höllenlärm nach Motiven des „dies irae“. Esa – Pekka – Salonen respektiert den Wunsch Mahlers, nach diesem spektakulären Schluss eine längere Pause zu lassen, um den Übergang zum Andante des 2. Satzes erträglich zu machen und setzt sich für einige Minuten abwartend in das Orchester. Das Publikum respektiert die Stille. Das Andante des 2. Satzes ist dieser Stille verschrieben, und der Dirigent lässt das Orchester im Rhythmus von langen Atemzügen spielen. Wenn Mahler den 3. Satz als wirr beschrieb, so klingt das bei Esa-Pekka-Salonen eher als geordnetes Chaos, immer durch exakte Pausen konturiert. Daher ist auch das liebliche Ende kein krasser Gegensatz, sondern Ergebnis von Feinarbeit, Zum ersten Mal setzt ein Komponist in einer Symphonie Gesang ein – die weiche und dunkle Altstimme von Jasmin White singt das „Urlicht“, das mit den tröstenden Worten endet: „Der liebe Gott wird mir ein Lichtlein geben,/ wird leuchten mir bis in das ewig selig` Leben“. Im 5. Satz verlangt Mahler von Orchester, Chor und Dirigenten höchste Konzentration, besonders im Zusammenspiel von Flöte und Fernorchester für die „Nachtigallenrufe“. Was feinsilbrig und sinnbezaubernd gelang. Die Symphonie endet, wie der Titel verspricht: Chor, Sopran und Alt verkünden die Auferstehung. Leider war der Sopran von Julie Roset nicht ganz überzeugend und der Chor des Bayrischen Rundfunks sang ohne Wortdeutlichkeit, legte mehr oder weniger nur einen einheitlichen Tonteppich auf (wie auch zuvor im Chorkonzert „Elias“ von Modest Mussorgski). Das Publikum dankte allen, besonders dem Dirigenten und Orchester mit begeistertem Applaus.

https://osterfestspiele.at

Grieg, Tschaikowsi. Schostakowitsch. Mahler Chamber Orchestra, Dirigent: Gianandra Noseda

Edvard Grieg: Peer Gynt Suite Nr.1

Gianandrea Noseda führt die jungen Musiker und Musikerinnen des „Chamber Orchestra“ mit Feingefühl und scheut sich auch nicht vor der brühmt-berüchtigten Romantik, wie sie in der „Morgendämmerung“ am Beginn aufzieht. In „Ases Tod“ wagt er alles an Gefühl. Es ist ein leiser Tod, dafür um so schmerzlicher. Kein Aufbegehren. So innig und hingebungsvoll dirigiert hörte man es selten. „In der Wüste“ lässt er die Affen tanzen, bevor Anitras Lockruf Peer Gynt betört. Aufgewacht in der „Halle des Bergkönigs“ hört man leie Hämmern, das immer lauter und heftiger wird bis zum eindrucksvollen Schluss.

Peter Tschaikowski: Violinkonzert in D-Dur op.35

Augustin Hadelich ; Suxiao Ynag

Die große Überraschung: Der junge Geiger Augustin Hadelich. Er spielte auf einer Violine von Giuseppe Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1744, einer Leihgabe des Tarisio Trust. Man meinte, dieses berühmte Konzert noch nie so innig und intensiv erlebt zu haben. Weich, geschmeidig lässt Hadelich alle Schmerzen und Freuden („..ich bin so verliebt, wie ich schon lange nicht wahr“ gesteht der Komponist seinem Bruder) der Liebe, auch die Angst vor Entdeckung erleben. Noseda legt mit dem Orchester weiche Übergänge, begleitet die Violine diskret. Hadelich „spielt“ Tschaikowskis Liebesleid, zuerst sanft, nimmt mit der Zeit immer mehr Tempo auf bis zum Schrei der Angst. Dass sein Spiel perfekt, virtuos ist, braucht keiner extra Betonung. Das fulminante Ende des 1. Satzes reißt die Zuhörer von den Sitzen und zu frenetischem Zwischenapplaus – was man sonst nie erlebt, weil verpönt! Nach dem ruhigen 2. Satz folgt der kräftige 3. Satz, der mit dem rasanten Allegro vivacissimo die Stärke und das Vertrauen an das Leben des Komponisten vermittelt. Frenetischer Applaus und standing ovation für Augustin Hadelich im Besonderen, aber auch für Noseda und das Orchester. Als Dank für diese Begeisterung spielt Hadelich noch Variationen eines argentinischen Tangos.

Dmitri Schostakowitsch: 9. Symphonie in Es-Dur op.70

Ein starkes Kontrastprogramm! Schostakowitsch feiert nicht die Befreiung der Stadt Leningrad, sondern klagt den Krieg als solchen, dahinter natürlich Stalin und seine Politik des Grauens an. Eine Todessymphonie, maskiert als absurdes Maskenspiel. Der erste Satz beginnt mit Marschmusik als Spott über Krieg und Kriegsrhetorik. Das „Moderato“ klingt geheimnisvoll bedrohlich, auch wenn dazwischen fröhliche Zwischentöne von Flöte und Oboe zu hören sind. Nach dem starken „Presto“ und einem intensivem „Largo“ mit wunderbarem Posauneneinsatz jagt der Komponist die Musiker in die Schrecken des Krieges im unerbittlichen „Allegretto“.

Frenetischer Applaus und standing ovation für Gianandrea Noseda und das ganze Orchester. Das Publikum dankte für eine Sternstunde im Musikgeschehen!

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Osterfestspiele Salzburg 2025: „Requiem(s)“, Choreographie: Angelin Preljocaj

Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Preljocaj. Licht: Eric Soyer, Video: Nicolas Clauss, Kostüme: Eleonora Peronetti.

Endlich wieder Ballettaufführungen bei den Salzburger Festspielen. Diesmal zeigt einer der wichtigsten Choreographen der Gegenwart einen Tanz der Trauerbewältigung und der Lebensfreude. Lange Zeit sah man von Angelin Preljocaj kein Ballett mehr. „2023 verlor ich meine Eltern und viele geliebte Menschen. Es war also der Moment, sich körperlich mit der Frage der Trauer auseinanderzusetzen….Paradoerweise ist dieses choreographische Requiem eine Art, das Leben zu feiern geworden“, spricht Angelin Preljocaj über sein Werk -zitiert aus dem Programmheft S 7.

Gemeinsam mit dem einfallsreichen Videokünstler Nicolas Clauss, dem Lichtdesigner Eric Soyer und der Tanzcompagnie schuf Angelin Preljocay einen eindrucksvollen Ballettabend um die Themen Tod, Trauer und Leben. Zu Beginn lässt er die Compagnie eine Hommage an seinen Lehrer und Mentor Merce Cunningham, der 2009 im hohen Alter starb, tanzen. Deutlich zitiert er die Grundchoreographie des Meisters: Jede Bewegung wird aus der Taille und der Hüfte heraus entwickelt. Während des Abends werden immer wieder diese Grundbewegungen aufblitzen. Die Videos von Nicolas Clauss entwickeln Assoziationen, wie Menschen mit Tod und Trauer umgehen – so gibt es etwa ein heiteres Wiedersehen mit den Ahnen, wie es die Torajas auf der Insel Sulawesi noch heute jedes Jahr begehen. Auf dem Video ist ein Skelett oder Totenkopf zu erkennen, davor feiern die Tänzer mit ihren Ahnen, nähren und kleiden sie. Anders die Trauer um die Natur: Vor einem entblätterten und dürren Wald, der von einer Tsunamiwelle verschluckt wird, rasen die Tänzer im ungeordneten Chaos über die Bühne, um ihre Verzweiflung auszudrücken. Gegen Ende der Performance bilden weißgekleidete Englesfiguren rund um einen toten Körper eine Pietà. Zum Schluss erscheinen zwei hohe, rotgekleidete Tänzer oder Tänzerinnen (?), um einen feierlichen Abschluss der Trauerzeit zu verkünden. Als Musik wählte Prelcokaj quer durch die Zeiten von Bach über Mozart, Ligeti bis zu Havy Metal – letztere Muik setzte er besonders stark und häufg ein, um einerseits die Tänzer in überschäumender Lebensfreude über die Bühne laufen und springen zu lassen, oder um heftige Trauer, die den Menschen zu Boden schlägt, zu vermitteln. Man bewunderte die tänzerische Leistung der Compagnie, aber die große Begeisterung, wie etwa sein berühmtes Handlungsballett „Schneewittchen“ hervorrief, spürte man nicht, weil auch manche Videos mit der dazugehörigen Choreographie unlösbare Rätsel aufgaben, wie etwa die weißen (Heiligen)figuren, die am Ende wie Putzlappen in einem Baugerüst hängen.

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