Wiener Staatsballett: Lukács/Lidberg/Duato

Es ist ein Abend, der sowohl Liebhaber des klassischen als auch die des zeitgenössichen Balletts zufrieden stellt. Mehr als nur zufrieden stellt. Beglückt!

Faycal Karoui leitete gekonnt das Orchester der Wiener Staatsoper – mit Ausnahme der Zuspielung von „White Darkness“

MOVEMENTS TO STRAVINSKY

Choreographie, Bühnenbild, Kostüme, Licht und Einstudierung: András Lukács. Musik: Auswahl von verschiedenen Kompositionen Stravinskys.

Was kann der Zuschauer Besseres tun, als sich von der fließenden Figurensprache dieses hoch künstlerischen Tanzes mittragen zu lasssen! Vor dem silbergrauen, dann wieder schwarzen Hintergrund bewegen sich die Tänzer, als wären sie aus der Renaissance heraus geschnitten. Schwarze Halskrausen und eine weiße Hüftkrause geben ihnen die historische Konnotation. Maria Yakovleva und Masayu Kimoto waren ein wundervolles Hauptpaar. Interessant auch der Tänzer Gaetano Signorelli, der mit Céline Janou Weder und Arne Vandervelde einen spannendenden pas de trois tanzte.

BETWEEN DOGS AND WOLFS

Choreographie: Pontus Lidberg, Musik: Dimitri Schostakowitsch

Hochspannend entwickelt sich dieses Stück mit dem geheimnisvollen Titel. Er soll auf die Zeit der Dämmerung hinweisen, in der man zwischen Hunden und Wölfen nicht unterscheiden kann. Also nicht zwischen „wild“, „aggressiv“ und harmlos. Zunächst glaubt man sich in ein Training für „Schwanensee“ versetzt: Einige Ballerinas im klassischen weißen Tütü tanzen vergnügt vor einer Waldkulisse. Im Bühnenhintergrund schleicht zwischen den Bäumen als Schattenriss ein Wolf. Noch wirkt er harmlos, eher belustigend, weil sein Körper mehr an ein Schwein als einen Wolf erinnert. Doch die Mädchen sind beunruhigt. Männer im grauen Anzug umtanzen sie. Sind sie Beschützer oder Bedroher? Eine Situation, wie sie oft und oft im Leben vorkommt. Doch dann hebt Lidberg die Szene ins Reich der Fabel: Rebecca Horner tanzt eine wilde Performance als Wolfsfrau mit Maske und Schwanz. Geschmeidig und bedrohlich! Dazwischen scheint sich die Welt in eine Scheinordnung zu fügen, neugierige Ballerinas gucken dem Treiben hinter den Bäumen zu. Pontus Lidberg fordert viel von der Truppe, aber auch vom Publikum, das zur Eigeninterpretation angehalten ist. Eine spannende Choreographie, die viele Deutungen zulässt.

WHITE DARKNESS

Choreographie und Kostüme: Nacho Duato. Musik: Karl Jenkins

Nacho Duato verarbeitet mit dieser Choreographie den Drogentod seiner Schwester. Vor einem dunkelbraunen Riesennetz tanzen Paare im Drogenrausch. In zuckenden Bewegungen rasen sie über die Bühne. Im Mittelpunkt das Mädchen (Schwester ?), das von ihrem Begleiter (Bruder?) gehalten, aufgefangen wird. Madison Young tanzt dieses Mädchen als Willenlose, Getriebene und Mitleiderregende. Ihr Begleiter (Jakob Feyferlik) sucht sie aufzugfangen, zugleich aber ist es er, der ihr auch das weiße Gift verabreicht. Eine großartige Performance! Mit starken Tänzern!

Manuel Legris machte dem Wiener Ballettpublikum ein großartiges Abschiedsgeschenk, das zugleich wehmütig stimmt, eben weil es so beeindruckend ist. Wie seine ganze Ära. Was wird kommen?

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Christoph Poschenrieder: Der unsichtbare Roman. Diogenes.

Christoph Poschenrieder liebt es , die Leser in Verwirrung zu setzen. Sie sollen sich fragen: Ist das wahr oder gut erfunden? In dem „unsichtbaren Roman“, der schon im Titel Zweifel an dem Genre aufkommen lässt, spielt Poschenrieder wieder einmal gekonnt mit Fakes, die Wahrheit sein könnten, und mit Tatsachen, die wie Fakes wirken.

In erster Linie geht es um das leidige Geldproblem, das die meisten Künstler, und natürlich auch die Schriftsteller haben. Der erste Roman gelingt, man wird bekannt, vielleicht sogar berühmt, dann versiegt die Inspiration. Ob das auch Poschenrieder selbst betrifft, weiß ich nicht. Er ist eigentlich recht produktiv und veröffentlichtt einen Roman nach dem anderen.

Dem Roman stellt er einen Ausspruch des Schriftstellers Gustav Meyrink (1868-1932) voran: „Man kann vom Dichten leben erst, wenn man längst krepiert ist.“ Es geht also um Gustav Meyrink. Mit seinem Roman „Der Golem“, erschienen 1915, wurde er bekannt und berühmt. Nach dem Golem gelang Meyrink kein weiterer Verkaufsschlager. Er suchte verzweifelt nach neuen Themen. In dieser Krise beginnt Poschenrieders „unsichtbarer Roman“. 1918, knapp vor Ende des Krieges, tritt das Auswärtige Amt mit einem ungewöhnlichen Auftrag an ihn heran: Er möge bitte schön stante pede einen Roman schreiben, in dem die Freimaurer verantwortlich für den Ausbruch des Krieges gemacht werden. Nach einer kurzen Empörung über dieses für ihn unakzeptable Angebot nimmt er an. Zumal der Vorschuss sehr großzügig ist. Doch es gelingt ihm keine einzige Zeile. Schreibhemmung nennt man das…Dazwischen blendet Poschenrieder Gesprächsprotokolle zwischen Meyrink und einem Herrn Hahn aus dem Auswärtigen Amt ein. Auch Briefe mit damaligen Agitatoren aus der linken Ecke werden zitiert. Hier steigt vielleicht so mancher Leser aus, dem dieses in Kreis sich drehende Spiel mit Fakten und Fakes zu bunt wird. Mein Tipp: Mit dem Nachwort des Autors („Notiz zur Geschichte der Geschichte“) anfangen, dann erklärt sich manches schneller.

In bester postmoderner Manier geht Poschenrieder auf die Suche nach einem Roman, den es so nie gegeben hat. Unter dem Deckmantel einer heiteren „Mantel- und Degenkomödie“ deckt er die perfiden politischen Versuche auf, den Freimaurern und Juden die Schuld am Ausbruch des Krieges zuzuschieben.

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Ballett: Nachmittag eines Fauns, Bolero, Carmina Burana. Volksoper Wien.

Nachmittag eines Fauns. Musik: Claude Debussy

Choreographie:Boris Nebyla

Es tanzten: Tainà Ferreira Luiz und Felipe Vieira

Ein Faun, der kein Faun ist, eine Nymphe, die keine Nymphe ist. Statt des Waldes ragten schwarze, hohe Latten empor. Boris Nebyla löste die Figuren von ihren antiken Fixierungen ab. Felipe Vieira im Nudekostüm war einfach ein Junge, eventuell ein junger Mann, der sein sexuelles Verlangen austanzt, sich nach einer Partnerin sehnt. Ohne Scham öffnet er sich, wird geil. Tainá Fereira Luiz ist keine scheue Nixe, höchstens etwas schüchtern. Doch bald passt sie sich den verlangenden Bewegungen an, die Vereinigung wird vollzogen. Hervorragend, wie die beiden diese heikle Partie tanzen! Voller Energie, voller Lust auf Deutlichkeit, ohne peinliche Pornographie.

Maurice Ravel: Bolero

Choreographie, Bühne und Licht: András Lukács

Es tanzte: Das Ensemble

Zehn Tänzerinnen und zehn Tänzer in langen, schwarzen Röcken tanzen (mit nacktem Oberkörper die Männer, mit Nudeoberteil die Frauen) im scheinbar ewig gleichen Schritt. Wie in einem Menuett mit streng festgelegten Figuren formen sie Kreise, die sich zu Spiralen auflösen, sich wieder schließen, um gleich darauf Linien zu bilden. Eine Choreographie, die vom Ensemble allergrößte Exaktheit verlangt, die allerdings nicht immer gelang. Aber der Gesamteindruck überwältigte!

Carl Orff: Carmina Burana

Choreographie: Vesna Orlic, Bühne und Kostüme: Alexandra Burgstaller

Diese freche und originelle Choreografie und Interpretation wird sicher in die Musik- und Ballettannalen eingehen. Unter dem Regime der alles beherrschenden Fortuna ( sehr gut: Martin Winter) entfaltet sich die Palette von Leiden und Freuden, die das menschliche Leben ausmachen: Die Liebe, die Eifersucht herrschen in der Jugend und bestimmen die Handlung. Das Trio Taina Luiz als Ehefrau, Felipe Vieira als Ehemann, der von der roten Schönheit (Kristina Ermolenok) gekonnt verführt wird, sind die Protagonisten des Mittelteils und des Finales und überzeugen mit ihrem großen Können. Eine berührend schlichte Brautszene tanzen Mila Schmidt (junges Mädchen) und Keisuke Nejime (junger Mann). Höhepunkt ist die Szene in der Taverne. Die Säufer und Vielfraße sind Mönche, die das Leben in allen Untiefen auskosten. Alles unter dem Kreuz, das über der reich gedeckten Tisch hängt. Herzzerreißend jammert der Schwan, getanzt von Samuel Colombet. Er wird brutal geschlachtet und verspeist. Fortuna beendet mit einem fulminanten Tanz das tolle Menschentreiben. Sie bestimmt über das Leben, wie es ihr gefällt.

Tosender Applaus, auch für den Chor und den Kinderchor der Volksoper, für das Orchester und den Dirigenten Guido Mancusi. Natürlich ganz besonders für die fulminanten Leistungen der Tänzer und Tänzerinnen. Warum liest man nie ihre Namen auf den Programmzetteln der Staatsoper? Wo ja mit dem Abgang von Vladimir Shishov vor allem Tänzer von seiner Bühnenpräsenz fehlen. „Junge Prinzen“ gibt es genug an der Staatsoper. Sobald aber eine Charakterfigur gebraucht wird, wird die Auswahl dünn.

http://www.volksoper.at

„Carmina Burana“ ist noch am 8. 14., 23. und 27. Februar zu sehen.