Joachim Meyerhoff liest aus seinem Buch: „Man kann auch in die Höhe fallen“. Landestheater Niederösterreich

Wenn Meyerhoff ruft, dann kommen so viele, wie nur in das Theater reinpassen.. Denn er war und ist einer der Schauspieler, dessen nicht ganz freiwilliger Abschied von Wien und dem Burgtheater eine Riesenlücke hinterlassen hat. Mit lang anhaltendem Auftrittsapplaus wird er begrüßt, als einer den man sehr vermisst hat und der nun wiedergekehrt ist.

Sein sechstes und vorläufig letztes Buch ist eine gnadenlose Selbstanalyse, eine Abrechnung mit dem Menschen, wie er, noch unter den Folgen des Schlaganfalles leidend, seine Familie durch unkontrollierbare Wutanfälle schockiert und beleidigt hat. Bei seiner 86-jährigen Mutter, die allein das Haus an der Ostsee und den riesigen Grund rundherum bestellt, sucht er Rettung und Heilung. Die Gegensätze zwischen Sohn und Mutter könnten nicht größer sein: Er kreidebleich und angstgeplagt, sie „rüstig wie eine Ritterrüstung“.Sie genießt zu seinem Entsetzen Döner und Currywurst, er kotzt sich während der Autorfahrt an. Sie schwimmt trotz Feuerquallen, die gerade die Küste der Ostsee in Massen heimsuchen, weit hinaus, er bleibt zitternd am Ufer. Mit liebevoller Härte teilt sie ihn zu Arbeiten im Garten ein, päppelt ihn mit Hausmannskost, Wein, Bier und Whiskey auf. Nach zehn Wochen ist er wieder fit wie vormals. Zwischen dieser Mutter-Sohn -Geschichte werden Erinnerungen an „Hänger“ auf der Bühne aufgerufen und erheitern das Publikum. Berlin als hektische Stadt kommt gar nicht gut weg, viel Lob bekommt Wien ab. Langer Applaus, bis er zum Abschied winkend von der Bühne geht. Geduldig lächelnd signiert er Buch für Buch. Die Warteschlange ist lang. Kein Buch bleibt unsigniert.

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KaiserRequiem. Volksoper Wien

Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung. Musik Viktor Ullmann. Dichtung: Peter Kien, Viktor Ullmann und Felix Braun.

Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem d-Moll.

Musikalische Fassung: Omer Meir Wellber

Die Idee, die beiden Werke ineinander zu verschränken, hatte Omer Meir Wellber schon lange. Beide sind in D-Moll komponiert rund um das Thema des Todes. 1942 wurden Viktor Ullmann und Peter Kien in das Lager Theresienstadt transportiert, das als Vorzeigelager diente. Es gab Theater, Bibliothek und Varieté. Damit wollten die Nazis Kontrollbesucher des Roten Kreuzes täuschen. Peter Kien und Viktor Ullmann schrieben das Kaiserrequiem im Angesicht des Grauens. Ihr Werk wurde nicht aufgeführt, da die Nazis sich verhöhnt fühlten. Kien und Ullmann wurden kurz darauf nach Auschwitz transportiert, wo sie ermordet wurden.

In Andreas Heise fand Omer Meir Wellber einen congenialen Partner, dessen Regie- und Choreographiekonzept die Grundidee der beiden Werke harmonisch ineinander fügt. Er fügte den Sängern Tänzer hinzu, die sie als Alterego oder als Schatten begleiten. Die Musik Ullmanns und Kiens ist von den 30-er Jahren geprägt. Man hört Operette, Foxtrott, Bach- und Mahlerzitate. Mit eckigen, oft sperrigen Bewegungen, die an Gret Palucca, dann wieder an Oskar Schlemmer erinnern, interpretieren die Tänzer und Tänzerinnen den Chor und die Sänger und Sängerinnen.

Kaiser Overall (eindrücklich und stark Daniel Schmutzhard) hat den totalen Krieg ausgerufen: Alle gegen alle! In seinem Reich zwischen grauen fensterlosen Mauern (Bühne und Kostüm Sascha Thomsen) bricht das Chaos aus, denn damit hat der Kaiser nicht gerechnet: Der Tod streikt- ab nun wird er sich zurückziehen und niemand wird sterben. Mit eindrucksvollem Bass bietet Josef Wagner als Tod dem Kaiser die Stirn und entmachtet ihn so. Der Trommler (Wallis Giunta großartig in dieser Rolle) eben noch ein Vasall des Kaisers, wechselt die Seiten und ruft zum Aufstand auf. Die Menschen erkennen einander in der Liebe. Am Ende liegt der Kaiser, seiner Insignien und Kleider beraubt, am Boden, in den Mauern gehen Fenster zur Welt auf. Hoffnung keimt auf. In die Szenen des Grauens und der Wiedererinnerung an die Liebe fügen sich die Teile des Mozartrequiems nahtlos ein. Würde der Chor nicht auf Latein singen, man hätte den Übergang nicht explizit wahrgenommen.

Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand, jeder Besucher wird sich seine eigenen Gedanken dazu machen. Es steht fest: Dieser Abend wirkt als ikonisches Ereignis noch lange nach.

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„Blitz und Donner“ – Strauss verliebt in Olga. Urauffühurng

Inszenierung: Jacqueline Kornmüller. Musik: Johanna Doderer und Johann Strauss

„Eine verbotene Liebe wird Theater“ heißt es auf dem Programmzettel. Die Liebesbriefe zwischen Johann Strauss und der adeligen Olga Smirnitskaja sind die Grundlage für Jacqueline Kornmüllers Inszenierung, kompletiert mit den Briefen Olgas an Johann, geschrieben von Milena Michiko Flasar. und Texten des Musikwissenschaftlers Thomas Aigner und Christian Sauers.

Musiker und Musikerinnen spielen unermüdlich auf der weiten, leeren Bühne, bis sich Peter Wolf in der Rolle des Wissenschaftlers Thomas Aigner aus dem Hintergrund löst und erzählt, wie er die verschollen geglaubten Briefe in der Rathausbibliothek Wiens gut verschnürt in einer Schachtel fand. Dann beginnt das Liebesdrama zwischen Johann Strauß – glaubhaft und dem heutigen Straussbild authentisch angepasst gespielt von Christian Nickel – und der jungen, schönen Mara Romai als Olga. Geschickt nützt die Regie die Weite der Bühne, um die Distanz zwischen Johann und Olga, die selbst die starke Liebe nicht überwinden wird, zu thematisieren. Sie begegnen einander nur an gesellschaftlichen Anlässen, wagen kaum ein Wangenküsschen oder Heimlichkeiten. Das wache Auge der Mutter Olgas (streng und stumm Miriam Mercedes Vargas) verhindert Nähe. Und doch – die Briefe sprechen eine deutliche Sprache von kaum bezähmbarer Leidenschaft. Besonders Olga strahlt vor Entschlossenheit. Johann ist ein Zauderer, letztendlich ein Feigling – er duckt vor seiner allesbeherrschenden Mutter, vor Olgas Eltern. Olga wäre bereit mit Johann zu fliehen, das Wagnis einer unsicheren Zukunft auf sich zu nehmen. Amor in Person der reizenden Freundin Olgas (Laura Schlittke) fungiert als Postillon d`amour. Doch letztendlich siegt die gesellschaftlliche Norm – Johann wird nach Wien zurückkehren und sich den Anordnungen einer Mutter beugen, Olga wird in einen Zug mit unbekanntem Ziel verfrachtet. „Was ist von unserer Liebe geblieben, fragt sie in einem ihrer Briefe – Fensterblicke und Fensterküsschen“.

Um diese letztendlich banale Geschichte einer gescheiterten Liebe Tiefe und theatralische Wirksamkeit zu verleihen und sie aus der Kitschgefahr zu retten, bedient sich Jaqueline Kornmüller der Musik und vor allem einer fast therapeutisch- meditativen Langsamkeit. Wenn sich Olga im weißen, später im schwarzen, Pauline im rosa Reifrock (Bühne und Kostüme ebenfalls Jacqueline Kornmüller) in sanften, in sich ruhenden Bewegungen drehen, dahinter starr und stumm die Mutter im schwarzen Reifrock die Tochter bedroht, an den Rändern die Musikanten eine Mischung aus Johann Strauss und Joanna Doderer spielen – dann entstehen Bilder jenseits von Zeit und Raum. Etwas bemüht wirken die Einschübe über das Wetter. speziell über die verschiedenen Arten von Regen. Denn es heißt, dass der Melancholiker Strauss am besten bei Donner und Blitz komponieren konnte. Alles in allem ein Abend, der sicher eine hohe künstleriche Latte für die zahlreichen noch zu erwartenden Darbietungen im Straussjahr 2025!

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Sidi Larbi Cherkaoui. Ballet du Gran Théâtre de Genève. Eastman: Ihsane. Festspielhaus St. Pölten

Mit Texten in arabischer, französischer und englischer Sprache.

Sidi Larbi Cherkaoui widmete 2022 das Ballett „Vlaemsch“ seiner Mutter und seinen flämischen Wurzeln. Nun erforscht er in „Ihsane“ die Beziehung zu seinem Vater, der aus Marokko stammte und nach Belgien auswanderte. immer aber seiner Heimat und ihrer Tradition und Religion verhaftet blieb. Dieser Liebe zu Marokko spürt Charkaoui in „Ihsane“ nach.

Das Publikum entführte er in ein zweistündiges Märchen aus Musik, Gesang und Tanz. Der Abend wirkte wie ein riesiges, aufgeschlagenes Buch, aus dem die Figuren heraustreten, lebendig werden und Geschichten erzählen, ersingen, ertanzen. Da man die Texte nicht verstand, was sehr schade war – es wurden nur die englischen übertitelt und das viel zu schnell – war man auf seine eigene Intuition, Interpretation und auf eventuelle Erinnerungsbilder aus Marokko angewiesen.

„Ihsane“ bedeutet im Arabischen Brüderlichkeit, Liebe, Wohlwollen. Zugleich aber will Charkaoui mit diesem Titel an den brutalen Mord an dem gleichnamigen homosexuellen Jungen namens Ihsane (2012 in Lüttich) mahnend erinnern.

Es begann sehr real. In einer Medrese (Bühnenbild Amine Amharech) unterrichtet der Lehrer die arabische Schrift, lässt Schüler und Schülerinnen (!) kurze Liedtexte lernen und singen, fordert das Publikum auf, mitzusingen. Was viele auch begeistert taten. Danach löste sich die Wand der Medrese auf, übrig blieb das Tor, das, geheimnisvoll beleuchtet, Eingang oder Ausgang zu einer neuen, dem Publikum unbekannten Welt war. Im Halbdunkel verborgen spielten die Musiker eine Musik, die sehr alt klang, aber in der Tat von Jasser Haj Jussuf neu komponiert wurde. Ein magisch-mystisches Bild nach dem anderen verzauberte das Publikum. Es geschieht der Mord an Ihsane, es werden alte Mythen der Gnawas heraufbeschworen, man meint, ihre geheimnisvolle Feier (Lila) zu erleben, wo im Rauschtanz die Teilnehmer in Trance fallen und sich selbst erlösen. In weiten, im Tanz sich aufdrehenden Gewändern in den Abendfarben Marokkos (ocker, dunkelrot, lila – entworfen vom marokkanischen Designer Amine Bendriouich) erzählen die Tänzer vom Miteinander in spannenden Gruppenchoreographien, von Tieropfern, Begräbnisritualen und Teezeremonien – von einer Welt, die im Verschwinden begriffen ist und zu Tourismusperformance zu verkommen droht. Dass man die Texte der Sänger nicht verstand, hatte zur Folge, dass nach der Hälfte die Spannung und das Überraschungsmoment nachließen. Auch weil die Szenen einanander oftmals ähnelten. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen intensiven Abend mit mystischen Bildern und Musik, die erahnen lassen, was die religiöse und mystische Kultur Marokkos ausmacht(e).

www.festspielhaus.at

Sy Montgomery, Das Geschenk des Kolibris. Diognes Tapir

Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Schäfer. Mit zahlreichen farbigen Illlustrationen von Lore Ruttan

Sy Montgomery ist den Lesern vor allem durch ihr Buch „Rendezvous mit einem Oktopus“ bekannt, in dem sie von der verblüffenden Intelligenz dieses Tieres erzählt. Mit „Das Geschenk des Kolibris“ begeistert sie die Leser für diese zartesten und doch mit Bärenkräften ausgestatteten Vögel. Schillernd in allen Farben, schwirren diese Geschöpfe mit unglaublicher Energie durch die Luft, kopfüber, im Retourgang, im Schraubflug – kurz sie sind die Kunstpiloten des Luftraumes. Leider ist ihr Überleben alles andere als gesichert.

„Dies ist die Geschichte einer Auferstehung….die Geschichte eines kleinen Wunders. Wie klein? Nicht viel größer als zwei Hummeln – denn so klein waren Zuni und Maya, zwei verwaiste Kolibriküken, als ich sie…zum ersten Mal sah“, schreibt die Autorin im Vorwort.

Als Sy Montgomery erfährt, dass ihre Freundin, die bekannte Vogelretterin Brenda Sherburn, zwei Kolibrikükeneier zur Rettung übernommen hat, beschließt sie, ihr bei diesem schwierigen Unterfangen zu helfen. Dabei lernt sie, welch ungeheure Anforderung solch ein Unterfangen stellt: Alle 20 Minuten müssen die Kleinen mit frischen Fruchtfliegen, angereichert mit Vitaminen und Ölen, mit großer Vorsicht gefüttert werden. Einmal die Fütterung vergessen kann fatale Folgen haben. Die Winzlinge gedeihen gut, bekommen ihr Federkleid und werden Maya und Zuni genannt. Eines Tages entdecken die beiden Vogelmütter hunderte Milben im Gefieder. Das kann tödlich werden. Als einzige Rettung bleibt, die Fruchtfliegen im Desinfektionsbad umzubringen. Das aber unter Lebensgefahr der Kolibris! Doch die beiden überstehen die Prozedur und können bald für die Freiheit vorbereitet werden. Sie werden zu „Wundern des Himmels“.

Ein Buch, das niemand kalt lässt. Man bekommt eine Ahnung von den Geheimnissen und Wundern der Natur, von dem wir Menschen nur einen winzigen Bruchteil erahnen können.

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Franca Rame und Dario Fo: Offene Zweierbeziehung. Theater Akzent

Regie: Margit Mezgolich. Mit Kristina Sprenger und Gregor Seberg.

Das Paar hat schon lange keinen Sex mehr. Zumindest nicht miteinander. (Daher ist obiges Foto wohl ein KI -Fake) Sie landen dort – im Bett – nie, denn sie sind vielmehr mit Diskussionen, Streit und diversen missglückten Selbstmordversuchen beschäftigt. Weil der Ehemann viele flüchtige Beziehungen und dementsprechend auch ein abwechslungsreiches Sexleben hat, inszeniert die betrogene Ehefrau einen Suizid nach dem anderen. Das ist die Ausgangslage.

Franka Rame (!929-2013) und Dario Fo (1926 – 2016) waren das produktivste (Ehe) Paar im italienischen und auch internationalen Theaterbetrieb ihrer Zeit. Sie schrieben unzählige Komödien, Sketches, Shows fürs Fernsehen, Drehbücher für Filme. Meist spielten sie selbst mit. Als ihnen die italienische Zensur immer häufiger in ihre sozialkritischen Texte hineinpfuschte, gründeten sie eine unabhängige Theatergruppe und spielten auf Sportplätzen, in Kinos, auf Straßen und öffentlichen Räumen. Ihnen war wichtig, dass ihre soziale Botschaft in der richtigen Zielgruppe ankam. Mit „Copia chiusa= „Offene Zweierbeziehung“ 1988 landen die beiden einen internationalen Erfolg. Italien war noch im Tiefschlaf, was die Rechte der Frauen betraf. Sie hat zu Hause zu bleiben. Arbeiten – gegen die Ehre des Ehemannes. Er vergnügt sich draußen recht flott mit Kurzbeziehungen. Sie droht mit Selbstmord – soweit der Normalablauf einer italienischen Ehe. Doch Rame und Fo zeigen, wie es anders gehen könnte.

In weichgespülter Löwingerkomödie führen das Kristina Sprenger und Gregor Seberg vor. Beide sind dem Publikum aus diversen Krimiserien bekannt, und der Erfolg des Abends daher vorprogrammiert. Kristina Sprengers Suizidversuche sind spektakulär, ihr Gejammer über den fehlenden Sex mit dem Ehmann ebenfalls. Als Paartherapie schlägt der Weiberheld (Gregor Seberg) eine offene Zweierbeziehung vor. Sie willigt ein – aber bald ist ihr diese Rolle zu demütigend und sie sucht sich ihrerseits einen Lover. Und der ist zum Unterschied zum Ehemann noch jung und attraktiv. Die Rache gelingt und ist süß. Ob das Thema in Zeiten der Speeddates per Handy noch relevant ist, fragt man sich. Was solls- dem Publikum gefiel es!!

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Anton Tschechow, Onkel Wanja. Theater in der Josefstadt

Deutsch von Angela Schanelec nach einer Übersetzung von Arina Nestieva. Regie: Amélie Niermeyer

Mit Tschechows „Onkel Wanja“ kann man alles machen – eine Tragödie über ein verfehltes Leben oder eine trashige Komödie, wofür sich die Regisseurin Amélie Niermeyer entschied. Lässt Tschechow seinen Figuren noch Würde im totalen Versagen, so vernichtet Niermeyer diese zur Gänze. Die Figuren taumeln durch ein bürgerlich-schäbiges Haus der 60er Jahre (Bühne Christian Schmidt) – es gibt ein Wandtelefon, einen Plattenspieler und eine Küche im Design der Gemeindewohnungen. Alle haben abgewirtschaftet, suchen im Wodka und im gemeinsamen Musikgekreische Abwechslung. Oder auch in koketten Sexspielchen.

Am Boden zerstört ist die Hauptfigur – Wanja (Rapahael von Bargen). Er stolpert, klettert Wände hoch, grölt, trinkt bis zur Bewußtlosigeit. Dass er sein Leben lang auf dem Gut geschuftet hat, damit der Professor (Joseph Lorenz) in der Hauptstadt ein gutes Leben mit seiner zweiten Frau Jelena (Alma Hasun) führen kann, hat ihn all die Jahre nicht gestört. Aber der Professor ist bankrott und verkriecht sich nun als hypochondrischer Jammerlappen, läuft in Unterhosen und Bademantel umher, kurz- er lässt ich gehen. Zu erkennen, dass man sein Tun und Arbeit einem Schmähidol gewidmet hat, tut weh. Deshalb brüllt Wanja wie ein zu Tode gequältes Tier und schießt wie wild mit der Pistole in der Gegend umher. Das Gut soll verkauft werden? -Eine Katastrophe, doch der Trott geht weiter. Aus den positiven Figuren der Maria Wojnizkaja macht Niermeyer eine schwer Gestörte, die mit einer Puppe im Arm herumläuft und sie bei Tisch füttert. Marianne Nentwich unterzieht sich dieser Figur mit erstaunlicher Würde. Einzig Sonja (Johanna Mahaffy) wirkt glaubwürdig und berührt in ihrer unerschütterlichen und scheuen Liebe zu dem zynischen, vom Leben enttäuschten Arzt Astrow (Alexander Absenger).

Ja, aus dem Text, ein wenig zurechtgebogen und ins Heute übersetzt, lässt sich leicht so eine Trashkomödie machen. Aber ob sie berührt, das bleibt offen.

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Clemens Berger, Der Präsident. Residenz Verlag

Clemens Berger ist Schlawiner, Till Eulenspiegel und Don Quijote. In der ersten Hälfte des Romans unterhält er die Leser mit Witz, Ironie und tiefer Bedeutung, in der zweiten Hälfte überwiegt die tiefe Bedeutung, sprich der moralisch-sozialkritische Anspruch.

Julius Imre, geboren 9.11. 1926 in Oberwart (Burgenland), wandert als Kind mit seinen Eltern in die Staaten aus. Aus Julius Imre wird Jay Immer, weil der Name so leichter auszusprechen ist. Sein Vater schuftet als Maurer und baut die Häuser, in die später die Reichen einziehen werden. Seine Mutter putzt sie. Die Eltern erzählen ihm immer wieder von der Heimat, „doch was war das für eine Heimat, die erst in der Erinnerung dazu wurde?“ heißt es da ein wenig bitter (S22). Da Clemens Berger den Roman seinen Großeltern widmet, darf man vermuten, dass deren Biografie keine unwesentliche Rolle bei der Entstehung des Werkes spielte. Doch Bitternis ist nie die Sache des Autors und daher auch nicht die des Protagonisten.

Jay ist 55 Jahre alt und beschließt, sich nicht mehr länger als Polizist den Gefahren der Straße auszusetzen, und geht in Pension. Ehefrau Lucy hat hinter Jays Rücken die Bewerbung um den Job als Double des Präsidenten Ronald Reagan ( 1911-2004, Präsident 1981-89) eingeschickt – und Jay gewinnt ihn. Er sieht dem Präsident „wie aus dem Gesicht geschnitten“ ähnlich. Von einer Agentur gut bezahlt, beginnt für Jay und Lucy ein Leben in Scheinluxus und Clownerien. Er genießt es, wenn die Menschen ihn ehrfürchtig grüßen. Er spielt mit, wohin ihn auch immer die Agentur sendet. Zu den amüsantesten Szenen gehört sein Auftritt in Oberwart: Auf dem Parkplatz einer Tankstelle begeistert er die Massen, die ihm zujubeln, als er am Ende seiner Rede ausruft: „I bin a Ouwawoada“ ( S102f) Was dann folgt ist ein Foto- und Feierorgie mit seinen wiedergefundenen Verwandten. Doch irgendwann verwandelt sich der Clown Jay Immer alias Ronald Reagan in Don Quijote und kämpft mit Wissenschaftlern und Anhängern der Umweltbewegung für die Rettung der Welt. Der Autor ändert den Stil: In hektischer Abfolge treten neue Figuren auf, die Ereignisse überschlagen sich. Als auch noch ein Doppelgänger von Gorbatschow ins Spiel kommt, wird die Geduld des Lesers ein wenig strapaziert. Die Geschichte endet tieftraurig …

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Nicolai Gogol, Der Revisor. Akademietheater

In einer Fassung von Mateja Koleznik. Deutsch von Anja Wutej

Nicolai Gogol wollte nie als der Schreiber von Leichtkomödien angesehen werden. Und so steht auch im Programmheft deutlich zu lesen: „Dass das Publikum den Revisor als bloße Unterhaltung, nicht aber als Tadel der eigenen Verhaltensmuster auffasste, betrübte Gogol noch lange Zeit“

Im Dunkeln ist gut munkeln, dachten sich wohl Regisseur Mateja Koleznik und Klaus Grümberg, der für Licht und Bühne verantwortlich zeichnet. Warum in der Mitte eine Art Raumrakete steht, bleibt ein ungelöstes Rätsel. Die in den Turm eingebaute Toilette spielt eine wichtige Rolle, ein paar Stufen führen in eine nicht zu deutende Räumlichkeit. Bei Bedarf dient die Rakete als Wirtshaus oder als Bürgermeisteramt. So weit -so dunkel.

Gleich zu Beginn weiß der Zuschauer, auf welche Reise uns der Regisseur führen wird: In die Slapstickmaschinerie eines Stan Laurel und Oliver Hardy. Aus der Rakete, die offensichtlich auch einen Hintereingang hat, stolpern der Reihe nach die Figuren des Spiels. Alle müssen über irgendein Hindernis auf dem Boden hinklatschen. Stolpern und Hinfallen ist eine Hauptaktion im ersten Teil. Weiters sieht die Choreographie einen Tanz mit Stühlen und Sesseln vor, der lange dauert und immer wieder von Neuem beginnt. Höhepunkt des Unsinns ist die Besäufnis. Tabledance und Stürze vom Tisch, lallen und grölen soll das Publikum und den Pseudorevisor bei Laune halten. Doch es wirkt nicht, weil aufgesetzt und gekünstelt.

Im zweiten Teil nimmt das Stück Fahrt auf und nähert sich den Intentionen Gogols: Die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, von den Noblen bis zum kleinsten Kriecher zu geißeln. Und wenn alles im Sinne Gogols läuft, dann müsste sich das Publikum auch gleich mitgegeißelt fühlen. War aber nicht der Fall: Die Lacher lachten nicht über sich selbst, sondern nur über die gekonnte Persiflage der damaligen Zeit. Wieviel und ob man das Spiel als heutiges empfand, mag bezweifelt werden. Es ist jedoch müßig zu erwähnen, dass Korruption, Speichelleckerei, Vernaderei und Kuppelei ein sehr heutiges Thema ist.

Die Qualitäten der einzelnen Schauspieler und Schauspielerinnen kamen im zweiten Teil erst so richtig zur Geltung: Roland Koch gibt den schmierigen, oberkorrupten Bürgermeister, der glaubt, das Spiel und die Dorfbewohner in der Hand zu haben. Seine eitle Dummheit ist grenzenlos, er merkt nicht einmal, dass ihn Chlestakov, der Pseudorevisor, längst durchschaut hat und ihn und alle anderen ordentlich ausnimmt. Tim Werths als vermeintlicher Revisor spielt sein Spiel mit den Menschen, ist selbst der am meisten Bestechliche. Allerdings fehlt seiner Darstellung die Doppelbödikeit und die nötige Durchtriebenheit, die sein Diener (Oliver Nägele) weit besser drauf hat. Weit überzeichnet und der totalen Lächerlichkeit preisgegeben hat der Regisseur die Rolle der Tochter des Bürgermeisters (Lola Klamroth) Sie wird zur halbdebilen Stummen degradiert, die mit vorgewölbten Hüften durch die Gegend stakst und seltsam gymnastische Verrenkungen ausführt. Differenzierter schon Andrea Wenzl, die eitle Ehefrau des Bürgermeisters. Köstlich ihr Sexhunger, mit dem sie sich über den jungen Kandidaten stürzt. Unter den vielen Bürgern dieser Kleinstadt, die ihre Rollen alle ganz ordentlich spielen, sticht besonders Martin Schwab hervor. Er torkelt als schwerhöriger Alter, sein Herrenhandtascherl schwenkend, durch die Gegend und sorgt für ehrliche Lacher. Martin Schwab kann man ja die unnötigsten Rollen geben, er macht aus allen eine Figur!

Der Abend endet so, wie der Regisseur es wohl erwartet, aber nicht verdient hat: mit reichlichem Applaus für die Schauspieler.

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Thomas Bernhard, Holzfällen. Burgtheater

Eine Produktion von Musicbanda Franui. Lesung: Nicholas Ofczarek

Komposition und musikalische Bearbeitung: Markus Kraler, Andreas Schrett. Textfassung: Tamara Metelka, Andreas Schrett. Licht: Paul Grilj

Der 1984 erschienene Roman von Thomas Bernhard „Holzfällen“ war DER AUFREGER des Jahres. Klagen wurden eingebracht, Personen aus der Wiener Bussigesellschaft meinten sich wiederzuerkennen. Auslieferungsverbot wurde verhängt. Heute sind die Namen „Schall und Rauch“ und niemand regt sich mehr auf. Vielmehr amüsiert man sich über Bernhards scharfe Zunge und entblößende Charakterisierungen. Vielleicht fühlt sich der ein oder andere auch unangenehm touchiert…kann ja sein, aber eher unwahrscheinlich.

Nun haben sich zwei zusammengetan, die für eine „Lesung“ des Romans ideal sind -wobei „Lesung“ das falsche Wort ist. Nicholas Ofczarek las nicht, er spielte den Ich-Erzähler, die Figur des Auersberger und die Schickeria. Mit seinem Gefühl für Timing, Wortmächtigkeit und Macht über den Text führte er spielerisch und leichtfüßig, ironisch und nie langweilig durch den Roman, der nicht so ganz leichte Kost ist. Aufregend und keinesfalls nur als Begleitung spielten die Mitglieder der Musicbanda Franui auf. Oft einen schrägen Trauermarsch – passend zum Text, der ja viel vom Begräbnis einer Schauspielerin und Tänzerin erzählt, die sich erhängt hatte. Wenn Thomas Bernhard seine spöttisch-vernichtenden Wortkaskaden über Wien, das Burgtheater, die Burgtheaterschauspieler und gleich auch in einem Zug über das traurige Los der Burgtheaterdirektoren ergießt, dann hüpft, trällert die Musik so zwischen Heurigenseligkeit, Walzer und was halt so zur „guten Unterhaltung“ einer künstlich-pseudokünstlerischen Abendgesellschaft gehört.

Ein Abend, den das Publikum im ausverkauften Burgtheater mit Begeisterungsstürmen quittierte. Es sind Kaliber wie Nicholas Ofczarek, Philipp Hochmair oder Nils Strunk, die das Haus bis zum letzten Platz füllen. Sie sind „Rampensäue“ (keine Beleidigung, sondern ein großes Kompliment), die am besten arbeiten und wirken, wenn ihnen kein Regisseur oder Bühnenbildner dreinredet. Die Schlussfolgerung mag jeder Leser selbst daraus ziehen.

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Hans Rauscher, Worüber sich zu schreiben lohnt. Ecowing Verlag

Untertitel: Über die Demokratie: Erinnerungen, Gefahren und Hoffnungen

Hans Rauscher, Jahrgang 1944, hat über 50 Jahre Erfahrung im Journalismus, das politische Geschehen in Österreich immer kritisch miterlebt und in Medien wie Kurier, profil und Standard kommentiert. In diesem Buch zeigt er die Gefahren auf, in der sich die immer fragiler werdende Demokratie in Österreich (und anderen Ländern Europas) befindet. Mit einem scharfen Blick in die Vergangenheit Österreichs rollt er die Geschicke auf, schreibt von vielen persönlichen Begegnungen mit Politikern wie Kreisky, Taus, Busek, Vranitzky, rückt das Bild des oft belächelten Kanzlers Fred Sinowatz zurecht, schreibt über Haiders Charme eines Rattenfängers. Von Haider schließt er gedanklich auf zu Kurz und anderen „Feschaks“, die durch ihre Jugendlichkeit blendeten und weist klar und deutlich auf die Gefahren durch populistische Parteien hin, die querfeldein um sich greifen, weil die großen Parteien sich durch Selbstgefälligkeit und Machtgier selbst minimieren und zerstören.

Klare Worte hat er auch für die Frage der Migration, die zur Überlebensfrage der europäischen Kultur geworden ist. Und klagt die führenden Parteien und Medien an, dieses Problem zu lange klein geredet zu haben.

Ein Buch, das man nur jedem empfehlen kann, der sich für Politik, speziell für die österreichische Politik interessiert. Der klare und schlüssige Stil macht es zu einer angenehmen Lektüre, abseits von hochphilosophischen oder -wissenschaftlichen Thesen. Dem Leser sei aber auch empfohlen, nicht auf die innere Achtsamkeit und Kritik zu vergessen. Denn Rauscher kann in allen Punkten so überzeugend sein, dass man zu sehr ins bejahende Nicken gerät und auf die eigene Meinung, bzw. Erfahrung und Kritik leicht vergißt.

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Joseph Lorenz, Schon wieder: Die stillste Zeit des Jahres. Theater Akzent

Es häufen sich die besinnlichen und unbesinnlichen Lesungen und Musikevents rund um den Advent. Alles schon da gewesen, entweder triefend vor Kitsch und Schein- Heiligkeit. NICHT SO WENN LORENZ AUFTRITT. Wie alle Kenner der Szene wissen, ist er der „Maestro“ der Lesungen. Ich werde nicht müde, immer wieder zu betonen, dass „Lesungen“ für seine Abende der falsche Titel ist. Denn er liefert Theater,Kleinkunst vom Feinsten. Muss nicht seine Augen im Manuskript vergraben, sondern hält Kontakt mit dem Publikum, spielt gekonnt auf dem Klavier der guten Laune. So auch an diesem Abend:

Mitten in den Auftrittsapplaus überrumpelt er das Publikum mit einer Art Schimpflaudatio über den Avent: „Würsteldampf und Glühwein, Kerzen, Zimt und Sterne – Stress pur.“ Und dann die Frage: Was würde Jesus dazu sagen? Die Frage beantwortet er mir Jörg Hellmanns Gedicht , „Jesus hat Geburtstag“. Da will Jesus einmal seinen Geburtstag nicht im Himmel, wie üblich, sondern auf Erden bei „seinen Leuten“, die an ihn glauben, feiern. Doch enttäuscht und angewidert ruft er seine Mama im Himmel an: „Mama, es zieht mich nichts auf Erden, die Menschen wollen nichts vom Frieden hören, sie wollen nur noch Fernsehröhren!“ Zwischen den Texten konfrontiert das Publikum mit Fragen, die er gleich mit einem passenden Text beantwortet. Da mischen sich Pointen im Urwienerischen, etwa von Trude Marzig oder Joachim Ringelnatz. Darauf dann beührende Szenen, die in der Seele haften: O. Henry, Die Gabe der Weisen. Die Frau verkauft ihre Haarpracht, um mit dem Geld dem Geliebten eine goldene Kette für seine geliebte Taschenuhr zu schenken. Der hat jedoch die Uhr versetzt, um ihr goldglitzernde Haarspangen zu schenken…. Auf diese szenischen Miniatur folgt von Erich Kästner, Felix holt den Senf. In beiden Szenen ist es die Liebe, die ganz tiefe Liebe zwischen den Menschen, die das eigentliche Geschenk ist. Variantenreich, klug zusammengestellt, einmal amüsant, dann sentimental – im eigentlichen und guten Sinn de Wortes – dann nachdenklich stimmend verabschiedet er sich mit einem deftig – derben Weihnachtswunsch, ganz im urwienerischen, nicht salonfähigen Stil.

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Wiener Konzerthaus: Verdi – Messa da Requiem

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia – Roma. Wiener Singakademie – Einstudierung Heinz Ferlesch

Sopran: Masabane Cecilia Rangwanasha, Mezzosopran: Elizabeth DeShong, Tenor: Saimir Pirgu, Bass: Tarek Nazmi.

Dirigent: Daniel Harding

Totenmessen zu komponieren schien im 19. Jahrhundert geradezu Mode gewesen zu sein. Mozarts unvollendetes Requiem war Ansporn. Je nach Gläubigkeit des Komponisten waren entweder ein strafender Gott und die Schrecken der Menschen vor dem Tod oder das in tiefer Gläubigkeit Hinübergleiten in ein himmlisches Jenseits im Fokus. Verdi komponierte 1868-1873 aus innerer Distanz zur Kirchengläubigkeit ein düsteres Szenario, in dem der Mensch vor dem strafenden Gott erzittert. Dass das Werk dennoch nicht im drohenden Donner untergehen muss, beweist Riccardo Muti immer wieder. Ihm gelingt es, aus Verdis „Messa da Requiem“ ein Sacralerlebnis ohne theatralische Heftigkeit mit feinen Zwischenabstufungen zu dirigieren. Selbst der ungläubige Zuhörer wird davon ergriffen.

Anders Daniel Harding (seit Oktober 2024 Nachfolger von Antonio Pappano als Chefdirigent der Santa Cecilia). Er lässt Orchester und Chor mit voller Wucht aufspielen. Die Sänger sind auf der Empore platziert, um sich über diese wuchtige Schallwelt hinwef Gehör zu verschaffen, was ihnen auch perfekt gelingt: Masabane Cecilia Rangwanasha lässt ihren hellen Sopran über alle Pauken und Geigen hinweg erschallen. Sie ist vollständig auf Klangvolumen konzentriert, worunter die Wortdeutlichkeit leidet. Was auch für den Chor gilt. Elizabeth DeShongs Mezzosopran ist in allen Lagen überzeugend. Dem Tenor Saimir Pirgu gelingen Passagen, die in jeder Oper als Bravourarien erklingen könnten. Verdis Messa da Requiem wird ja oft als Zwitterwerk zwischen Oper und Sakralmusik beurteilt. Herrlich der alles übertöndende Bass von Tarek Nazmi. Er war der geheime Star des Abends. Wenn er mit voller Überzeugung und ruhig zu „Mors stupebit et natura“ ansetzt, dann versteht man, was Verdi mit diesem Werk vermitteln wollte: – die Kreatur ist klein gegenüber der Macht der Natur und des Todes.

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Philipp Hochmair, Amerika. Gastspiel im Landestheater Niederösterreich

Was auch immer und wo auch immer Philipp Hochmair auftritt, ist das Theater ausverkauft bis auf den letzten Platz. Selbst die Hustenden und Schnupfenden lassen sich dieses Ereignis nicht nehmen. So auch, als er im Landestheater Niederösterreich „AMERIKA“ von Franz Kafka spielte.

Aus jedem noch so sperrigen Text schafft Philipp Hochmair als erfahrene „Rampensau“ (für alle, die den Ausdruck nicht kennen: Er ist das größte Kompliment für eine/n Schauspieler/in!) ein Theatereignis. So auch mit Kafkas Romanfragment „Amerika“, entstanden zwischen 1911-1914, in einer Zeit, als viele nach Amerika auswanderten, weil es als Hoffnungsland galt. Für Karl Roßmann jedenfalls wurde es zum Albtraum. Im grauen Anzug referiert Hochmair zunächst ungewohnt „brav“, den Anfang: Karl Roßmann landet per Schiff in New York. Doch schon nach wenigen Minuten wissen wir: Roßmann ist ein kreuzbraver Loser. Aus Mitgefühl und Verantwortung will er dem Schiffsheizer, der sich schlecht behandelt fühlt, zu seinem Recht verhelfen. Griffe da nicht als deus ex machina sein Onkel Josef ein und rettete den hilflos verstrickten Karl aus der Situation, wäre das Unternehmen Amerika schon gescheitert, bevor es begonnen hat. Wie immer, schlüpft Hochmair gekonnt in alle Rollen: Diese Kunst des blitzschnellen Rollentausches macht aus dem sperrigen Text ein spannendes Abenteuer, das davon erzählt, wie Karl, noch ein halbes Kind, von seinen Eltern zur Strafe einfach weggeschickt, scheitert, weil er sich für alle und alles verantwortlich fühlt. Mit Amerikas Lebensstil kommt er nicht zurecht, den Betrügern läuft er wie ein tumber Tor in die Hände. Am Ende hat er keine Bleibe, keine Arbeit und ist ins Nichts geworfen. Hocmair wäre nicht Hochmair, würde er aus dem Ende nicht ein furioses Finale machen: Als Zirkusdirektor – geschmückt wie ein wandelnder Weihnachtsbaum, stürzt er sich ins Publikum, um „Mitarbeiter für den Zirkus Oklahoma“ zu requirieren. Er kann jeden brauchen und nimmt auf, wen er gerade aus dem Publikum herauspickt: Pensionisten, eine Physiotherapeutin und wieder Pensionisten. Die Musik (Fritz Rainer) trommelt und paukt das Publikum in ein lachendes Finale, das mit standing ovations endet. So liebt es Hochmair, so liebt ihn das Publikum.

https:/landestheater.net

Tschaikowski, Jolanthe und der Nussknacker. Volksoper

Gesehen wurde die 26. Vorstellung am 30. November 2024

Musiktheater für die ganze Familie. Musikalische Leitung: Alfred Eschwé. Regie: Lotte de Beer. Choreographie: Andrey Kaydanovsky, Bühnenbild: Katrin Leo Tag. Kostüme: Jorine van Beek

Wer die Oper „Jolanthe“ schon einmal gesehen hat – zum Beispiel in der ausgezeichneten Inszenierung im Theater an der Wien, dem ist ein ganz besonderer Zauber in Erinnerung: Jolanthe, die blind geborene Königstochter, ist sich ihrer Blindheit nicht bewusst. Dafür sorgt ihr Vater. Er umgibt sie mit einem duftenden Garten, mit blühenden Blumen und den schönsten Dingen. Niemand darf der Tochter von „Farben“ reden. Jolanthe ist nicht unglücklich, da sie ja von ihrem Gebrechen nichts weiß. Bis eines Tages die Liebe sie die Wahrheit „sehen“ lehrt…Tschaikowski hat in diese Musik alle Zärtlichkeit, die ein Vater für seine Tochter empfindet, gelegt. Zu den schönsten und innigsten Szenen gehört die Begegnung zwischen Jolanthe und dem Prinzen. Durch ihn erfährt sie von der Welt, für ihn ist sie bereit, sich einer Behandlung zu unterziehen. Und wie es im Märchen so sein muss: Sie wird geheilt!

Nun hat Lotte de Beer wohl gedacht, diese Oper sei irgendwie zu wenig, die muss mit Ballett aufgepeppt werden. So lässt sie die blinde Jolantha vom Nussknacker träumen, sieht sich selbst bedroht von dämonischen Männern, die sie in einer grausamen Szene fast vergewaltigen. Dazwischen tanzen die Mäuse oder einfach Figuren im weißen Ballettröckchen. Dass die Choreographie sehr einfach ausfällt, ist wohl dem unseligen Einfall zu verdanken, den Boden schräg zu stellen – eine Idee, die man vor etwa 20 Jahren landauf und landab strapaziert hatte und von der man Gott sei Dank bald abgekommen ist, da darunter die Gelenke leiden und sich für das Stück kein Mehrwert ergibt.

Nun also Jolanthe – sie sitzt oder schläft auf dem schrägen Bühnenboden. Dunkle braune Wände umstehen sie im Halbkreis. Vater und Personal sind im grauen Alltagsgewand. Nichts ist über geblieben von der Grundidee Tschaikowskis. Aus dem blühenden Garten wurde eine triste Umgebung. Da helfen auch die eingeschobenen Ballettszenen nichts. Sie halten zumindest die Kinder wach. Peinlich wird dann die ganze Szenerie, wenn Graf Vaudemont sie „im blühenden Paradiesgarten“ schlafend entdeckt und sich in sie verliebt. Da klaffen Musik, Text und das Geschehen auf der Bühne ganz gewaltig auseinander.

Gesungen wird Jolanthe von Natalia Tanasii – ordentlich, ohne Zauber in der Stimme. Zweimal vertanzt wird die Rolle der Jolanthe von Tessa Magda und Anika Mandala. Alexander Fritze als streng-besorgter Vater mit seinem schönen Bass klingt überzeugend. Aber in seinem mausgrauen Anzug verliert er viel an Persönlichkeit. Ganz und gar nicht Prinz und noch weniger Liebender ist Jason Kim als Graf Vaudemont. Alle übrigen Figuren passen sich gut an das graubraune, triste Ambiente an. „Musiktheater für die ganze Familie?“

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Shakespeare/Wheeldon: Winter’s Tale. Ballett- Staatsoper Wien

Das Titelfoto demonstriert den Kern der Erzählung: Königin Hermione von Sizilien tanzt ziemlich engagiert – um es freundlich auszudrücken – mit Polixenes, König von Böhmen. Das macht Leontes, Ehemann Hermiones, König von Sizilien und Freund von Polixenes, so rasend vor Eifersucht, dass er alles um sich herum vergißt: seine Liebe zu Hermione, seine langjährige Freundschaft mit Polixenes, Aus der rasenden Eifersucht wird die Tragödie geboren: Es gibt Tote, Scheintote, die wieder auferstehen, Kämpfe bis aufs Messer – und doch geht am Ende alles gut aus. Ist ja ein Märchen, und daher darf es so ausgehen. Ein etwas verwirrender Plot, daher empfiehlt es sich, vor der Vorstellung die Inhaltsangabe im Programm zu lesen oder sich gleich bei Schakespeares gleichnamigem Drama, das als Vorlage galt, schlau zu machen.

Christopher Wheeldon, seit 1991 am Royal Ballett London arbeitend, ist für seine phantasievollen Handlungsballette bekannt. Ohne Scheu vor Shakepeare straffte er die an sich komlizierte Handlung zu einem Drama über männliche Blindheit, wenn Eifersucht im Spiel ist. Sein langjähriger künstlerischer Begleiter Joby Talbot komponierte dazu eine flotte, gut tanzbare Musik zwischen Musical, Filmmusik, Beat, Gershwin, Bernstein und reichlich orientalischen Klängen. Bob Crowly, der dritte Mann im creativen Triumvirat, schuf das bezaubernde Bühnenbild zwischen Düsternis (Sizilien) und Lebensfrohsinn (Böhmen) mit den dazupassenden Kostümen. Die 2. Aufführung (am 21. November) dirigierte Christoph Koncz, dem diese Mischung aus disparaten Genres hörbar gut gelang. Über alles streute Natasha Katz ein überirdisch märchenhaftes Licht.

Das Ballettensemble der Staatsoper glänzte in Hochform und Hochglanz. Allen voran Brendan Saye als König Leontes.Zu den schwersten Rollen eines Handlungsballettes gehören solche, die Gefühle wie Eitelkeit, Hochmut oder wie im Fall des Königs Eifersucht darstellen. Tänzerisch neigen manche zur Übertreibung. Brendan Saye überspringt quasi die Übertreibung und treibt die Eifersucht in den Furor. Wie von inneren Spinnen geplagt windet er sich und rollt sich ein, springt auf – kurz er wird zum beängstigenden Dämon. Seine ganze Mimik und Gestik spielen mit. Einfach: Großartig. Ihm zur Seite ist Hyo-Jung Kang eine zierlich-zärtliche Gattin, die aber einen kleinen Flirt mit Polixenes nicht scheut. Masayo Kimoto ist ein nicht ungefährlicher Freund-Feind. In seinem Tanz ist diese Ambivalenz angelegt. Intensiv auch Pauline, die Hofdame Hermiones. In ihrer kontrollierten Strenge drückt Katevan Papava dieser Figur einen eindrucksvollen Charakter auf.

Nicht in Sizilien, sondern in Böhmen ist die Lebensfreude beheimatet. Dort wächst Perdita, die Tochter Hermiones und Leontes, unerkannt als einfache Schäferin auf. Doch wie es Shakespeare will, verliebt sich Florizel, der Sohn des Königs Polixenes, in sie. Der zweite Akt ist ein einziger Hochgenuss an Farben, Tanzfreudigkeit. Das Frühlingslicht verzaubert die Natur, lässt den Baum erblühen (ähnelt fatal einem Weihnachtsbaum), und den Schäfern und Schäferinnen schießt die Tanzlust in die Beine. Unter ihnen auch „Clown“, Sohn eines Schäfers. Duccio Tariellos Kosakentanz ist Clownerie, in der sich die männliche Angeberei, das gockelartige Prunken vor den schönen Mädchen verraten. Zauberhaft und leicht wie der Frühlingswind tanzen Arne Vandervelde als Florizel und Ludmila Konovalova als Schäferin Perdita ihren Liebespas-de-deux. Dass König Polixenes diese Verbindung nicht passt, ist klar, hat er sich doch für seinen Sohn eine bessere Partie vorgestellt. Aber das Märchen muss ein gutes Ende haben: Alle treffen in Sizilien ein, wo man zuerst Leontes und Paulina in tiefer Trauer um Hermione erlebt. Denn Leontes bereut längst schon seine Eifersucht. Eine ziemlich schwierige Szene, die Brendan Saye und Ketevan Papava hier zu bewältigen haben: Er zerknirscht, sie im Wissen, dass Hermione lebt, zwingt ihn immer wieder in die Trauer – als ob sie es genießt, ihn vor Kummer und Selbstvorwürfen zerfleischt zu sehen. Das ist hohe Tanzkunst!

Versöhnung. © Ashley Taylor

Und dann das glückliche Ende! Hermione lebt, Leontes und Polixenes legen ihren Streit bei und geben Florizel und Paulina ihren Segen. Kitschgefahr werden da manche schreien. Aber Wheeldon ist ein exzellenter Chroeograph. Gewitzt forciert er die Szene zur fast unglaubwürdigen „Heiligenpose“ und ironisiert sie dadurch. Ein durch und durch gelungenes Handlungsballett, dem das Publikum mit Begeisterung folgte.

Vier Tage später, am 26. November nochmals „Winter’s Tale“ in geänderter Besetzung.

Dato, Avraam und Ensemble© Ashley Taylor

Spannung und Aufmerksamkeitsgrad waren hoch, vielleicht noch um eine Spur intensiver, da man nicht mehr nur von der Handlung gefesselt wurde.

Man kannte die Handlung und konnte sich nun voll und ganz auf Änderungen in den Hauptrollen und auf Details konzentrieren. Vor allem war auch mehr Kapazität frei für die phantasievolle Musik. Etwa hörte man konzentriert den Einsatz der indischen Flöte, die dem Pas de deux von Florizel und Perdita den Märchenzauber verlieh (Foto oben).

Natürlich war man auf die Darstellung der Hauptcharaktere neugierig – wird es unterschiedliche Nuancen geben? – Marcos Menha schuf einen anderen Leontes – er trat weniger bedrohlich als Brendan Saye auf und agierte aus der Defensive heraus. Die Eifersucht quälte vor allem ihn am stärksten. ließ ihn selbst unermesslich leiden.

Esina und Menha © Ashley Taylor

Dass Olga Esina als Hermione eine stärkere Gegenfigur zu Leontes war als ihre Vorgängerin (Hyo-Jung Kang), ergibt sich logisch. Diese Hermione fleht nicht um Gnade, sie ist sich ihrer Unschuld bewusst, hat sogar Momente der Verachtung für diesen Ehemann. Durch ihre starke Bühnenpräsenz verwandelt Esina Hermione in eine selbstsichere Frau, die am Ende auch nicht sofort und leicht verzeiht. Wenn sie aus der Starre der Statue sich zurückverwandelt in die Frau, die sie einmal war, muss Leontes schon einiges an Liebeswerben aufbieten, bis sie zur Vergebung bereit ist.

Davide Dato als Prinz von Böhmen erobert wie immer die Herzen des weiblichen Publikums. Da bricht Zwischenapplaus los, wenn er die Bühne mit atemberaubenden tours jetés durchquert. Aber er ist in dieser Rolle nicht nur Showman, sondern auch perfekt Liebender. Der pas de deux mit der bezaubernden Joanna Avraam als Paulina hat Charme und Jugendlichkeit.

Davide Dato als Prinz Florizel © Ashley Taylor

Wie sehr dieser Ballettabend fasziniert, merkt man am Ende: Es kommt der Wunsch auf, auch noch die anderen Besetzungen zu erleben. Denn Langeweile ist diesem Triumvirat (Wheldon, Talbot und Crowly) ein Tabubegriff. Wenn noch dazu ein so begabter Dirigent wie Christoph Koncz die Musik brillieren lässt, dann bleiibt nur zu wünschen übrig, dass diese Aufführung nicht so bald vom Programm verschwindet.

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Wiener Konzerthaus: Mahler, Symphonie Nr.8. Wiener Symphoniker unter Philipp Jordan

Zwei Gründe mögen ausschlaggebend gewesen sein, dieses monumentale Werk aufzuführen: Die Wiener Symphoniker feiern ihr 125 – jähriges Wirken und Philipp Jordan seinen 50. Geburtstag. Der Nochchefdirigent der Wiener Staatsoper dirigiert das Orchester, das er viele Jahre leitete.

Als Gustav Mahler 1907 -1910 diese eigenartige Symphonie komponierte, war seine über alles geliebte Tochter Maria Anna mit vier Jahren an Diphterie gestorben. In der Ehe herrschte Krisenstimmung, Alma hatte ein Verhältnis mit dem jungen Architekten Walter Gropius begonnen. Mahler selbst war zuvor von einer intensiven Schaffenskrise bedroht. Sich mit diesem Monumentalwerk daraus zu befreien, muss eine übermenschliche Kraftanstengung und zugleich Lösung von den irdischen Übeln, in denen er sich gefangen sah, gewesen sein. Die Uraufführung 1910 in München war ein durchschlagender Erfolg. Richard Wagner, Thomas Mann und die ganze musikalisch interessierte Elite waren anwesend und klatschten euphorisch Beifall.

Philipp Jordan©Amar Mehemdinovic

Das Werk ist alles, nur keine Symphonie. Eher eine Mischung aus Oper, Oratorium und Theater. Von den Kritikern wurde und wird es wegen der überdimensionalen Besetzung die „Symphonie der Tausend“ genannt. Über 300 Mitwirkende hatte Philipp Jordan zu koordinieren und zu „bändigen“ – was eine übermenschliche Leistung war. Neben den Wiener Symphonikern in voller Besetzung wirkten mit: der Wiener Singverein (Einstudierung Johannes Prinz), die Wiener Singakademie (Einstudierung Heinz Ferlesch), die Wiener Sängerknaben (Einstudierung Manuel Huber und Oliver Stech) und fünf Sängerinnen (Elisabeth Teige, Johanni von Oostrum, Regula Mühlmann, Tanja Ariane Baumgartner, Noa Beinart) und drei Sänger ( Benjamin Bruns, Christopher Maltman, Tareq Nazmi)

Das Werk zerfällt in zwei Monumentalsätze. Im ersten Teil vertonte Mahler den Hymnus „Veni, creator spiritus“ -Komm, Schöpfer Geist. Wuchtig und volldröhnend wird der heilige Geist angerufen, er möge als Tröster, Friedensbringe Liebesspender sein. Orchester, Chöre und Singstimmen lässt Mahler/ Jordan zu einem eindrucksvollen Ganzen anschwellen. Aber die Töne erreichen nur den Magen, nicht die Seele. Zu laut, zu heftig lassen die Chöre Wortdeutlichlkeit vermissen. Bewundernswert monumental mit äußerer Wirkung.

Im zweiten Teil vertonte Mahler die Schlussszene aus Goethes Faust II. „Ich habe das Universum zu tönen und zu klingen gebracht“ (Zitat nach Programmheft S9) . Der Beginn ist zart, vertraute Mahlersequenzen steigen auf. Maltmans volltönender Bariton erhebt sich über den Chören und verkündet „ewiger Liebe Kern“. Nun fließt die Musik in die Seele, erreicht die Zuhörer. Allerdings wird der „Chor der jüngeren Engel“ nochmals volltönend laut. In die Innigkeit führen sogleich „die vollendeten Engel“. Doktor Marianus -rein und erhaben gesungen von dem Tenor Benjamin Bruns – verkündet das Erscheinen der Frauen an, unter ihnen auch Gretchen (Johanni von Oostrum). Höhepunkt und Ausklang ist das Erscheinen der „mater gloriosa“: Regula Mühlmanns strahlender Sopran verkündet von der Empore die Kraft der Liebe und die Erlösung Fausts. Ein Moment des Innehaltens, bevor das furiose Ende über die Zuhörer hereinbricht und die in tosenden Beifall ausbrechen.

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Theater Akzent: 150 Jahre Karl Kraus: „Ich bin der Vogel, der sein Nest beschmutzt“

Mit: Petra Morzé – Lesung. Romana Amerling und Michael Schade -Gesang. Bela Koreny: Klavier und Moderation

Karl Kraus war kein angenehmer Zeitgenosse, unbarmherzig geißelte er Sprach-Dummheiten und andere Betisen. Seine erklärten Gegner waren unter anderem Arthur Schnitzler, Hermann Bahr, Sigmund Freud – also die gesamte Literatur- und Psychoszene, erklärte Bela Koreny in seiner Anmoderation. Und Petra Morzé, passend zum kritischen Geist des Autors, im flammend roten Kleid, warf ins Publikum die ersten flammenden Kritiken gegen die Journaille als Kriegstreiber und Sprachverhunzer. Selbstbewusst verkündet Karl Kraus: „Wer gegen mich ist, wird ignoriert!“

Danach aber wurde es erst einmal operettengemütlich. Unter Korenys flinker Klavierbegleitung sang Michael Schade Lehars ins Herzen gehende „Schlager“ wie; „Dein ist mein ganzes Herz“ und „Gern hab ich die Frauen geküsst, hab nicht gefragt, ob es gestattet ist“ Heute würden die Frauenmoralistinnen sich heftig gegen so einen Kerl wehren, der nicht einmal fragt! Gott sei Dank ist ihnen diese Operette („Paganini“) noch nicht in ihr Schussfeld geraten! Romana Amerling antwortete mit Kurt Weills Song: „Es war eine Nacht, da hab ich mich dir willig hingegeben“ und bringt damit Baratmosphäre ins Geschehen. Ihre zarte Erscheinung und ihr weicher Sopran waren ein angenehmer Gegensatz zu Schadens männlichem Selbstbewusstsein. Allerdings fragte man sich, wozu die beiden mit diesen tollen und starken Stimmen mit Microport singen mussten. (Wenn sie forcierten, dann hörte sich das unangenehm übersteuert an). Für Heiterkeit sorgte Petra Morzé mit Karl Kraus` „Ballade vom Papagei“ Verwundert stellt man fest: Der Kerl hatte auch Humor!

Nach der Pause wurde es um einen Deut schummriger. Dafür sorgte Romana Amerling mit ihrer zauberhaft-zarten Interpretation von „In einem kleinen Café in Hernals“. Ganz verliebt taten Schade und Amerling bei dem bekannten Duett „Im Prater blühen wieder die Bäume“ und Morzé löste die romantische Stimmung rabiat auf mit dem urkomischen Text über die Vermarktung bekannter Goethetexte. Wie aus „Röslein rot“ ein „Höslein weiß“ wird, ist wohl eine der Speespitzen des Krausschen Humors. Etwas verwundert hörte man Schuberts „Am Brunnen vor dem Tore“, zu dem Schade das Publikum zum Mitsingen aufforderte. Etwas mehr als Summen kam nicht zustande. Als Zugabe intonierte Schade „Hast du da droben vergessen auf mich?“ Brach aber nach ein paar Noten ab, er wollte wohl Heintjes Lieblingssong nicht Konkurrenz machen. Romana Amerling dagegen verabschiedete sich mit Willy Forsts Herzenbrechersong „Du hast Glück bei den Frauen, bel ami..“

Ein beglücktes Publikum bedankte sich mit viel Applaus!

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Schuberttheater: FAUST, der Tragödie Allerlei

Puppenspieler: Christoph Bochdansky, Soffi Povo.Text: Christoph Bochdansky, Regie : Simon Meusburger, Puppen, Kostüm und Ausstattung: Christoph Bochdansky, Musik und Licht: Simon Meusburger

Muss man Goethes Faust 1 und 2 kennen, um sich auszukennen? Ja und nein. Für manche Szenen ist es hilfreich, für manche verwirrend. Denn das Team bringt „der Tragödie Allerlei“ auf die Bühne, also ein wenig Kasperltheater, ein wenig Christopher Marlowe. Goethe kommt auch immer wieder. Das verwirrt zunächst, bis man das Verwirrspiel aufgedröselt hat und sich einfach dem Spiel überlässt. Die Idee ist nicht einfach umzusetzen. Zu viel Ehrfurcht vor dem Geistesriesen Goethe darf man nicht haben – und haben die beiden auch nicht.

Die Bühne besteht aus Tüchern und in Streifen geschnittenen Tüchern, die manchmal durch den Himmel, durch das Gewölbe Fausts, durch irdische und überirdische Gefilde wehen. Faust ist ein Griesgram, Mesphisto zuerst ein wiffer Pudel – ganz nach Goethe -, dann ein gewiefter Verführer ins Leben. Dazwischen tanzt auch Kasperle an, der quasi den historischen Faust mimt. Er zaubert, verzaubert den Teufel, macht ihn zu einer Lachnummer. Und Gretcchen – wo ist sie geblieben? Sie ist eine traurige Randfigur.. Ihr Schicksal, das Goethe in den Mittelpunkt von Faust 1 stellt, wird schnell erzählt und aus. Vor ihrer Hinrichtung darf sie noch sagen: Heinrich, mir graut vor dir. Danach gehts ab in Phantasiegefilde, in denen sich sowohl Luftgeister als auch Hexen tummeln. Am Ende siegt der Teufel und ganz nach Marlowe und dem guten alten Kasperltheater fährt Faust in die Hölle.

Der schnelle Wechsel von Bühnenrequisiten, der Witz der Darsteller, die den Puppen ihre Stimme leihen, macht den Abend amüsant. Besonders pfiffig und vielseitig gibt Soffie Povo die vielen Nebenfiguren. Christoph Bochdansky muss sich als Gott und Faust eher behäbig geben. Fazit: Ein amüsanter Schnelllauf durch die verschiedenen Faustfiguren, mal à la Goethe, mal à la Marlowe und Kasperltheater.

www.schuberttheater.at

Eva Duda Dance Company mit „FRIDA“ im Odeon

Eva Duda Dance Company versteht sich als „VISUELLES TANZTHEATER-AUSSTELLUNG TANZENDER BILDER2

Mit „FRIDA“ präsentiert sich die Gruppe erstmals in Wien. Dass sie nur zweimal (am 6. November das 2. und letzte Mal) auftritt ist schade. Die Prmière am 5. November war ausverkauft und ein voller Erfolg.

In getanzten Bildern führen die Tänzer das Publikum durch das Leben Frida Kahlos, ohne jedoch eine platte Biografie abzuliefern. Anspielungen auf ihr Leben werden durch eingeblendete Titel erklärt. Wie zur Auflockerung und um sich in die Lebensfreude Mexikos hineinzutanzen wirbeln Tänzer und Tänzerinnen in ihren roten Kostümen über die Bühne. Doch schlagartig bricht über Frida (wunderbar getanzt von Eleonora Accalai) der Schmerz herein; Schwer verletzt wird ihr „broken body“ in ein Mieder gepresst. Doch ihr Lebenswille ist ungebrochen und schon ist sie wieder im Leben und verliebt sich in Diego Rivera (Diego Tiborkovats, der sich humorvoll in die plumpe Figur des Malers einfügt), Köstlich die Hochzeit (Titelfoto), zunächst alles gut, bis der Frauenheld sich an das nächst greifbare Mädchen macht. Ein tief in der Seele sitzender Schmerz wird zum Trauertanz, als Frida „childless“ bleibt. Rivera amüsiert sich mit anderen Frauen. Das geht gar nicht – da muss geschieden sein. Aus den dunklen Wintermänteln dampft die Kälte der Trennung.

El dia de los muertos , Foto:Tamas Leko.jpg

In skurrilen, humorvollen Tänzen feiert die Gruppe den „dia de los muertos“ und zugleich den Tod Fridas. Im Schlusstableau wird die Tänzerin mit Schmuck und lebensbunten Kleidern zur „Ikone Frida“ dekoriert, zu der die Malschon zu Lebzeiten geworden war.

Eva Duda setzte in einer lebensstrotzenden Choreogaphie die Schmerzensgeschichte der berühmten Malerin mit Feingefühl um. Das Publikum dankte ihr dafür mit begeistertem Applaus.

www.odeon.at und https://evaduda.net

Volksoper Wien: ALMA

Oper in fünf Akten. Musik: Ella Milch-Sheriff, Libretto: Ido Ricklin. Musikalische Leitung: Omer Meir-Wellber

Es musste ja so kommen – Alma Mahler-Werfel als dankbare Titelfigur eines Musikdramas war fällig! Man glaubt, aus den zahlreichen Bio- und Autobiographien schon genug über die Skandallady und Männerverschlingerin zu wissen. Doch wie sagt die Protagonistin über sich selbst: „Niemand wird es gelingen, mich vollständig zu beschreiben. Ich stecke voller Rätsel.“ Ihren Lebensweg nochmals einfach nacherzählen oder nachsingen? „Das wäre nicht mehr als ein Wikipedia-Artikel“ meinte der für das Libretto Verantwortliche (zitiert aus der Stückeinführung). Da kam die Idee auf, ihren Lebenslauf nicht vorwärts- sondern rückläufig zu zeigen, beginnend 1935 mit dem Begräbnis Manons, der Tochter von Gropius. Der Mehrwert dieser Idee darf bezweifelt werden. sorgt sie doch in manchen Szenen für zeitliche Überschneidungen.

Offensichtlich gingen Librettist, Komponistin und die Wiener Volksoper als Auftragsgeberin davon aus, dass das p.t. Publikum bestens über Almas Sexskandale informiert ist.( Paulus Manker hat ja mit dem Stationendrama „Alma“ für handgreifliche Aufklärung gesorgt) Das “ Rätsel Alma“ geht der Librettist Ido Ricklin erst gar nicht an – er bleibt an der Oberfläche und schildert eine nach Sex und Macht gierende Frau.

Dass „Alma“ ein Publikumshit wird oder schon ist, ist verstehbar. Denn Annette Dasch ist stimmlich und darstellerisch die perfekte Alma. Ihr gelingt es mühelos, von der 56-Jährigen, vom Alkohol Gezeichneten in die Rolle des jungen Mädchens zu schlüpfen, die den Heiratsantrag Gustav Mahlers annimmt. Dass er ihr mit dem Heiratsantrag auch gleich das Komponieren verbietet, ist für Alma ein unerträglicher Schmerz. Später wird sie den Schmerz um ihre nie geschriebenen Kompositionen dem um ihre toten Kinder gleichstellen. Annette Dasch gelingt es, diese Komponente als Charaktergrundlage zu verdeutlichen. Ihr zur Seite steht die ungeliebte Tochter Anna, die einzig Überlebende von Almas Kindern. Zwischen den beiden herrscht kriegerische Abhängigkeit. Annelie Sophie Müller zeigt in dieser Rolle ihre Wandelbarkeit. Als Carmen erlebt man sie als selbstsichere Frau, die lieber in den Tod geht als sich der besitzergreifenden Liebe zu unterwerfen. Als Anna tritt sie durch ihren klaren Sopran und ihre schlichte Personencharakterisierung aus dem Schatten, den ihr leider das Libretto zugeschrieben hat. Sie ist Korrektiv und Fragerin.

Der Handlungsstrang konzentriert sich auf die Kind-Mutterbeziehung, besser auf die fehlende Beziehung. Grausam bis zur Unerträglichkeit wühlt die Regisseurin Ruth Brauer-Kvam in blutigen Geburts- und Abtreibungsszenen. Wenn die Nabelschnur dem ungeborenen Kind von Kokoschka – beeindruckend der Koloraturssopran Hilo Beggio – und der Mutter heraushängt, wenn die Frühgeburt Martins krass und abstoßend gezeigt wird, dann muss man Annette Dasch bewundern, dass sie all das mitträgt. Ruth Brauer-Kvam ist ja für ihren überbordenden Einsatz von grellen Effekten bekannt, aber in diesem Fall hat sie den Bogen überspannt. An anderen Stellen wiederum wirken ihre Regieeinfälle zu verspielt. Wenn die Särge der Kinder auf einer Art Minieisenbahn hereingefahren werden. Das erinnert fatal an eine Grottenbahn. Die Alma-Männer sind bis auf Kokoschka eher blass und unscheinbar geschildert. Gropius (Florian Hurler) darf im Hintergrund eckige Tanzbewegungen ausführen, Werfel (Timothy Fallon) darf zwar Alma auf dem Klavier vergewaltigen. Aber sonst bleibt er eine Nebenfigur. Auch Mahler (Josef Wagner) wirkt schattenhaft. An Kokoschka (Martin Winkler) kann sich die Phantasie der Regisseurin genüsslich abarbeiten.

Die Idee, die Tode ihrer vier Kinder als epischen Handlungsstrang zu nützen, ist an sich ein guter Ansatz. Leider fehlt dem Libretto die Kraft des Dialogs und die Regie vertut sich in grellen Sex-, Geburts- und Todesszenen. Die Musik von Ella Milch-Sheriff passt sich an das Geschehen an: Einmal heiter mit Wienerlied-Anklängen, dann meint man Mozart zu hören und natürlich Mahler. Wenn nötig gibt es heftiges Blech. Omer Meir Wellber dirigiert diese verschiedenen Musikzitate gekonnt zu einem passablen Bogen rund um das Trauer- und Erotiktableau auf der Bühne. Begeisterter Applaus für alle Sänger, besonders aber für Alma, Anna und den Dirigenten.

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Oper Graz – Ballett „Sacre!“

Mit „Fieber“ und „Sacre du printemps“ gelingt dem Ballettensemble der Oper Graz ein Paukenschlag und Publikumshit! Mitverantwortlich für den großen Erfolg: Die Grazer Philharmoniker unter Vassilis Christopoulos

„Fieber“ – Musik: Debussy „Prélude à l‘ après – midi d‘ un faune“ und Ravel „Ma mère l’oye“

Foto: Oper Graz/Andreas Etter

Finsternis, dumpfes Grollen, dann Stille. Mit aufkommendem Licht hinkt Faun über die Bühne, dann tauchen aus dem Dunkel Figuren – Menschen? tierische Wesen? – alle in hautfarbigen Overalls auf. Sie wälzen sich lange am Boden – zu lange, da gleitet die Aufmerksamkeit weg und taucht in die wunderbare Musik ein. Zart, zärtlich führt Christopoulus durch diese mythische Welt. Doch dann kommt Aktion in die wälzende, schlurfende Masse. Sie bewegen einen riesigen Klotz, drehen ihn und klettern auf die felsige Plattform. Suchen sie Rettung vor der großen Flut, vor dem Untergang? Warum einige von ihnen nun blau-grüne Dirndel tragen, ist nicht erklärbar. Der Choreograph Louis Stiens, der auch die Kostüme entwarf, schuf gemeinsam mit Bettina Katja Lange (Bühne) ein Untergangsszenarium: Menschen werden zu amorphen Wesen, suchen sich zu retten, doch die Natur rächt sich unbarmherzig. Vielleicht kann man diese Choreographie so deuten oder doch auch ganz anders!

„Sacre!“ Musik: Igor Strawinsky- „Le Sacre du printemps“

Der aus Kuba stammende Choreograph George Céspedes verzichtet bewusst auf den Frühling im Titel. Denn in seiner Interpretation feiert er nicht das Wiedererwachen der Natur. Er inszeniert das „Opfer“. In verschiedenfarbigen Overalls (Kostüme: Judith Adam) formieren sich Kämpfer und Kämpferinnen zu hochakrobatischen Leistungen. In Dreiergruppen oder Duos kämpfen sie um Vormacht, scheinen einen von ihnen als „Opfer“ auszuloten, um in der nächsten Sekunde ihn zum Sieger und den anderen zum Opfer werden zu lassen. Homo homini lupus est in Kämpfen der Straßengangs. Zerstörerisch, wild, explosiv. Die Musik treibt an. Coitus ist Vergewaltigung. Dem Publikum stockt der Atem und bricht am Ende in tosenden Applaus aus, um sich aus der Spannung zu lösen.

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Oper Graz: Giuseppe Verdi: La Traviata

Wiederaufnahme: 6. Oktober 2024, 35. Vorstellung am 02.11.2024

Inszenierung: Peter Konwitschny, Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker, Licht: Daniel Weiss und Joachim Klein, Chor: Johannes Köhler, Dirigent der Grazer Philharmoniker: Matteo Beltrami

Glück gehabt! Es wäre wirklich jammerschade, wenn man diese packende Inszenierung von Peter Konwitschny verpasst hätte (letzte Vostellung am 10. November 2024)! Wieder einmal bewahrheitet sich, was Opernfans nicht müde werden zu wiederholen: Kluge, interessante Inszenierung haben ein langes Haltbarkeitsdatum. Seit der Wiederaufnahme dieser Inszenierung (Première an der Oper Graz am 22. Jänner 2011) am 06. Oktober wurde sie mit viel Erfolg 35 Mal gespielt. Immer ausverkauft! Ein Denkanstoß für den Direktor der Wiener Oper!

Ein Sessel und mehrere rote Vorhänge genügen als Bühnenbild, was das Regiekonzept von Peter Konwitschny bestens unterstreicht: Straff geführte Handlung, einige Szenen radikal gekürzt, Konzentratrion auf die beiden Protagonisten Violetta und Alfredo. Die bis ins kleinste Detail durchdachte Personenführung verstärkt das Drama der beiden wie unter einer Riesenlupe. Man bleibt gepackt vom Anfang bis zum Ende. Galina Cheplakova bietet alles für die Rolle: Sie überzeugt mit ihrem klaren Sopran und ihrer sensiblen Schauspielkunst. Ihr gegenüber hat Peter Konwintschy einen schüchternen, fast tollpatschigen Alfredo gestellt, von Alexey Neklyodov bis zur Selbstaufgabe und Hingabe gesungen und gespielt. Sein schmiegsamer Tenor kann alles: schüchtern flehen, die Liebe als einzige Daseinsform einfordern und leben, wüten und auch ganz feige sich vor der Sterbenden zurückziehen. Da gibt es Momente, die den Atem stocken lassen: Violetta zögert, soll sie sich auf die Liebe einlassen. das Herz will es, der Verstand weigert sich. Bei diesem berühmten Duett steht sie allein auf der Bühne, Alfredo singt machtvoll aus der Tiefe des Zuschauerraumes sein lockendes, forderndes „croce bellissima“. Überraschend neu gestaltet Konwitschny die Szene zwischen Violetta und Giorgio Germon, dem Vater Alfredos. Um seine brutale Forderung, Violetta müsse auf Alfredo verzichten, moralisch abzusichern, bringt er die Tochter, die verheiratet werden soll, mit. Doch die beiden Frauen schließen sich gegen den Vater zusammen – so wird aus dem „liebenden Vater“ ein brutaler Erpreser. James Rutherford gibt diesem janusköpfigen Moralisten seine mächtige Stimme!

Das Ende gestaltet Konetschny brutal und schonungslos die Männerwelt demaskierend.: Violetta stirbt allein, Alfredo und der Vater ertragen es nicht, Violetta bis zum Ende beizustehen. Sie ziehen sich zurück und betrauern sie aus dem Off des Zuschauerraumes. Die kämpferisch für Frauen sich einsetzende Direktorin der Volksoper Wien, Lotte de Beer, hätte mit diesem Ende ihre Freude!

Violetta geht mit dem Rücken zum Publikum in den Bühnenhintergrund – eine schmale, schutzlose Gestalt. Das Licht verlischt, ganz langsam schließen die Vorhänge. Mit frenetischem Applaus erlöst sich das Publikum aus dem Bann dieser packenden Sterbeszene.

Matteo Beltrami leitet die Grazer Philharmoniker mit Feingefühl durch das musikalische Drama, immer mit den Sängern im Einklang!

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Charles Lewinsky, Täuschend echt. Diogenes

Das ist wieder ein Lewinsky, wie man ihn kennt und mag! Witzig, kritisch (aber nur undercover), mit einem flotter Erzählstrang, der den Leser bei der Stange hält.

Ein Werbetexter für Müsli wird gekündigt. Gleichzeitig verlässt ihn seine Kurzzeitgeliebte, nimmt Geld und Bankomatkarte mit und verschwindet auf NImmerwiedersehen!. Hinterlassen hat sie ihm nur eine elendlange Natter im Terrarium. Keine gute Aussichten für den Ich-Erzähler!. Lewinsky schüttet seine ganze Humorpower über das arme, bedauernswerte Ich. Aber nur Verzweiflung ist nicht Leweinskys Sache und schon gar nicht die seines Protagonisten.

Um seinen Frust einigermaßen in den Griff zu bekommen, beschließt das bedauernswerte Ich einen Roman zu schreiben. Über eine Frau…Für Name, Figur und alles andere posiert die Exfreundin. Schon am Anfang scheitert er und sucht Hilfe in der KI ! Im Laufe des Schreibens erkennt er, wie bequem das ist. Suchbegriff eingeben, und schon legt Katarina, wie er sie nennt, los. Gar nicht schlecht, findet er. Bald gibt es auch einen reichen Sponsor für sein noch nicht geschriebenes Buch: Er soll sich die Geschichte eines Menschen anhören und in einen möglichst authentischen Text gießen. Gesagt – schnell geschrieben mit Hilfe der Katarina. Das Buch wird ein toller Erfolg – aber so einfach und kitschbehaftet geht es bei Lewinsky nie zu – nach Erscheinen des Buches beginnen erst richtig die Schwierigkeiten.

Eine amüsante, kluge Geschichte. Man nimmt am Entstehungsprozess des Schreibens mit Hilfe der KI teil – und kommt nicht darum herum festzustellen, ähnliche Texte schon in Büchern bekannter Vielschreiber so oder so ähnlich gelesen zu haben. Es beschleicht den Leser der Verdacht, dass viele bekannte Autoren, die ihre dicken Bücher mit endlosen Beschreibungen aufpeppen, sich der KI bedienen. Denn wie kann es sonst sein, dass von Autor X jedes Jahr ein dickes! Buch erscheint, das den Leser mit klischeehaften Beschreibungen fadisiert!? Lewinskys Roman ist amüsant, erhellend, witzig, ganz ohne Erziehungstendenzen à la „Achtung vor KI“!

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Kammerspiele der Josefstadt: Marius von Mayenburg: Nachtland

Regie: Ramin Gray, Bühnenbild und Kostüme: Johannes Schütz

Der Vater ist tot. Die Geschwister Nicola und Philipp räumen das Haus. Zum Erben gibt es nicht viel. Bis plötzlich auf dem Dachboden ein Bild auftaucht, das mit A. Hitler signiert ist. Nun beginnt Gier zu walten, und Streit zwischen allen Parteien ist vorprogrammiert. Judith, Philipps Ehefrau, ist gegen einen Verkauf. Ein Bild von Hitler – damit macht man sich die Hände und die Seele schmutzig. Ihre heftigen Vorwürfe lassen ahnen, dass sie Jüdin ist und daher von der Vergangenheit geprägt argumentiert.

Eine interessante, ziemlich heiße Vorlage, die Marius von Mayenburg (oder eher Föttinger) dem Publikum vorsetzt. Bei der Frage, ob man ein Hitlerbild verkaufen oder eher vernichten soll, bleibt der Autor nicht stehen. Er mäandert von Thema zu Thema: Gibt es Kunst, die wertfrei, weil von moralisch hochstehenden Autoren geschaffen wurde? Ist es unmoralisch, das Hitlerbild an (Begeisterte, ewig Gestrige) zu verkaufen und so die braune Suppe wieder aufzurühren? Darf man in Gegenwart einer Jüdin über die Palästinafrage diskutieren? Das alles und mehr schlägt der Autor und mit ihm die Schauspieler dem Publikum in rasanten Dialogen um die Ohren. Und lässt auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Das ist vielleicht die Schwäche des Stückes: Zu viele verschiedene Themen quirlen auf, aber lassen nicht Raum für Gedanken. Denn unterm Strich ist es eine bitterböse Komödie und man schmunzelt. Denn es wird gut gespielt: Allen voran Martina Ebm als resolute Nicola, die Ehemann und Bruder wie nichts wegputzt. Oliver Rosskopf gibt den Bruder, der das Geld gerne hätte, wäre nicht seine Frau Judith, die Jüdin ist und überall die braune Suppe hochkochen sieht. Silvia Meisterle spielt diese Jüdin als richtig unangenehme Zicke, die jeden Einwand mit Wortspielerein und glasklaren Argumenten abwürgt. Der Autor lässt sie am Schluss verschwinden – sie löst sich in Luft auf. Da weiß man nicht so recht, was er damit bezweckt. Roman Schmelzer glänzt in der Doppelrolle des wehleidigen Ehemanns von Nicola und in der zweiten Hälfte des Abends als Bilderspekulant und gieriger Käufer des Hitlerbildes. Susa Meyer weiß der Rolle der Galeristin den typisch verstaubten Charakter zu verleihen. Dass sie am Schluss als geheime Geliebte des Verstorbenen auftritt, ist einer der unnötigen Gags, die sich der Autor erlaubt

Im Programmheft finden sich interessante Beiträge über den schwunghaften Handel mit wieder aufgetauchten Hitlerbildern, über das Schicksal des jüdischen Glasermeisters, bei dem Hitler seine Bilder rahmen ließ, und über die Frage, ob die moralische Einstellung eines Künstlers über den Wert des Werkes entscheidet.

Wenn das Stück als Moraldusche von Dirketor Föttinger gewählt wurde, dann war es ein Schuss ins Leere. Denn das Publikum amüsierte sich köstlich über dieses Themen- Hickhack und klatschte am Ende ausgiebig Beifall.

www.josefstadt.org

Albertina: Marc Chagall (1887 – 1985)

Titelfoto – Selbstporträt(1914)

Mit ca 100 Bildern Chagalls ehrt Albert Schröder den dritten Künstler der Moderne und erfüllte sich damit einen längst gehegten Herzenswunsch. Die beeindruckende Schau umfasst den ganzen Schaffenskreis des Künstlers.

Geboren 1887 in einem kleinen jüdischen Schtetl in Weißrussland (heute Belarus), blieb Chagall dieser Heimat durch seine Bilder immer verbunden.

Der Papierdrachen ©Bildrecht Wien 2024

Die Dorfszenen mit Kühen, Hähnen, Ziegen und Hirten, die wie in einem Traum durch die Lüfte fliegen, bleiben ein Leben lang Thema. In leuchtendes Traumblau getaucht strahlen sie Sehnsucht nach einer Welt, die untergegangen ist, aus. Es sind Momente des Glücks. Jeder kennt solche Sehnsüchte, Erinnerungen an Kinderzeiten – deshalb faszinieren die Bilder Chagalls. Sie vermitteln die Liebe des Künstlers zu Tieren und Menschen. Trotz Vertreibung aus Russland, Zerstörung vieler seiner Bilder im Dritten Reich, Exil in Frankreich und New York verliert Chagall nie diesen Kontakt zu seinen Wurzeln.

Der Geburtstag. ©Bildrecht Wien 2024

Die Liebe zu seiner Ehefrau Bella ist ein anderes Fixthema in seiner Kunst. Er malt sie in eine Traumwelt hinein, sie ist sein Lebensmittelpunkt. Lebensfreude und Liebe sind das Geheimnis seiner Bilder. Sind das Geheimnis, warum seine Werke die Menschen persönlich ansprechen.

Die Ausstellung ist eine Kooperation der ALBERTINA und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen,
Düsseldorf und geht noch bis 9. Februar 2025.

http://www.albertina.at

Wiener Staatsoper: György Kurtag, Fin de Partie. Text: Samuel Beckett

Inszenierung, Bühne und Kostüme: Herbert Fritsch. Musikalische Leitung: Simone Young. Licht: Friedrich Rom.

Titelfoto: Hamm/Philippe Sly und Clov/Georg Nigl, Foto: Wiener Staatsoper-Sofia Vargaiová.jpg

UNGLAUBLICH wie Musik, Gesten und Choreographie taktgenau aufeinander eingespielt sind,den Text wörtlich nehmen und zu einer Art Slapstick-Komödie werden lasssen. Keine Langeweile, kein Zwang zur Interpretation! Absurdität lässt sich nicht erklären, ist frei von Moral oder Deutung! Herrlich, man kann einfach den Un-Sinn genießen, muss nicht nach dem tieferen Sinn fragen. Für Regisseur Herbert Fritsch das, was der Wiener „a gmahte Wiesn“ nennt. Er kann sich an Einfällen austoben – und es fällt ihm viel zu diesem verrückten Text und dieser Partitur ein!

Als Samuel Beckett „Fin de Partie“, diese Ikone des absurden Theaters, in den späten 50er Jahren schrieb, da tobte in Paris der Existentialismus, der Surrealismus, der Kommunismus – alle zusammen und alle gegeneinander. Die Welt war alles andere als verstehbar. Beckett war der Star unter den Schriftstellern und fühlte sich nicht berufen, sie zu deuten. Als György Kurtag „Fin de Partie“ das erstemal in Paris Ende 1950 sah, war er von dem Text elektisiert. Über Jahre komponierte er an der Oper, übrigens seine erste Oper überhaupt, bis sie endlich 2018 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde.

Was durchgehend auffällt, dass Gesten und Musik einander komplimentieren. Fritsch nennt es eine „Gestenpartitur“. Simone Young gelingt es, die einzelnen Musikzellen genau auf die Handlung, die Gestik abzustimmen. Man könnte mit geschlossenen Augen verstehen, was auf der Bühne vorgeht. Die Musik hat Witz und strotzt nur so von Einfällen. Sie ist nie laut, vordrängend, immer eins mit dem Bühnengeschehen. Ein weißer Raum mit Licht- und Schattenwirkungen, die nicht von außen kommen – denn ein „Außen“ scheint nicht zu existieren -, bildet den nüchternen Rahmen, in dem die vier Personen die Sinnlosigkeit des Lebens besingen.

Georg Nigl als Clov. Foto: Wiener Staatsoper -Michael Poehn.jpg

Was die Sänger nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch leisten, ist bewundernswert. Den Reigen des Absurden eröffnet Clov (Georg Nigl) mit seinem Leitertanz. Souverän in Stimme und absurder Pantomime wird er den Diener des blinden und gelähmten Hamm mimen. Seine Unterwürfigkeit ist vorgetäuscht, darunter lauert die Bösartigkeit. Am Ende wird er Hanm verlassen.

Nell/Summers und Nagg/Workman. Foto: Wiener Staatsoper-Michael Poehn.jpg

Die Eltern Hamms haben bei einem Radunfall die Beine verloren. Der mitleidlose Sohn hat sie in zwei Mülltonnen gesteckt, aus denen nur die Köpfe herausschauen. Was Charles Workman als Nagg und Hilary Summers als Nell in diesen schwierigen Rollen stimmlich und pantomimisch leisten, das grenzt ans Unglaubliche! Ihre Eheszenen, besonders die Kussszene, sind Glanzleistungen des finsteren Humors.

Sly/Clov, Nigl/Hamm. Fotos: Wiener Staatsoper-Michael Poehl.jpg

Stimmlich und darstellerisch verlangt die Rolle des Hamm dem Sänger sehr viel ab. Philippe Sly gelingt es, den Armen nicht zu erbärmlich, den Herrischen nicht zu hart erscheinen zu lassen. Er braucht ja Clov, nicht nur wegen seiner körperlichen Gebrechen, sondern auch als Zuhörer, wenn er seinen „Roman“ weiterspinnt. Vor allem aber sehnt er sich nach Nähe. Am Schluss wird Hamm einsam zurückbleiben, und Clov reisefertig mit Hut und Koffer ungerührt am Rande stehen.

Ein großartiger Abend, den das Publikum mit begeistertem Applaus aufnahm. Besonderen Applaus erhielt Simone Young, die mit sicherer Hand das Orchester der Wiener Staatsoper durch diese anspruchsvolle Partitur dirigierte.

http://www.wiener-staatsoper.at

Johann Holtrop -Abriss der Gesellschaft -Burg

Nach dem Roman von Rainald Goetz. In einer Fassung von Sefan Bachmann und Lea Goebel. Eine Übernahme aus Schauspielhaus Köln und Düsseldorf

Foto: Melanie Kretschmann und Ensemble. © Tommy Hetzel

Regie: Stefan Bachmann, Bühne Olaf Altmann, Kostüme: Jana Findeklee, Joli Tewes, Licht: Michael Göök, Choreograpie: Sabina Perry. Komposition, musikalische Leitung: Sven Kaiser.

Groß war die Neugier auf die Regie Stefan Bchmanns! Groß war die Enttäuschung. Wieder ein Stück, das sich über zwei Stunden ohne Pause dahinschleppte und nicht und nicht enden wollte. Auch wenn einige das Ende vorzeitig einklatschten – es nützte nichts. Beinhart wurde bis zum bitteren Ende gespielt.

Ich hätte ja schon ahnen können, dass dieses Stück nicht der Renner der Saison wird. War doch knapp vor Beginn der Saal halb leer. Um zumindest die ersten neun Reihen zu füllen, verkaufte man eifrig Last-Minute- Tickets. Bis sich die vorderen Reihen endlich gefüllt hatten, war es 10 nach acht. Zum Vergleich: „Schachnovelle“ war bis zum letzten Platz ausverkauft, sogar die Stehplätze auf der Galerie waren gut besucht. Gott sei Dank weiß das Theaterpublikum, was sehenswert ist! Nur solche Naivlinge wie ich, die keine Kritiken gelesen haben und von anderen Theaterfreaks nicht vorgewarnt wurden, wollen unbedingt erfahren, wie der neue Chef Regie führt.

Aus dem Programmheft geht hervor, dass alle Rollen von Frauen gespielt werden. Da man keinen einzigen Namen kennt, seien sie der Reihe nach angeführt: Nicola Gründel, Anja Lais, Rebecca Lindauer, Lea Ruckpaul, Luana Velis, Cennet Rüya Voß, Ines Marie Westernströer. jede in mehreren Rollen. Melanie Kretschmann spielte die Hauptrolle, den Widerling und Konzernboss Johann Holtrop. Sie machte ihre Sache als machtgieriger Manager recht gut. Wie übrigens das ganze Ensemble den schwierigen Text und die herausfordernde Choreografie bewundernswert meisterte. Denn, so wollte es Bachmann, sie alle mussten den Text als Art abgehackten Sprechgesang aufsagen. Das erforderte vom Publkum höchste Aufmerksamkeit, die von Minute zu Minute abnahm. Obwohl sich die Schauspielerinnen große Mühe gaben, der banalen Story, hundertfach in diversen Magazinen schon abgefeiert, einen exzentrischen, einmaligen Stil zu verleihen (Körperverrenkungen wie aus einem indonesischem Schattenspiel inbegriffen), setzte mir sehr bald die Langeweile zu. Denn die Gags wiederholten sich und nützten sich ab. Dem abgehackten Rapgesang zu folgen wurde reizloser, weil die Spannung fehlte.

Die Handlung ist vorhersehbar: Der größenwahnsinnige Holtrop verzockt das ganze Kapital einer großen Firma. Aber wie ein Stehaufmännchen richtet er sich wieder auf und gründet flugs eine eigenes Unternehmen, das er ebenfalle den Bach hinuntergehen lässt. Am Ende wirft er sich vor den Zug. Müder Applaus eines ermüdeten Publikums. Ein paar Extraklatscher bekamen die Musiker (Sven Kaiser, Zuzana Leharová, Annette Maye, Jan Felix Rohde), die das Geschehen dezent musikalisch untermalten.

www.burgtheater.at

Wolfram Ellenberger, Geister der Gegenwart. Verlag Klett-Cotta

Untertitel: Die letzten Jahre der Philosophie und der Beginn einer neuen Aufklärung. 1948 -1984

1948 war ein trostloses Jahr. Der Nationalsozialismus hatte fast alle Künstler und Philsophen ins Exil getrieben. Nur zögernd kamen einige zurück und mussten frustriert feststellen: In den Köpfen vieler Menschen nistet noch immer die alte Ideologie. Wolfram Ellenberger versucht einigermaßen einen Überblick über diese 40 schwierigen Jahre zu geben. Er konzentriert sich auf die aus seiner Sicht wichtigsten Philosophen dieser Zeit: Theodor W. Adorno, Paul K. Feyerabend, Susan Sontag, Hannah Arendt und Michel Foucault. Die ersten Nachkriegsjahre sind enttäuschend. Hannah Arendt ist von dem völlig zerstörten Deutschland geschockt. Viele stehen vor dem Nichts, auch die Philosophie. Mit dem Wiederaufbau wird aus der Philosophie die Lehre vom guten Leben. Und von Restituierung ist noch lange keine Rede.

In Amerika entdeckt Susan Sontag die Bisexualität. Das klingt jetzt banal – aber für Amerika war das ein „no go“. In Frankreich werden Jean Paul Sartre und Simone de Bouvoir gefeiert, bald aber als Hausgebrauchsphilosophen desavouiert. Existentialismus ist die neue Denkrichtung .Freiheit bis zum sebstgewählten Tod – Simone Weil begeht Selbstmord durch Hungern. Trotz Stalin bleibt der Kommunismus ein schickes Denkmodell.

In den späten 60er Jahren konzentriert sich der Autor auf einander konkurrierende Philosophen Paul K. Feyerabend und Michel Foucauld. Mit leichter Ironie beleuchtet er beider Erfolge und Misserfolge während der Studentenrevolten 1968. In Deutschland beherrschen Habermas und Adorno die Denkbühne. Adorno gibt sich geschlagen und verlässt die Revoltenbühne. Und Wien? An der Universität haben noch immer Professoren das Sagen, die sich vom Nationalsozialismus nicht verabschieden wollten und konnten. Studentenrevolution? Kaum, die Straße bleibt ruhig. Nur in der Aula gibt es einen Fäkalienskandal.

Als nicht philosophisch geschulter Leser ist man oft überfordert. Aber unter dem Strich vermittelt Wolfram Ellenberger den Eindruck, dass die „neue Aufklärung“ auf sich warten lässt.

www.klett-cotta.de

Stefan Zweig, Schachnovelle. Burg

Regie und Textbearbeitung: Nils Strunk, Lukas Schrenk. Musik: Nils Strunk, Songtexte: Lukas Schrenk, Bühne: Maximilian Lindner

Titelfoto: Nils Strunk als Erzähler und die Band ©Tommy Hetzel

Wir, das Publikum, sind Passagiere auf dem Schiff, das 1939 von New York ablegt. Festbeleuchtung auf dem ganzen Schiff (Publikumsraum), grün schimmernder Nebel hüllen die ankommenden Passagiere – uns – ein. Unterhaltungsmusik à la 30erJahre. Die Bar ist eröffnet, das P.T. Publikum unterhält sich – bis der Entertainer – Ich-Erzähler – auftritt und eine ganz seltsame Geschichte erzählt: Die Schachnovelle von Stefan Zweig!

N. Strunk – im Hintergrund Mirko als kleiner Junge, gezeichnet von Herbert Nauderer. Foto: Tommy Hetzel

„Erzählt“ ist das völlig falsche Wort. Denn was da in den nächsten zwei Stunden auf der Bühne abgeht, ist schlichtweg ein Ereignis, wie wir es schon lange nicht mehr auf der Burg erleben durften. Nils Strunk ist alles und jeder: Kulissenschieber, Klavierspieler, Sänger, er ist der Pfarrer, der Mirko so was wie Ausbildung verpassen will. Er ist Mirko Czentovic auf dem Schiff, er ist der angeberische Millionär McConnor, er ist der geheimnisvolle Dr.B., er intoniert auf dem Klavier fulminant, wie Schachspielen klingt – eines dieser vielen Gustostückerln dieses Abends, er ist überall und jedermann, er ist in jeder Sekunde ein anderer. Und man glaubt ihm jede einzelne Figur! Von seiner Band wird er durch die Erzählung musikalisch grandios begleitet. Langeweile in der Burg – das war einmal. Verziehen und vergessen macht dieser „Zauberkünstler der Bühne“ die vielen öden Stunden, die man in diesem Haus in den letzten Jahren erleben musste.

Der berühmte Schachweltmeister Mirko Czentovic ist an Bord! Sein Werdegang ist seltsam genug. Als Vollwaise aufgewachsen, resistent gegen alle Lern- und Erziehungsmethoden, interessiert sich der Bub schon früh nur für das Schachbrett. Sein Aufstieg zum Weltmeister ist rasant und gewinnbringend. Er spielt nur um hohe Summen. Dem sich selbst überschätzenden McConnor verpasst er eine Niederlage nach der anderen. Bis -ja bis der geheimnisvolle Dr. B. eingreift und das Schachwunder in Schranken weist.

Nils Strunk als Dr. B. Foto: Tommy Hetzel

Dem neugierig gewordenen Erzähler erzählt Dr. B. mit schlichten, unpathetischen Worten, wie es gekommen ist, dass er in der grausamen Einzelhaft der Gestapon nicht den Verstand verloren hat: Ein Schachbuch rettete ihn. Er lernte die Partien auswendig, spielte gegen sich sellbst. Im Kampf gegen Czentovic kommen jedoch alle Erinnerungen an die Qualen der Einsamkeit hoch und er muss vorzeitig aufgeben. Die Wunden, die das Naziregime ihm und Millionen anderen zugefügt hat, werden nie verheilen.

Diesen großartigen Schauspieler und seine congeniale Band (Jörg Mikula, Sebastian Simse, Hans Wagner, Bernhard Moshammer, Martin Ptak, Alois Eberl) feierte das Publikum mit begeisterten Ovationen. Zum Dank dafür musizierten Nils Strunk und das Ensemble noch weiter, bis die Bühnenarbeiter ihnen die Sessel unter dem …wegzogen.

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„Der schlafende Wal“ – ein Stück ohne Bruckner. Schuberttheater

Text: Paulus Hochgatterer. Regie: Simon Meusburger. Bühne & Licht: Simon Meusburger. Puppen & Kostüm: Soffi Povo. Kostüm und Ausstattung: Lisa Zingerle.

Spiel und Puppenführung: Manuela Linshalm

Eine auf irgendwen und alles wütende Sprayerin stürzt unflätig fluchend in den Zuschauerraum. Vielleicht möchte sie sich auf einen (nicht vorhandenen ) Mann stürzen und ihn mit Pfefferspray unwirksam machen. Sie ist gewaltbereit und sprüht ihren Frust auf die Wänden der Häuser. Ein kluger Richter verurteilt die Frustrierte zu hundert Stunden Sozialarbeit. Die junge Wilde muss ihre Strafe bei einer alten Frau abdienen. Die lebt seit Jahren in den vier Wänden ihres Minisalons. Das Mobiliar: Nachtkästchen aus der Zeit der 1900er Jahre mit Spitzendeckchen und verspielten Tischlampen.

In diesem aus der Zeit gefallenen Ambiente ( Kompliment an den Bühnenbildner Simon Meusburger) kann das eigentliche Spiel beginnen. Verzaubert folgt man den Gesten und den Stimmen: Hier die resignierenden Seufzer der alten Lady, da die forschen Fragen der Punkerin. Einen größeren Gegensatz an Charakteren kann man sich nicht vorstellen. Auf magische Weise schlüpfen aus den Tischlampen die Büsten diverser Komponisten – sie steigen aus der Erinnerung der alten Dame auf. Die hat ja -wie man im Lauf des Stückes erfährt – eine Zwangsbeglückung mit der Musik Bruckners durch ihren verstorbenen Ehemann erfahren. Vielleicht hat sie diesen ja anfangs ihrer Ehe noch bewundert, doch im Laufe der Jahre hat sich die Bewunderung in Langeweile verwandelt. Die vielen Reisen zu Bruckneraufführungen – öd!!. Über Bruckner wird viel geredet, aber er „kommt nicht vor“. An seiner Stelle schlüpfen aus den Lampen die Büsten Brahms, Wagners und sogar des kauzigen und strengen Kritikers Eduard Hanslik. Sie alle geben ihren Senf zur Musik Bruckners dazu. An dieser Stelle darf Kritik erlaubt sein: So witzig und abstrus diese Szenen mit den Büsten der Musiker sind – sie sind einfach zu lang. Auch wiederholen sich gewisse Sentenzen über Musik, Reisen, Fotos und die Reisetasche zu oft. Wer mit der klassischen Musik nichts am Hut hat, wird sich langweilen. Vor allem aber verwässern diese zwanghaft repetitierten Textpassagen das subtile Beziehungsgeflecht zwischen der Punkerin und der alten Dame. Denn am Horizont zeichnet sich gegenseitiges Verstehen ab, bleibt aber nur vage angedeutet. Wäre aber interssanter als all dieses Gerede über Bruckner. Ein kritischer Einwand, der vor allem dem Autor Hochgatterer gilt. Um den Titel zu rechtfertigen, zieht er eine weit hergeholte Erklärung, die mit dem Stück selbst nichts zu tun hat, aus dem Hut: Die Punkerin erinnert sich, dass sie einmal einem „schlafenden Wal ins Auge geblickt hat“ – und das war für sie das Megaerlebnis. Bruckner und der Wal -eine ziemlich schräge Kombination!

Ein unterhaltsame Aufführung, die vor allem von den zauberhaften Puppen und dem Zusammenspiel zwischen der Puppe der alten Dame und der Figur der Punkerin, beide gespielt von Manuela Linshalm, lebt.

www.schuberttheater.at

Jonas Kaufmann: Viva Puccini! ( Wiener Konzerthaus)

Jochen Rieder dirigiert die Deutsche Staatsphilharmonie. Maria Agresta – Sopran

Es war der 13. Oktober, der Abend nach der Première (9. Oktober in Paris mit Valeria Sepe). Mit insgesamt zehn Aufführungen in kurzen Abständen von zwei bis drei Tagen, abwechselnd mit Maria Agresta und Valeria Sepe, tourt Jonas Kaufmann durch Österreich, Deutschland und die Schweiz. In Luzern wird er die Tour am 9. November 2024 beenden.

Puccini singt Jonas Kaufmann besonders gerne. Wie die starken Emotionen, die Puccini mit seiner Musik provoziert, entstehen, sind eines der ungelösten Geheimnisse, meinte Jonas Kaufmann einmal in einem Interview. Eine Erklärung sind die intensiven Frauenrollen – Tosca, Manon, Butterfly. Mit den entsprechenden Partnern wie Jonas Kaufmann wird deren Schicksal musikalisch direkt in die Seelen der Zuhörer transportiert. So auch an diesem Abend. Maria Agresta als Tosca und Jonas Kaufmann als Cavaradossi waren eine ideale stimmliche Paarung. Agrestas stellenweise metalliger Sopran passte in die Rolle. Das Duett „Mario! – Son qu!“ wurde ein Miniaturkammerschauspiel. Beide gaben der konzertanten Aufführung durch kleine szenische Apercus Farbe Die Arie „Vissi d`arte“ sang Agresta frei von Selbstmitleid, fast nüchtern überlegend. Nachdenklich und sich zurücknehmend gestaltete Kaufmann seine legendär gewordene Interpretation von „E lucevan le stelle“.

Für die Rolle der Mimi war die Stimme Agrestas um eine Spur zu metallisch, Kaufmanns geschmeidiger Tenor mit dem Hauch von Bariton passte gut für die Rolle Rudolfos. „O suave fanciulla“ hatte Schwung mit kleinen Funken Humors. Nach der Pause folgte das Duett Butterfly- Pinkerton. Kaufmann ließ den lüsternen Mann durchblicken, den die Schüchternheit Butterflys richtig anheizt. Maria Agrestas Butterfly war jedoch weniger scheu, eher erstaunlich kräftig. Als Manon, die den verletzten und grollenden Des Grieux wieder betören will, passte ihre Stimme perfekt. Kaufmanns Ausruf der Ergebung „Manon, mi fai morir, dolcissimo soffrir“ war das stimmige Ende eines stimmungsgeladenen Abends. Allerdings war Jonas Kaufmann bei den Zugaben von Husten geplagt. Man fragte sich besorgt, ob seine Stimme diese Mammuttournee unbeschadet überstehen wird. Viel Applaus für Agresta, den Dirigenten und das Orchester. Standing Ovation für Kaufmann!

www.konzerthaus.at und alegria.de (Veranstalter) und jonaskaufmann.com

Volksoper Wien: Georges Bizet, Carmen

Musikalische Leitung: Tobias Wögerer (Debüt), Regie: Lotte de Beer. Bühne: Kristof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beek

Schade! Es wäre eine tolle „Carmen“ , wären da nicht die vielen verzichtbaren Regiemätzchen von Lotte de Beer. Ihre Ansage vor Beginn der Oper lässt Schlimmes befürchten: „Zigarettenrauch auf der Bühne zu zeigen ist verboten (was gar nicht stimmt), Femizid aber ist erlaubt!“ Was heißt das – will sie Carmen leben und in Notwehr Don José erstechen lassen? So arg wird es dann doch nicht!

Was den Abend auf allen Linien rettet, sind die wirklich interessanten und tollen Stimmen: Allen voran Annelie Sophie Müller als Carmen. Warum findet man von ihr keine Presefotos?

Annelie Sophie Müller muss nicht mit vordergründiger Erotik in Stimme und Gesten die Männer (und das Publikum) betören – es ist ihr klarer Mezzsopran, der in allen Lagen überzeugt. Ihr Spiel ist gelenkt von haarscharfer Intelligenz. Vor den Männern hat sie wenig Achtung, sie nimmt sie und vergißt sie fast augenblicklich. L´amour ist für sie eher ein „bourgeoiser“ Begriff. Womit wir beim Regiekonzept von Lotte de Beer wären. Carmen und ihr Gefolge sind „Bohemiens“. Ihr Lebensinhalt heißt „Freiheit“, um die es auf allen Linien zu kämpfen gilt. Gegenspieler ist die gesamte Bourgeoisie, worunter Lotte de Beer ganz besonders die Theaterbesucher zählt – also jegliches Pulikum, auch das gerade anwesende. Deshalb lässt sie ab der Hälfte der Oper immer wieder im Hintergrund Theaterlogen aufziehen, von denen aus „das Publikum“ Carmen beobachtet. Warum Carmen ihrerseits dieses Publikum beobachtet, immer wieder in die Logen klettert, das erschließt sich nicht. Warum ein Kind aus dem Saal-Publikum mehrmals nach vor an die Brüstung läuft, um zu fotografieren, und eine verlegene Mutter sie wegholt, ist auch nur einer der vielen Gags, die mehr störend als erhellend wirken.

Ebenso wie Annelie Sophie Müller begeisterte auch Tomislav Muzek als Don José. Ein Tenor mit Kraft bis in die Höhen. Leider ließ die Regie ihn in den ersten beiden Akten als tölpelhaften Loser agieren. was zur Folge hat, dass er keine Sekunde ein „brauchbares Liebesobjekt“ für Carmen ist. Allerdings ändert sich das im Schlussakt – hier kann Muzek zeigen, dass er sowohl darstellerisch als auch stimmlich grandios ist. Auch die kleineren Rollen überzeugen: Joye Simmons als Frasquita und Maria Hegele als Mercédes bringen frischen Wind als Kartenlegerinnen und Carmens Weggefährtinnen. Hedwig Ritter als Micaela hat ein gutes Stimmpotential, allerdings wirkt sie in der Höhe etwas scharf. Pablo Santa Cruz lässt als Zunigo mit seinem geschmeidigen Bassbariton aufhorchen. Daniel Schmutzhard legt die ungeliebte Rolle des Escamillo mit überzeugend ironischem Blick auf diese Figur an. Dazu hat Lotte de Beer wieder einen ihrer „Einfälle“ : Carmen erkennt plötzlich in einer Art Trance, was sie als Geliebte Escamillos erwarten würde: Ein Leben als brave Bürgerin, die am Morgen den Tisch fürs Frühstück deckt und dem scheidenden Escamillo in den Mantel hilft. Eingerahmt wird diese Szene durch eine Art „Hochzeitsbogen“ oder auch grünem Pavillon. Unter diesem Biedermeierrahmen lässt Lotte de Beer die Ermordung Carmens stattfinden, umstellt von dem Publikum, die alle aus den Logen steigen und das Paar sensationslüstern umringen. Man kapiert: Eine Frau wird auf offener Straße ermordet und alle sehen zu. Ein bisschen zu plakativ!

Das Publikum applaudierte allen Sängerinnen und Sängern mit Begeisterung, besonders aber Annelie Sophia Müller und Tomislav Muzek. Viel Applaus erntete auch Tobias Wögerer, der das Orchester mit Bravour und Temperament dirigierte.

www.volksoper.at

Fabian Burstein: Empowerment Kultur. Edition Atelier

Untertitel: Was Kultur braucht, um in Zeiten von Shitstorms, Krisen und Skandalen zu bestehen.

Ja, was braucht die Kultur? Diskurse! Transparenz! Und das beginnt in der Politik, dort, wo die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Oft sind es keine Weichen, sondern Leichen. Es werden Direktoren und in letzter Zeit vor allem Diktorinnen für Theater, Museen etc bestellt. ohne dass vorher ein öffentlicher Diskurs darüber eingeleitet wurde.

Obwohl Fabian Burstein die letzten zehn Jahre vorwiegend in Deutschlands Kulturszene gearbeitet hat, kennt er als gebürtiger Wiener die österreichische Szene sehr gut und beobachtet sie kritisch. Einige seiner Forderungen sind nicht neu, wie etwa Kommunikation innerhalb divergierender Fronten, strenge Kontrolle der Hasspostings. Was er in Österreich zu Recht moniert, ist die Bestellung fachlich inkompetenter Leiter und Leiterinnen in wichtigen Kultursegmenten. (S 51f) „Die Skandalgeschichte der österreichischen Kulturbetreuung ist erschreckend“ (S74) Explizit stellt Fabian Burstein die Qualifikation der sogenannten Begutachtungskommissionen in Frage (76) und fragt, wo die fachkundigen Kontrollinstanzen wären. (ebda) Vor allem der von der SPÖ geführte Kulturbetreuung der Stadt Wien (Kaup -Hasler) wirft er mangelnde Transparenz vor. Und legt dar, wie wichtige Entscheidungen an SPÖ nahe Beratungsfirmen ausgelagert werden. Das ist in allen Parteien und auf allen Gebieten so üblich geworden. Zuletzt vermisst er mutige Medien, die diese Unklarheiten aufdecken.

Ein wichtiges Buch für alle, die sich schon immer fragen, wie es zu diversen Bestellungen auf dem Kuultursektor kommt

www.editionatelier.at.

Marco Bolzano, Café Royal. Diogenes Verlag

Aus dem Italienischen von Peter Klöss

Marco Bolzano ist bekannt für seine sozialkritischen Themen wie zum Beispiel „Wenn ich wiederkomme“. Darin schreibt er über die Frauen aus Osteuropa, die sich als schlecht bezahlte Pflegerinnen in Italien und anderen europäischen Staaten verdingen. Nun ist sein jüngstes Buch eher leichte Kost, wirkt wie eine Themenrestlverwertung aus der Pandemiezeit. Die Via Marghera in Mailand ist zu Normalzeiten eine belebte Einkaufstraße. Doch Covid hat sie leergefegt – keine Geschäfte, keine Cafés. Nur das Café Royal hat geöffnet. Hier treffen sich Paare oder Einzelgänger, um menschliche Gesellschaft aufzutanken. Trotz Pandemie ist das Café immer gut besucht. Schnell ergeben sich Gespräche, sogar neue Kontakte, aus denen hin und wieder auch engeren Beziehungen entstehen. Das Flüchtige ist jedoch am reizvollsten. Jede einzelne Geschichte würde für einen Roman reichen. Idealer Lesestoff für unterwegs-

www.diogenes.ch

Aus dem italienischen neu übersetzt von Ingrid Ickler

Der Originaltitel „La Vacanza“ gibt besser wieder, was Dacia Maraini in diesem Roman vermitteln will: In „Vacanza“ steckt das lateinische Wort „vacuum“ – das Leere. Vacanze-Ferien – bedeuten für Italiener in erster Linie Ferien am Meer, auch frei sein von Verpflichtungen – aber immer schwingt der Gedanke an Langeweile, Leere mit.

Nicht immer ist Langeweile positiv. Jedenfalls nicht für die vierzehnjährige Anna und ihren um einige Jahre jüngeren Bruder Giovanni. Das Jahr über sind sie im Internat, von strengen Schwestern mit Argusaugen bewacht. Dann endlich kommt der Tag, an dem sie ihr lebenslustiger Vater auf seinem Motorrad abholt und in das Haus am Meer bringt, wo sie Nina erwartet, die die verstorbene Mutter ersetzen soll. Was nicht so recht klappt. Denn mehr als die Pasta ihnen vorzusetzen schafft sie nicht. Meist ist sie müde. Also verbringen Anna und Giovanni die Tage am Strand. Es ist Krieg, die Flugzeuge fliegen Richtung Rom. Mussolini ist am Ruder. Anna langweilt sich. Aus Langeweile lässt sie sich von einem alten Lustmolch einladen, lässt sich emotionslos von ihm betatschen und steckt ebenso emotionslos Geld dafür ein. Sie registriert alles um sich herum, nimmt es mit fast fotografischer Genauigkeit wahr – bleibt aber von allem unberührt. Sie lässt sich ebenso emotionslos von pubertierenden Buben betatschen, – nichts kommt wirklich an sie heran. Nina und ihrem Vater gegenüber bleibt sie verschlossen. in Beobachterposition. Mit kalten und kritischen Augen betrachtet Anna die Erwachsenen, weiß ihre Lügen zu entlarven, bleibt aber immer unbeteiligt. Als die Ferien enden, kehren Anna und Giovanni wieder ins Internat zurück . Alles so wie es war.

Dacia Maraini schildert mit erschreckender Nüchternheit und fast zwanghaftem Hang zur Genauigkeit die sich täglich wiederholdenden Abläufe dieser leeren Tage der Ferien. Krieg ist bedeutet maximal Gesprächsthema. Die Angst davor wird kleingehalten, man spricht sie nicht aus, findet Ruhe im endlosen Kartenspiel .

Erschreckend ist die Kälte, die von diesem Roman ausgeht!

www.folioverlag.com

„Orlando“ nach dem Roman von Virginia Wolf. Akademietheater

Regie: Therese Willstedt, Textfassung: Tom Silkeberg., Bühne und Licht: M.K. Axelsson, Kostüme: Maja Mirkovic.

Die sieben Orlando: Elisabeth Augustin, Stefanie Dvorak, Markus Meyer, Seám Mcdonagh, Martin Schwab, Andrea Wenzl, Itay Tiran

Über die Bühne rennen, stolpern und gehen schwarz gekleidete Figuren, alle mit ähnlich schwarzem Haarschopf. Ahamoment – wieder einmal eine Figur und mehrere Darsteller. Das hatten wir doch schon öfter, z.B. mehrere Romeos (Volkstheater), fünf Hamlets (Burgtheater) – hat nicht viel mehr gebracht als Verwirrung. So auch ein Orlando mal sieben – von den hinteren Reihen des Parterres sind die einzelnen Figuren/Schauspieler nicht zu identifizieren – sollen sie wahrscheinlich auch nicht. Ich konnte nur Martin Schwab und Stefanie Dvorak an ihren Stimmen erkennen. Wer was spricht – unklar. Die leisen Töne verlieren sich bis in die hinteren Reihen. Ich beginne gegen den Schlaf zu kämpfen und stelle fest, dass der in weiser Voraussicht vorher eingenommene Espresso nichts hilft. Was ist aus der spritzig-witzigen Romanfigur Orlando geworden? Als Lustknabe der Königin ging er ja noch durch, als Gesandter in Konstantinopel schon weniger. Da überwiegen die billigen Gags mit Schwimmreifen und Kinderspielzeug. Irgendwann erwacht einer der Orlandos und stellt fest, er ist eine Frau. Auch dieser Spaß wird vergeigt, geht unter. Zu viel Gehampel und Gewurschtel mit Kostümen. Am Ende steht ein Orlando, eine Orlando da und stellt fest: Na gut, jetzt hab ich einen Ehemann und ein Kind. Der Ehemann ist immer auf Reisen und lässt mich machen. „Ich mache, was ich will!“ -Das war noch das Griffigste an diesem Abend.

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Schuberttheater: Jura Soyfer, Astoria

Regie und Textfassung: Christine Wipplinger, Puppen & Kostüme: Annemarie Arzberger und Lisa Zingerle, Bühne: Angela Konzett. Live-Musik und Komposition: Jana Schulz. Mit Angelo Konzett und Markus Peter Gössler.

Alle Fotos: Barbara Palffy. Titelfoto: Angelo Konzett als Kilian Hupka und der zukünftige König von Astoria im Strampelanzug

Egal ob 1930 oder 2024 – die Aufführung im Schuberttheater wirkte wie aus der Zeit der 30er Jahre herausgeschnitten, als hätte Jura Soyfer selbst Regie geführt: Auf der kleinen Bühne mussten und müssen damals wie heute griffiger Text und Musik fehlende finanzielle Mittel ersetzen. Genau dieses Manko macht den Charme der Aufführung aus. Nicht zu vergessen das Publikum. Man lachte, aber nie nicht an falschen Stellen, wußte die Anspielungen auf die Jetztzeit richtig zu deuten.

Zwei Schauspieler und mehrere Puppen führen in eine Zeit der Not und Arbeitslosigkeit in der Zwischenkriegszeit. Die Mischung von Schauspielern und Puppen ist äußerst reizvoll. In ihrer Ausweglosigkeit beginnen zwei Landstreicher (Angelo Konzett und Markus Peter Gössler) von einem Land zu träumen, wo alles „leiwand“ ist. Keine Arbeitslosen, freundliche Leut` rundum. Sie nennen es Astoria. Kraft ihrer Phantasie wird die bittere Wirklichkeit vom schönen Schein des immaginierten Landes Astoria verschluckt. Doch der schöne Schein entpuppt sich als Land der Korruption, der Maßlosigkeit und der Spekulanten, die an ihrer eigenen Gier zugrundegehen. Das Land zu lenken hilft der Landstreicher Kilian Hupka (Angelo Konzett gestaltet ihn mit Charme und der nötigen Hinterfotzigkeit). Der Witz dabei: Aus dem armen Hupka wird ganz schnell ein ziemlich perfider, kalt berechnender Schurke, der Astorias dümmlichen Scheinkönig nach Lust und Laune manipuliert. Ebenso die Aktionäre, denen er ein X für ein U vormacht und ihnen leere Luft verkauft.

Am Ende steht Astoria vor dem Ruin, aber der Scheinkönig -nun vom Baby zum Gekrönten gewandelt – hält eine flammende Rede auf den Untergang. Die Parallelen zu heute müssen nicht extra angeführt werden – sie sind glasklar.

Die Magie der Puppen – hochprofessionell bespielt von Markus Peter Gössler, der auch den zweiten Landstreicher spielt, und Annemarie Arzberger- schlägt wie immer das Publikum in den Bann: Scharfwitzig die Wandlung des kleinen, quengelnden Alten im Strampler zum arroganten König li oben).

Ihm treu ergeben die rätselhafte „Gräfin“ Foto oben, die ihrem dümmlichen Ehemann den Wunsch nach einem eigenen Staat partout erfüllen will. Hupka wird ihr Erfüllungsgehilfe. Warum sie für den alten Trottel eine derartige „Passion“ empfindet, weiß man nicht so genau. Spiegelt sie vielleicht das politische Verständinis der Frau damals wider? Wenn das so ist, dann hat Jura Soyfer dieses für gleich Null eingeschätzt.

Wie auch immer – mit dieser kulinarisch exzellent aufbereiteten Aufführung wäre Soyfer sicher sehr zufrieden gewesen. Aufführungen wie diese lassen hoffen, dass Theater noch immer bedeutet: Das Publikum in den Bann ziehen – und nicht, wie vielerorts geschieht, es mit politischer Performance langweilen. Eine Message – ob politisch oder sozialkritisch – kann durchaus auch vergnüglich sein, wie dieser Abend zeigt. Satire, Ironie und scharfer Witz sind allemal besser als langweiligs „Erziehungstheater“.

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Grafenegg: Tonkünstler-Orchester unter Yutaka Sado

Programm: Georg Friedrich Haas: „I don´t know how to cry“, Alexander Arutiunian: Konzert für Trompete und Orchester. Trompete: Patrick Hofer. Ludwig van Beethoven: Eroica

Auf den ersten Blick mag das Programm eher zufällig gewählt worden sein. Doch bei näherem Hinsehen und Hinhören entdeckt man den gemeinsamen Gedanken: Das Heldische, für etwa einstehen oder der heldische Widerstand, wenn man so will.

Georg Friedrich Haas: „I don´t know how to cry“ (Ich weiß nicht, wie ich noch weinen soll“ (2023)

Georg Friedrich Haas gilt als einer der bedeutenden Erneuerer der Musik. In seinen Kompositionen spielen Melodie und Rhythmus keine Rolle mehr, sie werden durch sogenannte Cluster oder Tontrauben, wie er sie nennt, ersetzt. Da das Werk eine österreichische Erstaufführung ist, war der Komponist persönlich anwesend und formulierte in der Einführung mit wenigen Worten grundsätzliche Gedanken zur Musik: „Musik ist als Ausdrucksmittel viel präziser als Sprache“ und weiter: „Ich fürchte mich, wir sind bedroht“ und meinte damit die Kriege und Unruhen. „Alles schreit in meiner Musik, dahinter aber gibt es ein Licht“. In dem Prosa-Gedicht „I don´t know how to cry“ formuliert die Autorin Jill Carter all diese Bedohungen aus. Es endet mit dem Ausruf der Verzweiflung. In der Musik von Haas sind Wut und Ohnmacht deutlich zu hören, aber er lässt nach jedem Cluster der Wut oder Verzweiflung Lichtgedanken durchschimmern.

Sado leitet die Tonkünstler mit der gewohnten Behutsamkeit – nie lässt er das Dunkle, Drohende ausufernd laut werden, sondern spinnt einen dumpfen Klangteppich, dem er einen leichten Vorhang der Hoffnung folgen lässt. Haas war mit der Interpretation sichtlich zufrieden und bedankte sich herzlichst bei Sado und dem Orchester, aber auch beim Publikum, das ihm eifrig applaudierte.

Alexander Arutiunian: „Konzert für Trompete und Orchester As Dur, 1950“ An der Trompete: Patrick Hofer, erster Trompeter der Tonkünstler

Als Alexander Arutiunian ( 1920 -2012) das Werk komponierte, stand Armenien unter russischer Herrschaft. Armenische Künstler wussten jedoch immer, wie sie sich künstlerisch aus der russischen Umklammerung lösen und emanzipieren könnten. So wurde dieses Trompetenkonzert eine Hommage an die armenische Musiktradition, besonders der Volksmusik. Es beginnt heiter, farbenfroh. Das Trompetensolo steigt auf und leitet die Themen. Patrick Hofer spielt die Soli, die viel von ihm abverlangen, mit ruhiger Sicherheit, unterstützt von Sados sensibler Führung des Orchesters. Fröhlich, vielleicht auch ein wenig aufmüpfig erklingt das Wechselspiel der Themen – eine Hommage und eine dezente Betonung des ungebrochenen Bekenntnisses zur armenischen Musik und der armenischen Eigenständigkeit auf dem Gebiet der Kunst. Das Publikum bedankte sich mit viel Applaus, besonders bei dem Trompeter Patrick Horn.

Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr.3 Es-Dur op.55 „Eroica“

Die Vorgeschichte ist bekannt: Beethoven, zunächst begeistert von den Ideen der Aufklärung und Napoleon, betitelte diese Symphonie „Bonaparte“. Als dieser sich zum König krönen ließ, verging dem Meister die Begeisterung und er widmete die Symphonie Fürst Lobkowitz, nicht zuletzt auch deshalb,, weil dieser ihm dafür gut bezahlte. Da das Werk als musikalisches Heldengedicht konzipiert war, blieb Beethoven bei „Eroica“ als Hommage an alle Helden, die er sonst noch verehrte. Und nicht von der Hand zu weisen ist die Idee, dass er in sich selbst ein heldisches Aufbäumen verspürte, wissend um seine baldige totale Taubheit. Dass er im letzten Satz Themen aus seiner Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“ verwendet, unterstreicht nochmals diesen Heldengedanken. Prometheus – der sich gegen Zeus auflehnt, Prometheus, der sich gegen die absolute Macht wehrt, wurde ja der Inbegriff des Helden.

Wie es Sados Art ist, lässt er das Heldische nicht übermächtig werden. Wie oft schon hörte man diese Symphonie als „Heldengetöse“! Sado dirigiert mit Behutsamkeit -„laut“- das gibt es bei ihm nicht. Als wäre er mit den Noten verwoben, dirigiert er die Symphoniker mit dem ganzen Körper, es hat den Anschein, die Musik strömt aus seinem Körper heraus auf die Musiker über. Zunächst also der feine, ja zärtliche Beginn, der sich zur Erregung steigert. Bevor Sado den „Marcia funebre“ beginnt, macht er eine lange Pause – aus Achtung und um neu sich zu sammeln. Dann arbeitet er elegant die einzelnen Themen heraus: Trauer, Bedrohung und Erschütterung. Ganz leise verklingt auch dieser Satz. Dann wieder Pause vor dem Scherzo – Sado nimmt die Herausforderung elegant, ebenso die Streicher, die die vielen Pizzicati bravourös meistern. Im Finale gibt Sado alles – sein ganzer Körper beugt, wiegt, tanzt. Es ist spannend, ihm beim Dirigieren zu beobachten! Zwischen zärtlichen und expressiven Prometheus – Themen wechselt Beethoven über Tänze zu dem fulminanten Schluss, wo Orchester und Dirigent wirklich alles geben!

Langer Applaus braust auf, vom sichtlich erschöpften, aber glücklichen Sado und dem Orchester mit Freude und Stolz angenommen.

Wieder einmal zur Erinnerung: Yutaka Sado wird noch einige wenige Male in Grafenegg, Festspielhaus St. Pölten und im Musikverein dirigieren, bevor er in seine Heimat Japan zurückkehrt. Er wird sehr fehlen!!

www.grafenegg.com

Wiener Konzerthaus: Mahler Academy Orchestra, Dirigent: Philipp von Steinaecker. 1. Konzert aus dem Zyklus Originalklang

Sergej Rachmaninoff, Konzert für Klavier und Orchester Nr.3 d-moll op.30 (1909). Klavier: Leif Ove Andsnes

Was für ein grandioser, fulminanter Saisonauftakt!! Mit Leif Ove Andsnes war ein Pianist von höchstem Rang an den Tasten , feinfühlig unterstützt von Philipp Steinaecker, der das Orchester ausgewogen in Klang und Volumen zum KLavierpart dirigierte.

Dieses berühmte Klavierkonzert, das vom Pianisten höchste Konzentration und Einsatz abverlangt, wurde 1910 von Rachmaninoff persönlich am Klavier mit dem New York Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Gustav Mahler aufgeführt. Im gestrigen Konzert spielte Leif Ove Andsnes auf einem Steinway-Konzertflügel, auf dem Sergej Rachmaninoff gespielt haben könnte. Aufgrund der Nummer K96 ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, wenn es auch nicht hundertprozentig bewiesen werden kann. Es brauchte nicht unbedingt dieses Wissen, um die Bewunderung für Leif Ove Andsnes noch zu erhöhen. Wahrscheinlich wäre Rachmaninoff von der Interpretatation Andsnes‘ genauso begeistert gewesen wie das Publikum. Sein Anschlag ist weich, seine Hände fliegen über die Tasten. Die leisen Töne „singen“, wie es Rachmaninoff forderte (Zitat Programmheft, S9)

Das 3. Klavierkonzert beginnt mit dem „gesungenen Thema“, wie Rachmaninoff es wollte, perlend, tänzerisch gespielt von Andsnes. Das Orchester brauste langsam auf und stellte intensive Spannungen her. Virtuose Kadenzen wechselten mit Sehnsuchtsmelodien, das Klavier verlor nie die Führung. Die Soli gerieten prächtig, nie plärrend. „In die Tasten hauen“, wie es immer wieder auch von namhaften Pianisten zu hören ist, gab es nicht. Im „Intermezzo“ übernahm das Klavier die von Streichern und Oboen vorgegebenen Themen. Dabei verzauberte Steinaecker das Orchester und Klavier zu Traumsequenzen, bis das Klavier dann heftig das Finale ankündigte und zum dritten Satz überleitete. Was Klavier und Orchester musikalisch da aufbereiteten, war ein dicht ineinander verwobener Strauß an Themen. Ein Trommelwirbel kündete den Höhepunkt an und riß das Publikum in einen Strudel von musikalischen Explosionen. Danach ließ der Dirigent Publikum und Musikern eine Atem-und Einwirkungspause, um zum fulminanten Schluss überzuleiten.

Begeisterung beim Publikum, Bravorufe für den Pianisten, den Dirigenten und das Orchester. Leiv Ove Andsnes bedankte sich für den tosenden Beifall mit einer Zugabe: Sergej Rachmaninoff Etude C-Dur op33/2

Gustav Mahler, Symphonie Nr.5 (1901-1903)

Philipp von Steinaecker beschäftigt sich schon lange mit der historischen Aufführungspraxis aus der Zeit Gustav Mahlers, den Spieltechniken des Fin de Siècle und den dazugehörigen Originalinstrumenten . Er ist überzeugt, dass unsere Zeit gar nicht mehr weiß, wie etwa die 5. Symphonie mit den damals verwendeten Instrumenten geklungen haben mag. Geschmack, Moden und Bearbeitungen haben das Original zugedeckt. An diesem Abend spielten die Musiker auf alten Instrumenten aus der Zeit Mahlers, die Steinaecker mit Hilfe von Experten gefunden hat und sorgfältig restaurieren ließ.

Ein Titan kämpft um seine Sicht auf die Welt, um sein Verhältnis von Musik und Welt. Gustav Mahler wird zum selbstbewussten Neuerer in der Musikwelt, „einer Musik, die ohne äußeren Anlass entsteht…niemand soll fragen warum!“ So Gustav Mahler über seine 5. Symphonie (zitiert nach Programmheft S13)

Das bekannte Trompetensolo verkündete den Beginn des 1. Satzes. Drückend und schwer schleppte sich der Marsch in b-moll voran, bald jedoch abgelöst von ruhig dahingleitenden Tönen der Oboe. Höhepunkt der „nihilistischen Musik“ (Furtwängler über diesen 2. Satz, zitiert aus Programmheft S14) ist der 2. Satz. Steinaecker schenkte sich und dem Orchester nichts, stieg voll in den Wahnsinn ein, der diesen Teil der Symphonie durchdringt. Das Scherzo -prominent eingeleitet durch das Hornsolo (Jonas Rudner) – steigert die Anforderungen an Dirigent und Musiker noch einmal. Virtuos führte Steinaecker das Orchester durch diesen anspruchsvollen und komplizierten Satz. „Das Pubikum -o Himmel – was soll es zu diesem Chaos, das ewig aufs Neue eine Welt gebärt, die im nächsten Moment wieder zu Grunde geht…für ein Gesicht machen?“ (Zitat Programmheft, S16) So Mahler in ironischer Verzweiflung über diesen „gemischten Satz“. Wie auch immer – das Publikum war gebannt. Danach die sanfte Beruhigung im Adagietto, mit dem Gustav Mahler Alma seinen musikalischen Heiratsantrag machte. Da konnte er nur mit Schönheit verführen – was auch an diesem Abend voll gelang. Das Publikum durfte im Wohlklang baden, sich im Dialog zwischen Harfe, Bratschen und Geigen wiegen. Denn im 5. Satz wird dem Orchester, Dirigenten und Publikum nichts geschenkt. Voller Klang, volles Pathos – alles ohne Schonung.

Zur Gretchenfrage, wie und ob man den „neuen“ Klang, den die alten Instrumente erzeugten, hörte?! Nun – darauf wird ein Musikkenner vielleicht eine kompetente, klare Antwort geben können. Hier sei nur ein laienhafter Vergleich angestellt: Es war vielleicht so, wie bei einer Weinverkostung. Dem einen schmeckt der unbearbeitete „Naturwein“, spritzig, leicht, ohne aufgesetztes Bouquet, der andere hats gern voluminöser à la Barique.

Das Publikum jedenfall war begeistert, belohnte das Orchester und vor allem den Dirigenten mit langem, sehr langem Beifall. Der – schier aufgelöst und schweißgebadet, hatte er doch wirklich alles gegeben – bedankte sich glücklich und erleichtert.

http://www.konzerthaus .at