Staatsoper Wien: John Neumeier – Die Kameliendame. Ballett

Nach dem Roan von Alexandre Dumas d.J. „La dame aux camélias“.

Musik Fréderic Chopin. Choreographie, Inszenierung und Lichtkonzept: John Neumeier. Bühne und Kostüme: Jürgen Rose. Musikalische Leitung: Markus Lehtinen. Klavier: Michael Bialk, Igor Zapravdin

Ein Abschiedsgeschenk von John Neumeier? Hoffentlich nicht. Denn wie man erfährt, verlässt er zwar „seine“ Compagnie in Hamburg, gründet aber ein neues Ballettfestival in Baden-Baden. Alle hoffen, dass er mit neuen Choreographien auch weiterhin die Wiener Ballettfans beglückt.

Alle Fotos: Ashley Taylor. Bild links: Marguerite und Armand + Ensemble, Mitte: Armand. rechta: Marguerite und Armand

Denn beglückend ist es immer, wenn der Grandseigneur des Handlungsballetts eine seiner Arbeiten in Wien zeigt. Beglückend ist es dann noch mehr, wenn die beiden Protagonisten Olga Esina und Brendan Saye heißen!

Olga Esina verkörpert in jeder Phase, mit Blicken und Gesten – nur ihre Hände allein erzählen viel von der Geschichte – Marguerite Gautier. Als begehrte Lebedame der Gesellschaft wirkt sie ebens überzeugend wie als erst zögerliche, kokekette Schöne, die sich von Armand Duval gerne umschmeicheln lässt. Doch dann schmilzt die Koketterie und sie begreift, wie sehr sie diesen zunächst schüchternen, leicht tölpelhaft wirkenden jungen Mann zu lieben beginnt. Höhepunkte des Balletts sind derer beiden Szenen, zunächst in ihrem Privatgemach – ein Rausch des gegenseitigen Erkennens, dann der Tanz der beiden mitten in der heiteren Gesellschaft auf dem Lande. Ihr Lieberausch ist von einer Intensität, die einem den Atem nimmt. Saye ist Armand, wie man sich ihn voestellt: dynamisch und zärtlich zugleich, von beieindruckender Sprungkraft und seine Hebefiguren wirken, als würde mit einer Feder tanzen – was Olga Esina ja offensichtlich ist. Als er erkennt, dass Marguerite ihn verlassen hat, wirkt sein Solo wie eine Explosion der Wut und Enttäuschung.

Großartig sind auch alle anderen Figuren rund um das Liebespaar: Als Monsieur Duval, Armands Vater überzeugt Marcos Menha. Diese Rolle birgt große Schwierigkeiten – wie tanzt man einen steifen Menschen ohne Gefühle. Als er von Marguerite den Verzicht auf Armand fordert, ist distanziert und kalt. Doch selbst er, der kalt Überlegende, wird von Marguerites tiefer Trauer erschüttert. Verweigert er ihr bei der Begrüßung den Handkuss, so beugt er sich am Ende voller Respekt über ihre Hand. Immer wieder bewundert man die Personencharakterisierung von John Neumeier. Mit wie wenigen Gesten es ihm gelingt, den Charakter tänzerisch herauszuarbeiten. „Tanz ist die lebendige Gestalt von Emotionen“ (Zitat aus Programmheft) ist sein Credo!

Tänzerisch herausragend sind auch die Figuren des „Balletts im Ballett“: Wie Mahnungen an ihr zukünftiges Schicksal tauchen Manon Lescaut (bekannt aus den Opern von Puccini und Massenet) und Des Grieux vor dem geistigen Auge Marguerites auf. Das Pas de deux als Spiegelbild des eigenen Lebens tanzen Kiyoka Hashimoto und Masayu Kimoto.

Konsequent bleibt Neumeier in der Zeit, wenn er von Jürgen Rose in die Periode des ausgehenden 19. Jahrhunderts passende Kostüme und ein dezentes Bühnenbild einfordert.

Ideal gebettet und geleitet ist das Ballettensemble in der Musik von Chopin – sensibel von Markus Lehtinen dirigiert und von den Pianisten Bialk und Zapravdin congenial gespielt.

Langer und begeisterter Applaus, standing ovations.

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„Die Kameliendame“ ist noch am 22. April und 4. Mai 2024 mit Esina und Saye, am 27. April mit Bottaro und Dato, am 1. Mai mit Papava und Afshar zu sehen.

Festspielhaus St. Pölten: Fouad Boussouf: „Fêu“

Choreographie: Fouad Boussouf. Musik: Francois Caffenne, Kostüme:Gwladys Duthil

Tanz: Serena Bottett, Filippa Correia Lescuyer, Lea Deschaintres, Rose Edjaga, Lola Lefevre, Fiona Pitz, Charlène Pons, Manon Prapotnich, Valentina Rigo, Justine Tourillon

Genau 55 Minuten laufen zehn Frauen in einem abgesteckten Kreis, den sie nie verlassen werden. Mal nach vorne, mal rückwärts, mal bricht eine aus und tanzt in der Mitte. Alle haben Haare bis zu den Schulterblättern oder länger. Diese müssen sie nämlich immer über die Schulter werfen und dabei den Kopf aus dem Hals heraus drehen.

Nachdem ich begriffen hatte, dass dieser Lauf zum Dauerlauf wird, beginnen meine Gedanken zu kreisen (passend zum Kreis-Lauf auf der Bühne). Was könnte der Choreograph damit bezwecken? Und vor meinem Inneren tauchen Bilder von Kreistänzen auf, wie ich sie selbst erlebt hatte: Vielleicht, so kombinierte ich, war Boussouf ebenso stark beeindruckt wie ich von den Trancetanz auf Bali, dem Kecak. Da sitzen Männer in kurzen schwarz-weißkarierten Röcken im Kreis und bewegen ihre Oberkörper vor und zurück nach einem ähnlichen Herzschlagrhythmus wie der auf der Bühne. Das tun sie so lange, bis einer nach dem anderen in Trance verfällt. Aus der sie dann von einem Priester zurückgeholt werden. Aber auf der Bühne gibt es keinen Hinweis auf ein religiöses Ritual. Dann erinnere ich mich an die Trancetänze der Frauen im Salento (Süditalien). Wenn sie während der Ernte von einer Tarantel gestochen werden, müssen sie nach einer Musik tanzen, die den Herzschlag ähnelt. Sie tanzen so lange, bis sie in Trance fallen, dabei werfen sie ähnlich wie die Frauen auf der Bühne, einem Veitstanz ählich, ihre Haare zurück und drehen den Kopf wild im Kreis, Dieses Ritual kann ein bis zwei Tage dauern. Danach fallen die Frauen in einen tiefen Schlaf und sind vom Spinnenstich geheilt. Musik und Tanz als reinigendes Ritual – ob Boussouff wohl solches im Sinne hatte? Oder ich erinnere mich an Frauen auf der Insel Lesbos, die sich bei Vollmond im Olivenhain treffen und zu Liedern der berühmten Dichterin Sappho im Kreis tanzen. Männer müssen fernbleiben! Oder aber, um den Titel „feu“ zu interpretieren – viellicht dachte er an die Hexenverbrennungen. Das Schlussbild sah von der Ferne aus wie ein Fanal, eine brennende Mahnung.

Oder aber, meinte jemand nach der Aufführung, es war einfach nur ein Lauf der Befreiung – ganz ohne Bedeutung. So wie Kinder im Kreis tanzen. Manchmal tanzt eine in die Mitte und alle klatschen. Der Applaus galt den Tänzerinnen, die eine ausgezeichnete Kondition bewiesen.

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Festspielhaus St.Pölten: Ballett am Rhein: Drei Meister, drei Werke. Und das Tonkünstlerorchester

Balanchine: Rubies, Hans van Manen: Visions Fugitives, William Forsythe: Enemy in the Figure

„Drei Meister, drei Werke“ führten durch die Ballettentwicklung des 20. Jahrhunderts. GEORG BALANCHINE präsentierte mit „Rubies“ eine heitere, revueartige Show. Zur stark rhythmischen Musik von Strawinskys „Capriccio für Klavier und Orchester“ – Christoph Stöcker dirigierte das Tonkünstler mit Verve und Glamour – entwickelte sich eine Szenerie, die im Moulin Rouge oder am Broadway hingepasst hätte: In roten Glitzerkostümen (Karinka) hatten die Tänzer und Tänzerinnen sichtlich Spaß an der quirligen Choreographie, in der Balanchine das klassische, russische Ballett mit neuen Tanzschritten mischte. Vor allem fielen die Arm- und Handbewegungen auf, die an den lndischen Tempeltanz erinnerten(Titelfoto).

HANS VAN MANEN: „VISIONS fUGITIVES“

©Roman Novitzky

In den am Körper anliegenden Kostümen (Keso Dekker) erinnerten die Tänzer und Tänzerinnen an Glasfiguren aus Merano. Zur Musik von Sergei Prokowjew: „Visions Fugitives“, von Gerald Stöcker fast medidativ dirigiert, entwickelte Hans von Manen Figuren, die extrem fordernd sind, weil sie langsam und von innen kommend getanzt werden müssen. Das erfordert äußerste Aufmerksamkeit auf die kleinste Bewegung. Dazwischen streut Manen auch sehr heitere Pas de deux zwischen Mann und Frau, ungewöhnliche Dreierbeziehungen, die kaum entstanden, sofort wieder zerbrechen. Spannung pur!

WILLIAM FORSYTHE: „ENEMY IN THE FIGURE“

Zur Musik von Thom Williams (Zuspielung) jagt Forsythe, der auch das Bühnbild und die Kostüme entwarf, sein Ensemble im Wahnsinnstempo durch den Raum. Immer wieder knallen sie an die umstehenden Wände und krallen sich fest. Hektik, Verzweiflung oder unlösbares Geheimnis? In einigen Szenen scheinen die Tänzer in einem psychiatrischen Raum zu agieren, verfolgt von einem Scheinwerfer. Um sich in Sicherheit zu wähnen, retten sie sich für Momente hinter einer vorgewölbten Hinterwand. „Enemy“ gilt als Forsythes innovativstes, zugleich aber rätselhaftestes Stück.

Foto: Roman Novitzky

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Staatsoper: Matinee – Ballett „Die Kameliendame“ – John Neumeier, Olga Esina und Brendan Saye

Wenn John Neumeier eine neues Stück präsentiert, dann ist die Ballettwelt elektrisiert. Bei der Matinee am 18. März durfte das Publikum staunend und total gebannt miterleben, wie John Neumeier eine Schlüsselszene aus der „Kameliendame“ erarbeitet. Als Marguerite traten Olga Esina und als Armand Brendan Saye auf. Ihnen war nur wenig Platz vergönnt, gerade nur ein schmaler Streifen vor dem Vorhang, was die Probe erschwerte.

Olga Esina und Brendan Saye sind nicht nur Publikumslieblinge, wie man so leicht dahinschreibt, sondern beide Spitzentänzer der ersten Liga. Sie schaffen das umzusetzen, was John Neumeier mit den Worten „aus dem Herzen heraus muss die Bewegung kommen“ meint. Geprobt wurde die Szene im Schalfzimmer Margueritas. Sie hat sich zurückgezogen von der lärmenden Gesellschaft, fühlt sich schwach, hustet etwas. Armand dringt unaufgefordert in ihr Zimmer ein, überrascht sie. Zunächst weist sie ihn brüsk ab. Neumeier führt die beiden Tänzer sensibel und zugleich intensiv durch diese Szene, bis sie authentisch und packend wirkt.

Es war einer der ganz großen Momente, die Ballettbegeisterte an diesem Vormittag erleben durften: Wie intensiv John Neumeier an der kleinsten Geste arbeitet, sie verbal erklärt und so lange probt, bis aus Esina und Bryan Marguerite und Armand wurden, die gerade ihre Liebe zueinander entdecken. Das Publikum war atemlos und brach in begeisteren Applaus aus. Leider werden Olga Esina und Brendan Saye nicht die Premiere tanzen. Aber am 26. März (leider schon total ausverkauft), am 17. und am 22. April wird dieses Traumpaar wieder zu erleben sein.

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Festspielhaus St. Pölten: AILEY II

The next generation of dance

Gründer: Alvin Alley. Künstlerische Leitung: Francesca Harper. Das Ensemble: Andrew Bryant, Spencer Everett, Jaryd Farcon, Maya Finman-Palmer, Patrick Gamble, Alfred L. Jordan II, Kiri Moore, Corinth Moulterie, Kali Marie Oliver, Tamia Strickland, Kayla Mei-Wan Thomas, Maggy van den Heuvel.

Das „Alvin Alley American Dance Theater“ wurde 2008 zum „lebendigen amerikanischen Kulturbotschafter in der Welt“ ernannt, weil es „die Einzigartigkeit der afroamerikanischen kulturellen Erfahrung erhalte und die Bewahrung und Bereicherung des amerikanischen modernen Tanzerbes feiere“ (Zitat laut Programmheft). Präsident Barack Obama verlieh Alvin Alley 2014 posthum den „Presidential Medal of Freedom“ in Anerkennung seines Engagements für die Bürgerrechte und den Tanz in Amerika. Die Lebensgeschichte Alvin Alleys (1931-1989) ist geprägt von der Zweiklassengesellschaft der 1940er Jahre. Er wollte schon sehr früh die „black culture“ erforschen. In der Modern Dance School of Laster Horton, die auch für People of Colour offen war, erhielt er seine Tanzausbildung. Nach dessen Tod übernahm er die Leitung der Schule und gründete bald eine eigene Gruppe mit einem ganz eigenen Tanzstil. der einen Kontrapunkt zur Tanzszene der Weißen setzte. Seine AAADT genannte Gruppe feierte bald in der ganzen Welt Erfolge. Aus der Kenntnis heraus, dass der Tanz intenational ist, öffnete er später seine Compagnie für alle Nationen und Farben. 1969 gründete er die Alley School und 1974 Alley II, „The Next Generation of Dance“, die nach Alleys Tod 1989 von Francesca Harper geleitet wird.

Es begann mit „Freedom Series“, einer Choreographie von Francesca Harper aus dem Jahre 2021. Das Ensemble – 12 Tänzerinnen und Tänzer – in dunklen Kostümen (Elias Gurrois) vor einer schwarzen Wand tanzte mit Lichtkugeln und schuf so magische Momente. Die Musik von verschiedenen, nicht genannten Komponisten, peitschte sie in Rasanz zu einem Art „Urtanz“, wobei man die unglaublichen Bewegungsformen, die von Gummimenschen stammen könnten, bestaunte. Man versank in Licht, Musik und Tanz. Es waren mystische Moment.

Es folgte „The lark ascending“, Auszug einer Choreographie von Alvin Alley aus 1972. Nach dem Urtanz ein Art von Frühlings- und Liebestanz, komponiert von Ralph Vaughan Williams. Zu Beginn feierte Kali Marie Oliver den Frühling als Fest des Lebens (s. Foto)“. Der pas de deux von Kali Marie Oliver und Andrew Bryant war eine Offenbarung an Zärtlichkeit.

„The Hunt“, ein Choreographie von Robert Battle aus dem 2001. Es war die Bronx, wie man sie aus der „Westside Story“ kennt- nur wilder. Vier Rasende kämpften gegeneinander und formierten sich in Gruppen doch wieder zusammen. Es waren die Spiele der Straße, die sich die Jugend eroberte. „The Tambours du Bronx“ hämmerten auf die Gruppe ein. Interessant war, dass es drei Frauen und ein Mann waren. die in wilder Raserie atemlos über die Bühne tanzten.

Den krönenden Abschluss bildete die legendäre Choreographie Alleys aus 1960: „Revelations“ Ausstattung und Kostüme stammten von Ves Harper für „Rocka my soul“. Eine Szenerie jagte die andere, den Beginn machte eine Gruppe, die Gebete tanzte und sich zu Gruppen formierte, die an Rodins Skulpturen erinnerten. Wunderbare Soli lösten einander ab. Den Schluss bildete das ganze Ensemble: Frauen in hellen, langen eleganten Kleidern, die an die Mode der Südstaaten erinnerten. Mit breiten Hüten und Fächern ertanzten sie ihre Freiheit, Unabhängigkeit. Jetzt haben wir das Sagen! Männer durften assistieren! Ein großer Spaß zu „Rocka my soul“. Das Publikum ging begeistert mit, tanzte fast in den Sesseln und klatschte den Takt. Ein wahres Fest!!

Applaus und große Begeisterung!!!

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Wiener Staatsoper: Ballett:“shifting symmetries“

Drei Choreographien: „Concertante“ – Hans van Manen. „In the Middle. Somewhat Elevated“ – Wiliam Forsythe. „Brahms-Schoenberg Quartet “ -George Balanchine

Titelfoto: Concertante, GWielick, ALiashenko © Ashley Taylor

„Shiftng symmetries“- „Verschobene Symmetrien“ wurde als Überbegriff für die drei Ballettchoreografien gewählt. Van Manen, Forsythe und Balanchine sind drei Choreographen, die die Entwicklung des Balletts im 20. Jahrhundert wesentlich prägten.

„Concertante“ – Musik von Frank Martin, zeigt die Choreographie van Manens in konzentrierter Form. Vor schwarzem Bühnenhintergrund bewegen sich die Tänzer zum starken Rhythmus von Frank Martin in großen, raumgreifenden Bewegungen, immer im Blickkontakt zueinaner. aber in Konfrontation der Geschlechter. Vier Paare, die einander in verschiedenen Stadien von Zu- und Abneigung begegnen. Auffallend sind die fordernden Figuren der jeweiligen Pas de deux – Paare zu der starken Musik!! Die interessanten Kostüme (Keso Dekker) erwecken den Eindruck, die Tänzer treten nur in Körperbemalung auf.

In the middle, somewhat elevated“. Elektronische Musik von Tom Willems. William Forsythe zeichnet für Choreographie, Bühne, Licht, Kostüme. Mit dieser Choreographie hat Forsythe gewaltig die Welt des Tanzes verändert.

Die vergoldeten Kirschen, die kaum als solche erkennbar von der Decke hängen, haben keine symbolische Bedeutung – sie waren eine Verlegenheitslösung. Gleichsam die Ironie pur auf jegliches Bühnenbild. Denn nichts sollte vom Tanz ablenken. Es beginnt in völliger Finsternis, plötzlich heftige Donnerschläge, ein Blitz erleuchtet die in grüne, körpernahe Kostüme gekleideten Tänzer und Tänzerinnen. Mit Wucht schlägt die Musik auf Tänzer und Publikum ein – der Boden unter den Füßen erbebt bei jedem Schlag. Da drehen sich keine zarten Elfen und Geister, sondern wuchtige Maschinenmenschen. kraftgesteuert durch die Hammerschläge der Musik. Zwei bis drei Grundbewegungen bestimmen im ersten Drittel das Geschehen. Dann explodieren Paare in spannungsgeladenen Figuren, auffallend anders Davide Dato, den man bisher eher klassisch kannte. Atemlos – das ist wohl der treffende Ausdruck – sieht das Publikum die geballte Gewalt des Tanzes.

„Brahms-Schoenberg Quartet“ (Arnnold Schönberg bearbeitete das Klavierquartett Nr.1 von Johannes Brahms für Orchester)

Einen größeren Gegensatz zu Forsythe gibt es kaum. Man kann es nicht fassen! Da tanzen Ballerinen im eleganten, weißen Tüllröckchen und die Prinzen dazu natürlich im silbrig weißen Wams. Auffallend sexy ist übrigens das Kostüm von Davide Dato, der die Hauptpartie tanzt (Kostüme: Vera Richter). Die Szenerie spielt, wie es sich für ein romantisches Ballett à la Russe gehört, vor einer Schlosskulisse. Allerdings ähnelt es einem Gruselschloss: Schwarze, leere Fensterhöhlen, die Mauern grau-schwarz. Aber dennoch glaubt man sich im „Nussknacker“ oder „Schwanensee“. Man sieht alle beliebten Ballettfiguren, Sprünge, Hebefiguren – halt das ganze klassische Repertoire. Ein Teil des Publikums scheint ganz verzückt danach gewesen zu sein und dankt mit standing ovations. Ein anderer Teil war ein wenig verwirrt – nach Forsythe diese Tüll- und Romantikchoreographie!? Natürlich war es die Absicht Martin Schläpfers, den Bogen von der russischen Klassik bis in die krasse Moderne zu zeigen. Aber nach Forsythe Balanchine – mir erschien das ein wenig unfair. Es war auf jeden Fall ein Abend, an dem der Ballettdirektor die großartige leistung des Wiener Ballettensembles demonstrieren konnte. Das Publikum dankte ihm sehr dafür. Sonderapplaus bekam auch der Dirigient Mattew Rowe, der sehr einfühlend die Tänzer durch die Musik von Martin und Brahms lenkte.

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Wiener Staatsballett an der Volksoper: „the moon wears a white shirt“ Drei Choreographien

Titelfoto: „Ligeti essays“ Ensemble

Drittes Klavierkonzert von Alfred Schnittke, Choreographie Martin Schläpfer. Musikalische Leitung aller drei Werke: Christoph Altstaedt

©Ashley Taylor. Mila Schmitt und Gabriele Aime

Fast könnte man sagen: Eine typische Schläpferchoreographie. Es sind die vertrauten Bewegungen mit neuer Musik und neuem Kontext: Mila Schmitt tanzt, wenn man so will, eine Frau auf der Suche nach Beziehungen, Begegnungen. Sie ist eine sensible Sucherin, tanzt wie eine Feder durch den Raum, schwerelos. Begegnungen können harmonisch sein, aber auch unerträglich – so steigt sie auf den Rücken ihres Partners, vorsichtig, aber besitzergreifend und stülpt ihm dann einen schwarzen Schleier über. Völlige Vereinnahmung? Alles ist nach vielen Richtungen deutbar: Kampf der Geschlechter, Annäherung, Abstoßung. Wundervoll getanzt von Mila Schmitt und Gabriele Aime und dem Ensemble der Volksoper.

Musik György Ligeti: „ligeti essays“. Choreographie: Karole Armitage. Gesang: Stephanie Maitland, Annelie Sophie Müller, Birgid Steinberger

©Ashley Taylor: ligeti essays. Ballettensemble Volksoper

Temperatur und Temperamentänderung nach der Pause. Karole Armitage ist eine aufmüpfige Choreographin, sie nennt sich auch gerne „Punkballerina“. Ihr Credo: Tanz in allen möglichen Erscheinungsformen. Eleganz ist gestern, Muskel und durchtrainierter Körper sind gefragt. Die Musikauswahl passt zu dieser temeramentvollen Lady: Ligeti vertonte ungarische Lieder, die ziemlich nach Da-Da klingen – der Text ist in deutscher Übersetzung im Programmheft nachzulesen. Lieder mit Pfeifen, Trommen und Schilfgeigen. Eines der Lieder ist nicht übersetzbar, andere beginnen etwa so: Kuli Stock schlägt Kuli geht geht etc. Der Anfang eines dieser Lieder lieferte auch den Titel des Ballettabends: Es tanzt der Mond im weißen Hemd. Stephanie Maitland, Annelie Sophie Müller und Birgit Steinberger sangen die Lieder im ungarischen Original, was noch einmal mehr zum Humor und Witz dieser Choreographie beitrug. Es tanzten mit Verve und Körpereinsatz, Witz und Humor: Tessa Magda,Olivia Poropat, Una Zubovic,Riccardo Franchi, Aleksandar Orlic, Francesco Scandroglio, Felipe Vieira. Schlagzeug und Blasinstrumente diversester Ausformungen kamen voll zum Einsatz. Fazit: Ligeti und Armitage sind eine congeniale Kombination!

„dandelion wine“ – Musik: Concerto für Violine und Orchester von Pietro Locatelli, Choreograpie: Paul Taylor.

©Ashley Taylor: Ballettensemble Volksoper

Mit der Übersetzung des Titels „Löwenzahnwein“ ist das Thema dieser Choreographie schon klar: Es geht um Frühling – daher die Kostüme von Santo Loquasto in Pastellfarben, der Hintergrund im strahlenen Blau. Die Tänzer werden zu Kinder, die spielerisch den Frühling begrüßen: Reigentanz, angedeuteter Cancan, alles frei und unbeschwert. Dazu geigt Vesna Stankovic virtuos auf. Der Gegensatz zur seelenschweren Choreographie Schläpfers ist sicher beabsichtigt.

Das Publikum bedankte sich nach jedem Stück mit begeistertem Applaus bei dem Tanzensemble, dem Dirigenten Christoph Altstaedt, Gesangsolisten und den Solisten des Orchesters. Ein gelungener Abend!

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Wiener Staatsoper: Ballett „Don Quixote“

Choreographie und Inszenierung: Rudolf Nurejew nach Marius Petipa.

Musikalische Leitung: Robert Reimer. Musik: Ludwig Minkus in der Bearbeitung von John Lanchbery

Foto: Liudmila Konovalova und Davide Dato als Kitri und Basil

Ein Abend der höchsten Perfektion. Man spürt und sieht immer noch Nurejews kritischen Blick und seine hohen Anforderungen an das gesamte Ensemble.

Was zu entdecken ist: Nurejew hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor, den er gekonnt in Gesten und Figuren umzusetzen wusste und der vor allem sich in den Figuren Don Quixotes und Sancho Pansas manifestiert. Schon im Prolog in Don Quixotes Haus erfährt man: Dieser Don Quixote ist ein Träumer, der an der Realität vorbeilebt, aber dabei recht gut lebt. Er ruht in sich und seinen Träumen, auch wenn er von allen herumgestoßen und belächelt wird. Zsolt Török ist ein liebenswerter alter Don Quixote, der sich nach Jugend und Schönheit sehnt. Grandios die Traumszene, in der die Königin der Dryaden ihn iin ihr Reich einführt. Da schwebt Olga Esina, eingehüllt in weiße Schleier, wie ein überirdisches Wesen über die Bühne. Am Rande steht der Ritter und mit einer kleinen Geste drückt er seine Sehnsucht aus. Schon allein diese kaum fünf Minuten lange Szene ist es wert, das Ballett anzusehen. Die Dryaden und Kitri (Liudmila Konovalova) in der Figur der Dulcinea umtanzen ihn, ihm bleibt nur, seine Hände nach dem Unerreichbaren, seinem Ideal, auszustrecken. Er ist es, der das Ewiggleiche der perfekt getanzten Figuren und Sprünge lebendig werden lässt. Sein drolliger Begleiter ist Sancho Pansa, hervorragend getanzt von Francois- Eloi Lavignac.

Die Haupthandlung wird allerdings nicht von Don Quixote getragen, sondern von dem Liebespaar Kitri (Liudmila Konovalova)und Basil (Davide Dato). Vor allem Davide Dato muss das schwere, fast unerreichbare Erbe von Nurejew stemmen. Denn er wird an der Sprungkraft und Ausstrahlung dieses Tanzgenies gemessen. Er macht seine Sache gut, perfekt. Gemeinsam mit Liudmila Konovalova meistert er all die Sprünge und Figuren, für die Nurejew berühmt war, glänzt im Solo und im Pas de deux. Beide gehen an die Grenze der Leistungsfähigkeit, strahlend in ihrer Perfektion. Und das ist genau die Crux dieses Abends: Perfektion kann sich abnützen, wird als gegeben vorausgesetzt, Kommt da nicht das gewisse Quentchen an Faszination hinzu, wird es schnell langweilig. So sieht man leicht gelangweilt bei den einzelnen Gruppentänzen, Paartänzen und Soli zu – alles gut einstudiert, allein der Spannungsbogen hängt bald durch. Wäre da nicht die Musik von Minkus – perfekt von Robert Reimer dirigiert. Er betont den Humor und die Ironie, die in dieser Musik stecken- und zaubert so manches Lächeln im Publikum hervor.

Begeisterter und verdienter Applaus für das ganze Ensemble, Blumen für Konovalova und Dato!

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Christoph Willibald Gluck, Orphée et Eurydice. Ballett-Oper von John Neumeier.

John Neumeier: Regie, Choreografie, Bühne, Kostüme und Licht. Kazuki Yamada: Musikalische Leitung.

Hamburg Ballett John Neumeier.Bachchor Salzburg unter der Leitung von Benjamin Hartmann

Maxim Mironov: Orphée, Andriana Chuchman: Eurydice, Lucía Martín – Cartón: L´Amour

Es war ein atemberaubender Abend! John Neumeier, der Grandseigneur des Balletts, übertraf sich selbst und schuf ein in der Ballettgeschichte völlig neues Genre: Die Ballett-Oper. Waren seit der Barockzeit Balletteinlagen das Beiwerk zur Oper, so dreht Neumeier die Wertung um: Die Ballettszenen beherrschten die Szene, die Arien waren die gesanglichen Glanzpunkte.

Wenn John Neumeier einen Ballettabend choreographiert, dann wird es immer ein Meisterwerk, weil er alles, alles, wirklich alles selbst kreiert: Bühnenbild, Licht, Kostüme und Tanz. Man spürt und sieht bis ins kleinste Detail seine geniale Handschrift. Nur so kann das so genannte „Gesamtkunstwerk“ entstehen.

Um dem Mythos von „Orpheus und Eurydike“ zu aktualisieren, wird aus Orpheus ein Ballettmeister. Man probt Szenen zu einem Ballett nach dem Gemälde des Malers Arnold Böcklin „Toteninsel“. Eurydike soll die Hauptrolle übernehmen, kommt aber meist zu spät zu den Proben. Orpheus rügt sie heftig, sie verlässt beleidigt den Saal, steigt in ihr Auto und verunfallt tödlich. Soweit die Transformation in die Gegenwart. Was folgt, ist die bekannte Geschichte: Orpheus steigt in die Unterwelt, um Eurydike zurückzuholen, überzeugt die Götter der Unterwelt durch seinen Gesang. Doch sie wird nur wieder lebendig, wenn er sich während des Ganges zur Oberwelt nicht nach ihr umdreht. Das Ende ist bekannt. Eurydike stirbt ein zweites Mal.

Staunend erlebt man, wie Neumeier keine Scheu hat, Totenreich und Elysium in Bild und Tanz darzustellen. Die düstere „Toteninsel“ öffnet sich zu großen Spiegeln, Dämonen tanzen einen animalischen Tanz um Orpheus, er aber schreitet angstlos weiter ins Elysium, wo im Hintergrund Eurydike erscheint. Er will sie so schnell wie möglich in die Oberwelt zurückführen. Immer an die Mahnung denkend, dreht er sich nicht um, sondern treibt Eurydike zur Eile. Sie, ein wenig raunzend, dann fast keifend, schließlich eifersüchtig quengelnd zweifelt an seiner Liebe. Als Orpheus, sie tröstend, sich umdreht, entschwindet sie ihm.

Im letzten Akt ist es die zauberhafte Figur L`Amour, die ihn tröstet und erinnert, dass die Kraft der Liebe Eurydike in Vision und Gedanken zurückkehren lässt und ihn für immer beseelen wird.

Maxim Mironov ist die Idealbesetzung. Seine Stimme umfasst mühelos die Höhen des Tenors und die Tiefen eines Baritons. Seine Arien , besonders die berühmte: „J´ai perdu mon Eurydice“ erhielten langen Applaus. Bezaubernd auch Luzía Martín Carton als L´Amour, zuerst seine Assistentin, dann seine „Psycha-gogin“, seine Seelenbegleiterin durch die Unterwelt, und letzlich seine Retterin aus den Untiefen der Verzweiflung. Die schwierige Rolle der Eurydike meisterte Andriana Chuchman bravourös. Schwierig deshalb, weil sie keine „hehre“ Eurydike darstellen sollte, sondern eher eine an der Liebe Orpheus` immer zweifelnde, leicht zickige Ehefrau. Unbedingtes Lob und viel Applaus galten auch dem hervorragenden Bachchor, der – aus dem Orchestergrabend singend – die Szenen in der Unterwelt und Elysium begleitete. Nicht zu vergessen natürlich, die hervorragenden tänzerischen Leistungen des Hamburger Balletts, allen voran das Paar Edvin Revazov und Anna Laudere, die als Schatten von Orpheus und Eurydike wunderbare Pas de deux tanzten.

Frenetischer Applaus und lange standing ovations für John Neumeier. Das Publikum ehrte ihn für sein Gesamtkunstwerk. Denn ihm gelang, was dem Theater der Gegenwart oftmals abhanden kommt: Ein Theater fernab von Polittheater, „moralischer Erziehungsanstalt“ etc. Frei von „Erziehung“ darf sich das Geschehen entwickeln. Das Publikum taucht ein in die Phantasie Neumeiers, der es von der Oberwelt in die Unterwelt und das Elysium führt, ganz ohne Scheu, das Unsagbare und Unzeigbare sicht- und spürbar zu machen. Der Alltag hört auf zu existieren, die Kunst übernimmt die Rolle, die sie seit jeher hatte: In eine andere Welt zu entführen und die Magie wirken zu lassen.

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Festspielhaus St. Pölten: Akram Khan und das English National Ballet: Giselle

Choreographie und Regie: Akram Khan. Komposition und Sounddesign: Vincenzo Lamagna. Orchestrierung: Gavin Sutherland. Visual Design und Kostüme: Tim Yip. Licht: Mark Henderson

Akram Khans Neuinterpretation des Ballettklassikers führt in die Welt der Leih- und Wanderarbeiterinnen und Arbeiter einer aufgelassenen Textilfabrik. Wir erfahren aus dem Programm, dass Akram Khan hier auf seine Wurzeln in Bangladesh zurückgreift. Doch diese Information ist nicht zwingend notwendig, da Khan sein Werk durchaus auch global verstanden wissen will. Gekündigte, Ausgebeutete, Hoffnungslose der ganzen Welt sind gemeint. Ihnen gegenüber stehen die Reichen, Mächtigen, die Fabriksbesitzer und die Träger der Luxusroben, die in diesen Fabriken gefertigt wurden.

Es ist eine kalte, harte Welt. Eine wuchtige Mauer schließt die Frauen und Männer ein und zugleich aus. Sie tanzen ihr Leben, ihre Verzweiflung. Unter ihnen Giselle, eine starke, selbstbewusste Frau, die sich nicht der Armut und den Gegebenheiten unterwerfen will. Albrecht hat sich aus der Welt der Reichen verabschiedet und tanzt mit den Ausgestoßenen, verliebt sich in Giselle. Doch durch die Intrige Hilarions, der selbst ein Auge auf Giselle geworfen hat, wird Albrecht als Reicher enttarnt. Und fast devot lässt er sich von seiner Verlobten Bathilde in „seine“ Welt zurückführen. Giselle verfällt in einen Wahn, wird von den Arbeitern umringt, bis sie leblos zu Boden sinkt. Im zweiten Teil lebt Giselle als Halbwesen unter den Wilis. Das sind Frauen, die in ihrem Leben von einem Mann getötet wurden und nun auf ihre Weise Rache nehmen. Als Hilarion an das Grab Giselles tritt, töten sie ihn. Albrecht und Giselle dürfen noch einmal ihre Liebe leben, bevor Giselle endgültig in das Reich der Wilis verschwindet. Er bleibt allein als Ausgestoßener zurück.

Akram Khan verwandelt diese Geschichte in ein mächtiges Bild- und Klangerlebnis. Wuchtig senkt und hebt sich die Mauer, dumpfe Sirenen, ähnlich großer Frachtschiffe, künden von der Macht der Reichen. Die Tänze der Ausgestoßenen erinnern stark an den indischen Tanz Khattak: stampfend, drehend wie Derwische, die Hände zu nicht vorhandenen Göttern erhebend – so schaffen sich die Menschen ihren Freiraum. Machtvolle Bilder tun sich auf, wenn sich die Mauer hebt und die starren Figuren der „Reichen“ erscheinen. Velázquez „Las Meninas“ – die unbeweglichen Mädchen in ihren weitausladenden Roben – scheinen Patinnen für dieses Tableau gewesen zu sein.

Im zweiten Teil wird Khans Choreographie sehr klassisch: Die Wilisfrauen und Giselle tanzen fast alles auf Spitze – eine ungeheure Leistung! In ihren zarten, schlammgrünen Gewändern erinnern sie an Moos, das in feinen Strängen im Wind schaukelt. Doch sie sind keineswegs zart. Machtvoll schwingen sie ihre Stäbe, töten Hilarion und wollen zunächst auch Albrecht ins Reich der Toten schicken. Doch Giselle vergibt ihm, und beide dürfen noch einmal Momente der tiefen Liebe erleben. Dieser Pas de deux – unterlegt von zarter Musik der Streicher – ist eine Verbeugung Khans an das klassische Ballett!

Ein Abend, der das Publikum zu frenetischem Applaus hinriss. Zunächst für die Leistung des gesamten Balletts, im Speziellen natürlich für Fernanda Oliveira als Giselle, Altor Arrieta als Albrecht und Erik Woolhouse als Hilarion.

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Volksoper Wien: Wiener Staatsballett: promethean fire. Vier Stücke.

PROMETHEAN FIRE

Musik: Johann Sebastian Bach in der Orchestrierung von Leopold Stokowsksi. Choreographie: Paul Taylor. Bühne und Kostüme: Santo Loquasto. Licht: Jennifer Tipton. Dirigent: Jean-Michael Lavoie.

Ein Auftakt, der wie Feuer in die Seele fährt! Aufregend, explosiv, faszinierend! Vor dem schwarzen Bühnenhintergrund bewegen sich die Tänzer wie Flammen, die auflodern oder in sich zusammenfallen zur Musik von Bach – in einer rhythmisch mitreißenden Bearbeitung von Leopold Stokowski und mit Verve von Jean- Michael Lavoie dirigiert. Schwarze Spitze bedeckt Beine und den halben Oberkörper. Im leicht rötlich gefärbten Licht werden Arme, Kopf und Oberkörper zu Feuerzungen, die ineinander verschmelzen und sich wieder lösen, sich vereinzeln. Es ist kein bedohliches Feuer, sondern eines, das die Menschen zusammenführt. In den ungewöhnlichen Hebefiguren meint man, den Triumph des Menschen über die Dumpfheit, das Ungeformte zu erkennen. Einen Triumph, den Fiona Mc Gee und Eno Peci in einem hinreißenden Pas de deux verkörpern, unterstützt von dem Kreis eines in der Musik und Tanz aufgehenden Ensembles.

Prometheus hat Zeus das Feuer gestohlen und es zu den Menschen gebracht, um sie aus der Trostlosigeit ins Licht zu leiten. Paul Taylor entwarf die Choreographie ein Jahr nach 9/11. Als er gefragt wurde, welche Antwort er auf diese Katastrophe hat, soll er geantwortet haben: Tanz, Tanz und wieder Tanz. „Ich mache Tänze, weil ich an die Kraft des zeitgenössischen Tanzes glaube….und weil es mich von der Bewältigung der realen Welt befreit“ (Zitiert aus dem Programmheft). So der Choreograph über sein Werk.

Alle Fotos: Ashley Taylor

lontano

Musik: György Ligeti, Choreographie: Martin Schläpfer, Bühne und Kostüme: Keso Dekker

Ein Stück zum Ausrasten. Die Emotionen runterfahren. Zwei Frauen, vier Männer suchen nach Figuren, bilden Statuen, die sich auflösen. Frauen werden zu Ikonen erhoben. Man staunt über die Präzision der spiegelgleichen Bewegungen. Ligetis Musik ist zart, lässt Freiraum zum Träumen, dann wieder kippt die Atmosphäre zu einem spannenden Kampf. Immer zeigen die Frauen Stärke! Gut so!

ramifications

Musik: György Ligeti, Choreographie: Martin Schläpfer. Bühne und Kostüm: Thomas Ziegler

Sonia Dvorak tanzt ein atemberaubendes Solo – nur sie allein auf der Bühne, etwa 15 – 20 Minuten lang, fast alles auf der Spitze! Eine unglaubliche Leistung! Bisher sah man die Tänzerin hauptsächlich in komischen Rollen. In diesem Stück nun zeigt sie alle Facetten ihres Könnens! Mal kokettiert sie mit Spitzmündchen, reißt die Augen verwundert auf, dann wieder sucht sie nach einer idealen Form des Tanzes, verwirft, beginnt neu, verästelt die Bewegungen zu abstrakten Figuren, betont deutlich die Härte der Schritte, man hört, wie die Spitze ihrer Schuhe auf dem Boden klopft. Fasziniert sieht man einer Tänzerin zu, die je nach Laune einmal buchstäblich ihre Muskeln spielen lässt, dann wieder verträumt sich in der Musik verliert. Zusammenfassend: Großartig!

beaux

Musik für Cembalo von Bohuslav Martinù. Choreographie: Mark Morris. Bühne und Kostüm: Isaac Mizrahi

Vor einem Tableau aus hellen Frühlingsfarben tanzen 12 Männer. OHNE FRAUEN. Sie scheinen sich auf einem Platz im Dorf, im Park, in einem Winkel der Stadt, auf einer Wiese regelmäßig zu treffen, um im Tanz „Dampf abzulassen“. Ganz ähnlich den Jugendlichen, die sich zum Wettstreit im Breakdance irgendwo abseits von Zuschauern treffen. Ihnen geht es nicht um Demostration vor Besuchern, Touristen – sie genügen sich selbst als Zuschauer. Einer zeigt seine neuen Figuren vor, prahlt ein bisschen, die anderen sitzen davor, gucken aufmerksam zu. Mangels Frauen proben sie Hebefiguren von Mann zu Mann – erotisch und kämpferisch zugleich. Es wird Abend, sie tanzen, es wird Nacht und wieder ein Morgen. Sie tanzen. Weil sie das erfüllt, sie sich als Männer fühlen, obwohl einige noch Grünschnäbel sind. Une Pièce von heiterer Leichtigkeit.

Viel Applaus nach jedem Stück, am Schluss großer Extraapplaus für das Orchester und den Dirigenten.

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Staatsoper: Ballett: Dornröschen von P. I. Tschaikowski

Musik: P.I. Tschaikowski und Giacinto Scelsi. Choreographie: Martin Schläpfer und Marius Petipa. Bühne: Florian Etti. Kostüme: Catherine Voeffray. Dirigent: Patrick Lange

Ein Abend, der Ballettfans Freude macht. Vor allem denjenigen, die gerne auf Spurensuche gehen: Wo ist Petipa zu sehen, wo die Hand Schläpfers zu merken? Letzterer hat wie Künstler, die fremde Bilder übermalen, seine Choreographie über die Petipas gelegt oder – wie im dritten Akt – ein ganz neues Bild gemalt, um in der Sprache der bildenden Kunst zu bleiben.

Man darf ausgiebig in den Farben der Romantik schwelgen. Zwischen kräftigen roten Rosendekor und bunten Kostümen entwickelt sich das Märchen. Der Beginn (Prolog) ist zwar naiv, bis überflüssig: Im weißen Himmelbett beten die Königin und der König um Kindersegen, legen sich hin und-…Ja, es hat gefunkt! Neun Monate später hängt eine winzige Wiege im Rosenhimmel. Und es darf gefeiert werden. Olga Esina als Königin – von Martin Schläpfer zu Recht in ihrer Rolle aufgewertet – beherrscht wie immer die Szene, sobald sie tanzt. Darüber brauche ich nicht mehr zu schwärmen! Ihre Eleganz und Bühnenpräsenz stellt sie wie immer unter Beweis. Dem König (Masayu Kimotu) kommt eine marginale Rolle zu – hat Schläpfer feministische Attitüden? Es entwickeln sich die von Petipa entworfenen Tanzszenen, alle – Schläpfer will ja immer das ganze Ensemble glänzen lassen – dürfen mit großem Eifer glänzen. Auch die Jüngsten als Elfenkinder, die wie Spielpuppen hereingetragen werden. Knapp bevor es langweilig werden könnte – der erste Höhepunkt: Der fulminante Auftritt der bösen Fee Carabosse! Claudia Schoch ist dank der über Petipas Choreografie darübermalenden Pinselstriche Schläpfers eine temperamentvolle, bedrohliche Fee. In Begleitung ihrer beiden Adlati Calogero Failla und Igor Milos zerstört sie die Idylle und verhöhnt mit ihrer Macht die allzu satte Feiergesellschaft( Titelfoto). Ioanna Avram als zauberhafte Fee Lilas kann das Todesurteil in hundertjährigen Schlaf verwandeln. Hier setzt Schläpfer auch starke Akzente mit Symbolkraft, indem er die böse und die gute Fee zuletzt zu einer Einheit im Tanz verschmelzen lässt. Der dritte Akt mit der Musik (aus der Konserve) von Scelsi bezaubert das Publikum mit einer Waldkulisse und verträumt-idyllischen Tänzen des Blauen Vogels (Giorgio Fourès) und des Fauns (Daniel Vizcayo). Mit dieser Choreographie hat Martin Schläpfer Spannung, Atmosphäre und den ganzen Zauber eines Märchens in den Ablauf hineingebracht. Nach dem dritten Akt dürfen noch Hyo-Jung Kang als wachgeküsstes Dornröschen und Brendan Saye als Prinz ihr Können zeigen. Letzterer trumpft mit einer Sprungqualität auf, die an Nurejew erinnert. Leider wirkt der vierte Akt,ganz der Petipachoreographie einverschrieben, altmodisch, trotz der modernen Kostüme – oder gerade auch deswegen. Besonders unkleidsam ist das der Königin. Dass König und Königin nach der Hofübergabe sterben und auf dem Bühnenvordergrund liegen wie les giants in französichen Kathedralen, ist eine überflüssige und peinliche Idee.

Patrick Lange führt sehr behutsam, ganz auf Märchenpfoten, das Publikum durch die Märchenmusik!

Langer und begeisterter Beifall belohnte Ensemble, Musiker und Dirigenten.

Landestheater Salzburg: 3x Chopin

Ein Ballettabend Fréderic Chopin gewidmet

Drei Choreographien von: Krystina Borbélyová Paulin, Kristian Lever, Nadav Zelner

Dezemberregen

Wer die Biographie George Sands in Erinnerung hat, der konnte in etwa erraten, worum es in diesem ersten Teil ging. George Sand, die ja jede männliche Berühmheit, die in Paris lebte, sich „aneignete“, hat nun Frédéric Chopin unter ihre „Fittiche“ genommen und beschlossen, die nasskalten Winter in Paris zurückzulassen und mit dem hustenden Chopin Aufenhalt in Mallorca zu nehmen. Doch leider wurde Chopin immer depressiver und sein Husten immer heftiger. Das ist in etwa der Handlungsrahmen, den man sich zusammenreimen muss. Denn leider finden sich keine Informationen und Inhaltsangaben der drei Ballette im Heft. Und die „Einführung“ soll auch nicht erhellend gewesen sein – wie von Teilnehmern berichtet wurde. Also war man aufs Raten angewiesen. Man konnte sehr rasch Flavio Salamanka als Chopin ausmachen, zumal er immer wieder hustete und in Notenblättern kritzelte. Salamanka war ein ausgezeichneter Chopin: Fragil, sensibel und äußerst verletztlich. Die ambivaente Liebe zu George Sand, die Höhen und Tiefen übertrug in eine eindrucksvolle und kraftvolle Performance. Mitreißend und spannend der pas de deux mit Valbona Bushkola als George Sand. Beiden war die Liebe und der ewige Kampf um den ERhalt der Liebe in ihre Bewegungen eingeschrieben. Hingabe, Rückzug und neuerliche ERoberung bildeten den Rhythmus ihres Lebens – und des Tanzes. Wer allerdings die anderen Figuren waren, ließ sich nicht identifzieren. Leider.

Grüneres Gras

Der Choreograph Christian Lever wagte eine Mischung aus Schauspiel und Tanz. Doch die Rechnung ging leider nicht auf. Denn als Zuseher war man weit überfordert mit der Suche nach der alles erklärnden Antwort: Was hat das mit Chopin zu tun? Die Handlung: Ein biederes Ehepaar (Larissa Mota und Flavio Salamanka) haben die üblichen Probleme: zu wenig Sex und ein Sohn, der sich zum Raufhansel entwickelt. Neidisch schauen sie auf die Visavisbewohner, die bei hellster Beleuchtung gut sichtbar tollen Sex haben. – eindrucksvoll getanzt von Valbona Bushkola (Vera) und Falvio Salamnaka (Dave) Dave stirbt an Lungenkrebs (ist das die Verknüpfung mit Chopin????).

Frédéric Superstar

Übertreibung, Selbstüberschätzung, Eitelkeiten – kurz alles, was einen Superstar heute ausmacht, wird vom Ensemble zelebriert. Schlichte Lazzi, gewagte Performances, tolle Figuren in urhässlichen lila Plastikanzügen. Man schmunzelt – und vergisst Chopin, wäre da nicht seine rasante Musik. Aber welche Stücke aus der Dose kamen, konnte man nicht feststellen. Wie überhaupt in allen drei Teilen Hinweise auf verwendete Musikstücke fehlten. Manche Takte klangen vertraut, manche völlig verfremdet. Das ist halt so, wenn sich heutige Superstars mit ehemaligen messen. Die andere Deutung wäre: jeder ist Chopin, jeder kann ein Superstar sein.

Das Publikum trampelte und applaudierte seinen Lieblingen wie wild. Man konnte diese innige Beziehung zwischen Ensemble und Zuseher hautnah spüren. Jemand, der von „draußen“ (Wien) kommt, nimmt das neidvoll wahr.

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Volksoper: Ballett „kontrapunkte“

Dreiteiliger Ballettabend mit Choreographien von Anne Teresa Keersmaeker, Murce Cunningham, Hans van Manen.

Bild oben: „four schumann pieces“ -Ensemble. ©Ashley Taylor (alle)

„große fuge“

Musik: Ludwig van Beethoven, Große Fuge op.133

Choreographie: Anne Teresa Keersmaeker. Sie ist die Asketin unter den Choreographen. Das Bewegungsrepertoire konzentriert sich auf Aufstehen und Fallen. In dunklen Anzügen mit weißem Hemd tanzen sieben Herren (Peci, Ferreira, Kaydanovsky, Carroll, Hayden, Vandervelde, Tariello) und als einzige Frau Fiona McGee. Das 1992 uraufgeführte Ballett hat nichts an Rasanz eingebüßt. Alle Tänzer kommen an die Grenze der Belastbarkeit: Das Auf und Nieder, sich am Boden Einrollen, Drehen, Aufspringen ist anstrengend für das Ensemble und für das Publikum. Man hat den Eindruck , hier kämpfen Gangs untereinander, jeder mit jedem und alle zusammen gegeneinander. Durch die auf Hände und Gesichter konzentrierte Lichtführung (Jan Joris Lamers) erscheinen diese wie Gespenster in der Dunkelheit, aufleuchtend, verschwindend. Viel Applaus für die Leistung der Akteure und die Musiker, die im Hintergrund der Bühne aufspielten.

„duets“

Musik: Improvisation III von John Cage, Live-Elektronik Bela Fischer und Michael Fischer unter Verwendung der Einspielung von Peadar&Mel Mercier.

Merce Cunningham schuf die Choreographie 1980 und sie ist frisch, als wäre sie gestern entworfen worden. Durch die knallbunten Kostüme von Marc Lancaster wirkt sie wie frischer Wind nach dem düsteren Bild von Keersmaeker.

Alexandra Inculet und Hanno Oppermann

Cunninghams Ballettsprache hat Schule gemacht: Er vereint modern dance und klassisches Ballettrepertoire. Es ist Tanz pur, ganz ohne Narrativ. Jedes Paar findet seine eigene Sprache, am Ende fügt sich alles harmonisch zusammen. Unter den unterschedlichen Formen des Paartanzes fiel besonders das Paar Alexandra Inculet und Hanno Oppermann durch Präzision und Hingabe an die Musik auf. Ihr Pas de deux war, was Cunningham immer anstrebte: Tanz pur.

„four schumann pieces“

Musik: Robert Schumann, Streichquartett A-dur, op. 41, Nr.3

Harmonie in Farben (Kostüme: Jean-Paul – Vroom) und in den Bewegungen. Hans van Manen, nunmehr 90 Jahre alt, leitete persönlich die Proben an der Volksoper. Diese Choreographie schuf van Manen für Anthony Dowell, den britischen Stardänzer. An diesem Abend beeindruckte Davide Dato in dieser Rolle, als Solotänzer und im pas de deux mit verschiedenen Partnern. Die Ballettsprache van Manens ist reiner Tanz, „nicht mehr und nicht weniger“, wie er immer betont. Durch eine klare, abstrakte Bewegungssprache erzeugt er große Spannungen und Emotionen. Im Paartanz geht es immer um Beziehungen, die beginnen und flüchtig bleiben.

Davide Dato

Viel Applaus für das Ensemble, Davide Dato und für Hans van Manen, der persönlich auf die Bühne kam.

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Oper Graz: Undine, Ballett

Ballett von Frederick Ashton nach Friedrich de La Motte Fouqué. Choreographie: Beate Vollack. Musik: Hans Werner Henze. Dirigent: Giuliano Gaudiano

Henzes Ballettmusik klingt zur großen Überraschung fernab vom gängigen Komponierszenario der 1950er Jahre. Unbeeindruckt von den orthodoxen Gesetzen eines Stockhausen und Nono komponierte Henze eine Ballettmusik, die eher von Tschaikowsky und der deutschen Romantik inspiriert ist. Die Leiterin des Grazer Balletts, Beate Vollack weiß diese Romantik voll in ihrer Choreographie umzusetzen. Guiliano Gaudiano dirigiert mit Subtilität die Grazer Philharmoniker.

Schon das Bühnenbild ist ungewöhnlich (Jon Morell): Undine und die Wasserwesen tanzen und schweben in einem aufgelassenen Schwimmbecken. Es erinnert an alte Bäder aus der Jahrhundertwende und später. Als man wuchtige Hallen baute mit Säulen und Bogen. Die wendigen Wasserwesen schlüpfen geschmeidig durch die im Becken eingelassenen Rundbogenluken, die Begleiter Palemons haben da manchmal Probleme.

Die Geschichte beginnt sehr heutig: Palemon (Christoph Schaller) stößt während einer Party mit Freunden und seiner Verlobten Beatrice (Ann Kathrin Adam) durch Zufall auf dieses leere Becken. Sie vergnügen sich, wie das halt bei so einer Party nach amerikanischem Vorbild üblich ist. Seine Begleiter verschwinden und Undine „taucht“ mit ihrem Vater Tirrenio (Paulio Sóvári) und den Tritonen auf. Beate Vollack teilte die Rolle der Undine auf sieben Tänzerinnen auf, was die Verzauberung und Verwirrung Palemons noch steigert. (Auch die des Publikums). Die Liebe zwischen den beiden wird romantisch ausgetanzt, immer wieder umgarnen die 7 Tänzerinen Palemon. Tirrenio gibt nur widerwillig die Zustimmung zu dieser Verbindung. Palemon muss Treue geloben. Doch das funktioniert in der heutigen Welt nicht mehr so leicht. Treue ist geschwind gelobt, schnell gebrochen. Beatrice hat ja auch sein Versprechen. Sie kämpft um ihn, er ist unschlüssig, weiß nicht, wie er entscheiden soll. Es ist ein Kampf zwischen zwei Weltsichten. Diesen Zwiespalt tragen auch die jeweiligen Begleiter aus: Beate Vollack inszeniert beeindruckende Kampfszenen zwischen der Welt der Tritonen und den Begleitern Palemons. Besonders fällt Paulio Sóvári in diesen Szenen durch seine kraftvolle tänzerische Darbietung auf. Die Stärke dieser Choreographie liegt unter anderem auch an den charakterlich gut durchgezeichnten Figuren. Palemon ist der Wankelmütige, der Träumer, Beatrice eine mutige, sich behauptende junge Frau, das genaue Gegenteil zu den romantischen Figuren der Undine, die wie Traumwesen, unfassbar und nicht zu ergründen und zu begreifen, durch das Wasser schweben. Beate Vollack schuf mit dieser Choreographie mehr als nur ein romantisches Handlungsballett. Sie legt den Finger auf die Probleme der heutigen Gesellschaft: Träumen ist gefährlich, zerstörerisch, Realismus ist gefragt. Insgesamt nicht nur tänzerisch ein interessanter Abend.

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Staatsoper Wien: Joseph Haydn: Die Jahreszeiten

Ballett. Choreographie Martin Schläpfer

Text: Gottfried van Swieten. Bühne und Kostüm: Mylla Ek. Musikalische Leitung: Adam Fischer. Arnold Schönberg Chor

Gar viel, manchmal zu viel strömte auf den Zuschauer, Zuhörer ein: Martin Schläpfer arbeitet sich an großen Musikwerken ab, die nicht für das Ballett komponiert wurden. Jetzt also Haydns Jahreszeiten mit Chor und Gesang. Den schlichten und sehr innigen Text sangen: Slavka Zamecnikova als Hanne, Yosh Lovell als Lukas, ;Martin Häßler als Simon. Als Zuschauer verteilte man seine Aufmerksamkeit unterschiedlich, einmal auf den Text und die Stimmen, dann auf die von Adam Fischer sehr einfühlsam dirigierte Musik. Bleibt dann noch ein Aufmerksamkeitsstrang für das Geschehen auf der Bühne? – Muss sein. Allerdings ich merkte, dass ich oft mal die Bühne ausblendete und nur die Musik genoss. Denn die ist wundervoll heiter, dann wieder ironisch, manchmal getragen, dramatisch, wenn ein Gewitter aufzieht, mit kaltem Hauch, wenn der Winter die Einsamkeit über die Menschen legt.

Nun also zum Bühnengeschehen: Die bei Schläpfer so beliebten Dreiecke hängen von der Decke in die Bühne hinein, allerdings ohne Bedeutung. Zu Beginn weht noch Winterwind die Wolken über den Schleier, der dann weggezogen, den Frühling einlässt. Es quillt über vor neu erwachter Lebensfreude, Kinder springen und tanzen (Schläpfer bringt fast immer das ganze Ballettensemle auf die Bühne). Der Frühling geht über in den Sommer, Ernte. Lukas und Hanne kommen einander näher, Vater Simon steht ein wenig abseits. Für den Zuseher ist es verwirrend, da diese drei Personen nicht immer von denselben Tänzern verkörpert werden. Aber vielleicht irre ich mich… Der Sommer wird drückend schwül,die Bewegungen träge. Das Gewitter tobt über das Land – allerdings in der Choreographie Schläpfers ein ungefährliches Gewitter. Sie kommt nicht gegen die Wucht der Musik an. Im Herbst ist Ernte, kleine Belanglosigkeiten werden pantomimisch ausgetanzt, was einiges Schmunzeln hervorruft. Das Liebespaar findet sich. Und der Winter lässt Simon die Einsamkeit spüren Doch Schläüfer und Haydn entlassen ihre Figuren mit einem Trost, die Natur bleibt in ihrem ewigen Rhythmus und lässt an manchen Wintertagen den kommenden Frühling ahnen.

Marin Schläpfers Bewegungsrepertoire ist sehr groß. Doch wer schon einige seiner Choreographien sehen durfte, dem scheint das Unerschöpfliche an die Grenzen zu kommen. Man hat immer wieder ein déjà- vu -Erlebnis. Vor allem in den Gruppenszenen. Ganz großartige Soli, pas de deux und pas de trois liefern die Solisten wie Marcos Menha, Kyoka Hashimoto, Davide Dato, Maria Yakovleva, um nur einige zu nennen. Ein besonderes Solo tanzt Claudine Schoch als „Sommer“, ganz in sich und in der Bewegung, die das Gefühl von innen nach außen transportiert, versunken. Das sind die Momente, in denen ich meine Aufmerksamkeit voll dem Tanz widmete. Da war alles andere ausgeblendet.

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Volksoper: Peter Pan. Kinderballett

Choreographie: Vesna Orlic

Wie einst in alten Wochenschauen fährt auf der Leinwand in großen, altmodischen Lettern den Zuschauern förmlich in die Augen und mit bombastischer Musik in die Ohren: „Volksoper präsentiert…Peter Pan“. Und schon fühlt man sich an die eigenen Kindertage erinnert, wo man gebannt auf die Filmleinwand blickte, wenn die Wochenschau oder eine Filmproduktion angekündigt wurde. Unvermeidlich tauchen Fragen auf: Wie wird sich die Volksoper in der kommenden Saison präsentieren? Werden solche Abende, wie eben dieser, voller Leichtigkeit, Kindlichkeit und feinem Humor noch zu erleben sein? Denn die Volksoper war unter Robert Meyer all die Jahre ein Ort, wo man vor dunkeldrohender Langeweile, wie sie uns jetzt das Volkstheater, die Burg und auch in jüngster Zeit die Oper beschert, sicher war. Das heißt aber nicht: In der Volksoper sah man nur leichte Kost. Das auch, aber immer super verpackt. Und man sah auch Unvergessliches, wie jüngst den „Rosenkavalier“ oder „Lady in the Dark“, um nur die beiden stellvertretend für viele intensive Abende zu nennen.

Nun also „Peter Pan“ nach dem Buch von J.M. Barrie, unter dem ausgezeichneten Dirigat von Wolfram-Maria Märtig(Musik von Korngold bis Mancusi bunt gemischt) und mit berauschend schönen Bühnenbildern und Kostümen von Alexandra Burgstaller. Sie blätterte mit Lust, Humor und Einfallsreichtum in alten Bilderbüchern. Etwa gleich mit dem ersten Bild: Ein Kinderzimmer mit einem Rundbogenfenster, durch das eine alte Stadt und ein dunkler Nachthimmel hereinleuchtet. Von hier holt Peter Pan die Kinder ab und entführt sie auf die Trauminsel „Niemandsland“. Einen besseren Peter als Keisuke Nejime hätte man wohl kaum finden können: Man nimmt ihm die kindliche Leichtigkeit ab, er schwebt mit ungeheuren Sprüngen durch die Luft (nicht immer nur am Seil!). Sein Schatten ist Gleb Shilov und der steht ihm um Nichts an Sprungkraft und Talent nach. Wie überhaupt das ganze Ensemble in Hochform ist – man spürt den Drang, in der letzten Vorstellung besonders gut sein zu wollen!). : Barbara Brigatti war eine bezaubernde Tinker Bell, Olivia Poropat eine hinreißende Tigerlilly. Zu den witzigsten Szenen zählten die Auftritte des Captain Hook (László Benedek). MIt Holzbein, Rüschenhemd und Armprothese tanzte er den ironischen Spiegel seiner Figur mit hintergründigem Humor, begleitet von dem plump-witzigen Mr. Smee (Roman Christyakov) und den tölpelhaften Piraten. Ein weiterer Höhepunkt war die Indianerszene mit dem Tanz der Tigerlilly (Olivia Poropat), der zwischen „Tanz der Sieben Schleier“ und Schamanenbeschwörung oszillierte. Bezaubernd auch die „Verlorenen Kinder“ – der Kinderchor der Volksoper, die allesamt wie süße Waldschratten aussahen.

Unerwähnt soll nicht das liebevoll gestaltete Programmheft bleiben! Unbedingt aufheben!

Begeisterter und langer Applaus!

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Staatsoper Wien: mahler, live. Ballett

Titelfoto: Maria Yakovleva in „Live“

Live. Ein Videoballett. Choreographie: Hans van Manen. Musikstücke von Franz Liszt.

Am Klavier: Schaghajegh Nosrati

Hans van Manen arbeitet seit 1977 immer wieder an der Wiener Oper. Mit diesem Ballett „live“ geht er zurück in die 1970er Jahre, als die Videotechnik das Theater eroberte. Das Ballett „live“ ist ein spannender Dialog zwischen einer Tänzerin (Maria Yakovleva) und dem Kameramann Balácz Delbò, einem ehemaligen Tänzer der Wiener Staatsoper, jetzt Kameramann. Er filmt auf der Bühne „live“ die Tänzerin, folgt ihren Bewegungen, zeigt ihr Gesicht in Großformat, lenkt den Blick der Zuseher auf Details wie Beinarbeit oder die Bewegungen der Hände. Sie trägt ein rotes Kostüm, tanzt vor schwarzem Hintergrund, In der Videoprojektion erscheint sie in Schwarz-Weiß. Es entsteht ein Spiel zwischen Realität und Schein (Video), einmal ist dieTänzerin auf der Bühne realer, packender, dann wieder verschwindet sie in die Irrealität des Bildes. Als ein Tänzer (Marcos Menha) die Bühne betritt, entwickelt sich eine kurze Geschichte des Abschiedes. Sie tanzen aufeinander zu, trennen sich. Die Tänzerin verlässt die Bühne und betritt die Gänge der Oper – nur mehr auf Video zu sehen. In den Gängen setzt sich die Auseinandersetzung des Paares fort. Nach einer Annäherung folgt die Trennung. Die Tänzerin verlässt die Oper und geht auf die Straße hinaus.

Ein spannender Auftakt! Und der pure Kontrast zu dem 2. Teil des Abends,

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Gustav Mahler, Symphonie Nr. 4. Choreographie Martin Schläpfer. Musikalische Leitung: Ramón Tebar

Das Ensemble ( foto: Ashley Taylor)

Martin Schläpfer setzte das gesamte Ensemble – 102 Mitglieder – ein und schuf so eine großartige Interpretation der 4. Symphonie Gustav Mahlers. Unter dem subtilen und feinsinnigen Dirigat von Ramòn Taylor entfaltete sich die ganze Schönheit dieses Werkes: Einmal wirbelten die Elevinnen und Eleven wie Kobolde über die Bühne und ließen den Humor Mahlers und Schläpfers aufblitzen, dann wieder kamen Paare mit berührenden Pas de deux-Szenen, die dem heiteren Treiben eine ernste Note entgegensetzten. Ein Höhepunkt war das Adagio. Zu Beginn tanzen Männer ohne Musik, vielleicht zitiert Schläpfer Thomas Manns „Tod in Venedig“. Bilder von Viscontis Filmversion steigen auf …dann leitet ein wunderbarer Pas de deux von Claudine Schoch und Marcos Menha die Stimmung des Adagio ein. In den folgenden Bildern lässt Schläpfer den Zuseher in die Schwermut Mahlers versinken, verstärkt durch die traumhafte Lichtregie (Bert Dalhuysen). Von oben senkt sich ein Lichtdreieck mit einem Stab, dessen Muster aus dem Jugenstilrepertoire entnommen ist – eine feine Anspielung an die Entstehungszeit. Der 4. Satz ist die Vertonung eines Volksliedes aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“: „Wir genießen die himmlischen Freuden“ singt Johanna Kedzior mit ihrem wunderbaren Sopran. Das ganze Ensemble tanzt zu dieser Melodie der puren Lebensfreude!!!

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Volksoper Wien: Begegnungen. Ballett

Titelfoto: Rebecca Horner und Lourenco Ferreira in „lux umbra“

Musikalische Leitung des Orchesters der Volksoper Wien: Gerrit Prießnitz

24 préludes

Musik: Fre´deric Chopin in der Orchesterfassung von Jean Francaix

Choreographie: Alexej Ratmansky

Langssam kristallisiert sich der Weg des Ballettchefs Martin Schläpfer heraus: Er setzt auf Bestätigung, ja auch in gewisser Weise auf Rettung des klassischen Balletts. Die meisten Ballettabende werden im Dreierkombination inszeniert und legen den Schwerpunkt auf die Klassik, inspiriert und erweitert durch neues, ungewöhnliches Repertoire.

Alexej Ratmanskys Chorographien stehen für Eleganz und schwebende Leichtigkeit. Es sind vor allem die Tänzerinnen, die das neue Bewegungsvokabular einbringen. Sie „entfalten sich“ im wahrsten Sinn des Wortes „in den Raum“ durch Überbetonung der Arme. Gerne unterbricht Ratmansky die strenge Klassik durch eine kurze Slepstickgeste. Für notwendige Hochdramatik – denn nur Eleganz wirkt schnell einschläfernd – sorgen Rebecca Horner und Marcos Menha. Für flotte Leichtigkeit Aleksandra Liashenko und Denys Cherevychko.

lux umbra, Uraufführung/ Auftragskomposition von Christof Dienz

Die wohl interessanteste Choreographie des Abends zeigte Andrey Kaydanovsky. Mit den spektakulären Kostümen von Karoline Hogl und der ungewohnten, aber spannenden Musik von Dienz brachte er eine getanzte Fassung des Höhlengleichnisses von Platon auf die Bühne.

Rebeca HOrner und Lourenco Ferreira ( Foto: Asheley Taylor)

Zum Höhepunkt des Abends gehört die Szene mit Rebecca Horner und Lourenco Ferreira. Der fächerartige Rock des Tänzers umschlingt die weibliche Figur, die durch die Bandagen wie in Gliedmaßen zerteilt wirkt.Dramatik pur!

in sonne verwandelt/uraufführung

Martin Schläpfer hat sich mit dem Klavierkonzert Nr. 4 von Ludwig van Beethoven selbst ein Geschenk bereitet. Denn – so betonte er während der „Ballettwekstatt“ – für ihn zähle es zu den inspirierendsten Musikwerken überhaupt. Seine Begeisterung manisfestierte er in dem Titel „in sonne verwandelt“. Allerdings konnte ich die Verbindung vom Titel zu Bühnenbild (Markus Spyros Berterman) und Kostümen (Helene Vergnes) nicht herstellen.

Fiona McGee und Francois-Eloi Lavignac.Foto: Ashley Taylor

Sinnlich langsam und elegant tanzt das Ensemble in gekonnter Perfektion, nur hin und wieder durch kurze dramatische Szenen unterbrochen. Alles sehr bedeutungsvoll, vielleicht, aber letztendes doch ein wenig ermüdend. Fein und erhellend (Titel!?) das Klavierspiel von Johannes Piirto und das Dirigat von Gerrit Prießnitz.

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Wiener Staatsballett: „liebeslieder“

Zweimal Romantik: am Anfang „other dances“ und am Ende „liebeslieder walzer“. Dazwischen die spannende Choreographie von Childs: „concerto“. Die klassische Romantik überwog leider und machte den Abend langatmig.

other dances

Musik: Walzer und Mazurka von F. Chopin, Choreographie: Jerome Robbins.

Anstelle von Hyo-Jung Kang und Davide Dato tanzten Kiyoka Hashimoto und Masayu Kimoto(Titelfoto). Sie machten ihre Sache gut, die Choreographie wirkte eher wie aneinander gereihte Aufwärmübungen. Man sah Eleganz, hohe Sprünge in blauen Kostümen. Am Klavier: Igor Zapravdin

concerto

Musik: Henryk Mikolaj Gorecki, Choreographie: Lucinda Childs

Obwohl die Choreographie auch schon einige Jahrzehnte alt ist, wirkt sie jung, dynamisch, aufweckend. Vier Tänzerinnen und 3 Tänze in schwarzen Kostümen rockten, rasten, tanzten Chaos perfekt, bildeten in scheinbarer Unordnung eine geheimnisvolle Ordnung. Unter den Supertänzern fiel Daniel Vizcay durch seine starke Bühnenpräsenz besonders auf.

liebeslieder walzer

Musik: Liebeslieder Walzer und Neue Liebeslieder von Johannes Brahms. Choreographie: George Balanchine

Vier Gesangstimmen (Sopran, Alt, Tenor, Bass), Klavier zu vier Händen.

Bühne: Ein Ball-Salon im Rokoko Stil , Kostüme im ersten Teil genau zum Interieur passend, Walzer-Ballkleider, Damen in dazupassenden Schuhen mit kleinem Absatz. Im zweiten Teil: Ballettoutfit.

Viel wird gewalzt, gedreht, ein Paar nach dem anderen präsentiert sich, verschwindet, kommt wieder. Alles viel zu lang und eintönig. Starke Ähnlichkeit mit den Balletteinlagen im Neujahrskonzert: Hauptsache „schön“ und „klassisch“. Wäre da nicht das elegante Paar Lazik-Schoch dabei gewesen, man hätte mit der Langeweile gekämpft. ERleichtert stimmt man den letzten Worten der Sänger zu: „Nun, ihr Musen, genug!“

Höflicher Applaus.

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Wiener Staatsoper: Ballett „Onegin“

Titelfoto: Schlussszene Poláková als Tajana und Peci als Onegin

11. Jänner 2022. 57. Aufführung anlässlich des Bühnenabschieds von Nina Poláková.

Choreographie: John Cranko nach dem Roman von Puschkin: Eugen Onegin

Musik: Piotr I. Tschaikowski eingerichtet und instrumentiert von Kurt-Heinz Stolze

Das von John Cranko 1967 uraufgeführte Handlungsballett „Onegin“ gehört zu den wenigen, dessen Choreographie nie von anderen Choreographen neu bearbeitet wurde. So perfekt, so makellos, so klar in der Handlungsführung hat Cranko die Handlung in Tanz umgesetzt. Keine unnötigen Füllszenen, jede Geste, jeder Schritt, jeder pas de deux ist richtig, stimmig. Darf nicht anders sein.

Der Abend gehörte ganz und gar Nina Poláková als Tatjana. Im Publikum spürte man schon vorher eine gewisse Aufregung. Viele Besucher hatten Blumensträuße mitgebracht. Tatjanas erstes Solo, kaum verklungen, wurde schon mit lautem Bravo quittiert. Nach dem rauschhaften Schluss, dem Abschieds-pas de deux zwischen Onegin und Tatjana, brach zu Recht ein nicht endender Jubel und Beifall aus. Es regnete Blumensträuße. Die Ballerina hatte Tränen in den Augen. So feiert ein Wiener Staatsopernpublikum den Abschied seines Lieblings!

Doch nun zur Aufführung: Man freut sich richtig, die liebgewonnenen Kostüme und Bühnenbilder von Elisabeth Dalton zu sehen. Die ausgesprochen fröhlichen Tanzszenen im Dorf und so manche Figurenkombinationen erinnern an Jean – Antoine Watteaus Bilder, etwa an „Fête Galante“. Wir träumen uns in eine russische Gesellschaft auf dem Lande ein. Leichtfüßig, unbeschwert ist die Liebe zwischen zwischen Olga und Lenski, ganz zauberhaft getanzt von Sonja Dvorak und Davide Dato.

Im Vordergrund: Lenski/Dato und Olga/Dvorak © Ashley Taylor

Die Rolle Onegins ist keine leichte. Er ist der Inbegriff des Eitlen, Selbstverliebten. Reich und gebildet zwar, aber im Herzen kalt. Diesen Charakter kann man leicht überzeichnen, dann wirkt er lächerlich. Obwohl – einen Hauch von Lächerlichkeit soll er ja haben, aber eben nicht zu viel. Diese Gratwanderung gelingt Eno Peci recht gut. Tatjana zu brüskieren und mit Olga schamlos zu flirten, dazu braucht es ja nicht viel. Frauen fielen und fallen auch heute noch auf solche Gockel herein. Die Tatjana Polákovás ist zu Beginn vielleicht um eine Spur zu steif, zu „unsichtbar“. Das wohl deshalb, um dann in der Spiegelszene, in der sie sich einen liebenden Lenski erträumt, um so biegsamer, schmiegsamer zu sein. In die Tiefe einer ruhigen, ausgeglichenen Liebe tanzt sie mit dem Fürsten (Andrey Teterin), um gleich danach förmlich in einem furiosen Pas de deux in der Abschiedsszene zu explodieren. Das ist große Tanzkunst. Beide steigern sich in einen letzen Rausch der Leidenschaft hinein, bis dann die Realität einbricht und Tatjana Onegin zurückweist.

Peci und Poláková in der Schlussszene © Ashley Taylor

Ein Ballettabend, den man nicht oft genug sehen kann. Er wird nie langweilig. Mit so einer großartigen Besetzung (die gesamte Ensembleleistung sei hier einmal mehr hervorgehoben) und unter dem sicheren Dirigat von Robert Reimer gehört diese Choreographie zu den bleibenden.

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Staatsoper: im siebten himmel

Aufführung: 19. November 2021

marsch,walzer. polka

Musik: Vater und Sohn Johann Strauß, Josef Strauß, Choreographie: Martin Schläfer- Bühne und Kostüme: Susanne Bisovsky

Sinn und Stilrichtung des Titels „im siebten himmel“ treffen vor allem oder eher „nur“ auf den ersten Teil des Abends zu: Wenn Martin Schläpfer ohne Angst vor Süße mit einer leichten, spritzigen Choreographie das Publikum verzaubert. Tatkräftig geholfen hat ihm dabei Susanne Bisovsky: Vor einem melancholischen Bild der Donauauen tanzen ihre heiter- witzigen Kostüme, mal in weiten Rosenröcken oder in körpernahen schwarzen Spitzen

Mit viel Humor lässt Martin Schläpfer seine Figuren tanzen, hopsen, sich zu Figurenknäuel fügen und irgendwie sich wieder auflösen. Manchmal sieht man mehr Zirkusakrobatik als Ballett. Mit dem starken Akzent auf Beine und Arme erzielt Schläpfer Kombinationen, Figuren, die mit einem kleinen Wink des Fußes den Witz einladen, mitzutanzen. Beeindruckend das Solo von Katevan Papava. Präzision und Innerlichhkeit des Tanzes sind ihr Markenzeichen.

In den „Sphärenklängen“ verstärkt Schläpfer die Komik, besonders durch das Clownpaar, hervorragend unbeholfen, genial- hilflos getanzt von Fiona McGee und Cologero Falla s. Bild unten:

Fiona McFee, Calogero Failla ® Ashley Taylor

fly paper bird – uraufführung

Musik: Aus der 5. Symphonie von Gustav Mahler

Choreographie:Marco Goecke

Gedicht: Mein Vogel von Ingeborg Bachmann

® Ashton Taylor

Man sieht Tänzer, die mit den Armen, Oberkörper und Kopf zucken, kreisen, rucken, zittern. Als ginge gerade die Welt unter und diese Figuren seien die letzten Überlebenden. Das zu der eindringlichen Musik Mahlers. Dazwischen hört man nur leise, fast kaum verstehbar, Wortteile aus dem Bachmanngedicht. Am Ende liegen die Tänzer bis zur Taille von den Flügeln des Vogels begraben. Ist es dieNatur, die sterbend über die Menschen sich senkt? Rätselhaft. Man bewundert die Leistung der Tänzer! Aber so mancher fragt sich – auch die Schreiberin der Zeilen – warum diese „Anti-Choreographie“? Vielleicht als Kontrast zum ersten und letzten Teil dieser Trilogie.

symphony in c

Musik: Symphonie C-Dur von Georges Bizet

Choreographie: George Balanchine ® The school of American Ballett

Klassisch: Vor azurblauem Hintergrund Tänzerinnen im weißen Tütü und Tänzer im eleganten schwarzen Samt. Spitze, Spitze im besten Sinn, Balanchine feiert die Hochklassik des Balletts.

Liudmila Konovalova und Alexey Popoy ® Ashley Taylor

Eine Spitzenleistung des gesamten Ensembles. Genuss pur für die Zuseher!

Viel Applaus, besonders auch für Patrick Lange, der das Orchester und die Tänzer behutsam durch den Abend führte.

Die Schreiberin ist neugierig auf das erste Handlungsballett von Martin Schläpfer.

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Wiener Staatsballett: „a suite of dances“

Beitragsbild: „glass pieces“, Herrenensemble

„glass pieces“

Musik: Philip Glass, Choreographie: Jerome Robbins, Musikalische Leitung: Benjamin Pope

Bühnenhintergrund: Eine kleinkarierte Heftseite, passend zur minimalistischen, sich wiederholenden Musik. Davor das hektische Treiben einer Großstadt, ein Rennen, Gehen, ein Drehen: die große Kunst des ungeordneten Geordneten. Danach wechselt der Hintergrund auf zartes Azurblau. Es wird ruhiger im städtischen Treiben, Solopaare tanzen geometrisch angesetzte Hebefiguren, dann der mythisch anmutende Tanz von Claudine Schoch und Alexey Popov – es entstehen magische Momente, die an altägyptische Figuren erinnern. Die Welt hält den Atem an, zieht nur als Schatten im Hintergrund vorbei. Im dritten Teil zitiert Robbins wieder die Welt der Hektik: Vor demselben karierten Hefthintergrund wie im ersten Teil tanzen Mitlglieder des Ensembles nach dem hämmernden Rhythmus einer Maschine. Wie Roboter stampfen sie mit abgewinkelten Armen über die Bühne. Doch am Ende brechen Mädchen die starre Atmosphäre und lösen sie im leichten Tanz auf.

Jerome Robbins, begeistert von der repetitiven Musik Philip Glass‘, hat sich in dieser Choreographie auf das Leben im urbanen Raum konzentriert, dh. Wiederholung, Dynamik, Stress und der banale Alltag. Nur hin und wieder gibt es eine Insel der Ruhe. Großartige Leistung des Ensembles!

Duo Concertant

Musik: Igor Strawinski, Choreographie: George Balanchine

Das Klavier spielt Shino Takizawa, die Violine Fedor Rudin. Sonja Dvorak und Lorenzo Ferreira stehen als regungslose Zuhörer im Hintergrund und lauschen. Langsam setzen sie sich in Bewegung, ertasten die Möglichkeiten der Bewgung, um nach kurzer Zeit in einen fröhlichen Tanz zu fallen, ausgelassen wie auf einem Dorffest. Hüpfend wie Kinder, die einander das erstemal begegnen. Dann entschwindet das Mädchen. Auf der Suche nach ihr tastet der Junge im dunklen Raum, bis ein Lichtstrahl ihren Arm, später auch den Kopf beleuchtet. Er kniet in Anbetung vor ihr nieder. Ein wunderbares Bild der Innigkeit!

a suite of dances

Davide Dato (Foto: Ashley Taylor)

Musik: Johann Sebastian Bach. Choreographie: Jerome Robbins

Ein Dialog zwischen einem Violoncello (Ditta Rohmann) und einem Tänzer (Davide Dato)

Als Robbins diese Choreographie für den berühmten Tänzer Michail Baryschnikov entwarf (1976), waren sie beide in einer Schaffenskrise und wollten in Ruhe sich wiederfinden. Dieses einfache – nur auf den ersten Blick einfache – Stück zeigt einen Tänzer, der zwischen Erinnerung an getanzte Szenen sich wieer neu schaffen will. Dabei bleibt er im Kontakt mit der Cellistin – es soll nach Wunsch Robbins immer eine Frau spielen. Wie ein Bub, der ein Mädchen beeindrucken möchte, tanzt er vor ihr, probierend, verwerfend, tastend. Es sind keine spektakulären Sprünge und Drehungen, eher einfache Bewegungen, als müsste er seinen Körper ausprobieren. Diese Nuancen zu tanzen, verlangt großes Können. Davide Dato erntet in dieser Rolle langen, verdienten Applaus.

the concert

Musik: Fréderic Chopin, Choreographie: Jerome Robbins. Musikalische Leitung des Wiener Staatsopernorchesters: Benjamin Pope

Komik im Ballett ist nicht ungewöhnlich. Aber eine ganze Geschichte als witziges Tableau zu schaffen, ist sicher neu, glaubt man. Doch Robbins schuf diese Choreographie in den 1950er Jahren als eines seiner ersten Werke. Die Bildsprache ist deutlich, die Gestik der klassischen Pantomime abgeschaut.

Ein Klavierkonzert beginnt. Der Pianist (Igor Zapravdin) betritt das Podium. Umständlich rückt er den Klaviersessel zurecht, staubt die Tasten ab. Das Konzert kann beginnen. Nun betreten mit Sesseln in der Hand die allseits bekannten Typen von Konzertbesuchern: die Zuckerlpapierraschler, die Tratscherinnen, der schüchterne Jüngling, das streitende Ehepaar. Ein wildes Durcheinander an getanzten Eifersüchteleien und Bedrohungen entsteht, bis die eitle Ballerina (Elena Bottaro) das Heft an sich reißt und statt zuzuhören zu tanzen begkinnt. Es beginnt zu regnen, nach und nach spannen allle die Schirme auf und vereinen sich für Momente in einen Traumtanz unter den Schirmen. Plötzlich werden sie zu Schmetterlingen, flattern wild über die Bühne, bis der verärgerte Pianist sie mit einem Riesennetz einfängt.

Die Komik dieses Stückes liegt einerseits in den verpatzten Bewegungen, immer ist eine Figur zu spät, zu früh, weiß nicht wohin. Und natürlich in den zauberhaften Kostümen von Holly Hynes (nach Irene Sharaff).

Lang anhaltender Applaus und Bravorufe belohnen die Solisten und das ganze Ensemble.

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Volksoper: Ein deutsches Requiem

Musik: Johannes Brahms. Choreographie:Martin Schläpfer

Musikalische Leitung des Orchesters der Volksoper Wien: Christoph Altstädt, Choreinstudierung: Holger Kristen. Sopran: Athanasia Zöhrer. Bariton: Alexandre Beuchat. Text: Worte der Heiligen Schrift

Der neue Ballettdirektor Martin Schläpfer präsentiert mit „Ein deutsches Requiem eines seiner Hauptwerke und zugleich seiner wenigen Ensemblearbeiten. Es ist gleichsam seine Visitenkarte, mit der er die Bewegungsansätze des zeitgenössischen Tanzes deklariert.

Im „Ein deutsches Requiem“ geht es um die großen Fragen des Lebens: Worin definiert sich der Sinn? Was bedeutet der Tod? Wie in anderen Requien auch (z. B. in Rossinis Werk) hat nicht der Tod das (alleinige) Sagen, sondern vielmehr das Leben. Das erst seinen Wert durch die Begrenzung des Todes bekommt. So feiert auch Martin Schläpfer in seiner Choreographie die Lebensfreude, akkompagniert von dem Wissen um Veränderung und Tod. Seine Choreopgraphie zeigt die Augenblicke der Metamorphose: Gerade eben explodiert die Freude am Leben in ekstatischen Sprüngen und Läufen, um sich im nächsten Moment in Verinnerlichung an die Sterblichkeit zu erinnern.

Lichtgestalten

Großartig wird diese Choreographie von den wunderbaren Kostümen von Catherine Voeffray unterstützt und herausgearbeitet: Die Tänzerinnen tragen ein schwarzes Kostüm, das ihren Körper halb bedeckt, Arme, Beine, Rücken und die halbe vordere Körperseite sind „nackt“/nude. Durch die raffinierte Lichtführung von Thomas Denk leuchten aus dem Dunkel der Bühne (Florian Etti) die hellen Körperteile auf, als weisen sie ins Leben. Mit diesem Hell-Dunkelspiel gewinnt der Tanz eine ganz eigene Dimension ins Tranzendente.

Das Ensemble wird gefordert: Läufe, Hebefiguren, Street Dance, modern Dance, Gruppenformierungen, Auflösung der Gruppe in ein (gewolltes) Chaos, das erfordert von den Tänzern höchste Konzentration. In manchen Momenten erscheinen Präzision und exakte Übereinstimmung nicht wichtig. Ob die leichten Irritationen gewollt oder ungewollt passieren, weiß man nicht.Sind sie Teil der philosphischen Grundstruktur der Choreograpie?. Wie so oft lässt Martin Schläpfer die Tänzer barfuß tanzen, sie sollen den Boden unter ihren Füßen spüren, sich erden, ist sein Credo. Nur einmal wird diese Maxime unterbrochen: Claudine Schoch tanzt ein faszinierendes Solo, rechts barfuß, links mit Ballettschuh. In übertriebener Langsamkeit setzt sie Schritt für Schritt, mit den Füßen austasend, was der Boden dem blanken Fuß oder dem beschuhten Fuß meldet. Man könnte es als eine Frage an die Natur verstehen, wäre der Boden etwa von Erde bedeckt. Großartig auch ihr Pas de deux mit Davide Dato. Ketevan Papava und Marcos Menha tanzten in ihrem Pas de deux die Verinnerlichung der Intimität (der Kuss ist ikonenhaft!!!) und des Aufeinanderzugehens und des Vertrauens.

Minutenlanger Applaus und Ovationen belohnten diese großartige Ensembleleistung.

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Festspielhaus St. Pölten: Schwanensee

Choreographie: Angelin Preljocaj

Musik: Tschaikowsi: Schwanensee + zusätzlicher Musik

Video: Boris Labbé, Kostüme: Igor Chapurin

Mit diesem grandiosen Ballett eröffnet die Intendantin Brigitte Fürle eine besondere Jubiläumssaison : 25 Jahre Festspielhaus St. Pölten. Zugleich wird es ihre letzte Saison an diesem Haus sein – was sicher alle Besucher dieses wunderbaren Theaters bedauern. Mit Preljocajs Neuinterpretation des Balletts „Schwanensee“ hat sie für einen fulminanten Auftakt gesorgt.

Wenn Preljocaj angekündigt wird, dann sind Spannung, Überraschung und Faszination garantiert. Von der klassischen Version Marius Pepitas‘ ausgehend versetzt er die Handlung in die Gegenwart. Mit einer starken Szene wird begonnen: Der Zauberer Rothbart – später der teuflische Manager des „Vaterkönigs“ – vergewaltigt die schöne Odette und verwandelt sie in einen Schwan – eine brutal choreographierte Szene, ein schockierender Auftakt und Vorbereitung auf eine Welt, in der Natur und Liebe durch Macht und Geldgier zerstört werden.

Nicht auf einem Königshof wird gefeiert, sondern in der Villa eines Megabauunternehmers. Im Hintergrund ragen Kräne und Hochhäuser auf (Video Boris Labbé). Man feiert weniger den Geburtstag des Sohnes, eher das neue Modell des nächsten Bauprojektes. Das Fest endet mit einer rasanten Bunga-Bungaparty. Prinz Siegfried – in weißer Jogginghose und Kapuzenshirt – hängt mehr als innig an seiner Mutter und sie an ihm. Vielleicht will Preljokaj eine Inzestbeziehung andeuten und damit auch die Unmöglichkeit des Prinzen erklären, ehrlich und treu eine andere Frau als seine Mutter zu lieben.Frustriert von den nichtssagenden Girls, die ihn auf der Party umschwärmten, zieht es den Prinzen in die Natur – doch die ist grau und steinig. Dennoch tauchen die Schwäne auf und Odette bezaubert ihn vollkommen. Diese Szenen berühren stark. Man sieht nicht die rein klassische Führung, wie man sie von Petipa her gewohnt ist, sondern vielmehr das leicht aufgelöste Ungeordnete, das immer wieder zu einer Ordnung findet. Neben den klassischen Ballettfiguren baut Preljocaj auch witzige Hullahupp-Bewegungen ein, was wie ein ironisches Augenzwinkern wirkt. Das Zusammenspiel von Klassik und modernem Tanz ist ja Preljocajs typische Handschrift. Einer der Höhepunkte ist wohl die Vereinigung von Odette und Siegfried: Beide werden von je einer Schwanengruppe hereingetragen und wie in einem Hochzeitsbett hoch über ihren Köpfen vereint. Bilder, die lange im Gedächtnis bleiben.

Das Thema der Umweltzerstörung wird in der Folge immer deutlicher. Die Baukräne wachsen, die Natur stirbt, bis kein See, kein Baum mehr zu sehen ist. Siegfried ist der Verführung des schwarzen Schwans (beide getanzt von Théa Martin) erlegen. Als er den Irrtum erkennt, ist es zu spät. Vergeblich sucht er Odette, er findet nur mehr tote Schwäne in einer toten Natur.

Ein großartiges Ensemble, eine aktuelle und durchaus stimmige Neuinterpretation und verblüffende Einzelszenen machen den Abend zu einem besonderen Ereignis.

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Wiener Staatsballett: tänze -bilder- sinfonien

Auffführung am 17. September 2021

Titelfoto: symphony in three movements, Ensemble

symphony in three movements

Musik: Igor Strawinski, Choreographie: George Balanchine. Musikalische Leitung des Orchesters der Wiener Staatsoper: Robert Reimer

Strawinski und Balanchine waren ein congeniales Paar. Balanchine der ideale Choreograph für Strawinskis Musik, Strawinski der ideale Komponist für Balanchines Choreographien. „Komponisten kombinieren Noten, Choreographen kombinieren Bewegungen, und die, die ich zu dieser Musik geformt habe, folgen keiner Handlung oder Erzählung“ – so Balanchine über Choreographie im Allgemeinen, besonders aber über die Choreographie zur dieser „symphony in three movements“ (zitiert nach „In Balanchines Worten“ im Programmheft).

Strawinski brachte diese „Symphonie ohne Programm“ 1946 zur Uraufführung. Dennoch seien Spuren des Krieges, der Hoffnung und Verzweiflung in ihr zu erspüren, wie er immer wieder betonte. Balanchines Choreographie vereint das scheinbar Unvereinbare: Er schuf ein abstraktes Ballett von unglaublicher Klarheit und Schönheit, das von den Ecken und Kanten des Lebens „erzählt“, zugleich von gleißend-fließender Körperlichkeit und Anmut ist. Einen der Höhepunkte bildet der Pas de deux von Ludmilla Konovalova und Masayu Kimoto.

Liudmila Konovalova und Masayu Kimoto (© Ashley Taylor)

Mit der extrem verlangsamten Musik werden Bewegungen bis in die feinsten Enden der Extremitäten ausgeführt und gehalten. Fast bis zur Schmerzgrenze der Tänzer (und des Zusehers). Dabei haben die beiden intensiven Körper- und Augenkontakt, was die Spannung noch erhöht.

In den Ensembleszenen hingegen sind flinke Füße, Reaktionsgeschwindigkeit und schnelle Orientierung gefragt. Bemerkenswert sind die Leistungen der „Ballettratten“, die durchaus in dieser schnellen und schwierigen Choreographie mithalten können.

Zum Gelingen dieser Choreographie trägt auch das Dirigat von Robert Reimer bei, der das Orchester mit Sicherheit in Tempo und Lautstärke führt.

pictures at an exhibition

Musik: Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgski, Choreographie: Alexei Ratmansky

Alexei Ratmansky wählte bewusst den Klavierzyklus Mussorgskis, der härter in Thema und Rhythmus ist als die Orchesterfassung von Maurice Ravel. Für das Bühnenbild haben sich Ratmansky gemeinsam mit der Kostümbildnerin Adeline André und der Project Designerin Wendall K. Harrington von der Farbstudie „Quadrate mit konzentrischen Ringen“ von Wassily Kandinsky inspirieren lassen. In wechselnden Farben und Formen werden diese auf den Bühnenhintergrund projeziert. Die Kostüme sind darauf abgestimmt. So entsteht ein genialer Dreiklang von Farben, Tanzgestik und Musik. Die Tänzer agieren nicht als Besucher einer Ausstellung, sondern werden zum bewegten Bild der Ausstellung. Was zu verblüffenden Effekten führt. Man sieht in die sich bewegenden Bildfiguren hinein, folgt ihrer „Erzählung“ und ihrer Auflösung. Ein neuer, ziemlich radikaler Ansatz einer Choreographie!

Alina Bercu am Klavier gab der Musik die nötige Kante und Rhythmik.

sinfonie nr.15 – uraufführung

Musik: Symphonie Nr. 15 A – Dur, opus 141 von Dmitri Schostakowitsch, Choreographie Martin Schläpfer, Diriget Robert Reimer

„Wie ein Forscher steigt Martin Schläpfer zusammen mit seinen Tänzerinnen und Tänzern in die Kammern der menschlichen Seele hinein.“ (Anne do Paco, im Programmheft p..45).

Graue Kostüme, ein dunkler Bühnenhintergrund, auf dem ein paar zerrissene Blätter flattern. Davor die Bewegungen der Tänzer – hektisch, ekstatisch, zugleich irgendwie verloren. Gegen die Verlorenheit müssen sie tanzen, sich bewegen, sich aneinanderkrallen. In die Haut des anderen kriechen, dessen Seele und die eigene im Tanz bloßlegen. Martin Schläpfer verlangt viel, alles von seinen Tänzern. Sie tanzen, um der Einsamkeit zu entfliehen, tanzen, um das Ego an ein Du zu binden, es im selben Augenblick zu fesseln und loszulassen. Martin Schläpfer entpuppt sich als ein „Tanzphilosoph“, und das Publikum folgt seinen Axiomen fasziniert.

Ein voll besetztes Haus dankte mit frenetischem Applaus

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Salzburger Landestheater: Anna Karenina

Ballett von Reginaldo Oliveira nach dem Roman von Lew Tolstoi

Was gleich auffällt: Oliveira setzt auf Klarheit und Verständlichkeit. Unterstützt von Sebastian Hannak, der bezaubernde Bühnenbilder schuf, und von Judith Adam, die in die Zeit passende, aber dennoch zeitlose Kostüme entwarf, gelang Oliveira mit einem sehr guten Ensemble ein beeindruckendes Handlungsporträt.

Auch wer nur den Inhalt im Programm nachgelesen hat, kann der Handlung mühelos folgen. Harriet Mills ist eine elegante Anna Karenina, stolz zu Beginn, durchaus die moralische Schlichtungsdistanz, als die sie ins Haus ihres Bruders gerufen wird. Die Schlichtung gelingt ihr, aber nicht vorgesehen war der coup de foudre, der Blitz, der sie und Wronski (Klevis Neza) traf. Es ist ein Naturereignis, dem die beiden nicht entkommen. Hier hätte man sich eine intensivere Choreografie gewünscht, explosiver. Aber es ist ja wahr: Zu diesen Zeiten in Russland war es für den Gott Amor schwer, die Menschen in den Liebeswahn zu verführen. Immer ist der Kopf dabei. Auch bei den beiden. Wronski ist ein eleganter, hübscher Offizier, sie die Grande Dame der Gesellschaft. Also ist auch bei der heißesten Leidenschaft eine gewisse Contenance angesagt. Der jungen Kitty, die von Wronski schmählich blamiert und sitzen gelassen wird, wird schon mehr Intensität in der kindlichen Verliebtheit, dann in der tiefen Enttäuschung zugeschrieben. Ganz bezaubernd also: Larissa Mota.

Flavio Salamanca macht als strenger und leicht moralinsaurer Ehemann Annas eine recht glaubhafte Figur. Solche Charaktere sind nicht leicht zu tanzen, denn Stolz und Unbeugsamkeit bringen nicht die quirligsten Figuren hervor. Doch ihm nimmt man den Ehemann gern ab. Etwas übertrieben ist die Choreografie, die Oliveira Serjoscha, dem Sohn Annas, zugeschrieben hat. Warum muss der arme Kerl auf allen Vieren über den Boden laufen?

Das Finale ist ganz hervorragend gelungen: Anna – allein gelassen von Gesellschaft und Wronski, fühlt sich in den vier Wänden eingesperrt und tanzt einen irrsinnigen Eifersuchts-Wahntanz. Das war große Leistung. Ihr Selbstmord einfallsreich und dezent inszeniert.

Alles in allem ein gut gelungenes Handlungsballett.

Weitere Aufführungen ab September. Karten und Infos:

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Festspielhaus St. Pölten eröffnet mit „Solus Amor“ von „Recirquel Company“

Was für eine Eröffnung nach der langen Durststrecke ohne Kultur! Besser, spannender und wunderbarer hätte man den Neubeginn gar nicht feiern können!

Die Gruppe „Recirquel Company“ aus Budapest wurde 2012 von dem Choreographen Bence Vegi gegründet und erwarb sich schnell danke ihres einzigartigen Stils einen internationalen Ruf. Vegi kombiniert Akrobatik und Tanz in einer Weise, wie man sie noch nie gesehen hat.

Wir alle saßen an diesem Abend staunend vor dem Theaterwunder, das sich da vor uns auftat. Zu einer langsamen und feierlichen Musik öffnet sich die Rückwand der Bühne und gibt den Blick auf ein geheimnisvolles Wogen aus Gräsern, die seltsam leuchten, frei. Daraus schreiten die Tänzer zu einem getanzten Gebet.

Solus Amor erzählt von der Liebe zwischen Mensch und Natur. Als Rahmenhandlung tritt eine Bärin (aus Tüchern und einem biegsamen Gestell, darunter die Tänzer) auf, der sich die Menschen vertrauensvoll nähern. Nein, das ist kein Kitsch! Da diese doch mächtige Bärin sich in einer sehr fragilen Form dem Menschen darbietet, ihm sogar auch ihr Junges offeriert, sieht das Publikum dieses Tier als Symbolfigur für die Natur und nicht als „echtes Tier“. Berührend ist es zu sehen, wie dieses Kunstwesen mit einfachen Bewegungen seine Zärtlichkeit dem Menschen gegenüber zum Ausdruck bringt. Es schient, als ob die Bärin als Bewunderin der Akrobatik und Tanzshow beiwohnen möchte. Sie verschwindet und kehrt immer wieder zurück.


Foto: © Solus Amor. Balint Hirling

Mit sekundengenauer Präzision schweben die Tanzakrobaten durch den Raum, es scheint, als wäre die Schwerkraft aufgehoben. Seile, quer gespannt oder hängend, biegsame Stäbe oder einfach ein Menschenturm ermöglichen es den Künstlern, ihre Körper in Schwebe zu halten und die Illusion zu erwecken, dass der Luftraum zum Tanzparkett wird.

Begeisterter Applaus und standing ovation! Man konnte bei den Tänzern und im Publikum spüren, wie die Freude über diesen Festabend alle erfasste.

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Aterballetto aus Italien: Don Juan im Festspielhaus St.Pölten

Im obigen Titelfoto verführt Don Juan, getanzt von Saul Daniele Ardillo, Elvira, getanzt von Estelle Bovay.

Die italienische Ballettgruppe „Aterballetto“ zeigte „Don Juan“, von dem schwedischen Choreograph Johan Inger atemberaubend und packend in Szene gesetzt. Auf einer dunklen Bühne (Curt Allen Wilmer und estudiosDos) stehen dicht aneinander gereiht schwarz-graue Kontainer, die sich wahlweise in Betten, Bäume oder in Häusermauern verwandeln.Durch den Einsatz von Lichtinseln (Fabiana Piccioli) und Neukompositonen von Marc Alvarez wird das Geschehen pointiert unterstrichen und vorangetrieben.

Mit 16 Tänzern – 8 Frauen, 8 Männern – gestaltet Johan Inger das Leben des Frauenjägers von seiner Geburt bis zum Verschwinden ins Nichts. Dabei hält er sich im Großen und Ganzen an die bekannte Geschichte, wie wir sie aus der Mozartoper kennen, ließ sich aber auch von Bert Brecht und anderen Don Juantexten inspirieren. Einige Figuren wie die Mutter Don Juans oder das Straßenkind sind neu. Leporello – im Stück Leo – ist eine schillernde Figur, einmal Leporello( Philippe Kratz), der widerspenstige Diener, dann wieder das Alter Ego. Neu und interessant ist die Figur der Mutter (Ina Lesnakowski). Sie verfolgt von der Geburt an ihren Frauenliebling, greift immer wieder ein. Sein Leben endet jäh auf der Kante eines der Betten, auf denen er die Frauen verführte. Er wird von schwarzen Gestalten ins dunkle Nichts gekippt.

Mit immer neuen, spannenden Figuren aus dem zeitgenössischem Ballett und dem Modern Dance schafft Johan Inger psyhologische Porträts der Figuren und macht die Handlung verständlich. Die Leistungen der gesamten Truppe sind enorm, fast unglaublich jedoch die des Don Juan. Er ist eineinhalb Stunden ohne Unterbrechung auf der Bühne. Seine tänzerischen und akrobatischen Qualitäten nehmen einem fast den Atem. Die Liebesakte tanzt er mit ungenierter Offenheit: Kaum hat er eine Frau „bezwungen“, rast er zur nächten. Zu den stärksten Szenen gehört die Hochzeit Zerlinas. Während die geladenen Gäste in ein wildes Bacchanal ausbrechen, verführt Don Juan die Braut ganz ungeniert.

Don Juan, Zerlina (Serena Vinzio) und Leo (Foto: Viola Berlanda)

Begeisterter Applaus und viele Bravorufe!

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Wiener Staatsballett in der Volksoper: „hollands meister“

Vier große Choreographen des „Nederlands Dans Theaters“ zeigen Meisterwerke:

Sol León und Paul Lightfoot: Skew-Whiff. Musik Gioachino Rossini: La gazza ladra, Ouvertüre

Hans van Manen: Adagio Hammerklavier. Musik Beethoven: Große Sonate für das Hammerklvier, Adagio

Jiri Kilián: Symphony of psalms. Musik Igor Strawinski: Symphonie de Psaumes

Szene aus „Skew-Whiff“ (Foto: Ashley Taylor)

Skew-Whiff bedeutet laut der beiden Choreographen Kauderwelsch oder „in Schräglage“. Schräg und witzig ist alles: Mimik, Figuren und Bewegungen. Hier wird gekämpft, geworben, geflirtet. Versuche gehen daneben, es darf gelacht werden. Schnelle Schritte, die oft ins Leere gehen, Figuren, die man so bisher nicht gesehen hat, alles ein wenig schief, schrullig. Die Tänzer rollen die Augen, schneiden Grimassen, stoßen unverständliche Laute aus. Alles in allem ein herrlicher Ballettunsinn auf sehr hohem Tanzniveau!

Olga Esina und Robert Gabdullin (Foto: Ashley Taylor)

„Adagio Hammerklavier“Drei Paare tanzen, die Frauen auf Spitze, die Männer mit nacktem Oberkörper. Sie tanzen die klassischen Figuren, Arabesken, pas de deux, alle Formen, die man vom klassischen Ballett kennt. Doch man erlebt kein phrasenhaftes Abtanzen, sondern Leben. Jede Bewegung ist frei von jeglicher Pose, mit Gedanken, Konzentration erfüllt. Die langsame Klaviermusik (live:Shino Takizawa) lässt die Tänzer in einem schwerelosen Raum schweben. Für Olga Esina, die Grande Dame des Balletts, eine Rolle, die ihr in die Seele, ins Gesicht, in den Körper geschrieben ist. Da zeigt sie einmal mehr die hohe Kunst der langsamen Bewegung, der Minimalverzögerung, die mit freiem Auge nicht leicht erkennbar ist. Wenn der Vorhang fällt, erwacht man aus einem Traum der Schwerelosigkeit.

Szene aus der Psalmensymphonie (Foto: Ashley Tylor)

Jiri Kilians Interpretation der Psalmensymphonie könnte ein Mysterienspiel sein, ein Initiationsritus. Der rote Hintergrund aus verschiedenen alten Teppichen (Bühne: William Katz) wandelt sich je nach Licht in eine Felsenmauer.oder in einen Tempel. Vor diesem geheimnisvollen Hintergrund tanzen Frauen zunächst als Bittstellerinnen vor der Mauer der unüberwindbaren Männer, die ihr Urteil fällen. Man denkt an Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“: Jemand begehrt Eintritt, der Hüter schickt ihn weg, obwohl das Tor immer offen war und jeder durch das Tor hätte gehen können.. Eine Parabel über Macht und Unterwerfung. Aber in Kilians Deutung kommt es am Ende doch anders: Die Frauen triumphieren.

Ein subtil und feinsinnig zusammengestellter Abend, ein großartiges Ensemble, das die fordernden Choreographien mit Bravour meistert.

Das Publikum dankt mit viel Applaus und Bravos!

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Wiener Staatsballett: Lukács/Lidberg/Duato

Es ist ein Abend, der sowohl Liebhaber des klassischen als auch die des zeitgenössichen Balletts zufrieden stellt. Mehr als nur zufrieden stellt. Beglückt!

Faycal Karoui leitete gekonnt das Orchester der Wiener Staatsoper – mit Ausnahme der Zuspielung von „White Darkness“

MOVEMENTS TO STRAVINSKY

Choreographie, Bühnenbild, Kostüme, Licht und Einstudierung: András Lukács. Musik: Auswahl von verschiedenen Kompositionen Stravinskys.

Was kann der Zuschauer Besseres tun, als sich von der fließenden Figurensprache dieses hoch künstlerischen Tanzes mittragen zu lasssen! Vor dem silbergrauen, dann wieder schwarzen Hintergrund bewegen sich die Tänzer, als wären sie aus der Renaissance heraus geschnitten. Schwarze Halskrausen und eine weiße Hüftkrause geben ihnen die historische Konnotation. Maria Yakovleva und Masayu Kimoto waren ein wundervolles Hauptpaar. Interessant auch der Tänzer Gaetano Signorelli, der mit Céline Janou Weder und Arne Vandervelde einen spannendenden pas de trois tanzte.

BETWEEN DOGS AND WOLFS

Choreographie: Pontus Lidberg, Musik: Dimitri Schostakowitsch

Hochspannend entwickelt sich dieses Stück mit dem geheimnisvollen Titel. Er soll auf die Zeit der Dämmerung hinweisen, in der man zwischen Hunden und Wölfen nicht unterscheiden kann. Also nicht zwischen „wild“, „aggressiv“ und harmlos. Zunächst glaubt man sich in ein Training für „Schwanensee“ versetzt: Einige Ballerinas im klassischen weißen Tütü tanzen vergnügt vor einer Waldkulisse. Im Bühnenhintergrund schleicht zwischen den Bäumen als Schattenriss ein Wolf. Noch wirkt er harmlos, eher belustigend, weil sein Körper mehr an ein Schwein als einen Wolf erinnert. Doch die Mädchen sind beunruhigt. Männer im grauen Anzug umtanzen sie. Sind sie Beschützer oder Bedroher? Eine Situation, wie sie oft und oft im Leben vorkommt. Doch dann hebt Lidberg die Szene ins Reich der Fabel: Rebecca Horner tanzt eine wilde Performance als Wolfsfrau mit Maske und Schwanz. Geschmeidig und bedrohlich! Dazwischen scheint sich die Welt in eine Scheinordnung zu fügen, neugierige Ballerinas gucken dem Treiben hinter den Bäumen zu. Pontus Lidberg fordert viel von der Truppe, aber auch vom Publikum, das zur Eigeninterpretation angehalten ist. Eine spannende Choreographie, die viele Deutungen zulässt.

WHITE DARKNESS

Choreographie und Kostüme: Nacho Duato. Musik: Karl Jenkins

Nacho Duato verarbeitet mit dieser Choreographie den Drogentod seiner Schwester. Vor einem dunkelbraunen Riesennetz tanzen Paare im Drogenrausch. In zuckenden Bewegungen rasen sie über die Bühne. Im Mittelpunkt das Mädchen (Schwester ?), das von ihrem Begleiter (Bruder?) gehalten, aufgefangen wird. Madison Young tanzt dieses Mädchen als Willenlose, Getriebene und Mitleiderregende. Ihr Begleiter (Jakob Feyferlik) sucht sie aufzugfangen, zugleich aber ist es er, der ihr auch das weiße Gift verabreicht. Eine großartige Performance! Mit starken Tänzern!

Manuel Legris machte dem Wiener Ballettpublikum ein großartiges Abschiedsgeschenk, das zugleich wehmütig stimmt, eben weil es so beeindruckend ist. Wie seine ganze Ära. Was wird kommen?

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Christoph Poschenrieder: Der unsichtbare Roman. Diogenes.

Christoph Poschenrieder liebt es , die Leser in Verwirrung zu setzen. Sie sollen sich fragen: Ist das wahr oder gut erfunden? In dem „unsichtbaren Roman“, der schon im Titel Zweifel an dem Genre aufkommen lässt, spielt Poschenrieder wieder einmal gekonnt mit Fakes, die Wahrheit sein könnten, und mit Tatsachen, die wie Fakes wirken.

In erster Linie geht es um das leidige Geldproblem, das die meisten Künstler, und natürlich auch die Schriftsteller haben. Der erste Roman gelingt, man wird bekannt, vielleicht sogar berühmt, dann versiegt die Inspiration. Ob das auch Poschenrieder selbst betrifft, weiß ich nicht. Er ist eigentlich recht produktiv und veröffentlichtt einen Roman nach dem anderen.

Dem Roman stellt er einen Ausspruch des Schriftstellers Gustav Meyrink (1868-1932) voran: „Man kann vom Dichten leben erst, wenn man längst krepiert ist.“ Es geht also um Gustav Meyrink. Mit seinem Roman „Der Golem“, erschienen 1915, wurde er bekannt und berühmt. Nach dem Golem gelang Meyrink kein weiterer Verkaufsschlager. Er suchte verzweifelt nach neuen Themen. In dieser Krise beginnt Poschenrieders „unsichtbarer Roman“. 1918, knapp vor Ende des Krieges, tritt das Auswärtige Amt mit einem ungewöhnlichen Auftrag an ihn heran: Er möge bitte schön stante pede einen Roman schreiben, in dem die Freimaurer verantwortlich für den Ausbruch des Krieges gemacht werden. Nach einer kurzen Empörung über dieses für ihn unakzeptable Angebot nimmt er an. Zumal der Vorschuss sehr großzügig ist. Doch es gelingt ihm keine einzige Zeile. Schreibhemmung nennt man das…Dazwischen blendet Poschenrieder Gesprächsprotokolle zwischen Meyrink und einem Herrn Hahn aus dem Auswärtigen Amt ein. Auch Briefe mit damaligen Agitatoren aus der linken Ecke werden zitiert. Hier steigt vielleicht so mancher Leser aus, dem dieses in Kreis sich drehende Spiel mit Fakten und Fakes zu bunt wird. Mein Tipp: Mit dem Nachwort des Autors („Notiz zur Geschichte der Geschichte“) anfangen, dann erklärt sich manches schneller.

In bester postmoderner Manier geht Poschenrieder auf die Suche nach einem Roman, den es so nie gegeben hat. Unter dem Deckmantel einer heiteren „Mantel- und Degenkomödie“ deckt er die perfiden politischen Versuche auf, den Freimaurern und Juden die Schuld am Ausbruch des Krieges zuzuschieben.

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Ballett: Nachmittag eines Fauns, Bolero, Carmina Burana. Volksoper Wien.

Nachmittag eines Fauns. Musik: Claude Debussy

Choreographie:Boris Nebyla

Es tanzten: Tainà Ferreira Luiz und Felipe Vieira

Ein Faun, der kein Faun ist, eine Nymphe, die keine Nymphe ist. Statt des Waldes ragten schwarze, hohe Latten empor. Boris Nebyla löste die Figuren von ihren antiken Fixierungen ab. Felipe Vieira im Nudekostüm war einfach ein Junge, eventuell ein junger Mann, der sein sexuelles Verlangen austanzt, sich nach einer Partnerin sehnt. Ohne Scham öffnet er sich, wird geil. Tainá Fereira Luiz ist keine scheue Nixe, höchstens etwas schüchtern. Doch bald passt sie sich den verlangenden Bewegungen an, die Vereinigung wird vollzogen. Hervorragend, wie die beiden diese heikle Partie tanzen! Voller Energie, voller Lust auf Deutlichkeit, ohne peinliche Pornographie.

Maurice Ravel: Bolero

Choreographie, Bühne und Licht: András Lukács

Es tanzte: Das Ensemble

Zehn Tänzerinnen und zehn Tänzer in langen, schwarzen Röcken tanzen (mit nacktem Oberkörper die Männer, mit Nudeoberteil die Frauen) im scheinbar ewig gleichen Schritt. Wie in einem Menuett mit streng festgelegten Figuren formen sie Kreise, die sich zu Spiralen auflösen, sich wieder schließen, um gleich darauf Linien zu bilden. Eine Choreographie, die vom Ensemble allergrößte Exaktheit verlangt, die allerdings nicht immer gelang. Aber der Gesamteindruck überwältigte!

Carl Orff: Carmina Burana

Choreographie: Vesna Orlic, Bühne und Kostüme: Alexandra Burgstaller

Diese freche und originelle Choreografie und Interpretation wird sicher in die Musik- und Ballettannalen eingehen. Unter dem Regime der alles beherrschenden Fortuna ( sehr gut: Martin Winter) entfaltet sich die Palette von Leiden und Freuden, die das menschliche Leben ausmachen: Die Liebe, die Eifersucht herrschen in der Jugend und bestimmen die Handlung. Das Trio Taina Luiz als Ehefrau, Felipe Vieira als Ehemann, der von der roten Schönheit (Kristina Ermolenok) gekonnt verführt wird, sind die Protagonisten des Mittelteils und des Finales und überzeugen mit ihrem großen Können. Eine berührend schlichte Brautszene tanzen Mila Schmidt (junges Mädchen) und Keisuke Nejime (junger Mann). Höhepunkt ist die Szene in der Taverne. Die Säufer und Vielfraße sind Mönche, die das Leben in allen Untiefen auskosten. Alles unter dem Kreuz, das über der reich gedeckten Tisch hängt. Herzzerreißend jammert der Schwan, getanzt von Samuel Colombet. Er wird brutal geschlachtet und verspeist. Fortuna beendet mit einem fulminanten Tanz das tolle Menschentreiben. Sie bestimmt über das Leben, wie es ihr gefällt.

Tosender Applaus, auch für den Chor und den Kinderchor der Volksoper, für das Orchester und den Dirigenten Guido Mancusi. Natürlich ganz besonders für die fulminanten Leistungen der Tänzer und Tänzerinnen. Warum liest man nie ihre Namen auf den Programmzetteln der Staatsoper? Wo ja mit dem Abgang von Vladimir Shishov vor allem Tänzer von seiner Bühnenpräsenz fehlen. „Junge Prinzen“ gibt es genug an der Staatsoper. Sobald aber eine Charakterfigur gebraucht wird, wird die Auswahl dünn.

http://www.volksoper.at

„Carmina Burana“ ist noch am 8. 14., 23. und 27. Februar zu sehen.