Theater in der Josefstadt: Jelinek: Rechnitz (Der Würgengel)

Regie: Anna Bergmann. Bühnenbild: Katharina Faltner. Kostüme: Lane Schäfer. Musik: Moritz Nahold

Es ist anzunehmen, dass ein Großteil des Publikums über den „Fall Rechnitz“ grosso modo informiert ist. Wenn nicht, dann versteht es sicher nur Bahnhof. Denn der Text erklärt nicht und erzählt nicht. Das Bühnenbild ist spektakulär verwirrend. Was klärend wirkt, sind die Texte im Programmheft. Auch wenn man die Sachlage einigermaßen im Kopf hat, beleuchten die Beiträge die Fakten sehr genau und betonen, wie wenig historisch von diesem Massaker gesichert ist. Bis heute wurden die Knochen der Erschossenen nicht gefunden.

Man weiß, dass im März 1945 auf dem Schloss in Rechnitz die Gräfin zu einem Fest geladen hat und ihren Gästen (hochrangigen Nazis) zum Gaudium erlaubte, an die 180 jüdische Zwangsarbeiter , die aus Ungarn nach Rechnitz getrieben wurden, zu erschießen. Wer schaufelte die Gräber, wo sind die Leichen begraben? Bis heute hat man sie nicht gefunden. Die Bewohner von Rechnitz schwiegen und schweigen noch.

Dichte Nebelschwaden ziehen von der Bühne ins Publikum – wer dagegen allergisch ist, der wird bis zum Schluss mit Hustenreiz zu kämpfen haben. Auf einem sich drehenden Band tanzen, grölen, saufen und schreien die Gäste, in der Mitte die Gräfin (Sona MacDonald). Einige fuchteln mit den Gewehren, schießen um sich. Es wird überhaupt während des Stückes viel geschosssen, manche erschießen sich selbst, man weiß nicht, wer und warum. Was gebrüllt wird, ist kaum verstehbar – das ist das größte Dilemma dieses Abends! Dazwischen singt MacDonald Verschnitte aus der Oper „Der Freischütz“. Über das Horrorgeschehen dieser Nacht im März 1945 lässt Jelinek Boten berichten. Dennoch bleibt noch genug Horror zu erleben, etwa wenn einer der Zwangsarbeiter sich sein eigenes Grab schaufelt, von einem der Umstehenden hineingestoßen und mit einem Schaufelhieb getötet wird.

Es bekommen die heutigen Medien ihr Fett ab, die irgendwie hysterisch und voyeuristisch berichten. Es bekommen die „Nachgeborenen“ ihr Fett ab, die sich mit ihrer späten Geburt aus der Verantwortung schleichen. Es bekommen die eifrigen „Guten“ ihr Fett ab, die einer Denkmalkultur frönen. Es bekommt schließlich Österreich mit seiner wirren Vergangenheit und und nicht minder wirren Gegenwart sein Fett ab. Als versöhnende Geste zwischen Vergangenheit und Gegenwart singt am Ende Sona MacDonald – nun nicht mehr als Gräfin, sondern als eine Trauernde – ein Kaddisch, das jüdische Versöhnungsgebet, und begräbt Knochen.

Es stellt sich die Frage, ob die trashigen Ästhetik dieser Aufführung dem unfassbaren Geschehen in Rechnitz (und an vielen anderen Orten in Österreich) gerecht wird. Eva Menasse hat das Geschehen im Roman „Dunkelbum“ zu fassen versucht. Wie der Titel schon verrät, lässt der Roman alles im Dunkeln und der Leser bleibt ebenso ratlos zurück wie nach Jelineks Theaterstück. Also welche künstlerische Form wählen?

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