John Steinbeck: Von Mäusen und Menschen. Kammerspiele der Josefstadt

Deutsch von Katrin Janecke und Günter Blöcker. Bearbeitung von Torsten Fischer.

Regie: Torsten Fischer,Bühnenbild und Kostüme: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos

Was macht einen gelungenen Theaterabend aus? Unverzichtbar: Ein guter Text – John Steinbeck ist dafür der Garant. Gute Übersetzung und Bearbeitung sind unverzichtbar Torsten Fischer und Herbert Schäfer seien bedankt.. Ein Regisseur, der seine persönlichen Eitel- und Befindlichkeiten hintan stellt und den Text mit Respekt behandelt -Torsten Fischer ist dafür Garant. Wenn Bühnenbild und Kostüme zum Inhalt passen, ist schon viel gewonnen. Aber noch fehlt das Wesentliche: Das Ensemble! Das Josefstadtensemble ist perfekt aufgestellt – es gibt keine Rolle, die nicht ideal besetzt wurde! -SO GESCHEHEN IN „MÄUSEN UND MENSCHEN“

Der Roman spielt in den 1930er Jahren zur Zeit der großen Wirtschaftskrise. Arbeitslose ziehen über die Landstraßen auf der Suche nach Arbeit. So auch Georgie und Lennie. Sie sind ein ungleiches Paar, das einander braucht: George braucht Lennie, weil er die Einsamkeit fürchtet. Lennie braucht George, weil er geistig behindert ist. Er liebt Mäuse, die er streichelt, bis sie unter seinen Zärtlichkeiten sterben. Ihn vor Spott der anderen und vor seinen unkontrollierbaren Gefühlen zu bewahren, hat sich Lennie zur Lebensaufgabe gemacht. Doch die Katastrophe ist unausweichlich:…

Claudius von Stolzmann ist ein fürsorglicher Kumpel, der auch manchmal streng und barsch mit Lennie umgeht. Trotz aller Schwierigkeiten hält er fest zu ihm. Zu dem großen, schweren und unbeholfenem Lennie, der den Bosheiten des Lebens ohne Lennie ungeschützt ausgesetzt wäre. Robert Joseph Bartl spielt, nein ist dieser Lennie in Figur, Bewegungen und Mimik. Intensiv sind die Szenen, in denen er träumt, mit Lennie in einem eigenen Haus zu leben, Kaninchen und Hühner zu versorgen. Seine unverstellte Kindlichkeit wird auch sein Unglück sein. Die beiden finden Arbeit auf einer Farm. Dort herrschen streng geregelte Arbeitszeiten, kaum Lohn oder Freizeit. Einzig Curley, der Sohn des Bosses, erlaubt sich alle Freiheiten und führt sich als eitler Machogeck auf (Luka Vlatkovic). Seine hübsche Frau (Paula Nocker subtil zwischen naiver Verführerin und Rebellin) kokettiert mit allen Männern, auch mit Lennie. Als der ihr Haar allzuheftig streichelt, wehrt sie sich laut schreiend, worauf er sie aus Angst erwürgt. Eine starke Szene, die unter die Haut geht. George weiß, dass alle nun auf Lennie Jagd machen werden und sie keine Sekunde mehr auf der Farm bleiben können. Tröstend erzählt er dem verzweifelt heulenden Lennie den Traum vom Haus und erschießt ihn. um ihm Verfolgung und Leid zu ersparen. Eine Szene, die in die Annalen der Josefstädter Theratergeschichte eingehen wird. Ebenso wie die Darstellung des alten Knechtes Candy, genial gespielt von Johannes Kriesch. Er fristet auf der Farm ein Gnadenbrot. Sein einziger Trost ist sein alter, sterbenskranker Hund. Ihm den Gandenschuss zu geben, hat er nicht die Kraft. Bis es ein anderer tut. Da steht der alte Curley, schweigt minutenlang, nur in den Augen sieht man den Schmerz, der in seinem Inneren tobt. John Steinbeck war ein Meister solcher dramatisch eingängigen Szenen. Und das Ensemble schwang sich auf diese subtile Tragik ein und schuf Szenen von außerordenlicher Eindringlichkeit.

Begeisterter Applaus und viele Bravorufe belohnten die Darsteller

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B

Tom Stoppard: Separatfrieden. Theater Nestroyhof/Hamakom

Eine Privatklinik im Charme der 60er Jahre: weiße Vorhänge, grüne Wände. Halbdrei Uhr Nachts. John Brown verlangt ein Zimmer. Es sei ein Notfall. Ihm fehle nichts, er möchte nur gepflegt werden, regelmäßig sein Essen bekommen – im Bett – und sonst nichts weiter. Sebastian Pass verpasst John Brown das richtige Durchschnittssmenschauftreten: Beiger Anzug, wahrscheinlich billiger Kunststoff, leise Bescheidenheit. Er ist „jeder“, der von „draußen“ nichts mehr hören und wissen will. Typischer Fall von Burnout, würde man heute sagen. Zur Zeit, als Stoppard diese Komödie (?) schrieb (Vietnamkrieg), wohl ein Fall von Kriegs- und Weltekel. Dem Personal passt dieser Brown nicht ins Schema. Krank ist er nicht, aber irgendetwas muss er doch TUN! Man verordnet ihm diverse Therapien, wie Korbflechten, was er dann auch pflichtschuldigst erledigt. Minutenlang darf das Publikum seinen wort- und geräuschlosen Versuchen. einen Korb zu flechten zusehen. Komödie oder Tragödie? Wohl am ehesten Tragik-Komödie. Allerdings gibt die Regisseurin Ingrid Lang der Komödie keine Chance. Sie inszeniert das Ganze als absurdes Theater. Das Krankenhauspersonal redet und bewegt sich in seinen militärisch anmutenden Kostümen (Mira König) wie KI-Roboter oder Patienten aus der Psychiatrie. Dadurch verlieren die komischen Momente jede Kraft und übrig bleibt ein todernstes Stück über einen kriegsmüden Heimkehrer, der von der Welt nichts wissen will. Doch die ERinnerungsbilder holen John Brown ein. Während er in einen aus Ästen geflochtenen Riesenkorb, der als Laterna magica fungiert, stiert, kriecht aus den Wandklappen das als Soldaten mit Grünzeug getarnte Personal auf die Bühne und wälzt sich auf dem Boden, schlägt aufeinander ein. Das alles zum Lied eines Affen (so laut Programm), der aber ein Reisenbär mit Fell und Tatzen ist. Die als Affenbär getarnte Regisseurin Ingrid Lang singt dazu das Lied von Pink Floyd, Us and Them – ein Song über beinharte Überlebensstrategien im Krieg. John Brown verlässt das Spital, als ihm das Personal als große Überraschung ankündigt, dass ihn Familienmitglieder und Freunde besuchen werden.

Anerkennender Applaus!

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Osterfestspiele Salzburg 2025: Gustav Mahler, 2. Symphonie „Auferstehungssymphonie“.

Esa-Pekka-Salonen dirigiert das Finnish Radio Symphony Orchestra und Chor des Bayrischen Rundfunks. Sopran Julie Roset, Alt Jasmin White

Ein Abend, der ganz und gar dem Motto der diesjährigen Osterfestspiele entsprach: „Wunden und Wunder“. Gustav Mahler komponierte in der 2. Symphonie die Qualen, Wunden und Krisen (damals wie heute), um am Ende Erlösung als Wunder anzubieten. Das „triviale Wunder“, wenn man es salopp ausdrückt, sprich das aktuelle Wunder, war jedenfalls Esa-Pekka – Salonen, der mit dem fast „wundervollen“ Gespür für Rhythmus, Zeit und Stille das Finnish Radio Symphony Orchestra zu Höchstleistungen antrieb.

Auf den zart-zärtlichen Beginn durch Violinen und Bratschen de 1. Satzes folgen Ausbrüche von Celli und Contrabässen – ein für Mahler typischer Temperamentwechsel. Doch der Dirigent ist nicht auf billige Wirkung aus – er hält den Ausbruch im Zaum. Wie auch in der Folge. Denn billiger Lärm ist nicht sein Stil. Zum Ende des Satzes erklingt ein gemäßigter Höllenlärm nach Motiven des „dies irae“. Esa – Pekka – Salonen respektiert den Wunsch Mahlers, nach diesem spektakulären Schluss eine längere Pause zu lassen, um den Übergang zum Andante des 2. Satzes erträglich zu machen und setzt sich für einige Minuten abwartend in das Orchester. Das Publikum respektiert die Stille. Das Andante des 2. Satzes ist dieser Stille verschrieben, und der Dirigent lässt das Orchester im Rhythmus von langen Atemzügen spielen. Wenn Mahler den 3. Satz als wirr beschrieb, so klingt das bei Esa-Pekka-Salonen eher als geordnetes Chaos, immer durch exakte Pausen konturiert. Daher ist auch das liebliche Ende kein krasser Gegensatz, sondern Ergebnis von Feinarbeit, Zum ersten Mal setzt ein Komponist in einer Symphonie Gesang ein – die weiche und dunkle Altstimme von Jasmin White singt das „Urlicht“, das mit den tröstenden Worten endet: „Der liebe Gott wird mir ein Lichtlein geben,/ wird leuchten mir bis in das ewig selig` Leben“. Im 5. Satz verlangt Mahler von Orchester, Chor und Dirigenten höchste Konzentration, besonders im Zusammenspiel von Flöte und Fernorchester für die „Nachtigallenrufe“. Was feinsilbrig und sinnbezaubernd gelang. Die Symphonie endet, wie der Titel verspricht: Chor, Sopran und Alt verkünden die Auferstehung. Leider war der Sopran von Julie Roset nicht ganz überzeugend und der Chor des Bayrischen Rundfunks sang ohne Wortdeutlichkeit, legte mehr oder weniger nur einen einheitlichen Tonteppich auf (wie auch zuvor im Chorkonzert „Elias“ von Modest Mussorgski). Das Publikum dankte allen, besonders dem Dirigenten und Orchester mit begeistertem Applaus.

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Grieg, Tschaikowsi. Schostakowitsch. Mahler Chamber Orchestra, Dirigent: Gianandra Noseda

Edvard Grieg: Peer Gynt Suite Nr.1

Gianandrea Noseda führt die jungen Musiker und Musikerinnen des „Chamber Orchestra“ mit Feingefühl und scheut sich auch nicht vor der brühmt-berüchtigten Romantik, wie sie in der „Morgendämmerung“ am Beginn aufzieht. In „Ases Tod“ wagt er alles an Gefühl. Es ist ein leiser Tod, dafür um so schmerzlicher. Kein Aufbegehren. So innig und hingebungsvoll dirigiert hörte man es selten. „In der Wüste“ lässt er die Affen tanzen, bevor Anitras Lockruf Peer Gynt betört. Aufgewacht in der „Halle des Bergkönigs“ hört man leie Hämmern, das immer lauter und heftiger wird bis zum eindrucksvollen Schluss.

Peter Tschaikowski: Violinkonzert in D-Dur op.35

Augustin Hadelich ; Suxiao Ynag

Die große Überraschung: Der junge Geiger Augustin Hadelich. Er spielte auf einer Violine von Giuseppe Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1744, einer Leihgabe des Tarisio Trust. Man meinte, dieses berühmte Konzert noch nie so innig und intensiv erlebt zu haben. Weich, geschmeidig lässt Hadelich alle Schmerzen und Freuden („..ich bin so verliebt, wie ich schon lange nicht wahr“ gesteht der Komponist seinem Bruder) der Liebe, auch die Angst vor Entdeckung erleben. Noseda legt mit dem Orchester weiche Übergänge, begleitet die Violine diskret. Hadelich „spielt“ Tschaikowskis Liebesleid, zuerst sanft, nimmt mit der Zeit immer mehr Tempo auf bis zum Schrei der Angst. Dass sein Spiel perfekt, virtuos ist, braucht keiner extra Betonung. Das fulminante Ende des 1. Satzes reißt die Zuhörer von den Sitzen und zu frenetischem Zwischenapplaus – was man sonst nie erlebt, weil verpönt! Nach dem ruhigen 2. Satz folgt der kräftige 3. Satz, der mit dem rasanten Allegro vivacissimo die Stärke und das Vertrauen an das Leben des Komponisten vermittelt. Frenetischer Applaus und standing ovation für Augustin Hadelich im Besonderen, aber auch für Noseda und das Orchester. Als Dank für diese Begeisterung spielt Hadelich noch Variationen eines argentinischen Tangos.

Dmitri Schostakowitsch: 9. Symphonie in Es-Dur op.70

Ein starkes Kontrastprogramm! Schostakowitsch feiert nicht die Befreiung der Stadt Leningrad, sondern klagt den Krieg als solchen, dahinter natürlich Stalin und seine Politik des Grauens an. Eine Todessymphonie, maskiert als absurdes Maskenspiel. Der erste Satz beginnt mit Marschmusik als Spott über Krieg und Kriegsrhetorik. Das „Moderato“ klingt geheimnisvoll bedrohlich, auch wenn dazwischen fröhliche Zwischentöne von Flöte und Oboe zu hören sind. Nach dem starken „Presto“ und einem intensivem „Largo“ mit wunderbarem Posauneneinsatz jagt der Komponist die Musiker in die Schrecken des Krieges im unerbittlichen „Allegretto“.

Frenetischer Applaus und standing ovation für Gianandrea Noseda und das ganze Orchester. Das Publikum dankte für eine Sternstunde im Musikgeschehen!

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Osterfestspiele Salzburg 2025: „Requiem(s)“, Choreographie: Angelin Preljocaj

Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Preljocaj. Licht: Eric Soyer, Video: Nicolas Clauss, Kostüme: Eleonora Peronetti.

Endlich wieder Ballettaufführungen bei den Salzburger Festspielen. Diesmal zeigt einer der wichtigsten Choreographen der Gegenwart einen Tanz der Trauerbewältigung und der Lebensfreude. Lange Zeit sah man von Angelin Preljocaj kein Ballett mehr. „2023 verlor ich meine Eltern und viele geliebte Menschen. Es war also der Moment, sich körperlich mit der Frage der Trauer auseinanderzusetzen….Paradoerweise ist dieses choreographische Requiem eine Art, das Leben zu feiern geworden“, spricht Angelin Preljocaj über sein Werk -zitiert aus dem Programmheft S 7.

Gemeinsam mit dem einfallsreichen Videokünstler Nicolas Clauss, dem Lichtdesigner Eric Soyer und der Tanzcompagnie schuf Angelin Preljocay einen eindrucksvollen Ballettabend um die Themen Tod, Trauer und Leben. Zu Beginn lässt er die Compagnie eine Hommage an seinen Lehrer und Mentor Merce Cunningham, der 2009 im hohen Alter starb, tanzen. Deutlich zitiert er die Grundchoreographie des Meisters: Jede Bewegung wird aus der Taille und der Hüfte heraus entwickelt. Während des Abends werden immer wieder diese Grundbewegungen aufblitzen. Die Videos von Nicolas Clauss entwickeln Assoziationen, wie Menschen mit Tod und Trauer umgehen – so gibt es etwa ein heiteres Wiedersehen mit den Ahnen, wie es die Torajas auf der Insel Sulawesi noch heute jedes Jahr begehen. Auf dem Video ist ein Skelett oder Totenkopf zu erkennen, davor feiern die Tänzer mit ihren Ahnen, nähren und kleiden sie. Anders die Trauer um die Natur: Vor einem entblätterten und dürren Wald, der von einer Tsunamiwelle verschluckt wird, rasen die Tänzer im ungeordneten Chaos über die Bühne, um ihre Verzweiflung auszudrücken. Gegen Ende der Performance bilden weißgekleidete Englesfiguren rund um einen toten Körper eine Pietà. Zum Schluss erscheinen zwei hohe, rotgekleidete Tänzer oder Tänzerinnen (?), um einen feierlichen Abschluss der Trauerzeit zu verkünden. Als Musik wählte Prelcokaj quer durch die Zeiten von Bach über Mozart, Ligeti bis zu Havy Metal – letztere Muik setzte er besonders stark und häufg ein, um einerseits die Tänzer in überschäumender Lebensfreude über die Bühne laufen und springen zu lassen, oder um heftige Trauer, die den Menschen zu Boden schlägt, zu vermitteln. Man bewunderte die tänzerische Leistung der Compagnie, aber die große Begeisterung, wie etwa sein berühmtes Handlungsballett „Schneewittchen“ hervorrief, spürte man nicht, weil auch manche Videos mit der dazugehörigen Choreographie unlösbare Rätsel aufgaben, wie etwa die weißen (Heiligen)figuren, die am Ende wie Putzlappen in einem Baugerüst hängen.

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Ayad Akhtar: Der Fall McNeal. BURG(theater)

Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath. Live Kamera: Andreas Deinert, Amdrea Gabriel, Mariano Margarit. Video: Andreas Deinert

Was tun, wenn ein renommierter und erfolgreicher Autor unerwartet mit einem nichtssagenden Allerweltsstück anrückt? Video ist immer hilfreich, Live Kamera macht Stimmung und dazu Joachim Meyerhoff, der Publikumsliebling der Wiener – das muss doch funktionieren, dachte Jan Bosse. Tat es aber nicht. Man gewinnt den Eindruck, Ayad Akhtar hat mit einem riesigen Kehrbesen alle aktuellen, medienwirksamen und abgetroschenen Themen zusammengekehrt und daraus ein Stück gebastelt. Das hätte auch KI gekonnt – vielleicht hat er sie eingesetzt und sich nicht dazu bekannt wie die Hauptfigur Jakob McNael. Wäre ein ganz besonderer Paukenschlag.

Langsam tröpfelt das Publikum ein, sucht den Sitzplatz. Kann sich dabei auf einer riesigen Viedeowall selbst beobachten, vielleicht sich oder Bekannten zuwinken. Das hebt schon mal die Stimmung. Dann Auftritt von Meyerhoff – endlich nach 5 Jahren Abwesenheit! Und wen muss er mimen – einen schwerkranken Säufer, dem ein baldiger Herztod oder ein nicht wieder gut zu machender Leberschaden droht. Eine Ärztin (Zeynep Buryac) teilt ihm das mit, cool, nicht immer gut verstehbar, Bauch und Rippen abklopfend. Irgendwie beklemmend. Doch er, Jakob McNeal, der bekannte Schriftsteller, nimmt die bedrohliche Diagnose gelassen. Sympathisch, leicht in der Literatur hin- und her springend diskutiert er mit seiner Agentin (Dorothea Hartinger), die dem Schema optisch und auch sonst dem Bild einer gewieften Erfolgslady entspricht. Mitten in der Diskussion erfährt der selbstsichere McNeal, dass er den Nobelpreis für Literatur gewonnen hat. Schnitt – er hält vor der auf der Videowall versammelten schwedischen Königsfamilie eine Brandrede gegen die Verwendung der KI in der Literatur. „Drei Romane aus der Bestsellerliste stammen von der KI“, schmettert er empört in das Publikum. Großartig. Beifall von allen Seiten. Dann sein Hamletmonolog – er schildert, wie er den Totenkopf seiner verstorbenen Frau aus dem Grab geholt hat. Gehts noch? Wo sind für Ayad Akhtar die Grenzen des guten Geschmacks? – Tut nicht viel zur Sache, Meyerhoff umschifft diese Geschmacklosigekeit mit der nötigen unterschwelligen Ironie. Wie er von nun an die ganze übrige Zeit den Charakter des allgemein als großen Blender, Schuft und Ekel geschilderten McNeal durchaus doppelbödig anlegt – nach dem Motto: keiner ist nur ganz böse, das kann auch nur er so wirklich hinterlistig gut. So auch in der Auseinandersetzung mit seinem Sohn (von Felix Kammerer ziemlich farblos gespielt). Der wirft ihm vor, die Mutter in den Selbstmord getrieben und ihr Manuskript als Grundlage für sein eben erschienenes Buch ausgeschlachtet zu haben. Die Vorwürfe kann ein McNeal gekonnt parieren – noch immer ist Meyerhoff/McNeal kein Schuft, Ausbeuter und schon gar nicht ein Mörder. Die große Beichte wird er erst während des Interviews mit der Reporterin der New York Times (Safira Robens) ablegen. Natürlich muss die Reporterin eine Farbige sein, und natürlich tappt der große. weiße Mann in alle diesbezüglichen Fettnäpfchen. Und frisch fröhlich, vom Whiskyrausch angefeuert, gesteht er seine Sympathie für Weinstein und Co. Ganz nebenbei lässt er eine weitere Klischeebombe platzen: Den letzten Roman habe er die KI schreiben lassen. Aber all das bleibt leere Luft, Klischee, auch der Vorwurf seiner Exfreundin, einer ehemaligen Redakteurin der New York Times, er habe ihr Gewalt angetan, gleitet ab in die Klischeefalle. Viel Lärm um altbekannte, viel zu oft in allen Sparten der Kunst und Medien abgehandelte Themen! Was weiter mit McNeal geschieht? Er schaut sich selbst beim Sterben zu, wie er im Schnee liegt und sich nicht mehr rührt. War Meyerhoff wie erwartet großartig? – Nein, denn diese Rolle erlaubte ihm maximal ironische Doppelbödigkeit.

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Wiener Staatsoper – Spielzeit 2025/2036

©Links oben: EXEX,NASA, Kosmans Pavlos, Mitte: EXEX, Dadalom Real/Unplash, rechts:EXEX, Philadelphiea Museum of Art, Elsa Kubito. Unten: EXEX, Valeria Kodra / Unplash

In der eleganten Bar der Kulisse für „Arabella“ lädt Direktor Roscic Gäste ein und stellt dem Publikum launig, geistreich und unterschwellig ironisch Hits und interessante Details der kommenden Saison vor. Aus den Fotos im Programmheft und auf der Videowall war zu erkennen, wohin die Reise gehen wird: Ungewöhnliches, Unbekanntes, Bekanntes mit neuer Besetzung und Ausstattung, immer fernab vom Mainstream und -so hoffen alle im Publikum, mit Regisseuren, die respektvoll mit dem Werk umgehen werden. Den Auftakt zur Saison wird eine große, festliche „Open Air“ Gala machen. Publikumsmagneten wie Jonas Kaufmann, Elina Garancia, Benjamin Bernheim und Sonya Yoncheva und andere werden singen. Zeit: 7. September, Ort Burggarten. Eintritt frei.

Folgende Premieren erwarten uns: Smetana, Die verkaufte Braut. Beethoven, Fidelio. Verdi, Luisa Miller . Mozart, La Clemenza di Tito. Georges Bizet: Les Pêcheurs de Perles.

Spannend wird die Ballettsaison unter der neuen Leiterin Alessandra Ferri. Sie startet mit „Kallirhoe“ – Choreographie Alexej Ratmansky. Die seit Jahren übliche Ballettgala am Ende der Saison wird sie dem Choreographen Frederick Ashton widmen.

Alle Informationen unter:http://www.wiener-staatsoper.at

Wiener Staatsballett: „pathétique“.

(Foto: pathétique, GCusin, MKimoto, AVandervelde. ©Wiener Staatsballett/Aschley Taylor)

Drei unterschiedliche Choreographien an einem Abend

Mozart: „divertimento Nr.15- Choreographie: Balanchine.

Feldman: „summerspace“ -Choreographie: Cunningham.

Tschaikowski: pathétique- Choreographie: Schläpfer.

George Balanchine: divertimento nr.15 (Mozart). Dirigent: Christoph Altstaedt

©Aschley Taylor. Ensemble

George Balanchine (1904-1983) war ein großer Verehrer Mozarts. Trotzdem blieb es nur bei dieser einen Choreographie. Unter der feinfühligen musikalischen Leitung von Christoph Altstaedt zaubern fünf Solistinnen, drei Solisten und acht Tänzerinnen ein heiteres Fest des Tanzes. In ihren an Meissner Porzellanpupppen erinnernden Kostümen (Karinska) meint man, die Figuren seien aus einem „tableau vivant“ entstiegen, Die Choreographie basiert zwar auf dem klassischen Ballet, ist jedoch bar jeder rigorosen Strenge. Alles wirkt aufgelockert, duftig und leicht. Das ganze Ensemble hat sichtlich Freude an diesem Frühlingsgruß – das Publikum ebenfalls, was der lange Applaus bewies.

Merce Cunningham (1919 -2009): „summerspace“. Musik Ixion für zwei Klaviere von Morton Feldman. Am Klavier: Johannes Pirto und Milica Zakic

summerspace/Rebecca Horner. © Aschley Taylor

Der Kontrast, für manche Zuseher vielleicht auch der Schock, zum vorigen Stück war groß. Vor einer Wand mit verschwommenen Sommerfarben tanzt ein großartiges Ensemble in farblich mit dem Hintergrund abgestimmten Trikots. Bühne, Kostüm und Licht entwarf der amerikansiche Pop-Artkünstler und Superstar in der New Yorker Kunstszene Robert Rauschenberg. Nach der Musik von Morton Feldman, die an eine tröpfelnde Dusche erinnert, tanzt ein engagiertes Ensemble, eher gleichen die Bewegungen Übungen nach geheimen geometrischen Mustern. Die Freude, Rebecca Horner wieder tanzen zu sehen, war allseits groß. Mit ihrer katzenartigen Geschmeidigkeit formte sie die nüchtern wirkende Choreographie zu interessanten Körperminiaturen.

Martin Schläpfer: „pathéthique“ – Uraufführung. Symphonie Nr. 6 von Tschaikowski. Dirigent: Christoph Altstädt.

© Aschley Taylor / RArts, JGonzales Vabrera, C.Schoch, MMenha

Martin Schläpfer verlässt nach fünfjähriger Tätigkeit als Ballettdirektor Wien und zieht sich in die Einsamkeit der Schweizer Berge zurück. Dieser Abend mit der Choreographie der Pathéthique sollte das Abschiedsgeschenk an sein Publikum sein. Schwere Kost, düster verpackt. Vor einem grauschwarz gestreiftem Hintergrund, dessen Muster sich am Boden fortsetzt (Bühne: Thomas Mika) entwickelt sich nur schemenhaft eine Grundidee. Wenn etwa Frauen in geballter Formation gegen die Geschlossenheit der Männer vorgehen, sie zu verführen trachten, scheitern, wenn Männer in diversen pas de deux diskret sich zu ihrer Zuneigung bekennen. Das alles bleiben Vermutungen, Rätsel, die spannend anzusehen sind, aber nicht aufgehen. Vielmehr bietet Schläpfer einen dichten Katalog an schwierigen Einzelchoreographien, Soli, pas de deux und pas de trois, gespickt mit Ideen, die schwer oder gar nicht einzuordnen sind, etwa, wenn Tänzer auf einer Art Schlitten hereingezogen werden. Die Tragik der Musik – ganz hervorragend dirigiert von Christoph Altstaedt – bleibt manchmal auf der Strecke, weil man zu sehr mit Deutungs- und Einordnungsversuchen beschäftigt ist. Man staunt über die Leistungen des Ensembles. Es wäre unfair, einzelne hervorzuheben, da sie alle die überaus fordernde Choreographie perfekt umsetzen. Mit dieser Abschiedschoreographie hat Martin Schläpfer seinen ganzen Einfallsreichtum über das Publikum ausgeschüttet. Und diese Fülle ergibt letztendlich doch nur eine Ereignisleere. Der Moment des Mitgenommenwerdens bleibt aus. Das ändert auch nicht das nachgereichte Lied von Friedrich Händel „Süße Stille“, gesungen von Florina Illie, begleitet von Luka Kusztritch (Violine), Stephen Hopkins (Cembalo).

Das Publikum dankte Martin Schläpfer mit langem Applaus und standing ovation nicht nur für diesen Abend, sondern besonders für viele wunderbare vorangegangene Ballettabende.

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Sergej Prokofjew: Die Verlobung im Kloster. Theater an der Wien

Vorlage: Richard Brinsley Sheridan „The Duenna“ – englische Komödie. Prokofjew und Mira Mendelson: Übersetzung und Bearbeitung.1941 komponiert, nach Ende des 2. Weltkrieges uraufgeführt.

Man traut seinen Ohren und Augen kaum: Diese Musik stammt aus der Feder Prokfjews? In der Inszenierung von Damiano Michieletto und unter dem rasant-pfiffigen und dann wieder sehr romantischen Dirigat des jungen Russen Dmitry Matvienko entfaltete sich ein Ohren- und Augenschmaus der Sonderklasse. Man bediente sich aller Slapsticktricks und szenischer Übertreibungen aus der Opera buffa und Comedia dell´arte, aber immer mit Augenzwinkern. Michieletto drückte im richtigen Augenblick die Stoptaste, bevor die Szene peinlich wurde. Durch seine präszise Personenführung gelang ihm eine haarfeine Charakterisierung der Personen, die über das Schema einer Opera buffa weit hinausgeht. Auch die zur Zeit Prokofjews fast als Pflichtübung verlangten Tanz- und Ballettszenen wurden sehr zum Vergnügen des Publikums schräg überdreht, dass sie ins Absurde abtrifteten und jeder Peinlichkeit bar waren. Höhepunkt solcher Szenen – natürlich die Massenbesäufnis im Männerkloster! Da greifen Prokofjew und Michieletto tief in die satirische Kiste der Unverschämtheiten: Unter ihren Kutten tragen die Mönche Strapse, leben ihre erotischen Vorlieben ungeniert aus. schnappen sich Geld, Bier, Nonnen und los geht die Orgie. Wie Satansabkömmlinge wirken ihre tanzenden Riesenschatten an den Wänden.

Worum geht es überhaupt? – Schlicht und einfach um das Scheitern zweier alter Gierhälse. Mendoza hat das Geld durch den Fischhandel, Don Jerome eine hübsche Tochter. Der nach Fisch stinkende Mendoza will die schöne, junge Tocher, Jerome das Geld und die Macht. Also: tut man Tochter und Geld zusammen, hat man das Monopol – in dem Fall im Fischhandel. Ist ja heute auch nicht anders: Zwei Große, Mächtige tun sich zusammen und schon haben sie die kleinen Fische geschluckt, über bleibt ein Riesenfisch. Doch die Intrige scheitert, was bleibt über? – Ein abgenagter Fisch. Monopol pfutsch, dafür haben sich die beiden Liebespaare gefunden. Das wäre so in groben Zügen die Handlung, die durch Kleidertausch und Liebesirrtümern noch heftig aufgemotzt wird. Dass da ein üppiges Bühnenbild leicht zu viel werden könnte, hat Paolo Fantin erkannt und ein überaus schlichtes „Raumgefühl“ durch einfache Linien und absenkbare Versatzteile entworfen. Die Kostüme von Klaus Bruns charakterisieren die Personen treffend, ohne zu übertreiben.

Die angenehme Überraschung: Das ganze Ensemble liefert stimmlich und schauspielerische Glanzleistungen! Allen voran die beiden Alten: Evgeny Akimov ist ein Erzkomödiant, genießt jeden musikalischen und schauspielerischen Spaß. Mit seiner zum Bariton neigenden Stimmlage ist er in den unteren Lagen genau so firm, wie im Tenorbereich. Als Fischhändler und blind Verliebter ist der Bass Valery Gilmanov der perfekte „Dumme“, der am Ende die Anstandsdame Duenna statt der jungen Luisa versehentlich heiratet. Elena Maimova ist in der Rolle der „alten Anstandsdame“ umwerfend bis zur Selbstverleugnung!! Als Luisa glänzt Stacey Alleaume, die Rolle der zickigen Clara füllt Anna Goryachova gut aus. Peter Sokolov ist ein unglücklich Verliebter Don Ferdinand, und Vladimir Dmitruk ein kreuzbraver Geliebter Luisas. Eine äußerst interesante Nebenrolle füllt Zoltan Nagy aus. Als deprimierter Begleiter und Freund Mendozas kommentiert er mit seinem ausdrucksvollen Bass die überspitzen und überdrehten Szenen, wodurch er eine Art Notbremse zieht, bevor das Spiel und die Musik in den Wahnsinn kippt. Apropos Musik – Prokofjew komponiert hier stich- und haargenau auf das Wort und die Aktion hin, als würde er Filmszenen untermalen. Bewundernswert führt Dmitry Marvienko das ORF Radio-Symphonieorchester und den wie immer klangvollen Arnold Schönberg Chor durch diese eigenwillige Musik!

Viel Jubel und Beifall!

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Tschaikowski: Iolanta. Wiener Staatsoper

Musikalische Leitung: Tugan Sokhiev, Inszenierung: Evgeny Titov, Bühne: Rufus Didwiszus, Kostüm: Annemarie Woods

EIN LICHT IM DUNKLEN (OPERN-)REGIETHEATER!!!

Ein Abend, der beglückt, von dem man schon lange träumte: Ein Abend, an dem alles zu einem Wunder zusammenwirkte: Tschaikowskis Musik, die innig ist, religiös im allerweltlichsten Sinne, aus einem tiefen Glauben an das göttliche Wirken aufsteigt und den Hörenden in der Seele trifft. Tugan Sokhiev, ein Dirigent, der diese Musik verinnerlicht hat und feinfühlig an das Publikum weitergibt. Endlich, endlich ein Regisseur, der dem Werk gegenüber mit Respekt und Einfühlsamkeit gegenübertritt und mit seiner ausgezeichneten Personenführung und einem Quentchen Humor das Märchen von der blinden Iolanta wahr werden lässt: EVGENY TITOV! Endlich, endlich kann man die Augen offen halten und die Szenerie genießen, denn Rufus Didwiszus hat ein märchenhafte Bühnenbild geschaffen, das einem Barock- oder Rokokobild entnommen sein könnte: Auf einem Felsenhügel ranken sich Rosen bis zu Spitze, wo Iolanta auf einem Bett schläft. Eingerahmt und überdacht wird die Szenerie von einem hohen Gewölbe aus alten Zeiten, das jederzeit zusammenbrechen kann – und es am Ende auch geschieht, aber darüber später. Dass die Sängerinnen und Sänger nicht in sogenannten zeitlosen Fetzen agieren müssen, sondern in zum Tableau passenden, aus jeder Zeit gefallenen „Roben“ spielen dürfen, das verdanken sie der Kostümbildnerin Annemarie Woods.

Und wenn dann alle, aber wirklich alle Rollen in Topbesetzung mit Topstimmen agieren, dann glaubt man schon an ein Wunder. Allen voran Sonya Voncheva als Iolanta. Ihr Sopran steigt mühelos in Höhen, liegt in der Mittellage sicher. Vor allem weiß sie dem blinden Mädchen Charakter zu verleihen – lässt spüren, dass es außrhalb ihres von der Welt abgeschottetem Lebens noch etwas gibt, das man ihr verbirgt. Berührend und ehrlich ihr Duett mit Robert, ihrem Ritter ohne Schwert und Pferd, sondern ein Alltagsmensch, der einfühlsam sie in die Welt des Lichtes und der Farben einführt: Tenor Boris Pinkhasovich. Leicht liegt ihm die Höhe, ebenso die tiefen, samtigen Töne. Ihm zur Seite, fast wie Sancho Pansa ängstlich und besorgt um seinen Freund: der Tenor Dmytro Popov als Vaudemont. Diese Rolle hat der Regisseur mit viel Humor aufgewertet – Vaudemont badet seine vom Wandern müden Füsse im Bach, seine geliebte Mathilde ist ein handfester Bursche in kurzen Hosen, der auf einem getöteten Stier dem staunenden Hofpersonal präsentiert wird. Der Bass Ivo Stanchev verleiht der schwierigen Rolle des Vaters die genau richtige Färbung zwischen Vaterliebe und despotischer Strenge. Alle Rollen, auch die kleinsten Nebenrollen, sind perfekt besetzt. Wenn am Ende der Chor Gott als Spender des Lichtes und des Lebens preist, dann hat das Gänsehauteffekt. Als mit allen Wassern gewaschener Regisseur weiß Evgeny Titov einen verblüffenden Überraschungseffekt am Ende einzubauen: Mit dem letzten Ton fällt die Kulisse des alten Gemäuers und dahinter ercheint unsere heutige Welt: grau, dunkel, zerstört. Das Märchen ist vorbei. Die Heutigen haben es zerstört.

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Philipp Hochmair liest Kafka, Der Prozess. Theater Akzent

Ist das wirklich Philipp Hochmair? Von der Ferne, der 2. Reihe Balkon, sieht man einen ordentlich gescheitelten Mann im Anzug und Krawatte an einem Tisch sitzen-

Foto: Stephan Brückner

und er beginnt zu LESEN! Hochmair und LESEN! Das hat man noch nie erlebt. Er bringt ja sogar Stifters Novelle „Der Hagestolz“ zum Glühen, er rast als Werther über die Bühne, er stolpert wie der tumbe Tor durch „Amerika“, er verausgabt sich bei Schillers Balladen und im Jedermann reloaded. Nie und nimmer las er – fest am Sessel klebend! Nun den Anzug versteht man noch – er imaginiert ja Josef K., einen Bankangestellten so um 1913/14 herum. Und der Text selbst ist ein trister Hammer. „Den sollte man sich nur geben, wenn man ausgeglichen ist und einen halbwegs ruhigen Tag hinter sich hat“, sagte ein Besucher nach der Lesung. Erschwerend kam noch hinzu, dass Philipp Hochmair in seine von Interviews und den Aufführungen des Jedermanns auf dem Salzburger Domplatz leicht nuschelnde, Endsilben verschluckende Aussprache verfiel. So musste man sich gehörig anstrengen, um einigermaßen mitzubekommen, was der arme Josef K. da unten mitmachen musste: Verhaftet werden, einen Prozess ohne Anklagegründe sich anhören und schließlich einen grausamen Tod durch Erstechen erleiden. Als Auflockerung gab es Dias, über deren Zweck man heftig rätseln durfte. Da sah man drei Mädels im Dirndl, sofortige Assoziation: Mädels aus einem Wachaufilm. Oder Menschen beim Heurigen. Am Ende ein Bild, das im Stadtpark von Wien aufgenommen sein könnte: Blühende Bäume, eine Statue verschwommen im Hintergrund, ein Mensch vorne – im Anzug. Kafka, Hochmair? Irgendwie tröstet man sich: Einer „Rampensau“ (für alle, die den Ausdruck nicht kennen: Es ist das größte Kompliment für einen Schauspieler und meint: Er gibt immer alles, markiert nie) darf auch einmal ein Ausrutscher passieren.

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Festspielhaus St. Pölten: Bruckner, 5. Symphonie in B-Dur, Yutaka Sado dirigiert die Tonkünstler- Österreich

Anton Bruckner schrieb die 5. Symphonie in einer sehr schwierigen Zeit seines Lebens. 1874 verlor er die Stelle als Lehrer am Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde und damit die finanzielle Sicherheit. So flüchtete er sich in die Sicherheit des Komponierens der 5. Symphonie, wo er sich aufgehoben fühlte und alle Existenzängste vergessen konnte. Hatte er doch mit seinen Kompositionen schon große Erfolge gefeiert, zum Beispiel 1871 in der Londoner Albert Hall, wo ihm Zehntausende begeistert zugejubelt hatten. Und so komponierte er in diesem Sellbstvertrauen seine wohl anspruchsvollste Symphonie, so anspruchsvoll, dass er sie für 20 Jahre in der Schublade verschloss. So anspruchsvoll, dass Franz Schalk, als er1893 als Opernkapellmeister in Graz die Symphonie zur Uraufführung brachte, sie mit zahlreichen Änderungen und Kürzungen aufführte, um sie dem damaligen Publikumsgeschmack anzupassen. Erst 1935 brachte Sigmund von Hausegger mit den Münchner Philharmonikern die Originalfassng zur Uraufführung.

Im Gegensatz zu vielen anderen Dirigenten lässt Yutaka Sado nicht mit heftigen Trommelschlägen beginnen, sondern verwandelt diese in sanfte von Kontrabässen gespielte „Streichelschläge“ und fährt mit leisen, langgezogenen Akkorden der Geigen und Bratschen fort, um dann um so wuchtiger die Bläser und Trommler als Kontrast einzusetzen. Dieser Beginn ist typisch für die ganze Symphonie, die einem Parforceritt durch alle nur möglichen Kompositionskontraste gleicht. Sado dirigiert diese Kontraste fein ziseliert, arbeitet jedes Detail wie ein filigranes Kunstwerk heraus und führt das Publikum mit Hochspannung in die volle Klangschönheit dieser schwierigen Symphonie.

Begeisterter Applaus und eine Rose für den Dirigenten!

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Habsburger III: A Trauerspül. Schuberttheater

Text: Stephan Lack, Regie: Simon Meusburger, Puppen und Pupppenspielerin: Soffi Povo, Kostüm und Produktion: Lisa Zingerle, Bühne: Angela Konzett

In aller Gemütsruhe kann man die seltsame Maschine auf der Bühne studieren – eine Mischung aus Leierkasten und altem Feuerherd, wie er noch in ehemaligen Rauchküchen zu sehen ist. Dann ein Donnerschlag – und laute Musik, bis aus dem Off eine Stimme die Geschichte der Familie Habsburg erzählt, angefangen beim Urururgründer, einem gewissen Ferdinand. Kein Spross und keine Kriege werden ausgelassen (ein wenig zu ausführlich, das merkt sich sowieso niemand), bis die Stimme dann bei Maria Theresia landet, der „Urmama“ und klugen Töchterverschacherin. Hinter der geheimnisvollen Maschine werkt eine Laborantin. Dass sie den Auftrag hat, die Habsburger zu klonen, kann man nur aus dem Beitext entnehmen, nicht aber aus dem Geschehen auf der Bühne. Sie druckt Knöpfe, probiert Schläuche, bis plötzlich der von der Guillotine abgehackte Kopf der Maria Antoinette aus einer Schachtel springt. Sie würde gerne ihren Körper wiederhaben, aber das übersteigt die Fähigkeiten der Laborantin. Die zaubert – pardon klont – die letzte Kaiserin Zita aus ihrer Kiste, aber leider nur die Hand, die in einer geheimnisvollen Zeichensprache Befehle erteilt. Als Dritter im Bunde erscheint der traurige Maximilian, Kaiser von Mexiko, der nur 2 Jahre Kaiser sein durfte und von den Rebellen erschossen wurde. Dass sich Maria Antoinette und Maximilian aufgrund ihres gewaltsamen Todes zusammentun, hat eine gewisse makabre Logik. Und dass sich beide gegen die lästige Labornatin wenden und sie abmurxen, ist zwar etwas unklar, aber in dem Stück geht es ganz sicher nicht um Klarheit. Am Schluss taucht noch Kaiser Franz Josef auf und alle zusammen wehren sich gegen die Banalisierung und Vermarktung ihres Schicksals durch allzu geschäftstüchtige Tourismusmanager. Irgendwie läuft der Plot aus dem Ruder – worum geht es? Ums Klonen und dass die Klonen sich gegen ihren Schöpfer stellen? Oder gegen die Tourismusindustrie? Der Autor Stephan Lack hat viel zu viel gewollt und sich in seinem eigenen Geschichtenlabyrinth verirrt. Da konnte ihm auch nicht die chamante und geschickte Laborantin Soffi Povo heraushelfen.

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Einführungsmatinée zu Prokofjews

Foto (vom Fernsehschirm aufgenommen) mit den wichtigsten Sängern und Sängerinnen der Produktion. Es fehlte die Angabe der einzelnen Namen der Künstler.

Lyrisch-komische Oper . Libretto von Sergej Prokofjew und Mira Mendelson. Musikalische Leitung: Dmitry Matvienko, Inszenierung: Damiano Michieletto.

Mit Evgeny Akimov, Petr Sokolov, Stacey Alleaume, Elena Maximova, , Vladimir Dmitruk, Anna Goryachova und andere.

Damiano Michieletto ist auf komische Opern spezialisiert, unter anderem inszenierte er im Theater an der Wien Rossinis Otello. In Prokofjews Werk sieht der Regisseur eine Mischung aus Opera buffa und Commedia dell`arte. Mit Witz und Freude an leicht absurden Szenen verspricht Michieletto einen unterhaltsamen Opernabend zu inszenieren.. Nach zahlreichen Kleiderwechseln und Irrtümern finden die richtigen Paare zusammen und es gibt eine Dreierhochzeit. Mit dem italienischen Regisseur bekommt die Oper italienisches Tempo und Witz, mit dem russischen Dirigenten Matvienko den russischen Pfeffer in der Musik.

Das Publikum darf sich auf eine amüsante Neuentdeckung freuen. Première ist am 25. März 2025

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Philharmonic Five: „Passion & Fire“. Wiener Konzerthaus

Foto Philharmonic Five von li nach re: Elmar Landerer Viola, Lara Kusztrich Violine, Edison Pashko Violoncello, Tibor Kovac Violine und Moderation, Adela Liculescu Klavier

Dmitri Schostakowitsch: Klavierquintett g-moll, opus 57

Es war eine Sternstunde, als die Philharmonic Five dieses berührende Klavierquintett spielten. Mit diesem Werk hatte sich Schostakowitsch wieder in die Riege der vom Stalinregime gelobten und geschätzten Komponisten zurückkomponiert. Seit 1936, der Auffführung seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ von dem Parteiorgan Prawda als Chaotiker geschmäht, war man nun wieder voll des Lobes. Unter diesem politischen Druck, begleitet von ständiger Angst, lebte Schostakowitch bis zu seinem Tode.

Wir Heutigen konnten das Klavierquintett frei von politischer Vergangenheitsfärbung erleben und hörten eine Art von Retro-Utopie,, ein Bekenntnis zur Vergangenheit und zu musikalischen Größen, wie Bach (Prelude)als Wegweiser in eine Zukunft, kontrastiert durch exzessivem Furor (Fugue). Ein zärtlich-verträumtes Geigensolo leitet über zu einem heiteren Scherzo und einem besinnlichen Lento, bevor ein zackiger Marsch in eine zerrissene Zeit der Gegenwart überleitet.

Nach der Pause ging es mit viel „Fire“ weiter.

Am Beginn hörte man aus Antonin Dvoraks „Zigeunerliedern“ die Orchesterbearbeitung von Fritz Kreisler: „Als die alte Mutter sang“. Ebenso berührend „Sayruri’s Theme“ über eine Geisha, komponiert von John Williams. Die Violinistin Lara Kusztrich brillierte mit dem bekannten Tango „Jalousie“ von Carlos Gardel, in der Bearbeitung für Streicher. Zugegeben: Es klang perfekt, aber es fehlte doch das Bandoneon. Nach einem Mix aus Prokofjew und Schostakowitsch feierte man wieder das Zigeunerleben und die Liebe mit einem Liebeslied von Pablo de Sarasate. Da brillierte Tibor Kovac als Teufelsgeiger. Am Schluss demonstrierte Adela Liculescu ihr Können. „Man glaubt, sie hat 30 Finger“. kommentierte Tibor Kovacs den Furor, mit dem die Pianistin den „Türkischen Marsch“ von Mozart spielte

Als Zugabe spielten sie von Antonio Bazzini, La ronde des lutins ,bearbeitet von Tibor Kovac.

Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus.

Das nächste Konzert im Zyklus „Philharmonic Five“ am 4. Juni 2025

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Sabine Thiesler, Leb wohl, Schwester. Heyne Verlag

Wer einmal einen „Thriller“ von Sabine Thiesler gelesen hat, der ist ihr verfallen. Mit Neugier und Ungeduld wartete man auf die Neuerscheinung: „Leb wohl, Schwester“ ist spannend und klug geschrieben, wie alle vorangehenden Bücher. Wie immer stellt die Autorin eine psychisch gestörte Figur als Mörder, Mörderin in den Mittelpunkt. Und immer ist von Anfang an klar, wer der Böse, die Böse ist. Auch dieses Mal kann man die Mörderin bei ihreren Taten „zusehen“, ist direkt dabei. Es ist eine junge Kellnerin namens Stefania. Sie lebt mit ihrem Zwillingsbruder Stefano in Ambra, einem verschlafenen Nest in der Toskana. Als Kinder wurden die beiden von ihrem Stiefvater vergewaltigt. Dieses grausame Erleben hat die beiden zusammengeschweißt und aus ihnen ein Liebespaar gemacht. Allerdings vor der Öffentlichkeit leben sie als Bruder und Schwester. Was Stefania unglücklich und neidisch auf alle glücklich Verliebten macht. Erst wenn sie diese getötet hat, kann sie einigermaßen ruhig weiterleben. Zwei in kurzen Abständen ermordete Paare machen dem Kommissaar Donato Neri schwer zu schaffen. Obwohl tatkräftig unterstützt von der neuen Kommissarin Romina, zweifelt er fast, ob sie je den Mörder finden werden….Mehr sei hier nicht verraten. Nur so viel: Die Stärke der Autorin besteht in ihrer humorvollen, leicht ironischen Charakterisierung des Kommissars einerseits und des psychologisch klug untermauerten gestörten Charakters der jungen Stefania. Und natürlich liefert das Ambiente des kleinen Dorfes und seiner oft recht skurrilen Mitbewohner den passenden Hintergrund. Auch den Krimi- und Thrillerverächtern zu empfehlen!

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Eugène Ionesco: Die kahle Sängerin. Volkstheater in den Außenbzirken (Theater Akzent)

Deutsch: Serge Stauffer. Regie: Johanna Mitulla, Bühne: Laurent Pellissier. Kostüm: Vanessa Sampaio Borgmann. Musik: Lukas Kratzer

„Die kahle Sängerin“ war Eugène Ionescos erstes Werk. Er soll von einem Englischlehrbuch inspiriert worden sein, in dem die allerdümmsten und banalsten Phrasen als Lerngrundlagen dienten. So entstand dieses Konversationsstück, ein Feuerwerk an absurden und sinnlosen Dialogen. Mit der Uraufführung 1950 in Paris wurde gleichsam die Geburtsstunde des absurden Theaters eingeläutet.

Ionesco wollte damit vor allem das geistige Niveau der sogenannten bürgerlichen „Konversation“ ins Lächerliche ziehen. Dazu passend entwarf Laurent Pellissier eine bürgerliche Wohnstube, wo Herr und Frau Smith ihr tägliches Teeritual abspulen. Allerdings ist das Ambiente schon ein wenig ramponiert – kaputte Sessel mit schräger Sitzfläche, Skelette und allerhand Kram weisen auf die Dekadenz der Bewohner hin. Leider war Dagna Litzenberger Vinet, die Darstellerin der Mrs. Smith, erkrankt. Dankenswerter Weise sprang Regieassistentin Pia – Maria Harr für sie ein und las die Rolle aus dem Textbuch. Das war zwar heroisch von ihr, aber ihre Stimme erreichte nicht einmal die vierte Reihe. Dafür legten sich die drei anderen Schauspieler um so mehr ins Zeug: Der baumlange Simon Mantei war ein steifer Mr. Smith, der das Ritual und die Konversation ins Absurde hinüberhob. Köstlich geriet die Szene zwischen dem Ehepaar Mr. und Mrs. Martin (Simon Bauer und Nora Wagner). In dem Dialog zwischen einem Ehepaar, das sich kaum an den anderen erinnert, obwohl sie zusammen wohnen und Kinder haben, schrieb Ioesco wohl eine signifikante Szene, die für viele Paare gelten kann: Wie weit bleibt der Partner unbekannt, obwohl man mit ihm zusammen lebt?

Die Regisseurin Johanna Mitulla hatte den aktuell wirksamen Einfall, aus der absurden Komödie eine absurde Tragikkomödie zu machen: Das Ehepaar Smith ließ den Feuerwehrmann (wieder Simon Bauer) in die Wohnung und damit den Brandstifter. Dürrenmatt lässt grüßen! Wir laden uns ja sehr aktuell gerade die Brandstifter ins politische Geschehen ein und merken es nicht oder wollen es nicht wahrhaben. Leider waren die Schauspieler dann zu wenig sprachdeutlich, um dieses turbulente „Feuerwerk“ an Unsinn und Abgedroschenheit klar und verständlich hinüber zu bringen. Es wurde zu einem absurden Geschwurbel, einzelne Worte und Worthülsen konnte man sich noch zusammenreimen. Aber die Grundidee war schlüssig:

Am Untergang ist man selbst schuld, weil man denVerursacher persönlich hereingeholt hat.

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Die Kameliendame, Ballett von John Neumeier.

Musik: Frédéric Chopin. Choreographie und Inszenierung: John Neumeier. Dirigent: Markus Lehtinen

Foto: Olga Esina und Edvin Revazov, ©Ashley Taylor

Gesehen zum VIERTEN MAL! Immer in derselben Besetzung – natürlich mit Olga Esina als Marguerite. Allerdings gab es zwei wesentliche Änderungen, die neugierig machten: Verletzungsbedingt fiel Esinas (Traum)Partner Brendan Saye aus. An seiner Stelle tanzte der aus der Ukraine stammende Edvin Revazov. Er hatte sein Ballettstudium in Moskau und Hamburg absolviert, brachte es unter John Neumeier schnell zum Solisten und tanzte viele wesentliche Rollen, wie Parzival, Wronski, Tadzio etc..Nun also den Armand. Von Figur und Auftreten passte er gut zu dem tolpatschigen Armand im 1. und 2. Akt, wo er den schüchtern-glücklichen Liebenden zu tanzen hatte. Aber im 3. Akt, wo der Furor und die Leidenschaft zwischen den beiden neu erwacht , da hätte ihm ein Quentchen mehr Feuer gut getan. Zwar war der „Liebespasdedeux“ perfekt getanzt, aber da gewisse Etwas fehlte. Vielleicht ist das Urteil auch durch die Erinnerung an Esina-Saye getrübt. Da war Ehrlichkeit, Verzweiflung und große Leidenschaft spürbar! An diesem Abend war es Perfektion.

Am Klavier (im Orchestergraben) war diesmal nicht Michal Bialk, sondern Oliver Kern zu hören. Da war ein neuer Klang, es schien, als ob die Musik Chopins nur für die beiden Liebenden komponiert wurde. Eine selten zu hörende Einigkeit, Subtilität und Führung begleitete, ja interpretierte und verdeutlichte, was Liebe und Leidenschaft für Marguerite und Armand bedeuten – ihr Leben.

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Eva Strasser, Wildhof. Wagenbach Verlag

Lina ist eine schräge Figur. Erfolgreich in ihrem Beruf -was genau macht sie? . Aber sie hat eine Macke – irgendetwas ist schief gelaufen, man hat ihr eine Bewährungshelferin als Aufpasserin zur Seite gestellt. Warum? – Das spielt im Verlauf des Romans dann keine wesentliche Rolle. Sie ist auf dem Weg in das Dorf Wildhof – nomen est omen, dort sagen sich die Füchse gute Nacht- um das Erbe ihrer durch einen Autounfall ums Leben gekommenen Eltern zu schlichten und anzutreten. Haus und Garten ihrer Kindheit sind schön romantisch verfallen. Romantisch auch der umgebende Wald. Von den Naturstimmungen lebt dieser Roman, überwuchert die eigentliche Handlung. Denn da gibt es nicht viel zu erzählen: Lina organisiert das Begräbnis ihrer Eltern, findet im Haus Spuren ihrer Zwillingsschwester Luise, die eines Tages ohne Nachricht abgehauen ist. Hin und wieder bekommt Lina Wutanfälle, die sich nicht erklären lassen. Vieles bleibt ein Rätsel, vielleicht könnte man sagen ein liebenswertes Rätsel.

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Matinée zu „Iolanta“ von Tschaikowski. Staatsoper Wien

Seit 125 Jahren war „Iolanta“ nicht mehr an der Wiener Staatsoper zu sehen. Nun hat sich Direktor Bogdan Roscic zum Ziel gesetzt, zu Unrecht vergessene oder vernachlässigte Werke zur Aufführung zu bringen. Allerdings war am Theater an der Wien „Iolanta“ gleich zweimal zu erleben, 2011 und 2019. Und jetzt auch in der Volksoper Wien, gekoppelt mit „Nussknacker“. Leider ist diese Kombination als wenig geglückt.

„Iolanta“ ist Tschaikowskis letztes Werk. Er ließ in dieses Märchen ( nach der Dramenvorlage von Henrik Hentze) viel von seiner durch den niederländischen Philosophen Spinoza beeinflussten Denkweise einfließen. So etwa, dass man Körper und Seele nicht voneinander trennen kann. Diese These -so der russische Regisseur Evgeny Titov in der Matinée – ließ er in die Rolle des Arztes, gesungen von Attila Mokus, einfließen, der Iolanta von ihrer Blindheit heilen soll. Er erklärt dem Vater Iolantas, dass Heilung nur möglich sei, wenn Iolanta es wolle. Gegen ihren Willen könne er sie nicht behandeln. Es gehe also um Willensfreiheit, die Kraft der Liebe und um die Frage, was wir subjektiv von der Welt wahrnehmen. Wie sieht die Innenwelt der blinden Iolanta aus?

In der Matinée stellten sich mit Arien aus „Pique Dame“ (Tschaikowski) vor: Sonya Yoncheva, Dmytro Popov, Boris Pinkhasovich, Attila Mokus, Daria Sushkova.

Man darf auf eine interessante Inszenierung und auf neue, an der Wiener Staatsoper noch unbekannte Stimmen gespannt sein.

Première ist am 27. März 2025. Weitere Termine s. unter: http://www.wiener-staatsoper.at

Julia Schoch, Trilogie. Teil 1 – Das Vorkommnis. Untertitel: Biographie einer Frau

Ein Text, der kühler, distanzierter nie geschrieben und nie gelesen ward. Das Ich -die Erzählerin – die Schwester, die Halbschwester, die Kinder – alle ohne Namen: Sie, es, Mutter, Schwester, Halbschwester. Distanz ist die Haltung, die durch die Erzählung geht und auf die Leser einwirkt. Kühl erzählt die Autorin, will aufschreiben, was das unvermutete und späte Auftreten einer bisher unbekannten Halbschwester mit ihr macht. Die Halbschwester geistert zur Zeit auch durch andere aktuelle Romane, wie in Eliszabeth Strouts Erzählung, Am Meer oder Norbert Gstreins jüngstes Buch, Vier Tage, drei Nächte. Warum gerade in und nach der Pandemie die Frage, Suche nach einer Halbschwester durch die Literatur geistert, ist nicht wirklich erklärbar. Suche nach Familie, Aufdecken von Familiengeheimnissen? Julia Schoch umkreist die Frage ohne Antwort. Mal schreibt sie über ihre Kindheit in der DDR, erzählt die Geschichte der Mutter. Dann wieder ist sie in ihrer Gegenwart. Diese schweifende, kreisende Erzählweise, macht es den Lesern nicht leicht, den Gedankensprüngen und Zeitensprüngen zu folgen. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum das Auftauchen dieser Halbschwester die Erzählerin so aus dem Gleichgewicht bringt, zumal sie ja nichts unternimmt, um diese Frau kennenzulernen.

Sie, die Icherzählerin, ist aus der Bahn geworfen, alles irritiert sie, ihre Ehe, ihr Mann, am meisten ihre leibliche Schwester. Erinnerungen aus der gemeinsamen Kindheit in der DDR halten nicht als Leim, Kitt stand. Sie versucht, ein Puzzle aus den Erinnerungen zusammenzustellen und muss feststellen, dass im Rückblick vieles nicht stimmt. Wenn sich Erinnerungen als falsch oder unsicher herausstellen, was bleibt von dem Menschen – das scheint das Grundproblem dieses „Romans“ zu sein. Da erweist sich die (halbherzige) Suche nach der Halbschwester als ein geeignetes „Verschleppungsmanöver“, das von den Grundfragen ablenkt.

Ein interessant geschriebenes, sprachlich ausgefeiltes Buch, aber doch recht seltsam, wie die ganze Familie. Ein Buch, in dem am Ende die Erzählerin sich die Frage stellt:: „Was soll das sein, ein normales Leben?“ (181) Und Ironie des Ganzen: Genau das beschreibt Julia Schoch – ein ganz normales Leben!

Julia Schoch, Das Liebespaar des Jahrunderts. Biographie einer Frau. Teil 2

Eigentlich sollte der Untertitel „Biographie einer Familie“ lauten. Denn die Autorin geht in Ichform der Entwicklung nach, wie aus der „großen, unterschütterlichen Liebe“ eine ganz normale, triviale Alltagsgeschichte wird. Wie die innige Zweisamkeit der Jungend in eine zweckorientierte Gemeinsamkeit sich langsam, zunächst unmerklich wandelt. Was schon oft dokumentiert, in vielfältigster Form literarisch verarbeitet wurde. Mal voller Klischee, mal kitschfrei. Wie eben in diesem Werk. Schochs kühle, analytische Art schafft Distanz. Sie betrachtet, analysiert, was die Jahre, die Gewöhnung mit ihnen, dem Mann und der Frau, gemacht haben. Sie beginnt lakonisch: „Im Grunde ist es ganz einfach: Ich veralsse dich“, um am Ende des Romans zu überlegen, ob es nicht doch besser wäre zu heiraten. In der Liebe, in der Zweierbeziehung ist nichts logisch. Auch wenn der Mann im jugendlichen Überschwang meint, ihre Liebe sei gegen Trennung gefeit. Denn statt sich zu trennen, genüge es, miteinander vernünftig zu reden. „Nur Idioten denken, die Liebe sei kompliziert“, sagte er. Und sie schloss daraus, sie werden „das Liebespaar des Jahrhunderts“ sein. Eben weil sie wussten, wie idiotisch Trennungen seien. Was die beiden zusammenhält, ist die Unverbindlichkeit ihrer Beziehung. Heiraten – nicht nötig. Karriere ja, aber nicht immer auf gemeinsamem Weg. Das geht solange gut, bis Kinder kommen. Dann schlägt die Organisation des Alltags zu, und das Paar merkt nicht, wie die Distanz zwischen ihnen immer größer wird. Dazwischen immer wieder Rückblicke: „Wie glücklich ich war, wie schön wir es hatten!…Die Gegenwart, das waren du und ich!“ (S23)

Julia Schoch gelingt es, völlig abseits vom Klischee, über alle Formen der Liebe, des Vertrautseins, des inneren Auseinandergehens, des Wiederzueinanderkommens mit ungewissem Ausgang zu erzählen. In klarer, unverstellter Sprache ohne literarische Überfrachtung oder modische Erzählattitüden liegt hier eine intelligente Analyse der heutigen Gesellschaft, wie sie sich in der Familie manifestiert, vor.

Julia Schoch, Wild nach einem wilden Traum. Biographie einer Frau, 3. Teil

Nun also der 3. Teil dieser „Romanbiographie“ einer Frau. Ein wildes Cover, passend zu dem Titel, macht neugierig. – Und man legt den Band enttäuscht weg. Denn während des Lesens entsteht der Verdacht, dass die Autorin hier „Reste“ einsammelt. Da und dort liegen Gebliebenes, Zettel und verschwommene Gedanken, die sie in den beiden vorangegangenen Bänden schon mehrmals griffig ausformuliert hatte. Neu ist, dass die Icherzählerin sich eingesponnen fühlt zwischen drei Männern – dem sexbetonten und lebens- und schreibtüchtigen Catalanen. Mit ihm geht es schnell zur Sache, ins Bett. Warum ihr immer wieder die Erinnerung an einen ehemaligen DDR-Soldaten dazwischen kommt, lässt sich nicht aufschlüsseln. Und ach ja, da gibt es ihren Mann, nicht Ehemann, sondern nur Mann. Und unvermeidbar – die Schreibkrise. Sie hat sich in ein Schreibseminar eingeschrieben, mit der Absicht, ihre Dissertation zu beginnen. Doch das Thema interessiert sie nicht mehr. Schreiben will sie. Doch worüber? – Das ist das Thema und die unbeantwortete Frage des 3. Bandes.

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Tonkünstlerorchester: Sibelius, Mozart, Brahms. Festspielhaus St. Pölten

Dirigent: Yutaka Sado. Pianistin: Yeol Eum Son

Jean Sibelius: Symphonie Nr. 7 op 105 (1918-1924)

Die 7. Symphonie sollte seine letzte sein. Sibelius komponierte zwar noch eine achte, aber die vernichtete er eigenhändig. In die siebte legte er seine Gedanken über das Leben in heiter-gelassener Weise hinein. Ihm gelingt, was kaum jemand zuvor und danach gelungen ist: Er setzt die ZEIT als spürbares Element ein, als Wert, der dem Leben Sinn gibt. Es beginnt leise, zärtlich, ja auch romantisch – nicht zu Unrecht nennen viele Sibelius den letzten Romantiker. Das Element Wasser wird der Zeitmesser – viele kleine Ströme fließen zusammen und bilden den Strom des Lebens, der sich in die Welt ergießt, allumfassend. Er fließt in ein weites Land, in dem alles offen steht. Nichts eilt. Musikalisch akzentuiert Sibelius das Fließen der Zeit durch forcierten Einsatz der Bläser. All das und mehr wird klar und verständlich durch Yukata Sados subtiles Dirigat. Er macht es möglich, dass dieser Fluss in die Seele der Zuhörer fließt, sie ruhig werden lässt.

Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester C-Dur (1791). Dirigent: Yukata Sado, am Klavier: Yeol Eum Son

Yeol Eum Son-Piano Photo: Marco Borggreve

Die große Überraschung des Abends war die junge Pianistin Yeol Eum Son aus Südkorea.Man fragte sich, wie diese zarte Person mit den fast kindhaften Armen den Flügel unter ihren Willen zwingen konnte. Und wie sie das konnte! Spielerisch und leichthändig, ohne Pathos, ohne viel Zier spielte sie, als wäre sie der junge Mozart, der gerade mit seiner neuesten Kreation sein adeliges Publikum unterhalten will. Frech in einem Moment, dann gleich zart erinnernd in der Rückschau (Rondo). Das bekannte Klavierkonzert klang auf einmal frisch, als hörte man es zum ersten Mal.

Johannes Brahms: Symphonie Nr. 1 c-Moll (1876). Dirigent: Yukata Sado

Lange wagte Johannes Brahms sich nicht an eine Symphonie. Beethoven war für ihn ein unüberwindlicher Fels, ein Maßstab, an dem er nicht wollte gemessen werden. Dann – unter dem lobenden Zuspruch von Robert und Clara Schumanns gelang das Werk. Leicht, fast tänzerisch ist der Beginn, die Themen verschwimmen ineinander, um dann im 2. Satz, angeführt von dem Alphornmotiv , sich zu einem Bekenntnis der Liebe im allgemeinen, besonders aber zur Natur zu bündeln.

Doch es war Rosenmontag, da wollte Sado nicht allzu schwer und ernst enden. Nach dem langen Applaus springt er nochmals auf das Dirigentenpult und feuert mit den Tonkünstlern eine Strausspotpourri ab, die sogar den Schani begeistert hätte. Und da sah man den sonst so ernsten Meister lachen!! Die Tonkünstler strahlten und das Publikum jubelte!

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Zoe Schlanger, Die Lichtwandler. S. Fischer

Untertitel im Original: How the Unseen World of Plant Intelligence Offers a New Understanding of Life on Earth. Deutscher Untertitel: Wie Pflanzen uns das Leben schenken.

Aus dem Englischen von Laura Su Bischoff und Michael Bischoff

Zoe Schlanger ist Wissenschaftsjournalistin. Als sie es überdrüssig wurde, über den Klimawandel und die negativen Folgen zu schreiben, wandte sie sich dem Thema Pflanzen zu, insbesondere der bis heute umstrittenen Frage nach der Intelligenz der Pflanzen. Haben Pflanzen über die Wurzelspitzen ein „Gehirn“, ein „Pflanzenbewusstsein“? Wurden solche Fragen noch bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in die Esoterik verbannt, wagte man sich seit einigen Jahren Schritt für Schritt in der Pflanzenforschung voran. Es dauerte lange, bis diese „wissenschaftliche Revolution“ vorsichtig diskutiert wurde. „Jetzt befinden wir uns in der Phase des Übergangs“, schreibt Schlanger. „Die Wissenschaft geht dem Gedanken nach, dass Pflanzen intelligente Lebewesen seien, dass sie Informationen unterschiedlicher Art verarbeiten, um wohlinformierte Entscheidungen zu treffen.“(S82) Die Autorin stellt diese Erkenntnisse nicht einfach so in den Raum, sondern vertieft und untermauert sie in Einzelinterviews mit den bekanntesten Forschern auf diesem Gebiet, wie zum Beispiel Jagadish Bose oder Richard Karban. Dazwischen kann sich der Leser bei detailgenauen Beschreibungen von Pflanzen und ihrer Umgebung von der „trockenen Wissenschaft“ erholen. Zoe Schlanger erzählt auch von dem andauernden Kampf der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Fördergelder. Denn die allgemeine Skepsis diesen Fragen gegenüber ist noch nicht gänzlich ausgelöscht. Fest steht, dass Pflanzen elektrische Signale empfangen, verarbeiten und senden. dass sie Geräusche hören und als Information verarbeiten. „Die Pflanze überwacht sämtliche Teile ihres Körpers und prüft, wie gut sie funktionieren.“(211) Solche Gedanken verblüffen, überraschen. Und das ist erst der Anfang der Forschung.

Ein faszinierendes Buch, das völlig neue Denkräume eröffnet. Wir Menschen werden uns bald von dem Gedanken verabschieden müssen, dass wir die einzigen Wesen sind, die mit Intelligenz ausgestattet sind. Die Natur hat ihre eigene Intelligenz, sie zu verstehen wird noch lange dauern.

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Daniel Glattauer, In einem Zug. Dumont Buchverlag

Der für seine Liebesromane einst berühmte Autor Eduard Brünhofer hat eine Schreibkrise. Der Erfolg seines letzten (Liebes)Romans liegt Jahre zurück. Der gut dotierte Vorschuss auf das nächste Buch ist aufgebraucht. Nun sitzt ihm der Verlag im Nacken – er sollte längst schon liefern. Mit mehr als vagen Ideen und einer großen Schreibunlust reist er im Zug von Wien nach München zu dem gefürchteten Gespräch mit dem Verlag. Im Abteil schräg gegenüber sitzt eine Frau mittleren Alters, die bald ein Gespräch mit Brünhofer beginnt. „Gespräch“ ist zunächst der falsche Begriff, denn sie zieht ihm buchstäblich sein Privatleben aus der Nase. Sie nervt den Autor, der nur widerwillig antwortet, ihrer Pertinenz aber nicht entkommt. Der Widerwille überträgt sich auf den Leser, der ebenso verärgert wie der Autor bereit ist, das Gespräch zu beenden und das Buch wegzulegen. Denn mehr als banaler Small-Talk tut sich nicht.

Dann aber hat die nervige Catrin – inzwischen sind die beiden per Du – die Idee, in den Speisewagen zu gehen. Dort, bei einigen Flaschen Rotwein, lockert sich das Gespräch. Eduard redet über seine gelungene Ehe mit Gina und seinen Widerwillen, noch mehr über Frauen und über die Liebe zu schreiben. Er lebt glücklich und weiß, wie das mit der Liebe geht. (Ist es Zufall, dass sich zur Zeit mehrere Autoren mir der „Liebe“ und den Schwierigkeiten mit diesem Begriff befassen, wie etwa auch Julia Schoch in ihrem Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“?)

Daniel Glattauer ist bekannt für seinen feinen Humor, mit dem er auch in diesem Buch aufwartet. Doch man hat den Eindruck, er beschreibt hier seine eigene Schreibkrise. Um sie zu bewältigen, schreibt er über einen Autor, der eine Schreibkrise hat. Das haben schon viele versucht, und selten noch ist daraus ein wirklich geglücktes Buch entstanden. Ob Eduard Brunhöfer seine Krise wird bewältigen können, sei hier nicht verraten.

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Vincenzo Bellini, Norma. Theater an der Wien

Libretto: Felice Romani. Uraufführung: Dezember 1831.

Gesehen wurde die 2. Vorstellung im Theater an der Wien am 19. Februar.

Musikalische Leitung: Francesco Lanzilotta. Regie: Vasily Barkhatov. Bühnenbild: Zinovy Margolin

Man spürte schon beim Eintreten in das frisch renovierte Haus die Vorfreude und Erregung des Publikums. Endlich wieder „Theaterfeeling“ im neuen, alten Haus. Im „Himmel“, wie das großzügig und architektonisch raffinierte Pausenfoyer nun genannt wird, klirrten die Sektgläser. Die Stimmung kochte hoch, wie selten vor einem Theaterabend..

Wer die „Norma“ schon einmal im Original erlebt hatte, der verabschiedete sich am besten sofort von seinen Vorstellungen und Bildern im Kopf. Da ringt keine von allen verehrte Druidenpriesterin um Fassung, da singt keine Dienerin der Mondgöttin das Gebet „casta diva“, sondern eine rebellische, im Kampf trainierte Vorarbeiterin einer Keramikfabrik. Der russische Regisseur Vasily Barkhatov hat die Oper in eine nicht näher bestimmte Zeit unter einem Diktator wie Hitler oder Stalin versetzt. In einer Keramikfabrik, wo früher Heiligenfiguren erzeugt wurden, produziert man nun Hunderte von Köpfen des Diktators. Und in dieser Halle singt Asmik Gregorian die ikonische Arie „Casta diva“ – berückend klar in Stimme und Timbre, aber mit deutlich spürbarer innerer Abwesenheit. Denn sie sah gerade Pollione, den Boss der neuen Besatzung, vorbeigehen. Er ist ihr und ihres Volkes Feind und ihr Liebhaber. Spannung pur. Dass Fabrikshalle und Vorarbeiterin mit der Idee eines heiligen Ortes und einer Priesterin sich nicht vereinen lasssen, nimmt der Regisseur in Kauf. Wie er auch nicht vor komischen und absurden Situationen zurückschreckt.

Hatte man einmal den Schalter umgelegt und sich mit der neuen „Norma“ arrangiert, dann konnte man Musik und Gesang auf allerhöchstem Niveau und vor allem die schauspielerischen Leistungen genießen. Das leidgewohnte Opernpublikum kann das!

Norma kämpft. Gegen ihr Gewissen, das sie bedrückt. Sie hat den Eid der ewigen Jungfräulichkeit gebrochen und sich ausgerechnet in den Besatzerchef Pollione (Freddie de Tommaso) verliebt und mit ihm zwei Kinder, die sie (wie soll da gehen?) vor der Welt geheim halten muss. Die Spannung wird unerträglich, als sie von Adalgisa ( Aigu Akhmetshina), ihrer engen Vertrauten und ebenfalls Dienerin der Mondgöttin, erfährt, dass diese mit Pollione nach Rom abhauen will. Nun ist Asmik Gregorian in ihrem Element! Es dauert, bis sie in Betriebstemperatur aufläuft. Dann aber kocht sie auf – mit einer Stimme, die es wagt, weit über den Schöngesang hinauszuschreien – ihren Hass auf Pollione, ihre Enttäuschung über den doppelten Betrug. Das sind Szenen einer klassischen Dreiecksgeschichte. Banal, aber wuchtig. Da rast und kämpft eine zutiefst verletzte Frau um die Liebe eines Mannes, der all diesen Aufruhr, Zorn, Rachegefühle eigentlich gar nicht verdient. Als die Leidenschaft der ersten Zeit sich gelegt hatte, buhlte er erfolgreich um eine Jüngere. Das macht Norma zu einer Furie, die streitet, zürnt wie in einer französische Dreiecksgeschichte. Dazu kontrastiert der sanfte Mezzosopran von Adalgisa, die ehrlich bereut. Und Pollione – er hat seinen Donnertenor, mit dem er zu Beginn beeindruckte, verloren. Ist hilflos. Logisch ist deshalb auch der Schluss: Statt dass Pollione stirbt und Norma den Tod im Feuer sucht, zerrt er sie aus den Flammen heraus und sie sinken sich nach dem dramatischen Streit erschöpft in die Arme. Dass das Publikum vor Begeisterung tobte, war klar. Denn wann schon erlebte man auf der Opernbühne eine so dichte Geschichte, in der die Gottesdienerin zur Furie wird! Asmik Gregorian kann das perfekt. Ihre Stimme ist das Instrument, das all diese Gefühle ausdrückt. Dass sie und Adalgisa diesen fiesen Pollione lieben, ist nicht wrklich einzusehen. Freddie de Tommaso hat das richtige Stimmvolumen eines Tenors, um den Macho herauszukehren, aber auch die Fähigkeit, klein und erbärmlich zu wirken. Aigul Akhmetshina bezaubert mit ihrem sanften Mezzo. Zu dem Erfolgstrio passt auch der timmgewaltige Schönberg Chor. Francesco Lanzilotta dirigierte die Wiener Symphoniker mit viel Gefühl für das Belcanto.

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Volksoper Wien: Musical Anatevka (Fiddler on the Roof)

Buch: Joseph Stein, Musik: Jerry Bock, Gesangstexte: Sheldon Hamick. Foto: Cornelius Obonya als Tevje, der Milchmann

Gesehen wurde die 103. Vorstellung seit der Wiederaufnahme Februar 2023. Leider ist es aber dann bald vorbei – nur einige wenige Abende sind noch vorgesehen. Dass jede Vorstellung bisher ausverkauft war, spricht für die Qualität dieses außergewöhnlichen Musicals und für den Geschmack des Publikums. Denn es weiß offensichtlich dieses von jeglichem Regiewahn unberührte Theater zu schätzen. Ganz zu schweigen von der mitreißenden Musik und dem exzellenten Ensemble. Wenn dann noch ein so bekannter Schauspieler wie Cornelius Obonya den Tevje spielt, singt und tanzt, dann ist es für viele ein Grund, das Musical ein zweites, vielleicht sogar ein drittes Mal zu sehen. Denn „Anatevka“ berührt und geht in die Seele. Da braucht es keine rigiden Parallelverweise auf die Gegenwart. Die ergeben sich ganz selbstverständlich.

Anatevka ist eines der vielen jüdischen Stetls im weiten Russland. Man pflegt die Tradition, ist mit humorvoller Distanz gläubig. Und so manch einer träumt davon, reich zu werden., ganz besonders Tevje, der Milchmann. Hat er doch fünf Töchter, drei davon im heiratsfähigen Alter. Die Tradition will es, dass die Ehen von der Heiratsvermittlerin Jente (humorvoll Martina Dorak) gestiftet und vom Vater abgesegnet werden müssen. Das ist so Tradition. Doch alle drei suchen sich ihren Bräutigam selbst aus, und Tevje muss klein beigeben. Vaterliebe siegt über Tradition. Cornelius Obonya ist rein körperlich ein anderer Tevje als Dominique Horwitz Letzterer war ein schmächtiger Milchmann, der an seinen vollen Milchkannen schwer schleppte, mit dem man mitlitt (s. unten Link zur Kritik vom 16. Oktober 2023). Obonya ist ein „gtandener“, von sich selbst sehr überzeugter Ehemann und Vater, der mit Gott ganz schön selbstsicher verhandelt. Dadurch bekommt das Stück einen etwas anderen Charakter – die humorvollen Szenen werden kräftiger, überdecken die zarten, leisen Töne, wie sie Domnique Horwitz der Rolle angedeihen ließ.. Insgesamt wirken alle Bewohner robuster, auch als sie ihre Heimat verlassen müssen. Sie sind gewappnet, sie machen Pläne. Es ist in ihre Wesenheit eingeschrieben, dass sie immer wieder weiterzeihen müssen. Deshalb fügen sie sich.

In den ärmlichen Häusern entlang der Dorfstraße, die ins Nichts führt, leben sie ein bescheidenesLeben, lachen, streiten, feiern. Bühnenbild (Matthias Fischer – Dieskau) und Regie (Matthias Davids) sind Gott seii Dank unverändert. Auch das Ensemble.ist bis auf einige kleine Änderungen gleich geblieben. Chor, Ensemble und die großartigen Tänzer des Wiener Staatsballetts sind eine unzerstörbare Einheit. Die Stimmen sind durchwegs sehr gut. Neu ist der Dirigent Lorenz C. Aichner, der das Orchester der Wiener Staatsoper mit viel Gespür für humorvolle, aber auch leise Töne lenkt. Insgesamt eine Aufführung, die ihre Qualität noch viele Jahre halten wird und hoffentlich irgendwann wieder zu sehen sein wird.

Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus.

http://www.volksoper.at und

http://www.silviamatras-reisen.at/volksoper-wien-anatevka-fiddler-on-the-roof/ Meine Kritik vom 16. Oktober 2023

Clara Arnaud, Im Tal der Bärin. Roman im Kunstmann Verlag

Aus dem Französichen von Sophie Beese

Nach vielen Auslandsaufenthalten ließ sich Clara Arnaud in Conserans, einer Region in den Pyrenäen, nieder, wo sie den größten Teil des Jahres lebt.

Das Buch „Im Tal der Bärin“ ist ihr Erstlingswerk, dessen Hauptfigur eine Bärin ist. Gemeint ist aber der Bär als Gesamtbegriff für das Tier an sich. Denn in einer Art Semidokumentation, angereichert mit Fakten rund um das Tier, das einst – und jetzt wieder- die Wälder und Abhänge der REgion beherrschte, verflicht die Autorin die Schicksale der Bewohner der Region mit dem Schicksal einer einzelnen Bärin. Eingerahmt wird die Erzählung vom Schicksal des zehnjährigen Jules Piquemal, der in den Jahren um 1870 ein weibliches Bärenkind direkt aus der Höhle entführt und bei sich aufgezogen hatte. Am Ende des Romans wird Jules als versoffener und herabgekommener Bärenführer in einem New Yorker Hinterhof von eben dieser Bärin getötet. Zu lange hat sie das Martyrium der Dressur erlitten, Schmerzen hingenommen und für ihn getanzt. 1902 findet man seine zerfetzte Leiche, und die Bärin wird von Parkwächtern erschossen.

Diese Rahmenhandlung, halb Fiktion, halb Realität, dient der Autorin gleichsam als Argumentationsgrundlage, als Beweis für die Grundaussage des Romans: Der Mensch findet keinen ehrlichen und respektvollen Umgang mit der Natur, in diesem Fall mit den Bären, die in dieser Region immer schon gejagt wurden. In einem klug differenzierten Personenrepertoir zeigt sie verschiedene Sicht- und Handlungsweisen der Bewohner, ihre Gründe auf, warum sie so und nicht anders handeln wollen/können. Im Grunde geht es um das alte Dilemma und die schwer zu beantwortende Frage: Wieviel wilde, ungezähmte Natur darf bleiben, ab wann gefährden sich Mensch und Tier, in allzu intimer Nähe lebend, gegenseitig?. Wer darf angreifen, töten, wer muss sich zurückziehen?

Anna studiert das Leben der wildlebenen Tiere in diversen Regionen der Welt. Nun ist sie beauftragt worden, die Bärin zu beobachten, die in dieser Region den Schafen ans Fell geht. Ihr Forchungsauftrag heißt dokumentieren, nicht eingreifen. Gaspard ist aus der Stadt geflohen, weil er will, dass seine Kinder in freier Natur aufwachsen. Er lernt das schwere und oft gefährliche Handwerk des Schafhüters vom alten Marco, der ihm nicht nur seine Herde anvertraut, sondern ihn auch in die Gefahren und Schönheiten dieser Arbeit einweiht. Ausführlich, manchmal zu ausführlich und repetitiv schildert Clara Arnaud die Faszination dieser (noch wilden) Natur der Wälder, Almen und Berge. Als der Regen ausbleibt, die Weiden in der Mittellage austrocknen und Schafe und Hirte auf die Hochweiden ausweichen müssen, kommt es zum Showdown. Die Natur in der Gestalt der Bärin rächt sich, Anna sucht einen Ausgleich zwischen Tier und Mensch, doch vergeblich…

Clara Arnaud schildert das Leben der Dorfbewohner und der Hirten mit großer Sachkenntnis, so dass man manchmal den Eindruck gewinnt, ein Sachbuch zu lesen. Klar und deutlich steht am Ende die Ausweglosigkeit der Situation vor Augen: Wo haben die Bären noch ein sicheres Rückzugsgebiet? Bis wohin dürfen Menschen Natur und Terrain für sich beanspruchen? Gibt es eine „rote Linie“? Fragen, die heute überall in der Welt gestellt werden. Wie werden sie beantwortet werden?

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Joachim Meyerhoff liest aus seinem Buch: „Man kann auch in die Höhe fallen“. Landestheater Niederösterreich

Wenn Meyerhoff ruft, dann kommen so viele, wie nur in das Theater reinpassen.. Denn er war und ist einer der Schauspieler, dessen nicht ganz freiwilliger Abschied von Wien und dem Burgtheater eine Riesenlücke hinterlassen hat. Mit lang anhaltendem Auftrittsapplaus wird er begrüßt, als einer den man sehr vermisst hat und der nun wiedergekehrt ist.

Sein sechstes und vorläufig letztes Buch ist eine gnadenlose Selbstanalyse, eine Abrechnung mit dem Menschen, wie er, noch unter den Folgen des Schlaganfalles leidend, seine Familie durch unkontrollierbare Wutanfälle schockiert und beleidigt hat. Bei seiner 86-jährigen Mutter, die allein das Haus an der Ostsee und den riesigen Grund rundherum bestellt, sucht er Rettung und Heilung. Die Gegensätze zwischen Sohn und Mutter könnten nicht größer sein: Er kreidebleich und angstgeplagt, sie „rüstig wie eine Ritterrüstung“.Sie genießt zu seinem Entsetzen Döner und Currywurst, er kotzt sich während der Autorfahrt an. Sie schwimmt trotz Feuerquallen, die gerade die Küste der Ostsee in Massen heimsuchen, weit hinaus, er bleibt zitternd am Ufer. Mit liebevoller Härte teilt sie ihn zu Arbeiten im Garten ein, päppelt ihn mit Hausmannskost, Wein, Bier und Whiskey auf. Nach zehn Wochen ist er wieder fit wie vormals. Zwischen dieser Mutter-Sohn -Geschichte werden Erinnerungen an „Hänger“ auf der Bühne aufgerufen und erheitern das Publikum. Berlin als hektische Stadt kommt gar nicht gut weg, viel Lob bekommt Wien ab. Langer Applaus, bis er zum Abschied winkend von der Bühne geht. Geduldig lächelnd signiert er Buch für Buch. Die Warteschlange ist lang. Kein Buch bleibt unsigniert.

http://www.landestheater.net und http://www.kiwi-verlag,de

KaiserRequiem. Volksoper Wien

Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung. Musik Viktor Ullmann. Dichtung: Peter Kien, Viktor Ullmann und Felix Braun.

Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem d-Moll.

Musikalische Fassung: Omer Meir Wellber

Die Idee, die beiden Werke ineinander zu verschränken, hatte Omer Meir Wellber schon lange. Beide sind in D-Moll komponiert rund um das Thema des Todes. 1942 wurden Viktor Ullmann und Peter Kien in das Lager Theresienstadt transportiert, das als Vorzeigelager diente. Es gab Theater, Bibliothek und Varieté. Damit wollten die Nazis Kontrollbesucher des Roten Kreuzes täuschen. Peter Kien und Viktor Ullmann schrieben das Kaiserrequiem im Angesicht des Grauens. Ihr Werk wurde nicht aufgeführt, da die Nazis sich verhöhnt fühlten. Kien und Ullmann wurden kurz darauf nach Auschwitz transportiert, wo sie ermordet wurden.

In Andreas Heise fand Omer Meir Wellber einen congenialen Partner, dessen Regie- und Choreographiekonzept die Grundidee der beiden Werke harmonisch ineinander fügt. Er fügte den Sängern Tänzer hinzu, die sie als Alterego oder als Schatten begleiten. Die Musik Ullmanns und Kiens ist von den 30-er Jahren geprägt. Man hört Operette, Foxtrott, Bach- und Mahlerzitate. Mit eckigen, oft sperrigen Bewegungen, die an Gret Palucca, dann wieder an Oskar Schlemmer erinnern, interpretieren die Tänzer und Tänzerinnen den Chor und die Sänger und Sängerinnen.

Kaiser Overall (eindrücklich und stark Daniel Schmutzhard) hat den totalen Krieg ausgerufen: Alle gegen alle! In seinem Reich zwischen grauen fensterlosen Mauern (Bühne und Kostüm Sascha Thomsen) bricht das Chaos aus, denn damit hat der Kaiser nicht gerechnet: Der Tod streikt- ab nun wird er sich zurückziehen und niemand wird sterben. Mit eindrucksvollem Bass bietet Josef Wagner als Tod dem Kaiser die Stirn und entmachtet ihn so. Der Trommler (Wallis Giunta großartig in dieser Rolle) eben noch ein Vasall des Kaisers, wechselt die Seiten und ruft zum Aufstand auf. Die Menschen erkennen einander in der Liebe. Am Ende liegt der Kaiser, seiner Insignien und Kleider beraubt, am Boden, in den Mauern gehen Fenster zur Welt auf. Hoffnung keimt auf. In die Szenen des Grauens und der Wiedererinnerung an die Liebe fügen sich die Teile des Mozartrequiems nahtlos ein. Würde der Chor nicht auf Latein singen, man hätte den Übergang nicht explizit wahrgenommen.

Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand, jeder Besucher wird sich seine eigenen Gedanken dazu machen. Es steht fest: Dieser Abend wirkt als ikonisches Ereignis noch lange nach.

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„Blitz und Donner“ – Strauss verliebt in Olga. Urauffühurng

Inszenierung: Jacqueline Kornmüller. Musik: Johanna Doderer und Johann Strauss

„Eine verbotene Liebe wird Theater“ heißt es auf dem Programmzettel. Die Liebesbriefe zwischen Johann Strauss und der adeligen Olga Smirnitskaja sind die Grundlage für Jacqueline Kornmüllers Inszenierung, kompletiert mit den Briefen Olgas an Johann, geschrieben von Milena Michiko Flasar. und Texten des Musikwissenschaftlers Thomas Aigner und Christian Sauers.

Musiker und Musikerinnen spielen unermüdlich auf der weiten, leeren Bühne, bis sich Peter Wolf in der Rolle des Wissenschaftlers Thomas Aigner aus dem Hintergrund löst und erzählt, wie er die verschollen geglaubten Briefe in der Rathausbibliothek Wiens gut verschnürt in einer Schachtel fand. Dann beginnt das Liebesdrama zwischen Johann Strauß – glaubhaft und dem heutigen Straussbild authentisch angepasst gespielt von Christian Nickel – und der jungen, schönen Mara Romai als Olga. Geschickt nützt die Regie die Weite der Bühne, um die Distanz zwischen Johann und Olga, die selbst die starke Liebe nicht überwinden wird, zu thematisieren. Sie begegnen einander nur an gesellschaftlichen Anlässen, wagen kaum ein Wangenküsschen oder Heimlichkeiten. Das wache Auge der Mutter Olgas (streng und stumm Miriam Mercedes Vargas) verhindert Nähe. Und doch – die Briefe sprechen eine deutliche Sprache von kaum bezähmbarer Leidenschaft. Besonders Olga strahlt vor Entschlossenheit. Johann ist ein Zauderer, letztendlich ein Feigling – er duckt vor seiner allesbeherrschenden Mutter, vor Olgas Eltern. Olga wäre bereit mit Johann zu fliehen, das Wagnis einer unsicheren Zukunft auf sich zu nehmen. Amor in Person der reizenden Freundin Olgas (Laura Schlittke) fungiert als Postillon d`amour. Doch letztendlich siegt die gesellschaftlliche Norm – Johann wird nach Wien zurückkehren und sich den Anordnungen einer Mutter beugen, Olga wird in einen Zug mit unbekanntem Ziel verfrachtet. „Was ist von unserer Liebe geblieben, fragt sie in einem ihrer Briefe – Fensterblicke und Fensterküsschen“.

Um diese letztendlich banale Geschichte einer gescheiterten Liebe Tiefe und theatralische Wirksamkeit zu verleihen und sie aus der Kitschgefahr zu retten, bedient sich Jaqueline Kornmüller der Musik und vor allem einer fast therapeutisch- meditativen Langsamkeit. Wenn sich Olga im weißen, später im schwarzen, Pauline im rosa Reifrock (Bühne und Kostüme ebenfalls Jacqueline Kornmüller) in sanften, in sich ruhenden Bewegungen drehen, dahinter starr und stumm die Mutter im schwarzen Reifrock die Tochter bedroht, an den Rändern die Musikanten eine Mischung aus Johann Strauss und Joanna Doderer spielen – dann entstehen Bilder jenseits von Zeit und Raum. Etwas bemüht wirken die Einschübe über das Wetter. speziell über die verschiedenen Arten von Regen. Denn es heißt, dass der Melancholiker Strauss am besten bei Donner und Blitz komponieren konnte. Alles in allem ein Abend, der sicher eine hohe künstleriche Latte für die zahlreichen noch zu erwartenden Darbietungen im Straussjahr 2025!

http://www.odeon-theater.at

Sidi Larbi Cherkaoui. Ballet du Gran Théâtre de Genève. Eastman: Ihsane. Festspielhaus St. Pölten

Mit Texten in arabischer, französischer und englischer Sprache.

Sidi Larbi Cherkaoui widmete 2022 das Ballett „Vlaemsch“ seiner Mutter und seinen flämischen Wurzeln. Nun erforscht er in „Ihsane“ die Beziehung zu seinem Vater, der aus Marokko stammte und nach Belgien auswanderte. immer aber seiner Heimat und ihrer Tradition und Religion verhaftet blieb. Dieser Liebe zu Marokko spürt Charkaoui in „Ihsane“ nach.

Das Publikum entführte er in ein zweistündiges Märchen aus Musik, Gesang und Tanz. Der Abend wirkte wie ein riesiges, aufgeschlagenes Buch, aus dem die Figuren heraustreten, lebendig werden und Geschichten erzählen, ersingen, ertanzen. Da man die Texte nicht verstand, was sehr schade war – es wurden nur die englischen übertitelt und das viel zu schnell – war man auf seine eigene Intuition, Interpretation und auf eventuelle Erinnerungsbilder aus Marokko angewiesen.

„Ihsane“ bedeutet im Arabischen Brüderlichkeit, Liebe, Wohlwollen. Zugleich aber will Charkaoui mit diesem Titel an den brutalen Mord an dem gleichnamigen homosexuellen Jungen namens Ihsane (2012 in Lüttich) mahnend erinnern.

Es begann sehr real. In einer Medrese (Bühnenbild Amine Amharech) unterrichtet der Lehrer die arabische Schrift, lässt Schüler und Schülerinnen (!) kurze Liedtexte lernen und singen, fordert das Publikum auf, mitzusingen. Was viele auch begeistert taten. Danach löste sich die Wand der Medrese auf, übrig blieb das Tor, das, geheimnisvoll beleuchtet, Eingang oder Ausgang zu einer neuen, dem Publikum unbekannten Welt war. Im Halbdunkel verborgen spielten die Musiker eine Musik, die sehr alt klang, aber in der Tat von Jasser Haj Jussuf neu komponiert wurde. Ein magisch-mystisches Bild nach dem anderen verzauberte das Publikum. Es geschieht der Mord an Ihsane, es werden alte Mythen der Gnawas heraufbeschworen, man meint, ihre geheimnisvolle Feier (Lila) zu erleben, wo im Rauschtanz die Teilnehmer in Trance fallen und sich selbst erlösen. In weiten, im Tanz sich aufdrehenden Gewändern in den Abendfarben Marokkos (ocker, dunkelrot, lila – entworfen vom marokkanischen Designer Amine Bendriouich) erzählen die Tänzer vom Miteinander in spannenden Gruppenchoreographien, von Tieropfern, Begräbnisritualen und Teezeremonien – von einer Welt, die im Verschwinden begriffen ist und zu Tourismusperformance zu verkommen droht. Dass man die Texte der Sänger nicht verstand, hatte zur Folge, dass nach der Hälfte die Spannung und das Überraschungsmoment nachließen. Auch weil die Szenen einanander oftmals ähnelten. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen intensiven Abend mit mystischen Bildern und Musik, die erahnen lassen, was die religiöse und mystische Kultur Marokkos ausmacht(e).

www.festspielhaus.at

Sy Montgomery, Das Geschenk des Kolibris. Diognes Tapir

Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Schäfer. Mit zahlreichen farbigen Illlustrationen von Lore Ruttan

Sy Montgomery ist den Lesern vor allem durch ihr Buch „Rendezvous mit einem Oktopus“ bekannt, in dem sie von der verblüffenden Intelligenz dieses Tieres erzählt. Mit „Das Geschenk des Kolibris“ begeistert sie die Leser für diese zartesten und doch mit Bärenkräften ausgestatteten Vögel. Schillernd in allen Farben, schwirren diese Geschöpfe mit unglaublicher Energie durch die Luft, kopfüber, im Retourgang, im Schraubflug – kurz sie sind die Kunstpiloten des Luftraumes. Leider ist ihr Überleben alles andere als gesichert.

„Dies ist die Geschichte einer Auferstehung….die Geschichte eines kleinen Wunders. Wie klein? Nicht viel größer als zwei Hummeln – denn so klein waren Zuni und Maya, zwei verwaiste Kolibriküken, als ich sie…zum ersten Mal sah“, schreibt die Autorin im Vorwort.

Als Sy Montgomery erfährt, dass ihre Freundin, die bekannte Vogelretterin Brenda Sherburn, zwei Kolibrikükeneier zur Rettung übernommen hat, beschließt sie, ihr bei diesem schwierigen Unterfangen zu helfen. Dabei lernt sie, welch ungeheure Anforderung solch ein Unterfangen stellt: Alle 20 Minuten müssen die Kleinen mit frischen Fruchtfliegen, angereichert mit Vitaminen und Ölen, mit großer Vorsicht gefüttert werden. Einmal die Fütterung vergessen kann fatale Folgen haben. Die Winzlinge gedeihen gut, bekommen ihr Federkleid und werden Maya und Zuni genannt. Eines Tages entdecken die beiden Vogelmütter hunderte Milben im Gefieder. Das kann tödlich werden. Als einzige Rettung bleibt, die Fruchtfliegen im Desinfektionsbad umzubringen. Das aber unter Lebensgefahr der Kolibris! Doch die beiden überstehen die Prozedur und können bald für die Freiheit vorbereitet werden. Sie werden zu „Wundern des Himmels“.

Ein Buch, das niemand kalt lässt. Man bekommt eine Ahnung von den Geheimnissen und Wundern der Natur, von dem wir Menschen nur einen winzigen Bruchteil erahnen können.

www.diogenes.ch/tapir

Franca Rame und Dario Fo: Offene Zweierbeziehung. Theater Akzent

Regie: Margit Mezgolich. Mit Kristina Sprenger und Gregor Seberg.

Das Paar hat schon lange keinen Sex mehr. Zumindest nicht miteinander. (Daher ist obiges Foto wohl ein KI -Fake) Sie landen dort – im Bett – nie, denn sie sind vielmehr mit Diskussionen, Streit und diversen missglückten Selbstmordversuchen beschäftigt. Weil der Ehemann viele flüchtige Beziehungen und dementsprechend auch ein abwechslungsreiches Sexleben hat, inszeniert die betrogene Ehefrau einen Suizid nach dem anderen. Das ist die Ausgangslage.

Franka Rame (!929-2013) und Dario Fo (1926 – 2016) waren das produktivste (Ehe) Paar im italienischen und auch internationalen Theaterbetrieb ihrer Zeit. Sie schrieben unzählige Komödien, Sketches, Shows fürs Fernsehen, Drehbücher für Filme. Meist spielten sie selbst mit. Als ihnen die italienische Zensur immer häufiger in ihre sozialkritischen Texte hineinpfuschte, gründeten sie eine unabhängige Theatergruppe und spielten auf Sportplätzen, in Kinos, auf Straßen und öffentlichen Räumen. Ihnen war wichtig, dass ihre soziale Botschaft in der richtigen Zielgruppe ankam. Mit „Copia chiusa= „Offene Zweierbeziehung“ 1988 landen die beiden einen internationalen Erfolg. Italien war noch im Tiefschlaf, was die Rechte der Frauen betraf. Sie hat zu Hause zu bleiben. Arbeiten – gegen die Ehre des Ehemannes. Er vergnügt sich draußen recht flott mit Kurzbeziehungen. Sie droht mit Selbstmord – soweit der Normalablauf einer italienischen Ehe. Doch Rame und Fo zeigen, wie es anders gehen könnte.

In weichgespülter Löwingerkomödie führen das Kristina Sprenger und Gregor Seberg vor. Beide sind dem Publikum aus diversen Krimiserien bekannt, und der Erfolg des Abends daher vorprogrammiert. Kristina Sprengers Suizidversuche sind spektakulär, ihr Gejammer über den fehlenden Sex mit dem Ehmann ebenfalls. Als Paartherapie schlägt der Weiberheld (Gregor Seberg) eine offene Zweierbeziehung vor. Sie willigt ein – aber bald ist ihr diese Rolle zu demütigend und sie sucht sich ihrerseits einen Lover. Und der ist zum Unterschied zum Ehemann noch jung und attraktiv. Die Rache gelingt und ist süß. Ob das Thema in Zeiten der Speeddates per Handy noch relevant ist, fragt man sich. Was solls- dem Publikum gefiel es!!

www.akzent.at

Anton Tschechow, Onkel Wanja. Theater in der Josefstadt

Deutsch von Angela Schanelec nach einer Übersetzung von Arina Nestieva. Regie: Amélie Niermeyer

Mit Tschechows „Onkel Wanja“ kann man alles machen – eine Tragödie über ein verfehltes Leben oder eine trashige Komödie, wofür sich die Regisseurin Amélie Niermeyer entschied. Lässt Tschechow seinen Figuren noch Würde im totalen Versagen, so vernichtet Niermeyer diese zur Gänze. Die Figuren taumeln durch ein bürgerlich-schäbiges Haus der 60er Jahre (Bühne Christian Schmidt) – es gibt ein Wandtelefon, einen Plattenspieler und eine Küche im Design der Gemeindewohnungen. Alle haben abgewirtschaftet, suchen im Wodka und im gemeinsamen Musikgekreische Abwechslung. Oder auch in koketten Sexspielchen.

Am Boden zerstört ist die Hauptfigur – Wanja (Rapahael von Bargen). Er stolpert, klettert Wände hoch, grölt, trinkt bis zur Bewußtlosigeit. Dass er sein Leben lang auf dem Gut geschuftet hat, damit der Professor (Joseph Lorenz) in der Hauptstadt ein gutes Leben mit seiner zweiten Frau Jelena (Alma Hasun) führen kann, hat ihn all die Jahre nicht gestört. Aber der Professor ist bankrott und verkriecht sich nun als hypochondrischer Jammerlappen, läuft in Unterhosen und Bademantel umher, kurz- er lässt ich gehen. Zu erkennen, dass man sein Tun und Arbeit einem Schmähidol gewidmet hat, tut weh. Deshalb brüllt Wanja wie ein zu Tode gequältes Tier und schießt wie wild mit der Pistole in der Gegend umher. Das Gut soll verkauft werden? -Eine Katastrophe, doch der Trott geht weiter. Aus den positiven Figuren der Maria Wojnizkaja macht Niermeyer eine schwer Gestörte, die mit einer Puppe im Arm herumläuft und sie bei Tisch füttert. Marianne Nentwich unterzieht sich dieser Figur mit erstaunlicher Würde. Einzig Sonja (Johanna Mahaffy) wirkt glaubwürdig und berührt in ihrer unerschütterlichen und scheuen Liebe zu dem zynischen, vom Leben enttäuschten Arzt Astrow (Alexander Absenger).

Ja, aus dem Text, ein wenig zurechtgebogen und ins Heute übersetzt, lässt sich leicht so eine Trashkomödie machen. Aber ob sie berührt, das bleibt offen.

www.josefstadt.org

Clemens Berger, Der Präsident. Residenz Verlag

Clemens Berger ist Schlawiner, Till Eulenspiegel und Don Quijote. In der ersten Hälfte des Romans unterhält er die Leser mit Witz, Ironie und tiefer Bedeutung, in der zweiten Hälfte überwiegt die tiefe Bedeutung, sprich der moralisch-sozialkritische Anspruch.

Julius Imre, geboren 9.11. 1926 in Oberwart (Burgenland), wandert als Kind mit seinen Eltern in die Staaten aus. Aus Julius Imre wird Jay Immer, weil der Name so leichter auszusprechen ist. Sein Vater schuftet als Maurer und baut die Häuser, in die später die Reichen einziehen werden. Seine Mutter putzt sie. Die Eltern erzählen ihm immer wieder von der Heimat, „doch was war das für eine Heimat, die erst in der Erinnerung dazu wurde?“ heißt es da ein wenig bitter (S22). Da Clemens Berger den Roman seinen Großeltern widmet, darf man vermuten, dass deren Biografie keine unwesentliche Rolle bei der Entstehung des Werkes spielte. Doch Bitternis ist nie die Sache des Autors und daher auch nicht die des Protagonisten.

Jay ist 55 Jahre alt und beschließt, sich nicht mehr länger als Polizist den Gefahren der Straße auszusetzen, und geht in Pension. Ehefrau Lucy hat hinter Jays Rücken die Bewerbung um den Job als Double des Präsidenten Ronald Reagan ( 1911-2004, Präsident 1981-89) eingeschickt – und Jay gewinnt ihn. Er sieht dem Präsident „wie aus dem Gesicht geschnitten“ ähnlich. Von einer Agentur gut bezahlt, beginnt für Jay und Lucy ein Leben in Scheinluxus und Clownerien. Er genießt es, wenn die Menschen ihn ehrfürchtig grüßen. Er spielt mit, wohin ihn auch immer die Agentur sendet. Zu den amüsantesten Szenen gehört sein Auftritt in Oberwart: Auf dem Parkplatz einer Tankstelle begeistert er die Massen, die ihm zujubeln, als er am Ende seiner Rede ausruft: „I bin a Ouwawoada“ ( S102f) Was dann folgt ist ein Foto- und Feierorgie mit seinen wiedergefundenen Verwandten. Doch irgendwann verwandelt sich der Clown Jay Immer alias Ronald Reagan in Don Quijote und kämpft mit Wissenschaftlern und Anhängern der Umweltbewegung für die Rettung der Welt. Der Autor ändert den Stil: In hektischer Abfolge treten neue Figuren auf, die Ereignisse überschlagen sich. Als auch noch ein Doppelgänger von Gorbatschow ins Spiel kommt, wird die Geduld des Lesers ein wenig strapaziert. Die Geschichte endet tieftraurig …

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Wiener Konzerthaus: Arthur Schnitzler, Reigen

Musicbanda Franui, Stefanie Dvorak und Sven-Eric Bechtolf

Schnitzlers Reigen, einst Skandalstück und Bürgerschreck, heute ein Stück, das landauf und landab, einmal mit, einmal ohne Szenenaufbau, mit oder ohne Musik, als klassiche Lesung, zum Publikumshit unter den Schnitzlerstücken avanzierte.Nun also war der Skandal, der keiner mehr ist, im Konzerthaus als „Lesung mit Musik“ oder eher „Musik mit Lesung“ gelandet.

Zwei ganz unterschiedliche Schauspielercharaktere taten sich zusammen:

Foto: BURG PorträtsIII

Die quirlige, jeder schrägen Figur, von der Dirne über das süße Mädl bis zur dümmlichen Ehefrau,war Stefanie Dvorak meisterhaft gewachsen.. Vom tiefsten Dialekt bis zum gezierten Schönbrunnerdeutsch switchte sie problemlos. Blicke, Körpersprache changierten blitzschnell von Rolle zu Rolle. Als Dirne verschämt auf „wahre Liebe“ hoffend, als Dienstmädel verschreckt und enttäuscht, gleich darauf als Kammermädel, das vom gelangweilten Bubi des Hauses vergewaltigt wird, erniedrigt. In diesem „Akt“ erlebte man über die Rampe hinweg ein junge Frau, die sich schämt. Das Opfer fühlt sich schuldig! Weiß nicht, wie ihr geschieht! Stefanie Dvorak lieh dieser Figur mehr als nur einen literarischen Auftritt, sie gab ihr „Seele“. Als „Schauspielerin“ outrierte sie allerdings allzu sehr. Auf jeden Fall war sie es, die Schnitzlers Reigenfiguren gekonnt aus der Literatur ins Leben holte.

Foto: Anett Fritsch

Den Mann als grapschendes, nach Beischlaf gierendes Wesen, das Hirn – oder meinetwegen auch die „Seele“ abgedreht hat – konnte Sven-Eric Bechtolf recht überzeugend hinüberbringen. Ein bisserl schwer tat er sich mit den Schlawinerfiguren, wie Soldat und Junger Herr. Als eitler Ehemann, der erkennen musste, dass seine Potenz nicht mehr jederzeit abrufbar ist, vergönnte man ihm diese Niederlage gerne. Im behäbigen, eitlen und alternden Dichter schrieb Schnitzler seine eigene Karikatur – eine exquisite, weil seltene Leistung in der Literatur der Selbstbespiegelung. Da war Bechtolf in seinem Element!

Weil das jetzt so Mode ist, wird fast jede zweite Lesung mit Musik eingerahmt, unterlegt. Manchmal übernimmt sie auch den Hauptpart, wie das an diesem Abend der Fall war. (Die „Musicbanda Franui“ ist in letzter Zeit in Wien omnipräsent: Sie geben den Takt an in „Holzfällen“ und begleiten gekonnt Nicholas Ofczarek durch die Wiener Schickeria. Sie spielen im Konzerthaus mit Nikolaus Habjan am Silvesterabend auf) Markus Kraler (Kontrabass, Akkordeon) und Andreas Schrett( Trompete und Leitung der Franui) stellten den musikalischen Rahmen für diesen Abend zusammen. Da wurde, je nach Szene John Cage, Eric Satie oder Mahler und Verdi zitiert, verfremdet. Wer diese Musiker schon öfter erlebt hat, meint, das alles so oder so ähnlich schon gehört zu haben. Witzig und neu: Den Beischlaf musikalisch ausagieren! Das hatte Witz. www.konzerthaus.at

Nicolai Gogol, Der Revisor. Akademietheater

In einer Fassung von Mateja Koleznik. Deutsch von Anja Wutej

Nicolai Gogol wollte nie als der Schreiber von Leichtkomödien angesehen werden. Und so steht auch im Programmheft deutlich zu lesen: „Dass das Publikum den Revisor als bloße Unterhaltung, nicht aber als Tadel der eigenen Verhaltensmuster auffasste, betrübte Gogol noch lange Zeit“

Im Dunkeln ist gut munkeln, dachten sich wohl Regisseur Mateja Koleznik und Klaus Grümberg, der für Licht und Bühne verantwortlich zeichnet. Warum in der Mitte eine Art Raumrakete steht, bleibt ein ungelöstes Rätsel. Die in den Turm eingebaute Toilette spielt eine wichtige Rolle, ein paar Stufen führen in eine nicht zu deutende Räumlichkeit. Bei Bedarf dient die Rakete als Wirtshaus oder als Bürgermeisteramt. So weit -so dunkel.

Gleich zu Beginn weiß der Zuschauer, auf welche Reise uns der Regisseur führen wird: In die Slapstickmaschinerie eines Stan Laurel und Oliver Hardy. Aus der Rakete, die offensichtlich auch einen Hintereingang hat, stolpern der Reihe nach die Figuren des Spiels. Alle müssen über irgendein Hindernis auf dem Boden hinklatschen. Stolpern und Hinfallen ist eine Hauptaktion im ersten Teil. Weiters sieht die Choreographie einen Tanz mit Stühlen und Sesseln vor, der lange dauert und immer wieder von Neuem beginnt. Höhepunkt des Unsinns ist die Besäufnis. Tabledance und Stürze vom Tisch, lallen und grölen soll das Publikum und den Pseudorevisor bei Laune halten. Doch es wirkt nicht, weil aufgesetzt und gekünstelt.

Im zweiten Teil nimmt das Stück Fahrt auf und nähert sich den Intentionen Gogols: Die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, von den Noblen bis zum kleinsten Kriecher zu geißeln. Und wenn alles im Sinne Gogols läuft, dann müsste sich das Publikum auch gleich mitgegeißelt fühlen. War aber nicht der Fall: Die Lacher lachten nicht über sich selbst, sondern nur über die gekonnte Persiflage der damaligen Zeit. Wieviel und ob man das Spiel als heutiges empfand, mag bezweifelt werden. Es ist jedoch müßig zu erwähnen, dass Korruption, Speichelleckerei, Vernaderei und Kuppelei ein sehr heutiges Thema ist.

Die Qualitäten der einzelnen Schauspieler und Schauspielerinnen kamen im zweiten Teil erst so richtig zur Geltung: Roland Koch gibt den schmierigen, oberkorrupten Bürgermeister, der glaubt, das Spiel und die Dorfbewohner in der Hand zu haben. Seine eitle Dummheit ist grenzenlos, er merkt nicht einmal, dass ihn Chlestakov, der Pseudorevisor, längst durchschaut hat und ihn und alle anderen ordentlich ausnimmt. Tim Werths als vermeintlicher Revisor spielt sein Spiel mit den Menschen, ist selbst der am meisten Bestechliche. Allerdings fehlt seiner Darstellung die Doppelbödikeit und die nötige Durchtriebenheit, die sein Diener (Oliver Nägele) weit besser drauf hat. Weit überzeichnet und der totalen Lächerlichkeit preisgegeben hat der Regisseur die Rolle der Tochter des Bürgermeisters (Lola Klamroth) Sie wird zur halbdebilen Stummen degradiert, die mit vorgewölbten Hüften durch die Gegend stakst und seltsam gymnastische Verrenkungen ausführt. Differenzierter schon Andrea Wenzl, die eitle Ehefrau des Bürgermeisters. Köstlich ihr Sexhunger, mit dem sie sich über den jungen Kandidaten stürzt. Unter den vielen Bürgern dieser Kleinstadt, die ihre Rollen alle ganz ordentlich spielen, sticht besonders Martin Schwab hervor. Er torkelt als schwerhöriger Alter, sein Herrenhandtascherl schwenkend, durch die Gegend und sorgt für ehrliche Lacher. Martin Schwab kann man ja die unnötigsten Rollen geben, er macht aus allen eine Figur!

Der Abend endet so, wie der Regisseur es wohl erwartet, aber nicht verdient hat: mit reichlichem Applaus für die Schauspieler.

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Thomas Bernhard, Holzfällen. Burgtheater

Eine Produktion von Musicbanda Franui. Lesung: Nicholas Ofczarek

Komposition und musikalische Bearbeitung: Markus Kraler, Andreas Schrett. Textfassung: Tamara Metelka, Andreas Schrett. Licht: Paul Grilj

Der 1984 erschienene Roman von Thomas Bernhard „Holzfällen“ war DER AUFREGER des Jahres. Klagen wurden eingebracht, Personen aus der Wiener Bussigesellschaft meinten sich wiederzuerkennen. Auslieferungsverbot wurde verhängt. Heute sind die Namen „Schall und Rauch“ und niemand regt sich mehr auf. Vielmehr amüsiert man sich über Bernhards scharfe Zunge und entblößende Charakterisierungen. Vielleicht fühlt sich der ein oder andere auch unangenehm touchiert…kann ja sein, aber eher unwahrscheinlich.

Nun haben sich zwei zusammengetan, die für eine „Lesung“ des Romans ideal sind -wobei „Lesung“ das falsche Wort ist. Nicholas Ofczarek las nicht, er spielte den Ich-Erzähler, die Figur des Auersberger und die Schickeria. Mit seinem Gefühl für Timing, Wortmächtigkeit und Macht über den Text führte er spielerisch und leichtfüßig, ironisch und nie langweilig durch den Roman, der nicht so ganz leichte Kost ist. Aufregend und keinesfalls nur als Begleitung spielten die Mitglieder der Musicbanda Franui auf. Oft einen schrägen Trauermarsch – passend zum Text, der ja viel vom Begräbnis einer Schauspielerin und Tänzerin erzählt, die sich erhängt hatte. Wenn Thomas Bernhard seine spöttisch-vernichtenden Wortkaskaden über Wien, das Burgtheater, die Burgtheaterschauspieler und gleich auch in einem Zug über das traurige Los der Burgtheaterdirektoren ergießt, dann hüpft, trällert die Musik so zwischen Heurigenseligkeit, Walzer und was halt so zur „guten Unterhaltung“ einer künstlich-pseudokünstlerischen Abendgesellschaft gehört.

Ein Abend, den das Publikum im ausverkauften Burgtheater mit Begeisterungsstürmen quittierte. Es sind Kaliber wie Nicholas Ofczarek, Philipp Hochmair oder Nils Strunk, die das Haus bis zum letzten Platz füllen. Sie sind „Rampensäue“ (keine Beleidigung, sondern ein großes Kompliment), die am besten arbeiten und wirken, wenn ihnen kein Regisseur oder Bühnenbildner dreinredet. Die Schlussfolgerung mag jeder Leser selbst daraus ziehen.

www.burgtheater.at

Hans Rauscher, Worüber sich zu schreiben lohnt. Ecowing Verlag

Untertitel: Über die Demokratie: Erinnerungen, Gefahren und Hoffnungen

Hans Rauscher, Jahrgang 1944, hat über 50 Jahre Erfahrung im Journalismus, das politische Geschehen in Österreich immer kritisch miterlebt und in Medien wie Kurier, profil und Standard kommentiert. In diesem Buch zeigt er die Gefahren auf, in der sich die immer fragiler werdende Demokratie in Österreich (und anderen Ländern Europas) befindet. Mit einem scharfen Blick in die Vergangenheit Österreichs rollt er die Geschicke auf, schreibt von vielen persönlichen Begegnungen mit Politikern wie Kreisky, Taus, Busek, Vranitzky, rückt das Bild des oft belächelten Kanzlers Fred Sinowatz zurecht, schreibt über Haiders Charme eines Rattenfängers. Von Haider schließt er gedanklich auf zu Kurz und anderen „Feschaks“, die durch ihre Jugendlichkeit blendeten und weist klar und deutlich auf die Gefahren durch populistische Parteien hin, die querfeldein um sich greifen, weil die großen Parteien sich durch Selbstgefälligkeit und Machtgier selbst minimieren und zerstören.

Klare Worte hat er auch für die Frage der Migration, die zur Überlebensfrage der europäischen Kultur geworden ist. Und klagt die führenden Parteien und Medien an, dieses Problem zu lange klein geredet zu haben.

Ein Buch, das man nur jedem empfehlen kann, der sich für Politik, speziell für die österreichische Politik interessiert. Der klare und schlüssige Stil macht es zu einer angenehmen Lektüre, abseits von hochphilosophischen oder -wissenschaftlichen Thesen. Dem Leser sei aber auch empfohlen, nicht auf die innere Achtsamkeit und Kritik zu vergessen. Denn Rauscher kann in allen Punkten so überzeugend sein, dass man zu sehr ins bejahende Nicken gerät und auf die eigene Meinung, bzw. Erfahrung und Kritik leicht vergißt.

http://wwww.beneventopublishing,com/ecowing

Joseph Lorenz, Schon wieder: Die stillste Zeit des Jahres. Theater Akzent

Es häufen sich die besinnlichen und unbesinnlichen Lesungen und Musikevents rund um den Advent. Alles schon da gewesen, entweder triefend vor Kitsch und Schein- Heiligkeit. NICHT SO WENN LORENZ AUFTRITT. Wie alle Kenner der Szene wissen, ist er der „Maestro“ der Lesungen. Ich werde nicht müde, immer wieder zu betonen, dass „Lesungen“ für seine Abende der falsche Titel ist. Denn er liefert Theater,Kleinkunst vom Feinsten. Muss nicht seine Augen im Manuskript vergraben, sondern hält Kontakt mit dem Publikum, spielt gekonnt auf dem Klavier der guten Laune. So auch an diesem Abend:

Mitten in den Auftrittsapplaus überrumpelt er das Publikum mit einer Art Schimpflaudatio über den Avent: „Würsteldampf und Glühwein, Kerzen, Zimt und Sterne – Stress pur.“ Und dann die Frage: Was würde Jesus dazu sagen? Die Frage beantwortet er mir Jörg Hellmanns Gedicht , „Jesus hat Geburtstag“. Da will Jesus einmal seinen Geburtstag nicht im Himmel, wie üblich, sondern auf Erden bei „seinen Leuten“, die an ihn glauben, feiern. Doch enttäuscht und angewidert ruft er seine Mama im Himmel an: „Mama, es zieht mich nichts auf Erden, die Menschen wollen nichts vom Frieden hören, sie wollen nur noch Fernsehröhren!“ Zwischen den Texten konfrontiert das Publikum mit Fragen, die er gleich mit einem passenden Text beantwortet. Da mischen sich Pointen im Urwienerischen, etwa von Trude Marzig oder Joachim Ringelnatz. Darauf dann beührende Szenen, die in der Seele haften: O. Henry, Die Gabe der Weisen. Die Frau verkauft ihre Haarpracht, um mit dem Geld dem Geliebten eine goldene Kette für seine geliebte Taschenuhr zu schenken. Der hat jedoch die Uhr versetzt, um ihr goldglitzernde Haarspangen zu schenken…. Auf diese szenischen Miniatur folgt von Erich Kästner, Felix holt den Senf. In beiden Szenen ist es die Liebe, die ganz tiefe Liebe zwischen den Menschen, die das eigentliche Geschenk ist. Variantenreich, klug zusammengestellt, einmal amüsant, dann sentimental – im eigentlichen und guten Sinn de Wortes – dann nachdenklich stimmend verabschiedet er sich mit einem deftig – derben Weihnachtswunsch, ganz im urwienerischen, nicht salonfähigen Stil.

http://www.akzent.at