Staatsoper Wien: Orwell/Raskatow: Animal Farm

Foto: Napoleon(Bankl) inmitten seiner Wahlhelfer

Wenn ein genialer Autor (George Orwell), ein ebenso genialer Komponist (Alexander Raskatow), ein aufs Wesentliche reduzierender, kluger Bühnenbildner (Paolo Fantin), ein einfallsreicher, „animalistischer“ Kostümbildner (Klaus Bruns) und ein animalisch orientierter Choreograph (Thomas Wilhelm) zusammenkommen – dann kann nur etwas Großes, Einmaliges daraus werden. Und wenn dann noch Damiano Michieletto auf die Musik und den Text genau hin inszeniert und Alexander Soddy die musikalische Sprache Alexander Raskatows mit genau den richtigen Akzenten dirigiert, nie die Klänge und Lauteffekte überstrapaziert, sondern fein dosiert, im Einklang mit den Sängern dirigiert und ein Ensemble grenzgenial singt und spielt – ja, dann kann nur eine OPERA CONTEMPORANEA, die alle Wünsche erfüllt, das Ergebnis sein.

Im Vorwort zur Textausgabe der Animal Farm, wie sie 1946 in der Ukraine erschien, erklärte George Orwell, was ihn zu diesem Roman in Form einer Fabel, bewogen hatte: Als er sah, wie ein kleiner Junge einen Karrengaul mit der Peitsche schlug, „kam mir der Gedanke, dass, wenn diese Tiere sich nur ihrer Stärke bewußt würden, wir keine Macht über sie hätten.“ (Zitat aus Programmheft, S 55) und dass diese Tiere, einmal an der Macht, sich genau zu solchen Despoten entwickeln würden, wie diese es waren, gegen die sie einst gekämpft hatten. Macht korrumpiert.

In Fabelform erzählt Orwell, wie jede Revolution – er meint nicht nur die russische Oktoberrevolution von 1917 – sich in ihr Gegenteil verkehrt. Schon in der Französischen Revolution hieß es: Die Revolution frißt ihre Kinder. Manipulation, Entmachtung aller kritischen Stimmen, Umschreiben der Vergangenheit und willkürliche Veränderungen der Gesetze – all diese Missstände sind aktueller denn je. Orwell hatte vorausgeahnt, dass seine „einfache, für jedermann verständliche Geschichte“ auch noch weit in die Zukunft hinein Gültigkeit haben wird.

Als Damiano Michieletto, auf der Suche nach einem geeigneten Stoff für eine moderne Oper war, kam ihm die „Aimal Farm“ in den Sinn und er wußte auch sofort, wer der geeignete Komponist dafür ist: Alexander Raskatov, in Russland geboren und seit Jahrzehnten im Westen lebend! Er gilt als der „unzeitgemäße Komponist“ der Gegenwart, weil er sich nicht um Moden, Tendenzen kümmert, Seine Musik verlangt den Sängern extremsportliche Leistungen ab: Hinter Tiermasken singen, grunzen oder trällern, in höchsten Tönen quietschen, ohne die Ohren der Zuhörer zu quälen.

Michieletto versetzt das Geschehen auf eine Tierfarm. Am Beginn sind die Tiere in Käfigen gefangen – das Bühnenbild erinnert in gruseliger Weise an Käfige, in denen Gefangene noch heute in vielen Ländern vor Gericht vorgeführt werden. Grau und düster ist das Leben der Tiere, bis Old Major, – großartig der Bass Gennady Bezzubenkov in dieser kurzen, aber eindrucksvollen Rolle – zur Befreiung von dem Tyrannen Mensch und zur Gleichheit aller Tiere aufruft. Die Revolte gelingt, die Besitzer verlassen ihr Land und schon haben sich zwei Tiere zu Bossen aufgespielt, Bosse, die gleicher sind als alle: Das Schwein Snowball wird der Chefideologe, der ähnlich wie einst Leo Trotzki die theoretischen Strukturen und Ideologien der zukünftigen Diktatur entwirft. Michael Kniffke singt diese Partie mit der nötigen Kälte in der Stimme. Zuerst sein Kompagnon, dann sein Gegenspieler: Napoleon (an Stalins Charakter angepasst), mit „machtvoller“ Stimme von Wolfgang Bankl dargestellt und gespielt. Bald schon erkennt man unter den Tieren: Die Mitläufer, die Vivatschreier, die Bewunderer, den Skeptiker, wie etwa Benjamin, den Esel: bemitleidenswert und mit viel Einsatz gesungen von dem Countertenor Karl Laquit. Auch die Kunst wird instrumentalisiert:

Artem Krutko als Minimus liefert eine köstliche Parodie auf all die Künstler, die sich an die Macht anschleimen. Überhaupt ist die Oper voller humorvoller Exzentrik, etwa wenn die eitle Stute Mollie (Holly Flack, großartig!) Mr. Pilkington (Clemens Unterreiner) verführt und ihr Pferdedasein mit einer rosaglitzernden Existenz als Partygirl tauscht. Mollie entwickelt Verführungstöne jenseits der Königin der Nacht, da purzeln die hohen C und F nur so aus ihrer Pferdekehle.


Es kommt, wie es in einer Revolution immer kommt: Napoleon lässt Snowball und alle anderen Gegner liquidierern. Am Schluss machte er Geschäfte mit dem Menschen, Mr. Pilkington. Zur Bestechung lädt er ihn zu einem Gelage ein, auf dem ein Schwein als besondere Köstlichkeit serviert wird. Die Gesetze von Gleichheit unter den Tieren sind aufgehoben. Es menschelt wieder gehörig. Machtvoll sticht Napoleon das Messer in den Leib des toten Schweines.

Endszene: Napoleon (Bankl) sticht ein Schwein ab. ©Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

Langer, begeisterter Applaus!

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