Landestheater St. Pölten: Elias Canetti, Die Blendung

Dramatisierung: Paulus Hochgatterer. Inszenierung: Nikolaus Habjan. Bühne: Jakob Brossmann. Kostüme: Denise Heschl. Musik: Kyrre Kvam

Ein Trio Infernal, das diesen Theaterabend zu einem Ereignis machte: Elias Canetti, der einen kafkaesken, mysteriösen Roman über den Untergang der Kultur schrieb, Paulus Hochgatterer, der dieses schwer zu entschlüsselnde Werk genial zu einer adäquaten und stimmigen Bühnenfassung formte und dann Nikolaus Habjan, der mit seiner herrlich skurrilen Regie, dem gekonntem Einsatz von Puppen und seinem feinen Sinn für Humor und menschliche Abgründigkeit dem Abend die schräge Würze verlieh.

Stimmig unterstützt wurde das Trio durch eine dezent, aber wirksam eingesetzte Musik (Kyrre Kvam), die dem grotesken Geschehen einen unirdischen Touch einhauchte. Irdisch und bewusst blass sind die Kostüme, zeitlos, weil die Figuren auch heutige sind. Bis auf den Bauschrock von Therese und den aufgesetzten Hüften. Dieser Rock ist ein wesentlicher Teil der Figur.

Alle Schauspieler, Puppen und deren Spieler – allen voran die von mir so geschätzte Manuela Linshalm (siehe meinen Beitrag „Die Welt ist ein Würstelstand“) spielen genial an der Grenze von Realität und Groteske. Bettina Kerl als Professor Kien ist unwirklich, außerhalb jeder Realität. Er lebt in und mit seinen Büchern. Was in der Welt passiert, geht an ihm spurlos vorbei. Eine Anmahnung Canettis an die Intellektuellen, die den Eintritt Hitlers nicht rechtzeitg wahrgenommen haben? Seine Gegenspielerin ist Therese Krumbholz. Von Julia Kreusch zu einer schrillen Figur geformt, ihre Sprache und Bewegungen könnten von einer lebendigen Puppe sein. Ihre grotesken Aktionen sorgen für Lacher im Publikum. Apropos Sprache: Paulus Hochgatterer ordnete jeder Figur eine charaterisierende Ausdrucksweise zu. Da hört man den Urwiener im Herrn-Karl-Ton à la Helmuth Qualtinger, Polizei und Kommandant (Tim Breyvogel) scheinen aus den „Letzten Tagen der Menschheit“ entstiegen zu sein. Festgezurrt in seiner verbalen und äußeren Hässlichkeit ist der Hausbesorger Pfaff – ein Puppen-Monstrum, bedrohlich und primitiv – gekonnt bespielt von Manuela Linshalm. Witzig und ebenso bedrohlich wirkt Laura Laufenberg als Fischerle. Wenn im zweiten Teil fast tierähnliche Monster die Bühne bevölkern, dann scheint der wahnsinnig gewordene Kien noch der Normalste zu sein. Wenn er am Ende sich und seine immaginäre Bibliothek anzündet, dann kündigt sich das Inferno des Naziregimes und des Zweiten Weltkrieges an. Es endet mit einer gruseligen Aktualität: Wo sind die Mahner gegen den Krieg? Verbrennen wir gerade unsere eigene Kultur?

Einziger Wermutstropfen: Es war die letzte Aufführung!

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