„Dionysien“. Das Landestheater Salzburg im Festspielhaus Salzburg

Carl Philip v0n Maldeghem, seit 2009 Intendant des Salzburger Landestheaters, hatte den genialen Einfall, das antike Fest des Gottes Dionysos,  die so genannten „Dionysien“ nach Salzburg zu verlegen. Dazu mietete er sich im Festspielhaus ein und lud das Publikum zu einem vierstündigen grandiosen Fest ein.Dionysos war der Gott des Weines, des Rausches, des Frühlings und der Ekstase. Für ihn wurden alljährlich mehrtägige Feste mit Tragödien, Komödien und Satyrspielen aufgeführt. In Thrakien, von wo der Dionysoskult seinen Anfang nahm, soll es ja besonders wild zugegangen sein. Im Frühjahr, wenn die Natur erwacht, zog er mit seinem Frauengefolge, den Mänaden, durch die Lande. Kein Mann durfte den Mänaden und den Frauen, die sich diesem Festzug anschlossen, seine sexuellen Dienste verweigern!

So wild und ungezähmt ging es natürlich im Festspielhaus nicht zu. Aber doch waren Grenzen, Normen, Gebräuche gebrochen. Gemäß dem antiken Fest sah man Tragödien und am Ende eine Komödie, die in ERinnerung an  die dionysische Ekstase in eine wilde Tanzparty ausufern sollte. Eben nur „sollte“. Denn leider zog es die meisten Leute nach Hause vor den Fernseher und nicht auf die Bühne, wo die Darsteller die Zuseher zu einer schaumgebremsten Art des Dionysostanzes aufforderten.

Alles begann sehr tragisch: Prometheus – wir sind in der Tragödie des Aischylos -, der eigentlich im Götterstreit auf der Seite von Zeus stand, wird gerade von diesem dazu verurteilt, auf ewig an einen Felsen im Kaukasus gekettet, sein Leben auszuhauchen. Denn im Kampf um die absolute Weltmacht gefiel es Zeus überhaupt nicht, dass Prometheus den Menschen das Feuer brachte  und sie verschiedene Überlebenskünste lehrte. Da könnten ja die Menschen mächtiger als die Götter werden, war die Angst des Potentaten. Zeus selbst hat genug mit seinen Frauengeschichten zu tun: Als  göttlicher Stalker stellt er der schönen Io nach. Weil diese nicht willig ist, verwandelt er sie in eine Kuh, die von einer Bremse dauergeplagt wird. Wem fallen da nicht die Parallelen zu heute ein? Der Mann bleibt ungeschoren, das Opfer wird von der Umwelt stigmatisiert (gestochen). Prometheus jedoch weiß sich zu retten. Unter Blitz und Donner kommt er frei. Über bleibt die arme Io mit ihren Hörnern und ihrem Quälgeist. Unter der Regie des Intendanten spielt Christoph Wieschke einen beeindruckend starken Helden, Nikola Budle eine komisch-tragische Io. Auch die anderen Figuren dieser antiken Tragödie sind stark besetzt. Maldeghem, der hier selbst Regie führt, weiß, wie man einen antiken Stoff in die heutige Zeit transportiert. Auch das Bühnenbild von Stehanie Seitz ist in seiner monumentalen Schlichtheit beeindruckend: Prometheus hängt an einer glatt gehämmerten, silbrig glänzenden Aluwand. Unter ihm streiten Götter, Halbgötter und Menschen. Man könnte auch in der Interpretation noch ein Stück weiter gehen und in Prometheus einen Christus sehen, der gekreuzigt und dann befreit, den Menschen ihre Würde bringt.

Auf die Tragödie folgte ein stark wirkungsvolles Handlungsballett: Medea – der Fall M. Nach der Tragödie von Euripides gestaltete der neue Ballettdirektor des Salzburger Landestheaters, Reginaldo Oliveira,  eine gewaltige, sehr sensible Choreographie, die niemand im Zuschauerraum unberührt ließ! Anna Yanchuk tanzte eine zarte, vom Schicksal gebeutelte Medea, die aus Eifersucht Creusa umbringt, um die Liebe Jasons vergeblich bettelt und die Kinder erwürgt, um Jason besonders tief zu verletzen. Nervenaufreibend sind die Pas de deux zwischen Medea und Jason (Flavio Salamanka). Fast unerträglich  anzusehen der Schmerz Medeas nach der ERmordung ihrer Kinder. Gefangen in einem riesigen Stuhl, wie in einem Folterinstrument, überlässt sie sich ihren Qualen. Fast schon dem Tode nahe wird sie von Jason aufgehoben. Diesen Abschiedstanz zwischen den beiden muss  man durchaus zu den Sternstunden des modernen Balletts zählen.

Danach brauchten Darsteller und Publikum eine Pause! Es gab griechische Schmankerln frei Haus! Bei Feta, OLiven und Weintrauben wurde heftig über die Stücke diskutiert.

Nach der Pause war „Oedipus Rex“, das Opernoratorium nach Sophokles zu erleben. Strawinsky komponierte die Musik zu dem Libretto von Jean Cocteau. Jean Daniélou übertrug das Drama ins Lateinische. Der Intendant Maldeghem inszenierte ein Gesamtkunstwerk aus Oper, Schauspiel und Tanz, choreographiert von Oliveira. Ödipus im weißen Anzug ist ganz der eitle und selbstbewusste Politker, der liebend gerne die Hände seiner Anhänger schüttelt, sich dann sofort seine eigenen desinfiziert. Alles lobt und preist ihn – eindrucksvoll der Chor der Thebaner, die in ihm den Retter der Stadt sehen. Doch die Pest geht um. Schuld daran ist der Mörder des König Laos.  Dass Ödipus seinen eigenen Vater umgebracht, die Mutter Jokaste geheiratet, mit ihr Kinder gezeugt hat, wissen wir längst, lange vebor er selbst erfährt, dass er der Mörder seines Vaters ist. Die Überheblichkeit des Menschen, der alles für machbar hält, nannten die Griechen Hybris. Um die geht es. Und um die Einsicht, dass der Mensch gegen  (damals göttliche, heute menschliche) Gewalt der Mächtigen nichts ausrichten kann.

Nach so viel schwerer Kost kam in der Antike der Komödienschreiber Aristophanes auf die Bühne und erheiterte die Zuschauer mit Zoten und Witzen weit unter der Gürtellinie. Das wurde so gefordert. Das Spiel „Frieden“ nach Aristophanes fiel in Salzburg etwas weniger derb aus. Wieder führte Maldeghem Regie und er ließ keine noch so große Peinlichkeiten aus. Und zwar bewusst und herrlich provokant.Der Bauer Trygaios (Tim Obrließen) hat genug vom Krieg. Er reist mit seinem Mistkäfer – einem ausrangierten VW in Kleinformat -in den Olymp, um sich bei den Göttern über den Krieg zu beschweren und die Göttin des Friedens mit auf die Erde zu nehmen. Doch leider, leider sind die Götter ausgeflogen, sie haben vom Krieg und den Menschen genug. Keiner Zu Hause im Götterhimmel. Pax, die Freidensgöttin, hat sich in einen Keller verkrümmelt und keine Lust, auf die Erde zu kommen. Doch der tapfere Trygaios hieft sie gewaltsam auf die Erde – und eine Riesenparty beginnt. Unter dem Geklatsche, Gelächter des Publikums wird getanzt bs in den Abend hinein (Das Stück begann zm 15h) Wann Ende war, weiß ich nicht, da ich den letzten Zug der Westbahn um 20h erreichen musste.

Meine dringende Anfrage an die Festspielpräsidentin Rabl-Stadler: Könnte man diese tolle Inszenierung nicht in das Festspielprogramm 2018 aufnehmen? Da geht es seit dem Abgang von Alexander Pereira ohnehin viel zu bierernst zu!

Noch zu sehen bis 21. November 2017. www.salzburger-landestheater.at