Theater in der Josefstadt: Anna Karenina von Leo Tolstoi

Amelie Niermeyer und Armin Petras nach Leo Tolstoi unter Verwendung der Neuübersetzung von Rosemarie Tietze

Titelfoto: Alma Hasun als Kitty und Alexander Absenger als Lewin.

Durch die interessante und gut durchdachte Regie von Amelie Niermeyer bekommen die Figuren genau die Charakterkonturen, die ihnen Tolstoi im Roman gab. Das gelingt einerseits durch eine genaue Personenführung, andrerseits durch den Einsatz von Originaltexten, die in die Dialoge ein- oder dazugefügt werden. Texte, die das Innere der Personen tiefer aufschließen als der Dialog und die Handlung es vermögen. Dazu ein Bühnenbild (Stefanie Seitz), das flexibel und ohne Umbauten den jeweils nötigen Raum imaginiert – den Bahnhof, das Stadtpalais, den Eislaufplatz, die Kirche etc. Die Kostüme (Christian Schmidt) sind zeitlos elegant, können heutig, gestrig oder vorvorgestrig sein. Sie passen sich genau dem Charakter der Figur an: Anna in schlichten, eleganten Kleidern, Kitty in verspielten, in Farben überlaut, wie auch ihr anfängliches Temperament Die Männer im von Moden unabhängigen Stil.

Also die besten Voraussetzungen für ein Ensemble, das die Rollen ausfüllt, als ob sie aus dem Roman herausgeschnitten wären. Klar setzt die Regisseurin die drei Paare voneinander ab: Alma Hasun in der Rolle der quirligen Kitty ist ein Sprühregen an Temperament. Bewundernswert, wie sie über das Eis tanzt, passend zum Text Kapriolen zieht. Um sie herum tanzt Lewin als komischer Kauz (Alexander Absenger), wirbt, zögert, zittert, philosophiert, macht ihr auf dem Eis rutschend einen Heiratsantrag, den die verwirrte Kitty ablehnt. Lewin, der Bauer und Philosoph, spiegelt die Gedanken Tolstois wieder, seine sozialen Ideen zur Bodenreform. Weiters das in steter Ehekrise lebende Paar Dascha (Alexandra Krismer) und Stepan (Robert Josef Bartl). Was aus einer großen Liebe im Laufe der Jahre und nach vielen Seitensprüngen des Mannes und großem Frust der Ehefrau wird – das zeigt Niermeyer mit viel Humor. Wie überhaupt immer wieder Szenen eingefügt sind, über die man schmunzeln kann. Etwa der Ball und die Quadrille, die Szenen auf dem Eis – da führen Hasun und Absenger gefährliche Akrobatik auf -, oder die Hochzeit von Kitty mit Lewin, der sich verspätet, weil er kein Hemd findet. Stepan, der Lebensgenießer und Frauenverführer, hat die Aufgabe, alles Tragische durch humorvolle Einfälle zu relativieren und auf eine menschlich-verständliche Ebene zu transponieren. Begleitet und untermalt werden solche Einlagen durch schräge Musik- und Tanzeinlagen (Imre Bozoki). Köstlich sind die Tanzparodien, die Kitty oder Stepan so mitten im Geschehen aufs Parkett hinlegen. Humor und schräge Musik – wie soll sich das aus dem Roman erklären, haben vielleicht einige Besucher kopfschüttelnd gefragt. Es passt, weil es die großen Worte „Liebe“ und „Tragik“ relativiert.

Auffallend ist, dass die Regisseurin die beiden Hauptfiguren Anna (Silvia Meisterle) und Wronsky (Claudius von Stolzmann) nicht unbedingt immer in den Mittelpunkt des Geschehens stellt. Sie agieren mit den anderen, beeinflusst von der Gesellschaft, in deren Mitte sie leben. Das bekommt besonders Anna zu spüren. Silvia Meisterle ist eine beeindruckende Anna, die sich zunächst ihrer Stellung bewusst ist, bis ihr diese zur Fessel wird und sie sie abstreift. Heftig und berührend sind die Liebesszenen. Nackt, in inniger Umarmung, den Augen des Publikums ausgesetzt, direkt an der Rampe. Eine tief berührende Szene. Wronsky ist Liebhaber ohne eitles Gehabe. Und am Ende ein Verzweifelter, weil er Anna nicht aus ihrem eifersüchtigen Wahn und der Angst vor den gesellschaftlichen Konsequenzen befreien kann. Interessant ist auch, wie Karenin, der Ehemann Annas, von Raphael von Bargen dargestellt wird. Im Roman ist er ein steifer Beamter, der nur für seine Karriere und das gesellschaftliche Ansehen lebt. Anders aber nun: Als er von der Beziehung Annas zu Wronsky erfährt, versucht er noch einen Weg zu finden, der lebbar wäre. Man hegt durchaus Sympathien für ihn. Aber die Unerbittlichkeit Annas macht ihn hart und so treibt er Anna in das gesellschaftliche Abseits.

Die großartige Leistung des ganzen Ensembles wurde mit viel Applaus belohnt.

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