Wiener Symphoniker – Sol Gabetta – Lorenzo Viotti. Wiener Konzerthaus

4. Konzert des Zyklus Festkonzere der Wiener Symphoniker, im Rahmen von „Porträt Sol Gabetta“

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Anton Webern: Im Sommerwind. Idylle für großes Orchester (1904). Dirigent: Lorenzo Viotti

Es muss wohl ein Traumsommer gewesen sein, den der 21-jährige Anton Webern 1904 auf dem Kärntner Landsitz der Familie verbrachte. Voller Begeisterung ließ er sich von dem Gedicht Bruno Willies „Im Sommerwinde“ zu der der zärtlichen Hommage an Sommerdüfte und laue Winde inspirieren. Noch konnte er frei und ungezwungen vor sich hin komponieren, in die strenge Schule Arnold Schönbergs trat er erst später ein. Daher erlaubte er sich in Anklängen an Wagner. Strauss oder auch Hugo Wolf zu schwelgen, jedoch schon mit durchaus eigener Prägung.

Lorenzo Viotti lässt die Romanze voll wirksam erklingen: Gleich zu Beginn gleiten die Streicher, gefolgt von den leisen Bläsern in ein Traumgefilde. Ohne Effekthascherei arbeitet Viotti die leisen Töne heraus, fast fängt er sie mit den Händen ein, um ihnen noch nachzuhören. Ja, man kann sagen, Viotti huldigt in dieser Komposition den leisen, ganz zarten Töne. Jeder einzelne hat seinen Wert, verhallt langsam und lange. Für das Publikum, das vielleicht gestresst oder deprimiert von den aktuellen Nachrichten war, die ideale Musik, um Sommer ohne Welt und ihre Kriegsklänge einströmen zu lassen.

Camille Saint-Saens, Konzert für Violoncello und Orchester Nr.1 a-moll op.33. Violoncello: Sol Gabetta. Dirigent: Lorenzo Viotti

Auch wenn Romain Roland den Freund als einen Menschen charakterisiert, der“ von keiner Leidenschaft geplagt wird“ (Zitat aus Programmheft S 9) und ihm alles Dämonische, Dionysische abspricht, so widerlegt die Aufführung dieses Konzertes ganz und gar diese Meinung. Camille Saint Saens weiß sehr wohl aufs Ganze zu gehen, Sol Gabetta kann auf der Stradivari aus 1717 (eine Leihgabe der Stradivari-Stiftung Habisreutinger-Huggler-Coray) all ihre Kraft und Flinkheit demonstrieren. Ihre Läufe sind präzise, schnell und beeindruckend. Viotti breitet den Orchesterklang als sorgfältig ausgebreiteten Teppich unter ihr virtuoses Spiel. Der Komponist reflektiert seine ruhelose Fahrten durch die Welt, nur manchmal gönnt er sich – also dem Orchester und der Solistin – Ruhe, Einhalt. Dann hört man leichtfüßige Tänze und meint, einen nachdenklichen Komponisten zu vernehmen.

Großer Jubel für die Solistin!

Nikolai Rimski-Korsakow: Scheherazade op.35. Dirigent: Lorenzo

Die gängige Meinung, Rimski-Korsakow habe eine „Allerweltsmusik“ geschrieben, widerlegte Viotti durch sein temperamentvolles Dirigat ganz und gar.. Nein, so klingt keine Allerweltsmusik. Unter den Händen von Lorenzo Viotti konnte man die Geschichte des Sultans, dessen Grausamkeit erst durch die Klugheit und zärtliche Sinnlichkeit der schönen Scheherazade bezwungen wird, fast „mitlesen“. Dem heftig aufbrausenden Orchesterklängen antwortet Scheherazade mit überirdisch schönen Geigensoli und Oboenklängen. Kriegsgeschrei gegen weibliche Sanftmut und Verführung!

Großer Jubel am Schluss und langer Applaus für das Orchester und seinen Dirigenten!

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Pfingstfestspiele Salzburg 2025: …sofferte onde serene

Matinee, ausgewählte Klaviermusik von Alban Berg bis Wagner. Am Klavier: Tamara Stefanovich. Und „Wesendonck Lieder“ von Richard Wagner. Interpret: Matthias Görne

Da Markus Hinterhäuser an einer Sehenenscheidenentzündung litt, musste er für diese von ihm zusammengestellte Matinee absagen. Tamara Stefanovich spielte an seiner Stelle. Man hörte Musikstücke, die in Venedig entstanden oder Venedig als Inspirationsquelle hatten, etwa von Alban Berg, Franz Liszt und Richard Wagner. Luigi Nonos „..soffferte onde serene“ entstand als Antwort auf mehrere tragische Ereignisse in seiner Familie und in der seines Freundes Maurizio Pollini. Daher der Titel: die sonst heiteren Wellen der Lagune sind in Trauer eingestimmt. Tamara Stefanovich spielte die einzelnen Stücke mit hartem Anschlag, wohl ganz bewusst unprätentiös durch, ohne Atempausen.

Matthias Görne, bekannt als subtiler Schubertinterpret – seine „Winterreise“ gemeinsam mit Hinterhäuser am Klavier ist legendär – ließ unbestimmte Sehnsucht, Trauer und Leiden in seiner Interpretation aufklingen. Leider ist Matthias Görne für seinen Mangel an Wortdeutlichkeit bekannt. So musste man sehr konzentriert den Text im Programmheft mitlesen, was die Aufmerksamkeit schmälerte. Trotz seines warmen Baritons gelang es Görne nicht, der parfümierten Trauer, die in diesen Liedern vorherrscht, Glaubhaftigkeit zu verleihen. Insgesamt hinterließ die Matinee eher einen bedrückenden Eindruck – ob man danach noch nach Venedig reisen will?

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Pfingstfestspiele Salzburg 2025: Vivaldi, Ovid: Hotel Metamorphosis

Ein Pasticcio mit Musik von Antonio Vivaldi, Texte aus Ovids Metamorphosen (Übersetzung Hermann Heiser) und Gedichte von Rainer Maria Rilke

Fassung von Barrie Kosky (Regie und Konzept) und Olaf A. Schmitt (Konzept und Dramaturgie). Musikalische Leitung des Orchesters „Les Musiciens du Prince-Monaco: Gianluca Capuano. Bühnenbild: Michael Levine. Kostüme: Klaus Bruns.Choreographie: Otto Pichler. Video: rocafilm. Licht: Franck Evin

Der Themenschwepunkt der Pfingstfestspiele 2025 hieß Venedig und hat natürlich die Musik Vivaldis (1678-1741) auf den Ideenplan gerufen. Dem unermüdlichen Komponisten schreibt man ja an die hundert Opern und zahllose Serenaden, Arien etc zu. Doch übrig blieben von all diesem Kompositionsreichtum nur „Die vier Jahreszeiten“, die in Venedig an allen Ecken unermüdlich den Touristen in die Ohren gefiedelt werden. Doch Barrie Kosky und Olaf A. Schmitt schürften in die Tiefe und förderten neben Bekanntem einige verborgenen Schätze zutage. Genial war die Idee, diese mit Gedichten aus Ovids Epos „Die Metamorphosen“ zu kombinieren und ein Pasticcio der Sonderklasse daraus zu kochen. Als Erzähler fungierte Orpheus – einfühlsam gesprochen von Angela Winkler. Dass in den „Teig“ noch Rilkegedichte, Tänze und passende Bilder plus Videovergrößerungen hineingemixt wurden, Gesänge, gesprochene Texte neben- und durcheinander angeboten wurden, brachte allerdings den Hefeteig in Gefahr des Übergehens. Nicht selten war man überfordert, die verschiedenen Ideen richtig einzuordnen. Der schnelle Szenenwechsel amüsierte nicht nur, sondern ermüdete auch. Im zweiten Teil stellte sich trotz toller Stimmen und wildwechselndem Bühnenbild Langeweile ein.

Wo Cecilia Bartoli draufsteht, da ist Komik ganz sicher mit dabei! Denn sie liebt es, Drastisches mit Komischem zu mischen, gerade auch in tragischen Szenen, wie etwa in der Episode „Arachne“. Als weltbekannte Textilkünstlerin sonnt sich Arachne im Medienrummel, auf die Gunst und Hilfe der Götter pfeift sie. Das evoziert den Zorn Minervas (urkomisch und stimmlich toll: Nadezhda Karyazina) Als Göttin für Handwerkskunst zuständig, kann sie sich diese Schmähung nicht bieten lassen. Als knarzende Alte verkleidet, humpelt sie, auf den Rollator gestützt, in das Atelier Arachnes. Der musikalische Streit zwischen den beiden gehört zu den besten Szenen des Abends! Arachne wird das Opfer einer boshaften, in ihrer Eitelkeit verletzten Göttin und muss ihr Dasein bis in alle Ewigkeit als Spinne fristen.

Urkomisch auch der Countertenor Philippe Jaroussky als Pygmalion, der sich in seine Statue verliebt. Eine schönere Frau als diese gibt es auf der ganzen Welt nicht. Fehlt nur noch „anima“ – Lebenshauch. Den haucht ihr Juno ein. Doch welche Frau wird sie sein? Kätzchen, Feministin, Nonne? Pygmalion ist ihr Charakter ziemlich egal, Hauptsache, er kann sie zärtlich streicheln. Ob es zu mehr reichen wird? Lea Desandre ist eine wunderbar komische, stimmlich wundervolle singende Statue.

Berührend und in Erinnerung bleibend ist die Geschichte der Tochter Myrrhe, die ihren Vater begehrt. Wie Ovid alleTräume, Wünsche, Laster und manchmal auch Tugenden ohne moralische Schlussfolgerung erzählt, so geschieht es auch hier: Myrrhes Geschichte (intensiv und stark wiederum Lea Desandre) wird ohne Kommentar erzählt und gezeigt: Ihr Begehren, ihre Vereinigung mit dem Vater (unter dem Leintuch – drastisch und zugleich sehr komisch), dann die Entdeckung und der Bannfluch der Götter: sie wird zum Baum, ihre Tränen werden zur Myrrhe.

Nicht alle Geschichten haben die Stärke, zu beeindrucken und/oder zu amüsieren. Langweilig wirkt die des Narziss, der sein eigenes Spiegelbild liebt, gar nicht komisch, sondern fast ein wenig peinlich die Erzählung über Echo, die für ihre Geschwätzigkeit dazu verdammt wird, immer nur die letzen drei Worte zu wiederholen, die ihr zugetragen werden. Ausgezeichnet die Tanzszenen, die meist wie eine Urgewalt über die Szene hereinbrechen und viel Spontanapplaus ernten. Überbordend die Videos der jeweiligen zur Szene passenden Bilder über dem Bett. Dazu noch Musik, Text von Angela Winkler, das kann schon manchmal zu viel werden. Als nervtötend lang wirkt der Schluss: nochmals Orpheus, der von den rasenden Mänaden zerrissen wird. Sein Kopf bleibt über und liegt auf dem Fauteuil im Schlafzimmer. Peinlich! Und nochmals Gang in die Unterwelt, nochmals Gesang Eurydikes – zwar mit der wundervollen Stimme Bartolis – dennoch möchte man nicht mehr mitgehen.

Wer über Ovid und die Metamorphosen mehr wissen will, dem sei der kluge Essay von Stephanie Mc Carter: „Die Metamorphosen des Ovid. Leben. Kunst. Verwandlung“ empfohlen (Im Programmheft S 49ff)

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Salzburger Pfingstfestspiele: Tod in Venedig. Hamburg Ballett

Untertitel: Ein Totentanz von John Neumeier, frei nach der Novelle von Thomas Mann.

Choreographie, Lichtkonzept und Inszenierung: John Neumeier. Bühnenbild: Peter Schmidt. Kostüme: John Neumeier und Peter Schmidt.

Klavier: David Frey. Musik von Sebastian Bach und Richard Wagner, Orchesterwerke vom Tonträger

Titelfoto: Tadzio (Caspar Sasse) und Gustav von Aschenbach (Edvin Revazov)©Karin West

„Venedig“ heißt das Motto der Pfingstfestspiele 2025. Tod in Venedig, die Novelle von Thomas Mann, bietet sich als erster Einfall an. Die Verfilmung von Luchino Visconti machte den Stoff beim breiten Publikum bekannt. In der Novelle ist Gustav von Aschenbach ein alternder Schriftsteller, der an einer heftigen Schreibhemmung leidet. Venedig, die Stadt der Sinnlichket, soll ihn davon befreien. In der Filmversion ist Aschenbach ein Komponist – mit deutlichen Anspielungen auf Gustav Mahler, dessen Musik den Film beherrscht . Im Ballett Neumeiers ein „Meisterchoreograph“, dem nichts mehr einfällt. Auf den Punkt gebracht: Aschenbach wird zum Symbol des Künstlers in der Schaffenskrise.

John Neumeier interessierte dieses Thema schon viele Jahre. Im Gespräch, das er anlässlich der Uraufführung in der Staatsoper Hamburg 2003 mit Telse Hamann führte (abgedruckt im aktuellen Programmheft), leugnet er die autobiographischen Züge nicht: „Ich kann mich durchaus mit Aschenbach identifizieren, aber es ist auf gar keinen Fall eine Autobiografie“. (Programmheft S 32). Er will Aschenbach als Choreograph in der Krise zwischen abstraktem Konzept und Trieb, Eros, Liebe sehen. Eine sehr aktuelle, heutige Diskrepanz, vor der jeder Choreograph gestellt ist: Konzipiert er – gleichsam auf dem Reißbrett – ein abstraktes Ballett, eine „Creation“ zu einem theoretischen Thema oder lässt er sich auf menschliche Gefühle, auf Annäherung ein. Diesen Zwiespalt macht Neumeier in vielerlei Hinsicht in dem Ballett verständlich: Da klingt die mathematisch aufgebaute Musik Bachs an, wenn Aschenbach sich mit Choreographien um die Figur Friedrich des Großen abmüht. Was immer er probiert, passt nicht. Das verdeutlicht Neumeier durch „falsche Bewegungen“, unharmonsiche Choreographien und vor allem durch Humor. Das Zusammenspiel zwischen ihm und seinen erschaffenen Figuren zertrümmert Aschenbach immer wieder, doch sie kehren mit penetranter Ausdauer zurück, er wird sie nicht los. Edvin Revazov ist der ideale Gustav Aschenbach: steif, humorlos und als solcher sorgt er für so manches Schmunzeln im Publikum. Da nützt es nichts, wenn seine Figuren ihn umschmeicheln – er scheucht sie alle weg, bis er auch das Porträt Friedrich des Großen vernichtet. Aus, er will nicht mehr. Aus dem Hintergrund der Bühne tauchen zwei Figuren auf – die Verdoppelung eines Wanderers. Louis Musin und Matias Oberlin tanzen all das, was Aschenbach fehlt: Mut, Veränderung, Lebensfreude, Keckheit, Neugier. In diesen Augenblicken des prallen Lebens – wunderbar verkörpert von den beiden Tänzern – hört man die Musik Wagners. Sie lockt Aschenbach – nach Venedig. Und schon sind beide die „Führer“, „Verführer“. Als Gondoliere rudern sie Aschenbach an den Lido, ans Meer, an die Orte der Sinnlichkeit, der bequemen Gleichgültigkeit, die man in gesellschaftliche Tänzen auslebt. Später werden sie als Friseure die unheimliche Verjüngung Aschenbachs vornehmen, und wieder später werden sie die mitten im Tode vor Lust herumwirbelnde Gesellschaft mit ihren Gitarrenklängen anfeuern. Vor den Augen Aschenbachs und des Publikum entwickeln sich in Choreographie, Bewegungen, Kostümen, Gesten und Musik „Tableaus“ der Gesellschaft – keine Hammerkritik, die liegt Neumeier nicht, sondern hauchfeine Pinselstriche, an denen man die Distanz zwischen dem noch immer steifen Aschenbach und der allzu freizügig sich gebärdenden „gehobenen“ Gesellschaft auslesen kann. Wäre da nicht einer, der alles durchbricht – Tadzio! Jung, schön, selbstbewusst, wie ein Wirbelsturm bricht er in die feine Soirée des Hotels ein. Unbekümmert und scheinbar nicht wissend um seine Wirkung. Oder doch? Caspar Sassse ist ein koketter Tadzio, ein Junge, der sich seiner Wirkung sehr wohl bewusst ist. Ein Lächeln, ein Wink – Aschenbach verfällt dem Charme. Dem Eros – bis in den Liebestod. Neumeier steigert die Beziehung zwischen den beiden : Von dem konventionellen Handgruß bis zu einem erotischen Liebespas de deux am Schluss: Aschenbach wirft die Kompositionen Bachs weg, überlässt sich den Liebeslockungen Wagners und Tadzios, im Bewusstsein, dass sie tödlich sind. So hält Tadzio den sterbenden Aschenbach wie eine Pietà in den Armen, begleitet von Isoldes Liebestod von Franz Liszt. Aschenbach hat sich für Eros entschieden. Eros und Thanatos haben Apoll, den Gott der strengen Ordnung, besiegt.

Jubel, frenetischer Beifall für die gesamte Truppe, standing ovation für John Neumeier, der sichtlich zu Tränen gerührt ist.

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Anat Gov: Oh mein Gott. Theater Akzent

Regie: Hans Peter Kellner, mit Katharina Stemberger und Wolf Bachofner

Gäbe es Oscars für die besten Stücke des Jahres, müsste die israelische Drehbuchautorin Anat Gov einen erhalten. Gäbe es einen Oscar für kluge Regie, dann einen bitte für Hans Peter Kellner. Und je einen Superoscar müssten Katharina Stemberger für ihre Darstellung als Ela und Wolf Bachofner als Gott erhalten. Ein kluges Stück tatsächlich und buchstäblich über Gott (des Alten Testamentes), die Welt und über uns, die heutigen Menschen. Nicht nur klug, sondern auch sehr amüsant geschrieben. Da wird dem Publikum keine Moral übergestülpt, keine Modethemen verbraten. Nein, es wird schlicht und ehrlich gespielt, und basta!

Ela ist Psychologin. Ihr Leben als alleinerziehende Mutter eines sprachlosen Kindes ist nicht immer einfach. Zu ihrem 44. Geburtstag wollte sie ihrem Leben und dem ihres Sohnes eine Ende setzen. Tat es nicht und hat sich Mut und Sinn für schöne Momente erhalten. Da klopft ein geheimnisvoller Herr an ihre Tür, braucht dringend Hilfe. Er heiße schlicht Gott und sei Gott. Nach einigem ungläubigen Geplänkel geht Ela darauf ein, ihm durch eine Gesprächstherapie zu helfen. Denn Gott will „Schluss machen“. Eine zweite Sintflut wäre notwendig. Mit klugen Fragen und feinfühligem Humor führt ihn Ela zur Erkenntnis, dass es dem Gott an dem Wesentlichsten fehlt, was einen Gott und einen Menschen auszeichnet. Empathie. Sie erinnert ihn gnadenlos an seine böses Spiel, das er mit Hiob getrieben hat. In ERkenntnis seines „bösen Wesens“ weint Gott bitterlich. Das Ende dieses wunderbar klugen und witzigen Diskurses sei hier nicht verraten.

Wolf Bachofner spielt seine Rolle als Gott mit einer Selbstverständlichkeit, einer rührenden Alltäglichkeit, als wäre er einer dieser unglücklichen Geschöpfe, die er selbst erschaffen hatte. Nur hin und wieder kehrt er den „Allmächtigen, Wissenden“ heraus, aber gerade nur so viel, um Ela von seiner Macht zu überzeugen. Katharina Stemberger ist eine sensible, sehr überzeugende Therapeutin, die von Gott gar nichts hält, ihn schlichtweg leugnet. Doch er überzeugt sie von seiner Existenz und sie reagiert menschlich: voll Mitleid mit ihm (was ja nicht lege artis ist!)

Das Publikum bedankte sich mit frenetischem Applaus. Nach so einem Abend weiß man wieder, warum es Theater gibt und wo sein Sinn liegt. Bitte mehr von solchen intelligenten Texten, klugen Regisseuren und tollen Schauspielern!!

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Tonkünstler Orchester: Mahler 8. unter Yutaka Sado. Festspielhaus St. Pölten

Mitwirkende: Magna Peccatrix: Verity Wingate. Una Poenitentium: Eleanor Lyons. Mater Gloriosa : Christina Gansch. Mulier Samaritana: Stepanka Pucalkova. Maria Aegyptiaca: Yajie Zhang. Doktor Marianus:Maximilian Schmitt. Pater Estaticus: Rafael Fingerlos. Pater Profundus: David Steffens. Dazu Wiener Singverein, Slowakischer Philharmonischer Chor und Wiener Sängerknaben.

Ein eindrucksvoller Abend – Höhepunkt und Abschied. Yutaka Sado verabschiedete sich von „seinen“ Tonkünstlern und seinem Publikum des Festspielhauses mit der wuchtigen, alle anderen übertreffenden 8. Symphonie von Gustav Mahler. Zehn Jahre hatte Sado Bruckner und Mahlers Werke dem Publikum in die Seele dirigiert, ist mit den Tonkünstlern aufs innigste verbunden – und wurde zum Publikumsliebling.

120 Musiker, 3 Chöre, Fernorchester auf der Galerie, 9 Singstimmen füllen Raum und Zeit. Die 8. Symphonie wurde von Mahler selbst und dem Publikum der Uraufführung 1910 in München als sein magnum opus angesehen und gefeiert. Sie beeindruckt durch Klangfülle, hochgeistige und geistliche Texte, die zu interpretieren eines Kenners bedarf. Daher sei hier nur ein allgemeiner Eindruck niedergeschrieben. Wuchtig der Anfang: „Veni, creator spiritus!“ Komm, Schöpfer Geist! So lautet der Anfang eines Pfingsthymnus aus dem Mittelalter, der 2. Teil ist die gandiose Vertonung der Erretung Fausts durch die Liebe Gretchens. In einem Brief an seine Frau Alma schrieb Mahler 1910: “ Beim Einritt in das altgewohnte Arbeitszimmer (gemeint ist das Häuschen in Maiernigg am Wörthersee) packte mich der Spiritus creator und schüttelte und peitschte mich acht Wochen lang, bis das Größte fertig war.“ (Zitiert aus dem Programmheft). Mahler feiert im 1. Teil die Liebe, im 2. Teil die Frau als Mittlerin zwischen Mensch, dem Sünder, und dem Göttlichen. Insgesamt ist es das Frauenbild, das er gene seiner Alma übergestülpt hätte: “ Jungfrau, Mutter, Königin, Göttin, bleib gnädig!“ singt Doktor Marianus (alias Mahler, alias Goethe).

Yutaka Sado dirigierte dieses Monumentalwerk mit ruhiger Umsicht. Am Ende wurden er und das Orchester mit Ovationen gefeiert! Gerührt bedankte er sich beim Publikum und gab danach geduldig und mit freundlichem Lächeln Autogramme. Der Andrang war groß wie bei einem Superstar. So musste es sein!

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Matthew Wong – Vincent van Gogh.

Letzte Zuflucht Malerei. Titelbild: Matthew Wong: Landscape with Mother and Child

Matthew Wong kam 1984 in Toronto zur Welt. Seine Eltern stammten aus China und lebten abwechselnd in Hongkong und Kanada. Der häufige Ortswechsel war für Matthew Wong, der, wie später diagnostiziert wurde, unter schweren Depressionen, Autismus und dem Tourrette-Syndrom litt, sehr fordernd. Doch seine Eltern sorgten sich sehr um ihn und förderten sein Studium der Fotografie, wie sie nur konnten. Und so unterstützten sie ihn auch, als er nach Abschluss des Studiums der Fotografie sich für die Malerei entschied. Das Schlüsselerlebnis waren die Bilder von Vincent van Gogh. In ihm sah er einen Künstler, der malte, um das Leben zu bewältigen. Der seine seelischen Probleme im Malen „abarbeitete“. Daher ist der Zuatztitel der Ausstellung voll zutreffend: „Letzte Zuflucht Malerei“. Zutreffend für van Gogh und zutreffend für Matthew Wong. Beide waren Autodidakt, mit dem Unterschied, dass Wong sich intensiv via Internet und Facebook mit der aktuellen Kunstentwicklung auseinandersetzte. Ein Diskussionsforum, das van Gogh nicht zur Verfügung stand. Anders als van Gogh hat Wong schon früh (mit 33 Jahren) Ausstellungen in der renommierten Galerie „Karma“ in New York. In Farbwahl und Stil spürt man den starken Einfluss seines Vorbildes: Strahlendes Gelb, intenives Blau sind immer wiederkehrende Farben, der nervöse Pinselstrich erinnert an Getreidefelder, Blumenbilder van Goghs. Punkte, hastig hingesetzt, als wüßte der Maler um die kurze Zeit, die ihm noch bleibt. Wong ist anerkannt, nimmt an internationalen Kunstforen teil, das Publikum schätzt seine Werke – und dennoch: Matthew Wong nimmt sich am 2. Oktober 2019 mit 36 Jahren das Leben.

Dennoch spiegeln seine Bilder selten seinen inneren Überlebenskampf wider. Im Gegenteil. Für mich sind sie Bewältigungsbilder! Bewältigung der Einsamkeit, aber auch Bilder der Lebensfreude. Aus diesem Grund habe ich als Titelfoto das Bild: Mutter mit Kind gewählt – . Die Mutter, die immer mit ihm war, ihn auf allen Reisen beschützte, sitzt am Rande, bereit, den Sohn durch die Blumenlandschaft zu begleiten.

Die Serie der „blauen Bilder“ (Fotos unten) sind alle in seinem letzten Lebensjahr entstanden. Ja, sie sind von tiefer Melancholie erfüllt. Doch es gibt Hoffnungsstreifen und Sterne, die sich im See in tausend Punkten spiegeln. In der „Sternennacht“ zitiert Wong van Goghs berühmtes Gegenbild.

Selbst die beiden letzten Bilder „The Other Side“ und das an van Goghs Bild des Sessels mit der Pfeife erinnernde Bild „Ohne Titel“ lassen zwar einen Abschied ahnen, aber sie vermitteln nicht die Todesahnung.

Eine Figur blickt mit dem Rücken zum Betrachter sehnsüchtig an ein jenseitiges Ufer, wo ein Haus ihn erwartet. Ein roter Vogel, den ich als „Seelenvogel“ interpretiere, wie in griechischen Mythen, wird seine Seele hinübertragen. Ein tröstlicher Gedanke. Im allerletzten Bild , den Sessel van Goghs zitierend, ist die Verlassenheit sehr stark zu spüren. Allerdings glänzt auf dem Sessel ein Strahlenglanz, vielleicht der Glanz seiner Seele, die er in seinen Bildern hinterlässt. (Man verzeihe mir die allzu persönliche und vielleicht zu romantisierende Deutung!)

Da die Ausstellung am 9. Juni 20225 endet, sollte man sie noch unbedingt ansehen. Sehr empfehlenswert ist auch der Katalog mit wertvollen Beiträgen, wie der Einführung von Joost van der Hoeven oder dem einfühlsamen Artikel „Aufsteigender Regen“ von Richard Shiff. Interessant ist, dass Matthew Wong auch Gedichte in englischer Sprache verfasste. Einige davon sind abgedruckt.

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Kodo Ensemble und Tonkünstler Orchester: Taiko Drum Concerto. Dirigent: Yutaka Sado

Emotion, Überraschung, Kontrast, Wucht, Zartheit

Mit dieser Musik -fremd und aufregend – beginnt eine Reise im Kopf. Eine Reise in ein unbekanntes Land, Rausch des Dionysos, Silenen, Pan, Puccinis Butterfly, banal, erotisch, wild, provokant, laut, am Schluss brüllt Metro Goldwyn Mayers Löwe! Das alles in rasanter Abfolge.

Yuta Sumiyoshi: Ayumi, gespielt vom KODO Ensemble

Sumiyoshi 1991 geboren in Japan, trat mit 19 Jahren dem Kodo-Ensemble bei. Seine Komposition „Ayumi“ beginnt mit leisen Trommelschlägen, die riesige rote Trommel leuchtet geheimnisvoll auf, begleitet von sich sanft wiegenden rosa Videokreisen. Die Trommelrhythmen entführen in die Wüste, vielleicht in die Sahara, hin und wieder menschliche Stimmen. Romantik pur.

Peeter Vähi: Call of Sacred Drums. KODO Ensemble und Tonkünstler unter Yutaka Sado

Der 1955 in Estland geborene Komponist ist für seine spirituell -philosophische Musik bekannt. „Call of Sacred Drums“ wurde an diesem Abend zum ersten Mal gespielt, der Komponist war selbst anwesend. Yukata Sado ist dafür bekannt, dass er – wenn es die Partitur erlaubt – die Anfänge zelebriert, ganz zart lässt er die Bläser kommen, darüber Flötenklänge. Im Hintergrund bleibend steigen die Trommeln ein – um dann plötzlich zu einem rasenden Tanz zu explodieren. Im Kopf des Zuhörers beginnt eine Reise mit dem Zug, man spürt den Rhythmus der Räder. Schneller werden die Trommeln, bis sie die Führung übernehmen und das Orchester schweigt. Schwindelerrend und laut tragen die Trommeln die Hörer durch das Land, schnell und laut bis zum Wahnsinn – um dann doch in einer berührenden Zartheit auszulaufen. Viel Applaus für den Komponisten, die Musiker, die Trommler und den Dirigenten.

Yuzo Toyama (1931-2023): Rhapsodie für Orchester, revidierte Fassung 2001

Die Trommler haben Pause. Der Anfang ist Romantik pur, so zwischen Butterfly und Frühlingszauber à la Schubert oder Schumann …Schellen und Schalmeien schwingen das Publikum ein. Langsam steigert sich das Tempo -bis zu einer plötzlichen Pause, um Atem zu holen, denn gleich wird es stürmisch, der Gong fängt die herumfliegenden Töne ein, bis am Ende eine Steigerung der Steigerung nicht mehr möglich ist.

Ryotero Leo Ikenaga: Inochi

Dem Prinzip der drei vorangehenden Kompositionen folgend beginnt auch dieses Stück mit zarten Trommelschlägen, in die zauberhafte Geigen sich einbinden, die wiederum Celli anschwellen lassen. Nach einer langen Kunstpause setzt Regen oder Sandgeriesel ein, es fallen einzelne Tropfen, die Natur erblüht in einem meditativen Frieden. Doch inochi – die Lebenskraft – will mehr, will wirken und explodiert zu einem heldischen Trommelwirbel.

Und das Publikum springt vor Begeisterung auf, klatscht, wie hypnotisiert von dieser neuen, noch nie gehörten Musik, die Maestro Sado mit der für ihn typischen Demut und tiefem Verständnis in die Seelen der Menschen getragen hat.

In einer wie aus allen Fugen geratenen Improvisation gaben die sechs Musiker des KODO Ensembles noch einmals eine Probe ihres Könnens ab. Einmal noch verbeugen und schon verließen Musiker, Trommler und Dirigent die Bühne. Schade,, das Publikum hätte sie alle noch gerne länger beklatscht.

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Arthur Schnitzler, Das weite Land. Theater in der Josefstadt.

Regie: Janusz Kica. Bühnenbild und Kostüm: Karin Fritz. Gesehen wurde die Voraufführung am 21. Mai 2025

Das Theater in der Josefstadt und Arthur Schnitzler sind traditionell eng miteinander verbunden., hat doch auch Heinrich Schnitzler, der Sohn des Autors, ab 1969 als Vizedirektor dort gearbeitet. Theaterfans haben „Das weite Land“ mindestens schon dreimal gesehen. Viele werden die legendäre Aufführung im Südbahnhotel mit Herbert Föttinger und Petra Morzé noch in Erinnerung haben. Man kann das „Weite Land“ einfach nicht oft genug sehen, meinen einige. Doch – man kann! Die aktuelle Aufführung beweist es! Langweiliger konnte nur noch die Burg dieses Stück inzenieren! (Regie Barbara Frey, Hofreiter: Michael Maertens, Genia Katharina Lorenz)

Schuld an der Langeweile sind die Regie von Janusz Kica und das Bühnenbild von Karin Fritz. Da müssen sich die Figuren, vor allem Genia, an einer Aluwand entlangschleichen. Einen Raum, im Sinne von Wohnraum oder Umfeld, gibt es nicht. Um die Distanz und Gefühlskälte zwischen ihr und dem Ehemann zu unterstreichen, trägt sie Kopfhörer, er einen schäbigen ( als reicher Fabrikant !) Wintermantel und einen verknitterten Anzug, der ihm deutlich zu eng ist. „In deiner Nähe friere ich immer“, begründet er dieses Outfit.. Diese allzu banal-deutlichen Hinweise auf das Regiekonzept hätte es wahrlich nicht gebraucht – denn es müssen alle, wirklich alle Schauspieler nur Text sprechen, bar jeder Gefühlsregung. Gut, akzeptiert man, dass Kica die heutige Gesellschaft so sieht (die Kostüme sind ja ziemlich banal heutig), dann fragt man sich aber, warum er sich ausgerechnet dieses Stück vorgenommen hat. Denn um die Sinnentleerung in unserer Gegenwart zu zeigen, ist der Text von Arthur Schnitzler zu kostbar, zu fein gesponnen. Von der Seele, die ein weites Land ist, bleibt nur der Satz, der Sinn geht verloren.

Die Besetzung: Friedrich Hofreiter: Bernhard Schir, Genia: Maria Köstlinger. Anna Meinhold-Aigner: Sandra Cervik, Otto: Tobias Reinthaller, Direktor Aigner: Herbert Föttinger, Erna: Johanna Mahaffy, Doktor Mauer Marcus Bluhm u,v.a

Höflicher Applaus

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Manfred Koch. RILKE. Dichter der Angst, eine Biographie. C.H. Beck Verlag

Manfred Koch gelingt es, den Dichter Rilke und seine Dichtung mit dem Menschen „Rilke“ und mit der Welt, in der er lebte, im Zusammenhang zu erfassen. Das gleicht wohl einer Mammutaufgabe. Denn Rilkes Dichtung ist Rätsel, das zu interpretieren nicht einfach ist. Sein Leben war so kompliziert wie sein Werk. Man muss schon tiefes Verständnis für das Untergründige, für die Kompliziertheit und die Verschlossenheit dieses Lebens aufbringen. Und das beweist Manfred Koch mit jeder Zeile.

Manfred Koch hebt als wichtigste Komponente in Rilkes Werk und Leben die Angst hervor: Angst vor der Schreibhemmung, Angst vor allzu großer Nähe -vor allem zu den Frauen -. Angst um seine geistige und körperliche Gesundheit und nicht zuletzt auch die ganz triviale Angst vor der Organisation des täglichen Lebens. Und vor allem : Angst, dass er diese Angst eines Tagess verlieren und sich auf die Bequemlichkeit eines bürgerlichen Lebens einlassen könnte. Mit hoher Sprachsensibilität spürt Manfred Koch dieser Ambivalenz der Angst nach: Rilke braucht sie als Antrieb für seine Dichtung, sie macht ihn dünnhäutig, er braucht die Frauen, er liebt es, sich zu verlieben. Aber er weist sie von sich, sobald sie Nähe einfordern. Er lässt sich nicht vereinnahmen, auch nicht von Kunstströmungen. Auch nicht von der Versuchung, sich einer Analyse zu unterziehen, die ihm die Angst mildern oder nehmen könnte. Klarsichtig weiß er um die Notwendigkeit, mit ihr und von ihr zu leben.

Manfred Koch verherrlicht nicht, macht Rilke nicht zum Dichterheroen, wie es viele damals und auch noch heute tun. Er analysiert, versteht, versucht auch die dunkle Seite Rilkes zu erhellen und verständlich zu machen. Fazit: Die Biografie ist ein wertvoller Wegweiser für alle, die sich über eine romantische Schwärmerei hinausgehend für Rilke interessieren.

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Wiener Staatsballett: Diskussionsforum „Tanzforum“ anlässlich der Première „Kreationen“

»Kre­a­ti­on heißt, zu er­le­ben, wo der Tanz heu­te steht, was ge­gen­wär­ti­ge Künst­ler um­treibt.
Von den Tän­zer*in­nen er­for­dert Kre­a­ti­on den Mut, in ein Ter­rain hin­ein­zu­ge­hen, das nicht von vor­ne­her­ein de­fi­niert ist«, er­läu­tert Mar­tin Schläp­fer – und ist über­zeugt: »Kre­a­ti­on ist eine Grund­vor­aus­set­zung, dass die dar­stel­len­den Küns­te am Le­ben und re­le­vant für un­se­re Ge­sell­schaft blei­ben.«

Ins­ge­samt zehn neue Wer­ke – für die Spiel­plä­ne in der Wie­ner Staats­oper und der Volks­oper Wien, die Ju­gend­kom­pa­nie der Bal­lett­aka­de­mie sowie den Wie­ner Opern­ball – hat Mar­tin Schläp­fer in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren als Chef­cho­reo­graph des Wie­ner Staats­bal­letts ge­schaf­fen und als Gäs­te Alexei Rat­man­sky, Mar­co Goecke, An­drey Kay­da­novs­kiy, An­dre­as Hei­se und Adi Ha­nan für neue Cho­reo­gra­phien ge­win­nen kön­nen – eine Se­rie, die mit der Pre­mie­re Kre­a­tio­nen am 14. Juni in der Volks­oper Wien mit drei Urauf­füh­run­gen – dar­un­ter auch ein im Auf­trag des Wie­ner Staats­bal­lett ent­stan­de­nes mu­si­ka­li­sches Werk der schwe­di­schen Kom­po­nis­tin Lisa Streich – ih­ren Ab­schluss fin­det.

Im Tanz­po­di­um Kre­a­tio­nen – das Re­per­toire von mor­gen? dis­ku­tie­rten die drei Cho­reo­gra­ph*in­nen des Pro­gramms Mar­tin Chaix, Ales­sand­ra Cor­ti und Louis Stiens zu­sam­men mit Mar­tin Schläp­fer über die Be­deu­tung krea­ti­ver Pro­zes­se für ein En­sem­ble, die Si­che­rung einer Bal­lett­kunst für die Ge­gen­wart durch neue Wer­ke sowie ak­tu­el­le Stof­fe, Äs­the­ti­ken und Kör­per­bil­der auf der Bal­lett­büh­ne.

»Für mich ist Cho­reo­gra­phie ein kol­la­bo­ra­ti­ver Pro­zess, die Do­ku­men­ta­ti­on einer Rei­se, ein fort­wäh­ren­der Akt der Ent­schei­dungs­fin­dung und Pro­blem­lö­sung.
Cho­reo­gra­phie be­inhal­tet Über­set­zung, Trans­for­ma­ti­on und Re­cher­che, aber vor allem das Er­zäh­len von Ge­schich­ten.
Ich sehe Cho­reo­gra­phie als eine Mög­lich­keit, die Ver­bin­dung zwi­schen der Ge­schich­ten­er­zäh­le­rin und dem Zu­hö­rer zu fei­ern – die­sen ma­gi­schen Mo­ment, wenn eine Künst­ler*in die Büh­ne be­tritt und etwas zu er­zäh­len hat und je­mand im Pu­bli­kum sitzt und zu­hö­ren möch­te.«

Alessandra Corti

»Cho­reo­gra­phie ist die Kunst der Or­ga­ni­sa­ti­on – von Si­tua­tio­nen bis hin zu emo­tio­na­len Zu­stän­den.
Sie ist ein Spiel zwi­schen Form und Auf­lö­sung.
In mei­ner Ar­beit ver­bin­de ich das Den­ken mit In­tui­ti­on – der Kopf trifft auf das Herz.«

Louis Stiens

»Cho­reo­gra­phie ist für mich der räum­li­che und kör­per­li­che Aus­druck mensch­li­cher und ge­sell­schaft­li­cher Im­pul­se.
Eine cho­reo­gra­phi­sche Ar­beit macht die Mu­sik, die Emo­tio­nen, die die Pro­ta­go­nis­t*in­nen ei­ner Ge­schich­te durch­strö­men, die Dy­na­mik ei­ner Be­we­gung und die kol­lek­ti­ve En­er­gie ei­nes En­sem­bles spür­bar.
Durch den Kör­per wird das Cha­os zu poe­ti­schem Ma­te­ri­al und die Kom­ple­xi­tät ei­ner Emo­ti­on oder ei­nes Ge­dan­kens, der ei­ner Hand­lung zu­grun­de liegt, nimmt Ge­stalt an, um un­se­re tie­fen Wün­sche und in­tims­ten Sehn­süch­te her­vor­zu­ru­fen.«

Martin Chaix

Textauszug aus dem Heft „Opernring“ Nr.45.

http://www.wienerstaatsballett.at

Lexus
OMV

Strabag


Opernring 2
»Kre­a­ti­on heißt, zu er­le­ben, wo der Tanz heu­te steht, was ge­gen­wär­ti­ge Künst­ler um­treibt.
Von den Tän­zer*in­nen er­for­dert Kre­a­ti­on den Mut, in ein Ter­rain hin­ein­zu­ge­hen, das nicht von vor­ne­her­ein de­fi­niert ist«, er­läu­tert Mar­tin Schläp­fer – und ist über­zeugt: »Kre­a­ti­on ist eine Grund­vor­aus­set­zung, dass die dar­stel­len­den Küns­te am Le­ben und re­le­vant für un­se­re Ge­sell­schaft blei­ben.«

Ins­ge­samt zehn neue Wer­ke – für die Spiel­plä­ne in der Wie­ner Staats­oper und der Volks­oper Wien, die Ju­gend­kom­pa­nie der Bal­lett­aka­de­mie sowie den Wie­ner Opern­ball – hat Mar­tin Schläp­fer in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren als Chef­cho­reo­graph des Wie­ner Staats­bal­letts ge­schaf­fen und als Gäs­te Alexei Rat­man­sky, Mar­co Goecke, An­drey Kay­da­novs­kiy, An­dre­as Hei­se und Adi Ha­nan für neue Cho­reo­gra­phien ge­win­nen kön­nen – eine Se­rie, die mit der Pre­mie­re Kre­a­tio­nen am 14. Juni in der Volks­oper Wien mit drei Urauf­füh­run­gen – dar­un­ter auch ein im Auf­trag des Wie­ner Staats­bal­lett ent­stan­de­nes mu­si­ka­li­sches Werk der schwe­di­schen Kom­po­nis­tin Lisa Streich – ih­ren Ab­schluss fin­det.

Im Tanz­po­di­um Kre­a­tio­nen – das Re­per­toire von mor­gen? dis­ku­tie­ren die drei Cho­reo­gra­ph*in­nen des Pro­gramms Mar­tin Chaix, Ales­sand­ra Cor­ti und Louis Stiens zu­sam­men mit Mar­tin Schläp­fer über die Be­deu­tung krea­ti­ver Pro­zes­se für ein En­sem­ble, die Si­che­rung einer Bal­lett­kunst für die Ge­gen­wart durch neue Wer­ke sowie ak­tu­el­le Stof­fe, Äs­the­ti­ken und Kör­per­bil­der auf der Bal­lett­büh­ne.

»Für mich ist Cho­reo­gra­phie ein kol­la­bo­ra­ti­ver Pro­zess, die Do­ku­men­ta­ti­on einer Rei­se, ein fort­wäh­ren­der Akt der Ent­schei­dungs­fin­dung und Pro­blem­lö­sung.
Cho­reo­gra­phie be­inhal­tet Über­set­zung, Trans­for­ma­ti­on und Re­cher­che, aber vor allem das Er­zäh­len von Ge­schich­ten.
Ich sehe Cho­reo­gra­phie als eine Mög­lich­keit, die Ver­bin­dung zwi­schen der Ge­schich­ten­er­zäh­le­rin und dem Zu­hö­rer zu fei­ern – die­sen ma­gi­schen Mo­ment, wenn eine Künst­ler*in die Büh­ne be­tritt und etwas zu er­zäh­len hat und je­mand im Pu­bli­kum sitzt und zu­hö­ren möch­te.«

Alessandra Corti

»Cho­reo­gra­phie ist die Kunst der Or­ga­ni­sa­ti­on – von Si­tua­tio­nen bis hin zu emo­tio­na­len Zu­stän­den.
Sie ist ein Spiel zwi­schen Form und Auf­lö­sung.
In mei­ner Ar­beit ver­bin­de ich das Den­ken mit In­tui­ti­on – der Kopf trifft auf das Herz.«

Louis Stiens

»Cho­reo­gra­phie ist für mich der räum­li­che und kör­per­li­che Aus­druck mensch­li­cher und ge­sell­schaft­li­cher Im­pul­se.
Eine cho­reo­gra­phi­sche Ar­beit macht die Mu­sik, die Emo­tio­nen, die die Pro­ta­go­nis­t*in­nen ei­ner Ge­schich­te durch­strö­men, die Dy­na­mik ei­ner Be­we­gung und die kol­lek­ti­ve En­er­gie ei­nes En­sem­bles spür­bar.
Durch den Kör­per wird das Cha­os zu poe­ti­schem Ma­te­ri­al und die Kom­ple­xi­tät ei­ner Emo­ti­on oder ei­nes Ge­dan­kens, der ei­ner Hand­lung zu­grun­de liegt, nimmt Ge­stalt an, um un­se­re tie­fen Wün­sche und in­tims­ten Sehn­süch­te her­vor­zu­ru­fen.«

Martin Chaix

Generalsponsoren der Wiener Staatsoper

Lexus
OMV

Andrè Schuen: Schubert Schwanengesang und ausgewählte benachbarte Lieder

Klavier: Daniel Heide. Gedichte von: Ludwig Rellstab, Johann Gabriel Seidl, Heinrich Heine.

Der „Schwanengesang“ ist Schuberts Spätwerk, kompositiorisch und inhaltlich weit über die Zeit hinausweisend. Andrè Schuen widmet sich diesen nicht immer leicht vorzutragenden Liedern mit existentieller Intensität. Es geht um Abschied von der Liebsten, um Abschied vom Leben im Gesicherten. Ein Heimatloser, durch die Welt Wandernder ohne Rast sucht Halt und Antwort.

Andrè Schuen ist ein Sänger der Tiefe, der Tiefe des Liedes, der Tiefe der Seele und der Tiefe der Freude, der Tiefe der Liebe und des Abschieds. Der Tiefe des Alleinseins, des Verlorenseins. Sein warmer Bariton, der ohne Mühe in den Bass reicht, ist für den „Schwanengesang“ genau die richtige Stimmlage.

Als eine meisterlich Miniatur gestaltet Schuen frei von jedem Kitsch das Ständchen “ Leise flehen meine Lieder“. Schlicht und leise der Beginn, nach einer kurzen Steigerung wieder sehr leise „Hörst du die Nachtigallen schlagen?“, um das Ende im vollen Liebesrausch herauszusingen: „Komm, beglücke mich!“ Er meidet den sich anbiedernden Schmelz vieler Interpreten und gestaltet so allzu oft schon Gehörtes völlig neu.

Mit großer Dramatik, ohne Angst vor Pathos, interpretiert er „Aufenthalt“ und „In der Ferne“ – manchmal drohend ruhig, dann wieder volles Drama. Jedes Lied zu einem existentiellen Frage des Lebens zu gestalten, ist Andrè Schuens Anliegen. Ernsthaftigkeit und Verantwortung vor dem Komponisten und seinem Werk tragen ihn durch den Abend. Ganz besonders in die Tiefe des Leides, des Schmerzes führt das Lied „Der Atlas“. Von einem, der Glück und Elend des Lebens tragen, spüren, erleiden wollte, singt Schuen, mit der Stimme voller Bassdramatik. Im Schauen, im Besinnen ein Bild zu schaffen gelingt ihm in dem Lied „Ihr Bild“ . Mit leiser, in sich versunkener Stimme gestaltet Schuen, wie das Bild der Geliebten als gewünschte, ersehnte Fata Morgana aufsteigt. Schwebend, wie eine inneres Bild der Erinnerung beginnt „Am Meer“, um in einer bis zur Unerträgichkeit gesteigerten Dramatik zu enden.

Daniel Heise ist der congeniale Begleiter am Klavier, spielt in spürbarer Einigkeit mit dem Sänger, als atmete er mit ihm.

Grpße Begeisterung im Publikum. Drei Zugaben: Der Musensohn, Füllest wieder Busch und Tal, Der Schiffer.

http://www.konzerthaus.at

Joachim B. Schmidt: Ósmann. Diogenes Verlag

Ein kostbares Buch in einer kostbar poetischen Sprache. Ein Chronist dokumentiert die wahre Geschichte des Fährmanns Jón Ósmann, basierend auf der Erzählung des Urenkels des Fährmanns und der Biografie von Kristmunden Bjarnason.

Jón Ósmann, 1862 auf einem Bauernhof in Nordisland geboren, übernimmt schon in jungen Jahren das gefährliche Geschäft des Fährmanns. „Ósmann stand nackt vor seiner Hütte an der Flussmündung des West-Ós, so wird die Flussmündung genannt. Er wünschte seinen Nachbarn einen guten Morgen, dem nebelverhangenen Bergmassiv Tindastóll, der sagnumwobenen Insel Drangey….Er grüßte die Eiderenten auf der Westbank. (S13)“ Nach dem morgendlichen Gruß- und Hustritual nimmt er das tägliche Bad in den eiskalten Fluten des Wassers. Ósmann ist groß, bärenstark, ein begnadeter Säufer vor dem Herrn und ein wunderbarer Poet. Und bei den wenigen, noch verbliebenen Bewohner der fast menschenleeren Gegend sehr angesehen und beliebt. Für jede Karten- und Trinkrunde zu haben, immer bereit, die Menschen aus den gefährlichen Fluten zu retten, oft unter Einsatz seines Lebens. Er wird heiraten, die erste Frau stirbt bei der Geburt des Kindes. Was ihn fast an den Rand des Lebens bringt. Er wird wieder eine Liebe finden, Kinder bekommen. Oft zieht er sich in seine Hütte, weitab vom Dorf, zurück, sinniert und schreibt Gedichte. Poesie ist sein Anker im Leben. Als er aber zusehen muss, wie sein Freund in den Fluten ertrintkt, und er sich die Schuld an diesem Tod gibt, wo keine Schuld ist, bekommt sein Leben Risse. Seine Kräfte schwinden und er beschließt, sein Leben im Fluss zu beenden.

Der Leser taucht in eine raue, versunkene Welt Islands ein, in der der Glaube an Feen und Geister tief verankert ist. Die Menschen in diesem vom Fortschritt vergessenen Teil Islands haben die Wahl, entweder nach Amerika auszuwandern oder zu bleiben und sich mit Körper und Seele dieser allgewaltigen Natur zu verschreiben.

http://www.diogenes.ch

Grafenegg und Festspielhaus St. Pölten: Mozart und Mahler. Yukata Sado dirigiert das Tonkünstler Orchester

Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester in A-Dur, KV 488. Pianist: Kyohei Sorita

Mozart verließ 1781 die ungeliebte Stadt Salzburg und ging nach Wien, wo er 15 Konzerte für Klavier komponierte, die zur Hauptattraktion der Wiener Musikszene wurden. Grund für diesen Erfolg mag wohl in der scheinbaren Leichtigkeit und Heiterkeit liegen, die all diese Konzerte verströmen. So auch dieses Klavierkonzert. Es gilt als das anspruchsvollste unter den 15. Der japanische Pianist Sorita hat trotz seiner Jugend eine beachtenswerte Karriere hingelegt. Er ist Gründer, Produzent und Dirigent des „Japanese National Orchestra“. Mozarts Klavierkonzert klang unter seinem sehr männlich wirkenden Anschlag frisch-fröhlich mit Ausnahme des Adagios, dessen Schwermut er durch Pausen und Verlangsamung gekonnt akzentuierte. Yukata Sado unterlegte sein Spiel mit einen sanften, unaufdringlichen Tonteppich.

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 5

Mit ausladender Geste des Dirigenten und dem berühmten Trompetensolo reißt Sado sofort die volle Aufmerksamkeit des Publikums an sich. Obwohl der erste Satz der Symphonie ein langer Militärtrauermarsch ist, wie Mahler ihn als Kind in der benachbarten Kaserne oft gehört hat, ist dieser Beginn alles andere als traurig. Mag es Tod und Trauer im Leben geben – im Augenblick des Komponierens (1901) ist Mahler glücklich, weil verliebt in seine Alma. Dass der Rauschzustand nicht wird halten können, weiß man. Aber in diesem Sommer 1901 scheint Mahler auf die Zukunft zu pfeifen, er lebt im Hier und Jetzt der Liebe zu Alma. Deshalb komponiert er, was ihm einfällt, tausend Themen mischen sich zu einem spannenden Chaos. Nur ein in Mahlerkompositionen erfahrener Dirigent wie Yukata Sado kann diese Themenfülle präzise herausarbeiten, sie miteinander verbinden. Und so erlebt das Publikum mit Sado, mit Mahler, wie sich Liebesrausch anfühlt – manchmal aufwühlend, besonders im Scherzo, dann wieder sanft, romantisch, träumerisch im Adagietto. Am Schluss aber über alle Skeptiker der Welt triumphierend!

Für den vor Glück strahlenden Dirigenten und die ebenso strahlenden Musiker gab es standing ovations, Bravorufe. Für Yukata Sado eine Rose.

http://www.grafenegg.com und http://www.festspielhaus.at

Neil Simons: Sonny Boys. Theater in der Josefstadt

Klopf, klopf, klopf -hereinspaziert. Nur ein begnadeter Komödienschreiber wie Neil Simons kann aus diesen dämlichen Wörtern eine sprühende Komödie entwickeln. Und nur begandete Komödianten können diese Komödie so spielen, dass die Wortgefechte richtig sprühen und funkeln.

Der Regisseur Stephan Müller weiß, dass er zwei Vollprofis wie Robert Meyer und Herbert Föttinger nicht dreinreden darf. Die beiden wissen Pointen zu setzen und die Aufmerksamkeit des Publikums zu halten. In einem mit Krempel aus den 50er Jahren angefüllten Zimmer (Bühne:: Sophie Lux) traktiert Willie Clark (Robert Meyer) in einer gekonnten Mischung aus Raimunds Menschenfeind und abgetakeltem Schauspieler seinen kreuzbraven Neffen und zugleich auch Agent (Dominic Oley), der für ihn sorgt und sich seine endlos keifenden Lamenti geduldig anhört. Er erreicht, dass Willie nach langem Murren einwilligt, mit seinem langjährigen und herzhaft verhassten Partner Al Lewis (elegant-zurückhaltend: Herbert Föttinger) den vor 50 Jahren erfolgreich gespielten „Doktorwitz“ fürs Fernsehen nochmals zu spielen. Statt des Doktorwitzes, der überhaupt nicht witzig ist, erleidet Willie einen Herzinfarkt und wird zu strenger Bettruhe verdonnert, versorgt vo einer jungen Krankenschwester (Larissa Fuchs mit witzigem Akzent). Ihn erwartet das Altersheim für ausrangierte Schauspieler. Auch Al Lewis wird dort einziehen. Irgendwie versöhnt singen beide Sinatras Erfolgsschlager: „I did it my way“ – Vorhang fällt und das Publikum bricht in Bravorufe und heftigen Applaus aus.

Wahrscheinlich bedauern alle im Publikum, dass mit Herbert Föttinger interessante und spannende Theaterjahre zu Ende gehen. Er hat ein exzellentes Ensemble zusammengestellt, das wirklich alle Rollen ausfüllen konnte. Und auch dafür dankte ihm das Publikum!

http://www.josefstadt.org

Schuberttheater: Die Welt ist ein Würstelstand

Ein MUSS für Puppenspielliebhaber, oder eigentlich für alle, die witziges, pointiertes, schräges, launiges, Lachen machendes Theater lieben!!

Idee und Spiel: Manuela Linshalm, Buch: Manuela Linshalm, Stephan Lack, Regie: Christine Wipplinger, Musik: Heidelinde Gratzl, Puppen: Nikolaus Habjan, Manuela Linshalm, Marianne Meinl, Lisa Zingerle. Bühne: Denise Heschl, Licht: Simon Meusburger.

Man muss sie einfach bewundern: Manula Linshalm bespielt solo (sollte das nicht genderkorrekt „sola“ heißen? – na ich habs nicht so mit dem Gendern) alle Puppen, oft zwei gleichzeitig. Sie schlüpft nicht nur mit den Händen in die Puppen, sondern auch mit ihrer Seele. Das merkt man, wenn man einmal von der Puppe wegguckt und sich auf ihre Mimik konzentriert. Sie ist nicht nur Stimme, sondern sie leidet, freut oder ärgert sich mimisch mit der Puppe mit.

Manuela Linshalm begann gemeinsam mit Nikolaus Habjan im Schuberttheater – ich erinnere mich an großartige Aufführungen, wie zum Beispiel „Was geschah mit Baby Jane?“, wo sie unter der Regie von Nikolaus Habjan schon damals alle Puppen bespielte. Viele gemeinsame Auftritte mit Nikolaus Habjan folgten. Nun steht sie also wieder als Hauptakteurin hinter den Puppen – grandios!

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist 2019-11-19-wuerstelstand_BP-383-Kopie-667x1000-1.jpg
Resi und der traurige Witwer

©Schuberttheater/Barbara Pallfy

Die Geschichte der Resi Resch, die seit Jahrzehnten den Würstelstand führt, ist rührend, jedoch ohne das Geringste Fuzerl Kitsch. Tapfer und lebensoptimistisch steht sie Tag für Tag hinter der Budel, winkt ihren alten Kunden zu, fragt nach dem werten Befinden der Mutter, Tante, Oma, des Ehemanns. Sie kennt sie alle beim Namen, weiß über Blutdruck bis Masern Bescheid. . Doch keiner kauft ihre Würsteln. Der eine hat Diabetes, der andere ist Vegetarier geworden – da kann sich Resi über die Vegetarier und Veganer alterieren -. Der einzig treue Kunde ist ein depressiver Witwer. Er kommt täglich, um sich auszujammern. Köstlich sind die Dialoge zwischen den beiden – er trauert seit Jahren seiner Verstorbenen nach, und Resi gibt ihm Ezzes, wie er neue Frauen kennenlernen könnte. Sie steht mitten im Leben, das zwar nicht rosig ist, aber sie lässt sich nicht unterkriegen. Ärgert sie sich – und das passiert sehr oft – dann lässt sie perfekte wienerische Schimpfkanonaden los. Ihr besonderer Schützling ist ein Obdachloser. Er darf neben ihrer Hütte seinen Rausch ausschlafen.

In der Nacht ist ihr Stand geschlossen. Da schlüpft aus dem Abfallkübel die glückliche Ratte. Glücklich, weil der Philosoph Schopenhauer ihr persönlichen Ratgeber ist. Genüsslich verspeist sie die Reste, die sie im Umkreis des Standes findet, begleitet von der zarten Melodie eines Xylophons. Heidelinde Gratzl hüllt das Spiel der Puppen durch ihre Musik in eine fast irreale- mystische Atmosphäre. Wenn sie den Betrunkenen mit leisen Akkordeontönen in den Schlaf begleitet oder die exaltierte amerikanische Touristin mit einem wilden Walzer berauscht, dann wird das Theater zur Traumsequenz, in der Vergänglichkeit und Gegenwart verschmelzen.

Jede einzelne Szene ist eine Köstlichkeit per se. Man lacht, trauert, schluchzt und leidet mit den Puppen und muss sich dafür kein Bißchen schämen!

http://www.schuberttheater,at

PS: Diese Zeilen habe ich Ende Jänner 2023 verfasst – und sie gelten auch für die Aufführung am 30. April, als ich das Stück zum 2. Mal sah.

John Steinbeck: Von Mäusen und Menschen. Kammerspiele der Josefstadt

Deutsch von Katrin Janecke und Günter Blöcker. Bearbeitung von Torsten Fischer.

Regie: Torsten Fischer,Bühnenbild und Kostüme: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos

Was macht einen gelungenen Theaterabend aus? Unverzichtbar: Ein guter Text – John Steinbeck ist dafür der Garant. Gute Übersetzung und Bearbeitung sind unverzichtbar Torsten Fischer und Herbert Schäfer seien bedankt.. Ein Regisseur, der seine persönlichen Eitel- und Befindlichkeiten hintan stellt und den Text mit Respekt behandelt -Torsten Fischer ist dafür Garant. Wenn Bühnenbild und Kostüme zum Inhalt passen, ist schon viel gewonnen. Aber noch fehlt das Wesentliche: Das Ensemble! Das Josefstadtensemble ist perfekt aufgestellt – es gibt keine Rolle, die nicht ideal besetzt wurde! -SO GESCHEHEN IN „MÄUSEN UND MENSCHEN“

Der Roman spielt in den 1930er Jahren zur Zeit der großen Wirtschaftskrise. Arbeitslose ziehen über die Landstraßen auf der Suche nach Arbeit. So auch Georgie und Lennie. Sie sind ein ungleiches Paar, das einander braucht: George braucht Lennie, weil er die Einsamkeit fürchtet. Lennie braucht George, weil er geistig behindert ist. Er liebt Mäuse, die er streichelt, bis sie unter seinen Zärtlichkeiten sterben. Ihn vor Spott der anderen und vor seinen unkontrollierbaren Gefühlen zu bewahren, hat sich Lennie zur Lebensaufgabe gemacht. Doch die Katastrophe ist unausweichlich:…

Claudius von Stolzmann ist ein fürsorglicher Kumpel, der auch manchmal streng und barsch mit Lennie umgeht. Trotz aller Schwierigkeiten hält er fest zu ihm. Zu dem großen, schweren und unbeholfenem Lennie, der den Bosheiten des Lebens ohne Lennie ungeschützt ausgesetzt wäre. Robert Joseph Bartl spielt, nein ist dieser Lennie in Figur, Bewegungen und Mimik. Intensiv sind die Szenen, in denen er träumt, mit Lennie in einem eigenen Haus zu leben, Kaninchen und Hühner zu versorgen. Seine unverstellte Kindlichkeit wird auch sein Unglück sein. Die beiden finden Arbeit auf einer Farm. Dort herrschen streng geregelte Arbeitszeiten, kaum Lohn oder Freizeit. Einzig Curley, der Sohn des Bosses, erlaubt sich alle Freiheiten und führt sich als eitler Machogeck auf (Luka Vlatkovic). Seine hübsche Frau (Paula Nocker subtil zwischen naiver Verführerin und Rebellin) kokettiert mit allen Männern, auch mit Lennie. Als der ihr Haar allzuheftig streichelt, wehrt sie sich laut schreiend, worauf er sie aus Angst erwürgt. Eine starke Szene, die unter die Haut geht. George weiß, dass alle nun auf Lennie Jagd machen werden und sie keine Sekunde mehr auf der Farm bleiben können. Tröstend erzählt er dem verzweifelt heulenden Lennie den Traum vom Haus und erschießt ihn. um ihm Verfolgung und Leid zu ersparen. Eine Szene, die in die Annalen der Josefstädter Theratergeschichte eingehen wird. Ebenso wie die Darstellung des alten Knechtes Candy, genial gespielt von Johannes Kriesch. Er fristet auf der Farm ein Gnadenbrot. Sein einziger Trost ist sein alter, sterbenskranker Hund. Ihm den Gandenschuss zu geben, hat er nicht die Kraft. Bis es ein anderer tut. Da steht der alte Curley, schweigt minutenlang, nur in den Augen sieht man den Schmerz, der in seinem Inneren tobt. John Steinbeck war ein Meister solcher dramatisch eingängigen Szenen. Und das Ensemble schwang sich auf diese subtile Tragik ein und schuf Szenen von außerordenlicher Eindringlichkeit.

Begeisterter Applaus und viele Bravorufe belohnten die Darsteller

http://www.josefstadt.org

B

Tom Stoppard: Separatfrieden. Theater Nestroyhof/Hamakom

Eine Privatklinik im Charme der 60er Jahre: weiße Vorhänge, grüne Wände. Halbdrei Uhr Nachts. John Brown verlangt ein Zimmer. Es sei ein Notfall. Ihm fehle nichts, er möchte nur gepflegt werden, regelmäßig sein Essen bekommen – im Bett – und sonst nichts weiter. Sebastian Pass verpasst John Brown das richtige Durchschnittssmenschauftreten: Beiger Anzug, wahrscheinlich billiger Kunststoff, leise Bescheidenheit. Er ist „jeder“, der von „draußen“ nichts mehr hören und wissen will. Typischer Fall von Burnout, würde man heute sagen. Zur Zeit, als Stoppard diese Komödie (?) schrieb (Vietnamkrieg), wohl ein Fall von Kriegs- und Weltekel. Dem Personal passt dieser Brown nicht ins Schema. Krank ist er nicht, aber irgendetwas muss er doch TUN! Man verordnet ihm diverse Therapien, wie Korbflechten, was er dann auch pflichtschuldigst erledigt. Minutenlang darf das Publikum seinen wort- und geräuschlosen Versuchen. einen Korb zu flechten zusehen. Komödie oder Tragödie? Wohl am ehesten Tragik-Komödie. Allerdings gibt die Regisseurin Ingrid Lang der Komödie keine Chance. Sie inszeniert das Ganze als absurdes Theater. Das Krankenhauspersonal redet und bewegt sich in seinen militärisch anmutenden Kostümen (Mira König) wie KI-Roboter oder Patienten aus der Psychiatrie. Dadurch verlieren die komischen Momente jede Kraft und übrig bleibt ein todernstes Stück über einen kriegsmüden Heimkehrer, der von der Welt nichts wissen will. Doch die ERinnerungsbilder holen John Brown ein. Während er in einen aus Ästen geflochtenen Riesenkorb, der als Laterna magica fungiert, stiert, kriecht aus den Wandklappen das als Soldaten mit Grünzeug getarnte Personal auf die Bühne und wälzt sich auf dem Boden, schlägt aufeinander ein. Das alles zum Lied eines Affen (so laut Programm), der aber ein Reisenbär mit Fell und Tatzen ist. Die als Affenbär getarnte Regisseurin Ingrid Lang singt dazu das Lied von Pink Floyd, Us and Them – ein Song über beinharte Überlebensstrategien im Krieg. John Brown verlässt das Spital, als ihm das Personal als große Überraschung ankündigt, dass ihn Familienmitglieder und Freunde besuchen werden.

Anerkennender Applaus!

http://www.hamakom.at

Osterfestspiele Salzburg 2025: Gustav Mahler, 2. Symphonie „Auferstehungssymphonie“.

Esa-Pekka-Salonen dirigiert das Finnish Radio Symphony Orchestra und Chor des Bayrischen Rundfunks. Sopran Julie Roset, Alt Jasmin White

Ein Abend, der ganz und gar dem Motto der diesjährigen Osterfestspiele entsprach: „Wunden und Wunder“. Gustav Mahler komponierte in der 2. Symphonie die Qualen, Wunden und Krisen (damals wie heute), um am Ende Erlösung als Wunder anzubieten. Das „triviale Wunder“, wenn man es salopp ausdrückt, sprich das aktuelle Wunder, war jedenfalls Esa-Pekka – Salonen, der mit dem fast „wundervollen“ Gespür für Rhythmus, Zeit und Stille das Finnish Radio Symphony Orchestra zu Höchstleistungen antrieb.

Auf den zart-zärtlichen Beginn durch Violinen und Bratschen de 1. Satzes folgen Ausbrüche von Celli und Contrabässen – ein für Mahler typischer Temperamentwechsel. Doch der Dirigent ist nicht auf billige Wirkung aus – er hält den Ausbruch im Zaum. Wie auch in der Folge. Denn billiger Lärm ist nicht sein Stil. Zum Ende des Satzes erklingt ein gemäßigter Höllenlärm nach Motiven des „dies irae“. Esa – Pekka – Salonen respektiert den Wunsch Mahlers, nach diesem spektakulären Schluss eine längere Pause zu lassen, um den Übergang zum Andante des 2. Satzes erträglich zu machen und setzt sich für einige Minuten abwartend in das Orchester. Das Publikum respektiert die Stille. Das Andante des 2. Satzes ist dieser Stille verschrieben, und der Dirigent lässt das Orchester im Rhythmus von langen Atemzügen spielen. Wenn Mahler den 3. Satz als wirr beschrieb, so klingt das bei Esa-Pekka-Salonen eher als geordnetes Chaos, immer durch exakte Pausen konturiert. Daher ist auch das liebliche Ende kein krasser Gegensatz, sondern Ergebnis von Feinarbeit, Zum ersten Mal setzt ein Komponist in einer Symphonie Gesang ein – die weiche und dunkle Altstimme von Jasmin White singt das „Urlicht“, das mit den tröstenden Worten endet: „Der liebe Gott wird mir ein Lichtlein geben,/ wird leuchten mir bis in das ewig selig` Leben“. Im 5. Satz verlangt Mahler von Orchester, Chor und Dirigenten höchste Konzentration, besonders im Zusammenspiel von Flöte und Fernorchester für die „Nachtigallenrufe“. Was feinsilbrig und sinnbezaubernd gelang. Die Symphonie endet, wie der Titel verspricht: Chor, Sopran und Alt verkünden die Auferstehung. Leider war der Sopran von Julie Roset nicht ganz überzeugend und der Chor des Bayrischen Rundfunks sang ohne Wortdeutlichkeit, legte mehr oder weniger nur einen einheitlichen Tonteppich auf (wie auch zuvor im Chorkonzert „Elias“ von Modest Mussorgski). Das Publikum dankte allen, besonders dem Dirigenten und Orchester mit begeistertem Applaus.

https://osterfestspiele.at

Grieg, Tschaikowsi. Schostakowitsch. Mahler Chamber Orchestra, Dirigent: Gianandra Noseda

Edvard Grieg: Peer Gynt Suite Nr.1

Gianandrea Noseda führt die jungen Musiker und Musikerinnen des „Chamber Orchestra“ mit Feingefühl und scheut sich auch nicht vor der brühmt-berüchtigten Romantik, wie sie in der „Morgendämmerung“ am Beginn aufzieht. In „Ases Tod“ wagt er alles an Gefühl. Es ist ein leiser Tod, dafür um so schmerzlicher. Kein Aufbegehren. So innig und hingebungsvoll dirigiert hörte man es selten. „In der Wüste“ lässt er die Affen tanzen, bevor Anitras Lockruf Peer Gynt betört. Aufgewacht in der „Halle des Bergkönigs“ hört man leie Hämmern, das immer lauter und heftiger wird bis zum eindrucksvollen Schluss.

Peter Tschaikowski: Violinkonzert in D-Dur op.35

Augustin Hadelich ; Suxiao Ynag

Die große Überraschung: Der junge Geiger Augustin Hadelich. Er spielte auf einer Violine von Giuseppe Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1744, einer Leihgabe des Tarisio Trust. Man meinte, dieses berühmte Konzert noch nie so innig und intensiv erlebt zu haben. Weich, geschmeidig lässt Hadelich alle Schmerzen und Freuden („..ich bin so verliebt, wie ich schon lange nicht wahr“ gesteht der Komponist seinem Bruder) der Liebe, auch die Angst vor Entdeckung erleben. Noseda legt mit dem Orchester weiche Übergänge, begleitet die Violine diskret. Hadelich „spielt“ Tschaikowskis Liebesleid, zuerst sanft, nimmt mit der Zeit immer mehr Tempo auf bis zum Schrei der Angst. Dass sein Spiel perfekt, virtuos ist, braucht keiner extra Betonung. Das fulminante Ende des 1. Satzes reißt die Zuhörer von den Sitzen und zu frenetischem Zwischenapplaus – was man sonst nie erlebt, weil verpönt! Nach dem ruhigen 2. Satz folgt der kräftige 3. Satz, der mit dem rasanten Allegro vivacissimo die Stärke und das Vertrauen an das Leben des Komponisten vermittelt. Frenetischer Applaus und standing ovation für Augustin Hadelich im Besonderen, aber auch für Noseda und das Orchester. Als Dank für diese Begeisterung spielt Hadelich noch Variationen eines argentinischen Tangos.

Dmitri Schostakowitsch: 9. Symphonie in Es-Dur op.70

Ein starkes Kontrastprogramm! Schostakowitsch feiert nicht die Befreiung der Stadt Leningrad, sondern klagt den Krieg als solchen, dahinter natürlich Stalin und seine Politik des Grauens an. Eine Todessymphonie, maskiert als absurdes Maskenspiel. Der erste Satz beginnt mit Marschmusik als Spott über Krieg und Kriegsrhetorik. Das „Moderato“ klingt geheimnisvoll bedrohlich, auch wenn dazwischen fröhliche Zwischentöne von Flöte und Oboe zu hören sind. Nach dem starken „Presto“ und einem intensivem „Largo“ mit wunderbarem Posauneneinsatz jagt der Komponist die Musiker in die Schrecken des Krieges im unerbittlichen „Allegretto“.

Frenetischer Applaus und standing ovation für Gianandrea Noseda und das ganze Orchester. Das Publikum dankte für eine Sternstunde im Musikgeschehen!

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Osterfestspiele Salzburg 2025: „Requiem(s)“, Choreographie: Angelin Preljocaj

Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Preljocaj. Licht: Eric Soyer, Video: Nicolas Clauss, Kostüme: Eleonora Peronetti.

Endlich wieder Ballettaufführungen bei den Salzburger Festspielen. Diesmal zeigt einer der wichtigsten Choreographen der Gegenwart einen Tanz der Trauerbewältigung und der Lebensfreude. Lange Zeit sah man von Angelin Preljocaj kein Ballett mehr. „2023 verlor ich meine Eltern und viele geliebte Menschen. Es war also der Moment, sich körperlich mit der Frage der Trauer auseinanderzusetzen….Paradoerweise ist dieses choreographische Requiem eine Art, das Leben zu feiern geworden“, spricht Angelin Preljocaj über sein Werk -zitiert aus dem Programmheft S 7.

Gemeinsam mit dem einfallsreichen Videokünstler Nicolas Clauss, dem Lichtdesigner Eric Soyer und der Tanzcompagnie schuf Angelin Preljocay einen eindrucksvollen Ballettabend um die Themen Tod, Trauer und Leben. Zu Beginn lässt er die Compagnie eine Hommage an seinen Lehrer und Mentor Merce Cunningham, der 2009 im hohen Alter starb, tanzen. Deutlich zitiert er die Grundchoreographie des Meisters: Jede Bewegung wird aus der Taille und der Hüfte heraus entwickelt. Während des Abends werden immer wieder diese Grundbewegungen aufblitzen. Die Videos von Nicolas Clauss entwickeln Assoziationen, wie Menschen mit Tod und Trauer umgehen – so gibt es etwa ein heiteres Wiedersehen mit den Ahnen, wie es die Torajas auf der Insel Sulawesi noch heute jedes Jahr begehen. Auf dem Video ist ein Skelett oder Totenkopf zu erkennen, davor feiern die Tänzer mit ihren Ahnen, nähren und kleiden sie. Anders die Trauer um die Natur: Vor einem entblätterten und dürren Wald, der von einer Tsunamiwelle verschluckt wird, rasen die Tänzer im ungeordneten Chaos über die Bühne, um ihre Verzweiflung auszudrücken. Gegen Ende der Performance bilden weißgekleidete Englesfiguren rund um einen toten Körper eine Pietà. Zum Schluss erscheinen zwei hohe, rotgekleidete Tänzer oder Tänzerinnen (?), um einen feierlichen Abschluss der Trauerzeit zu verkünden. Als Musik wählte Prelcokaj quer durch die Zeiten von Bach über Mozart, Ligeti bis zu Havy Metal – letztere Muik setzte er besonders stark und häufg ein, um einerseits die Tänzer in überschäumender Lebensfreude über die Bühne laufen und springen zu lassen, oder um heftige Trauer, die den Menschen zu Boden schlägt, zu vermitteln. Man bewunderte die tänzerische Leistung der Compagnie, aber die große Begeisterung, wie etwa sein berühmtes Handlungsballett „Schneewittchen“ hervorrief, spürte man nicht, weil auch manche Videos mit der dazugehörigen Choreographie unlösbare Rätsel aufgaben, wie etwa die weißen (Heiligen)figuren, die am Ende wie Putzlappen in einem Baugerüst hängen.

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Ayad Akhtar: Der Fall McNeal. BURG(theater)

Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath. Live Kamera: Andreas Deinert, Amdrea Gabriel, Mariano Margarit. Video: Andreas Deinert

Was tun, wenn ein renommierter und erfolgreicher Autor unerwartet mit einem nichtssagenden Allerweltsstück anrückt? Video ist immer hilfreich, Live Kamera macht Stimmung und dazu Joachim Meyerhoff, der Publikumsliebling der Wiener – das muss doch funktionieren, dachte Jan Bosse. Tat es aber nicht. Man gewinnt den Eindruck, Ayad Akhtar hat mit einem riesigen Kehrbesen alle aktuellen, medienwirksamen und abgetroschenen Themen zusammengekehrt und daraus ein Stück gebastelt. Das hätte auch KI gekonnt – vielleicht hat er sie eingesetzt und sich nicht dazu bekannt wie die Hauptfigur Jakob McNael. Wäre ein ganz besonderer Paukenschlag.

Langsam tröpfelt das Publikum ein, sucht den Sitzplatz. Kann sich dabei auf einer riesigen Viedeowall selbst beobachten, vielleicht sich oder Bekannten zuwinken. Das hebt schon mal die Stimmung. Dann Auftritt von Meyerhoff – endlich nach 5 Jahren Abwesenheit! Und wen muss er mimen – einen schwerkranken Säufer, dem ein baldiger Herztod oder ein nicht wieder gut zu machender Leberschaden droht. Eine Ärztin (Zeynep Buryac) teilt ihm das mit, cool, nicht immer gut verstehbar, Bauch und Rippen abklopfend. Irgendwie beklemmend. Doch er, Jakob McNeal, der bekannte Schriftsteller, nimmt die bedrohliche Diagnose gelassen. Sympathisch, leicht in der Literatur hin- und her springend diskutiert er mit seiner Agentin (Dorothea Hartinger), die dem Schema optisch und auch sonst dem Bild einer gewieften Erfolgslady entspricht. Mitten in der Diskussion erfährt der selbstsichere McNeal, dass er den Nobelpreis für Literatur gewonnen hat. Schnitt – er hält vor der auf der Videowall versammelten schwedischen Königsfamilie eine Brandrede gegen die Verwendung der KI in der Literatur. „Drei Romane aus der Bestsellerliste stammen von der KI“, schmettert er empört in das Publikum. Großartig. Beifall von allen Seiten. Dann sein Hamletmonolog – er schildert, wie er den Totenkopf seiner verstorbenen Frau aus dem Grab geholt hat. Gehts noch? Wo sind für Ayad Akhtar die Grenzen des guten Geschmacks? – Tut nicht viel zur Sache, Meyerhoff umschifft diese Geschmacklosigekeit mit der nötigen unterschwelligen Ironie. Wie er von nun an die ganze übrige Zeit den Charakter des allgemein als großen Blender, Schuft und Ekel geschilderten McNeal durchaus doppelbödig anlegt – nach dem Motto: keiner ist nur ganz böse, das kann auch nur er so wirklich hinterlistig gut. So auch in der Auseinandersetzung mit seinem Sohn (von Felix Kammerer ziemlich farblos gespielt). Der wirft ihm vor, die Mutter in den Selbstmord getrieben und ihr Manuskript als Grundlage für sein eben erschienenes Buch ausgeschlachtet zu haben. Die Vorwürfe kann ein McNeal gekonnt parieren – noch immer ist Meyerhoff/McNeal kein Schuft, Ausbeuter und schon gar nicht ein Mörder. Die große Beichte wird er erst während des Interviews mit der Reporterin der New York Times (Safira Robens) ablegen. Natürlich muss die Reporterin eine Farbige sein, und natürlich tappt der große. weiße Mann in alle diesbezüglichen Fettnäpfchen. Und frisch fröhlich, vom Whiskyrausch angefeuert, gesteht er seine Sympathie für Weinstein und Co. Ganz nebenbei lässt er eine weitere Klischeebombe platzen: Den letzten Roman habe er die KI schreiben lassen. Aber all das bleibt leere Luft, Klischee, auch der Vorwurf seiner Exfreundin, einer ehemaligen Redakteurin der New York Times, er habe ihr Gewalt angetan, gleitet ab in die Klischeefalle. Viel Lärm um altbekannte, viel zu oft in allen Sparten der Kunst und Medien abgehandelte Themen! Was weiter mit McNeal geschieht? Er schaut sich selbst beim Sterben zu, wie er im Schnee liegt und sich nicht mehr rührt. War Meyerhoff wie erwartet großartig? – Nein, denn diese Rolle erlaubte ihm maximal ironische Doppelbödigkeit.

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Wiener Staatsballett: „pathétique“.

(Foto: pathétique, GCusin, MKimoto, AVandervelde. ©Wiener Staatsballett/Aschley Taylor)

Drei unterschiedliche Choreographien an einem Abend

Mozart: „divertimento Nr.15- Choreographie: Balanchine.

Feldman: „summerspace“ -Choreographie: Cunningham.

Tschaikowski: pathétique- Choreographie: Schläpfer.

George Balanchine: divertimento nr.15 (Mozart). Dirigent: Christoph Altstaedt

©Aschley Taylor. Ensemble

George Balanchine (1904-1983) war ein großer Verehrer Mozarts. Trotzdem blieb es nur bei dieser einen Choreographie. Unter der feinfühligen musikalischen Leitung von Christoph Altstaedt zaubern fünf Solistinnen, drei Solisten und acht Tänzerinnen ein heiteres Fest des Tanzes. In ihren an Meissner Porzellanpupppen erinnernden Kostümen (Karinska) meint man, die Figuren seien aus einem „tableau vivant“ entstiegen, Die Choreographie basiert zwar auf dem klassischen Ballet, ist jedoch bar jeder rigorosen Strenge. Alles wirkt aufgelockert, duftig und leicht. Das ganze Ensemble hat sichtlich Freude an diesem Frühlingsgruß – das Publikum ebenfalls, was der lange Applaus bewies.

Merce Cunningham (1919 -2009): „summerspace“. Musik Ixion für zwei Klaviere von Morton Feldman. Am Klavier: Johannes Pirto und Milica Zakic

summerspace/Rebecca Horner. © Aschley Taylor

Der Kontrast, für manche Zuseher vielleicht auch der Schock, zum vorigen Stück war groß. Vor einer Wand mit verschwommenen Sommerfarben tanzt ein großartiges Ensemble in farblich mit dem Hintergrund abgestimmten Trikots. Bühne, Kostüm und Licht entwarf der amerikansiche Pop-Artkünstler und Superstar in der New Yorker Kunstszene Robert Rauschenberg. Nach der Musik von Morton Feldman, die an eine tröpfelnde Dusche erinnert, tanzt ein engagiertes Ensemble, eher gleichen die Bewegungen Übungen nach geheimen geometrischen Mustern. Die Freude, Rebecca Horner wieder tanzen zu sehen, war allseits groß. Mit ihrer katzenartigen Geschmeidigkeit formte sie die nüchtern wirkende Choreographie zu interessanten Körperminiaturen.

Martin Schläpfer: „pathéthique“ – Uraufführung. Symphonie Nr. 6 von Tschaikowski. Dirigent: Christoph Altstädt.

© Aschley Taylor / RArts, JGonzales Vabrera, C.Schoch, MMenha

Martin Schläpfer verlässt nach fünfjähriger Tätigkeit als Ballettdirektor Wien und zieht sich in die Einsamkeit der Schweizer Berge zurück. Dieser Abend mit der Choreographie der Pathéthique sollte das Abschiedsgeschenk an sein Publikum sein. Schwere Kost, düster verpackt. Vor einem grauschwarz gestreiftem Hintergrund, dessen Muster sich am Boden fortsetzt (Bühne: Thomas Mika) entwickelt sich nur schemenhaft eine Grundidee. Wenn etwa Frauen in geballter Formation gegen die Geschlossenheit der Männer vorgehen, sie zu verführen trachten, scheitern, wenn Männer in diversen pas de deux diskret sich zu ihrer Zuneigung bekennen. Das alles bleiben Vermutungen, Rätsel, die spannend anzusehen sind, aber nicht aufgehen. Vielmehr bietet Schläpfer einen dichten Katalog an schwierigen Einzelchoreographien, Soli, pas de deux und pas de trois, gespickt mit Ideen, die schwer oder gar nicht einzuordnen sind, etwa, wenn Tänzer auf einer Art Schlitten hereingezogen werden. Die Tragik der Musik – ganz hervorragend dirigiert von Christoph Altstaedt – bleibt manchmal auf der Strecke, weil man zu sehr mit Deutungs- und Einordnungsversuchen beschäftigt ist. Man staunt über die Leistungen des Ensembles. Es wäre unfair, einzelne hervorzuheben, da sie alle die überaus fordernde Choreographie perfekt umsetzen. Mit dieser Abschiedschoreographie hat Martin Schläpfer seinen ganzen Einfallsreichtum über das Publikum ausgeschüttet. Und diese Fülle ergibt letztendlich doch nur eine Ereignisleere. Der Moment des Mitgenommenwerdens bleibt aus. Das ändert auch nicht das nachgereichte Lied von Friedrich Händel „Süße Stille“, gesungen von Florina Illie, begleitet von Luka Kusztritch (Violine), Stephen Hopkins (Cembalo).

Das Publikum dankte Martin Schläpfer mit langem Applaus und standing ovation nicht nur für diesen Abend, sondern besonders für viele wunderbare vorangegangene Ballettabende.

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Sergej Prokofjew: Die Verlobung im Kloster. Theater an der Wien

Vorlage: Richard Brinsley Sheridan „The Duenna“ – englische Komödie. Prokofjew und Mira Mendelson: Übersetzung und Bearbeitung.1941 komponiert, nach Ende des 2. Weltkrieges uraufgeführt.

Man traut seinen Ohren und Augen kaum: Diese Musik stammt aus der Feder Prokfjews? In der Inszenierung von Damiano Michieletto und unter dem rasant-pfiffigen und dann wieder sehr romantischen Dirigat des jungen Russen Dmitry Matvienko entfaltete sich ein Ohren- und Augenschmaus der Sonderklasse. Man bediente sich aller Slapsticktricks und szenischer Übertreibungen aus der Opera buffa und Comedia dell´arte, aber immer mit Augenzwinkern. Michieletto drückte im richtigen Augenblick die Stoptaste, bevor die Szene peinlich wurde. Durch seine präszise Personenführung gelang ihm eine haarfeine Charakterisierung der Personen, die über das Schema einer Opera buffa weit hinausgeht. Auch die zur Zeit Prokofjews fast als Pflichtübung verlangten Tanz- und Ballettszenen wurden sehr zum Vergnügen des Publikums schräg überdreht, dass sie ins Absurde abtrifteten und jeder Peinlichkeit bar waren. Höhepunkt solcher Szenen – natürlich die Massenbesäufnis im Männerkloster! Da greifen Prokofjew und Michieletto tief in die satirische Kiste der Unverschämtheiten: Unter ihren Kutten tragen die Mönche Strapse, leben ihre erotischen Vorlieben ungeniert aus. schnappen sich Geld, Bier, Nonnen und los geht die Orgie. Wie Satansabkömmlinge wirken ihre tanzenden Riesenschatten an den Wänden.

Worum geht es überhaupt? – Schlicht und einfach um das Scheitern zweier alter Gierhälse. Mendoza hat das Geld durch den Fischhandel, Don Jerome eine hübsche Tochter. Der nach Fisch stinkende Mendoza will die schöne, junge Tocher, Jerome das Geld und die Macht. Also: tut man Tochter und Geld zusammen, hat man das Monopol – in dem Fall im Fischhandel. Ist ja heute auch nicht anders: Zwei Große, Mächtige tun sich zusammen und schon haben sie die kleinen Fische geschluckt, über bleibt ein Riesenfisch. Doch die Intrige scheitert, was bleibt über? – Ein abgenagter Fisch. Monopol pfutsch, dafür haben sich die beiden Liebespaare gefunden. Das wäre so in groben Zügen die Handlung, die durch Kleidertausch und Liebesirrtümern noch heftig aufgemotzt wird. Dass da ein üppiges Bühnenbild leicht zu viel werden könnte, hat Paolo Fantin erkannt und ein überaus schlichtes „Raumgefühl“ durch einfache Linien und absenkbare Versatzteile entworfen. Die Kostüme von Klaus Bruns charakterisieren die Personen treffend, ohne zu übertreiben.

Die angenehme Überraschung: Das ganze Ensemble liefert stimmlich und schauspielerische Glanzleistungen! Allen voran die beiden Alten: Evgeny Akimov ist ein Erzkomödiant, genießt jeden musikalischen und schauspielerischen Spaß. Mit seiner zum Bariton neigenden Stimmlage ist er in den unteren Lagen genau so firm, wie im Tenorbereich. Als Fischhändler und blind Verliebter ist der Bass Valery Gilmanov der perfekte „Dumme“, der am Ende die Anstandsdame Duenna statt der jungen Luisa versehentlich heiratet. Elena Maimova ist in der Rolle der „alten Anstandsdame“ umwerfend bis zur Selbstverleugnung!! Als Luisa glänzt Stacey Alleaume, die Rolle der zickigen Clara füllt Anna Goryachova gut aus. Peter Sokolov ist ein unglücklich Verliebter Don Ferdinand, und Vladimir Dmitruk ein kreuzbraver Geliebter Luisas. Eine äußerst interesante Nebenrolle füllt Zoltan Nagy aus. Als deprimierter Begleiter und Freund Mendozas kommentiert er mit seinem ausdrucksvollen Bass die überspitzen und überdrehten Szenen, wodurch er eine Art Notbremse zieht, bevor das Spiel und die Musik in den Wahnsinn kippt. Apropos Musik – Prokofjew komponiert hier stich- und haargenau auf das Wort und die Aktion hin, als würde er Filmszenen untermalen. Bewundernswert führt Dmitry Marvienko das ORF Radio-Symphonieorchester und den wie immer klangvollen Arnold Schönberg Chor durch diese eigenwillige Musik!

Viel Jubel und Beifall!

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Tschaikowski: Iolanta. Wiener Staatsoper

Musikalische Leitung: Tugan Sokhiev, Inszenierung: Evgeny Titov, Bühne: Rufus Didwiszus, Kostüm: Annemarie Woods

EIN LICHT IM DUNKLEN (OPERN-)REGIETHEATER!!!

Ein Abend, der beglückt, von dem man schon lange träumte: Ein Abend, an dem alles zu einem Wunder zusammenwirkte: Tschaikowskis Musik, die innig ist, religiös im allerweltlichsten Sinne, aus einem tiefen Glauben an das göttliche Wirken aufsteigt und den Hörenden in der Seele trifft. Tugan Sokhiev, ein Dirigent, der diese Musik verinnerlicht hat und feinfühlig an das Publikum weitergibt. Endlich, endlich ein Regisseur, der dem Werk gegenüber mit Respekt und Einfühlsamkeit gegenübertritt und mit seiner ausgezeichneten Personenführung und einem Quentchen Humor das Märchen von der blinden Iolanta wahr werden lässt: EVGENY TITOV! Endlich, endlich kann man die Augen offen halten und die Szenerie genießen, denn Rufus Didwiszus hat ein märchenhafte Bühnenbild geschaffen, das einem Barock- oder Rokokobild entnommen sein könnte: Auf einem Felsenhügel ranken sich Rosen bis zu Spitze, wo Iolanta auf einem Bett schläft. Eingerahmt und überdacht wird die Szenerie von einem hohen Gewölbe aus alten Zeiten, das jederzeit zusammenbrechen kann – und es am Ende auch geschieht, aber darüber später. Dass die Sängerinnen und Sänger nicht in sogenannten zeitlosen Fetzen agieren müssen, sondern in zum Tableau passenden, aus jeder Zeit gefallenen „Roben“ spielen dürfen, das verdanken sie der Kostümbildnerin Annemarie Woods.

Und wenn dann alle, aber wirklich alle Rollen in Topbesetzung mit Topstimmen agieren, dann glaubt man schon an ein Wunder. Allen voran Sonya Voncheva als Iolanta. Ihr Sopran steigt mühelos in Höhen, liegt in der Mittellage sicher. Vor allem weiß sie dem blinden Mädchen Charakter zu verleihen – lässt spüren, dass es außrhalb ihres von der Welt abgeschottetem Lebens noch etwas gibt, das man ihr verbirgt. Berührend und ehrlich ihr Duett mit Robert, ihrem Ritter ohne Schwert und Pferd, sondern ein Alltagsmensch, der einfühlsam sie in die Welt des Lichtes und der Farben einführt: Tenor Boris Pinkhasovich. Leicht liegt ihm die Höhe, ebenso die tiefen, samtigen Töne. Ihm zur Seite, fast wie Sancho Pansa ängstlich und besorgt um seinen Freund: der Tenor Dmytro Popov als Vaudemont. Diese Rolle hat der Regisseur mit viel Humor aufgewertet – Vaudemont badet seine vom Wandern müden Füsse im Bach, seine geliebte Mathilde ist ein handfester Bursche in kurzen Hosen, der auf einem getöteten Stier dem staunenden Hofpersonal präsentiert wird. Der Bass Ivo Stanchev verleiht der schwierigen Rolle des Vaters die genau richtige Färbung zwischen Vaterliebe und despotischer Strenge. Alle Rollen, auch die kleinsten Nebenrollen, sind perfekt besetzt. Wenn am Ende der Chor Gott als Spender des Lichtes und des Lebens preist, dann hat das Gänsehauteffekt. Als mit allen Wassern gewaschener Regisseur weiß Evgeny Titov einen verblüffenden Überraschungseffekt am Ende einzubauen: Mit dem letzten Ton fällt die Kulisse des alten Gemäuers und dahinter ercheint unsere heutige Welt: grau, dunkel, zerstört. Das Märchen ist vorbei. Die Heutigen haben es zerstört.

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Philipp Hochmair liest Kafka, Der Prozess. Theater Akzent

Ist das wirklich Philipp Hochmair? Von der Ferne, der 2. Reihe Balkon, sieht man einen ordentlich gescheitelten Mann im Anzug und Krawatte an einem Tisch sitzen-

Foto: Stephan Brückner

und er beginnt zu LESEN! Hochmair und LESEN! Das hat man noch nie erlebt. Er bringt ja sogar Stifters Novelle „Der Hagestolz“ zum Glühen, er rast als Werther über die Bühne, er stolpert wie der tumbe Tor durch „Amerika“, er verausgabt sich bei Schillers Balladen und im Jedermann reloaded. Nie und nimmer las er – fest am Sessel klebend! Nun den Anzug versteht man noch – er imaginiert ja Josef K., einen Bankangestellten so um 1913/14 herum. Und der Text selbst ist ein trister Hammer. „Den sollte man sich nur geben, wenn man ausgeglichen ist und einen halbwegs ruhigen Tag hinter sich hat“, sagte ein Besucher nach der Lesung. Erschwerend kam noch hinzu, dass Philipp Hochmair in seine von Interviews und den Aufführungen des Jedermanns auf dem Salzburger Domplatz leicht nuschelnde, Endsilben verschluckende Aussprache verfiel. So musste man sich gehörig anstrengen, um einigermaßen mitzubekommen, was der arme Josef K. da unten mitmachen musste: Verhaftet werden, einen Prozess ohne Anklagegründe sich anhören und schließlich einen grausamen Tod durch Erstechen erleiden. Als Auflockerung gab es Dias, über deren Zweck man heftig rätseln durfte. Da sah man drei Mädels im Dirndl, sofortige Assoziation: Mädels aus einem Wachaufilm. Oder Menschen beim Heurigen. Am Ende ein Bild, das im Stadtpark von Wien aufgenommen sein könnte: Blühende Bäume, eine Statue verschwommen im Hintergrund, ein Mensch vorne – im Anzug. Kafka, Hochmair? Irgendwie tröstet man sich: Einer „Rampensau“ (für alle, die den Ausdruck nicht kennen: Es ist das größte Kompliment für einen Schauspieler und meint: Er gibt immer alles, markiert nie) darf auch einmal ein Ausrutscher passieren.

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Festspielhaus St. Pölten: Bruckner, 5. Symphonie in B-Dur, Yutaka Sado dirigiert die Tonkünstler- Österreich

Anton Bruckner schrieb die 5. Symphonie in einer sehr schwierigen Zeit seines Lebens. 1874 verlor er die Stelle als Lehrer am Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde und damit die finanzielle Sicherheit. So flüchtete er sich in die Sicherheit des Komponierens der 5. Symphonie, wo er sich aufgehoben fühlte und alle Existenzängste vergessen konnte. Hatte er doch mit seinen Kompositionen schon große Erfolge gefeiert, zum Beispiel 1871 in der Londoner Albert Hall, wo ihm Zehntausende begeistert zugejubelt hatten. Und so komponierte er in diesem Sellbstvertrauen seine wohl anspruchsvollste Symphonie, so anspruchsvoll, dass er sie für 20 Jahre in der Schublade verschloss. So anspruchsvoll, dass Franz Schalk, als er1893 als Opernkapellmeister in Graz die Symphonie zur Uraufführung brachte, sie mit zahlreichen Änderungen und Kürzungen aufführte, um sie dem damaligen Publikumsgeschmack anzupassen. Erst 1935 brachte Sigmund von Hausegger mit den Münchner Philharmonikern die Originalfassng zur Uraufführung.

Im Gegensatz zu vielen anderen Dirigenten lässt Yutaka Sado nicht mit heftigen Trommelschlägen beginnen, sondern verwandelt diese in sanfte von Kontrabässen gespielte „Streichelschläge“ und fährt mit leisen, langgezogenen Akkorden der Geigen und Bratschen fort, um dann um so wuchtiger die Bläser und Trommler als Kontrast einzusetzen. Dieser Beginn ist typisch für die ganze Symphonie, die einem Parforceritt durch alle nur möglichen Kompositionskontraste gleicht. Sado dirigiert diese Kontraste fein ziseliert, arbeitet jedes Detail wie ein filigranes Kunstwerk heraus und führt das Publikum mit Hochspannung in die volle Klangschönheit dieser schwierigen Symphonie.

Begeisterter Applaus und eine Rose für den Dirigenten!

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Habsburger III: A Trauerspül. Schuberttheater

Text: Stephan Lack, Regie: Simon Meusburger, Puppen und Pupppenspielerin: Soffi Povo, Kostüm und Produktion: Lisa Zingerle, Bühne: Angela Konzett

In aller Gemütsruhe kann man die seltsame Maschine auf der Bühne studieren – eine Mischung aus Leierkasten und altem Feuerherd, wie er noch in ehemaligen Rauchküchen zu sehen ist. Dann ein Donnerschlag – und laute Musik, bis aus dem Off eine Stimme die Geschichte der Familie Habsburg erzählt, angefangen beim Urururgründer, einem gewissen Ferdinand. Kein Spross und keine Kriege werden ausgelassen (ein wenig zu ausführlich, das merkt sich sowieso niemand), bis die Stimme dann bei Maria Theresia landet, der „Urmama“ und klugen Töchterverschacherin. Hinter der geheimnisvollen Maschine werkt eine Laborantin. Dass sie den Auftrag hat, die Habsburger zu klonen, kann man nur aus dem Beitext entnehmen, nicht aber aus dem Geschehen auf der Bühne. Sie druckt Knöpfe, probiert Schläuche, bis plötzlich der von der Guillotine abgehackte Kopf der Maria Antoinette aus einer Schachtel springt. Sie würde gerne ihren Körper wiederhaben, aber das übersteigt die Fähigkeiten der Laborantin. Die zaubert – pardon klont – die letzte Kaiserin Zita aus ihrer Kiste, aber leider nur die Hand, die in einer geheimnisvollen Zeichensprache Befehle erteilt. Als Dritter im Bunde erscheint der traurige Maximilian, Kaiser von Mexiko, der nur 2 Jahre Kaiser sein durfte und von den Rebellen erschossen wurde. Dass sich Maria Antoinette und Maximilian aufgrund ihres gewaltsamen Todes zusammentun, hat eine gewisse makabre Logik. Und dass sich beide gegen die lästige Labornatin wenden und sie abmurxen, ist zwar etwas unklar, aber in dem Stück geht es ganz sicher nicht um Klarheit. Am Schluss taucht noch Kaiser Franz Josef auf und alle zusammen wehren sich gegen die Banalisierung und Vermarktung ihres Schicksals durch allzu geschäftstüchtige Tourismusmanager. Irgendwie läuft der Plot aus dem Ruder – worum geht es? Ums Klonen und dass die Klonen sich gegen ihren Schöpfer stellen? Oder gegen die Tourismusindustrie? Der Autor Stephan Lack hat viel zu viel gewollt und sich in seinem eigenen Geschichtenlabyrinth verirrt. Da konnte ihm auch nicht die chamante und geschickte Laborantin Soffi Povo heraushelfen.

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Philharmonic Five: „Passion & Fire“. Wiener Konzerthaus

Foto Philharmonic Five von li nach re: Elmar Landerer Viola, Lara Kusztrich Violine, Edison Pashko Violoncello, Tibor Kovac Violine und Moderation, Adela Liculescu Klavier

Dmitri Schostakowitsch: Klavierquintett g-moll, opus 57

Es war eine Sternstunde, als die Philharmonic Five dieses berührende Klavierquintett spielten. Mit diesem Werk hatte sich Schostakowitsch wieder in die Riege der vom Stalinregime gelobten und geschätzten Komponisten zurückkomponiert. Seit 1936, der Auffführung seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ von dem Parteiorgan Prawda als Chaotiker geschmäht, war man nun wieder voll des Lobes. Unter diesem politischen Druck, begleitet von ständiger Angst, lebte Schostakowitch bis zu seinem Tode.

Wir Heutigen konnten das Klavierquintett frei von politischer Vergangenheitsfärbung erleben und hörten eine Art von Retro-Utopie,, ein Bekenntnis zur Vergangenheit und zu musikalischen Größen, wie Bach (Prelude)als Wegweiser in eine Zukunft, kontrastiert durch exzessivem Furor (Fugue). Ein zärtlich-verträumtes Geigensolo leitet über zu einem heiteren Scherzo und einem besinnlichen Lento, bevor ein zackiger Marsch in eine zerrissene Zeit der Gegenwart überleitet.

Nach der Pause ging es mit viel „Fire“ weiter.

Am Beginn hörte man aus Antonin Dvoraks „Zigeunerliedern“ die Orchesterbearbeitung von Fritz Kreisler: „Als die alte Mutter sang“. Ebenso berührend „Sayruri’s Theme“ über eine Geisha, komponiert von John Williams. Die Violinistin Lara Kusztrich brillierte mit dem bekannten Tango „Jalousie“ von Carlos Gardel, in der Bearbeitung für Streicher. Zugegeben: Es klang perfekt, aber es fehlte doch das Bandoneon. Nach einem Mix aus Prokofjew und Schostakowitsch feierte man wieder das Zigeunerleben und die Liebe mit einem Liebeslied von Pablo de Sarasate. Da brillierte Tibor Kovac als Teufelsgeiger. Am Schluss demonstrierte Adela Liculescu ihr Können. „Man glaubt, sie hat 30 Finger“. kommentierte Tibor Kovacs den Furor, mit dem die Pianistin den „Türkischen Marsch“ von Mozart spielte

Als Zugabe spielten sie von Antonio Bazzini, La ronde des lutins ,bearbeitet von Tibor Kovac.

Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus.

Das nächste Konzert im Zyklus „Philharmonic Five“ am 4. Juni 2025

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Sabine Thiesler, Leb wohl, Schwester. Heyne Verlag

Wer einmal einen „Thriller“ von Sabine Thiesler gelesen hat, der ist ihr verfallen. Mit Neugier und Ungeduld wartete man auf die Neuerscheinung: „Leb wohl, Schwester“ ist spannend und klug geschrieben, wie alle vorangehenden Bücher. Wie immer stellt die Autorin eine psychisch gestörte Figur als Mörder, Mörderin in den Mittelpunkt. Und immer ist von Anfang an klar, wer der Böse, die Böse ist. Auch dieses Mal kann man die Mörderin bei ihreren Taten „zusehen“, ist direkt dabei. Es ist eine junge Kellnerin namens Stefania. Sie lebt mit ihrem Zwillingsbruder Stefano in Ambra, einem verschlafenen Nest in der Toskana. Als Kinder wurden die beiden von ihrem Stiefvater vergewaltigt. Dieses grausame Erleben hat die beiden zusammengeschweißt und aus ihnen ein Liebespaar gemacht. Allerdings vor der Öffentlichkeit leben sie als Bruder und Schwester. Was Stefania unglücklich und neidisch auf alle glücklich Verliebten macht. Erst wenn sie diese getötet hat, kann sie einigermaßen ruhig weiterleben. Zwei in kurzen Abständen ermordete Paare machen dem Kommissaar Donato Neri schwer zu schaffen. Obwohl tatkräftig unterstützt von der neuen Kommissarin Romina, zweifelt er fast, ob sie je den Mörder finden werden….Mehr sei hier nicht verraten. Nur so viel: Die Stärke der Autorin besteht in ihrer humorvollen, leicht ironischen Charakterisierung des Kommissars einerseits und des psychologisch klug untermauerten gestörten Charakters der jungen Stefania. Und natürlich liefert das Ambiente des kleinen Dorfes und seiner oft recht skurrilen Mitbewohner den passenden Hintergrund. Auch den Krimi- und Thrillerverächtern zu empfehlen!

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Eugène Ionesco: Die kahle Sängerin. Volkstheater in den Außenbzirken (Theater Akzent)

Deutsch: Serge Stauffer. Regie: Johanna Mitulla, Bühne: Laurent Pellissier. Kostüm: Vanessa Sampaio Borgmann. Musik: Lukas Kratzer

„Die kahle Sängerin“ war Eugène Ionescos erstes Werk. Er soll von einem Englischlehrbuch inspiriert worden sein, in dem die allerdümmsten und banalsten Phrasen als Lerngrundlagen dienten. So entstand dieses Konversationsstück, ein Feuerwerk an absurden und sinnlosen Dialogen. Mit der Uraufführung 1950 in Paris wurde gleichsam die Geburtsstunde des absurden Theaters eingeläutet.

Ionesco wollte damit vor allem das geistige Niveau der sogenannten bürgerlichen „Konversation“ ins Lächerliche ziehen. Dazu passend entwarf Laurent Pellissier eine bürgerliche Wohnstube, wo Herr und Frau Smith ihr tägliches Teeritual abspulen. Allerdings ist das Ambiente schon ein wenig ramponiert – kaputte Sessel mit schräger Sitzfläche, Skelette und allerhand Kram weisen auf die Dekadenz der Bewohner hin. Leider war Dagna Litzenberger Vinet, die Darstellerin der Mrs. Smith, erkrankt. Dankenswerter Weise sprang Regieassistentin Pia – Maria Harr für sie ein und las die Rolle aus dem Textbuch. Das war zwar heroisch von ihr, aber ihre Stimme erreichte nicht einmal die vierte Reihe. Dafür legten sich die drei anderen Schauspieler um so mehr ins Zeug: Der baumlange Simon Mantei war ein steifer Mr. Smith, der das Ritual und die Konversation ins Absurde hinüberhob. Köstlich geriet die Szene zwischen dem Ehepaar Mr. und Mrs. Martin (Simon Bauer und Nora Wagner). In dem Dialog zwischen einem Ehepaar, das sich kaum an den anderen erinnert, obwohl sie zusammen wohnen und Kinder haben, schrieb Ioesco wohl eine signifikante Szene, die für viele Paare gelten kann: Wie weit bleibt der Partner unbekannt, obwohl man mit ihm zusammen lebt?

Die Regisseurin Johanna Mitulla hatte den aktuell wirksamen Einfall, aus der absurden Komödie eine absurde Tragikkomödie zu machen: Das Ehepaar Smith ließ den Feuerwehrmann (wieder Simon Bauer) in die Wohnung und damit den Brandstifter. Dürrenmatt lässt grüßen! Wir laden uns ja sehr aktuell gerade die Brandstifter ins politische Geschehen ein und merken es nicht oder wollen es nicht wahrhaben. Leider waren die Schauspieler dann zu wenig sprachdeutlich, um dieses turbulente „Feuerwerk“ an Unsinn und Abgedroschenheit klar und verständlich hinüber zu bringen. Es wurde zu einem absurden Geschwurbel, einzelne Worte und Worthülsen konnte man sich noch zusammenreimen. Aber die Grundidee war schlüssig:

Am Untergang ist man selbst schuld, weil man denVerursacher persönlich hereingeholt hat.

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Die Kameliendame, Ballett von John Neumeier.

Musik: Frédéric Chopin. Choreographie und Inszenierung: John Neumeier. Dirigent: Markus Lehtinen

Foto: Olga Esina und Edvin Revazov, ©Ashley Taylor

Gesehen zum VIERTEN MAL! Immer in derselben Besetzung – natürlich mit Olga Esina als Marguerite. Allerdings gab es zwei wesentliche Änderungen, die neugierig machten: Verletzungsbedingt fiel Esinas (Traum)Partner Brendan Saye aus. An seiner Stelle tanzte der aus der Ukraine stammende Edvin Revazov. Er hatte sein Ballettstudium in Moskau und Hamburg absolviert, brachte es unter John Neumeier schnell zum Solisten und tanzte viele wesentliche Rollen, wie Parzival, Wronski, Tadzio etc..Nun also den Armand. Von Figur und Auftreten passte er gut zu dem tolpatschigen Armand im 1. und 2. Akt, wo er den schüchtern-glücklichen Liebenden zu tanzen hatte. Aber im 3. Akt, wo der Furor und die Leidenschaft zwischen den beiden neu erwacht , da hätte ihm ein Quentchen mehr Feuer gut getan. Zwar war der „Liebespasdedeux“ perfekt getanzt, aber da gewisse Etwas fehlte. Vielleicht ist das Urteil auch durch die Erinnerung an Esina-Saye getrübt. Da war Ehrlichkeit, Verzweiflung und große Leidenschaft spürbar! An diesem Abend war es Perfektion.

Am Klavier (im Orchestergraben) war diesmal nicht Michal Bialk, sondern Oliver Kern zu hören. Da war ein neuer Klang, es schien, als ob die Musik Chopins nur für die beiden Liebenden komponiert wurde. Eine selten zu hörende Einigkeit, Subtilität und Führung begleitete, ja interpretierte und verdeutlichte, was Liebe und Leidenschaft für Marguerite und Armand bedeuten – ihr Leben.

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Eva Strasser, Wildhof. Wagenbach Verlag

Lina ist eine schräge Figur. Erfolgreich in ihrem Beruf -was genau macht sie? . Aber sie hat eine Macke – irgendetwas ist schief gelaufen, man hat ihr eine Bewährungshelferin als Aufpasserin zur Seite gestellt. Warum? – Das spielt im Verlauf des Romans dann keine wesentliche Rolle. Sie ist auf dem Weg in das Dorf Wildhof – nomen est omen, dort sagen sich die Füchse gute Nacht- um das Erbe ihrer durch einen Autounfall ums Leben gekommenen Eltern zu schlichten und anzutreten. Haus und Garten ihrer Kindheit sind schön romantisch verfallen. Romantisch auch der umgebende Wald. Von den Naturstimmungen lebt dieser Roman, überwuchert die eigentliche Handlung. Denn da gibt es nicht viel zu erzählen: Lina organisiert das Begräbnis ihrer Eltern, findet im Haus Spuren ihrer Zwillingsschwester Luise, die eines Tages ohne Nachricht abgehauen ist. Hin und wieder bekommt Lina Wutanfälle, die sich nicht erklären lassen. Vieles bleibt ein Rätsel, vielleicht könnte man sagen ein liebenswertes Rätsel.

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Julia Schoch, Trilogie. Teil 1 – Das Vorkommnis. Untertitel: Biographie einer Frau

Ein Text, der kühler, distanzierter nie geschrieben und nie gelesen ward. Das Ich -die Erzählerin – die Schwester, die Halbschwester, die Kinder – alle ohne Namen: Sie, es, Mutter, Schwester, Halbschwester. Distanz ist die Haltung, die durch die Erzählung geht und auf die Leser einwirkt. Kühl erzählt die Autorin, will aufschreiben, was das unvermutete und späte Auftreten einer bisher unbekannten Halbschwester mit ihr macht. Die Halbschwester geistert zur Zeit auch durch andere aktuelle Romane, wie in Eliszabeth Strouts Erzählung, Am Meer oder Norbert Gstreins jüngstes Buch, Vier Tage, drei Nächte. Warum gerade in und nach der Pandemie die Frage, Suche nach einer Halbschwester durch die Literatur geistert, ist nicht wirklich erklärbar. Suche nach Familie, Aufdecken von Familiengeheimnissen? Julia Schoch umkreist die Frage ohne Antwort. Mal schreibt sie über ihre Kindheit in der DDR, erzählt die Geschichte der Mutter. Dann wieder ist sie in ihrer Gegenwart. Diese schweifende, kreisende Erzählweise, macht es den Lesern nicht leicht, den Gedankensprüngen und Zeitensprüngen zu folgen. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum das Auftauchen dieser Halbschwester die Erzählerin so aus dem Gleichgewicht bringt, zumal sie ja nichts unternimmt, um diese Frau kennenzulernen.

Sie, die Icherzählerin, ist aus der Bahn geworfen, alles irritiert sie, ihre Ehe, ihr Mann, am meisten ihre leibliche Schwester. Erinnerungen aus der gemeinsamen Kindheit in der DDR halten nicht als Leim, Kitt stand. Sie versucht, ein Puzzle aus den Erinnerungen zusammenzustellen und muss feststellen, dass im Rückblick vieles nicht stimmt. Wenn sich Erinnerungen als falsch oder unsicher herausstellen, was bleibt von dem Menschen – das scheint das Grundproblem dieses „Romans“ zu sein. Da erweist sich die (halbherzige) Suche nach der Halbschwester als ein geeignetes „Verschleppungsmanöver“, das von den Grundfragen ablenkt.

Ein interessant geschriebenes, sprachlich ausgefeiltes Buch, aber doch recht seltsam, wie die ganze Familie. Ein Buch, in dem am Ende die Erzählerin sich die Frage stellt:: „Was soll das sein, ein normales Leben?“ (181) Und Ironie des Ganzen: Genau das beschreibt Julia Schoch – ein ganz normales Leben!

Julia Schoch, Das Liebespaar des Jahrunderts. Biographie einer Frau. Teil 2

Eigentlich sollte der Untertitel „Biographie einer Familie“ lauten. Denn die Autorin geht in Ichform der Entwicklung nach, wie aus der „großen, unterschütterlichen Liebe“ eine ganz normale, triviale Alltagsgeschichte wird. Wie die innige Zweisamkeit der Jungend in eine zweckorientierte Gemeinsamkeit sich langsam, zunächst unmerklich wandelt. Was schon oft dokumentiert, in vielfältigster Form literarisch verarbeitet wurde. Mal voller Klischee, mal kitschfrei. Wie eben in diesem Werk. Schochs kühle, analytische Art schafft Distanz. Sie betrachtet, analysiert, was die Jahre, die Gewöhnung mit ihnen, dem Mann und der Frau, gemacht haben. Sie beginnt lakonisch: „Im Grunde ist es ganz einfach: Ich veralsse dich“, um am Ende des Romans zu überlegen, ob es nicht doch besser wäre zu heiraten. In der Liebe, in der Zweierbeziehung ist nichts logisch. Auch wenn der Mann im jugendlichen Überschwang meint, ihre Liebe sei gegen Trennung gefeit. Denn statt sich zu trennen, genüge es, miteinander vernünftig zu reden. „Nur Idioten denken, die Liebe sei kompliziert“, sagte er. Und sie schloss daraus, sie werden „das Liebespaar des Jahrhunderts“ sein. Eben weil sie wussten, wie idiotisch Trennungen seien. Was die beiden zusammenhält, ist die Unverbindlichkeit ihrer Beziehung. Heiraten – nicht nötig. Karriere ja, aber nicht immer auf gemeinsamem Weg. Das geht solange gut, bis Kinder kommen. Dann schlägt die Organisation des Alltags zu, und das Paar merkt nicht, wie die Distanz zwischen ihnen immer größer wird. Dazwischen immer wieder Rückblicke: „Wie glücklich ich war, wie schön wir es hatten!…Die Gegenwart, das waren du und ich!“ (S23)

Julia Schoch gelingt es, völlig abseits vom Klischee, über alle Formen der Liebe, des Vertrautseins, des inneren Auseinandergehens, des Wiederzueinanderkommens mit ungewissem Ausgang zu erzählen. In klarer, unverstellter Sprache ohne literarische Überfrachtung oder modische Erzählattitüden liegt hier eine intelligente Analyse der heutigen Gesellschaft, wie sie sich in der Familie manifestiert, vor.

Julia Schoch, Wild nach einem wilden Traum. Biographie einer Frau, 3. Teil

Nun also der 3. Teil dieser „Romanbiographie“ einer Frau. Ein wildes Cover, passend zu dem Titel, macht neugierig. – Und man legt den Band enttäuscht weg. Denn während des Lesens entsteht der Verdacht, dass die Autorin hier „Reste“ einsammelt. Da und dort liegen Gebliebenes, Zettel und verschwommene Gedanken, die sie in den beiden vorangegangenen Bänden schon mehrmals griffig ausformuliert hatte. Neu ist, dass die Icherzählerin sich eingesponnen fühlt zwischen drei Männern – dem sexbetonten und lebens- und schreibtüchtigen Catalanen. Mit ihm geht es schnell zur Sache, ins Bett. Warum ihr immer wieder die Erinnerung an einen ehemaligen DDR-Soldaten dazwischen kommt, lässt sich nicht aufschlüsseln. Und ach ja, da gibt es ihren Mann, nicht Ehemann, sondern nur Mann. Und unvermeidbar – die Schreibkrise. Sie hat sich in ein Schreibseminar eingeschrieben, mit der Absicht, ihre Dissertation zu beginnen. Doch das Thema interessiert sie nicht mehr. Schreiben will sie. Doch worüber? – Das ist das Thema und die unbeantwortete Frage des 3. Bandes.

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Tonkünstlerorchester: Sibelius, Mozart, Brahms. Festspielhaus St. Pölten

Dirigent: Yutaka Sado. Pianistin: Yeol Eum Son

Jean Sibelius: Symphonie Nr. 7 op 105 (1918-1924)

Die 7. Symphonie sollte seine letzte sein. Sibelius komponierte zwar noch eine achte, aber die vernichtete er eigenhändig. In die siebte legte er seine Gedanken über das Leben in heiter-gelassener Weise hinein. Ihm gelingt, was kaum jemand zuvor und danach gelungen ist: Er setzt die ZEIT als spürbares Element ein, als Wert, der dem Leben Sinn gibt. Es beginnt leise, zärtlich, ja auch romantisch – nicht zu Unrecht nennen viele Sibelius den letzten Romantiker. Das Element Wasser wird der Zeitmesser – viele kleine Ströme fließen zusammen und bilden den Strom des Lebens, der sich in die Welt ergießt, allumfassend. Er fließt in ein weites Land, in dem alles offen steht. Nichts eilt. Musikalisch akzentuiert Sibelius das Fließen der Zeit durch forcierten Einsatz der Bläser. All das und mehr wird klar und verständlich durch Yukata Sados subtiles Dirigat. Er macht es möglich, dass dieser Fluss in die Seele der Zuhörer fließt, sie ruhig werden lässt.

Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester C-Dur (1791). Dirigent: Yukata Sado, am Klavier: Yeol Eum Son

Yeol Eum Son-Piano Photo: Marco Borggreve

Die große Überraschung des Abends war die junge Pianistin Yeol Eum Son aus Südkorea.Man fragte sich, wie diese zarte Person mit den fast kindhaften Armen den Flügel unter ihren Willen zwingen konnte. Und wie sie das konnte! Spielerisch und leichthändig, ohne Pathos, ohne viel Zier spielte sie, als wäre sie der junge Mozart, der gerade mit seiner neuesten Kreation sein adeliges Publikum unterhalten will. Frech in einem Moment, dann gleich zart erinnernd in der Rückschau (Rondo). Das bekannte Klavierkonzert klang auf einmal frisch, als hörte man es zum ersten Mal.

Johannes Brahms: Symphonie Nr. 1 c-Moll (1876). Dirigent: Yukata Sado

Lange wagte Johannes Brahms sich nicht an eine Symphonie. Beethoven war für ihn ein unüberwindlicher Fels, ein Maßstab, an dem er nicht wollte gemessen werden. Dann – unter dem lobenden Zuspruch von Robert und Clara Schumanns gelang das Werk. Leicht, fast tänzerisch ist der Beginn, die Themen verschwimmen ineinander, um dann im 2. Satz, angeführt von dem Alphornmotiv , sich zu einem Bekenntnis der Liebe im allgemeinen, besonders aber zur Natur zu bündeln.

Doch es war Rosenmontag, da wollte Sado nicht allzu schwer und ernst enden. Nach dem langen Applaus springt er nochmals auf das Dirigentenpult und feuert mit den Tonkünstlern eine Strausspotpourri ab, die sogar den Schani begeistert hätte. Und da sah man den sonst so ernsten Meister lachen!! Die Tonkünstler strahlten und das Publikum jubelte!

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Zoe Schlanger, Die Lichtwandler. S. Fischer

Untertitel im Original: How the Unseen World of Plant Intelligence Offers a New Understanding of Life on Earth. Deutscher Untertitel: Wie Pflanzen uns das Leben schenken.

Aus dem Englischen von Laura Su Bischoff und Michael Bischoff

Zoe Schlanger ist Wissenschaftsjournalistin. Als sie es überdrüssig wurde, über den Klimawandel und die negativen Folgen zu schreiben, wandte sie sich dem Thema Pflanzen zu, insbesondere der bis heute umstrittenen Frage nach der Intelligenz der Pflanzen. Haben Pflanzen über die Wurzelspitzen ein „Gehirn“, ein „Pflanzenbewusstsein“? Wurden solche Fragen noch bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in die Esoterik verbannt, wagte man sich seit einigen Jahren Schritt für Schritt in der Pflanzenforschung voran. Es dauerte lange, bis diese „wissenschaftliche Revolution“ vorsichtig diskutiert wurde. „Jetzt befinden wir uns in der Phase des Übergangs“, schreibt Schlanger. „Die Wissenschaft geht dem Gedanken nach, dass Pflanzen intelligente Lebewesen seien, dass sie Informationen unterschiedlicher Art verarbeiten, um wohlinformierte Entscheidungen zu treffen.“(S82) Die Autorin stellt diese Erkenntnisse nicht einfach so in den Raum, sondern vertieft und untermauert sie in Einzelinterviews mit den bekanntesten Forschern auf diesem Gebiet, wie zum Beispiel Jagadish Bose oder Richard Karban. Dazwischen kann sich der Leser bei detailgenauen Beschreibungen von Pflanzen und ihrer Umgebung von der „trockenen Wissenschaft“ erholen. Zoe Schlanger erzählt auch von dem andauernden Kampf der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Fördergelder. Denn die allgemeine Skepsis diesen Fragen gegenüber ist noch nicht gänzlich ausgelöscht. Fest steht, dass Pflanzen elektrische Signale empfangen, verarbeiten und senden. dass sie Geräusche hören und als Information verarbeiten. „Die Pflanze überwacht sämtliche Teile ihres Körpers und prüft, wie gut sie funktionieren.“(211) Solche Gedanken verblüffen, überraschen. Und das ist erst der Anfang der Forschung.

Ein faszinierendes Buch, das völlig neue Denkräume eröffnet. Wir Menschen werden uns bald von dem Gedanken verabschieden müssen, dass wir die einzigen Wesen sind, die mit Intelligenz ausgestattet sind. Die Natur hat ihre eigene Intelligenz, sie zu verstehen wird noch lange dauern.

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Daniel Glattauer, In einem Zug. Dumont Buchverlag

Der für seine Liebesromane einst berühmte Autor Eduard Brünhofer hat eine Schreibkrise. Der Erfolg seines letzten (Liebes)Romans liegt Jahre zurück. Der gut dotierte Vorschuss auf das nächste Buch ist aufgebraucht. Nun sitzt ihm der Verlag im Nacken – er sollte längst schon liefern. Mit mehr als vagen Ideen und einer großen Schreibunlust reist er im Zug von Wien nach München zu dem gefürchteten Gespräch mit dem Verlag. Im Abteil schräg gegenüber sitzt eine Frau mittleren Alters, die bald ein Gespräch mit Brünhofer beginnt. „Gespräch“ ist zunächst der falsche Begriff, denn sie zieht ihm buchstäblich sein Privatleben aus der Nase. Sie nervt den Autor, der nur widerwillig antwortet, ihrer Pertinenz aber nicht entkommt. Der Widerwille überträgt sich auf den Leser, der ebenso verärgert wie der Autor bereit ist, das Gespräch zu beenden und das Buch wegzulegen. Denn mehr als banaler Small-Talk tut sich nicht.

Dann aber hat die nervige Catrin – inzwischen sind die beiden per Du – die Idee, in den Speisewagen zu gehen. Dort, bei einigen Flaschen Rotwein, lockert sich das Gespräch. Eduard redet über seine gelungene Ehe mit Gina und seinen Widerwillen, noch mehr über Frauen und über die Liebe zu schreiben. Er lebt glücklich und weiß, wie das mit der Liebe geht. (Ist es Zufall, dass sich zur Zeit mehrere Autoren mir der „Liebe“ und den Schwierigkeiten mit diesem Begriff befassen, wie etwa auch Julia Schoch in ihrem Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“?)

Daniel Glattauer ist bekannt für seinen feinen Humor, mit dem er auch in diesem Buch aufwartet. Doch man hat den Eindruck, er beschreibt hier seine eigene Schreibkrise. Um sie zu bewältigen, schreibt er über einen Autor, der eine Schreibkrise hat. Das haben schon viele versucht, und selten noch ist daraus ein wirklich geglücktes Buch entstanden. Ob Eduard Brunhöfer seine Krise wird bewältigen können, sei hier nicht verraten.

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Vincenzo Bellini, Norma. Theater an der Wien

Libretto: Felice Romani. Uraufführung: Dezember 1831.

Gesehen wurde die 2. Vorstellung im Theater an der Wien am 19. Februar.

Musikalische Leitung: Francesco Lanzilotta. Regie: Vasily Barkhatov. Bühnenbild: Zinovy Margolin

Man spürte schon beim Eintreten in das frisch renovierte Haus die Vorfreude und Erregung des Publikums. Endlich wieder „Theaterfeeling“ im neuen, alten Haus. Im „Himmel“, wie das großzügig und architektonisch raffinierte Pausenfoyer nun genannt wird, klirrten die Sektgläser. Die Stimmung kochte hoch, wie selten vor einem Theaterabend..

Wer die „Norma“ schon einmal im Original erlebt hatte, der verabschiedete sich am besten sofort von seinen Vorstellungen und Bildern im Kopf. Da ringt keine von allen verehrte Druidenpriesterin um Fassung, da singt keine Dienerin der Mondgöttin das Gebet „casta diva“, sondern eine rebellische, im Kampf trainierte Vorarbeiterin einer Keramikfabrik. Der russische Regisseur Vasily Barkhatov hat die Oper in eine nicht näher bestimmte Zeit unter einem Diktator wie Hitler oder Stalin versetzt. In einer Keramikfabrik, wo früher Heiligenfiguren erzeugt wurden, produziert man nun Hunderte von Köpfen des Diktators. Und in dieser Halle singt Asmik Gregorian die ikonische Arie „Casta diva“ – berückend klar in Stimme und Timbre, aber mit deutlich spürbarer innerer Abwesenheit. Denn sie sah gerade Pollione, den Boss der neuen Besatzung, vorbeigehen. Er ist ihr und ihres Volkes Feind und ihr Liebhaber. Spannung pur. Dass Fabrikshalle und Vorarbeiterin mit der Idee eines heiligen Ortes und einer Priesterin sich nicht vereinen lasssen, nimmt der Regisseur in Kauf. Wie er auch nicht vor komischen und absurden Situationen zurückschreckt.

Hatte man einmal den Schalter umgelegt und sich mit der neuen „Norma“ arrangiert, dann konnte man Musik und Gesang auf allerhöchstem Niveau und vor allem die schauspielerischen Leistungen genießen. Das leidgewohnte Opernpublikum kann das!

Norma kämpft. Gegen ihr Gewissen, das sie bedrückt. Sie hat den Eid der ewigen Jungfräulichkeit gebrochen und sich ausgerechnet in den Besatzerchef Pollione (Freddie de Tommaso) verliebt und mit ihm zwei Kinder, die sie (wie soll da gehen?) vor der Welt geheim halten muss. Die Spannung wird unerträglich, als sie von Adalgisa ( Aigu Akhmetshina), ihrer engen Vertrauten und ebenfalls Dienerin der Mondgöttin, erfährt, dass diese mit Pollione nach Rom abhauen will. Nun ist Asmik Gregorian in ihrem Element! Es dauert, bis sie in Betriebstemperatur aufläuft. Dann aber kocht sie auf – mit einer Stimme, die es wagt, weit über den Schöngesang hinauszuschreien – ihren Hass auf Pollione, ihre Enttäuschung über den doppelten Betrug. Das sind Szenen einer klassischen Dreiecksgeschichte. Banal, aber wuchtig. Da rast und kämpft eine zutiefst verletzte Frau um die Liebe eines Mannes, der all diesen Aufruhr, Zorn, Rachegefühle eigentlich gar nicht verdient. Als die Leidenschaft der ersten Zeit sich gelegt hatte, buhlte er erfolgreich um eine Jüngere. Das macht Norma zu einer Furie, die streitet, zürnt wie in einer französische Dreiecksgeschichte. Dazu kontrastiert der sanfte Mezzosopran von Adalgisa, die ehrlich bereut. Und Pollione – er hat seinen Donnertenor, mit dem er zu Beginn beeindruckte, verloren. Ist hilflos. Logisch ist deshalb auch der Schluss: Statt dass Pollione stirbt und Norma den Tod im Feuer sucht, zerrt er sie aus den Flammen heraus und sie sinken sich nach dem dramatischen Streit erschöpft in die Arme. Dass das Publikum vor Begeisterung tobte, war klar. Denn wann schon erlebte man auf der Opernbühne eine so dichte Geschichte, in der die Gottesdienerin zur Furie wird! Asmik Gregorian kann das perfekt. Ihre Stimme ist das Instrument, das all diese Gefühle ausdrückt. Dass sie und Adalgisa diesen fiesen Pollione lieben, ist nicht wrklich einzusehen. Freddie de Tommaso hat das richtige Stimmvolumen eines Tenors, um den Macho herauszukehren, aber auch die Fähigkeit, klein und erbärmlich zu wirken. Aigul Akhmetshina bezaubert mit ihrem sanften Mezzo. Zu dem Erfolgstrio passt auch der timmgewaltige Schönberg Chor. Francesco Lanzilotta dirigierte die Wiener Symphoniker mit viel Gefühl für das Belcanto.

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Volksoper Wien: Musical Anatevka (Fiddler on the Roof)

Buch: Joseph Stein, Musik: Jerry Bock, Gesangstexte: Sheldon Hamick. Foto: Cornelius Obonya als Tevje, der Milchmann

Gesehen wurde die 103. Vorstellung seit der Wiederaufnahme Februar 2023. Leider ist es aber dann bald vorbei – nur einige wenige Abende sind noch vorgesehen. Dass jede Vorstellung bisher ausverkauft war, spricht für die Qualität dieses außergewöhnlichen Musicals und für den Geschmack des Publikums. Denn es weiß offensichtlich dieses von jeglichem Regiewahn unberührte Theater zu schätzen. Ganz zu schweigen von der mitreißenden Musik und dem exzellenten Ensemble. Wenn dann noch ein so bekannter Schauspieler wie Cornelius Obonya den Tevje spielt, singt und tanzt, dann ist es für viele ein Grund, das Musical ein zweites, vielleicht sogar ein drittes Mal zu sehen. Denn „Anatevka“ berührt und geht in die Seele. Da braucht es keine rigiden Parallelverweise auf die Gegenwart. Die ergeben sich ganz selbstverständlich.

Anatevka ist eines der vielen jüdischen Stetls im weiten Russland. Man pflegt die Tradition, ist mit humorvoller Distanz gläubig. Und so manch einer träumt davon, reich zu werden., ganz besonders Tevje, der Milchmann. Hat er doch fünf Töchter, drei davon im heiratsfähigen Alter. Die Tradition will es, dass die Ehen von der Heiratsvermittlerin Jente (humorvoll Martina Dorak) gestiftet und vom Vater abgesegnet werden müssen. Das ist so Tradition. Doch alle drei suchen sich ihren Bräutigam selbst aus, und Tevje muss klein beigeben. Vaterliebe siegt über Tradition. Cornelius Obonya ist rein körperlich ein anderer Tevje als Dominique Horwitz Letzterer war ein schmächtiger Milchmann, der an seinen vollen Milchkannen schwer schleppte, mit dem man mitlitt (s. unten Link zur Kritik vom 16. Oktober 2023). Obonya ist ein „gtandener“, von sich selbst sehr überzeugter Ehemann und Vater, der mit Gott ganz schön selbstsicher verhandelt. Dadurch bekommt das Stück einen etwas anderen Charakter – die humorvollen Szenen werden kräftiger, überdecken die zarten, leisen Töne, wie sie Domnique Horwitz der Rolle angedeihen ließ.. Insgesamt wirken alle Bewohner robuster, auch als sie ihre Heimat verlassen müssen. Sie sind gewappnet, sie machen Pläne. Es ist in ihre Wesenheit eingeschrieben, dass sie immer wieder weiterzeihen müssen. Deshalb fügen sie sich.

In den ärmlichen Häusern entlang der Dorfstraße, die ins Nichts führt, leben sie ein bescheidenesLeben, lachen, streiten, feiern. Bühnenbild (Matthias Fischer – Dieskau) und Regie (Matthias Davids) sind Gott seii Dank unverändert. Auch das Ensemble.ist bis auf einige kleine Änderungen gleich geblieben. Chor, Ensemble und die großartigen Tänzer des Wiener Staatsballetts sind eine unzerstörbare Einheit. Die Stimmen sind durchwegs sehr gut. Neu ist der Dirigent Lorenz C. Aichner, der das Orchester der Wiener Staatsoper mit viel Gespür für humorvolle, aber auch leise Töne lenkt. Insgesamt eine Aufführung, die ihre Qualität noch viele Jahre halten wird und hoffentlich irgendwann wieder zu sehen sein wird.

Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus.

http://www.volksoper.at und

http://www.silviamatras-reisen.at/volksoper-wien-anatevka-fiddler-on-the-roof/ Meine Kritik vom 16. Oktober 2023

Clara Arnaud, Im Tal der Bärin. Roman im Kunstmann Verlag

Aus dem Französichen von Sophie Beese

Nach vielen Auslandsaufenthalten ließ sich Clara Arnaud in Conserans, einer Region in den Pyrenäen, nieder, wo sie den größten Teil des Jahres lebt.

Das Buch „Im Tal der Bärin“ ist ihr Erstlingswerk, dessen Hauptfigur eine Bärin ist. Gemeint ist aber der Bär als Gesamtbegriff für das Tier an sich. Denn in einer Art Semidokumentation, angereichert mit Fakten rund um das Tier, das einst – und jetzt wieder- die Wälder und Abhänge der REgion beherrschte, verflicht die Autorin die Schicksale der Bewohner der Region mit dem Schicksal einer einzelnen Bärin. Eingerahmt wird die Erzählung vom Schicksal des zehnjährigen Jules Piquemal, der in den Jahren um 1870 ein weibliches Bärenkind direkt aus der Höhle entführt und bei sich aufgezogen hatte. Am Ende des Romans wird Jules als versoffener und herabgekommener Bärenführer in einem New Yorker Hinterhof von eben dieser Bärin getötet. Zu lange hat sie das Martyrium der Dressur erlitten, Schmerzen hingenommen und für ihn getanzt. 1902 findet man seine zerfetzte Leiche, und die Bärin wird von Parkwächtern erschossen.

Diese Rahmenhandlung, halb Fiktion, halb Realität, dient der Autorin gleichsam als Argumentationsgrundlage, als Beweis für die Grundaussage des Romans: Der Mensch findet keinen ehrlichen und respektvollen Umgang mit der Natur, in diesem Fall mit den Bären, die in dieser Region immer schon gejagt wurden. In einem klug differenzierten Personenrepertoir zeigt sie verschiedene Sicht- und Handlungsweisen der Bewohner, ihre Gründe auf, warum sie so und nicht anders handeln wollen/können. Im Grunde geht es um das alte Dilemma und die schwer zu beantwortende Frage: Wieviel wilde, ungezähmte Natur darf bleiben, ab wann gefährden sich Mensch und Tier, in allzu intimer Nähe lebend, gegenseitig?. Wer darf angreifen, töten, wer muss sich zurückziehen?

Anna studiert das Leben der wildlebenen Tiere in diversen Regionen der Welt. Nun ist sie beauftragt worden, die Bärin zu beobachten, die in dieser Region den Schafen ans Fell geht. Ihr Forchungsauftrag heißt dokumentieren, nicht eingreifen. Gaspard ist aus der Stadt geflohen, weil er will, dass seine Kinder in freier Natur aufwachsen. Er lernt das schwere und oft gefährliche Handwerk des Schafhüters vom alten Marco, der ihm nicht nur seine Herde anvertraut, sondern ihn auch in die Gefahren und Schönheiten dieser Arbeit einweiht. Ausführlich, manchmal zu ausführlich und repetitiv schildert Clara Arnaud die Faszination dieser (noch wilden) Natur der Wälder, Almen und Berge. Als der Regen ausbleibt, die Weiden in der Mittellage austrocknen und Schafe und Hirte auf die Hochweiden ausweichen müssen, kommt es zum Showdown. Die Natur in der Gestalt der Bärin rächt sich, Anna sucht einen Ausgleich zwischen Tier und Mensch, doch vergeblich…

Clara Arnaud schildert das Leben der Dorfbewohner und der Hirten mit großer Sachkenntnis, so dass man manchmal den Eindruck gewinnt, ein Sachbuch zu lesen. Klar und deutlich steht am Ende die Ausweglosigkeit der Situation vor Augen: Wo haben die Bären noch ein sicheres Rückzugsgebiet? Bis wohin dürfen Menschen Natur und Terrain für sich beanspruchen? Gibt es eine „rote Linie“? Fragen, die heute überall in der Welt gestellt werden. Wie werden sie beantwortet werden?

http://www.kunstmann.de