Ein wunderbarer, leichter Sommerroman:. Benno führt den großen Erbhof seiner Eltern in der Lüneburger Haide als „Lebenshof“ für alte und kranke Tiere, wo sie in Ruhe ihren Lebensabend genießen können. Leider hat sich im Laufe der Jahre ein riesiger Schuldenberg angehäuft und es droht Zwangsräumung oder Verkauf. Obwohl Benno ein Einsamkeit liebender Brummbär ist, entschließt er sich, das Nachbarhaus zu vermieten. Als Mieterin schneit Thea herein. Sie kommt in einem alten Camper und mit zwei Ziegen aus Portugal angereist und wirbelt nun das Leben Bennos ordentlich durcheinander, was ihm zunächst so gar nicht recht ist. Doch durch ihre fröhliche und hilfbereite Art gewinnt sie ihn bald für sich, und miteiander kämpfen sie um den Erhalt des Hofes. Zu dem Duo gesellt sich die im Wald gestrandete Juli zu. Sie hat sich beim Wandern den Fuß verletzt und muss, darf und will gerne bleiben. Dass sie sich dann auch noch in Hannes, den strammen Helfer, verliebt, ist ein weiterer Grund für sie zu bleiben. Die Schulden sind riesig, und es scheint, dass alle Bemühungen nicht fruchten. Bis Juli die zündende Idee hat……
Ein liebenswerter Roman über Menschen, die sich begeistert für ein an sich aussichtsloses Projekt engagieren. Die Birkenlandschaft des Moors und der nahe Wald bieten den romantischen Rahmen. Liebevoll beschreibt die Autorin die Tiere, die mit den Menschen im vertraulichen Umgang leben. Ein Roman fürs Herz!
Loriot zieht immer, Senta Berger zieht immer, Friedrich von Thun zieht immer. Da kann eigentlich nichts schiefgehen. Ein wenig schon. Gelesen haben die beiden blitzgescheit und amüsant, aber nach jeder, auch nur kurzen Szene, spielte Maria Reiter auf dem Akkordeon eine eben so lange, wenn auch heiter-witzige Melodie. Manches davon kannte man, vieles nicht. Aber man wartete ungeduldig, dass wieder die beiden Interpreten ans Wort kamen. Weniger Musik wäre mehr gewesen.
Das Programm wurde eigens für dieses Festival zusammengestellt. Die Mischung zwischen bekannten Eheszenen – „Das Ei ist hart“ – und Seitenhieben auf deutsche Politik und Medien war perfekt. Besonders die Eheszenen erinnerten so manche Zuhörer an eigene eingefahrene Rituale, die nerven. Etwa, wenn die Hausfrau es nicht aushält, den Ehemann untätig im Fauteuil sitzen zu sehen, während sie hysterisch putzt oder so tut als ob. Gewohnheiten sind gut und erleichtern den Alltag, aber sie können zur Plage werden, wie etwa die Fixierung auf das Fernsehen. Auch wenn das Kastel gerade stumm und kaputt ist, sehen die beiden unentwegt hin. Abhängigkeiten…. „Wieso ist das Ei hart?“ klagt der Ehemann, und schon reagiert sie beleidigt: „Ich bin kein Huhn!“ Überhaupt ist „Sie“ bei Loriot eine richtige Zicke, was Senta Berger ladylike hinüberbringt. Thun schmunzelt in sich hinein und amüsiert sich in der Rolle als geduldiger, aber knapp vor dem Überkochen seiender Ehemann. Oder als verblödeter Hasenbrüter., der sich brüstet, die Ostereier „handgebrütet“ zu produzieren. Aberwitz über Aberwitz, wenn Frau Dr. Lindemann im Fernsehen darüber spricht, ob und wie Hunde fernsehen sollen. Da dreht Senta Berger kräftig auf! Als Abpfiff gabs Kunstpfeifen im Duett!
Nestroy: Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt
Regie: Robert Meyer, Bühne und Kostüme: Christof Cremer, Musik: Helmut Thomas Stippich.
Ein Krach, ein Donner, ein Blitz – effektvoller hätte man die Festspiele Reichenau nicht eröffnen können – wir befinden uns im Geisterreich. Dort soll Recht gesprochen werden. Nestroy, der große Widerstandsgeist und Satiriker, beginnt mit einer Szene aus dem Feenreich, wie es damals, in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts überaus beliebt war, und parodiert diese gekonnt nach Strich und Faden. Da herrscht, wie es sich im Götter- und Geisterreich gehört, der Feenkönig Stellaris (eindrucksvoll parodiert von Franz Xaver Zach), Fortuna, Beherrscherin des Glücks (Brigitta Kren mit Mut zur Selbstverleugnung), teilt stilgerecht aus ihrem winzigen Füllhorn ein paar Goldflinserln über diverse Häupter und glaubt nicht so recht an deren Wirkungskraft. Amorosa (Veronika Glatzner) huscht als Fee der wahren Liebe über die Bühne. Eigentlich geht es um eine Wette zwischen dem „Herrn“ des Feenreiches und dem bösen Geist Lumpazivagabundus (großartig Sebastian Wendelin in der Maske eines Mephisto) Die guten Geister glauben an die Wandlungsfähigkeit des Menschen, wenn er nur mit genug Glück, sprich Geld, gesegnet wird. Lumpazivagabundus hingegen ist Realist und daher Skeptiker. Ob er gewinnen wird? Die Probe aufs Exempel soll an drei liederlichen Gesellen statuiert werden. (Goethe lässt grüßen!)
Und da sind sie schon, die Drei, alle Verlorene, Versoffene: Der Tischlergeselle Leim (Thomas Frank), aus verloren geglaubter Liebe kreuzunglücklich, der Schneidergeselle Zwirn (Florian Carove), den seine Gspusis mit den Frauen in den Ruin trieben, und der Schustergesell Knieriem (Robert Meyer), der die Welt im Untergang sieht. Hoffnungslos, aber keineswegs mutlos. Sie saufen, was das Zeug hält, singen sich die Welt rund und schön. Verschleudern den Lottogewinn, bis auf Leim.
Nur Knieriem ist ein wenig anders – er ist in seiner Hinfälligkeit ein Verlorener, ein tief Verzweifelter. Robert Meyer ist Knieriem in persona.! Ein Stiller, der seine Bedürftigkeit hinter dem Bierglasl versteckt. Der weiß, es gibt für ihn kein Entrinnen, denn die Welt wird untergehen. Der Komet wird sicher kommen! Er brüllt nicht, wie die beiden anderen. Leise bittet er um ein größeres Schnapsglas, so ein kleines tuts nicht. Seine Verlorenheit rührt. Die anderen beiden sind laute Polterer, manchmal etwas zu laut.
Ein gelungener Nestroy, dank Meyers behutsamer Regie, die mit kleinen Mitteln Großes Theater erwirkt: Etwa durch die Einführung des bösen Geistes alias Lumpazivagabundus, alias Mephisto, der die Drei im HIntergrund mit pantomimischer Häme belauert.
Oder durch die gekonnte Führung der Frauenfiguren, die es in diesem Stück nicht leicht haben. Sie haben ja nichts zu reden in dieser Mänerwelt. Aber sie setzen Akzente: Veronika Glatzner als Amorosa, Kellnerin Sepherl und als Camilla zeigt ihre Wandlungsfähigkeit. Ebenso Brigitte Kren einmal als Fortuna, dann nicht wiederzuerkennen als Haushälterin oder als Signora Palpiti. Elisabeth Schwarz brilliert in kleinen Rollen als Amorosa, Tochter Pepi und Tochter Laura. Sie schwirren in Kostümen, die manchmal an Biene Maja erinnern, über die Bühne. Christof Cremer ist für die bunte Schar und für das schnell zu verwandelnde Bühnenbild verantwortlich! Die drei Musikanten Helmut Thomas Stippich auf der Schrammelharmonika, Maria Stippich mit der Kontragitarre und David Stippich mit dem „Picksüßem Hölz´l“ sorgen für den typischen Nestroysound. Wie´s aussieht könnte dieser Nestroy zum Publikumshit werden!
Unterkunftstipp: Zum Beispiel Parkhotel Hirschwang http://www.parkhotelhirschwang.at) mit großem Park, einer schönen Frühstücksterrasse. Gratisshuttlebus nach Reichenau und Semmering zu den diversen Verantaltungen.
TAG 2: Schnitzler, Anatol
Regie: Michael Gampe, Bühne: Alexandra Burgstaller, Kostüme: Erika Navas, Musik: Anna Starzinger
Es beginnt düster und schwermütig und es bleibt düster und schwermütig. Die kaum vorhandene Bühnendekoration unterstreicht noch die melancholische Grundidee: auf schwarzglänzendem Boden spiegeln sich die Figuren und versickern im Schwarzen. Begonnen und begleitet wird der Abend mit schwermütiger Cellomusik.
Foto:Lola Jodlbauer
Die Schauspieler haben es schwer,, besonders Anatol (Anton Widauer). Sie kämpfen gegen Bilder und Erinnerungen an große Schauspieler, die diese Rollen verkörperten. Man glaubt Anton Widauer nicht die Erfahrungen eines Anatol. Wie soll er gegen seine Vorgänger ankämpfen? Das gilt auch für Max (Claudius von Stolzmann). Zwischen den beiden fehlt das amüsante, intelligente Gedankenpingpong. Max ist kein Widerpart und zu wenig korrektiver Kumpel. Das gilt auch für die einzelnen Szenen mit Anatols Eroberungen – ganz besonders für die berühmten „Weihnachtseinkäufe“, die ikonische Szene des Dramas. Johanna Arrouas ist eine elegante, schöne Frau aus der Upperclass und sie bemüht sich wirklich, den dekadenten Hauch von Verzicht auf eine uneingestandene Liebe hinüberzubringen. Doch zwischen ihr und Anatol ist nur Text, kein Hauch von Erotik. Naomi Kneip könnte als Bianca gute Figur machen, würde sie nur etwas weniger rauhbeinig daherkommen. Am ehesten treffen Anna (Paula Nocker) und Anatol den Schnitzlerschen Subtext: Da kämpfen zwei junge Leute um den Sieg – wer den anderen früher und treffender verletzen kann. Das hat Realität und Witz. Bleibt noch der unbestimmte Abgang der verheirateten Else (Miriam Fussenegger): Beide haben sich nichts mehr zu sagen und sprechen Sprechblasen von „großer Liebe“. Frustriert verlässt sie ihn, frustriert sieht er ihr nach.
3. Tag: Thomas Bernhard, Der Ignorant und der Wahnsinnige
Regie: Hermann Beil, Bühne und Kostüme: Christof Cremer
Alle Fotos: Lola Jodlbauer
Thomas Bernhard feiert in dem Stück alles ab, von der Kunst im Allgmeinen, vom Theater und der Oper im Besonderen. Journalisten, Ärzte, Schauspieler, Sänger und Publikum – sie alle bekommen ihr Fett weg. An diesem Abend gelang der Rundumschlag besonders gut:
Stefan Jürgens als Doktor ist in seinem Element – bravourös laviert er durch die Tiraden, genießt die detaillierte Erklärung einer Hirnoperation. Dazwischen grummelt der blinde Vater (Martin Schwab), schimpft auf seine unpünktliche Tochter. Nur der Griff zur Flasche rettet ihn vor der Verzweiflung. Blind, doch ohne blindes Vertrauen auf die Tochter. Was Martin Schwab aus dieser fast stummen Säuferrolle macht, ist beeindruckend. Mit nur wenigen, seiner Blindheit geschuldeten unsicheren Gesten und einer sparsam eingesetzten Mimik bringt er die Leere und Hoffnungslosigkeit seines Lebens zum Ausdrück.
Alles ist auf die Tochter ausgerichtet, sie ist die Stimmmaschine, sein Motor. Immer wieder die Angst, sie könnte versagen. Wie dem Tag, dem Leben noch einen Sinn geben? Wie die Gewohnheit, von Auftritt zu Auftritt mitzureisen abzulegen und die Tochter „ziehen zu lassen“, wie die Angst vor dem Versagen zu unterdrücken? Wird die Wahnsinnskoloraturarie der Königin der Nacht auch zum 222. Mal gelingen? Julie Stemberger ist eine großartige Diva mit all den einer Diva zugeschriebenen Zicken: Sie ist nicht nur die Königin auf der Bühne, sondern auch und das besonders in der Garderobe. Da entstehen pantomimisch humorgeladene Theaterszenen zwischen ihr und der ihr hündisch ergebenen Frau Vargo (Therese Affolter). Deren Geduld und stumme Ergebenheit wird auf die härteste Probe gestellt, muss sie doch immer wieder unter den Arm der Königin kriechen und die mutwillig aufgerissene Naht zusammenflicken -s. Foto oben. Aus solch scheinbar bedeutungslosen Szenen entsteht Theater!
Schritt für Schritt verwandelt sich die Tochter zur Königin und tritt machtbewusst vor ihr Publikum! Sie wird singen, sie wird das Publkum mitreißen. Um dann noch im Siegesrausch mit ihrem Dauerbewunderer und dem Vater in den“ Drei Husaren“ zu dinieren. Ab nun gehört die Szene nur ihr, die beiden Männer werden Nebenfiguren. Dann plötzlich, scheinbar unvorbereitet, diktiert sie dem ihr treu ergebenen Kellner (Dirk Nocker) eine Absage nach der anderern. Der Glaube an Perfektion bricht zusammen – Absturz und totale Erschöpfung sind das Ergebnis einer langen, qualvollen Sängerkarriere. Thomas Bernhard schrieb das schonungsloseste Theaterstück über das Theater, die erbarmungslose Maschinerie, die aus Menschen Automaten macht. Grandioser Text – grandios gespielt.
Regie: Maria Happel, Bühne: Alexandra Burgstaller, Kostüme: Erika Navas, Licht: Lukas Kaltenbäck
Es war ein Theatereignis! Man bekam den Glauben an das Theater zurück! Dank der werktreuen und einfühlsamen Regie von Maria Happel und des bis zur kleinsten Rolle gut besetzten und exzellent spielenden Ensembles sah man einen Abend, an dem Horvath und nur Horvath gespielt wurde. Mätzchenfrei, ohne Regieverkrümmungen, ganz nah am Text! Die Bühne ist fast leer, eine Bank, eine Stellwerk und im Hintergrund eine Hausfassade, die das Bahnwärterhaus, dann das Wirtshaus ist. Die Kostüme sind zeitlos, aber in die Zeit der 30er Jahre passend.
Anna (Johanna Mahaffy) und Thomas (Daniel jesch)
Es begann alles mit einem verhängnisvollen Kuss: Anna ist jung, stürmisch übermütig. Der in sich gekehrte, verschlossene Thomas Hudetz versieht seinen Dienst als Stationsvorstand mit großem Ernst. Zu ernst -findet Anna, Deshalb küsst sie ihn gegen seinen Willen. Vom Fenster oben sieht seine verhärmte Frau zu. Wegen dieses Kusses vergißt Thomas das Signal für den Schnellzug umzustellen ,und es geschieht ein verheerendes Unglück. Man beklagt viele Tote und Verwundete. Thomas ist sich seiner Schuld bewußt, leugnet aber sein Vergehen.
Wer ist schuld, fragt Horvath, präszise in die Seelen aller Beteiligten hineinleuchtend. Um dieses Ausleuchten geht es. Um das Sich zur Schuld Bekennen. Schuld ist vielschichtig – Anna hat das Unglück ausgelöst, leistet einen Meineid vor Gericht. Johanna Mahaffy spielt das quirlige, kokette Mädchen genauso überzeugend, wie die Verzweifelte, die mit ihrer Schuld nicht fertig wird. Großartig die Szene, in der sie Thomas ihre Qualen schildert. Im neuerlichen Kuss verbindet die beiden nicht Lust oder Leidenschaft, sondern Leid und Todeswunsch . Eros und Thanatos – gefasst in der beklemmenden Szene unter dem Viadukt. Gespenstisch gefangen im Lichtkreis der Schuld. Minuten später wird Thomas sie töten. Es sind die ersten Regungen, die dieser, nur sich auf die Pflicht berufende Mann zeigt. (Gut gespielt von Daniel Jesch). Weiter geht das Karussell der Meinungen und Vorverurteilungen: Der vor Gericht frei Gesprochene wird als Held gefeiert, seine Frau, die vor Gericht die Wahrheit sagte, der aber nicht geglaubt wurde, wird als alte, eifersüchtige Hexe beschimpft. Mercedes Echerer spielt diese glück- und lieblose Frau mit viel Überzeugungskraft! Gerüchte werden weiter geschürt – großartig Dunja Sowinetz als Frau Leimgruber, die Giftspritze des Dorfess. Sie und alle Dorfbewohner sind letztendlich auch mitschuldig geworden.
Typisch für Horvath: Die Schlussszene! Das Jenseits meldet sich, möchte Thomas hinüberlocken. Der ist schon bereit, vom Viadukt in die Tiefe zu springen. Doch ein leiser Hauch, vielleicht die warnende Stimme Annas, hält ihn zurück. Er wird sich stellen.
Es verblüfft, wie aktuell dieses Drama ist. Rasch wird jemand verurteilt, rasch wird jemand bejubelt, Einst sorgte eine Frau Leimgruber für Vorverurteilungen, heute geschieht das noch viel wirksamer in den „Sozialen Medien“. Und „Pflichtbewusstsein“ ist relativ, galt und gilt immer wieder als Legitimation für so manche Verbrechen.
Jubelnder Applaus für alle Darsteller und das Team!
Die Puppenspieler: Soffi Povo, Markus Peter Gössler, Manuela Linshalm. Regie: Simon Meusburger. Musik: Markus – Peter Gössler. Puppen: Soffi Povo. Kostüm: Lisa Zingerle
Unter dem Motto „Tu felix Austria spaziere!“ hat sich das Schuberttheaterensemble den Habsburgern verschrieben. „“Die Familie“ ist zurück und hält unseren Geist gefangen -überall sehen wir nur noch Habsburger!“ heiißt es auf dem Programmzettel. Dass dieser besagte Geist noch lange herumgeistern möge, wünscht sich das Publikum. Denn diese Spaziergänge – wie überhaupt die ganze Habsburg-Trilogie – sind einfach ein Hit. Man möchte diese verqueren Habsburger noch öfter sehen. Hoffentlich gibt es im Herbst weitere Habsburg-Geschichten.
Start ist im Hof des Theaters. Der Haushofmeister der „Kaiserein“ Maria Theresia übt mit dem Publikum das richtige Benehmen für die Audienz. Funktioniert ganz gut, die Männer verbeugen sich, die Damen versuchen einen kratzfüßigen Hofknicks. Doch Ihre Majestät ist grantig und hungrig und gibt keine Audienz. Sie bestellt ein Riesenfrühstück, vor allem stehen ihr Sinn und Magen nach Fleich. Also auf zum nächsten Würstelstand. Dort wartet schon Rosa, die berühmte Würstelfrau mit Herz und Verstand. Sie parliert angeregt mit dem Haushofmeister über die Qualität ihrer Kaiserkrainer, bis ihr ein ziemlich toter Kronprinz Rudolf in die Quere kommt und über die Verderbtheit des Adels herzieht.
Die Karawane zieht weiter in den Wald, wo das Pubikum die tragische Liebesgeschichte zwischen dem Kronprinz und Mary Vetsera erfährt. Sie ist schwer verliebt in ihn und singt frei heraus: „Die Gonorrhoe ist mir wurscht“. Doch statt Liebe lauert der Tod: Rudolf schleicht sich von hinten mit der Pistole an – aber der allgegenwärtige Haushofmeister verjagt ihn: „Bitte nicht hier, ganz Wien ist eine Waffenverbotszone!“
Die Karawane zieht weiter – bis zur 1. Psychiatrischen Klinik, wo Sissi oder Sisi und Kaiser Franz Josef streiten, wer jetzt an dem Selbstmord Rudolfs Schuld hat. Da stehen nun Ihre Majestäten, sie ein Schnabeltier, er ein Hirsch von Gottes Gnaden. Trauer fühlen sie nicht. Verständnis für Rudolf hatten beide nicht – weder die immer abwesende Mutter noch der ablehnende Vater! Kritik an den ganzen Habsburgern und ihrem ziemlich vermurksten Regierungsstil übt am Schluss der Geist des Kaisers Maximilian I. – er erscheint als Vampir und singt den Abgesang auf die Monarchie: „Wer braucht die Monarchie?“ und noch kräftiger: „I scheiß auf die Monarchie!“
Ein pures Vergnügen! Wer unbedingt einen ernsten Hintergrund dahinter finden will – dann vielleicht in der „Sozialkritik“, die hin und wieder durchblitzt. Aber grad soviel, dass der arme Moralist „a Ruh hat“.
Festliche Stimmung, man spürte die Spannung: Wird das Wetter halten? Vorausgesagt waren Gewitter, die knapp den Rand von Grafenegg streifen würden. So war es dann auch: Gleich zu Beginn des Konzertes fielen zehn Tropfen, gerade genug, dass im Publikum ein Rascheln war, Regenpelarinen wurden übergezogen.
Aber die Sopranistin Regula Mühlemann ließ sich in ihrer vor jugendlicher Lebensfreude strotzenden Arie als Juliette („Je veux vivre“ – Arie aus der Oper „Roméo et Juliette“ von Charles Gounod) nicht stören. Durch ihren wunderbaren Sopran, der in der Höhe genau so leicht klang wie in der Mittellage eroberte sie schnell die Herzen des Publikums. Ganz bezaubernd erklang ihr Lied der „Nachtigall“ von Alexander Alabieff. Hätten Nachtigallen In den Bäumen geschlummert, wären sie erwacht und hätten mit ihr ein Duett gesungen. Die Flöte ersetzte glaubhaft deren Gesang. Bezaubernd erklang ihre Stimme vom oberen Wiesenrand über die Köpfe der Zuhörer hinweg, als sie den Kusswalzer „Il bacio“ von Luigi Arditi sang. Ihr Roméo war Pene Pati, ein Tenor aus Samoa. Berührend sangen beide das bekannte „Nachtigall-Lerchenduett“. Als Macduff ( Verdi, Macbeth) in der Arie „Ah, la paterna mano“ wirkte Pati sehr authentisch. Witzig und unterhaltsam war seine gesungene Geschichte aus Samoa, wo die Tradition der Rhapsoden hoch gehalten wird..
Die Überraschung des Abends war der aus Litauen stammende Akkordeonist Martinas Levickis. Die Carmen-Suite von George Bizet, in der das Akkordeon wie eine Singstimme klang, hatte man so sicher noch nie gehört.
Unter der zierlichen, temperamentvollen Dirigentin Marta Gardolinska wurde jedes einzelne Stück ein Solitär in dem bunten Programmstrauß. Wie immer auf höchstem Niveau spielte das Tonkünstler Orchester Niederösterreich. Das Publikum honorierte die Qualität der Darbietungen mit viel Applaus. Wie es gute, alte Tradition ist, klang die Sommernachtsgala mit dem „Marsch Nr. 1“ von Edgar Elgar aus.
Kompositionen: Max Bruch-Kol Nidrei. Camille Saint-Saens – Konzert für Violoncello und Orchester Nr.1. Ludwig van Beethoven: Eroica
„Kol Nidrei“ von Max Bruch basiert auf dem jüdischen Gebet, das am Vorabend des Jom Kipurfestes gebetet wird. Obwohl Max Bruch Protestant war, war er mit jüdischen Gebräuchen vertraut. Der erste Teil ist ein Bußgesang, im zweiten verwendet er Lord Byrons Hymne „Oh Weep for Those that Wept on Babel´s Stream“. Raphaela Gromes gilt als eine der bedeutendsten Cellistinnen der Gegenwart. Ihr Spiel auf einem Cello von Carlo Bergonzi ist weich, innig, voller Wärme. Sie taucht in das Gebet tief ein. Julian Rachlin dirigiert das Wiener Kammerorchester feinsinnig, legt einen lyrisch-innigen Teppich unter das Spiel der Cellistin.
Das „Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1″ gehört zu den am häufigst gespielten Kompositionen von Camille Saint-Saens. Gleich zu Beginn wird das Cello ziemlich gefordert. Rasche Wechsel im Tempo, Marsch, Scherzi, dann wieder schlichter „Gesang“. All das verlangt virtuoses Spiel, das Raphaela Gomes meisterhaft beherrscht. Als Zugabe spielte sie das Gebet um Frieden von der ukrainischen Komponistin Hanna Hawrylez „Prayer“. Begleitet von den Celli des Orchesters entwickelte sich ein inniges Gebet mit den immer gleichen Gebetsformeln. Das war wohl einer der Höhepunkte des Abends. Lange Stille, bevor das Publikum applaudierte und Gomes aus der Tiefe dieser Musik zurück in die Wirklichkeit kam.
fOTO. : Dan Porges Getty Images
Beethovens „Eroica“ ist eine sichere Erfolgsnummer in Konzertgeschehen. Für jeden Dirigenten eine große Herausforderung. Julian Rachlin führte das Orchester mit sicherer Hand durch die Höhen und Tiefen Beethovens. Vom Triumph Napoleons hin zum Trauermarsch, die Klage über den Heroen, der sich selbst zum Herrscher krönte. Kriegsgetöse neben Friedenswunsch.
Die thematische Klammer dieses Abends war: Wunsch nach Frieden, vom Publikum dankbar und hefftig akklamiert.
Die Notenständer der Musiker sind mit Zeitungsfetzen, vielleicht auch Kleiderresten bestückt. Kopatchinkskaja betritt wie immer vom Publikum aus die Bühne, spielt ein wenig mit den Musikern, die noch im Begiff sind, ihren angestammten Platz zu verlassen und im Kreis gehend einen anderen einzunehmen. Das ist Ritual bei Aufführungen mit Kopatchinskaja, die dafür bekannt und vom Publikum geliebt wird, dass sie die traditionelle Form eines Konzertes auflöst.
Sie trägt das traditionelle Pierrot-Kostum und ihr Gesicht ist weiß geschminkt, die Augen schwarz umrandet. Sie wirkt wie ein verlorenes Kind. Doch gleich wird sie zum zornigen Kind, stampft mit den Füßen, gestikuliert wild mit den Armen und schreit, krächzt und grunzt – ja auch diese Töne sind zu hören. Es sind dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds „Pierrot lunaire“ op.21, die Arnold Schönberg vertonte. Diese Vertonung wird allgemein als Schlüsselwerk der musikalischen Moderne angesehen und verursachte bei der Uraufführung 1913 in Prag einen heftigen Konzertskandal. So heftig waren die Reaktionen, dass Schönberg für jede folgende Aufführung eine Zusicherung für störungsfreies Musizieren forderte. Die Kritiken waren heftig, spöttisch bis verletzend. Die wenigen positiiven lobten den Mut der Pierrotdarstellerin Albertine Zehme und ihre eigenwillige Rezitation.
Nun, Skandale gibt es heute nicht mehr. Denn Schönbergs Musik – hier noch nicht atonal – und die Interpretin Kopatchinskaja haben ihre unbestrittene Position im Musikleben. Dennoch: Ich konnte von dem Text kaum etwas verstehen, gerade hin und wieder Wortfetzen. So konnte ich daher nicht nachvollziehen, warum sie fast die Sprachcontenance verliert. Die Musik Schönbergs ging irgendwie bei diesem Artikulationsspektakel unter. „Die Interpretaton der irrealen Pierrotfigur entzieht sich einer gängigen Verstehensroutine“ heißt es im Programmheft. Gut, aber wenn ich nur irrwitzige Laute vernehme ohne auch nur den geringsten Anhaltspunkt, warum gerade geschrien, gekreischt wird, dann fehlt mir der Zugang. Nicht aber das Publikum – ein Teil brach in Begeisterungsapplaus aus.
Den Abend retteten die Zwischenstücke, die Kopatchinskaja unter dem Künstlernamen PatKop komponierte. Da konnten die sechs fantastischen Musiker richtig brillieren.
Elisabeth-Joe Harriet ist Olga Schnitzler und schrieb dieses Konversationsstück. Florian Sedivy spielt Hugo von Hofmannsthal
Eine wahre Wohltat war dieser Abend! Nach einigen ziemlich unverdaulichen Theatervorstellungen aus dem Wiener Festspielwochenzirkus nun endlich ein Abend, den man voll und ganz genießen konnte. Die Sprache beider Darsteller klar und fein differenziert, verstehbar bis in die letzten Reihen. Das Spiel ohne Klamauk, ohne modische Themensetzung – die Lage ist klar:
Elisabeth-Joe Harriet ist voll und ganz in der Rolle der Grande Dame Olga Schnitzler und plaudert auf hohem Niveau mit Hugo von Hofmannsthal über sein Leben. Florian Sedivy und die Fotografie des Dichters im Hintergrund verschmelzen ineinander. Jede Geste ist glaubwürdig. Die Kulturszene um 1900 und das „Junge Wien“ sind beiden aus intensiven Recherchen und vielen anderen Veranstaltungen vertraut.
Es ist, als hörte ich dieses Kammerspiel zwischen zwei Personen aus einer vertrauten Vergangenheit zum ersten Mal, so frisch und fast extemporiert wirken die Dialoge. Da wird nichts vom Manuskript herungergelesen (außer einigen Gedichten und Briefen), leichte Koketterie schwingt durch den Raum, lässt die Zuschauer schmunzeln und lachen. Behutsam führt Olga den Dichter durch seine Jugend, als er der begabte Loris war. Wie fühlt man sich – so früh schon anerkannt und hochgelobt? – Das scheint der junge Hugo mit Selbstbewußtsein hingenommen zu haben! Manchmal wird die alleswissende Olga dem Hofmannthal zu persönlich und er alteriert sich gekonnt über die Indiskretion. So ist die Nachfrage Olgas über seine Ehe mit der überaus verständnisvollen und nie eifersüchtigen Gertrude ihm mehr als unangenehm. Olga entschuldigt sich zerknirscht. Das sind so kleine „Dramoletterln“, mit der die Autorin die Konversation auflockert. Ein anderes dieser Art: Das Spiel um die Zigarette. – Hoffmannsthal kann es nicht glauben, dass im Hier und Jetzt nicht geraucht werden darf. „Auch nicht im Kaffehaus?“ -„Da schon gar nicht“. Ja, wozu geht man denn dann ins Kaffeehaus?“
Ernster wird die Konversation, wenn die Frage nach dem Vaterland auftaucht. Wie und wann wurde ihm bewußt, dass die Donaumonarchie nicht mehr existiert, dass gerade ein Jahrhunderte altes Gesellschaftssystem zusammenbricht? Hofmannsthal empfand es als eine persönliche Herausforderung und verbat sich das Jammern über den Verlust: „Meine Heimat habe ich behalten, aber Vaterland habe ich keins mehr als Europa“ (Zitat nach dem Programmzettel) Dazu Olga – ja ein Europa, das gerade dabei ist, sich selbst zu zerstören. Im Glauben an ein anderes Europa, das Zukunft hat, schrieb Hofmannsthal den „Jedermann“ in Zusammenarbeit mit Max Reinhardt. Ebenso in Zusammenarbeit mit Strauss die „Elektra“, den „Rosenkavalier“ und noch viele andere. Ungläubig vernimmt er, dass der Jedermann noch immer ein Quotenhit ist, und seine Werke weltbekannt und geschätzt sind.
Ein entzücktes Publikum spendete viel Beifall, dankbar für diesen wunderbaren Abend!
Elisabeth-Joe Harriet ist eine vielseitig begabte Frau. Neben ihren literarischen Konversationen, zeigt sie ihrem Publikum die Wunder unbekannter oder verborgner Plätze in Österreich und anderen Ländern. Das ganze Programm findet man unter: http://www.elisabeth-joe-harriet.com Im „Haus Hofmannsthal“ (Reisnerstraße 37, 1030 Wien) finden regelmäßig Ausstellngen, Konzerte , Lesungen und Liederabende statt. Das ganze Programm findet man unter: whttp://www.haus-hofmannsthal.at Der Veranstaltungsort ist allerdings nicht mit Hofmannsthals Geburtshaus identisch.
Martin bekommt die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er hat nur mehr drei Monate zu leben. Als er mit seiner um Jahrzehnte jüngeren Frau darüber redet, reagieren beide vernünftig – der Leser meint: Vielleicht etwas zu vernünftig, unglaublich gelassen. Ulla ist Malerin und hat ihr eigenes Atelier. Martin ist Professor in Ruhestand. Beide lieben ihren kleinen Sohn David sehr. Wie es ihm beibringen? Er geht noch in den Kindergarten. Sie beschließen zunächst, an dem Alltagsleben nichts zu verändern. Martin überlegt nun, was seinem Sohn im späteren Leben wichtig wäre zu wissen, und verfasst Briefe an ihn, die ihm als Lebensratgeber behilflich sein könnten. Als Ulla sie findet, meint sie, die seien zu kompliziert und abgehoben. Martin unternimmt mit David Wanderungen, zeigt ihm die Schönheiten der Natur. Freut sich über die kleinen und großen Fortschritte, die David macht. Ulla indes ist eine neue Beziehung eingegangen, die Martin bald entdeckt. Er beschließt aber, seine Eifersucht nicht hochkochen zu lassen, sondern weiterhin Ulla seine große Liebe zu zeigen. Was scheinbar so leicht zu bewältigen war, entwickelt sich zu einer Schwere. Wie miteinander umgehen? „Es galt behutsam über das dünne Eis zu gehen“ (S 163) Der Autor erspürt diese Behutsamkeit in der Sprache. Es gelingt ihm, jedes Wort, Geste und Blick aus dem Alltag herauszuheben und sie vor den Prüfstein der Endlichkeit zu stellen. Weder Ulla noch Martin brechen in Tränen der Verzweiflung aus. Als Martin seiner Frau gesteht, von dem „anderen“ zu wissen, beschließen sie, total ehrlich zueiander zu sein und die letzten Wochen mit David an der Ostsee zu verbringen, bevor die Schmerzen Martin zwingen, sich in ein Hospiz einweisen zu lassen. „Das reine Glück waren die Minuten, in denen Ulla sich neben dem Liegestuhl in den Sand setzte und ihren Kopf an seinen lehnte. …Es war kühl, David brachte noch eine Decke, Ulla legte sie über ihn, und sie warteten, bis die Sonne ins Meer sank“ (S240) Ende. Da darf sich der Leser, zufrieden über „das sanfte, poetische“ Ende, zurücklehnen und sich weiter keine Gedanken machen. Oder doch? Vielleicht fragt sich der eine oder andere, ob dieser Roman nicht doch Schönmalerei ist. Wie wäre das Ende ohne die verständige und sanfte Begleitung von Frau und Sohn? Wie für einen Menschen, der mit dieser Diagnose ganz allein fertig werden muss? Das Buch berührt, wie alle Werke Schlinks, doch am Ende sagt man sich: Schön wärs, wenns so käme… http://www.diogenes.ch
Regie: Claus Peymann, Bühnenbild: Paul Perchbaumer, Kostüme: Su Bühler
Muss man aus purer Ehrfurcht vor dem Ruhm, der diesem Stück als „Ikone“ des absurden Theaters anhaftet, die Vorstellung gut finden? – Nein, denn das Stück selbst ist keine Ikone mehr, es hat Rost angesetzt. Und den können auch ein Peymann und die engagiertesten Schauspieler nicht wegkratzen.
Alle bemühen sich, dem Stück Schwung zu geben. Aber wir alle wissen, dass dieser Godot nicht kommen wird – damit ist schon der Saft weg. Und die diversen Interpretationen, wer nun Godot sein könnte, bleibt ja bekanntlich jedem überlassen. Nur – es ist nicht der Mühe wert, diesen Godot hochzustilisieren. Er kann der Nachbar, der deus ex machina oder Gott sein, der Wladimir und Estragon aus der Lebenspatsche helfen soll ….Die beiden Figuren stehen sich selbst im Weg – denn Warten allein ist keine Lebenslösung. Die Lebenszügel in die Hand zu nehmen und Godot Godot sein zu lassen, dazu haben sie keine Kraft.
Pasend zur Hoffnungslosigkeit der Figuren schuf Paul Lerchbaumer das Bühnenbild: Die Welt ist eine öde Straße, ein kahler Ast zwängt sich durch die Ritzen. Am Ende der Straße droht der Abgrund.
Peymann setzt auf den Witz der Wiederholung. Nur der stumpft sich ab, und der Abend droht in Langeweile abzugleiten, auch wenn die Schauspieler, wie immer, ihr Bestes geben: Bernhard Schir im Clownkostüm eines Charly Chaplin ist ein Zauderer und Melancholiker, Marcus Bluhm ein Landstreicher, dem die Warterei auf die Nerven geht. Beide können miteinander nicht mehr auskommen, aber allein durchs Leben zu vagabundieren, dazu haben sie nicht den Mut. Als die Langeweile des Wartens (auf der Bühne und im Publikum) sich breit macht, treten Pozzo und Lucky auf. Nico Dorigatti als armes, geknechtetes Schwein liefert als Wortmaschine, in der die Buchstaben und Beduetungen durcheinander geraten sind, eine Glanzleistung ab. Stefan Jürgens präsentiert gekonnt das Gehabe eines perfiden Machtmenschen.
Der Applaus galt vor allem der großartigen Leistung der Schauspieler.
Regie: Janusz Kiza, Kostüme und Bühne: Karin Fritz
Da sitzen sie nun, unglücklich alle – siehe Foto oben. Der Wiener hat dafür einen besonderen Ausdruck „bedroppelst“ , weniger als unglücklich, mehr als verdutzt. Verdutzt darüber, dass nicht die Liebe das Sagen hat, sondern das Geld. Die Liebe, ja die ist ordentlich in Verruf gekommen, heute noch mehr als zu Zeiten Goldonis. Der machte sich noch gehörig lustig über die Einfaltspinsel, die an die Liebe glauben. Aber wie kommen sonst noch Ehen zustande? -Damals wie heute: durch geschäftliche Absprachen. Die Liebe soll es ja geben, sagen die Lieder, besonders die italienischen. Aber das ist alles nur romantische Masche.
Dem Regisseur Janusz Kiza gelingt es, zwischen Komik und Tragik die Balance zu halten. Auch wenn am Ende keine der Figuren glücklich wird und man eigentlich darüber weinen könnte, muss man doch immer wieder schmunzeln. Wir – das Publikum – lachen, weil wir entweder solche Liebesfallen selbst schon xmal erlebt haben oder weil wir uns über die in ihr Unglück sehendes Auges stolpernden Figuren erhaben fühlen und uns über deren Uneinsichtigkeit und Dummheit amüsieren. Wie auch immer – dem Publikum gefällt es, wenn die Figuren da oben alle aus Liebe leiden. Il grande amore gibt es nur im Schlager, der vom Diener Cecco – bravourös von Marcello de Nardo – geträllert wird. Er leidet am allerwenigsten. Denn er hat genug mit seinem nervigen Herrn zu tun: die Gläubiger abwehren, Koffer ein-, Koffer- auspacken. Von Liebe weiß er nur ironischerweise zu singen. Vom Leiden dieses Gefühslwirrwarrs bleibt er verschont. Anders Brigida, die Sofe Giacintas (urkomisch Katharina Klar). Sie scharwenzelt entzückend und vergeblich um den knochentrockenen Diener Paolo (Markus Kofler) herum.
Doch Gefühlskälte gibt auch keine Sicherheit – Constanze bleibt allein, aber wirkt eher verlasssen in ihrem Panzer( Martina Stilp überzeugt in Egozentrik und Gleichgültigkeit.) Sie verheiratet ihre Nichte Rosina (spitze Larissa Fuchs!) in aller Heimlichkeit an den Tölpel Tognino – Matthias Franz Stein zeigt in dieser Rolle sein komisches Talent – doch glücklich sind die wahrlich nicht. Den Gipfel der Ungkückspaare bilden Vittoria (Paula Nocker) und Guglielmo (Alexander Absenger). Sie liebt ihn, aber er liebt Giacinta (Juliette Larat). Aber diese ist aus finanztechnischen Gründen Leonardo (Claudius von Stolzmann) versprochen. Mit Bravour legen die Vier dieses Liebeswirrwarr hin. Die schwierigste Rolle hat wohl Giacinta – sie soll die Moral überzeugend hochhalten, was nicht immer gelingt. Drahtzieher und Sire in dieser Intrige ist Fulgenzio (André Pohl) – perfekt zwischen Perfidie und treuherzigem Freund des stillen Genießers Filippo, der von allen ausgenützt und etwas naiv ist – Marcus Bluhm ist darin perfekt. Das übliche Buffopaar bilden Sabina, die reiche Witwe – mit Selbstverleugnung großartig: Marianne Nentwich. Raphael von Bargen brilliert als ihr schleimiger, erbschleichender Liebhaber Ferdinando.
Wieder einmal mehr zeigt das Ensemble der Josefstadt unter der klugen Regie von Janusz Kiza seine Spielfreude! Ein Wort noch zum Bühnenbild: Karin Fitz hat eine witzige Variante für das in jeder Komödie unerlässliche „Tür auf Tür zu“, gefunden: Statt Türen schlagen, von einem Zimmer ins andere rennen, lässt sie Szenen- und Figurenwechsel durch eine verschiebbare Rollwand geschehen. Das gibt dem Geschehen Witz und Schwung. Die Kostüme sind einfallsreich, genau auf den Charakter der Person zugeschnitten.
Drei Choreographien von Choreographen mit ganz unterschiedlicher Handschrift. Faycal Karoui dirigierte das Orchester der Wiener Staatsoper
marsch, walzer, polka – Choreographie Martin Schläpfer. Musik Johann Strauß (Sohn und Vater). Kostüme: Susanne Bisovsky
Martin Schläpfer wie man ihn selten erlebte: Humorvoll tollten da die Tänzer über die Bühne. In den zauberhaften und bunten Kostümen von Susanne Bisovsky rollten, kugelten und tanzten alle alles Mögliche, nur keinen typischen Walzer, wie man ihn xmal schon als Interludium im Neujahrskonzert oder am Opernball sah.
Claudine Schoch – wie immer großartig -eröffnete den Reigen. Sie blieb noch relativ klassisch in der Musik. Dann aber sah man, was Schläpfer meinte: “ Es geht nicht darum, sich mit der Muik zu verbrüdern. ….Es ist dann Kunst, wenn man sich in der Kontrolle verliert“ (Zitat aus dem Programmheft) Diese Art von „Querchoreographie“ ist Schläpfers große Stärke, geboren aus dem Sinn für Humor. Da wird nicht Walzerseligkeit abgespult. Die Paare staksen, kugeln, sinken erschöpft zusammen. Wie das halt so im Ballsaal öfter passiert – meist beherrschen nur wenige den Dreivierteltakt überzeugend. Das ganze Balletensemble zeigt sich in schauspielerischer und tänzerischer Höchstform, indem es das Unerwartete, Unpassende tanzt. Reizvoll unterstützt durch die bezaubernden Kostüme von Susanne Bisovsky.
fly paper bird Choreographie Marco Goecke. Musik: Symphonie Nr. 5.Bühne und Kostüme: Thomas Mika
Aus war es mit dem Wohlfühlabend! Harte Ballettkost liefert Marco Goecke. Menschen in dunklen Kostümen zucken, zittern zum 2. Satz der 5. Symphonie Mahlers. Karoui dirigiert mit schmerzlicher Schärfe, man glaubt, einen Zeitgenossen zu hören. Der Vogel ist noch nicht zu sehen. Nach Ende des 2. Satzes – lange Stille. Dann erkligt das betörende Adagietto des 4. Satzes. Man ist versucht, die Augen zu schließen und diese „himmlische Musik“ – daher der Titel des Abends – zu genießen. Doch das ist nicht im Sinne des Choreographen. Er will aus der himmlischen Musik ein quälendes Stück Ballettgeschichte schreiben. Um die weiter zitternden, mit nacktem Oberkörper schwankenden Gestalten zu „unterstützen“, geht ein Rauschen, Geflüster über die Bühne. Im Programmheft liest man, es seien Zitate aus Ingeborg Bachmanns kryptischem Gedicht „Mein Vogel“. Besagter „Papiervogel“ gewinnt Gestalt und hebt sich aus dem Hintergrund ab. Alles sehr rätselhaft. Verkopft. Das hat das wunderbare Adagietto nicht verdient und auch nicht das tolle Ensemble, das zucken und krampfen musste.
symphony in c Choreographie George Balanchine, Musik: Georges Bizet – Symphonie Nr. 2.
Bizet komponierte diese Symphonie mit siebzehn Jahren (1855). Balanchine machte aus der vergessenenn Musik einen klassischen weißen Ballettabend, eine wahre optische Erholung nach dem Vorangegangenen. Tänzer und Tänzerinnen dürfen ihr Können zeigen und tun es mit viel Einsatz. Ein bisserl „Schwanensee“ passt immer – elegant, stilistisch perfekt alle!!
Tonkünstler-Orchester. Dirigent Hugh Wolff. Am Klavier: Andrei Korobeinikov
Gabriela Lena Frank: „Escaramuza“ für Streicher, Schlagwerk, Harfe und Klavier
Escaramuza bedeutet Scharmützel. Die in Kalifornien 1972 geborene Komponistin spürt in dieser Musik ihren südamerikanischen Wurzeln nach. Quelle ist die Kachampa-Musik aus den peruanischen Anden aus der Zeit vor der spanischen Eroberung. Traditionelle Krieger bringen sich unter den präzisen und stark affektiven Rhythmen in Kampfstellung. In freudiger, tänzerischer Stimmung wärmen sie sich nach einem eindrucksvollen Basstrommel-Solo auf und der Kampf kann beginnen. Ein aufregend-spannendes Stück. Hugh Wolff dirigiert „auf Schlag“, stark akzentuiert und das Orchester übernimmt die Kampfrituale eins zu eins. Franks Musik ist weit mehr als eine „Vorspiel“. Sie kann dem stark emotionalen Klavierkonzert Prokofjews durchaus Parole bieten.
Sergej Prokofjew: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2
Prokofjew ´komponierte dieses Konzert 1912, da war er gerade einmal 21 Jahre jung. Schon das Konzert Nr. 1 war ein riesiger Erfolg, allerdings gingen die Meinungen darüber auseinander. Das zweite sollte ein Riesenskandal, ähnlich der Aufführung von Strawinskys „Sacre du printemps“ werden. Die Menschen verließen scharenweise den Saal. Porkofjwe soll diesen Skandal genossen haben, so erzählt man. Viele meinten:“ Der muss komplett irre sein!“, andere sahen in ihm den Retter aus den „blutarmen und verzärtelten Kompositionen“ ( so der Komponist Nikoai Mjaskovski -zitiert aus dem Programmheft), wie sie die Musiksäle in dieser Zeit überschwemmten.
Bis heute zählt dieses Klavierkonzert zu den großen Herausforderungen für Orchester, Dirigent und vor allem den Pianisten. Der in Russland geborene Andrei Korobeinikov nahm diese Herausforderung mühelos an und raste gemeinsam mit dem Orchester mit geballter Energie durch die Sätze. Hugh Wolff führte souverän durch diese Emotionsbombe, ohne je den Überblick zu verlieren. Vom Pianisten wurden geradezu animalische Kräfte verlangt, die Korobeinikov im Übermaß hatte, musster er nur mit einer Minipause in allen vier Sätzen präsent sein. Er verlangte dem Klavier ein Maximum ab, und es gab Momente, in dem man das Gefühl hatte, Orchester und Klavier rasen in einen Wirbelsturm hinein, aus dem sie nicht mehr herauskommen. Bei all diesem Kraftaufwand wurde die Musik nie zu „Lärm“, vor dem man davonlaufen oder die Ohren verstopfen wollte, sondern war ein gebündelter, präszis geführter Anschlag auf Herz und Hirn. Die Begeisterung des Publikums honorierte diese Extremleistungen mit viel Applaus.
Sergej Rachmaninow: Symphonische Tänze op.45
Eine Fassung ohne Klavier. Die berühmten „russischen“ Glocken vermisste man auch.
Eine emotionale Steigerung zum vorher Gehörten war unmöglich. Daher wählte man klug eine „Softvariante“ aus. Rachmaninovs Musik klingt zu Beginn verführerisch, man meint sich in Walzerklängen wiegen zu können. Doch von einer Walzerseligkeit ist Rachmaninov weit entfernt, die Musik bleibt „walzerisch“, gerät aber immer wieder durch den häufigen Rhythmus- und Tempowechsel auf Abwege. Die Streicher sind schwer gefordert, die Blechbläser führen das „Dies irae“-Motiv glanzvoll an. Tam-Tam-Schläge lassen die Musik leise „verenden“.
Man darf sich auf eine weitere Zusammenarbeit zwischen Hug Wolff und den Tonkünstlern freuen!
Mit Bela Koreny – Klavier und Moderation, Stella Grigorian, Karl Markovics. Am Bass: Johannes Strasser, Saxophon: Herwig Gradischnig. Akkordeon: Aaron Wonesch
Am 22. Mai 2024 feierte die Gruppe auf den Tag genau den 100. Geburtstag von Charles Aznavour. Bela Koreny erzählte von seiner Begeistrung für Charles Aznavour, den er oft im Konzert erlebte, ihn persönlich aber nie getroffen hat. Routiniert – manchmal ein wenig zu salopp routiniert – begleitete er Stella Grigorian und Karl Markovics am Klavier. Für den authentischen Hintergrundsound sorgten Johannes Strasser am Bass, Herwig Gradischnig am Saxophon und Aaron Wonesch am Akkordeon. Die ehemalige Opernsängerin brachte ihren Mezzosopran wirkungsvoll und manchmal mehr an Operette als an Aznavour-Sound erinnernd zur Geltung. Sie kann halt ihre Divenattitüde nicht ablegen. So gelangen die verschiedenen Chansons – welche, das konnte man leider nicht in Erfahrung bringen, da ein Programmzettel fehlte – zwar musikalisch einwandfrei, aber es fehlte das typische Flair, das ein Aznavour oder eine Edith Piaf hatte. Für „Aznavourerleben in Reinkultur“ sorgte Karl Markovics, der kurze Passagen aus dem Leben des Sängers erzählte, etwa seine Beziehung zu Edith Piaf. Wenn er deutsche Chansons in einem Sprechgesang mit liedhaften Ansätzen vortug, dann spürte man den Geist dieses Ausnahmesängers durch. Ganz stark dann sein Schlussauftritt mit „Ich bin ein Homo“. Aznavour war der erste, der dieses heikle Thema in ein Chanson einbrachte, und es wurde ein Riesenerfolg. So auch im Theater Akzent!! Denn Markovics stieg voll und ganz ein in die Rolle des Travestiten, der von der Gesellschaft verachtet wird. Gänsehautwirkung!
„An dem Abend, als mein Vater starb, fanden mein Bruder und ich uns im Auto wieder, weil es spät war und….weil es nichts anderes mehr zu tun gab als heimzufahren.“ So nüchtern beginnt die Geschichte, die ein „Roman“ genannt wird, die aber so nahe an der Icherzählerin dran ist, dass man annehmen darf, die Autorin erzählt ihre eigene Vater-Tochtergeschichte. Ob autobiographisch oder Fiktion oder eine Mischung – das Buch lässt einem so leicht nicht los.
Bruder und Schwester scheinen „es“ ganz gut zu verkraften. Sie räumen zunächst den Schrank im Krankenhaus leer. Es schockt, wenn die Autorin nüchtern die Dinge aufzählt, wie die Beinprothese, die Unterhosen, das Taschenkruzifix. Dinge, die dem Vater gehörten, in die Hand genommen, entwickeln ihre Tücke, ihr Eigenleben und daraus resultierende Erinnerungen. Der Bruder kapselt sich ab, lässt der Schwester die Organisation des Begräbnisses über und fährt danach gleich ab. Sie wird ohne ihn das Haus, in dem ihr Vater allein gelebt hatte, ausräumen. Und mit den Dingen und den Erinenrungen kommen die Trauer und die Tränen. Immer mehr rückt die Figur des Vaters ihr näher. Gute Erinnerungen überdecken die Tatsachen, wie etwa den durch Alkoholismus hervorgerufenen Jähzorn. Liebe und Herzenswärme zeichnen letztendlich die tief berührende Beziehung zwischen Tochter und Vater. Ein Herzensbuch im besten Sinn des Wortes, das zu Recht mit dem französischen Publikumspreis als „Bestes Buch des Jahres“ ausgezeichnet wurde!
Regie und Choreographie: Crystal Pite, Text und Regie: Jonathan Young. Komposition und Sounddesign: Owen Belton, Alessandro Juliani, Meg Roe. Bühnenbild: Jay Grower Taylor. Verwendete Musik: Tschaikowski: Konzert für Klavier und Orchester Nr.1b
Ich beschreibe jetzt einfach einmal, was sich auf der Bühne abgespielt hat, ganz ohne Kritik, aber auch ganz ohne Verstehen – so man überhaupt „verstehen musste“: Es fängt irgendwie als harmlose Parodie auf amerikanische Charity-Veranstaltungen an. Amerikaner lieben bekanntlich solche gesellschaftlichen Spiele. In einer Versammlungshalle mit Basketballkorb, einer Bühne mit Vorhang, verschiedenen anderen Utensilien und Sesseln trudeln die Mitglieder dieser ominösen Charitygruppe ein. Es wird palavert (auf Englisch, deutsche Übertitelung). Den Text muss man nicht verstehen – man kapiert auch so: Sollen die 7 abstimmen oder nicht, sollen sie die Abstimmung verschieben, weil einer fehlt? Man beginnt zu begeifen – aha, hier wird eine Parodie auf diverse Versammlungen (nimm Parlament, private Zusammenkünfte oder auch Europarat oder UNO – wurscht, wer oder was) gespielt – sie kommen nie zu einem Entschluss – Vertagung ist die Lösung. Das alles in Slapstickmanier. Bis dann die Sache kippt – aus Gerede wird Geraufe, tänzerisch auf hohem Niveau Wie Straßenbuben prügeln sie sich, einer rückt mit einer Lanze an, sticht einen ab, der stirbt, oder stirbt doch nicht. Plötzlich springen alle auf die Bühne hinauf, toben dort weiter. Ein Art Abendmahl mit Leuchter taucht auf, wird gekippt, bleibt hängen – und es folgen viele solcher „Lazzis“. Die Gruppe kugelt, fliegt, rennt und hüpft – alles sehr anstrengend und perfekt eingeübt. Um nicht Langeweile aufkommen zu lassen – denn Dauerslapstick ist schnell einmal fad – taucht ein Ritter auf! Ah, jetzt glaubt man zu verstehen – Parsifal oder Lohengrin! Der soll wohl der fehlende 8. sein! Nur Erlösung bringt er nicht. Deshalb fällt die Meute über ihn her, tötet ihn, bejammert dann inkonsequent seinen Tod. Dazwischen tritt ein Art Häuptling im Nebel auf, tanzt ein wenig. Gewitter und Donner, dann auch Teile aus Tschaikowskis Klavierkonzert. Am Ende zerlegen alle die Silberrüstung des (toten?) Ritters, um sich mit den Einzelteilen zu schmücken.
Eine Parodie der Parodie der Parodie… Schön und gut, aber Parodie heißt nicht Un -Sinn bis zum Abwinken. Gute Parodien sind selten, weil sie raffiniert sein müssen. Das habe ich im Konzept vermisst. Die Gruppe war toll. Schade um so exzellente Tänzer.
Das Programmheft war auch nicht gerade erhellend. „Tanzen bedeutet, die Erfahrung des gegenwärtigen Augenblicks zu vertiefen. Dein Körper ist dein Ort…usw.“. Kryptische Worte von Crystal Pite. Doch was sagen sie aus???
Musik: Frédéric Chopin. Choreographie: Michel Fokine. Bühne und Kostüm: Darko Petrovic
„Im Ballett entdecken wir den Flug der Träume wieder, die seltsame Leichtigkeit , die uns im Schlaf geschenkt wird“, interpretierte Michel Fokine (1880-1942) seine Choreographie zu dem Ballett (zitiert aus dem Programm). Er legte mit diesem romantischen „Ballet Blanc“ den Grundstein für das symphonische, romantische Ballett des 20. Jahrhunderts.
Man ist sofort vom Bühnenbild verzaubert: Die elfenartigen Wesen ganz in Weiß schweben in spiegelgleichen Formationen durch einen blauen Wald, leicht wie Blumen, die der Wind zu Bouquets zusammen- und wieder auseinandertreibt. Es ist eine rein weibliche Welt, die von einem jungen Mann (Massayu Kimoto) in tiefer Verzauberung erforscht wird. So tanzt er abwechselnd mit Elena Bottaro, Olga Esina. Ionna Avraam, Sveva Gargiulo, Sinthia Liz, alle von schwebener Leichtigkeit, in die der Zuseher gerne eintaucht. Hervorzuheben ist auch das Corps de Balletts, das gleichsam mit Gruppenbildern, die aud dem Rokoko stammen könnten, dem Ganzen malerisch-verspielten Charme verleiht. Die zärtlich-leichte Musik von Chopin tut ihr Übriges, um den Zuseher voll und ganz mitzunehmen.
eden Uraufführung.
Choreographie: Adi Hanan, Bühne Michael Seibert, Kostüme: Maya Bash.
Musik: Franz Schubert: 1. und 2. Satz „Der Tod und das Mädchen“ und „Spiegel im Spiegel“ für Violine ( Anne Harvey Nagl) und Klavier (Chie Ishimoto) von Arvo Pärt
Vier Frauen, vier Männer suchen jeweils das andere Geschlecht mit geschlechtertypischen Bewegungen anzulocken, zu überzeugen. Frauen locken mit typisch weiblichen Mitteln, wackeln mit den Hüften, heben ihre Röcke und zeigen provokant ihr Hiterteil. Es wirkt! Die Männer mit provokantem, Muskel zeigendem Gehabe fallen auf die Frauen herein und „nehmen“ sie. Heftig! Und das sinnig zu Schuberts „Der Tod und das Mädchen“. Geschlechterkampf tödlich? Ada Hanan ist aktive Tänzerin im Staatsballett und präsentiert mit „eden“ ihre erste Choreographie. Ihr Thema – die Vertreibung aus dem Paradies und der Verlust der Unschuld.
Während sich die vier Paare an dem Thema der Sexualität und gechlechterspezifischen Bewegungforman abtanzen, befreit sich im Hintergrund das Paar Adam und Eva wie aus einer Eischale. Sie (Claudine Schoch) und Er (Marcos Menha) tanzen einen nicht endenden pas de deux, der alles von ihnen abverlangt: Kraft, Energie und Akrobatik. Zur atemberaubenden, sich ewig wie im Kreis wiederholenden Musik von Arvo Pärt – Klavier und Violine zaubern einen eigenwilligen, fremd klingenden Raum – ertanzen sie ihre Möglichkeiten nach der Vertreibung aus dem Paradies. Beide mit fast schäbig wirkenden beigen Shorts und weißerm Shirt sind Alltagsmenschen, Eva und Adam und das Paradies haben sie hinter sich gelassen und müssen sich mit der Welt, wie ist, auseinandersetzen. Großartig getanzt! Und der Geigerin Anne Harvey -Nagl und der Pianistin Chie Ishimoto gebührte der Extraapplaus!!
jeunehomme
Choreographie Uwe Scholz. Musik: Mozart, Konzert für Klavier und Orchester Nr.9, „Jenamy“. Klavier: Johannes Piirto
Für Verwirrung sorgt der Titel: Jeunehomme – junger Mann? Das Rätsel löste sich erst nach der Lektüre verschiedener Briefe Mozarts, die er mal an „Madmoiselle Jeunehomme“, dann wieder an „jenamy, oder jenomy“ addressierte. Es war wohl Louse Victoire Jenamy gemeint.
Uwe Scholz wusste zur Zeit der Kreation des Balletts 1986 noch nichts von dieser Erklärung. Als Karl Lagerfeld Bühne und Kostüme entwarf, mag wohl eine Anspielung an einen jungen Mann eine Rolle spielen. Er schuf als Bühnenhintergrund den Scherenschnitt einer Pianistin, die Oberteile der Kostüme sind wie Klaviertasten gemustert. Musik und der junge Mann – in dem Fall Davide Dato, der mit seinem Solo aus einer Reihe seiner berühmten Sprünge begeistert – machen den Anfang. Nach dem Allegro tanzen Ioanna Avraam und Marcos Menha ein bezauberndes Andantino und Kiyoka Hashmoto mit Alexej Popov das Rondo und Menuett aus dem 3. Satz. Das Enssemble glänzt durch exakte Schrittkombinationen und elegante Hebefiguren. Der Pianist Johannes Piirto sorgte für den typischen „Mozartsound“.
Eine interessante Mischung quer durch die Ballettgeschichte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Abwechslungsreich in der Musik- und Themenwahl, interessant und spannend durch die homogene Leistung des ganzen Ensembles.
Zwei aktuelle Events geben Auskunft. In der Ausstellung im Unteren Belvedere werden ihre Bilder und die ihrer Freunde gezeigt. Und im Gartencenter Donati in Pressbaum bereitet die Gruppe „Kunstspielerei“ amüsante Szenen aus ihrem Leben auf.
Broncia Koller-Pinell heißt diese geheimnisvolle Frau und sie war eine erfolgreiche Malerin .
Anton Faistauer malte sie 1917. (Titelbild) Es zeigt ein ruhige, besonnene Frau, der Blick richtet sich zwar auf den Betrachter, aber die Gedanken sind nach innen gerichtet.
Was diese Frau heute so interessant macht, sind nicht nur ihre Bilder, sondern vor allem ihre unglaubliche Karriere als Malerin. Geboren 1863 in Sanok (Galizien) und aufgewachsen in einer reichen, gutbürgerlichen jüdischen Familie, wurde ihr Talent als Malerin von der Familie gefördert, aber eine professionelle Ausbildung an einer Akademie wurde den Frauen damals strikt verwehrt. Doch Broncia Pineles, nach ihrer Ehe mit Hugo Koller, einem tüchtigen, reichen Geschäftsmann, dann Koller-Pinell, war zielstrebig, begabt und fand ihren Weg.. Mit 27 Jahren wurden ihre Werke bereits im Wiener Künstlerhaus und im Münchner Glaspalast ausgestellt. Als Gustav Klimt einige ihrer Bilder in seine Künstlergruppe aufnahm, war sie am Höhepunkt ihrer Karriere. Ihre Bilder zeigen die verschiedenen Einflüsse dieser Zeit: Impressionismus, Sachlichkeit, Wiener Werkstätte.
Sie führte mit ihrem Ehemann und den Kindern Silvia und Rupert in Oberwaltersdorf ein offenes Haus. Auch in den schwierigen Jahren des 1. Weltkrieges betreute und bewirtete sie Gäste wie Sigmund Freud, Gustav Klimt und Egon Schiele – so ziemlich alle bekannten österreichischen Künstler und Intellektuelle dieser Zeit.
„Sommer 1918, als Egon Schiele Broncia Koller-Pinell traf“
nennt sich das Stationentheater, das von Beatrice Gleicher und Erhard Pauerin der Gärtnerei Donati in Pressbaum inszeniert wurde und bis Ende Mai zu sehen ist. Szenen im Haus in Oberwaltersdorf, im Atelier Schieles und Klimts beleuchten das Leben der Malerin. Beatrice Gleicher spielt die „Grande Dame„, Salonière, Malerin und Mäzenin Broncia Koller-Pinell. Mit ruhiger Hand lenkt sie ihren Ehemann (Peter Faerber), den Sohn Rupert (Florian Stanek) und die Dauergäste Anna Mahler(Anna Zagler) und Egon Schiele (Paul Graf) durch die letzten Tage des Krieges, treibt echten Kaffee und frisches Brot auf, ist also Nähr- und ZIehmutter in einem. Immer wieder kehrt sie im Gedanken an frühere Zeiten zurück, erzählt von ihren Erfolgen als Malerin, erinnert sich an ihre Freundschaft mit Gustav Klimt und Egon Schiele, schlichtet Streitigkeiten zwischen Oskar Kokoschka und Egon Schiele. All das spielt sich zwischen dem „Salon“ (im Haus Donati) und dem Glashaus ab, das als Atelier umfunktioniert wurde.
Die Zuseher pendeln zwischen Zeiten und Orten hin und her. Vom Salon der Familie geht es immer wieder durch den Garten ins Glashaus, das je nach Bedarf einmal das Atlier Schieles, dann wieder das Gustav Klimts ist. Rasch wechselnde Szenen und Zeitensprünge verlangen ein gewisses Vorwissen des Publikums. Anspielungen auf Adolf Loos, Sigmund Freud, Alma Mahler und Oskar Kokoschka müssen rasch eingeordnet werden. Das macht die Aufführung locker, aber manchmal auch etwas unruhig. Beatrice Gleicher beherrscht souverän die Szenerie, sieht dem kindisch tobenden Jungvolk gelassen zu. Das „Jungvolk“ sind Anna Mahler , die kokett und hektisch um Rupert herumscharwenzelt. Sie zieht das Haus Koller dem ihrer Mutter, Alma Mahler, vor. Hier fühlt sie sich willkommen. Der Dritte im Bunde der Jungen ist Egon Schiele. Seine künstleriche Entwicklung als Junggenie wird in köstlichen Szenen gezeigt: Etwa, wenn er das Gustav Klimt seine Zeichnungen vorlegt und vor dem Urteil des großen Meisters bangt. Der erkennt sofort das Ausnahmetalent. Peter Faerber gibt einen humorigen, kauzigen Klimt ab.:
Peter Faerber als Klimt (li) und Paul Graf als Egon Schiele (re). Foto: Silvia Matras
Ausstellung und Theaterstück ergänzen einander. Es empfiehlt sich, zuerst die Ausstellung anzusehen, weil einige Szenen, die Broncia gemalt hat, eins zu eins im Stück wiedererkennbar sind – etwa, wenn Schiele den Ehemann Hugo Koller zwischen vielen Büchern malt.
http://www.belvedere.at Die Ausstellung „Broncia Koller-Pinell“ ist noch bis um 8. September 2024 in der Orangerie im Unteren Belvedere zu sehen.
„Sommer 1918, als Egon Schiele Broncia Koller Pinell traf“ ist noch bis Ende Mai in der Gärtnerei Donati, Weidlingbachstraße 5, Pressbaum zu sehen. Nähere Informationen unter:
Kompliment an den Autor! Er hat mit äußerster Akribie Archive und jede nur mögliche Art der Überlieferungen – mündliche und schriftliche – durchgeackert. Daraus wurde ein Art Tagebuch aus der Zeit vom Mai 1940 bis Oktober 1941. Diese Zeit war geprägt von Angst, Naziterror und Flüchtlingsströmen quer durch Europa. Nicht nur Juden, sondern auch Künstler, Intellektuelle verließen ihre Heimat und suchten außerhalb von Deutschland und den von Hitlertruppen besetzten Gebieten eine Bleibe. Bald waren die Grenzen der Schweiz dicht und die Flüchtlichge suchten in Frankreich, vor allem in Paris, Zuflucht. Doch als die Deutschen in Frankreich einmarschierten und Paris besetzten, wohin dann? Viele schlugen sich bis in den Süden Frankreichs durch, doch das war nur eine kurzfristige Lösung.
Die Existenz vieler war gefährdet. Wer noch genügend Geld hatte, um sich ein Schiffsticket in die USA zu kaufen, der entkam dem Horror. Die meisten Künstler und Intellektuelle jedoch blieben in Marseille und Umgebung hilf- und ratlos hängen, täglich von der Gefahr, geschnappt und in ein Lager gesperrt zu werden , bedroht.
In dieser Situration ergreift ein Mann namens Varian Fry mit Freunden die Initiative: Sie gründen in einem New Yorker Hotel das “ Emergency Rescue Committee“ (ERC). Sie sammeln Geld und erstellen eine Liste von namhaften Intellektuellen und Künstlern, deren Leben bedroht ist. Diese zu retten, wird Fry nach Mareille losgeschickt. Er ist kein Abenteurer, aber mutig und entschlossen. Interessant ist, wie unterschiedlich Wittstock die Initiative der Rettungsaktion schildert. Bei anderen Autoren – u.a. Herbert Lackner – ist es Thoma Mann, der schon längere Zeit in den Staaten lebt, die Initiative ergreift und Fry mit der Liste losschickt.
Was nun folgt, ist eine genaue Schilderung all der Schwierigkeiten, Erfolge und Rückschläge, die Varian Fry in Marseille durchmachen muss. Er findet Helfer – unter anderem einen gewissen Charles Fawcett. Er ist ein richtiger Draufgänger , sportlich und unerschrocken. Viele Prominente, unter anderem Alma Mahler und Franz WErfel, führt er über auf versteckten Pfaden über die Pyrenäen nach Spanien und Portugal. Nicht allen gelingt die Flucht, aber vielen. Unermüdlich arbeitet Fry, sucht Unterkünfte, neue Fluchtwege, organisiert (gefälschte) Papiere. Bis er am 1. November 1941 gegen seinen Wunsch weiterzuarbeiten vom ERC zurück nach New York „beordert“ wird.
Obwohl er mit fast unmenschlicher Anstrengung weit mehr als 200 Flüchtlingen das Leben gerettet hatte. wird ihm in New York kein guter Empfang bereitet. Sein Name und sein Wirken gerät bald in Vergessenheit. Erst 1994 wurde ihm von Yad Vashem der Titel „Gerechter unter den Völkern“ verliehen. Wittstock schrieb mit diesem Buch nicht nur die Geschichte eines Mutigen, sondern erzählt interessant und spannend die Schicksale vieler, wie z.B. Hannah Arendt, Anna Seghers, Lion Feuchtwanger, Walter Mehrung, Werfel und Alma Mahler-Werfel.
Ein wichtiges Buch, gut geschrieben, gut recherchiert, ohne dass die Recherchen das Lesen belasten. Einige interessante Originalfotos.
Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler. Mit einem Nacwort von Elke Heidenreich,
Die Autobiographie einer Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, geschrieben unter dem Deckmantel eines „Romans“. Sibilla Aleramos (1976-1960) Roman erschien 1906 und erregte in ganz Europa großes Aufsehen. Sie gilt als Wegbereiterin des Feminismus in Italien.
Die Icherzählerin Rina verlebt ihre Kindheit in Mailand, ist der Liebling ihres Vaters, den sie vergöttert. „Die Liebe zu meinem Vater beherrschte mich“, gesteht sie gleich zu Beginn. Er wiederum schätzt ihre schnelle Auffassungsgabe und Intelligenz. Emotional ist er jedoch sehr distanziert. Von ihrer Mutter, die unter Depressionen leidet, erfährt sie auch keine Liebe. Als sie 12 Jahre alt ist, wird der Vater in den Süden in ein kleines Dorf versetzt, wo er die Leitung einer Glasfabrik übernimmt. Die 12jährige Rina sucht sich in der neuen Umgebung vergeblich zurechtzufinden. Noch sehr jung beginnt sie in der Fabrik mitzuarbeiten und erweist sich als sehr tüchtig. Aber ihren Vater als Ansprechpartner verliert sie immer mehr. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie glaubt, in einen attraktiven Angestellten verliebt zu sein. Als er sie vergewaltigt, muss geheiratet werden. Da ist sie gerade 17 und steht nun unter der Knute dieses Mannes. Ihre Befreiungsversuche , wie Krankheit oder Streit, enden immer mit Bestrafung Aus Eifersucht verbietet er ihr sämtliche Kontakte zu Menschen, die ihr lieb sind. Isolation und Depression scheinen ihr Schicksal zu sein, ähnlich dem ihrer Mutter. Immer wieder sagt sie sich, sie wird weggehen. Nach zehn Jahren Ehegefängnis hat sie endlich die Kraft, sich zu trennen. Allerdings verliert sie ihren Sohn, der beim Vater leben muss. An diesem Tiefpunkt ihres Lebens endet der Roman.
Sibille Aleramo hält sich mit Zeitungsartikeln finanziel über Wasser. Sehr bald schon hat sie Zutritt zu literarischen Kreisen, ihre Meinung wird allgemein anerkannt. Um effektiver für die Rechte der Frauen kämpfen zu können, tritt sie in die Kommunistische Partei ein. Sie stirbt 1960 mit 83 Jahren. Heute gelten ihr Roman und ihre Schriften als frühes Zeugnis für die Emanzipation einer Frau, der lange Zeit der Begriff selbst noch unbekannt war. Leider strapazieren die immer wiederkehrenden vergeblichen Fluchtgedanken ein wenig die Geduld des Lesers. Man möchte ihr zurufen: Jetzt verlass endlich den Kerl. Aber in diesen Zeiten des anbrechenden Jahrhunderts war eine Trennung schier unmöglich. Da gehörte eine gehörige Portion Kraft dazu, die sie dann endlich unter viel Schmerzen aufbrachte.
Nach dem Roan von Alexandre Dumas d.J. „La dame aux camélias“.
Musik Fréderic Chopin. Choreographie, Inszenierung und Lichtkonzept: John Neumeier. Bühne und Kostüme: Jürgen Rose. Musikalische Leitung: Markus Lehtinen. Klavier: Michael Bialk, Igor Zapravdin
Ein Abschiedsgeschenk von John Neumeier? Hoffentlich nicht. Denn wie man erfährt, verlässt er zwar „seine“ Compagnie in Hamburg, gründet aber ein neues Ballettfestival in Baden-Baden. Alle hoffen, dass er mit neuen Choreographien auch weiterhin die Wiener Ballettfans beglückt.
Alle Fotos: Ashley Taylor. Bild links: Marguerite und Armand + Ensemble, Mitte: Armand. rechta: Marguerite und Armand
Denn beglückend ist es immer, wenn der Grandseigneur des Handlungsballetts eine seiner Arbeiten in Wien zeigt. Beglückend ist es dann noch mehr, wenn die beiden Protagonisten Olga Esina und Brendan Saye heißen!
Olga Esina verkörpert in jeder Phase, mit Blicken und Gesten – nur ihre Hände allein erzählen viel von der Geschichte – Marguerite Gautier. Als begehrte Lebedame der Gesellschaft wirkt sie ebenso überzeugend wie als erst zögerliche, kokekette Schöne, die sich von Armand Duval gerne umschmeicheln lässt. Doch dann schmilzt die Koketterie und sie begreift, wie sehr sie diesen zunächst schüchternen, leicht tölpelhaft wirkenden jungen Mann zu lieben beginnt. Höhepunkte des Balletts sind derer beiden Szenen, zunächst in ihrem Privatgemach – ein Rausch des gegenseitigen Erkennens, dann der Tanz der beiden mitten in der heiteren Gesellschaft auf dem Lande. Ihr Lieberausch ist von einer Intensität, die einem den Atem nimmt. Saye ist Armand, wie man sich ihn voestellt: dynamisch und zärtlich zugleich, von beieindruckender Sprungkraft und seine Hebefiguren wirken, als würde er mit einer Feder tanzen – was Olga Esina ja offensichtlich ist. Als er erkennt, dass Marguerite ihn verlassen hat, wirkt sein Solo wie eine Explosion der Wut und Enttäuschung.
Großartig sind auch alle anderen Figuren rund um das Liebespaar: Als Monsieur Duval, Armands Vater überzeugt Marcos Menha. Diese Rolle birgt große Schwierigkeiten – wie tanzt man einen steifen Menschen ohne Gefühle. Als er von Marguerite den Verzicht auf Armand fordert, ist er distanziert und kalt. Doch selbst er, der kalt Überlegende, wird von Marguerites tiefer Trauer erschüttert. Verweigert er ihr bei der Begrüßung den Handkuss, so beugt er sich am Ende voller Respekt über ihre Hand. Immer wieder bewundert man die Personencharakterisierung von John Neumeier. Mit wie wenigen Gesten es ihm gelingt, den Charakter tänzerisch herauszuarbeiten. „Tanz ist die lebendige Gestalt von Emotionen“ (Zitat aus Programmheft) ist sein Credo!
Tänzerisch herausragend sind auch die Figuren des „Balletts im Ballett“: Wie Mahnungen an ihr zukünftiges Schicksal tauchen Manon Lescaut (bekannt aus den Opern von Puccini und Massenet) und Des Grieux vor dem geistigen Auge Marguerites auf. Das Pas de deux als Spiegelbild des eigenen Lebens tanzen Kiyoka Hashimoto und Masayu Kimoto.
Konsequent bleibt Neumeier in der Zeit, wenn er von Jürgen Rose in die Periode des ausgehenden 19. Jahrhunderts passende Kostüme und ein dezentes Bühnenbild einfordert.
Ideal gebettet und geleitet ist das Ballettensemble in der Musik von Chopin – sensibel von Markus Lehtinen dirigiert und von den Pianisten Bialk und Zapravdin congenial gespielt.
Langer und begeisterter Applaus, standing ovations.
„Die Kameliendame“ ist noch am 22. April und 4. Mai 2024 mit Esina und Saye, am 27. April mit Bottaro und Dato, am 1. Mai mit Papava und Afshar zu sehen.
2. Besuch am 4. Mai
Das „Wiedersehen“ war intensiv, spürbar intensiver als beim Erstbesuch am 17. April. Es schien, als wären Olga Esina als Marguerite und Brendan Saye als Armand ganz tief in ihre Rolle eingetaucht. Die diversen pas de deux steigerten sich unglaublich, bis hin zum letzten: Marguerite erscheint tief in Schwarz gehüllt. Langsam, unsicher tritt sie auf Armand zu. Er zögert, nimmt ihr Mantel und Schleier ab. Alles geschieht mit verzögerten Gesten und Schritten. Annäherung geschieht vorsichtig, sie „erforschen“ einander, „erkennen“ einander und lassen die Leidenschaft geschehen, wissend, es wird das letzte Mal sein. Zuerst tanzt Marguerite noch im schwarzen Abendkleid, dann zieht er es ihr aus und sie wird zum jungen Mädchen, das im zarten Unterkleid alle Schranken ablegt. Beide ertanzen, umschlingen einander, fliegen und ihre Leidenschaft kennt keine Granzen.
Dieser pas de deux war so atemberaubend, dass der Dirigent Markus Lehtinen danach den Dirigentstab weglegte, das Orchester die Instrumente senkte und alle in begeisterten Beifall ausbrachen. Erst recht das Publikum.
Es war ein großes Fest des Tanzes! Dank an den grandiosen Choreographen John Neumeier und an Esina und Saye!
Wer die beiden in einer anderen Produktion erleben will: Am 31. Mai und 3. Juni tanzen sie miteinander im Ballett „Im siebten Himmel“
Genau 55 Minuten laufen zehn Frauen in einem abgesteckten Kreis, den sie nie verlassen werden. Mal nach vorne, mal rückwärts, mal bricht eine aus und tanzt in der Mitte. Alle haben Haare bis zu den Schulterblättern oder länger. Diese müssen sie nämlich immer über die Schulter werfen und dabei den Kopf aus dem Hals heraus drehen.
Nachdem ich begriffen hatte, dass dieser Lauf zum Dauerlauf wird, beginnen meine Gedanken zu kreisen (passend zum Kreis-Lauf auf der Bühne). Was könnte der Choreograph damit bezwecken? Und vor meinem Inneren tauchen Bilder von Kreistänzen auf, wie ich sie selbst erlebt hatte: Vielleicht, so kombinierte ich, war Boussouf ebenso stark beeindruckt wie ich von den Trancetanz auf Bali, dem Kecak. Da sitzen Männer in kurzen schwarz-weißkarierten Röcken im Kreis und bewegen ihre Oberkörper vor und zurück nach einem ähnlichen Herzschlagrhythmus wie der auf der Bühne. Das tun sie so lange, bis einer nach dem anderen in Trance verfällt. Aus der sie dann von einem Priester zurückgeholt werden. Aber auf der Bühne gibt es keinen Hinweis auf ein religiöses Ritual. Dann erinnere ich mich an die Trancetänze der Frauen im Salento (Süditalien). Wenn sie während der Ernte von einer Tarantel gestochen werden, müssen sie nach einer Musik tanzen, die den Herzschlag ähnelt. Sie tanzen so lange, bis sie in Trance fallen, dabei werfen sie ähnlich wie die Frauen auf der Bühne, einem Veitstanz ählich, ihre Haare zurück und drehen den Kopf wild im Kreis, Dieses Ritual kann ein bis zwei Tage dauern. Danach fallen die Frauen in einen tiefen Schlaf und sind vom Spinnenstich geheilt. Musik und Tanz als reinigendes Ritual – ob Boussouff wohl solches im Sinne hatte? Oder ich erinnere mich an Frauen auf der Insel Lesbos, die sich bei Vollmond im Olivenhain treffen und zu Liedern der berühmten Dichterin Sappho im Kreis tanzen. Männer müssen fernbleiben! Oder aber, um den Titel „feu“ zu interpretieren – viellicht dachte er an die Hexenverbrennungen. Das Schlussbild sah von der Ferne aus wie ein Fanal, eine brennende Mahnung.
Oder aber, meinte jemand nach der Aufführung, es war einfach nur ein Lauf der Befreiung – ganz ohne Bedeutung. So wie Kinder im Kreis tanzen. Manchmal tanzt eine in die Mitte und alle klatschen. Der Applaus galt den Tänzerinnen, die eine ausgezeichnete Kondition bewiesen.
Der 1985 in Paris geborene Tenor Benjamin Bernheim hatte in kurzer Zeit eine steile Karriere auf dem Opern- und Liedsektor hingelegt. Er gilt als Grandseigneur der französischen Romantik, was er an diesem Abend überzeugend bewies. Melancholie, Sehnen, Ruhe, Mond und Waldesrauschen beherrschten das erste Lied von Charles Gounod.: „L’Absent“„Die köstliche Stunde“ von Reynold Hahn führte mit viel franzsösichem Parfüm neuerlich in den vom Mond beglänzten Wald, und Benjamin Bernheim machte daraus ein feinziseliertes Panorama. Jauchzend und hoch angesetzt der Schluss: „C’est l‘ heure exquise!“ Den Höhepunkt des romantischen Kunstliedes bildete der Liedzyklus „Poème de l’amour et de la mer“ von Ernest Chausson. Im ersten Lied, „Les fleurs des eaux“ ließ Benjamin Bernheim spielerisch das Meer über den feinen Sand rollen, man spürt benahe die Wellen auf der Haut, um gleich darauf voll die Emotionen aufwallen zu lassen. Mit der Stimmgewalt des Operntenors besang er in seiner Geliebten die Verkörperung der Liebe und der Jugend. In der Romantik muss gleich nach dem Triumph die Wehmut kommen – und Bernheim sang ahnungsvoll den Abschied herbei. Am Ende gab er dem vollen Drama Raum, wenn er von „l‘ angoisse de mon coeur“ sang.Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung heißt es im darauffolgenden Lied „La mort de l‘ amour“: „Wie Tote waren wir erbleicht“. Der Sänger vermied es, daraus ein larmoyantes Drama zu gestalten, sondern hielt die Emotionen bewußt flach und hauchte das Lied in einem kunstvollen Falsett aus.
Nach der Pause wehte mit Puccini ein frischer, dramatischer Wind und Bernheim ließ den Opernsänger aufblitzen. Volle Oper im Lied „Mentia l’avviso“ . Das Meer fasziniert Puccini und Bernheim. In „Terra e mare“ rollen die Wellen des Meeres durch den Raum, Sturm durchwühlt die Wellen. Ja, das kann Bernheim mit seiner Stimme perfekt. Mit gezügeltem Temperament in Stimme und Ausdruck „reiste“ er danach durch Henri Duparcs „L‘ invitation au voyage“. Verzückung und Ekstase blieben nobel angedeutet. Ganz anders dann Richard Strauss. In „Heimliche Aufforderung“ zog Bernheim alle Register seines Könnens: Von flott bis verträumt. Er ließ das Trinkgelage ebenso lebendig werden wie den Rosengarten und scheute sich nicht, die volle Romantik auszusingen: „O komm, du wunderbare, ersehnte Nacht“. Mit warmem Timbre seiner Stimme sang er von „des Glückes stummen Schweigen“ („Morgen“) Und als Abschluss das wunderbare Lied „Cäcilie“: „Wenn du wüßtest, was träumen heißt“ -genau das hatte er dem Publikum an diesem Abend geschenkt: Das Träumen. Mit seiner vielfärbigen Stimme und dem Mut zum schlichten Ausdruck schuf Benjamin einen meditativen Abend. Er musste nicht mit voller Opernstimme paradieren. Bewusst verzichtete er auf Glanz und Gloria. Nicht unwesentlich trug zu seinem Erfolg Carrie Ann Matheson bei. Wie sie mit zarten, fast schmetterlingsgleichen Händen über die Tasten schwebte und den Atem des Liedes und des Sängers stützte, war congenial!
In der Zugabe erlaubte Bernheim sich, sein Publikum mit der vollen Kraft seiner Opernstimme zu beeindrucken:: „Dein ist mein ganzes Herz“ war der fulminante Schluss.
Junk-Oper nach den Motiven aus „Der Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann von den Tiger Lilies, Julian Couch und Phelim McDermott. Musik von Martyn Jacques
Die aktuelle Inszenierung: Regie und Raum: Marcus Ganser, musikalische Leitung Bela Fischer jr., Kostüm Anna- Sophie Lienbacher, Maske: Gerda Fischer, Zoe Marvie, Requisitenbau: Nikki und Paul Barner. Bühnenbau: Adrian und Emanuel Burcea, Andrei Indries, Gabriel Galea
Welch ein Feuerwerk an Ideen, Farben und Gags! Im schnellen Wechsel schlüpfen 6 Schauspieler und Schauspielerinnen in 29! Rollen. Georg Kusztrich, Bettina Soriat, Leopold Dallinger, Teresa Renner, Georg Hasenzagl, Katrin Fuchs und Bela Fischer jr. sind abwechselnd Eltern, Kinder oder andere Figuren. Nur einen davon hervorzuheben wäre den anderen gegenüber nicht gerecht! Denn alle leisten mit enormer Spielfreude und Körpereinsatz großes Theater mit großem Spaß- und Staunfaktor. Als Zuschauer wird man förmlich von den Einfällen überschüttet. Erschöpft ist am Ende das Publikum von so viel Phantasie, Aktionen und Skurrilitäten. Putzmunter am Ende die Schauspieler.
„Der Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann dürfte noch allen in Erinnerung sein. Ein wenig abgewandelt, von erzieherischen und moralischen Tendenzen befreit haben die Tiger Lillies. zur „Junk-Oper“ vor dem Verstauben gerettet. Marcus Ganser hat es congenial in Anlehnung an die Tiger Lillies -Fassung aufpoliert.
Das Wunschkind wird vom Storch in der Kiste geliefert, aber leider, leider ist es alles anderes als ein Wunschkind, also ab unter das Sofa. Und leider, leider haben auch die nachgelieferten Kinder ihre schweren Mängel: Paulinde zündet sich und das Haus an, dem Daumenlutscher werden die Daumen abgeschnitten und so weiter.Alle bösen Kinder sterben. Erleichtert lassen die Eltern die Leichen unter dem Sofa verschwinden. Der Mangel an Zuwendung gebiert Grausamkeiten, grad so aus Jux“, kommentiert der Confrencier. Trotz der genussvoll dargebrachten Grausamkeiten bleibt einem das Lachen nicht im Hals stecken. Denn: Es ist alles nur eine „Junk-Oper“, Theaterdonner eben! Daher darf man sich von Herzen amüsieren! Und voller Begeisterung klatschen und kreischen. Zur Freude des Ensembles!
Luca Ventura nützt die Krimischiene geschickt, um auf ein brennendes Problem aufmerksam zu machen. Diesmal geht es um die Mozzarellaherstellung aus Büffelmilch. Werden die Tiere artgerecht gehalten? Wie agieren die Tierschützer?
Nino Castaldo liegt tot in einer Tonne voll Wasser. Er stellte in Anacapri den berühmten handgezogenen Mozzarlla her. Inspektor Enrico Rizzi und die Ermittlerin Antonia Cirillo sollen den Fall aufklären. Keine leichte Aufgabe – Rizzi geht die Untersuchung sachte an, Cirillo prescht vor und bringt sich und die Ermittlung immer wieder in Gefahr. Der Kreis der Verdächtigen wird immer größer, besonders verdächtig sind Mitarbeiter der Firma Castaldos und die Familienmitglieder. Bald sind fast alle Personen verdächtig, auch der Produzent der Büffelmilch. Cirillo schnüffelt auf seiner Farm und bringt sich dabei selbst in Gefahr. Doch hier gibt es keinen Verdachtsgrund – die Tiere werden artgerecht gehalten. Aber die Familie ist unter sich zerstritten. Auf der Suche nach dem Mörder streift Rizzi durch sein geliebtes Capri, sieht die Faraglionifelsen im Mondlicht, schwärmt von seine Pfirsichen und kennt natürlich alle Bewohner der Insel. Geschickt beschreibt der Autor die Schönheit der Insel, nicht ohne auch auf die Gefahr des Massentourismus hinzuweisen. Der/die Mörder -in bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis. Die Lösung: Es könnte jeder der zig Verdächtigen gewesen sein, …
Eine Produktion des Opernstudios der Volksoper Wien im Muth. Musikalische Bearbeitung für Kammerorchester: Malte Kroidl. Inszenierung und Strichfassung: Maurice Lenhard. Musikalische Leitung: Gregor Hanke. Bühne und Kostüme: Christina Geiger
Titelfoto: Fiordiligi – Kamila Dutkowska und Dorabella -Maria Hegele (Foto: Barbara Palffy)
Ein verjüngter Mozart! Wenn das Ensemble aus dem Opernstudio auf eine Oper schaut, die schon von vielen Regisseuren und berühmten Sängern (oft zu Tode) gespielt wurde, dann weht ein frischer Wind durch das Libretto, und der hinterlistige Humor Mozarts darf voll aufblühen.
Den Erfolg heimst das ganze Team ein: Christina Geiger schuf ein zur Außentemperatur passsendes frühlingshaftes Bühnenbild. Auf einem Nobeltennisplatz findet der Kampf um die Geschlechterhoheit statt. Maurice Lenhard lenkt die jungen Sänger (bis auf Marco di Sapia, der dem Ensemble der Volksoper angehört) mit sensibler Hand durch Gags und heiteren Klamauk und sorgt für Lachen und Lächeln im Publikum. Selten noch sah und hörte man diese Oper so verschmitzt und schwungvoll. Dass die Musik voll zur Geltung kommt, das liegt an der kundigen Leitung von Gregor Hanke. Aber zuallerst an den Sängern:
Fiordiligi (Kamila Dutkoswska) war eine innige, sehr verliebte Braut, ihre Stimme hell, klar in allen Lagen, ihr Spiel zärtlich-verschmitzt. Sie ist es ja, die die Wette Alonsos fast zu Fall bringt und sich lange gegen das Werben des vermeintlichen fremden Kriegers (Ferrando-Stanislaw Napierala) wehrt, bis ihr die Hormone durchgehen und sie sich ihm heftig hingibt. Ihrer Schwester Dorabella (Maria Hegele) gelingt der Umstieg auf den neuen Verehrer problemlos. Sie ist die Intellektuelle, die ihrer Schwester die Finten der Verführung beibringt. Ihr glasklares Timbre passt punktgenau zu dem Charakter.
Foto: Barbara Pallfy
Die Verführer und letzten Endes die Betrogenen sind die beiden reizenden Schurken Guglielmo (Pablo Santa Cruz, im Foto links). Mit seinem sonoren Bassbariton bezirzt er mit viel Spielfreude im Nu die gar nicht spröde Dorabella, während sich der zunächst glücklose Ferrando (Stanislaw Napierala im Foto rechts) sich vergiblich an der treuen Fiordiligi abmüht.
Marco di Sapia singt und spielt Alonso als souveränen „maître de plaisir“, der von vornherein nicht an die ewige Liebe und Treue glaubt. Hinterlistig treibt er die beiden Paare in ein Gefühlschaos. Unterstützt wird er von Despina, mit Urkomik und toller Stimme von Jaye Simmons gesungen.
Eine rundherum gelungene Aufführung. Viel Applaus!
„The Erlkings“ – das sind: Bryan Benner-Gesang und Gitarre aus Orleans. Ivan Turkaij-Violoncello aus Zagreb. Simon Teurezbacher: Tuba, aus dem Mostviertel. Thomas Toppler-Schlagwerk und Vibraphon aus der Steiermark. Marcello Smigliante-Gentile: Mandoline, aus Neapel.
Diese bunt zusammengewürfelte Gruppe verspricht alles nur keine klassische Interpretation der Lieder. Wer die Originale im Ohr hat – vielleicht von Fritz Wunderlich oder Andrè Schuen -, der muss sie schnell vergessen. Denn Countrysong, Folk und Pop spielt gegen Klassik an und gewinnt. Das kapiert man gleich: „Adelaide“ von Beethoven hat nichts mit Romantik und Schmachten zu tun. Man glaubt sich in einem irischen Pub. In „Sehnsucht“ gibts wenig Sehnsucht, eher stampfendes Werben.
Bryan Brenner moderiert vor jedem Song – so nennt er das Lied „An die Hoffnung“ ein „Cowboycountrysong“. Im Effekt endet es wie ein Schlaflied. Harte Takte leiten das „Mailied“ ein, die Musiker stampfen zum Refrain „be happy forever“.
Bryan Brenner ist ein perfekter Entertainer und hat das Publikum in der Hand. Seine Stimme erinnert an die guten Zeiten der Singersongwriters. Manchmal geht dem Ensemble die Begeisterung durch und es wird heftig. Dann Bryan Brenner entschuldigend: „Das war jetzt ein bisserl übertrieben.“
Nach der Pause wagten sich die Erlkönige an Schubert heran. Dazu Bryan Brenner sehr selbstbewusst: „Schubert erlauben wir uns“ . „Auf dem Wasser zu singen“ und „Der Jüngling am Bach“ sind noch von Schubert angehaucht. Gänzlich ausgeflippt erklingt die „Forelle“. Klingen ist das falsche Wort – sie wird vom Ensemble und mit Begeisterung vom Publikum „eingeklatscht“ – Volksfeststimmung macht sich breit. Gespannt ist man auf den „Erlkönig“. Zur allgemeinen Gaudi fordert Brenner das Publikum auf, den „Erlkönig“ aufzusagen – die ersten Zeilen klappen recht gut, der Rest zerrinnt in Gelächter. Und schon legt die Gruppe los: Thomas Doppler spielt Kastagnetten, als würde er Carmens Auftritt vorbereiten – aber statt Carmen reitet der Vater mit dem Kind. Die Tuba (Simon Teurezbacher) sorgt für Gruseleffekt. Und Brenners Erlkönig hat was von einem verführerischen Straßensänger. Doch es geht auch mit mehr Schubert: „Meeresstille“, „An den Mond“ und die „Nähe des Geliebten“ bringen Schuberttöne, das Verlorensein, das vergebliche Hoffen.
Heftig und an die Grenze des Erträglichen gehend erklingt „Gretchen am Spinnrad“: Mit Männererotik und den passenden Hüftrollern interpretiert Brenner die Verliebtheit Gretchens, als „die eines unaufgeklärten Teenagers“ . Bollywoodreife Leistung!
Dirigent: Roberto Paternostro, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Choreinstudierung: Martin Schebesta
Während am Karfreitag alle Kulturstätten geschlossen halten, wagte man in Grafenegg die Bühne für „Parsifal – konzertant“ – zu öffnen. Und es war mutig und stimmig! Draußen im Park blühten die Bäume, das Publikum genoss die letzen Sonnenstrahlen – ein „Karfreitagszauber“, wie er nicht schöner hätte sein können. Außer vielleicht noch in der Musik Wagners, genauer: Im 3. Akt, wenn Gurnemanz, gesungen von dem stimmgewaltigen Bassbariton Stephen Milling, den Lenz ankündigt: „Der Winter floh und Lenz ist da!“ Wagner wollte Lenz als Person, als personifzierte Naturerscheinung verstanden wissen, weshalb er ihn ohne Artikel – nur Lenz – ankündigt. Die Musik untermalt diese Personifizierung der Natur, die in den Worten Parsifals noch vorangetrieben wird: „Wohl traf ich Wunerblumen an, die bis zum Haupte süchtig mich umrankten“. „Das ist der Karfreitagszauber,Herr“ erklärt Gurnemanz dem verzückten Parsifal. Klaus Maria Vogt ist die Rolle Parsifals mehr als vertraut. sein Tenor ist sicher und klar, ganz ohne Romantizismus. Was durchaus Sinn ergibt, denn die Musik ist an dieser Stelle verschwenderisch genug.
Was in der konzertanten Aufführung ein wenig auf der Strecke bleiben muss, ist die Mystik um Parsifal. Wagner war ja ein genialer „Synkret“ – elegant vermischte er Orpheus- Christus- und Rittermythen. Parsifal ist Ritter, Erlöser und Heilsbringer . Bevor er aber Amfortas von seinem Leiden erlösen kann, muss er selbst die Welt durchwandern und erfahren, was Leid ist. Denn ohne Mit-Leiden läuft Hilfe, Rettung ins Leere. Feierlich und mit Gespür für dramatischen Aufbau bereitet Wagners Musik uns auf den Auftritt Amfortas, des Leidenden, der nicht sterben kann, vor. Chor und Orchester schwellen zu einem gewaltigen Sturm an – bis die matte, todeswunde Stimme Amfortas zu hören ist. Derek Welton sang Amfortas mit Schmerz und der ganzen Herzenstiefe seines wudervollen Bassbaritons.
Roberto Paternostro forderte die Tonkünstler zu Höchstleistungen heraus. Mit untrüglichem Gespür für die Dramatik tönte die Schlussszene voll durch das Auditorium – der gesamte Chor, die volle Gewalt des Orchesters begleitete Parsifal, der den Schrein öffnet und den Gral entnimmt.
Es war eine Hommage an den französischen Akkordeon- und Bandoneonspieler Richard Galliano, tatkräftig unterstützt von den Tonkünstlern, die Yukata Sado mit der bekannt sensiblen Hand dirigierte.
Galliano war mit Astor Piazzolla eng befreundet. Daher machte es Sinn, mit der Komposition Piazzollas „Las Cuatro Estziones portenas“ ( „Die vier Jahreszeiten in Bueonos Aires“) den Abend zu eröffnen. „Der Frühling“ beginnt mit spitzen, kurzen Takten, die dann langsam in den sanften Tangohauch des Frühlings übergehen. Wer schon einmal im November, Dezember in Buenos Aires war, den wird die Musik an den Duft der Lindenblüten und an das Vogelgezwitscher in den großen Parkanlagen erinnern. Darauf folgte „Der Herbst“ – eine Musik voller Tangoschmelz. Schmelz ohne Schmalz – das treffen die Musiker (circa 30-40 Streicher), Sado und Galliano vortrefflich!
Ein typischer Nino Rota folgte: „Konzert für Streicher“ 1. Satz – heiter, leicht, als Teppich für ein Filmgeschehen ideal. Yukata Sado ließ die Streicher schwelgen.
Dann wieder Auftritt Galliano mit der Eigenkomposition „Tango pour Claude“ für Akkordeon und Streicher, gewidmet Claude Nugaro, dem französischen Jazz-Sänger und Dichter und engem Freund Gallianos. In der darauffolgnden Komposition „La valse à Margaux“ zitiert Galliano wieder Astor Piazzolla, der ihn ermutigt hatte, die französische „Musette Neuve“ zu schaffen, so wie er den Tango Nuevo kreiert hatte. Fortsetzung mit Nina Rotas „Konzert für Streicher“ – 2. 3. und 4. Satz, der zärtlich beginnt, sich in die Weite verbreitert und mit einem allegrissimo endet.. Yukata Sado ließ die Streicher brillieren.
Richard Galliano beendete das Konzert mit den Eigenkompositionen „Habanerando“ und „Opale Concerto“. Sado legte einen zärtlich-sanften Teppich unter Gallianos kunstvolles Spiel, während Galliano aus seinem Akkordeon ganz ungewöhnliche Töne zauberte, die zunächst wie leises Echo durch den Raum zogen, hin und wieder wie ein Dialog zwischen Vogelstimmen klangen und in einem leisen Traum endeten.
Geschickt ließ Galliano das Publikum in dieser Traum-Tangostimmung verweilen und spielte als Zugabe „Oblivion“ von Astor Piazzolla. Unterdessen setzte sich Sado auf die Stufe seines Dirigentenplatzes und hört diesem einmaligen Akkordeonkünstler voller Bewunderung zu. Galliano „versank“ geradezu in seinem Spiel. Zwei weitere Eigenkompositionen beendeten diesen wundervollen Abend.
Wenn zwei Größen ihres Faches zusammenwirken, dann ensteht etwas Großes, Einmaliges: Stefan Zweig schürft mit seiner sensiblen Sprache bis in die Tiefe der menschlichen Seelen. Marrtina Gedeck erweckt diese Literatur zum erlebbaren Leben.
Leider hatte Martina Gedeck bei Dreharbeiten ihre Stimmbänder so angestrengt, dass sie sich eine Kehlkopfentzündung eingehandelt hatte. Nichts destotrotz las sie – tapfer durchhaltend und mit vollem Einsatz. Ihre leicht raue Stimme passte sogar ausgezeichnet zum Thema – das da ist: Eine von Angst gepeinigte Frau, die sich für ihr kurzes Techtelmechtel mit einem Geiger schämt, es vor ihrem Ehemann geheim hält. Die Angst vor Entdeckung treibt sie fast in den Selbstmord.
Man sitzt zwar im Theater, aber man lebt die Angst Irenes ganz tief mit, sieht sie mit nervösen Fingern nach dem Geld für die vermeintliche Erpresserin suchen, erlebt sie, wie sie ihren Mann mit übertriebener Heiterkeit zu täuschen versucht, sieht die Szene vor sich, in der sich ihr Mann über die Schlafende, von Albträumen Geplagte, beugt und besorgt ihren Namen ruft. Spürt die Sorge ihres Mannes, der wartet, dass seine Frau sich ihm öffnet, ihm ihren Ehebruch, von dem er längst schon weiß, gesteht. Er hofft auf ein alles klärendes Gespräch und Versöhnung. Wir erleben Irene durch die Straßen von Wien laufen, ratlos, sich vor ihrem Exgeliebten demütigen, fast ohnmächtig in die Apotheke wanken, wo sie endlich das ersehnte Morphium bekommt, das ihrem Leid durch Selbstmord ein Ende setzten wird. Der Schluss ist verblüffend – Stefan Zweig lässt den Konflikt gut enden: Der Ehemann hat zwar ein teuflisches Spiel mit ihr getrieben, für das er sich entschuldigt. Ohne viel Worte nimmt er ihr das verhängnisvolle Fläschchen aus der Hand, trägt die Halbohnmächtige in ihr Bett. Wie aus einem langen Albtraum erwacht sie am nächsten Morgen und sieht ihren Ring am Finger, den sie schon an die Erpresserin verloren glaubte.
Natürlich ist Stefan Zweig vom Männer- und Frauenbild der damaligen Zeit geprägt: Da ist der übermachtige Ehemann, der zwar gütig ist, aber „gütig wie ein Gott, der gnädig verzeiht“. Dennoch ängstigt sich die Frau vor ihm. Sie ist die typische Dame aus guter Gesellschaft, die „ins Leere lebt“, wie sie erkennt, ohne Aufgabe, ohne Ziel. Selbst die Kinder haben mehr Kontakt zu ihrer Gouvernante als zu ihrer Mutter. Der Haushalt wird von Dienstboten tadellos geführt. Die Wohnung ist groß, prächtig und auch ein bisschen kalt, ungemütlich. Mit ganz feinen Pinselstrichen kritisiert Stefan Zweig in dieser Novelle das staubtrockene, streng geregelte Leben des Großbürgertums. Ein Leben, dem er selbst immer wieder durch lange Reisen entflohen ist. So lange, bis die Ehefrau die Scheidung einreichte.
Fassung und Übersetzung (nach Christian Morgenstern): Gottfried Greiffenhagen. Regie: Thorleifur Orn Arnarsson. Bühne und Kostüme: Daniel Angermayr
Zwei Klaviere liefern sich einen kämpferischen Dialog, der in wütender Rasanz des einen Klaviers endet (Musik: Gabriel Cazes). Nebelschwaden dringen aus den Bodenritzen -ok, akzeptiert, wir sind im hohen Norden. Aber bei sich murmelt man – nicht schon wieder, kommt kein Stück mehr ohne Nebel aus?
Peer Gynt in kurzen Hosen und einer kecken Bubenkappe (Mavie Hörbiger) war wieder für Tage verschwunden und bereitet seiner Mutter Aase (Barbara Petritsch) großes Leid. Sie weiß, dass ihr Sohn ein Taugenichts, Träumer und Lügengeschichtenerzähler ist. Dennoch liebt sie ihn und manchmal glaubt sie ihm. Die Szenen zwischen Mutter und Sohn sind das Beste an dem ganzen Abend! Mit der großartigen Barbara Petritsch fließt so etwas wie Humanrealität ein, und ihre Präsenz strahlt auch auf Peer über. Aus der abstrakten Gedankenfigur wird ein Mensch. Das Dilemma dieses Dramas, das zum Kanon der „must have seen“ gehört, ist gerade, dass es Ibsen mit prallem Leben gefüllt hat, Regisseure wie Thorleifur Orn Arnarrsson aber der Kraft der Bilder nicht trauen und Abstraktionen bevorzugen. Auch die wunderbare Figur der Solveig (Lilith Häßle, die noch vier weitere Rollen spielt) führt ein Schattendasein und ihre „Erlöserfunktion“ ist nicht tragfähig genug.
Die Reise Peer Gynts zu den Trollen, nach Marokko und Ägypten, sein Wahnwunsch, Kaiser von der ganzen Welt zu werden, wird zu einer Reise ins Nichts, in die Psychiatrie. Zwar bemühen sich Lilith Häßle, Johannes Zirner und Lukas Vogelsang, den Figuren Leben einzuhauchen, spielen aber in häßlichen nackten Fatsuits vergeblich gegen diese abtörnenden Kostüme an. Berührend und echt ist gegen Ende die Sterbestunde der Mutter, als Peer Gynt seine sinnlose Umtriebigkeit erkennen muss.
Alles in allem ein Abend mit Engagement, aber auf die Reise Peer Gynts in sein Ich wurde man nicht „mitgenommen“.
Balanchine: Rubies, Hans van Manen: Visions Fugitives, William Forsythe: Enemy in the Figure
„Drei Meister, drei Werke“ führten durch die Ballettentwicklung des 20. Jahrhunderts. GEORG BALANCHINE präsentierte mit „Rubies“ eine heitere, revueartige Show. Zur stark rhythmischen Musik von Strawinskys „Capriccio für Klavier und Orchester“ – Christoph Stöcker dirigierte das Tonkünstler mit Verve und Glamour – entwickelte sich eine Szenerie, die im Moulin Rouge oder am Broadway hingepasst hätte: In roten Glitzerkostümen (Karinka) hatten die Tänzer und Tänzerinnen sichtlich Spaß an der quirligen Choreographie, in der Balanchine das klassische, russische Ballett mit neuen Tanzschritten mischte. Vor allem fielen die Arm- und Handbewegungen auf, die an den lndischen Tempeltanz erinnerten(Titelfoto).
In den am Körper anliegenden Kostümen (Keso Dekker) erinnerten die Tänzer und Tänzerinnen an Glasfiguren aus Merano. Zur Musik von Sergei Prokowjew: „Visions Fugitives“, von Gerald Stöcker fast medidativ dirigiert, entwickelte Hans von Manen Figuren, die extrem fordernd sind, weil sie langsam und von innen kommend getanzt werden müssen. Das erfordert äußerste Aufmerksamkeit auf die kleinste Bewegung. Dazwischen streut Manen auch sehr heitere Pas de deux zwischen Mann und Frau, ungewöhnliche Dreierbeziehungen, die kaum entstanden, sofort wieder zerbrechen. Spannung pur!
WILLIAM FORSYTHE: „ENEMY IN THE FIGURE“
Zur Musik von Thom Williams (Zuspielung) jagt Forsythe, der auch das Bühnbild und die Kostüme entwarf, sein Ensemble im Wahnsinnstempo durch den Raum. Immer wieder knallen sie an die umstehenden Wände und krallen sich fest. Hektik, Verzweiflung oder unlösbares Geheimnis? In einigen Szenen scheinen die Tänzer in einem psychiatrischen Raum zu agieren, verfolgt von einem Scheinwerfer. Um sich in Sicherheit zu wähnen, retten sie sich für Momente hinter einer vorgewölbten Hinterwand. „Enemy“ gilt als Forsythes innovativstes, zugleich aber rätselhaftestes Stück.
Wenn John Neumeier eine neues Stück präsentiert, dann ist die Ballettwelt elektrisiert. Bei der Matinee am 18. März durfte das Publikum staunend und total gebannt miterleben, wie John Neumeier eine Schlüsselszene aus der „Kameliendame“ erarbeitet. Als Marguerite traten Olga Esina und als Armand Brendan Saye auf. Ihnen war nur wenig Platz vergönnt, gerade nur ein schmaler Streifen vor dem Vorhang, was die Probe erschwerte.
Olga Esina und Brendan Saye sind nicht nur Publikumslieblinge, wie man so leicht dahinschreibt, sondern beide Spitzentänzer der ersten Liga. Sie schaffen das umzusetzen, was John Neumeier mit den Worten „aus dem Herzen heraus muss die Bewegung kommen“ meint. Geprobt wurde die Szene im Schalfzimmer Margueritas. Sie hat sich zurückgezogen von der lärmenden Gesellschaft, fühlt sich schwach, hustet etwas. Armand dringt unaufgefordert in ihr Zimmer ein, überrascht sie. Zunächst weist sie ihn brüsk ab. Neumeier führt die beiden Tänzer sensibel und zugleich intensiv durch diese Szene, bis sie authentisch und packend wirkt.
Es war einer der ganz großen Momente, die Ballettbegeisterte an diesem Vormittag erleben durften: Wie intensiv John Neumeier an der kleinsten Geste arbeitet, sie verbal erklärt und so lange probt, bis aus Esina und Bryan Marguerite und Armand wurden, die gerade ihre Liebe zueinander entdecken. Das Publikum war atemlos und brach in begeisteren Applaus aus. Leider werden Olga Esina und Brendan Saye nicht die Premiere tanzen. Aber am 26. März (leider schon total ausverkauft), am 17. und am 22. April wird dieses Traumpaar wieder zu erleben sein.
Großartig, berührend – es fehlen die richtigen Worte, um diesem Abend gerecht zu werden. Natalie O`Hara kann alles: phantastich Klavier spielen, Pantomime mit einer unglaublichen Wandlungsfahigkeit: Blitzschnell wechselt sie von einer Person zur anderen. So gelingt es ihr mühelos, alle 20 Rollen zu verkörpern.
In diesem Zusammenwirken von Musik, Schauspiel und Pantomime entsteht ein emotional hoch geladener Abend, ohne dass je Kitschalarm ausgerufen werden müsste. Pathosfrei spielt und verkörpert Natalie OHara das Leben der Pianistin Alice Herz-Sommer.
Prag im September 1942. Alice spielt in ihrer Wohnung im Ghetto trotz Verbot der Gestapo KLavier - "Musik ist mein Leben!" sagt sie immer wieder. Ihr fünfjähriger Sohn und ihre Mutter hören andächtig zu, während sie die " Appassionata" von Beethoven spielt. Die Lebensfreude erlischt jäh, als zuerst ihre Mutter in den Osten abtansportiert wird und bald darauf sie selbst, ihr Mann und ihr Sohn. Sie landen in Theresienstadt. Ihr Mann wird in Auschwitz knapp vor Kriegsendes an Typus sterben. Die Spuren ihrer Mutter verlieren sich im Osten. Glück für Alice und ihren Sohn in dieser trostlosen Lage: Das Rote Kreuz wird das Lager besuchen, da als Ferienlager präsentiert werden soll, wo es Konzerte und Kinderopern gibt und auch die berühmte Pianistin Alice Herz-Sommer auftreten wird. Die Musik rettet ihr und dem Sohn das Leben.
Im Hintergrund werden auf der Videowall Zeichnungen einger Insassen eingeblendet. Gräuelbilder mit Toten, Menschengerippen, wie sie üblicherweise in Dokus oder anderen Darstellungen der Konzentrationslager gezeigt werden, vermeidet der Regisseur. Die einzelnen Lagerinsassen und der Leiter werden ohne übliche Schwarzweißzeichnung gezeigt. Szenen, wie der nächtliche Abschied des Ehemanns von seiner Frau gehen tief ins Herz. Auch Szenen mit ihrem Sohn, den sie von den Schrecken des Lagers nicht fernhalten kann und der vor Hunger in der Nacht nicht schlafen kann, berühren, weil Natalie O`Hara sie pathosfrei spielt. Im Mai 1945 endet die Qual und im September 1945 spielt Alice Herz -Sommer wieder ihr erstes Konzert in Prag, das im Radio übertragen wird: Beethoven!
Im Abspann erfährt man, dass Alice und ihr Sohn nach Palästina auswanderten. Er wird ein gefeierter Cellist, sie gab bis zu ihrem 108. Lebensjahr Konzerte. Man sieht Originalaufnahmen von ihr, ihre vom Alter gezeichneten Hände spielen sicher und geschmeidig eine Chopin Etüde. „Musik ist ein Geschenk, sie kann helfen, die härtesten Stunden zu überleben“ lautet ihre Botschaft an die Menschen.
Untertitel: Wie wir noch mehr Natur in unser Leben bringen
Christo Förster ist ein absoluter Freiluftfreak. Er wandert quer durch Europa nur mit Schlafsack und Rucksack und übernachtet so gut wie immer im Freien. Er geht in Japan Eisbaden und macht auch sonst noch so einige Verrücktheiten. So mancher mittelsportlich engagierter Normalbürger mag das alles ein wenig übertrieben finden und er fragt sich, wozu er dieses Buch lesen soll. Natürlich hat Förster auch für uns Normalos ein paar Tipps, wie etwa das Morgenlicht und die Sonne – so sie scheint – etwa 20 Minuten einatmen und genießen. Für Morgenmuffel ein Nogo. Doch auch die Abendmenschen schickt er hinaus, um den Abendhimmel für 20 Minuten zu betrachten. Dabei geht es ihm um medidatives Betrachten, das zur inneren Ruhe führt. – Ehrlich, auch das will gelernt sein, gibt Förster zu. Man müsse dafür nicht gleich Seminare belegen. Mit der Zeit ergibt sich der Effekt, um man kommt zur Ruhe.
Jeden Tag empfiehlt er zwei Stunden irgendwo im Freien zu verbringen. Geht nicht -gibts nicht! Dann halt mit Leptop und in Balkonien!!
All seine Tipps faßt er überschaulich am Ende jedes Kapitels zusammen. Zu manchen Ratschlägen liefert er auch Studien und/ oder Gespräche mit Experten. Keine Angst, wissenschaftlich langweilig wird es nie. Förster erzählt das alles leicht, locker, mit Humor!
Wenn ein genialer Autor (George Orwell), ein ebenso genialer Komponist (Alexander Raskatow), ein aufs Wesentliche reduzierender, kluger Bühnenbildner (Paolo Fantin), ein einfallsreicher, „animalistischer“ Kostümbildner (Klaus Bruns) und ein animalisch orientierter Choreograph (Thomas Wilhelm) zusammenkommen – dann kann nur etwas Großes, Einmaliges daraus werden. Und wenn dann noch Damiano Michieletto auf die Musik und den Text genau hin inszeniert und Alexander Soddy die musikalische Sprache Alexander Raskatows mit genau den richtigen Akzenten dirigiert, nie die Klänge und Lauteffekte überstrapaziert, sondern fein dosiert, im Einklang mit den Sängern dirigiert und ein Ensemble grenzgenial singt und spielt – ja, dann kann nur eine OPERA CONTEMPORANEA, die alle Wünsche erfüllt, das Ergebnis sein.
Im Vorwort zur Textausgabe der Animal Farm, wie sie 1946 in der Ukraine erschien, erklärte George Orwell, was ihn zu diesem Roman in Form einer Fabel, bewogen hatte: Als er sah, wie ein kleiner Junge einen Karrengaul mit der Peitsche schlug, „kam mir der Gedanke, dass, wenn diese Tiere sich nur ihrer Stärke bewußt würden, wir keine Macht über sie hätten.“ (Zitat aus Programmheft, S 55) und dass diese Tiere, einmal an der Macht, sich genau zu solchen Despoten entwickeln würden, wie diese es waren, gegen die sie einst gekämpft hatten. Macht korrumpiert.
In Fabelform erzählt Orwell, wie jede Revolution – er meint nicht nur die russische Oktoberrevolution von 1917 – sich in ihr Gegenteil verkehrt. Schon in der Französischen Revolution hieß es: Die Revolution frißt ihre Kinder. Manipulation, Entmachtung aller kritischen Stimmen, Umschreiben der Vergangenheit und willkürliche Veränderungen der Gesetze – all diese Missstände sind aktueller denn je. Orwell hatte vorausgeahnt, dass seine „einfache, für jedermann verständliche Geschichte“ auch noch weit in die Zukunft hinein Gültigkeit haben wird.
Als Damiano Michieletto, auf der Suche nach einem geeigneten Stoff für eine moderne Oper war, kam ihm die „Aimal Farm“ in den Sinn und er wußte auch sofort, wer der geeignete Komponist dafür ist: Alexander Raskatov, in Russland geboren und seit Jahrzehnten im Westen lebend! Er gilt als der „unzeitgemäße Komponist“ der Gegenwart, weil er sich nicht um Moden, Tendenzen kümmert, Seine Musik verlangt den Sängern extremsportliche Leistungen ab: Hinter Tiermasken singen, grunzen oder trällern, in höchsten Tönen quietschen, ohne die Ohren der Zuhörer zu quälen.
Michieletto versetzt das Geschehen auf eine Tierfarm. Am Beginn sind die Tiere in Käfigen gefangen – das Bühnenbild erinnert in gruseliger Weise an Käfige, in denen Gefangene noch heute in vielen Ländern vor Gericht vorgeführt werden. Grau und düster ist das Leben der Tiere, bis Old Major, – großartig der Bass Gennady Bezzubenkov in dieser kurzen, aber eindrucksvollen Rolle – zur Befreiung von dem Tyrannen Mensch und zur Gleichheit aller Tiere aufruft. Die Revolte gelingt, die Besitzer verlassen ihr Land und schon haben sich zwei Tiere zu Bossen aufgespielt, Bosse, die gleicher sind als alle: Das Schwein Snowball wird der Chefideologe, der ähnlich wie einst Leo Trotzki die theoretischen Strukturen und Ideologien der zukünftigen Diktatur entwirft. Michael Kniffke singt diese Partie mit der nötigen Kälte in der Stimme. Zuerst sein Kompagnon, dann sein Gegenspieler: Napoleon (an Stalins Charakter angepasst), mit „machtvoller“ Stimme von Wolfgang Bankl dargestellt und gespielt. Bald schon erkennt man unter den Tieren: Die Mitläufer, die Vivatschreier, die Bewunderer, den Skeptiker, wie etwa Benjamin, den Esel: bemitleidenswert und mit viel Einsatz gesungen von dem Countertenor Karl Laquit. Auch die Kunst wird instrumentalisiert:
Artem Krutko als Minimus liefert eine köstliche Parodie auf all die Künstler, die sich an die Macht anschleimen. Überhaupt ist die Oper voller humorvoller Exzentrik, etwa wenn die eitle Stute Mollie (Holly Flack, großartig!) Mr. Pilkington (Clemens Unterreiner) verführt und ihr Pferdedasein mit einer rosaglitzernden Existenz als Partygirl tauscht. Mollie entwickelt Verführungstöne jenseits der Königin der Nacht, da purzeln die hohen C und F nur so aus ihrer Pferdekehle.
Es kommt, wie es in einer Revolution immer kommt: Napoleon lässt Snowball und alle anderen Gegner liquidierern. Am Schluss machte er Geschäfte mit dem Menschen, Mr. Pilkington. Zur Bestechung lädt er ihn zu einem Gelage ein, auf dem ein Schwein als besondere Köstlichkeit serviert wird. Die Gesetze von Gleichheit unter den Tieren sind aufgehoben. Es menschelt wieder gehörig. Machtvoll sticht Napoleon das Messer in den Leib des toten Schweines.
Man mag ihn oder mag ihn nicht. Dazwischen gibt es nichts. Es ist eine Frage der Einstellung, wie sehr man die explosive Art dieses ungewöhnlichen Künstlers verstehen will und kann. Denn Philipp Hochmair schont sich und sein Publikum nicht. Er spielt nicht Theater, er existiert so ganz in der Rolle! Die Bühne ist sein Leben. Wer sich auf ihn einlässt, dem werden die Augen für den Text geöffnet. Der altbekannte, etwas „altbochene“ Text Hofmannsthals, in dem es um Gott, Teufel und Buße geht, bekommt neue Dimensionen. Entwickelt eine Kraft, die aus Hochmairs Gestaltung und der Wahnsinnsmusik erwächst. Was ist Schönsprech? – gar nichts, Hochmair löst die Sprache in einen Raprhythmus auf, wiederholt Worte, Satzteile zweimal, dreimal, schreit sie, flüstert sie, tanzt dazu, wälzt sich auf dem Boden, spielt mit dem Mikro, mit dem Totenkopf. ist der Nachbar, der Schuldenknecht, die er beide mitleidlos verhöhnt und ihnen Kleingeld zuwirft, ist die ganze Gesellschaft, ist die Mutter, ist die Buhlschaft. Ja , auch die. Aber völlig unspektakulär, sie ist ihm nicht mehr als Dekor, um das herum er einen Lustgarten errichten will. Der Lustgarten, der Palast – seine Träume lassen sich nur durch Geld verwirklichen. Geld, Geld, Geld – füllt sein Sinnen total aus, er küsst die Geldbeutel, hüllt sich in den Staub des Goldes ein – ein flirrender Umhang weht um ihn, wenn er tanzt. Dann bricht langsam sein Luft-Schloss vom Luxusleben zusammen. Er ist der Tod, der ihm auf die Schulter klopft, und der Mammon auch. Und der Teufel auch. Die Buhlschaft hat sich ohne großes Trara vertschüsst. Jedermann wird ein armes Würstel, das heult und fleht, das sich aber doch einsichtig zeigt – das verschwurbelte Ende, das Hofmannsthal einst so pathetisch bis zur Peinlichkeit in Szene gesetzt hat, löst sich auf in Glockenklang und Höllenmusik, aber wie! Gegen die Todesangst will er ansingen, fordert das Publikum auf mitzusingen, hält das Mikro einer verschreckten Lady in der ersten Reihe unter die Nase: „Sing“. Die Hölle kündigt sich mit dem ihr zustehenden Lärm an. Als alles am Kochen ist, ertönen aus den Reihen des Publikums Buhrufe, aufhören, das ist hier ein hochehrwürdiges Theater, mehr Respekt vor Hofmannthal bitte. Es ist Hochmair selbst, der vom Seiteneingang her den erahnbaren Unmut so mancher in den Raum brüllt. Spaß, Gelächter, das sogleich von dem höllischen Finale verschluckt wird. Eine Trompete erschallt, sie kündet den Untergang Jedermanns hier auf Erden an. Der aber hat seine Schäfchen im Trockenen, weiß sich gerettet. Marschiert mit dem Kreuz herum, er versinkt im Grab… Erschöpft? Keine Spur, eher das Publikum.
In der Goldglitzerjacke des reichen Jedermann steht er am Stiegenaufgang, schreibt Autogramme, lässt sich mit allen, die es wollen, fotografieren, scherzt, freut sich über den Gugelhupf aus der Konditorei Demel. Das Nachspiel an der Treppe dauert noch eine gute halbe Stunde, bis der Jedermann – Hochmair ohne das geringste Zeichen von Müdigkeit das Ende des rasant-exzessiven, wilden, frechen, herrlich unkonventionellen Abends ausruft. „Auf Wiedersehen in Salzburg!“ ruft er den letzten Besuchern nach und verschwindet. Ob er vor dem Domplatz auch so „die Sau raus lassen“ (um im Sprech von Hochmair-Jedermann zu bleiben) wird? Keiner aus dem Publikum kann sich einen gezähmten Hochmair vorstellen….
Besetzung: Sopran: Fatma Said, Alt: Countertenor J.J. Orlinski und Il Giardino d‘ Amore mit Stefan Plewniak Violine und Dirigat
„Stabat mater“ von Pergolesi – passt nicht nur als vorösterliches Thema in die Zeit, sondern ganz besonders auch als Memorial an all die Toten der Kriege ringsum in der Welt. Unterstützt vom sanften Dirigat Plewniaks und den Streichern sangen Fatma Said und Jakub Orlinski die Klagen einer Mutter, die ihren toten Sohn im Arm hält, im harmonischen Gleichklang, dann wieder im Solo. Pergolesi komponierte die Klage der Mutter nicht als reinen Trauergesang. Immer wieder strahlt fast eine heitere, leicht tänzerische Melodie auf, die Trost vermittelt. Saids schöner, heller Sopran, in der Höhe genauso sicher und warm wie in der Mittellage, paart sich mit dem Alt des Countertenors. Atemberaubend lässt Fatma Said die Klage in einem langsam verhauchenden „Amen“ ausklingen.
Nach der Pause werden die beiden Zeitgenossen und Musikheroen des Hochbarock einander gegenübergestellt: Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel. Mit „Gelosia“ forderte Vivaldi die Grenzen der weiblichen Stimme heraus – für Fatma Sais kein Problem, die Töne perlen wie frisches Quellwaser von musikalischen Höhen in den erdigen Boden der Wut. In Händels Arie „Lascia che io panga“ gibt sie dem Schmerz eine beseelte Stimme. Ganz auf das Wesen des Countertenors hin hat Händel „Furibondo spira il vento“ komponiert. Orlinski nimmt die Herausforderung locker an und lässt die Koloraturen in den Höhen spielerisch leicht glänzen. Das Publikum dankte mit Beifallsgetöse.
Danach noch eine Steigerung: Stefan Plewniak und die erste Geigerin Ludmila Piestrak spielten den 2. und 3. Satz des „Concerto in a-moll RV 522 von Antonio Vivaldi. Plewniak im schwarzen Gewand erinnerte an einen Priester, der sich mit dem Teufel verbunden hat: So muss Vivaldi, der prete rosso, auf seine Schülerinnen und sein Publikum gewirkt haben: Wie im Rausch steigerte Plewniak das Tempo zu einer Art Höllenfahrt und nahm seine congeniale Partnerin mit. Jubel im Publikum! Und ein da Capo dazu: Ähnlich rauschhaft der 1. Satz des Concerto D-Dur, RV 208. Dann innig und intensiv: Fatma Said in der Rolle des Farnace aus der gleichnamigen Oper von Vivaldi: „Gelido in ogni vena“. Zu Boden sinken der Countertenor und alle Musiker, während er die Arie des Anastasio aus der Oper „Il Giustino“ (Vivaldi) „Ich fühle es in meiner Brust“ singt. Ein ironischer Spaß? Gemeinsam singen sie die Arie aus der Oper „Rinaldo“ von Friedrich Händel und werden vom Publikum mit Schreiapplaus und standing ovation belohnt.
Mit diesem Konzert ging das „Porträt Fatma Said“ zu Ende.
Regie: Sandra Cervik, Bühnenbild: Sabine Freude. Kostüme: Aleksandra Kica. Aus dem Französischem von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel.
Nun treten sie endlich gemeinsam auf. Maria Köstlinger und Juergen Maurer. Dank ihrer Bekanntheit und schauspielerischen Leistungen gelingt es ihnen, das nicht gerade beste Stück von Jasmina Reza zu retten. Denn die Autorin hat es der Regie und allen ihren Figuren nicht leicht gemacht. Wie zur Entschuldigung oder als Beglaubigung des ziemlich unglaublichen Inhaltes sagt Jasmina Reza: “ Ich möchte die Figuren nicht erklären, dazu bin ich gar nicht in der Lage….und weiter sinngemäß: Nach dem Schreiben entgleiten sie mir“ (Zitiert aus dem Programmheft.) Nun fiel allen Beteiligten, Regisseurin und Schauspielern, die schwierige Aufgabe zu, den absurd-komischen Inhalt, der zugleich sehr real abläuft, zu erhellen.
In einem weißen Raum, der Psychiatrie und angrenzender Park ist, lebt recht vergnüglich Jakob Hutner, der sich für Céline Dion hält. Sein einziger Freund ist ein Weißer, der sich für einen Schwarzen hält. Und die zuständige Psychiaterin würde selbst eine Therapie brauchen. In dieses schräge Ambiente platzen immer wieder die Eltern Jakobs, um sich von seinen Fortschritten in Richtung Heilung des Wahns zu überzeugen. Heilung wird es nicht geben, auch sonst bleibt das Ende ohne Perspektive.
Jasmina Reza ging es in ihren früheren Stücken („Gott des Gemetzels“ und „Kunst“) immer darum, die sogenannte Toleranz der gut Erzogenen, der so genannten Versteher aufzubröseln. Mit blitzgescheiter, komischen Logik lässt sie die Toleranzler scheitern. In „James Brown trug Lockenwickler“ geht sie von ihrem bewährten Rezept ab und wählt die Mittel des Absurden, der Übersteigerung und Überdrehung, um die modisch gewordene Frage nach Identität und Gruppenzugehörigkeit ins Absurde laufen zu lassen. Dabei überfrachtet sie das Stück mit Kapriolen, die die Zuschauer oftmals überfordern, etwa wenn die Psychiaterin das Märchen „Aschenputtel“ völlig verdreht erzählt. Absurdes spielerisch so aufzulösen, dass der Sinn dahinter dennoch aufblitzt, ist eine echte Herausforderung für alle Beteiligten.
Aber. wie so oft, retten die Schauspieler den Abend: Der junge Julian Valerio Rehrl ist ein echter Gewinn für das Ensemble. Er zeigte schon in der Performance „Mozart und Salieri“, die er mit Joseph Lorenz im Theater Akzent aufführte, was in ihm steckt: Ein vor Temperament und Lebendigkeit sprudelnder Jungspund. Als Jakob, der sich für die Sängerin Céline Dion hält, ist er ein Stiller, eine Stille. Seine Bewegungen sind die einer lässigen, leicht gelangweilten Diva, alles nur angedeutet, nie peinlich ausgespielt. Mit Kälte und Gleichgültigkeit verfolgt er die Aktionen seiner Eltern, die er als Bekannte, nicht als Eltern anspricht und sie beim Vornamen nennt. Er wünscht sehr energisch, von ihnen als Céline akzeptiert zu werden. Um ihnen zu beweisen, wie sehr er Céline ist, singt er ihnen zur Bestätigung einen Célinesong vor. Da gehört schon sehr viel Feingespür dazu, dass so eine Szene nicht peinlich wirkt. Rehrl spielt und singt, als wäre es klar, dass er Céline ist – großartig.
Köstlinger und Maurer sind die leidgeprüften Eltern Pascaline und Lionel Hunter. Sie sind Vertreter der „Toleranten“, der „Versteher“. Pascaline ist eine beflissene und devote Mutter, die ungefragt alles macht, was die Psychiaterin und ihr Sohn verlangen. Sie wirft sich sogar auf den Boden und strampelt mit den Beinen, um Freude zu simulieren – eine recht überflüssige Szene. Juergen Maurer ist der Gegenpol – er tut, als ob er versteht und toleriert, bis ihm dann doch der Kragen platzt – eine der vergnüglichsten Szenen des Abends. Dominic Oley spielt den verhuschten Freund, der sich an ein verkümmertes Bäumchen kettet,um es zu retten. Ein wenig mehr Wortdeutlichkeit wäre wünschenswert. Alexandra Krismer ist die verhuschte Psychiatertin und erfüllt diese absurde Rolle mit Bravour und sichtlichem Hochgenuss. Noch ein Wort zum Schluss, der in peinlichen, symbolüberladenem Kitsch endet: Céline verschwindet mit der Titelmusik aus dem Film „Titanic“ in einen sternenbestückten Nachthimmel. Da hat es sich Jasmina Reza zu leicht gemacht. Sie, die sonst einen für einen echten Show down- Schluss bekannt ist, lässt das Stück in einem bedeutungslosem Vakuum enden.
Freundlicher Applaus für die Leistung der Schauspieler
Laut Klappentext dreht sich die Geschichte um den Angeber Graziano Biglia. der sich in ein Filmsternchen verliebt und sie heiratet, aber sich sehr bald für die Lehrerin Flora Palmieri entscheidet. Doch dies geschieht erst im letzten Drittel des 585 Seiten starken Romanes. Will man Leser mit einer verkorksten Liebesgeschichte locken, die ja nur einen Bruchteil des Romans einnnimmt? Der Hauptteil handelt von den Bewohnern eines Dorfes in der Maremma, unweit der Küstenstraße Via Aurelia. In diesem Dorf ist die Trostlosigkeit beheimatet. Nicht unbedingt die absolute Armut wie in dem exzellenten Roman „Ich habe keine Angst“ von Ammaniti. Während letzterer wirklich packend und vielschichtig ist, bleibt so mancher Leser von all den Losertypen, die nur saufen, fluchen und Sex im Kopf haben, unberührt. Selbst die Kinder kennen nur die Fäkaliensprache und Bosheiten, die in schwere Kämpfe ausarten können. Einzige Lichtgestalt: Pietro. Ihn drangsalieren alle Mitschüler, treten, schlagen, beschimpfen ihn. Als er sich in seiner Verzwieflung an besagte Lehrerin wendet, passieren schreckliche Dinge….