Kultursommer Semmering: Joseph Lorenz liest Stefan Zweig, Amokläufer

Unverwechselbar: Joseph Lorenz

Unverwechselba: Stefan Zweig

Stefan Zweigs Sprache ist gesprochene Musik – Josph Lorenz bringt diese Musik der Worte zum Klingen. Sie sind Partner, es könnte keinen besseren Interpreten für Stefan Zweigs große Sprachkunst geben.

Ganz ohne Regiefirlefanz lässt Lorenz das Psychogramm eines Besessenen entstehen. Jedes Wort hat seinen Wert, glänzt auf. Etwa in der Passage, in der Zweig den Nachthimmel über dem Meer beschreibt. Man spürt, erlebt das Licht hinter dem Sternen. Das Strahlen in der Dunkelheit.

Wie es die Novellenform verlangt, bettet Zweig diese rasante Erzählung in einen Rahmen. Gleichsam, um von dem Ungeheuerlichen, der Wucht der Tragik ein wenig Abstand zu gewinnen: Der Erzähler begegnet auf einer Schiffspassage von Kalkutta nach Neapel einem „Nachtpassagier“, der die Menge meidet. Doch dem Erzähler eröffnet er seine Tragik – den fatalen Fehler, eine Frau allzusehr begehrt zu haben und darüber seine ärztliche Pflicht zu helfen verabsäumt zu haben. Er fühlt sich für ihren Tod verantwortlich, ist es auch. Bevor sie stirbt, nimmt sie ihm das Versprechen ab, die wahre Ursache ihres Tode – eine verpfuschte Abtreibung – ihrem Ehemann und der Welt niemals preiszugeben. Dieses Versprechen hält er und opfert dafür sein Leben.

Ich habe schon mehrmals diese Lesung erleben dürfen – erleben ist das richtige Wort. Auch beim fünften Mal zogen die Wucht der Erzählung und die Kraft des Interpreten mich in den Bann. Das Herz klopfte heftig und der Puls stieg. Immer, wenn die Lesung endet, brauche ich eine WEile, um wieder „herunterzukommen“. Pardon, dass ich meine persönlichen Gefühle so offen hier beschreibe. Mich wundert es jedesmal wieder, wie Joseph Lorenz eine Welt, einen Charakter – besser gesagt, alle Charaktere der Erzählung – lebendig werden lässt. Dazu braucht er nicht Kostüm, Maske oder andere Requisiten, die nur stören würden. So mancher Regisseur könnte nach so einer „Lesung“ seine selbstverliebten Regiekonzepte überdenken und vielleicht sogar verwerfen. Aber das geschieht nicht – ganz einfach, weil sich kein Regisseur dafür Zeit nähme.

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