Elisabeth – Joe Harriet, Die unveollendete Geliebte/ Olga Waissnix & Arthur Schnitzler, Amalthea 2015

Hier wird Seelenstriptease auf höchstem Niveau betrieben. Die Autorin hat das Verhältnis der beiden Protagonisten akribisch durchleuchtet. Der Leser fühlt sich fast als Voyeur, wenn er der Liebesgeschichte, die sich im Lauf der Jahre in eine schöne Freundschaft klärte, in Briefen und Tagebucheintragungen folgt. Olga Waissnix ist die „schöne Wirtin“ vom Thalhof in Reichenau. Sie ist nicht nur schön, sondern auch intelligent und gebildet, vom Adel und der Wiener Gesellschaft, die im Thalhof Urlaub machen, umschwärmt. Schnitzler und sie lernen einander in Meran kennen und verlieben sich heftig ineinander. Aber Olga wird nicht seine Geliebte, weil sie den Skandal fürchtet. Ihr eifersüchtiger Ehemann Karl und ihr Vater Ludwig Schneider „überwachen“ mit Argusaugen ihre Tugend. In den Briefen, die zwischen den beiden regelmäßig gewechselt werden, kann man diese schwierige Liebe nachvollziehen. Im Mittelteil des Buches, als sich Schnitzler zahlreichen anderen Frauen zuwendet, wird es mühselig zu lesen. Da wird das Wort „Liebe“ in allen Varianten zu Tode geredet, sehr oft im Klischee erstickt. Schnitzler entpuppt sich als berechnender Egoist, Olga als unentschlossene Nicht-Geliebte.

Interessant wird es wieder, als beide sich für die Freundschaft entschließen und die Diskussionen um das Thema Liebe abflauen. Olga wird die erste und ausadauernde Bewunderin Schnitzlers als Schriftsteller. Als sie schwer an Bauchfellentzündung erkrankt, wird das Verhältnis beider inniger und ehrlicher. Auch wenn sie sich nur selten sehen. Olgas Briefe sprechen von den Schmerzen, die sie 6 Jahre hindurch ertragen muss. In dieser Zeit wird sie die gr0ße Versteherin eines schwierigen Dichters. Sie brauchen einander, um über die Trostlosigkeit des Lebens hinweg zu kommen. Olga stirbt mit 35 Jahren an einer missglückten Operation.

Das Buch ist für alle eingefleischten „Reichenauer“, die Sommer für Sommer nach Reichenau zu den Festspielen und zu Helga Davids Aufführungen pilgern, besonders interessant. Es ist eine Zeitreise in eine Vergangenheit, als dieser Ort noch kultureller und gesellschaftlicher Knotenpunkt war.

Wie ging es weiter mit dem „Thalhof“?

Nach  Olga Wasisnix´s  Tod ging es mit dem Thalhof bergab. In den letzten 16 Jahren wurde ein Teil des ziemlich herabgekommenen Hotels von Helga David als Theaterstätte erfolgreich bespielt. Die neuen Besitzer Ursula und Josef Rath haben den Vertrag mit ihr leider gekündigt. Es heißt, derThalhof wird total renoviert und soll wieder als Theaterstätte fungieren.

Michel Houellebecq, Unterwerfung, Dumont

Die gute Kritik zuerst: Der Plot ist genial, ein Kandidat aus der Bruderschaft der Muslime übernimmt 2021/22 die Herrschaft in Frankreich, und schleichend verändert sich das Stadtbild von Paris, Frauen verschwinden aus führenden Positionen und werden zurück an Heim und Herd beordert. Kritiker, Professoren der diversen Universitäten lassen sich durch weit höhere Gehälter, als sie bisher hatten, kaufen.  Francois, ein Professor für Literatur an der Uni Sorbonne, ist der Protagonist, der all diese Veränderungen registriert. Auch er wird angeworben – und nun der zweite geniale Einfall des Autors: Die letzten 4 Seiten, als es um die Entscheidung geht, ob Francois zum Islam übertreten wird und sich kaufen lässt, ein wahnsinnig hohes Gehalt für eigentlich keine Aufgabe annehmen wird – schreibt Houellebecq alles im Konjunktiv! Ein Hoch auf diese Idee! (ich liebe den Konjunktiv in der Literatur, der meines Wissens zum letzten Mal so genial von Michael Kehlmann in der Vermessung der Welt angewendet wurde). Er führt daher alle Leser, die auf Spannung aus sind – „wie geht das weiter, wie gehts aus“ – an der Nase herum!! Nichts ist entschieden, alles ist offen.

So, das war es schon von meiner Seite mit den Positiva. Ich gebe zu, ich mag einen Roman nicht, der schon mit so viel Lobeshymnen von den Medien eingedeckt wurde, dass der Leser sich schämt zuzugeben, ihm gefällt das Ganze überhaupt nicht. Also – ich gestehe es. Denn die gute Story ist durch ellenlange Abhandlungen über den spätromantischen französischen Schriftsteller Huysmans, über andere Schriftsteller und Philosophen, die man heute kaum mehr kennt – ich zumindest nicht und musste daher dauernd im Internet surfen, um zu lesen, dass der Gesuchte kaum von Bedeutung ist – also – um den Faden aufzunehmen, die gute Story ist durch die literarischen Exkurse über unbekannte Schriftstellerwelten und  Meinungen diverser Literaturhistoriker kaputtgeschrieben. Mühevoll bemüht sich Houellebecq  um existentielle Zusammenhänge, indem er Francois auf den Spuren von Huysmans an christliche Orte schickt, um herauszufinden, ob er im Christentum  Halt finden könnte. Denn durch die islamische Neuorientierung im Lande  und die Kündigung an der Universität ist dem armen Francois der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Vor allem ist ihm sein sexuelles Jagdrevier verloren gegangen, wodurch er sich bisher in seinem Mannsein bestätigt sah. Keine willigen Studentinnen mehr – kein Sex mehr. Auch die Freundin hat sich nach Israel abgesetzt. Deshalb der halbherzige Versuch, es zuerst mit dem Christentum zu probieren, was ihm nicht gelingen will und dann mit dem Islam, der zumindest ein Leben im Luxus garantieren würde. Aber eben nur „würde“ – die Entscheidung bleibt offen. Dafür danke ich dem Autor! Vielleicht auch noch für einige ironische Einschübe, die das Lesen erträglich machen.

Die Meinungen in der Leserunde: Es gab hymnische Beurteilungen, wie: Das wichtigste Buch über unsere von Gewalt und IS bedrohten Zeit (diese Seite des Islam spricht Houellebecq allerdings überhaupt nicht an, ja er scheint sie sogar tunlichst zu meiden). Viele aus der Runde meinten, dass die ersten 40, 50 Seiten sehr mühselig zu lesen waren (besagte Abhandlungen über Literatur und Philosophie), waren aber grundsätzlich von dem Buch angetan, weil der Autor seinen Protagonisten auf Sinnsuche schickt. Es fiel auch die Kritik, dass die Probleme, die sich in einer islamischen Regierung ergeben können,  zu banal dargestellt sind.

Meine zusammenfassende persönliche Meinung: Houellebecq zeigt eher eine gemütliche Unterwerfung unter den Islam auf. Vergleicht man den Titel „Unterwerfung“ mit dem Film „Submission“ (Unterwerfung) von Theo van Gogh, so fällt erst recht die Verharmlosung auf: Denn Theo van Gogh berichtet über die Unterwerfung von Frauen in der islamischen Welt, die zwangsverheiratet, vergewaltigt und geschlagen werden. Er musste seinen Mut ja bekanntlich mit dem Leben bezahlen. Das wollte Houellebecq ganz eindeutig nicht riskieren.

Die Frage nach dem Cover : einige meinten – es sei ein Symbol für die verschleierte Frau, andere sahen in dem Vogelgesicht das wachsame Auge des Geheimdienstes oder des Präsidenten. Auf alle wirkte der schwarze Vogel bedrohlich. Der Zusammenhang mit dem Werk bleibt offen.

 

Corrado Augias, Die Geheimnisse Italiens. Roman einer Nation. C.H.Beckverlag

Italiens Städte werden von einer innerliterarischen Seite durchleuchtet. Augias stöbert in den Werken der Literaten, in Briefen, in Büchern von Philosophen und entwirft zwar kein neues Bild auf Städte wie Rom, Palermo, Neapel, Mailand oder Venedig, aber doch gelingen ihm unübliche Blickwinkel. So weiß man zum Beispiel, dass Palermo ein kultureller Schmelztiegel aus Abendland, Islam und der griech.-byzantisnischen Welt ist, aber dass die Stadt vom Todesgedanken – inklusive Mafia – beherrscht wurde und wird, ist vielleicht nicht allen bekannt. Die Gesellschaft Roms stellt er als eitel, geschwätzig und oberflächlich dar. Interessant ist die Momentaufnahme Neapels aus den letzten Tagen der deutschen Besetzung. Da bewiesen die Bewohner Mut zum Widerstand, und zwar alle – vom Adeligen bis zum Straßenjungen. Doch dieses Aufflackern eines Stolzes verkam zu einem schäbigen Anpassen an die Befreier. Mailand wiederum definiert der Autor über die Geburt des Regietheaters unter Strehler. Mit den politisch brisanten Brechtaufführungen setzte Strehler wichtige gesellschaftliche Zeichen, die heute leider keine Wiederholung finden.

„Die Wahrheit über Italien“ oder die Geheimnisse Italiens hat auch Augias nicht ans Tageslicht bringen können. Denn wo liegt die Wahrheit einer Stadt oder gar einer Nation?? Das sind zu hoch und zugleich zu vage gesteckte Ziele. Aber für alle Italieninteressierte ist dieses Buch eine Bereicherung. Denn der Autor scheut sich nicht vor harter Kritik, die er zwar meist anderen – Literaten, Theater- oder Staatsmännern – in den Mund legt. Kritk dem eigenen Land gegenüber ist allemal besser als eitle Nabelschau.

Margret Greiner, Auf Freiheit zugeschnitten. Emilie Flöge, Verlag Kremayr&Scheriau

Endlich eine Romanbiografie, die sowohl den Namen „Roman“ als auch „Biografie“ verdient. Was weiß man schon über Emilie Flöge? -„Ach ja, das war doch die Geliebte Gustav Klimts“ oder „Gustav Klimt hat sie doch ein paar Mal gemalt“ – mehr kommt da nicht. Darum war es wichtig, dieses Buch über diese interassante Frau zu schreiben und zwar nicht nur als „Beigabe“ zu Klimt, nicht nur in der Konnotation mit Klimt. Denn Emilie Flöge war für ihre Zeit – und wahrscheinlich auch noch für heutige Zeiten – eine fortschrittliche, selbständige Frau. Sie führte ihren eigenen Modesalon zu einer Zeit, als man von Coco Chanel noch nichts wusste. Sie entwarf Mode, um die Frauen aus dem Korsett und den Zwängen des pompösen Kleiderwahns zu befreien. Ihre Entwürfe entstanden in Konkordanz mit den Wiener Werkstätten.

Als Lebensbegleiterin von Gustav Klimt hatte sie sich früh entschlossen, aus dem Kampf um die erotische Vormachtstellung in seiner Gunst auszusteigen,  alle Amouren ohne Kommentar hinzunehmen und ihm „die Frau an seiner Seite“ im öffentlichen und privaten Leben zu sein, ohne jede sexuelle Beziehung. Diese Haltung fiel ihr nicht immer leicht, aber es war für das Paar der einzig mögliche Weg der gegenseitigen Akzeptanz.

Margret Greiner gelingt es in einer unaufgeregten Sprache mit viel Feingefühl, die Figur Flöges lebendig werden zu lassen. Der Leser weiß immer, wo die Romanfiktion beginnt und wo andrerseits die Recherchen sich auf gesichertem Terrain befinden. In inneren Monologen, Dialogen und Reflexionen führt sie uns an den Charakter dieser interessanten Frau heran, und zwar so nahe, wie es ein Roman erlaubt und so distanziert, wie es eine Biografie verlangt.

Unbedingt lesen!

Mauro Corona, Im Tal des Vajont, Graf Verlag

Eine bedrückend-intensive Geschichte über das harte Leben der Menschen im abgelegenen Bergtal zwischen Friaul und Veneto. Im Dorf Erto spielen sich Natur- und Menschentragödien ab mit der Wucht griechischer Dramen. Die Sprache ist wie geschliffener Marmor. Hart. Eindrucksvoll

Evjenia Fakimu, Aretha und die Frauen des Kleanthes

Eine zu tiefst berührende, fein gesponne Geschichte aus Griechenland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Mädchen Aretha, das beim geringsten Schock in tagelangen Tiefschlaf verfällt, wird von den besorgten Tanten in eine immer enger werdende Welt gezwungen, um die Gefahren von ihr abzuhalten. Bis ihr nur mehr das Zimmer im 1. Stock des Hauses bleibt. Trost ist ihr die Liebe zu dem Jungen Andreas. …Wer je Griechenlands Wurzeln erahnt oder erlebt hat – eine Ahnung bekommt man ja hie und da auch heute noch – der muss dieses Buch lesen.