Volksoper Wien: Anatevka (Fiddler on the Roof)

Musik: Joseph Stein, Musik: Jerry Bock, Gesangstexte: Sheldon Hornick. Nach der Geschichte von Sholem Alejchem

Gute Musik und ein gescheites Buch sind alterslos. Dieses Musical ist seit der Uraufführung von 1964 in New York um kein Bisschen gealtert. Im Gegenteil – heute mehr denn je aktuell.

Unter der musikalischen Leitung von Freddie Tapner spielte das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper mit so viel Freude und Verve, dass man Mühe hatte, nicht vom Sessel aufzuspringen und mitzutanzen! Dazu ein Bühnenbild (Mathias Fischer-Dieskau), das das Publikum direkt in ein altes Dorf irgendwo in den Tiefen Russlands hineinversetzt: Häuser, die eher klapprigen Hütten gleichen, ein Straßendorf, das bis in den Horizont verläuft, wo sich ein wolkenverhangener Himmel öffnet. Manchmal scheint ein tröstliches Morgenrot das Dorf zu erhellen, manchmal ist dieses Rot ein Flammenzeichen der Gefahr. Die sensible Lichtregie von Frank Sobotta versetzt Menschen und Häuser in eine mystische, archaische Zeit, verstärkt wird dieser Eindruck durch das Geigenspiel des „Fiddler auf dem Dach“, Lukas Kusztrich. Wie ein Hüter des Dorfes spielt er auf den Dächern stehend, manchmal tröstlich, dann wieder Geheimnisvolles ankündigend.

Die Menschen in diesem Dorf Anatevka führen ein ärmliches, aber nicht unglückliches Leben. Die Tradition wird hoch gehalten, man feiert den Shabbat – diese Szene ist tief berührend -, fragt in schwierigen Situationen den Rabbi, der jedoch auch keine Lösung bereit hat. So wendet sich Tevje, der Milchmann, direkt an Gott mit seinen Fragen und Problemen. Dominique Horwitz ist ein Tevje, wie man sich ihn nicht besser vorstellen könnte: In seinem Gesicht, Stimme und Gestik zeichnet sich die Mühe des Lebens ab. Als drei seiner Töchter sich ihren Bräutigam ohne die Heiratsvermittlerin (großartig Martina Dorak) und ohne ihn um Erlaubnis zu fragen aussuchen und sich still und heimlich verloben, bricht für ihn im ersten Moment die Welt zusammen. Doch dann kommen seine Erwägungen – humorvoll: Einerseits, andrerseits – und letztlich versöhnt er sich mit diesen aufmüpfigen Töchtern und deren Verlobten. Jüdischer Humor glänzt immer wieder auf – zum Beispiel in der Traumszene: Tevje muss seiner Frau Golde – ganz ausgezeichnet von Regula Rosin gespielt und gesungen – klar machen, dass seine älteste Tochter Zeitel (stimmlich und darstellerisch gut: Anita Götz) nicht den reichen Fleischer (Marco di Sapia), sondern den armen Schneider Mottl (Oliver Liebl) heiraten wird.

Alle Darsteller, bis in die kleinsten Nebenrollen, sind stimmlich und darstellerisch gut besetzt. Nicht unerwähnt dürfen die Leistungen der Tänzer des Wiener Staatsballetts bleiben: Der Kasatschok und der Flaschentanz sind Glanzleistungen.

Dass das Musical heute mehr denn je aktuell ist, macht der Schluss deutlich: Ein Erlass des Zaren zwingt die Bewohner, binnen kurzer Zeit Haus und Heimat zu verlassen: „Heimat verlassen tut weh, sehr weh“ singt Tevje. „Ja, wir ziehen weg von hier, Gewalt vertreibt die einen, Gleichgültigkeit die anderen.“ Wer denkt da nicht an die jüngsten Ereignisse?

Und wieder einmal zeigt sich, dass eine kluge Regie, die ohne Schnick Schnack und modische Attitüden auskommt, erfolgreich ist. Das Publikum dankte dem Ensemble und dem Dirigenten mit viel Applaus und Bravorufen!

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