Mit ca 100 Bildern Chagalls ehrt Albert Schröder den dritten Künstler der Moderne und erfüllte sich damit einen längst gehegten Herzenswunsch. Die beeindruckende Schau umfasst den ganzen Schaffenskreis des Künstlers.
Geboren 1887 in einem kleinen jüdischen Schtetl in Weißrussland (heute Belarus), blieb Chagall dieser Heimat durch seine Bilder immer verbunden.
Die Dorfszenen mit Kühen, Hähnen, Ziegen und Hirten, die wie in einem Traum durch die Lüfte fliegen, bleiben ein Leben lang Thema. In leuchtendes Traumblau getaucht strahlen sie Sehnsucht nach einer Welt, die untergegangen ist, aus. Es sind Momente des Glücks. Jeder kennt solche Sehnsüchte, Erinnerungen an Kinderzeiten – deshalb faszinieren die Bilder Chagalls. Sie vermitteln die Liebe des Künstlers zu Tieren und Menschen. Trotz Vertreibung aus Russland, Zerstörung vieler seiner Bilder im Dritten Reich, Exil in Frankreich und New York verliert Chagall nie diesen Kontakt zu seinen Wurzeln.
Die Liebe zu seiner Ehefrau Bella ist ein anderes Fixthema in seiner Kunst. Er malt sie in eine Traumwelt hinein, sie ist sein Lebensmittelpunkt. Lebensfreude und Liebe sind das Geheimnis seiner Bilder. Sind das Geheimnis, warum seine Werke die Menschen persönlich ansprechen.
Die Ausstellung ist eine Kooperation der ALBERTINA und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf und geht noch bis 9. Februar 2025.
Inszenierung, Bühne und Kostüme: Herbert Fritsch. Musikalische Leitung: Simone Young. Licht: Friedrich Rom.
Titelfoto: Hamm/Philippe Sly und Clov/Georg Nigl, Foto: Wiener Staatsoper-Sofia Vargaiová.jpg
UNGLAUBLICH wie Musik, Gesten und Choreographie taktgenau aufeinander eingespielt sind,den Text wörtlich nehmen und zu einer Art Slapstick-Komödie werden lasssen. Keine Langeweile, kein Zwang zur Interpretation! Absurdität lässt sich nicht erklären, ist frei von Moral oder Deutung! Herrlich, man kann einfach den Un-Sinn genießen, muss nicht nach dem tieferen Sinn fragen. Für Regisseur Herbert Fritsch das, was der Wiener „a gmahte Wiesn“ nennt. Er kann sich an Einfällen austoben – und es fällt ihm viel zu diesem verrückten Text und dieser Partitur ein!
Als Samuel Beckett „Fin de Partie“, diese Ikone des absurden Theaters, in den späten 50er Jahren schrieb, da tobte in Paris der Existentialismus, der Surrealismus, der Kommunismus – alle zusammen und alle gegeneinander. Die Welt war alles andere als verstehbar. Beckett war der Star unter den Schriftstellern und fühlte sich nicht berufen, sie zu deuten. Als György Kurtag „Fin de Partie“ das erstemal in Paris Ende 1950 sah, war er von dem Text elektisiert. Über Jahre komponierte er an der Oper, übrigens seine erste Oper überhaupt, bis sie endlich 2018 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde.
Was durchgehend auffällt, dass Gesten und Musik einander komplimentieren. Fritsch nennt es eine „Gestenpartitur“. Simone Young gelingt es, die einzelnen Musikzellen genau auf die Handlung, die Gestik abzustimmen. Man könnte mit geschlossenen Augen verstehen, was auf der Bühne vorgeht. Die Musik hat Witz und strotzt nur so von Einfällen. Sie ist nie laut, vordrängend, immer eins mit dem Bühnengeschehen. Ein weißer Raum mit Licht- und Schattenwirkungen, die nicht von außen kommen – denn ein „Außen“ scheint nicht zu existieren -, bildet den nüchternen Rahmen, in dem die vier Personen die Sinnlosigkeit des Lebens besingen.
Georg Nigl als Clov. Foto: Wiener Staatsoper -Michael Poehn.jpg
Was die Sänger nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch leisten, ist bewundernswert. Den Reigen des Absurden eröffnet Clov (Georg Nigl) mit seinem Leitertanz. Souverän in Stimme und absurder Pantomime wird er den Diener des blinden und gelähmten Hamm mimen. Seine Unterwürfigkeit ist vorgetäuscht, darunter lauert die Bösartigkeit. Am Ende wird er Hanm verlassen.
Nell/Summers und Nagg/Workman. Foto: Wiener Staatsoper-Michael Poehn.jpg
Die Eltern Hamms haben bei einem Radunfall die Beine verloren. Der mitleidlose Sohn hat sie in zwei Mülltonnen gesteckt, aus denen nur die Köpfe herausschauen. Was Charles Workman als Nagg und Hilary Summers als Nell in diesen schwierigen Rollen stimmlich und pantomimisch leisten, das grenzt ans Unglaubliche! Ihre Eheszenen, besonders die Kussszene, sind Glanzleistungen des finsteren Humors.
Sly/Clov, Nigl/Hamm. Fotos: Wiener Staatsoper-Michael Poehl.jpg
Stimmlich und darstellerisch verlangt die Rolle des Hamm dem Sänger sehr viel ab. Philippe Sly gelingt es, den Armen nicht zu erbärmlich, den Herrischen nicht zu hart erscheinen zu lassen. Er braucht ja Clov, nicht nur wegen seiner körperlichen Gebrechen, sondern auch als Zuhörer, wenn er seinen „Roman“ weiterspinnt. Vor allem aber sehnt er sich nach Nähe. Am Schluss wird Hamm einsam zurückbleiben, und Clov reisefertig mit Hut und Koffer ungerührt am Rande stehen.
Ein großartiger Abend, den das Publikum mit begeistertem Applaus aufnahm. Besonderen Applaus erhielt Simone Young, die mit sicherer Hand das Orchester der Wiener Staatsoper durch diese anspruchsvolle Partitur dirigierte.
Regie: Stefan Bachmann, Bühne Olaf Altmann, Kostüme: Jana Findeklee, Joli Tewes, Licht: Michael Göök, Choreograpie: Sabina Perry. Komposition, musikalische Leitung: Sven Kaiser.
Groß war die Neugier auf die Regie Stefan Bchmanns! Groß war die Enttäuschung. Wieder ein Stück, das sich über zwei Stunden ohne Pause dahinschleppte und nicht und nicht enden wollte. Auch wenn einige das Ende vorzeitig einklatschten – es nützte nichts. Beinhart wurde bis zum bitteren Ende gespielt.
Ich hätte ja schon ahnen können, dass dieses Stück nicht der Renner der Saison wird. War doch knapp vor Beginn der Saal halb leer. Um zumindest die ersten neun Reihen zu füllen, verkaufte man eifrig Last-Minute- Tickets. Bis sich die vorderen Reihen endlich gefüllt hatten, war es 10 nach acht. Zum Vergleich: „Schachnovelle“ war bis zum letzten Platz ausverkauft, sogar die Stehplätze auf der Galerie waren gut besucht. Gott sei Dank weiß das Theaterpublikum, was sehenswert ist! Nur solche Naivlinge wie ich, die keine Kritiken gelesen haben und von anderen Theaterfreaks nicht vorgewarnt wurden, wollen unbedingt erfahren, wie der neue Chef Regie führt.
Aus dem Programmheft geht hervor, dass alle Rollen von Frauen gespielt werden. Da man keinen einzigen Namen kennt, seien sie der Reihe nach angeführt: Nicola Gründel, Anja Lais, Rebecca Lindauer, Lea Ruckpaul, Luana Velis, Cennet Rüya Voß, Ines Marie Westernströer. jede in mehreren Rollen. Melanie Kretschmann spielte die Hauptrolle, den Widerling und Konzernboss Johann Holtrop. Sie machte ihre Sache als machtgieriger Manager recht gut. Wie übrigens das ganze Ensemble den schwierigen Text und die herausfordernde Choreografie bewundernswert meisterte. Denn, so wollte es Bachmann, sie alle mussten den Text als Art abgehackten Sprechgesang aufsagen. Das erforderte vom Publkum höchste Aufmerksamkeit, die von Minute zu Minute abnahm. Obwohl sich die Schauspielerinnen große Mühe gaben, der banalen Story, hundertfach in diversen Magazinen schon abgefeiert, einen exzentrischen, einmaligen Stil zu verleihen (Körperverrenkungen wie aus einem indonesischem Schattenspiel inbegriffen), setzte mir sehr bald die Langeweile zu. Denn die Gags wiederholten sich und nützten sich ab. Dem abgehackten Rapgesang zu folgen wurde reizloser, weil die Spannung fehlte.
Die Handlung ist vorhersehbar: Der größenwahnsinnige Holtrop verzockt das ganze Kapital einer großen Firma. Aber wie ein Stehaufmännchen richtet er sich wieder auf und gründet flugs eine eigenes Unternehmen, das er ebenfalle den Bach hinuntergehen lässt. Am Ende wirft er sich vor den Zug. Müder Applaus eines ermüdeten Publikums. Ein paar Extraklatscher bekamen die Musiker (Sven Kaiser, Zuzana Leharová, Annette Maye, Jan Felix Rohde), die das Geschehen dezent musikalisch untermalten.
Untertitel: Die letzten Jahre der Philosophie und der Beginn einer neuen Aufklärung. 1948 -1984
1948 war ein trostloses Jahr. Der Nationalsozialismus hatte fast alle Künstler und Philsophen ins Exil getrieben. Nur zögernd kamen einige zurück und mussten frustriert feststellen: In den Köpfen vieler Menschen nistet noch immer die alte Ideologie. Wolfram Ellenberger versucht einigermaßen einen Überblick über diese 40 schwierigen Jahre zu geben. Er konzentriert sich auf die aus seiner Sicht wichtigsten Philosophen dieser Zeit: Theodor W. Adorno, Paul K. Feyerabend, Susan Sontag, Hannah Arendt und Michel Foucault. Die ersten Nachkriegsjahre sind enttäuschend. Hannah Arendt ist von dem völlig zerstörten Deutschland geschockt. Viele stehen vor dem Nichts, auch die Philosophie. Mit dem Wiederaufbau wird aus der Philosophie die Lehre vom guten Leben. Und von Restituierung ist noch lange keine Rede.
In Amerika entdeckt Susan Sontag die Bisexualität. Das klingt jetzt banal – aber für Amerika war das ein „no go“. In Frankreich werden Jean Paul Sartre und Simone de Bouvoir gefeiert, bald aber als Hausgebrauchsphilosophen desavouiert. Existentialismus ist die neue Denkrichtung .Freiheit bis zum sebstgewählten Tod – Simone Weil begeht Selbstmord durch Hungern. Trotz Stalin bleibt der Kommunismus ein schickes Denkmodell.
In den späten 60er Jahren konzentriert sich der Autor auf einander konkurrierende Philosophen Paul K. Feyerabend und Michel Foucauld. Mit leichter Ironie beleuchtet er beider Erfolge und Misserfolge während der Studentenrevolten 1968. In Deutschland beherrschen Habermas und Adorno die Denkbühne. Adorno gibt sich geschlagen und verlässt die Revoltenbühne. Und Wien? An der Universität haben noch immer Professoren das Sagen, die sich vom Nationalsozialismus nicht verabschieden wollten und konnten. Studentenrevolution? Kaum, die Straße bleibt ruhig. Nur in der Aula gibt es einen Fäkalienskandal.
Als nicht philosophisch geschulter Leser ist man oft überfordert. Aber unter dem Strich vermittelt Wolfram Ellenberger den Eindruck, dass die „neue Aufklärung“ auf sich warten lässt.
Wir, das Publikum, sind Passagiere auf dem Schiff, das 1939 von New York ablegt. Festbeleuchtung auf dem ganzen Schiff (Publikumsraum), grün schimmernder Nebel hüllen die ankommenden Passagiere – uns – ein. Unterhaltungsmusik à la 30erJahre. Die Bar ist eröffnet, das P.T. Publikum unterhält sich – bis der Entertainer – Ich-Erzähler – auftritt und eine ganz seltsame Geschichte erzählt: Die Schachnovelle von Stefan Zweig!
N. Strunk – im Hintergrund Mirko als kleiner Junge, gezeichnet von Herbert Nauderer. Foto: Tommy Hetzel
„Erzählt“ ist das völlig falsche Wort. Denn was da in den nächsten zwei Stunden auf der Bühne abgeht, ist schlichtweg ein Ereignis, wie wir es schon lange nicht mehr auf der Burg erleben durften. Nils Strunk ist alles und jeder: Kulissenschieber, Klavierspieler, Sänger, er ist der Pfarrer, der Mirko so was wie Ausbildung verpassen will. Er ist Mirko Czentovic auf dem Schiff, er ist der angeberische Millionär McConnor, er ist der geheimnisvolle Dr.B., er intoniert auf dem Klavier fulminant, wie Schachspielen klingt – eines dieser vielen Gustostückerln dieses Abends, er ist überall und jedermann, er ist in jeder Sekunde ein anderer. Und man glaubt ihm jede einzelne Figur! Von seiner Band wird er durch die Erzählung musikalisch grandios begleitet. Langeweile in der Burg – das war einmal. Verziehen und vergessen macht dieser „Zauberkünstler der Bühne“ die vielen öden Stunden, die man in diesem Haus in den letzten Jahren erleben musste.
Der berühmte Schachweltmeister Mirko Czentovic ist an Bord! Sein Werdegang ist seltsam genug. Als Vollwaise aufgewachsen, resistent gegen alle Lern- und Erziehungsmethoden, interessiert sich der Bub schon früh nur für das Schachbrett. Sein Aufstieg zum Weltmeister ist rasant und gewinnbringend. Er spielt nur um hohe Summen. Dem sich selbst überschätzenden McConnor verpasst er eine Niederlage nach der anderen. Bis -ja bis der geheimnisvolle Dr. B. eingreift und das Schachwunder in Schranken weist.
Nils Strunk als Dr. B. Foto: Tommy Hetzel
Dem neugierig gewordenen Erzähler erzählt Dr. B. mit schlichten, unpathetischen Worten, wie es gekommen ist, dass er in der grausamen Einzelhaft der Gestapon nicht den Verstand verloren hat: Ein Schachbuch rettete ihn. Er lernte die Partien auswendig, spielte gegen sich sellbst. Im Kampf gegen Czentovic kommen jedoch alle Erinnerungen an die Qualen der Einsamkeit hoch und er muss vorzeitig aufgeben. Die Wunden, die das Naziregime ihm und Millionen anderen zugefügt hat, werden nie verheilen.
Diesen großartigen Schauspieler und seine congeniale Band (Jörg Mikula, Sebastian Simse, Hans Wagner, Bernhard Moshammer, Martin Ptak, Alois Eberl) feierte das Publikum mit begeisterten Ovationen. Zum Dank dafür musizierten Nils Strunk und das Ensemble noch weiter, bis die Bühnenarbeiter ihnen die Sessel unter dem …wegzogen.
Text: Paulus Hochgatterer. Regie: Simon Meusburger. Bühne & Licht: Simon Meusburger. Puppen & Kostüm: Soffi Povo. Kostüm und Ausstattung: Lisa Zingerle.
Spiel und Puppenführung: Manuela Linshalm
Eine auf irgendwen und alles wütende Sprayerin stürzt unflätig fluchend in den Zuschauerraum. Vielleicht möchte sie sich auf einen (nicht vorhandenen ) Mann stürzen und ihn mit Pfefferspray unwirksam machen. Sie ist gewaltbereit und sprüht ihren Frust auf die Wänden der Häuser. Ein kluger Richter verurteilt die Frustrierte zu hundert Stunden Sozialarbeit. Die junge Wilde muss ihre Strafe bei einer alten Frau abdienen. Die lebt seit Jahren in den vier Wänden ihres Minisalons. Das Mobiliar: Nachtkästchen aus der Zeit der 1900er Jahre mit Spitzendeckchen und verspielten Tischlampen.
In diesem aus der Zeit gefallenen Ambiente ( Kompliment an den Bühnenbildner Simon Meusburger) kann das eigentliche Spiel beginnen. Verzaubert folgt man den Gesten und den Stimmen: Hier die resignierenden Seufzer der alten Lady, da die forschen Fragen der Punkerin. Einen größeren Gegensatz an Charakteren kann man sich nicht vorstellen. Auf magische Weise schlüpfen aus den Tischlampen die Büsten diverser Komponisten – sie steigen aus der Erinnerung der alten Dame auf. Die hat ja -wie man im Lauf des Stückes erfährt – eine Zwangsbeglückung mit der Musik Bruckners durch ihren verstorbenen Ehemann erfahren. Vielleicht hat sie diesen ja anfangs ihrer Ehe noch bewundert, doch im Laufe der Jahre hat sich die Bewunderung in Langeweile verwandelt. Die vielen Reisen zu Bruckneraufführungen – öd!!. Über Bruckner wird viel geredet, aber er „kommt nicht vor“. An seiner Stelle schlüpfen aus den Lampen die Büsten Brahms, Wagners und sogar des kauzigen und strengen Kritikers Eduard Hanslik. Sie alle geben ihren Senf zur Musik Bruckners dazu. An dieser Stelle darf Kritik erlaubt sein: So witzig und abstrus diese Szenen mit den Büsten der Musiker sind – sie sind einfach zu lang. Auch wiederholen sich gewisse Sentenzen über Musik, Reisen, Fotos und die Reisetasche zu oft. Wer mit der klassischen Musik nichts am Hut hat, wird sich langweilen. Vor allem aber verwässern diese zwanghaft repetitierten Textpassagen das subtile Beziehungsgeflecht zwischen der Punkerin und der alten Dame. Denn am Horizont zeichnet sich gegenseitiges Verstehen ab, bleibt aber nur vage angedeutet. Wäre aber interssanter als all dieses Gerede über Bruckner. Ein kritischer Einwand, der vor allem dem Autor Hochgatterer gilt. Um den Titel zu rechtfertigen, zieht er eine weit hergeholte Erklärung, die mit dem Stück selbst nichts zu tun hat, aus dem Hut: Die Punkerin erinnert sich, dass sie einmal einem „schlafenden Wal ins Auge geblickt hat“ – und das war für sie das Megaerlebnis. Bruckner und der Wal -eine ziemlich schräge Kombination!
Ein unterhaltsame Aufführung, die vor allem von den zauberhaften Puppen und dem Zusammenspiel zwischen der Puppe der alten Dame und der Figur der Punkerin, beide gespielt von Manuela Linshalm, lebt.
Jochen Rieder dirigiert die Deutsche Staatsphilharmonie. Maria Agresta – Sopran
Es war der 13. Oktober, der Abend nach der Première (9. Oktober in Paris mit Valeria Sepe). Mit insgesamt zehn Aufführungen in kurzen Abständen von zwei bis drei Tagen, abwechselnd mit Maria Agresta und Valeria Sepe, tourt Jonas Kaufmann durch Österreich, Deutschland und die Schweiz. In Luzern wird er die Tour am 9. November 2024 beenden.
Puccini singt Jonas Kaufmann besonders gerne. Wie die starken Emotionen, die Puccini mit seiner Musik provoziert, entstehen, sind eines der ungelösten Geheimnisse, meinte Jonas Kaufmann einmal in einem Interview. Eine Erklärung sind die intensiven Frauenrollen – Tosca, Manon, Butterfly. Mit den entsprechenden Partnern wie Jonas Kaufmann wird deren Schicksal musikalisch direkt in die Seelen der Zuhörer transportiert. So auch an diesem Abend. Maria Agresta als Tosca und Jonas Kaufmann als Cavaradossi waren eine ideale stimmliche Paarung. Agrestas stellenweise metalliger Sopran passte in die Rolle. Das Duett „Mario! – Son qu!“ wurde ein Miniaturkammerschauspiel. Beide gaben der konzertanten Aufführung durch kleine szenische Apercus Farbe Die Arie „Vissi d`arte“ sang Agresta frei von Selbstmitleid, fast nüchtern überlegend. Nachdenklich und sich zurücknehmend gestaltete Kaufmann seine legendär gewordene Interpretation von „E lucevan le stelle“.
Für die Rolle der Mimi war die Stimme Agrestas um eine Spur zu metallisch, Kaufmanns geschmeidiger Tenor mit dem Hauch von Bariton passte gut für die Rolle Rudolfos. „O suave fanciulla“ hatte Schwung mit kleinen Funken Humors. Nach der Pause folgte das Duett Butterfly- Pinkerton. Kaufmann ließ den lüsternen Mann durchblicken, den die Schüchternheit Butterflys richtig anheizt. Maria Agrestas Butterfly war jedoch weniger scheu, eher erstaunlich kräftig. Als Manon, die den verletzten und grollenden Des Grieux wieder betören will, passte ihre Stimme perfekt. Kaufmanns Ausruf der Ergebung „Manon, mi fai morir, dolcissimo soffrir“ war das stimmige Ende eines stimmungsgeladenen Abends. Allerdings war Jonas Kaufmann bei den Zugaben von Husten geplagt. Man fragte sich besorgt, ob seine Stimme diese Mammuttournee unbeschadet überstehen wird. Viel Applaus für Agresta, den Dirigenten und das Orchester. Standing Ovation für Kaufmann!
Musikalische Leitung: Tobias Wögerer (Debüt), Regie: Lotte de Beer. Bühne: Kristof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beek
Schade! Es wäre eine tolle „Carmen“ , wären da nicht die vielen verzichtbaren Regiemätzchen von Lotte de Beer. Ihre Ansage vor Beginn der Oper lässt Schlimmes befürchten: „Zigarettenrauch auf der Bühne zu zeigen ist verboten (was gar nicht stimmt), Femizid aber ist erlaubt!“ Was heißt das – will sie Carmen leben und in Notwehr Don José erstechen lassen? So arg wird es dann doch nicht!
Was den Abend auf allen Linien rettet, sind die wirklich interessanten und tollen Stimmen: Allen voran Annelie Sophie Müller als Carmen. Warum findet man von ihr keine Presefotos?
Annelie Sophie Müller muss nicht mit vordergründiger Erotik in Stimme und Gesten die Männer (und das Publikum) betören – es ist ihr klarer Mezzsopran, der in allen Lagen überzeugt. Ihr Spiel ist gelenkt von haarscharfer Intelligenz. Vor den Männern hat sie wenig Achtung, sie nimmt sie und vergißt sie fast augenblicklich. L´amour ist für sie eher ein „bourgeoiser“ Begriff. Womit wir beim Regiekonzept von Lotte de Beer wären. Carmen und ihr Gefolge sind „Bohemiens“. Ihr Lebensinhalt heißt „Freiheit“, um die es auf allen Linien zu kämpfen gilt. Gegenspieler ist die gesamte Bourgeoisie, worunter Lotte de Beer ganz besonders die Theaterbesucher zählt – also jegliches Pulikum, auch das gerade anwesende. Deshalb lässt sie ab der Hälfte der Oper immer wieder im Hintergrund Theaterlogen aufziehen, von denen aus „das Publikum“ Carmen beobachtet. Warum Carmen ihrerseits dieses Publikum beobachtet, immer wieder in die Logen klettert, das erschließt sich nicht. Warum ein Kind aus dem Saal-Publikum mehrmals nach vor an die Brüstung läuft, um zu fotografieren, und eine verlegene Mutter sie wegholt, ist auch nur einer der vielen Gags, die mehr störend als erhellend wirken.
Ebenso wie Annelie Sophie Müller begeisterte auch Tomislav Muzek als Don José. Ein Tenor mit Kraft bis in die Höhen. Leider ließ die Regie ihn in den ersten beiden Akten als tölpelhaften Loser agieren. was zur Folge hat, dass er keine Sekunde ein „brauchbares Liebesobjekt“ für Carmen ist. Allerdings ändert sich das im Schlussakt – hier kann Muzek zeigen, dass er sowohl darstellerisch als auch stimmlich grandios ist. Auch die kleineren Rollen überzeugen: Joye Simmons als Frasquita und Maria Hegele als Mercédes bringen frischen Wind als Kartenlegerinnen und Carmens Weggefährtinnen. Hedwig Ritter als Micaela hat ein gutes Stimmpotential, allerdings wirkt sie in der Höhe etwas scharf. Pablo Santa Cruz lässt als Zunigo mit seinem geschmeidigen Bassbariton aufhorchen.Daniel Schmutzhard legt die ungeliebte Rolle des Escamillo mit überzeugend ironischem Blick auf diese Figur an. Dazu hat Lotte de Beer wieder einen ihrer „Einfälle“ : Carmen erkennt plötzlich in einer Art Trance, was sie als Geliebte Escamillos erwarten würde: Ein Leben als brave Bürgerin, die am Morgen den Tisch fürs Frühstück deckt und dem scheidenden Escamillo in den Mantel hilft. Eingerahmt wird diese Szene durch eine Art „Hochzeitsbogen“ oder auch grünem Pavillon. Unter diesem Biedermeierrahmen lässt Lotte de Beer die Ermordung Carmens stattfinden, umstellt von dem Publikum, die alle aus den Logen steigen und das Paar sensationslüstern umringen. Man kapiert: Eine Frau wird auf offener Straße ermordet und alle sehen zu. Ein bisschen zu plakativ!
Das Publikum applaudierte allen Sängerinnen und Sängern mit Begeisterung, besonders aber Annelie Sophia Müller und Tomislav Muzek. Viel Applaus erntete auch Tobias Wögerer, der das Orchester mit Bravour und Temperament dirigierte.
Untertitel: Was Kultur braucht, um in Zeiten von Shitstorms, Krisen und Skandalen zu bestehen.
Ja, was braucht die Kultur? Diskurse! Transparenz! Und das beginnt in der Politik, dort, wo die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Oft sind es keine Weichen, sondern Leichen. Es werden Direktoren und in letzter Zeit vor allem Diktorinnen für Theater, Museen etc bestellt. ohne dass vorher ein öffentlicher Diskurs darüber eingeleitet wurde.
Obwohl Fabian Burstein die letzten zehn Jahre vorwiegend in Deutschlands Kulturszene gearbeitet hat, kennt er als gebürtiger Wiener die österreichische Szene sehr gut und beobachtet sie kritisch. Einige seiner Forderungen sind nicht neu, wie etwa Kommunikation innerhalb divergierender Fronten, strenge Kontrolle der Hasspostings. Was er in Österreich zu Recht moniert, ist die Bestellung fachlich inkompetenter Leiter und Leiterinnen in wichtigen Kultursegmenten. (S 51f) „Die Skandalgeschichte der österreichischen Kulturbetreuung ist erschreckend“ (S74) Explizit stellt Fabian Burstein die Qualifikation der sogenannten Begutachtungskommissionen in Frage (76) und fragt, wo die fachkundigen Kontrollinstanzen wären. (ebda) Vor allem der von der SPÖ geführte Kulturbetreuung der Stadt Wien (Kaup -Hasler) wirft er mangelnde Transparenz vor. Und legt dar, wie wichtige Entscheidungen an SPÖ nahe Beratungsfirmen ausgelagert werden. Das ist in allen Parteien und auf allen Gebieten so üblich geworden. Zuletzt vermisst er mutige Medien, die diese Unklarheiten aufdecken.
Ein wichtiges Buch für alle, die sich schon immer fragen, wie es zu diversen Bestellungen auf dem Kuultursektor kommt
Marco Bolzano ist bekannt für seine sozialkritischen Themen wie zum Beispiel „Wenn ich wiederkomme“. Darin schreibt er über die Frauen aus Osteuropa, die sich als schlecht bezahlte Pflegerinnen in Italien und anderen europäischen Staaten verdingen. Nun ist sein jüngstes Buch eher leichte Kost, wirkt wie eine Themenrestlverwertung aus der Pandemiezeit. Die Via Marghera in Mailand ist zu Normalzeiten eine belebte Einkaufstraße. Doch Covid hat sie leergefegt – keine Geschäfte, keine Cafés. Nur das Café Royal hat geöffnet. Hier treffen sich Paare oder Einzelgänger, um menschliche Gesellschaft aufzutanken. Trotz Pandemie ist das Café immer gut besucht. Schnell ergeben sich Gespräche, sogar neue Kontakte, aus denen hin und wieder auch engeren Beziehungen entstehen. Das Flüchtige ist jedoch am reizvollsten. Jede einzelne Geschichte würde für einen Roman reichen. Idealer Lesestoff für unterwegs-
Aus dem italienischen neu übersetzt von Ingrid Ickler
Der Originaltitel „La Vacanza“ gibt besser wieder, was Dacia Maraini in diesem Roman vermitteln will: In „Vacanza“ steckt das lateinische Wort „vacuum“ – das Leere. Vacanze-Ferien – bedeuten für Italiener in erster Linie Ferien am Meer, auch frei sein von Verpflichtungen – aber immer schwingt der Gedanke an Langeweile, Leere mit.
Nicht immer ist Langeweile positiv. Jedenfalls nicht für die vierzehnjährige Anna und ihren um einige Jahre jüngeren Bruder Giovanni. Das Jahr über sind sie im Internat, von strengen Schwestern mit Argusaugen bewacht. Dann endlich kommt der Tag, an dem sie ihr lebenslustiger Vater auf seinem Motorrad abholt und in das Haus am Meer bringt, wo sie Nina erwartet, die die verstorbene Mutter ersetzen soll. Was nicht so recht klappt. Denn mehr als die Pasta ihnen vorzusetzen schafft sie nicht. Meist ist sie müde. Also verbringen Anna und Giovanni die Tage am Strand. Es ist Krieg, die Flugzeuge fliegen Richtung Rom. Mussolini ist am Ruder. Anna langweilt sich. Aus Langeweile lässt sie sich von einem alten Lustmolch einladen, lässt sich emotionslos von ihm betatschen und steckt ebenso emotionslos Geld dafür ein. Sie registriert alles um sich herum, nimmt es mit fast fotografischer Genauigkeit wahr – bleibt aber von allem unberührt. Sie lässt sich ebenso emotionslos von pubertierenden Buben betatschen, – nichts kommt wirklich an sie heran. Nina und ihrem Vater gegenüber bleibt sie verschlossen. in Beobachterposition. Mit kalten und kritischen Augen betrachtet Anna die Erwachsenen, weiß ihre Lügen zu entlarven, bleibt aber immer unbeteiligt. Als die Ferien enden, kehren Anna und Giovanni wieder ins Internat zurück . Alles so wie es war.
Dacia Maraini schildert mit erschreckender Nüchternheit und fast zwanghaftem Hang zur Genauigkeit die sich täglich wiederholdenden Abläufe dieser leeren Tage der Ferien. Krieg ist bedeutet maximal Gesprächsthema. Die Angst davor wird kleingehalten, man spricht sie nicht aus, findet Ruhe im endlosen Kartenspiel .
Erschreckend ist die Kälte, die von diesem Roman ausgeht!
Regie: Therese Willstedt, Textfassung: Tom Silkeberg., Bühne und Licht: M.K. Axelsson, Kostüme: Maja Mirkovic.
Die sieben Orlando: Elisabeth Augustin, Stefanie Dvorak, Markus Meyer, Seám Mcdonagh, Martin Schwab, Andrea Wenzl, Itay Tiran
Über die Bühne rennen, stolpern und gehen schwarz gekleidete Figuren, alle mit ähnlich schwarzem Haarschopf. Ahamoment – wieder einmal eine Figur und mehrere Darsteller. Das hatten wir doch schon öfter, z.B. mehrere Romeos (Volkstheater), fünf Hamlets (Burgtheater) – hat nicht viel mehr gebracht als Verwirrung. So auch ein Orlando mal sieben – von den hinteren Reihen des Parterres sind die einzelnen Figuren/Schauspieler nicht zu identifizieren – sollen sie wahrscheinlich auch nicht. Ich konnte nur Martin Schwab und Stefanie Dvorak an ihren Stimmen erkennen. Wer was spricht – unklar. Die leisen Töne verlieren sich bis in die hinteren Reihen. Ich beginne gegen den Schlaf zu kämpfen und stelle fest, dass der in weiser Voraussicht vorher eingenommene Espresso nichts hilft. Was ist aus der spritzig-witzigen Romanfigur Orlando geworden? Als Lustknabe der Königin ging er ja noch durch, als Gesandter in Konstantinopel schon weniger. Da überwiegen die billigen Gags mit Schwimmreifen und Kinderspielzeug. Irgendwann erwacht einer der Orlandos und stellt fest, er ist eine Frau. Auch dieser Spaß wird vergeigt, geht unter. Zu viel Gehampel und Gewurschtel mit Kostümen. Am Ende steht ein Orlando, eine Orlando da und stellt fest: Na gut, jetzt hab ich einen Ehemann und ein Kind. Der Ehemann ist immer auf Reisen und lässt mich machen. „Ich mache, was ich will!“ -Das war noch das Griffigste an diesem Abend.
Regie und Textfassung: Christine Wipplinger, Puppen & Kostüme: Annemarie Arzberger und Lisa Zingerle, Bühne: Angela Konzett. Live-Musik und Komposition: Jana Schulz. Mit Angelo Konzett und Markus Peter Gössler.
Alle Fotos: Barbara Palffy. Titelfoto: Angelo Konzett als Kilian Hupka und der zukünftige König von Astoria im Strampelanzug
Egal ob 1930 oder 2024 – die Aufführung im Schuberttheater wirkte wie aus der Zeit der 30er Jahre herausgeschnitten, als hätte Jura Soyfer selbst Regie geführt: Auf der kleinen Bühne mussten und müssen damals wie heute griffiger Text und Musik fehlende finanzielle Mittel ersetzen. Genau dieses Manko macht den Charme der Aufführung aus. Nicht zu vergessen das Publikum. Man lachte, aber nie nicht an falschen Stellen, wußte die Anspielungen auf die Jetztzeit richtig zu deuten.
Zwei Schauspieler und mehrere Puppen führen in eine Zeit der Not und Arbeitslosigkeit in der Zwischenkriegszeit. Die Mischung von Schauspielern und Puppen ist äußerst reizvoll. In ihrer Ausweglosigkeit beginnen zwei Landstreicher (Angelo Konzett und Markus Peter Gössler) von einem Land zu träumen, wo alles „leiwand“ ist. Keine Arbeitslosen, freundliche Leut` rundum. Sie nennen es Astoria. Kraft ihrer Phantasie wird die bittere Wirklichkeit vom schönen Schein des immaginierten Landes Astoria verschluckt. Doch der schöne Schein entpuppt sich als Land der Korruption, der Maßlosigkeit und der Spekulanten, die an ihrer eigenen Gier zugrundegehen. Das Land zu lenken hilft der Landstreicher Kilian Hupka (Angelo Konzett gestaltet ihn mit Charme und der nötigen Hinterfotzigkeit). Der Witz dabei: Aus dem armen Hupka wird ganz schnell ein ziemlich perfider, kalt berechnender Schurke, der Astorias dümmlichen Scheinkönig nach Lust und Laune manipuliert. Ebenso die Aktionäre, denen er ein X für ein U vormacht und ihnen leere Luft verkauft.
Am Ende steht Astoria vor dem Ruin, aber der Scheinkönig -nun vom Baby zum Gekrönten gewandelt – hält eine flammende Rede auf den Untergang. Die Parallelen zu heute müssen nicht extra angeführt werden – sie sind glasklar.
Die Magie der Puppen – hochprofessionell bespielt von Markus Peter Gössler, der auch den zweiten Landstreicher spielt, und Annemarie Arzberger- schlägt wie immer das Publikum in den Bann: Scharfwitzig die Wandlung des kleinen, quengelnden Alten im Strampler zum arroganten König li oben).
Ihm treu ergeben die rätselhafte „Gräfin“ Foto oben, die ihrem dümmlichen Ehemann den Wunsch nach einem eigenen Staat partout erfüllen will. Hupka wird ihr Erfüllungsgehilfe. Warum sie für den alten Trottel eine derartige „Passion“ empfindet, weiß man nicht so genau. Spiegelt sie vielleicht das politische Verständinis der Frau damals wider? Wenn das so ist, dann hat Jura Soyfer dieses für gleich Null eingeschätzt.
Wie auch immer – mit dieser kulinarisch exzellent aufbereiteten Aufführung wäre Soyfer sicher sehr zufrieden gewesen. Aufführungen wie diese lassen hoffen, dass Theater noch immer bedeutet: Das Publikum in den Bann ziehen – und nicht, wie vielerorts geschieht, es mit politischer Performance langweilen. Eine Message – ob politisch oder sozialkritisch – kann durchaus auch vergnüglich sein, wie dieser Abend zeigt. Satire, Ironie und scharfer Witz sind allemal besser als langweiligs „Erziehungstheater“.
Programm: Georg Friedrich Haas: „I don´t know how to cry“, Alexander Arutiunian: Konzert für Trompete und Orchester. Trompete: Patrick Hofer. Ludwig van Beethoven: Eroica
Auf den ersten Blick mag das Programm eher zufällig gewählt worden sein. Doch bei näherem Hinsehen und Hinhören entdeckt man den gemeinsamen Gedanken: Das Heldische, für etwa einstehen oder der heldische Widerstand, wenn man so will.
Georg Friedrich Haas: „I don´t know how to cry“ (Ich weiß nicht, wie ich noch weinen soll“ (2023)
Georg Friedrich Haas gilt als einer der bedeutenden Erneuerer der Musik. In seinen Kompositionen spielen Melodie und Rhythmus keine Rolle mehr, sie werden durch sogenannte Cluster oder Tontrauben, wie er sie nennt, ersetzt. Da das Werk eine österreichische Erstaufführung ist, war der Komponist persönlich anwesend und formulierte in der Einführung mit wenigen Worten grundsätzliche Gedanken zur Musik: „Musik ist als Ausdrucksmittel viel präziser als Sprache“ und weiter: „Ich fürchte mich, wir sind bedroht“ und meinte damit die Kriege und Unruhen. „Alles schreit in meiner Musik, dahinter aber gibt es ein Licht“. In dem Prosa-Gedicht „I don´t know how to cry“ formuliert die Autorin Jill Carter all diese Bedohungen aus. Es endet mit dem Ausruf der Verzweiflung. In der Musik von Haas sind Wut und Ohnmacht deutlich zu hören, aber er lässt nach jedem Cluster der Wut oder Verzweiflung Lichtgedanken durchschimmern.
Sado leitet die Tonkünstler mit der gewohnten Behutsamkeit – nie lässt er das Dunkle, Drohende ausufernd laut werden, sondern spinnt einen dumpfen Klangteppich, dem er einen leichten Vorhang der Hoffnung folgen lässt. Haas war mit der Interpretation sichtlich zufrieden und bedankte sich herzlichst bei Sado und dem Orchester, aber auch beim Publikum, das ihm eifrig applaudierte.
Alexander Arutiunian: „Konzert für Trompete und Orchester As Dur, 1950“ An der Trompete: Patrick Hofer, erster Trompeter der Tonkünstler
Als Alexander Arutiunian ( 1920 -2012) das Werk komponierte, stand Armenien unter russischer Herrschaft. Armenische Künstler wussten jedoch immer, wie sie sich künstlerisch aus der russischen Umklammerung lösen und emanzipieren könnten. So wurde dieses Trompetenkonzert eine Hommage an die armenische Musiktradition, besonders der Volksmusik. Es beginnt heiter, farbenfroh. Das Trompetensolo steigt auf und leitet die Themen. Patrick Hofer spielt die Soli, die viel von ihm abverlangen, mit ruhiger Sicherheit, unterstützt von Sados sensibler Führung des Orchesters. Fröhlich, vielleicht auch ein wenig aufmüpfig erklingt das Wechselspiel der Themen – eine Hommage und eine dezente Betonung des ungebrochenen Bekenntnisses zur armenischen Musik und der armenischen Eigenständigkeit auf dem Gebiet der Kunst. Das Publikum bedankte sich mit viel Applaus, besonders bei dem Trompeter Patrick Horn.
Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr.3 Es-Dur op.55 „Eroica“
Die Vorgeschichte ist bekannt: Beethoven, zunächst begeistert von den Ideen der Aufklärung und Napoleon, betitelte diese Symphonie „Bonaparte“. Als dieser sich zum König krönen ließ, verging dem Meister die Begeisterung und er widmete die Symphonie Fürst Lobkowitz, nicht zuletzt auch deshalb,, weil dieser ihm dafür gut bezahlte. Da das Werk als musikalisches Heldengedicht konzipiert war, blieb Beethoven bei „Eroica“ als Hommage an alle Helden, die er sonst noch verehrte. Und nicht von der Hand zu weisen ist die Idee, dass er in sich selbst ein heldisches Aufbäumen verspürte, wissend um seine baldige totale Taubheit. Dass er im letzten Satz Themen aus seiner Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“ verwendet, unterstreicht nochmals diesen Heldengedanken. Prometheus – der sich gegen Zeus auflehnt, Prometheus, der sich gegen die absolute Macht wehrt, wurde ja der Inbegriff des Helden.
Wie es Sados Art ist, lässt er das Heldische nicht übermächtig werden. Wie oft schon hörte man diese Symphonie als „Heldengetöse“! Sado dirigiert mit Behutsamkeit -„laut“- das gibt es bei ihm nicht. Als wäre er mit den Noten verwoben, dirigiert er die Symphoniker mit dem ganzen Körper, es hat den Anschein, die Musik strömt aus seinem Körper heraus auf die Musiker über. Zunächst also der feine, ja zärtliche Beginn, der sich zur Erregung steigert. Bevor Sado den „Marcia funebre“ beginnt, macht er eine lange Pause – aus Achtung und um neu sich zu sammeln. Dann arbeitet er elegant die einzelnen Themen heraus: Trauer, Bedrohung und Erschütterung. Ganz leise verklingt auch dieser Satz. Dann wieder Pause vor dem Scherzo – Sado nimmt die Herausforderung elegant, ebenso die Streicher, die die vielen Pizzicati bravourös meistern. Im Finale gibt Sado alles – sein ganzer Körper beugt, wiegt, tanzt. Es ist spannend, ihm beim Dirigieren zu beobachten! Zwischen zärtlichen und expressiven Prometheus – Themen wechselt Beethoven über Tänze zu dem fulminanten Schluss, wo Orchester und Dirigent wirklich alles geben!
Langer Applaus braust auf, vom sichtlich erschöpften, aber glücklichen Sado und dem Orchester mit Freude und Stolz angenommen.
Wieder einmal zur Erinnerung: Yutaka Sado wird noch einige wenige Male in Grafenegg, Festspielhaus St. Pölten und im Musikverein dirigieren, bevor er in seine Heimat Japan zurückkehrt. Er wird sehr fehlen!!
Sergej Rachmaninoff, Konzert für Klavier und Orchester Nr.3 d-moll op.30 (1909). Klavier: Leif Ove Andsnes
Was für ein grandioser, fulminanter Saisonauftakt!! Mit Leif Ove Andsnes war ein Pianist von höchstem Rang an den Tasten , feinfühlig unterstützt von Philipp Steinaecker, der das Orchester ausgewogen in Klang und Volumen zum KLavierpart dirigierte.
Dieses berühmte Klavierkonzert, das vom Pianisten höchste Konzentration und Einsatz abverlangt, wurde 1910 von Rachmaninoff persönlich am Klavier mit dem New York Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Gustav Mahler aufgeführt. Im gestrigen Konzert spielte Leif Ove Andsnes auf einem Steinway-Konzertflügel, auf dem Sergej Rachmaninoff gespielt haben könnte. Aufgrund der Nummer K96 ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, wenn es auch nicht hundertprozentig bewiesen werden kann. Es brauchte nicht unbedingt dieses Wissen, um die Bewunderung für Leif Ove Andsnes noch zu erhöhen. Wahrscheinlich wäre Rachmaninoff von der Interpretatation Andsnes‘ genauso begeistert gewesen wie das Publikum. Sein Anschlag ist weich, seine Hände fliegen über die Tasten. Die leisen Töne „singen“, wie es Rachmaninoff forderte (Zitat Programmheft, S9)
Das 3. Klavierkonzert beginnt mit dem „gesungenen Thema“, wie Rachmaninoff es wollte, perlend, tänzerisch gespielt von Andsnes. Das Orchester brauste langsam auf und stellte intensive Spannungen her. Virtuose Kadenzen wechselten mit Sehnsuchtsmelodien, das Klavier verlor nie die Führung. Die Soli gerieten prächtig, nie plärrend. „In die Tasten hauen“, wie es immer wieder auch von namhaften Pianisten zu hören ist, gab es nicht. Im „Intermezzo“ übernahm das Klavier die von Streichern und Oboen vorgegebenen Themen. Dabei verzauberte Steinaecker das Orchester und Klavier zu Traumsequenzen, bis das Klavier dann heftig das Finale ankündigte und zum dritten Satz überleitete. Was Klavier und Orchester musikalisch da aufbereiteten, war ein dicht ineinander verwobener Strauß an Themen. Ein Trommelwirbel kündete den Höhepunkt an und riß das Publikum in einen Strudel von musikalischen Explosionen. Danach ließ der Dirigent Publikum und Musikern eine Atem-und Einwirkungspause, um zum fulminanten Schluss überzuleiten.
Begeisterung beim Publikum, Bravorufe für den Pianisten, den Dirigenten und das Orchester. Leiv Ove Andsnes bedankte sich für den tosenden Beifall mit einer Zugabe: Sergej Rachmaninoff Etude C-Dur op33/2
Gustav Mahler, Symphonie Nr.5 (1901-1903)
Philipp von Steinaecker beschäftigt sich schon lange mit der historischen Aufführungspraxis aus der Zeit Gustav Mahlers, den Spieltechniken des Fin de Siècle und den dazugehörigen Originalinstrumenten . Er ist überzeugt, dass unsere Zeit gar nicht mehr weiß, wie etwa die 5. Symphonie mit den damals verwendeten Instrumenten geklungen haben mag. Geschmack, Moden und Bearbeitungen haben das Original zugedeckt. An diesem Abend spielten die Musiker auf alten Instrumenten aus der Zeit Mahlers, die Steinaecker mit Hilfe von Experten gefunden hat und sorgfältig restaurieren ließ.
Ein Titan kämpft um seine Sicht auf die Welt, um sein Verhältnis von Musik und Welt. Gustav Mahler wird zum selbstbewussten Neuerer in der Musikwelt, „einer Musik, die ohne äußeren Anlass entsteht…niemand soll fragen warum!“ So Gustav Mahler über seine 5. Symphonie (zitiert nach Programmheft S13)
Das bekannte Trompetensolo verkündete den Beginn des 1. Satzes. Drückend und schwer schleppte sich der Marsch in b-moll voran, bald jedoch abgelöst von ruhig dahingleitenden Tönen der Oboe. Höhepunkt der „nihilistischen Musik“ (Furtwängler über diesen 2. Satz, zitiert aus Programmheft S14) ist der 2. Satz. Steinaecker schenkte sich und dem Orchester nichts, stieg voll in den Wahnsinn ein, der diesen Teil der Symphonie durchdringt. Das Scherzo -prominent eingeleitet durch das Hornsolo (Jonas Rudner) – steigert die Anforderungen an Dirigent und Musiker noch einmal. Virtuos führte Steinaecker das Orchester durch diesen anspruchsvollen und komplizierten Satz. „Das Pubikum -o Himmel – was soll es zu diesem Chaos, das ewig aufs Neue eine Welt gebärt, die im nächsten Moment wieder zu Grunde geht…für ein Gesicht machen?“ (Zitat Programmheft, S16) So Mahler in ironischer Verzweiflung über diesen „gemischten Satz“. Wie auch immer – das Publikum war gebannt. Danach die sanfte Beruhigung im Adagietto, mit dem Gustav Mahler Alma seinen musikalischen Heiratsantrag machte. Da konnte er nur mit Schönheit verführen – was auch an diesem Abend voll gelang. Das Publikum durfte im Wohlklang baden, sich im Dialog zwischen Harfe, Bratschen und Geigen wiegen. Denn im 5. Satz wird dem Orchester, Dirigenten und Publikum nichts geschenkt. Voller Klang, volles Pathos – alles ohne Schonung.
Zur Gretchenfrage, wie und ob man den „neuen“ Klang, den die alten Instrumente erzeugten, hörte?! Nun – darauf wird ein Musikkenner vielleicht eine kompetente, klare Antwort geben können. Hier sei nur ein laienhafter Vergleich angestellt: Es war vielleicht so, wie bei einer Weinverkostung. Dem einen schmeckt der unbearbeitete „Naturwein“, spritzig, leicht, ohne aufgesetztes Bouquet, der andere hats gern voluminöser à la Barique.
Das Publikum jedenfall war begeistert, belohnte das Orchester und vor allem den Dirigenten mit langem, sehr langem Beifall. Der – schier aufgelöst und schweißgebadet, hatte er doch wirklich alles gegeben – bedankte sich glücklich und erleichtert.
Untertitel: Meine Wurzeln, mein Volk und unser Kampf gegen die Zerstörung unserer Heimat
Aus dem amerikaneischen Englisch von Elisabeth Schmalen und Katherina Uhlig.
Nemonte Nenquimo wird in den Stamm der Waorani im Regenwald Ecuadors hineingeboren und lebt eine glückliche Kindheit inmitten ihrer Großfamilie und den Stammesältesten. Doch die Missionare haben bereits Fuß gefaßt, die ersten Flugzeuge landen – Vorboten und Wegbereiter der Ölgesellschaften, die rigoros den Boden der einzelnen Stämme plündern, die Wälder abholzen und die Indigenen total entrechten.
Schmerzhaft ist dieses Buch zu lesen, aber auch tröstlich. Nemonte verlässt in jungen Jahren ihren Stamm, zunächst geblendet vom Einfluss der Missionare. Bald erkennt sie jedoch, dass dieser Gott der Weißen nie ihrer sein wird und sie wendet sich von der so genannten Kultur der WEißen ab, Gemeinsam mit dem Weißen Mitch Anderson und ihrem Bruder Opi beginnt sie Widerstand gegen die Zerstörung des Regenwaldes und ihrer Kultur zu organisieren.Mit einigen anderen Stämmen gründen sie einen Verein, und mit Hilfe der Medien gewinnen sie Sponsoren, werden bekannt. Und es gelingt ihnen, die Rechte für die Indigenen vor Gericht zu erkämpfen. Nemonte führt heute mit ihrem Ehemann Mitch und den beiden Kindern ein friedliches Leben inmitten ihres Stammes . Und das ist tröstlich zu wissen.
Dieses Buch ist eines der wichtigsten, die im letzten Jahr erschienen sind. Denn wir erfahren aus authentischer Quelle viel über Rituale und Glauben der Stämme des Regenwaldes. Interessantes über ihr Verhältnis zur Natur, die sie respektvoll verehren und nie plündern oder zerstören. Auch über Träume und ihre Bedeutungen, über Schamanen und ihre Kräfte spricht Nemonte direkt und offen in diesem Buch. Und vor allem wird dem Leser schmerzvoll deutlich vor Augen geführt, was Ölkonzerne, Missionare und ganz allgemein die weiße Zivilisation im Regenwald anrichtet. Und letztlich und am wichtigsten: Es gibt Möglichkeiten, sich gegen Zerstörung und Plünderung zu wehren!!
Zitat (S 225): „Ich hatte den Wald vor vielen Jahren verlassen, weil ich an die Weißen glaubte. Ich hatte ihnen vertraut, gedacht, sie seien besser als wir…Aber inzwischen wusste ich, dass sie keine Grenzen kannten, dass sie alles wollten….unsere Geschichten verändern und unser Land stehlen. Die Bohranlagen kamen unaufhaltsam näher..“
Wo Andrè Schuen und Daniel Heide auftreten, da sind die Erwartungen hochgesteckt und werden auch zu hundert Prozent erfüllt, gilt doch der Bariton als einer der besten Liedinterpreten im europäischen Raum. Und Daniel Heide ist sein steter und congenialer Begleiter am Klavier.
So war es auch in dieser Matinee. Nur mit dem Unterschied, dass Schuen ohne Romantik- Mähne und Bart auftrat. Was ihn zwar äußerlich angepasster wirken ließ, aber seiner Interpretation keinen Abbruch tat. Für diesen Vormittag im Auditorium hatte er Lieder von Brahms und Mahler ausgewählt. Eine „schwere Kost“, wie vielleicht einige meinten und fern blieben. Die aber kamen, erlebten Andrè Schuen, der diesen Liedern über Leid, Tod und über die Liebe als Siegerin in die tiefsten Tiefen des Lebens folgte. Ohne Maniriertheit und künstliche Attitüden – ehrlich und überzeugend. Sein warmer Bariton ertönte voll bis in den Bass und schwang sich hinauf ins feinste Falsett – mühelos und ungekünstelt. Daniel Heise begleitete ihn auf dieser Liedreise mit Hingabe und Einfühlungsvermögen. Man spürte in jeder Phase die Seelengleichheit der beiden Interpreten.
Johannes Brahms komponierte die „Vier ernsten Gesänge“ im Mai 1896 als Totenopfer für Clara Schumann, die im Sterben lag. Es sind einfache Lieder, die vom Sterben, dem bitteren Tod und dem Leiden derer handeln, die „keine Tröster finden“. Aber die Liebe bewirkt Linderung, sie ist größer als Glaube und Hoffnung. Geschickt und mit Gespür für die richtige Wirkung wählte Andrè Schuen danach Kompositionen Gustav Mahlers nach Texten aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ und vollführte damit eine heftige Wende – thematisch und geangstechnisch. Nun war männlicher Soldatenstolz angesagt. Stolz zieht der Jungverliebte unter tralali, tralala in den Krieg ( „Revelge“). Doch er und seine Kameraden werden nur mehr als Gebeine unter tralali, tralala sich vor dem Haus der Liebsten einfinden. Grausig, bitter und stark sang Schuen dieses Lied männlicher Verblendung! Mit dem „Lied des Verfolgten im Turm“ sang ein Mädchen gegen den Revoluzzerstolz ihres Liebsten an, der im Kerker sitzt – ein spannungsgeladener Dialog. Feinen Humor ließ Schuen im „Rheinlegendchen“ aufblitzen. Der späte Mahler klang im bitteren Lied „Zu Straßburg auf der Schanz“ an. Leise, behutsam und mit Gefühl für die Stille zwischen den Tönen öffnete Schuen das Geheimnis des wundervollen Liedes „Urlicht“. Zart verhauchte er die letzten Worte “ ein Lichtlein…..wird leuchten mir bis an das ewig selig´ Leben“. Danach nochmals Johannes Brahms mit dem Lied für Clara Schumann „Wie bist du, meine Königin“, dann ohne Pathos ruhig und schlicht „Mondenschein“ (Text Heinrich Heine), wobei sich wieder zeigte, dass Schuen keine Angst vor Süße, Sehnsuchtsseufzen und Romantik hat. Alles ist ihm echt und erfühlbar.
Begeisterte Bravorufe verlangten nach einer Zugabe- wie so oft in seinen Konzerten sang er ein Volkslied auf Ladinisch aus seiner Heimat Südtirol.
Paul Dukas: „L’apprenti sorcier“ (Der Zauberlehrling) Symphonische Dichtung für Orchester (1897)
Mögen so manche über die sogenannte Programmmusik die Nase rümpfen, an diesem Abend zeigte sich, wie vielgestaltig, spannend und aufregend sie sein kann. Goethe wusste, wie man Spannung aufbaut. zum Beispiel in der Ballade „Der Zauberlehrling“, und Paul Dukas verstand sie perfekt in Musik umzusetzten. Alles beginnt recht friedlich mit den Streichern, bis die Trompete einsetzt und der Zauberlehrling den Spruch verkündet. Mit dumpfen Rhythmen kommt der Besen zum Einsatz – bedrohlich, Die Gefahr steigert sich. der Lehrling ahnt noch nichts. Noch hüpft und gurgelt das Wasser herein, bis es zum bedrohlichen Schwall wird. Da zerhackt der Lehrling in seiner Verzweiflung den Besen, doppelt so viele Wassermassen stürzen herein, die Musik schwillt an, bis der Meister eintritt und alles beruhigt. – Bestes Beispiel, wie amüsant und lautmalend Programmmusik sein kann.
Maurice Ravel: Sonate für Violine und Klavier (1923). Violine: Renaud Capucon
Das“ Allegretto“ ist reine Wohlfühlmusik: Nach einem lieblichen Anfang übernimmt die Geige die Führung, das Orchester untermalt, man glaubt Wasser rauschen zu hören, das leise verplätschert. Im „Blues“ ändert sich die Stimmung, rascher Tempowechsel, die Geige wird heftiger, Pizzicati, manchmal witzige Dissonanzen, ein wunderbarer Dialog zwischen Flöte und Geige, Im „Perpetuum mobile“ gewinnt man den Eindruck eines davonrasenden Zuges, der Geiger geigt um sein Leben, während der Zug ins Leere rast. Atemlos, eine sehr moderne, fast heutige Komposition.
Maurice Ravel: „Tzigane“ Rhapsodie de concert für Violine und Orchester (1924)
Erinnerungen an so manche „Zigeunermusik“ in der Puszta steigen auf. Renaud Capucon als „Teufelsgeiger“ mit Rasanz und weichem Schmelz. Zitate aus bekannter „Zigeunermusik“ (der Ausdruck war zu Ravels Zeiten als Ehrentitel gemeint). Ein feingesponnener Dialog zwischen Harfe und Geige lässt kurz träumen, dann rast die Geige davon – das Tempo berauscht!
Viel Applaus für Renaud Capucon, den Dirigenten und das Orchester. Nach der Pause dann die wunderbar dirigierten und von den Tonkünstlern fein aufbereiteten:
„Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgski. Instrumentierung : Maurice Ravel 1922
Oft gehört im Radio oder auf diversen Tonträgern, aber an diesem Abend klang die Musik wie neu: Spannend, strukturiert dirigiert und gekonnt von den Tonkünstlern umgesetzt! Unter dem allseits bekannten Motiv der „Promenade“ spaziert der Komponist durch die Ausstellung seines russischen Malerfreundes Viktor Alexandrowitsch Hartmann. Die Bilder sind verschollen, doch die Musik macht sie uns lebendig! Der Rundgang beginnt mit dem Bild „Gnomus.Vivo“ – wir hören einen dumpfen, grollenden Zwerg, der zornig aufstampft. Dann spaziert der Komponist weiter zu der Traumvorstellung eines Schlosses, das sich aus dem Morgennebel hebt. Das Orchester leitet nach der Promenade über zu den verspielten Bildern aus den „Tuilerien“, um nach weiteren zwei Bildern zu den berühmen Thema der Kücken, die sich aus ihren Eierschalen herauskämpfen, nahtlos überzuleiten. Wie sehr Musik humorvoll sein kann, hört man auch in dem Streit zwischen dem reichen und dem armen Juden und dem aufgeregten Geschrei und Getratsche auf dem Markt von Limoges. Und wie eine Schocktherapie spaziert der Komponist zu dem tragischen Bild der Katakomben, um sofort wieder ins Humrvolle zu gleiten – zum Bild der watscheldnden Baba-Yaga. Machtvoll endet der Gang durch die Ausstellung mit dem Bild des „Großen Stadttores von Kiev“: Kirchenglocken schallen durch Klostergesänge – die Reise endet in Russland mit einer tiefen Verehrung für russische Musik
Ein Abend, der tief in die Seele drang. Renaud Capucon beeindruckte als „Teufelsgeiger“, und der designierte Chefdrigent der Tonkünstler Fabien Gabel lenkte die Muiker sehr präszise und mit viel Schwung durch diesen Abend. Langer Applaus und laute Bravos!!
Bis zu ihrem 21. Lebensjahr ist Johanna in der Fabrikantenfamilie Fuchs in Trier verwöhnt und in großbürgerlichem Luxus aufgewachsen. Am Tag ihrer Volljährigkeit erbt sie Haus, Hof und Garten einer Tante Lisbeth, von der sie noch nie etwas gehört hat. Zur Verwunderung aller nimmt sie das Erbe an und zieht in das (fiktive) Dorf Altenburg in der Eifel. Sie lernt Ziegen melken, Holz schneiden, Feuer machen, Garten und Blumen pflegen und – sie liebt dieses Leben immer mehr. Es verlangt von ihr Mut und Selbständigkeit. Als sie erfährt, dass sie die Tochter dieser geheimnisvollen Lisbeth, die von ihrer (ehemaligen) Familie verbannt und totgeschwiegen wurde, ist, sagt sie sich rigoros von ihrer ehemaligen Familie los und lebt nun als Tochter von Lisbeth.
Nach dem Ersten Weltkrieg sind die Zeiten in Deutschland hart, Inflation, Arbeitslosigkeit und Hungersnot herrschen überall. Die Autorin verflicht geschickt Historie und Fiktion – so erfahren wir, wie der Hass zwischen Deutschen und Franzosen das Zusammenleben erschwert, vom Aufstieg des Nationalsozialismus und vom geheimnisvollen Kampf der Separatisten, die in der Eifel einen unabhängigen Staat gründen wollen. Lisbeth wird von einem Franzosen schwanger, der jedoch von einem Franzosenhasser ermordet wird, bevor sein Kind Klara geboren wurde. Als sie auch noch Mia,das Kind einer Freundin, die bei der Geburt stirbt, aufnimmt, kämpft sie hart und unverdrossen ums Überleben. Trost findet sie in ihrer Kunst: sie töpfert und malt Szenen aus ihrem Umfeld und der Natur Die Füchsin, die in Vollmondnächten durch den Garten streift – daher der Titel – inspiriert sie ganz besonders.
Klara und Mia wachsen zusammen wie Geschwister auf. Deren Leben füllt die Seiten des 2. Bandes, der leider nicht so dicht und spannend wie der erste ist. Denn zu viele Figuren bevölkern die Szene und man verliert leicht den Überblick. Klara wird eine bekannte Opernsängerin und Mia eine tüchtige Gutshofbesitzerin.
Hoffmann säuft, das wissen wir. Er ertränkt seinen Kummer um ein Weibsbild – man kann es Stella, Olympia, Antonia oder Giulietta nennen. Aber dass er sich in die Gosse säuft, wie ein Obdachloser seine Habeligkeiten im Einkaufswagen durch die Gegend schiebt und am Boden schläft – das ist schon die erste Veränderung, die zunächst Verwunderung, später Verärgerung erregt. Der Pariser Regisseurin Marianne Clément gelingt es, aus der wunderbaren Oper mit wirklich betörend – romantischen Arien und Szenen ein ganz und gar abtörnendes Musik-Drama zu machen. Ein Drama in jeder Hinsicht. Denn dank des tollen Einfalls, aus Hoffmann einen Filmregisseur zu machen, ist Hoffmann nun nicht der Hoffmann, der leidet und deshalb säuft, sondern irgendein Hoffmann, der irgendeinenen belanglosen Film dreht.Und deshalb ist Olympia keine mechanische Puppe, sondern eine widerliche Zicke, die Hoffmann eine auf die Finger klopft, als er sie antapscht. Und Antonia stirbt nicht – obwohl Hoffmann, mit Händen wild fuchtelnd sich um Texttreue bemüht – sie geht einfach gelangweilt ab. Und Giulietta in Venedig???? Die Käfige aus Holz, in denen Hoffmann herumturnt, sollen wohl die abgefackten Paläste sein…Spiegelarie – nix da, gestrichen!
Dass der Dirigent Marc Minkowski bei diesem gedankenlosen Regiekonzept auch nicht so recht weiß, wie er die Philharmoniker dirigieren soll, ist kein Wunder. Und so spielen halt die Philharmoniker ihr Spiel herunter….
In diesem Regiechaos müssen gestandene, gute Sänger und Sängerinnen sich abmühen. Allen voran Benjamin Bernheim – sein sanfter, träumerischer Tenor ist fehl am Platz. Kate Linsey scheint es am Anfang große Schwierigkeiten zu bereiten, die Muse irgendwie in dieses irre Regiekonzept glaubwürdig hineinzuzwängen. Pudelwohl fühlt sich Kathryn Lewek in den drei Frauenrollen, die sie stimmlich auszufüllen, aber nicht auszufühlen versucht. Die meiste Zeit stehen viele Figuren herum und wissen nicht, warum und wie sie agieren sollen. Dem konfusen Regiekonzept sei Dank!! Und dem Intendanten der Festspiele sei einmal mehr die Frage gestellt: Warum nach dem Flop von „Falstaff“ im Vorjahr nun ein fast identischer Regieflop in diesem Sommer? Hat Herr Hinterhäuser nie das Regiekonzept abgefragt und nie die Proben besucht???? Oder ist ihm das Genre Oper nur insoweit ein Anliegen, als es Geld einbringt, weil vom Publikum gewünscht und geliebt. Will er dem Publikum diese Liebe austreiben? Und ist ihm vielleicht so ein Flop willkommen, um irgendwann einmal aus den Festspielen Trauerspiele zu machen?
Gesehen und durchgelitten am 13. August 2024. Am Ende lautstark die Regisseurin ausgebuht!
Wieder reitet Andrea de Carlo sein Lieblingsthema: die verkommene italienische Gesellschaft der Nichtstuer, Reichen, Politiker. Ähnlich wie in „Wenn der Wind sich dreht“ demaskiert er sie alle, wie sie am Handy kleben, am Image, an Äußerlichkeiten. Die Karriere ist alles, dafür werden – wenn notwendig – auch Menschen ermordet. Natürlich lässt man morden, alles bleibt unter der Decke des Schweigens.
Lorenzo ist ein Aussteiger, lebt in den Bergen. Die Familie, besonders Bruder Fabio und dessen Frau Nicoletta sind ihm so was von fremd. Bis er eines Tages nach Rom muss, weil der Vater, ein bekannter Virologe, gestorben ist. Zwischen Lorenzo und Fabio bricht die alte Unversöhnlichkeit auf. Fabio ist ehrgeiziger Politiker, Nicoletta ebenso ehrgeizige Politikergattin. Der Sohn ein unerzogenes Ungetüm. Loenzo macht beim Begräbnis des Vaters die Bekanntschaft mit der jungen, geheimnisvollen Mette . Bald auch mit deren Freund Jorge. Beide suchen nach einem brandgefährlichen Dokument, das im Besitz Lorenzos Vater sein soll. Es geht um die Einstellung der katholischen Kirche zur Empfängnisverhütung und gleichgeschlechtlicher Liebe. Es sollte bei einem Kongress öffentlich vorgelesen werden. Lorenzo schließt sich den beiden an, hilft bei der Suche. Doch das Dokument bleibt verschwunden. …Leider triftet die Story in eine Liebesgeschichte ab. Spannender wäre gewesen, mehr über eventuelle Folgen einer Veröffentlichung zu erfahren. Doch wie immer – interessant und flott gechrieben.
Das Motto, das zu dieser Lesung passt: „Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug“ (Arthur Schnitzler) Gleich ins volle Vergnügen mit Schnitzlers „Reigen“ – Szene der beiden Eheleute. Im Bett. Er ein Heuchler, wie er im Büchl steht. Sie, die gespielte Naive hats faustdick hinter den Ohren. Sie treibt ihn mit ihrer bohrenden Fragerei immer mehr in die Enge. Er – als letzte Rettung: „Sie ist tot!“ Gemeint ist die Freundin der Ehefrau, mit der er ein Gspusi hatte. Lügen und heucheln können beide. Beide wissen, dass der andere lügt!
Mit dem heute fast vergessenen Wiener Schriftsteller Raoul Auernheimer (1986-1948) spielt das Paar das in Wien so beliebte Klatsch und Tratsch – Spiel „Wer mit wem, wann, wie lange?“ . Die beiden richten die gesamte Gesallschaft vom Baron abwärts aus. „Ausrichten“, „tratschen“ – eine Lieblingsbeschäftigung nicht nur der Wiener!
Das Zuckerl: „Weihnachtseinkäufe“ aus „Anatol“ von Arthur Schnitzler. Beide standen in dieser Rolle schon gemeinsam auf der Bühne. Man spürt, jeder Satz, jedes Lächeln sitzt. Nicole Beutler übernimmt die Führung als „Gnädige Frau“ – zuerst ganz schön eingeschnappt, um nicht zu sagen aggressiv beleidigt. Dann wehmütig. Anatol in feiner Ironie verfolgt den Stimmungswechsel bis hin zur leisen Wehmut auf beiden Seiten. Da klingen Töne an, die wir im Publikum kennen und lieben: Man könnte den beiden noch lange zuhören. Vielleicht hätte sie doch ….vielleicht er früher doch—alles bleibt in Schwebe. Was für ein feines Kammerspiel! (Wer den aktuellen „Anatol“ in Reichenau erlebt hat, der wird diese Szene doppelt schätzen und genießen!)
Köstlich Joseph Lorenz als vor Schmalz triefender Steiger ohne Erfolgschancen in Auernheimers „Eine mondäne Frau“.
Das furiose Finale: Schnitzler Dramolett „Halb zwei Uhr“ – sie eine lästige Zicke, die die Geduld des Liebhabers aufs schärfste strapaziert – er ein geduldiger Trottel.
Unterm Strich: Liebe ist auch nur ein Wort – aber ein Motor und eine Entschuldigung für Vieles! Für Heuchelei, Lüge, Aggression, Spiel und noch einmal Spiel! Am Ende fragt man sich: Was haben nur alle mit dem überstrapazierten Begriff „Liebe“?
Mit dem richtigen Schuss an Ironie und Witz gespielt, boten beide ein Kammerschauspiel zum Thema: Wie wir uns selbst belügen und dem anderen ein Ich vorspielen, das es so nicht gibt
Ein Sommernachmittag am Semmering, wie bestellt – von der Wiese weht ein zart-bitterer Kräuterduft, die Sicht ist klar. Man trinkt, tratscht und nichts deutet darauf hin, dass ein Großereignis bevorsteht. Nein -kein Gewitter, aber Blitze dennoch. Die schleudert Joseph Lorenz in verschiedenster Dichte aufs verdutzte Publikum herab . Gerade aufs Podium gesprungen, dreht er sich um, als suchte er einen Kollegen…- ist er da oder ist die Luft rein? Dreht er sich um und schon ist er der Zauberlehrling, der feststellt, dass der Meister nicht da ist, dass er frei Haus hat. Der Lehrling jubiliert, befiehlt dem Besen, bis ihn die schiere Verzweiflung überkommt und er den verflixten Besen mit einer Axt entzwei haut, ja haut, mit Wucht. In der Sekunde ist er der Meister, der mit genialer Geste die Materie beruhigt.
Das ist Lorenz – jede Figur lebt, nix da mit Herunterlesen. Er sprüht vor Wut, er zischt vor Eifer und Sucht, er turtelt wie ein Täuberich, er schleicht wie die Schnecke, er fiepst wie Mäuse, er knurrt, krächzt wie der Rabe, er grinst als Bösewicht, er triumphiert als siegreicher Held und wirft der Dame den Handschuh vor die Füße, er ist der greise Sänger, der den herzharten König und sein Schloss verflucht, er ist der betrunkene Phäake, der alles in sich hineinfrißt, er ist Francois Villon, der angespien und verehrt wird, er ist die Flamme, die endlich, endlich frei ist und mit Feuereifer alles zerstört.
Sie fragen sich gerade, was das war – Theater, Zirkus mit Tierakrobatik? Ja auch, aber dennoch immer und immer Balladen -quasi kleine Miniskatches, Mindramen, wo eine Person alle Mitwirkenden spielt. Ja spielt, nicht liest. Einige Balladen sind bekannt, wie „Der Zauberlehrling“, „Der Erlkönig“ oder „Die Bürgschaft“. Neu und vollkommen anders aber Balladen, in denen Tiere die Hauptakteure sind – etwa von Christian Morgenstern, „Gespräch einer Hausschnecke“ – haben Sie schon einmal erlebt, wie sich ein Mensch – ein Schauspieler – in eine Schnecke verwandelt? Eine, die überlegt, ob sie ihr Haus verlassen soll oder nicht? Haben Sie schon einmal erlebt, wie ein Schauspieler zum drohenden Raben wird (Edgar Allan Poe, Der Rabe) oder zum gurrenden Täuberich (Goethe, Adler und Taube)? Oder wie sich ein Schauspieler in eine Flamme verwandelt, die mit verheerender Lust alles in Brand setzt? (Christian Morgenstern, Traum einer Kerzenflamme im Schlafzimmer). Klar, dass das Publikum nach einer Zugabe rief. – Sie war kurz und wirksam: Ernst Jandl, Chanson. Ein Wortkunstkauderwelsch!!
Jedes Jahr kommen in Grafenegg junge Profi-Musiker aus aller Welt zusammen, um eine neue Art des Musizierens zu erproben. In großer Freiheit und mit kraftvollem Einsatz schaffen sie die Brücke zwischen älterem und neuem Repertoire.
Im Schlosshof hörte man Unerhörtes: Nach den flotten „Rheinischen Kirmestänzen“ von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) wagte sich das Bläserensemble an „Burdocks“ („Kletten“) von Christian Wolff (1970/71) – eine Musik mit Widerhaken – daher der Name. Spannend aufbereitet: Die Musiker waren auf drei Ecken des Schlosshofes aufgeteilt, das Klavier stand im ersten Stock des Schlosses und war nur durch das geöffnete Fenster zu hören. Die Musiker spielten ohne Dirigenten und hatten wenig, bis keinen Blickkontakt. Für die Zuhörer spannend anzuschauen und anzuhören, wie sich die musikalischen Dialoge dennoch präszise entwickelten. Danach folgte als Kontrastprogramm zwei Liebesbezeugungen an Frauen: Das Adagietto aus der 5. Symphonie von Gustav Mahler. Unter dem einfühlsamen Dirigat von Jonathan Bloxham entwickelte sich diese in die Tiefe der Seele wirkende Musik und blühte auf.Man spürte die Liebe Gustav Mahlers zu seiner Alma in jedem Ton. Ähnlich auch in der Musik Richard Wagners: „Siegfried-Idylle“ (1870), das er seiner Frau nach der Geburt des Sohnes widmete.
Ein Spaziergang durch den von der Abendsonne beleuchteten Park war willkommen. Denn nach dem intensiven Erlebnis im Schlosshof brauchte es Zeit, um sich auf Neues einzustellen.
Colin Currie, Foto: Silvia Matras
Wieder leitete Jonathan Bloxham das Grafenegg Adademy Orchester. Zuerst „leichte Kost“: Anton Weberns Bearbeitung von Bachs „Musikalischem Opfer“ (Fuga 2, Ricercata). Neugierig war man auf Andew Normans „Switch“ Konzert für Schlagwerk und Orchester (2016). Was der Schlagzeuger Colin Currie rein körperlich leistete, war schier unglaublich: Er spang zwischen den am Bühnenrand sehr präsent aufgestellten diversen Schlagzeuginstrumenten wild hin und her, verfehlte dennoch keinen einzigen Einatz. Er war die Musik, das Konzert. Was Norman hier komponierte, war tatsächlich ein Switchen – ein Wischen -zwischen Filmmusik, Hüpf- und Springspiel, Theater und Artistik. Tosender Applaus für Dirigent, Colin Currie und das Orchester. Zur Beruhigung folgte Johann Brahms Bearbeitung von Haydn-Variationen und als Abschluss eine Hommage an Schönberg: Kammersymphonie Nr.1, sehr schwungvoll und tänzerisch.
Lewinsky, wie immer geschichtlich bestens informiert und ein eifriger Recherchierer. schildert in diesem fast tausend Seiten langen Roman die Geschichte einer jüdischen Familie. In fünf Generationen beschreibt er, 1871 beginnend, das Schicksal der Meijers bis 1945. Immer wenn die Geschichte eine bedrohliche WEndung nimmt, erscheint „Onkel Melnitz“ als Warner. Den Meijers geht es darum, „echte“ Schweizer Bürger mit allen Rechten und voller Anerkennung zu werden. So wird der schlaue Janki Tuchhändler, ein anderer Arzt, aber das Hindernis können sie nicht überwinden, das Hindernis heißt: jüdische Abstammung. Der Antisemitismus hat sich auch in der so liberalen Schweiz nicht ausrotten lassen, so Charles Lewinskys Meinung.
Im Stil knüpft Lewinsky an große Erzählklassiker an. Man fühlt sich beim Lesen an Gottfried Keller, auch an Goethe oder bisweilen an Stifter erinnert. Lewinsky ist in diesem Roman ein Mahner, allerdings ohne warnend erhobenen Zeigefinger. Er erzählt auch den Schrecken mit Humor, das ist seine Stärke. Die Frage ist allerdings: Wie viele Leser gibt es, die Zeit und Geduld aufbringen und sich tausend Seiten „hineinziehen“?
Ein wunderbarer, leichter Sommerroman:. Benno führt den großen Erbhof seiner Eltern in der Lüneburger Haide als „Lebenshof“ für alte und kranke Tiere, wo sie in Ruhe ihren Lebensabend genießen können. Leider hat sich im Laufe der Jahre ein riesiger Schuldenberg angehäuft und es droht Zwangsräumung oder Verkauf. Obwohl Benno ein Einsamkeit liebender Brummbär ist, entschließt er sich, das Nachbarhaus zu vermieten. Als Mieterin schneit Thea herein. Sie kommt in einem alten Camper und mit zwei Ziegen aus Portugal angereist und wirbelt nun das Leben Bennos ordentlich durcheinander, was ihm zunächst so gar nicht recht ist. Doch durch ihre fröhliche und hilfbereite Art gewinnt sie ihn bald für sich, und miteiander kämpfen sie um den Erhalt des Hofes. Zu dem Duo gesellt sich die im Wald gestrandete Juli zu. Sie hat sich beim Wandern den Fuß verletzt und muss, darf und will gerne bleiben. Dass sie sich dann auch noch in Hannes, den strammen Helfer, verliebt, ist ein weiterer Grund für sie zu bleiben. Die Schulden sind riesig, und es scheint, dass alle Bemühungen nicht fruchten. Bis Juli die zündende Idee hat……
Ein liebenswerter Roman über Menschen, die sich begeistert für ein an sich aussichtsloses Projekt engagieren. Die Birkenlandschaft des Moors und der nahe Wald bieten den romantischen Rahmen. Liebevoll beschreibt die Autorin die Tiere, die mit den Menschen im vertraulichen Umgang leben. Ein Roman fürs Herz!
Loriot zieht immer, Senta Berger zieht immer, Friedrich von Thun zieht immer. Da kann eigentlich nichts schiefgehen. Ein wenig schon. Gelesen haben die beiden blitzgescheit und amüsant, aber nach jeder, auch nur kurzen Szene, spielte Maria Reiter auf dem Akkordeon eine eben so lange, wenn auch heiter-witzige Melodie. Manches davon kannte man, vieles nicht. Aber man wartete ungeduldig, dass wieder die beiden Interpreten ans Wort kamen. Weniger Musik wäre mehr gewesen.
Das Programm wurde eigens für dieses Festival zusammengestellt. Die Mischung zwischen bekannten Eheszenen – „Das Ei ist hart“ – und Seitenhieben auf deutsche Politik und Medien war perfekt. Besonders die Eheszenen erinnerten so manche Zuhörer an eigene eingefahrene Rituale, die nerven. Etwa, wenn die Hausfrau es nicht aushält, den Ehemann untätig im Fauteuil sitzen zu sehen, während sie hysterisch putzt oder so tut als ob. Gewohnheiten sind gut und erleichtern den Alltag, aber sie können zur Plage werden, wie etwa die Fixierung auf das Fernsehen. Auch wenn das Kastel gerade stumm und kaputt ist, sehen die beiden unentwegt hin. Abhängigkeiten…. „Wieso ist das Ei hart?“ klagt der Ehemann, und schon reagiert sie beleidigt: „Ich bin kein Huhn!“ Überhaupt ist „Sie“ bei Loriot eine richtige Zicke, was Senta Berger ladylike hinüberbringt. Thun schmunzelt in sich hinein und amüsiert sich in der Rolle als geduldiger, aber knapp vor dem Überkochen seiender Ehemann. Oder als verblödeter Hasenbrüter., der sich brüstet, die Ostereier „handgebrütet“ zu produzieren. Aberwitz über Aberwitz, wenn Frau Dr. Lindemann im Fernsehen darüber spricht, ob und wie Hunde fernsehen sollen. Da dreht Senta Berger kräftig auf! Als Abpfiff gabs Kunstpfeifen im Duett!
Nestroy: Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt
Regie: Robert Meyer, Bühne und Kostüme: Christof Cremer, Musik: Helmut Thomas Stippich.
Ein Krach, ein Donner, ein Blitz – effektvoller hätte man die Festspiele Reichenau nicht eröffnen können – wir befinden uns im Geisterreich. Dort soll Recht gesprochen werden. Nestroy, der große Widerstandsgeist und Satiriker, beginnt mit einer Szene aus dem Feenreich, wie es damals, in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts überaus beliebt war, und parodiert diese gekonnt nach Strich und Faden. Da herrscht, wie es sich im Götter- und Geisterreich gehört, der Feenkönig Stellaris (eindrucksvoll parodiert von Franz Xaver Zach), Fortuna, Beherrscherin des Glücks (Brigitta Kren mit Mut zur Selbstverleugnung), teilt stilgerecht aus ihrem winzigen Füllhorn ein paar Goldflinserln über diverse Häupter und glaubt nicht so recht an deren Wirkungskraft. Amorosa (Veronika Glatzner) huscht als Fee der wahren Liebe über die Bühne. Eigentlich geht es um eine Wette zwischen dem „Herrn“ des Feenreiches und dem bösen Geist Lumpazivagabundus (großartig Sebastian Wendelin in der Maske eines Mephisto) Die guten Geister glauben an die Wandlungsfähigkeit des Menschen, wenn er nur mit genug Glück, sprich Geld, gesegnet wird. Lumpazivagabundus hingegen ist Realist und daher Skeptiker. Ob er gewinnen wird? Die Probe aufs Exempel soll an drei liederlichen Gesellen statuiert werden. (Goethe lässt grüßen!)
Und da sind sie schon, die Drei, alle Verlorene, Versoffene: Der Tischlergeselle Leim (Thomas Frank), aus verloren geglaubter Liebe kreuzunglücklich, der Schneidergeselle Zwirn (Florian Carove), den seine Gspusis mit den Frauen in den Ruin trieben, und der Schustergesell Knieriem (Robert Meyer), der die Welt im Untergang sieht. Hoffnungslos, aber keineswegs mutlos. Sie saufen, was das Zeug hält, singen sich die Welt rund und schön. Verschleudern den Lottogewinn, bis auf Leim.
Nur Knieriem ist ein wenig anders – er ist in seiner Hinfälligkeit ein Verlorener, ein tief Verzweifelter. Robert Meyer ist Knieriem in persona.! Ein Stiller, der seine Bedürftigkeit hinter dem Bierglasl versteckt. Der weiß, es gibt für ihn kein Entrinnen, denn die Welt wird untergehen. Der Komet wird sicher kommen! Er brüllt nicht, wie die beiden anderen. Leise bittet er um ein größeres Schnapsglas, so ein kleines tuts nicht. Seine Verlorenheit rührt. Die anderen beiden sind laute Polterer, manchmal etwas zu laut.
Ein gelungener Nestroy, dank Meyers behutsamer Regie, die mit kleinen Mitteln Großes Theater erwirkt: Etwa durch die Einführung des bösen Geistes alias Lumpazivagabundus, alias Mephisto, der die Drei im HIntergrund mit pantomimischer Häme belauert.
Oder durch die gekonnte Führung der Frauenfiguren, die es in diesem Stück nicht leicht haben. Sie haben ja nichts zu reden in dieser Mänerwelt. Aber sie setzen Akzente: Veronika Glatzner als Amorosa, Kellnerin Sepherl und als Camilla zeigt ihre Wandlungsfähigkeit. Ebenso Brigitte Kren einmal als Fortuna, dann nicht wiederzuerkennen als Haushälterin oder als Signora Palpiti. Elisabeth Schwarz brilliert in kleinen Rollen als Amorosa, Tochter Pepi und Tochter Laura. Sie schwirren in Kostümen, die manchmal an Biene Maja erinnern, über die Bühne. Christof Cremer ist für die bunte Schar und für das schnell zu verwandelnde Bühnenbild verantwortlich! Die drei Musikanten Helmut Thomas Stippich auf der Schrammelharmonika, Maria Stippich mit der Kontragitarre und David Stippich mit dem „Picksüßem Hölz´l“ sorgen für den typischen Nestroysound. Wie´s aussieht könnte dieser Nestroy zum Publikumshit werden!
Unterkunftstipp: Zum Beispiel Parkhotel Hirschwang http://www.parkhotelhirschwang.at) mit großem Park, einer schönen Frühstücksterrasse. Gratisshuttlebus nach Reichenau und Semmering zu den diversen Verantaltungen.
TAG 2: Schnitzler, Anatol
Regie: Michael Gampe, Bühne: Alexandra Burgstaller, Kostüme: Erika Navas, Musik: Anna Starzinger
Es beginnt düster und schwermütig und es bleibt düster und schwermütig. Die kaum vorhandene Bühnendekoration unterstreicht noch die melancholische Grundidee: auf schwarzglänzendem Boden spiegeln sich die Figuren und versickern im Schwarzen. Begonnen und begleitet wird der Abend mit schwermütiger Cellomusik.
Foto:Lola Jodlbauer
Die Schauspieler haben es schwer,, besonders Anatol (Anton Widauer). Sie kämpfen gegen Bilder und Erinnerungen an große Schauspieler, die diese Rollen verkörperten. Man glaubt Anton Widauer nicht die Erfahrungen eines Anatol. Wie soll er gegen seine Vorgänger ankämpfen? Das gilt auch für Max (Claudius von Stolzmann). Zwischen den beiden fehlt das amüsante, intelligente Gedankenpingpong. Max ist kein Widerpart und zu wenig korrektiver Kumpel. Das gilt auch für die einzelnen Szenen mit Anatols Eroberungen – ganz besonders für die berühmten „Weihnachtseinkäufe“, die ikonische Szene des Dramas. Johanna Arrouas ist eine elegante, schöne Frau aus der Upperclass und sie bemüht sich wirklich, den dekadenten Hauch von Verzicht auf eine uneingestandene Liebe hinüberzubringen. Doch zwischen ihr und Anatol ist nur Text, kein Hauch von Erotik. Naomi Kneip könnte als Bianca gute Figur machen, würde sie nur etwas weniger rauhbeinig daherkommen. Am ehesten treffen Anna (Paula Nocker) und Anatol den Schnitzlerschen Subtext: Da kämpfen zwei junge Leute um den Sieg – wer den anderen früher und treffender verletzen kann. Das hat Realität und Witz. Bleibt noch der unbestimmte Abgang der verheirateten Else (Miriam Fussenegger): Beide haben sich nichts mehr zu sagen und sprechen Sprechblasen von „großer Liebe“. Frustriert verlässt sie ihn, frustriert sieht er ihr nach.
3. Tag: Thomas Bernhard, Der Ignorant und der Wahnsinnige
Regie: Hermann Beil, Bühne und Kostüme: Christof Cremer
Alle Fotos: Lola Jodlbauer
Thomas Bernhard feiert in dem Stück alles ab, von der Kunst im Allgmeinen, vom Theater und der Oper im Besonderen. Journalisten, Ärzte, Schauspieler, Sänger und Publikum – sie alle bekommen ihr Fett weg. An diesem Abend gelang der Rundumschlag besonders gut:
Stefan Jürgens als Doktor ist in seinem Element – bravourös laviert er durch die Tiraden, genießt die detaillierte Erklärung einer Hirnoperation. Dazwischen grummelt der blinde Vater (Martin Schwab), schimpft auf seine unpünktliche Tochter. Nur der Griff zur Flasche rettet ihn vor der Verzweiflung. Blind, doch ohne blindes Vertrauen auf die Tochter. Was Martin Schwab aus dieser fast stummen Säuferrolle macht, ist beeindruckend. Mit nur wenigen, seiner Blindheit geschuldeten unsicheren Gesten und einer sparsam eingesetzten Mimik bringt er die Leere und Hoffnungslosigkeit seines Lebens zum Ausdrück.
Alles ist auf die Tochter ausgerichtet, sie ist die Stimmmaschine, sein Motor. Immer wieder die Angst, sie könnte versagen. Wie dem Tag, dem Leben noch einen Sinn geben? Wie die Gewohnheit, von Auftritt zu Auftritt mitzureisen abzulegen und die Tochter „ziehen zu lassen“, wie die Angst vor dem Versagen zu unterdrücken? Wird die Wahnsinnskoloraturarie der Königin der Nacht auch zum 222. Mal gelingen? Julie Stemberger ist eine großartige Diva mit all den einer Diva zugeschriebenen Zicken: Sie ist nicht nur die Königin auf der Bühne, sondern auch und das besonders in der Garderobe. Da entstehen pantomimisch humorgeladene Theaterszenen zwischen ihr und der ihr hündisch ergebenen Frau Vargo (Therese Affolter). Deren Geduld und stumme Ergebenheit wird auf die härteste Probe gestellt, muss sie doch immer wieder unter den Arm der Königin kriechen und die mutwillig aufgerissene Naht zusammenflicken -s. Foto oben. Aus solch scheinbar bedeutungslosen Szenen entsteht Theater!
Schritt für Schritt verwandelt sich die Tochter zur Königin und tritt machtbewusst vor ihr Publikum! Sie wird singen, sie wird das Publkum mitreißen. Um dann noch im Siegesrausch mit ihrem Dauerbewunderer und dem Vater in den“ Drei Husaren“ zu dinieren. Ab nun gehört die Szene nur ihr, die beiden Männer werden Nebenfiguren. Dann plötzlich, scheinbar unvorbereitet, diktiert sie dem ihr treu ergebenen Kellner (Dirk Nocker) eine Absage nach der anderern. Der Glaube an Perfektion bricht zusammen – Absturz und totale Erschöpfung sind das Ergebnis einer langen, qualvollen Sängerkarriere. Thomas Bernhard schrieb das schonungsloseste Theaterstück über das Theater, die erbarmungslose Maschinerie, die aus Menschen Automaten macht. Grandioser Text – grandios gespielt.
Regie: Maria Happel, Bühne: Alexandra Burgstaller, Kostüme: Erika Navas, Licht: Lukas Kaltenbäck
Es war ein Theatereignis! Man bekam den Glauben an das Theater zurück! Dank der werktreuen und einfühlsamen Regie von Maria Happel und des bis zur kleinsten Rolle gut besetzten und exzellent spielenden Ensembles sah man einen Abend, an dem Horvath und nur Horvath gespielt wurde. Mätzchenfrei, ohne Regieverkrümmungen, ganz nah am Text! Die Bühne ist fast leer, eine Bank, eine Stellwerk und im Hintergrund eine Hausfassade, die das Bahnwärterhaus, dann das Wirtshaus ist. Die Kostüme sind zeitlos, aber in die Zeit der 30er Jahre passend.
Anna (Johanna Mahaffy) und Thomas (Daniel jesch)
Es begann alles mit einem verhängnisvollen Kuss: Anna ist jung, stürmisch übermütig. Der in sich gekehrte, verschlossene Thomas Hudetz versieht seinen Dienst als Stationsvorstand mit großem Ernst. Zu ernst -findet Anna, Deshalb küsst sie ihn gegen seinen Willen. Vom Fenster oben sieht seine verhärmte Frau zu. Wegen dieses Kusses vergißt Thomas das Signal für den Schnellzug umzustellen ,und es geschieht ein verheerendes Unglück. Man beklagt viele Tote und Verwundete. Thomas ist sich seiner Schuld bewußt, leugnet aber sein Vergehen.
Wer ist schuld, fragt Horvath, präszise in die Seelen aller Beteiligten hineinleuchtend. Um dieses Ausleuchten geht es. Um das Sich zur Schuld Bekennen. Schuld ist vielschichtig – Anna hat das Unglück ausgelöst, leistet einen Meineid vor Gericht. Johanna Mahaffy spielt das quirlige, kokette Mädchen genauso überzeugend, wie die Verzweifelte, die mit ihrer Schuld nicht fertig wird. Großartig die Szene, in der sie Thomas ihre Qualen schildert. Im neuerlichen Kuss verbindet die beiden nicht Lust oder Leidenschaft, sondern Leid und Todeswunsch . Eros und Thanatos – gefasst in der beklemmenden Szene unter dem Viadukt. Gespenstisch gefangen im Lichtkreis der Schuld. Minuten später wird Thomas sie töten. Es sind die ersten Regungen, die dieser, nur sich auf die Pflicht berufende Mann zeigt. (Gut gespielt von Daniel Jesch). Weiter geht das Karussell der Meinungen und Vorverurteilungen: Der vor Gericht frei Gesprochene wird als Held gefeiert, seine Frau, die vor Gericht die Wahrheit sagte, der aber nicht geglaubt wurde, wird als alte, eifersüchtige Hexe beschimpft. Mercedes Echerer spielt diese glück- und lieblose Frau mit viel Überzeugungskraft! Gerüchte werden weiter geschürt – großartig Dunja Sowinetz als Frau Leimgruber, die Giftspritze des Dorfess. Sie und alle Dorfbewohner sind letztendlich auch mitschuldig geworden.
Typisch für Horvath: Die Schlussszene! Das Jenseits meldet sich, möchte Thomas hinüberlocken. Der ist schon bereit, vom Viadukt in die Tiefe zu springen. Doch ein leiser Hauch, vielleicht die warnende Stimme Annas, hält ihn zurück. Er wird sich stellen.
Es verblüfft, wie aktuell dieses Drama ist. Rasch wird jemand verurteilt, rasch wird jemand bejubelt, Einst sorgte eine Frau Leimgruber für Vorverurteilungen, heute geschieht das noch viel wirksamer in den „Sozialen Medien“. Und „Pflichtbewusstsein“ ist relativ, galt und gilt immer wieder als Legitimation für so manche Verbrechen.
Jubelnder Applaus für alle Darsteller und das Team!
Die Puppenspieler: Soffi Povo, Markus Peter Gössler, Manuela Linshalm. Regie: Simon Meusburger. Musik: Markus – Peter Gössler. Puppen: Soffi Povo. Kostüm: Lisa Zingerle
Unter dem Motto „Tu felix Austria spaziere!“ hat sich das Schuberttheaterensemble den Habsburgern verschrieben. „“Die Familie“ ist zurück und hält unseren Geist gefangen -überall sehen wir nur noch Habsburger!“ heiißt es auf dem Programmzettel. Dass dieser besagte Geist noch lange herumgeistern möge, wünscht sich das Publikum. Denn diese Spaziergänge – wie überhaupt die ganze Habsburg-Trilogie – sind einfach ein Hit. Man möchte diese verqueren Habsburger noch öfter sehen. Hoffentlich gibt es im Herbst weitere Habsburg-Geschichten.
Start ist im Hof des Theaters. Der Haushofmeister der „Kaiserein“ Maria Theresia übt mit dem Publikum das richtige Benehmen für die Audienz. Funktioniert ganz gut, die Männer verbeugen sich, die Damen versuchen einen kratzfüßigen Hofknicks. Doch Ihre Majestät ist grantig und hungrig und gibt keine Audienz. Sie bestellt ein Riesenfrühstück, vor allem stehen ihr Sinn und Magen nach Fleich. Also auf zum nächsten Würstelstand. Dort wartet schon Rosa, die berühmte Würstelfrau mit Herz und Verstand. Sie parliert angeregt mit dem Haushofmeister über die Qualität ihrer Kaiserkrainer, bis ihr ein ziemlich toter Kronprinz Rudolf in die Quere kommt und über die Verderbtheit des Adels herzieht.
Die Karawane zieht weiter in den Wald, wo das Pubikum die tragische Liebesgeschichte zwischen dem Kronprinz und Mary Vetsera erfährt. Sie ist schwer verliebt in ihn und singt frei heraus: „Die Gonorrhoe ist mir wurscht“. Doch statt Liebe lauert der Tod: Rudolf schleicht sich von hinten mit der Pistole an – aber der allgegenwärtige Haushofmeister verjagt ihn: „Bitte nicht hier, ganz Wien ist eine Waffenverbotszone!“
Die Karawane zieht weiter – bis zur 1. Psychiatrischen Klinik, wo Sissi oder Sisi und Kaiser Franz Josef streiten, wer jetzt an dem Selbstmord Rudolfs Schuld hat. Da stehen nun Ihre Majestäten, sie ein Schnabeltier, er ein Hirsch von Gottes Gnaden. Trauer fühlen sie nicht. Verständnis für Rudolf hatten beide nicht – weder die immer abwesende Mutter noch der ablehnende Vater! Kritik an den ganzen Habsburgern und ihrem ziemlich vermurksten Regierungsstil übt am Schluss der Geist des Kaisers Maximilian I. – er erscheint als Vampir und singt den Abgesang auf die Monarchie: „Wer braucht die Monarchie?“ und noch kräftiger: „I scheiß auf die Monarchie!“
Ein pures Vergnügen! Wer unbedingt einen ernsten Hintergrund dahinter finden will – dann vielleicht in der „Sozialkritik“, die hin und wieder durchblitzt. Aber grad soviel, dass der arme Moralist „a Ruh hat“.
Festliche Stimmung, man spürte die Spannung: Wird das Wetter halten? Vorausgesagt waren Gewitter, die knapp den Rand von Grafenegg streifen würden. So war es dann auch: Gleich zu Beginn des Konzertes fielen zehn Tropfen, gerade genug, dass im Publikum ein Rascheln war, Regenpelarinen wurden übergezogen.
Aber die Sopranistin Regula Mühlemann ließ sich in ihrer vor jugendlicher Lebensfreude strotzenden Arie als Juliette („Je veux vivre“ – Arie aus der Oper „Roméo et Juliette“ von Charles Gounod) nicht stören. Durch ihren wunderbaren Sopran, der in der Höhe genau so leicht klang wie in der Mittellage eroberte sie schnell die Herzen des Publikums. Ganz bezaubernd erklang ihr Lied der „Nachtigall“ von Alexander Alabieff. Hätten Nachtigallen In den Bäumen geschlummert, wären sie erwacht und hätten mit ihr ein Duett gesungen. Die Flöte ersetzte glaubhaft deren Gesang. Bezaubernd erklang ihre Stimme vom oberen Wiesenrand über die Köpfe der Zuhörer hinweg, als sie den Kusswalzer „Il bacio“ von Luigi Arditi sang. Ihr Roméo war Pene Pati, ein Tenor aus Samoa. Berührend sangen beide das bekannte „Nachtigall-Lerchenduett“. Als Macduff ( Verdi, Macbeth) in der Arie „Ah, la paterna mano“ wirkte Pati sehr authentisch. Witzig und unterhaltsam war seine gesungene Geschichte aus Samoa, wo die Tradition der Rhapsoden hoch gehalten wird..
Die Überraschung des Abends war der aus Litauen stammende Akkordeonist Martinas Levickis. Die Carmen-Suite von George Bizet, in der das Akkordeon wie eine Singstimme klang, hatte man so sicher noch nie gehört.
Unter der zierlichen, temperamentvollen Dirigentin Marta Gardolinska wurde jedes einzelne Stück ein Solitär in dem bunten Programmstrauß. Wie immer auf höchstem Niveau spielte das Tonkünstler Orchester Niederösterreich. Das Publikum honorierte die Qualität der Darbietungen mit viel Applaus. Wie es gute, alte Tradition ist, klang die Sommernachtsgala mit dem „Marsch Nr. 1“ von Edgar Elgar aus.
Kompositionen: Max Bruch-Kol Nidrei. Camille Saint-Saens – Konzert für Violoncello und Orchester Nr.1. Ludwig van Beethoven: Eroica
„Kol Nidrei“ von Max Bruch basiert auf dem jüdischen Gebet, das am Vorabend des Jom Kipurfestes gebetet wird. Obwohl Max Bruch Protestant war, war er mit jüdischen Gebräuchen vertraut. Der erste Teil ist ein Bußgesang, im zweiten verwendet er Lord Byrons Hymne „Oh Weep for Those that Wept on Babel´s Stream“. Raphaela Gromes gilt als eine der bedeutendsten Cellistinnen der Gegenwart. Ihr Spiel auf einem Cello von Carlo Bergonzi ist weich, innig, voller Wärme. Sie taucht in das Gebet tief ein. Julian Rachlin dirigiert das Wiener Kammerorchester feinsinnig, legt einen lyrisch-innigen Teppich unter das Spiel der Cellistin.
Das „Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1″ gehört zu den am häufigst gespielten Kompositionen von Camille Saint-Saens. Gleich zu Beginn wird das Cello ziemlich gefordert. Rasche Wechsel im Tempo, Marsch, Scherzi, dann wieder schlichter „Gesang“. All das verlangt virtuoses Spiel, das Raphaela Gomes meisterhaft beherrscht. Als Zugabe spielte sie das Gebet um Frieden von der ukrainischen Komponistin Hanna Hawrylez „Prayer“. Begleitet von den Celli des Orchesters entwickelte sich ein inniges Gebet mit den immer gleichen Gebetsformeln. Das war wohl einer der Höhepunkte des Abends. Lange Stille, bevor das Publikum applaudierte und Gomes aus der Tiefe dieser Musik zurück in die Wirklichkeit kam.
fOTO. : Dan Porges Getty Images
Beethovens „Eroica“ ist eine sichere Erfolgsnummer in Konzertgeschehen. Für jeden Dirigenten eine große Herausforderung. Julian Rachlin führte das Orchester mit sicherer Hand durch die Höhen und Tiefen Beethovens. Vom Triumph Napoleons hin zum Trauermarsch, die Klage über den Heroen, der sich selbst zum Herrscher krönte. Kriegsgetöse neben Friedenswunsch.
Die thematische Klammer dieses Abends war: Wunsch nach Frieden, vom Publikum dankbar und hefftig akklamiert.
Die Notenständer der Musiker sind mit Zeitungsfetzen, vielleicht auch Kleiderresten bestückt. Kopatchinkskaja betritt wie immer vom Publikum aus die Bühne, spielt ein wenig mit den Musikern, die noch im Begiff sind, ihren angestammten Platz zu verlassen und im Kreis gehend einen anderen einzunehmen. Das ist Ritual bei Aufführungen mit Kopatchinskaja, die dafür bekannt und vom Publikum geliebt wird, dass sie die traditionelle Form eines Konzertes auflöst.
Sie trägt das traditionelle Pierrot-Kostum und ihr Gesicht ist weiß geschminkt, die Augen schwarz umrandet. Sie wirkt wie ein verlorenes Kind. Doch gleich wird sie zum zornigen Kind, stampft mit den Füßen, gestikuliert wild mit den Armen und schreit, krächzt und grunzt – ja auch diese Töne sind zu hören. Es sind dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds „Pierrot lunaire“ op.21, die Arnold Schönberg vertonte. Diese Vertonung wird allgemein als Schlüsselwerk der musikalischen Moderne angesehen und verursachte bei der Uraufführung 1913 in Prag einen heftigen Konzertskandal. So heftig waren die Reaktionen, dass Schönberg für jede folgende Aufführung eine Zusicherung für störungsfreies Musizieren forderte. Die Kritiken waren heftig, spöttisch bis verletzend. Die wenigen positiiven lobten den Mut der Pierrotdarstellerin Albertine Zehme und ihre eigenwillige Rezitation.
Nun, Skandale gibt es heute nicht mehr. Denn Schönbergs Musik – hier noch nicht atonal – und die Interpretin Kopatchinskaja haben ihre unbestrittene Position im Musikleben. Dennoch: Ich konnte von dem Text kaum etwas verstehen, gerade hin und wieder Wortfetzen. So konnte ich daher nicht nachvollziehen, warum sie fast die Sprachcontenance verliert. Die Musik Schönbergs ging irgendwie bei diesem Artikulationsspektakel unter. „Die Interpretaton der irrealen Pierrotfigur entzieht sich einer gängigen Verstehensroutine“ heißt es im Programmheft. Gut, aber wenn ich nur irrwitzige Laute vernehme ohne auch nur den geringsten Anhaltspunkt, warum gerade geschrien, gekreischt wird, dann fehlt mir der Zugang. Nicht aber das Publikum – ein Teil brach in Begeisterungsapplaus aus.
Den Abend retteten die Zwischenstücke, die Kopatchinskaja unter dem Künstlernamen PatKop komponierte. Da konnten die sechs fantastischen Musiker richtig brillieren.
Elisabeth-Joe Harriet ist Olga Schnitzler und schrieb dieses Konversationsstück. Florian Sedivy spielt Hugo von Hofmannsthal
Eine wahre Wohltat war dieser Abend! Nach einigen ziemlich unverdaulichen Theatervorstellungen aus dem Wiener Festspielwochenzirkus nun endlich ein Abend, den man voll und ganz genießen konnte. Die Sprache beider Darsteller klar und fein differenziert, verstehbar bis in die letzten Reihen. Das Spiel ohne Klamauk, ohne modische Themensetzung – die Lage ist klar:
Elisabeth-Joe Harriet ist voll und ganz in der Rolle der Grande Dame Olga Schnitzler und plaudert auf hohem Niveau mit Hugo von Hofmannsthal über sein Leben. Florian Sedivy und die Fotografie des Dichters im Hintergrund verschmelzen ineinander. Jede Geste ist glaubwürdig. Die Kulturszene um 1900 und das „Junge Wien“ sind beiden aus intensiven Recherchen und vielen anderen Veranstaltungen vertraut.
Es ist, als hörte ich dieses Kammerspiel zwischen zwei Personen aus einer vertrauten Vergangenheit zum ersten Mal, so frisch und fast extemporiert wirken die Dialoge. Da wird nichts vom Manuskript herungergelesen (außer einigen Gedichten und Briefen), leichte Koketterie schwingt durch den Raum, lässt die Zuschauer schmunzeln und lachen. Behutsam führt Olga den Dichter durch seine Jugend, als er der begabte Loris war. Wie fühlt man sich – so früh schon anerkannt und hochgelobt? – Das scheint der junge Hugo mit Selbstbewußtsein hingenommen zu haben! Manchmal wird die alleswissende Olga dem Hofmannthal zu persönlich und er alteriert sich gekonnt über die Indiskretion. So ist die Nachfrage Olgas über seine Ehe mit der überaus verständnisvollen und nie eifersüchtigen Gertrude ihm mehr als unangenehm. Olga entschuldigt sich zerknirscht. Das sind so kleine „Dramoletterln“, mit der die Autorin die Konversation auflockert. Ein anderes dieser Art: Das Spiel um die Zigarette. – Hoffmannsthal kann es nicht glauben, dass im Hier und Jetzt nicht geraucht werden darf. „Auch nicht im Kaffehaus?“ -„Da schon gar nicht“. Ja, wozu geht man denn dann ins Kaffeehaus?“
Ernster wird die Konversation, wenn die Frage nach dem Vaterland auftaucht. Wie und wann wurde ihm bewußt, dass die Donaumonarchie nicht mehr existiert, dass gerade ein Jahrhunderte altes Gesellschaftssystem zusammenbricht? Hofmannsthal empfand es als eine persönliche Herausforderung und verbat sich das Jammern über den Verlust: „Meine Heimat habe ich behalten, aber Vaterland habe ich keins mehr als Europa“ (Zitat nach dem Programmzettel) Dazu Olga – ja ein Europa, das gerade dabei ist, sich selbst zu zerstören. Im Glauben an ein anderes Europa, das Zukunft hat, schrieb Hofmannsthal den „Jedermann“ in Zusammenarbeit mit Max Reinhardt. Ebenso in Zusammenarbeit mit Strauss die „Elektra“, den „Rosenkavalier“ und noch viele andere. Ungläubig vernimmt er, dass der Jedermann noch immer ein Quotenhit ist, und seine Werke weltbekannt und geschätzt sind.
Ein entzücktes Publikum spendete viel Beifall, dankbar für diesen wunderbaren Abend!
Elisabeth-Joe Harriet ist eine vielseitig begabte Frau. Neben ihren literarischen Konversationen, zeigt sie ihrem Publikum die Wunder unbekannter oder verborgner Plätze in Österreich und anderen Ländern. Das ganze Programm findet man unter: http://www.elisabeth-joe-harriet.com Im „Haus Hofmannsthal“ (Reisnerstraße 37, 1030 Wien) finden regelmäßig Ausstellngen, Konzerte , Lesungen und Liederabende statt. Das ganze Programm findet man unter: whttp://www.haus-hofmannsthal.at Der Veranstaltungsort ist allerdings nicht mit Hofmannsthals Geburtshaus identisch.
Martin bekommt die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er hat nur mehr drei Monate zu leben. Als er mit seiner um Jahrzehnte jüngeren Frau darüber redet, reagieren beide vernünftig – der Leser meint: Vielleicht etwas zu vernünftig, unglaublich gelassen. Ulla ist Malerin und hat ihr eigenes Atelier. Martin ist Professor in Ruhestand. Beide lieben ihren kleinen Sohn David sehr. Wie es ihm beibringen? Er geht noch in den Kindergarten. Sie beschließen zunächst, an dem Alltagsleben nichts zu verändern. Martin überlegt nun, was seinem Sohn im späteren Leben wichtig wäre zu wissen, und verfasst Briefe an ihn, die ihm als Lebensratgeber behilflich sein könnten. Als Ulla sie findet, meint sie, die seien zu kompliziert und abgehoben. Martin unternimmt mit David Wanderungen, zeigt ihm die Schönheiten der Natur. Freut sich über die kleinen und großen Fortschritte, die David macht. Ulla indes ist eine neue Beziehung eingegangen, die Martin bald entdeckt. Er beschließt aber, seine Eifersucht nicht hochkochen zu lassen, sondern weiterhin Ulla seine große Liebe zu zeigen. Was scheinbar so leicht zu bewältigen war, entwickelt sich zu einer Schwere. Wie miteinander umgehen? „Es galt behutsam über das dünne Eis zu gehen“ (S 163) Der Autor erspürt diese Behutsamkeit in der Sprache. Es gelingt ihm, jedes Wort, Geste und Blick aus dem Alltag herauszuheben und sie vor den Prüfstein der Endlichkeit zu stellen. Weder Ulla noch Martin brechen in Tränen der Verzweiflung aus. Als Martin seiner Frau gesteht, von dem „anderen“ zu wissen, beschließen sie, total ehrlich zueiander zu sein und die letzten Wochen mit David an der Ostsee zu verbringen, bevor die Schmerzen Martin zwingen, sich in ein Hospiz einweisen zu lassen. „Das reine Glück waren die Minuten, in denen Ulla sich neben dem Liegestuhl in den Sand setzte und ihren Kopf an seinen lehnte. …Es war kühl, David brachte noch eine Decke, Ulla legte sie über ihn, und sie warteten, bis die Sonne ins Meer sank“ (S240) Ende. Da darf sich der Leser, zufrieden über „das sanfte, poetische“ Ende, zurücklehnen und sich weiter keine Gedanken machen. Oder doch? Vielleicht fragt sich der eine oder andere, ob dieser Roman nicht doch Schönmalerei ist. Wie wäre das Ende ohne die verständige und sanfte Begleitung von Frau und Sohn? Wie für einen Menschen, der mit dieser Diagnose ganz allein fertig werden muss? Das Buch berührt, wie alle Werke Schlinks, doch am Ende sagt man sich: Schön wärs, wenns so käme… http://www.diogenes.ch
Regie: Claus Peymann, Bühnenbild: Paul Perchbaumer, Kostüme: Su Bühler
Muss man aus purer Ehrfurcht vor dem Ruhm, der diesem Stück als „Ikone“ des absurden Theaters anhaftet, die Vorstellung gut finden? – Nein, denn das Stück selbst ist keine Ikone mehr, es hat Rost angesetzt. Und den können auch ein Peymann und die engagiertesten Schauspieler nicht wegkratzen.
Alle bemühen sich, dem Stück Schwung zu geben. Aber wir alle wissen, dass dieser Godot nicht kommen wird – damit ist schon der Saft weg. Und die diversen Interpretationen, wer nun Godot sein könnte, bleibt ja bekanntlich jedem überlassen. Nur – es ist nicht der Mühe wert, diesen Godot hochzustilisieren. Er kann der Nachbar, der deus ex machina oder Gott sein, der Wladimir und Estragon aus der Lebenspatsche helfen soll ….Die beiden Figuren stehen sich selbst im Weg – denn Warten allein ist keine Lebenslösung. Die Lebenszügel in die Hand zu nehmen und Godot Godot sein zu lassen, dazu haben sie keine Kraft.
Pasend zur Hoffnungslosigkeit der Figuren schuf Paul Lerchbaumer das Bühnenbild: Die Welt ist eine öde Straße, ein kahler Ast zwängt sich durch die Ritzen. Am Ende der Straße droht der Abgrund.
Peymann setzt auf den Witz der Wiederholung. Nur der stumpft sich ab, und der Abend droht in Langeweile abzugleiten, auch wenn die Schauspieler, wie immer, ihr Bestes geben: Bernhard Schir im Clownkostüm eines Charly Chaplin ist ein Zauderer und Melancholiker, Marcus Bluhm ein Landstreicher, dem die Warterei auf die Nerven geht. Beide können miteinander nicht mehr auskommen, aber allein durchs Leben zu vagabundieren, dazu haben sie nicht den Mut. Als die Langeweile des Wartens (auf der Bühne und im Publikum) sich breit macht, treten Pozzo und Lucky auf. Nico Dorigatti als armes, geknechtetes Schwein liefert als Wortmaschine, in der die Buchstaben und Beduetungen durcheinander geraten sind, eine Glanzleistung ab. Stefan Jürgens präsentiert gekonnt das Gehabe eines perfiden Machtmenschen.
Der Applaus galt vor allem der großartigen Leistung der Schauspieler.
Regie: Janusz Kiza, Kostüme und Bühne: Karin Fritz
Da sitzen sie nun, unglücklich alle – siehe Foto oben. Der Wiener hat dafür einen besonderen Ausdruck „bedroppelst“ , weniger als unglücklich, mehr als verdutzt. Verdutzt darüber, dass nicht die Liebe das Sagen hat, sondern das Geld. Die Liebe, ja die ist ordentlich in Verruf gekommen, heute noch mehr als zu Zeiten Goldonis. Der machte sich noch gehörig lustig über die Einfaltspinsel, die an die Liebe glauben. Aber wie kommen sonst noch Ehen zustande? -Damals wie heute: durch geschäftliche Absprachen. Die Liebe soll es ja geben, sagen die Lieder, besonders die italienischen. Aber das ist alles nur romantische Masche.
Dem Regisseur Janusz Kiza gelingt es, zwischen Komik und Tragik die Balance zu halten. Auch wenn am Ende keine der Figuren glücklich wird und man eigentlich darüber weinen könnte, muss man doch immer wieder schmunzeln. Wir – das Publikum – lachen, weil wir entweder solche Liebesfallen selbst schon xmal erlebt haben oder weil wir uns über die in ihr Unglück sehendes Auges stolpernden Figuren erhaben fühlen und uns über deren Uneinsichtigkeit und Dummheit amüsieren. Wie auch immer – dem Publikum gefällt es, wenn die Figuren da oben alle aus Liebe leiden. Il grande amore gibt es nur im Schlager, der vom Diener Cecco – bravourös von Marcello de Nardo – geträllert wird. Er leidet am allerwenigsten. Denn er hat genug mit seinem nervigen Herrn zu tun: die Gläubiger abwehren, Koffer ein-, Koffer- auspacken. Von Liebe weiß er nur ironischerweise zu singen. Vom Leiden dieses Gefühslwirrwarrs bleibt er verschont. Anders Brigida, die Sofe Giacintas (urkomisch Katharina Klar). Sie scharwenzelt entzückend und vergeblich um den knochentrockenen Diener Paolo (Markus Kofler) herum.
Doch Gefühlskälte gibt auch keine Sicherheit – Constanze bleibt allein, aber wirkt eher verlasssen in ihrem Panzer( Martina Stilp überzeugt in Egozentrik und Gleichgültigkeit.) Sie verheiratet ihre Nichte Rosina (spitze Larissa Fuchs!) in aller Heimlichkeit an den Tölpel Tognino – Matthias Franz Stein zeigt in dieser Rolle sein komisches Talent – doch glücklich sind die wahrlich nicht. Den Gipfel der Ungkückspaare bilden Vittoria (Paula Nocker) und Guglielmo (Alexander Absenger). Sie liebt ihn, aber er liebt Giacinta (Juliette Larat). Aber diese ist aus finanztechnischen Gründen Leonardo (Claudius von Stolzmann) versprochen. Mit Bravour legen die Vier dieses Liebeswirrwarr hin. Die schwierigste Rolle hat wohl Giacinta – sie soll die Moral überzeugend hochhalten, was nicht immer gelingt. Drahtzieher und Sire in dieser Intrige ist Fulgenzio (André Pohl) – perfekt zwischen Perfidie und treuherzigem Freund des stillen Genießers Filippo, der von allen ausgenützt und etwas naiv ist – Marcus Bluhm ist darin perfekt. Das übliche Buffopaar bilden Sabina, die reiche Witwe – mit Selbstverleugnung großartig: Marianne Nentwich. Raphael von Bargen brilliert als ihr schleimiger, erbschleichender Liebhaber Ferdinando.
Wieder einmal mehr zeigt das Ensemble der Josefstadt unter der klugen Regie von Janusz Kiza seine Spielfreude! Ein Wort noch zum Bühnenbild: Karin Fitz hat eine witzige Variante für das in jeder Komödie unerlässliche „Tür auf Tür zu“, gefunden: Statt Türen schlagen, von einem Zimmer ins andere rennen, lässt sie Szenen- und Figurenwechsel durch eine verschiebbare Rollwand geschehen. Das gibt dem Geschehen Witz und Schwung. Die Kostüme sind einfallsreich, genau auf den Charakter der Person zugeschnitten.
Drei Choreographien von Choreographen mit ganz unterschiedlicher Handschrift. Faycal Karoui dirigierte das Orchester der Wiener Staatsoper
marsch, walzer, polka – Choreographie Martin Schläpfer. Musik Johann Strauß (Sohn und Vater). Kostüme: Susanne Bisovsky
Martin Schläpfer wie man ihn selten erlebte: Humorvoll tollten da die Tänzer über die Bühne. In den zauberhaften und bunten Kostümen von Susanne Bisovsky rollten, kugelten und tanzten alle alles Mögliche, nur keinen typischen Walzer, wie man ihn xmal schon als Interludium im Neujahrskonzert oder am Opernball sah.
Claudine Schoch – wie immer großartig -eröffnete den Reigen. Sie blieb noch relativ klassisch in der Musik. Dann aber sah man, was Schläpfer meinte: “ Es geht nicht darum, sich mit der Muik zu verbrüdern. ….Es ist dann Kunst, wenn man sich in der Kontrolle verliert“ (Zitat aus dem Programmheft) Diese Art von „Querchoreographie“ ist Schläpfers große Stärke, geboren aus dem Sinn für Humor. Da wird nicht Walzerseligkeit abgespult. Die Paare staksen, kugeln, sinken erschöpft zusammen. Wie das halt so im Ballsaal öfter passiert – meist beherrschen nur wenige den Dreivierteltakt überzeugend. Das ganze Balletensemble zeigt sich in schauspielerischer und tänzerischer Höchstform, indem es das Unerwartete, Unpassende tanzt. Reizvoll unterstützt durch die bezaubernden Kostüme von Susanne Bisovsky.
fly paper bird Choreographie Marco Goecke. Musik: Symphonie Nr. 5.Bühne und Kostüme: Thomas Mika
Aus war es mit dem Wohlfühlabend! Harte Ballettkost liefert Marco Goecke. Menschen in dunklen Kostümen zucken, zittern zum 2. Satz der 5. Symphonie Mahlers. Karoui dirigiert mit schmerzlicher Schärfe, man glaubt, einen Zeitgenossen zu hören. Der Vogel ist noch nicht zu sehen. Nach Ende des 2. Satzes – lange Stille. Dann erkligt das betörende Adagietto des 4. Satzes. Man ist versucht, die Augen zu schließen und diese „himmlische Musik“ – daher der Titel des Abends – zu genießen. Doch das ist nicht im Sinne des Choreographen. Er will aus der himmlischen Musik ein quälendes Stück Ballettgeschichte schreiben. Um die weiter zitternden, mit nacktem Oberkörper schwankenden Gestalten zu „unterstützen“, geht ein Rauschen, Geflüster über die Bühne. Im Programmheft liest man, es seien Zitate aus Ingeborg Bachmanns kryptischem Gedicht „Mein Vogel“. Besagter „Papiervogel“ gewinnt Gestalt und hebt sich aus dem Hintergrund ab. Alles sehr rätselhaft. Verkopft. Das hat das wunderbare Adagietto nicht verdient und auch nicht das tolle Ensemble, das zucken und krampfen musste.
symphony in c Choreographie George Balanchine, Musik: Georges Bizet – Symphonie Nr. 2.
Bizet komponierte diese Symphonie mit siebzehn Jahren (1855). Balanchine machte aus der vergessenenn Musik einen klassischen weißen Ballettabend, eine wahre optische Erholung nach dem Vorangegangenen. Tänzer und Tänzerinnen dürfen ihr Können zeigen und tun es mit viel Einsatz. Ein bisserl „Schwanensee“ passt immer – elegant, stilistisch perfekt alle!!
Tonkünstler-Orchester. Dirigent Hugh Wolff. Am Klavier: Andrei Korobeinikov
Gabriela Lena Frank: „Escaramuza“ für Streicher, Schlagwerk, Harfe und Klavier
Escaramuza bedeutet Scharmützel. Die in Kalifornien 1972 geborene Komponistin spürt in dieser Musik ihren südamerikanischen Wurzeln nach. Quelle ist die Kachampa-Musik aus den peruanischen Anden aus der Zeit vor der spanischen Eroberung. Traditionelle Krieger bringen sich unter den präzisen und stark affektiven Rhythmen in Kampfstellung. In freudiger, tänzerischer Stimmung wärmen sie sich nach einem eindrucksvollen Basstrommel-Solo auf und der Kampf kann beginnen. Ein aufregend-spannendes Stück. Hugh Wolff dirigiert „auf Schlag“, stark akzentuiert und das Orchester übernimmt die Kampfrituale eins zu eins. Franks Musik ist weit mehr als eine „Vorspiel“. Sie kann dem stark emotionalen Klavierkonzert Prokofjews durchaus Parole bieten.
Sergej Prokofjew: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2
Prokofjew ´komponierte dieses Konzert 1912, da war er gerade einmal 21 Jahre jung. Schon das Konzert Nr. 1 war ein riesiger Erfolg, allerdings gingen die Meinungen darüber auseinander. Das zweite sollte ein Riesenskandal, ähnlich der Aufführung von Strawinskys „Sacre du printemps“ werden. Die Menschen verließen scharenweise den Saal. Porkofjwe soll diesen Skandal genossen haben, so erzählt man. Viele meinten:“ Der muss komplett irre sein!“, andere sahen in ihm den Retter aus den „blutarmen und verzärtelten Kompositionen“ ( so der Komponist Nikoai Mjaskovski -zitiert aus dem Programmheft), wie sie die Musiksäle in dieser Zeit überschwemmten.
Bis heute zählt dieses Klavierkonzert zu den großen Herausforderungen für Orchester, Dirigent und vor allem den Pianisten. Der in Russland geborene Andrei Korobeinikov nahm diese Herausforderung mühelos an und raste gemeinsam mit dem Orchester mit geballter Energie durch die Sätze. Hugh Wolff führte souverän durch diese Emotionsbombe, ohne je den Überblick zu verlieren. Vom Pianisten wurden geradezu animalische Kräfte verlangt, die Korobeinikov im Übermaß hatte, musster er nur mit einer Minipause in allen vier Sätzen präsent sein. Er verlangte dem Klavier ein Maximum ab, und es gab Momente, in dem man das Gefühl hatte, Orchester und Klavier rasen in einen Wirbelsturm hinein, aus dem sie nicht mehr herauskommen. Bei all diesem Kraftaufwand wurde die Musik nie zu „Lärm“, vor dem man davonlaufen oder die Ohren verstopfen wollte, sondern war ein gebündelter, präszis geführter Anschlag auf Herz und Hirn. Die Begeisterung des Publikums honorierte diese Extremleistungen mit viel Applaus.
Sergej Rachmaninow: Symphonische Tänze op.45
Eine Fassung ohne Klavier. Die berühmten „russischen“ Glocken vermisste man auch.
Eine emotionale Steigerung zum vorher Gehörten war unmöglich. Daher wählte man klug eine „Softvariante“ aus. Rachmaninovs Musik klingt zu Beginn verführerisch, man meint sich in Walzerklängen wiegen zu können. Doch von einer Walzerseligkeit ist Rachmaninov weit entfernt, die Musik bleibt „walzerisch“, gerät aber immer wieder durch den häufigen Rhythmus- und Tempowechsel auf Abwege. Die Streicher sind schwer gefordert, die Blechbläser führen das „Dies irae“-Motiv glanzvoll an. Tam-Tam-Schläge lassen die Musik leise „verenden“.
Man darf sich auf eine weitere Zusammenarbeit zwischen Hug Wolff und den Tonkünstlern freuen!
Mit Bela Koreny – Klavier und Moderation, Stella Grigorian, Karl Markovics. Am Bass: Johannes Strasser, Saxophon: Herwig Gradischnig. Akkordeon: Aaron Wonesch
Am 22. Mai 2024 feierte die Gruppe auf den Tag genau den 100. Geburtstag von Charles Aznavour. Bela Koreny erzählte von seiner Begeistrung für Charles Aznavour, den er oft im Konzert erlebte, ihn persönlich aber nie getroffen hat. Routiniert – manchmal ein wenig zu salopp routiniert – begleitete er Stella Grigorian und Karl Markovics am Klavier. Für den authentischen Hintergrundsound sorgten Johannes Strasser am Bass, Herwig Gradischnig am Saxophon und Aaron Wonesch am Akkordeon. Die ehemalige Opernsängerin brachte ihren Mezzosopran wirkungsvoll und manchmal mehr an Operette als an Aznavour-Sound erinnernd zur Geltung. Sie kann halt ihre Divenattitüde nicht ablegen. So gelangen die verschiedenen Chansons – welche, das konnte man leider nicht in Erfahrung bringen, da ein Programmzettel fehlte – zwar musikalisch einwandfrei, aber es fehlte das typische Flair, das ein Aznavour oder eine Edith Piaf hatte. Für „Aznavourerleben in Reinkultur“ sorgte Karl Markovics, der kurze Passagen aus dem Leben des Sängers erzählte, etwa seine Beziehung zu Edith Piaf. Wenn er deutsche Chansons in einem Sprechgesang mit liedhaften Ansätzen vortug, dann spürte man den Geist dieses Ausnahmesängers durch. Ganz stark dann sein Schlussauftritt mit „Ich bin ein Homo“. Aznavour war der erste, der dieses heikle Thema in ein Chanson einbrachte, und es wurde ein Riesenerfolg. So auch im Theater Akzent!! Denn Markovics stieg voll und ganz ein in die Rolle des Travestiten, der von der Gesellschaft verachtet wird. Gänsehautwirkung!
„An dem Abend, als mein Vater starb, fanden mein Bruder und ich uns im Auto wieder, weil es spät war und….weil es nichts anderes mehr zu tun gab als heimzufahren.“ So nüchtern beginnt die Geschichte, die ein „Roman“ genannt wird, die aber so nahe an der Icherzählerin dran ist, dass man annehmen darf, die Autorin erzählt ihre eigene Vater-Tochtergeschichte. Ob autobiographisch oder Fiktion oder eine Mischung – das Buch lässt einem so leicht nicht los.
Bruder und Schwester scheinen „es“ ganz gut zu verkraften. Sie räumen zunächst den Schrank im Krankenhaus leer. Es schockt, wenn die Autorin nüchtern die Dinge aufzählt, wie die Beinprothese, die Unterhosen, das Taschenkruzifix. Dinge, die dem Vater gehörten, in die Hand genommen, entwickeln ihre Tücke, ihr Eigenleben und daraus resultierende Erinnerungen. Der Bruder kapselt sich ab, lässt der Schwester die Organisation des Begräbnisses über und fährt danach gleich ab. Sie wird ohne ihn das Haus, in dem ihr Vater allein gelebt hatte, ausräumen. Und mit den Dingen und den Erinenrungen kommen die Trauer und die Tränen. Immer mehr rückt die Figur des Vaters ihr näher. Gute Erinnerungen überdecken die Tatsachen, wie etwa den durch Alkoholismus hervorgerufenen Jähzorn. Liebe und Herzenswärme zeichnen letztendlich die tief berührende Beziehung zwischen Tochter und Vater. Ein Herzensbuch im besten Sinn des Wortes, das zu Recht mit dem französischen Publikumspreis als „Bestes Buch des Jahres“ ausgezeichnet wurde!