Volksoper Wien: Wiener Staatsballett: promethean fire. Vier Stücke.

PROMETHEAN FIRE

Musik: Johann Sebastian Bach in der Orchestrierung von Leopold Stokowsksi. Choreographie: Paul Taylor. Bühne und Kostüme: Santo Loquasto. Licht: Jennifer Tipton. Dirigent: Jean-Michael Lavoie.

Ein Auftakt, der wie Feuer in die Seele fährt! Aufregend, explosiv, faszinierend! Vor dem schwarzen Bühnenhintergrund bewegen sich die Tänzer wie Flammen, die auflodern oder in sich zusammenfallen zur Musik von Bach – in einer rhythmisch mitreißenden Bearbeitung von Leopold Stokowski und mit Verve von Jean- Michael Lavoie dirigiert. Schwarze Spitze bedeckt Beine und den halben Oberkörper. Im leicht rötlich gefärbten Licht werden Arme, Kopf und Oberkörper zu Feuerzungen, die ineinander verschmelzen und sich wieder lösen, sich vereinzeln. Es ist kein bedohliches Feuer, sondern eines, das die Menschen zusammenführt. In den ungewöhnlichen Hebefiguren meint man, den Triumph des Menschen über die Dumpfheit, das Ungeformte zu erkennen. Einen Triumph, den Fiona Mc Gee und Eno Peci in einem hinreißenden Pas de deux verkörpern, unterstützt von dem Kreis eines in der Musik und Tanz aufgehenden Ensembles.

Prometheus hat Zeus das Feuer gestohlen und es zu den Menschen gebracht, um sie aus der Trostlosigeit ins Licht zu leiten. Paul Taylor entwarf die Choreographie ein Jahr nach 9/11. Als er gefragt wurde, welche Antwort er auf diese Katastrophe hat, soll er geantwortet haben: Tanz, Tanz und wieder Tanz. „Ich mache Tänze, weil ich an die Kraft des zeitgenössischen Tanzes glaube….und weil es mich von der Bewältigung der realen Welt befreit“ (Zitiert aus dem Programmheft). So der Choreograph über sein Werk.

Alle Fotos: Ashley Taylor

lontano

Musik: György Ligeti, Choreographie: Martin Schläpfer, Bühne und Kostüme: Keso Dekker

Ein Stück zum Ausrasten. Die Emotionen runterfahren. Zwei Frauen, vier Männer suchen nach Figuren, bilden Statuen, die sich auflösen. Frauen werden zu Ikonen erhoben. Man staunt über die Präzision der spiegelgleichen Bewegungen. Ligetis Musik ist zart, lässt Freiraum zum Träumen, dann wieder kippt die Atmosphäre zu einem spannenden Kampf. Immer zeigen die Frauen Stärke! Gut so!

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Musik: György Ligeti, Choreographie: Martin Schläpfer. Bühne und Kostüm: Thomas Ziegler

Sonia Dvorak tanzt ein atemberaubendes Solo – nur sie allein auf der Bühne, etwa 15 – 20 Minuten lang, fast alles auf der Spitze! Eine unglaubliche Leistung! Bisher sah man die Tänzerin hauptsächlich in komischen Rollen. In diesem Stück nun zeigt sie alle Facetten ihres Könnens! Mal kokettiert sie mit Spitzmündchen, reißt die Augen verwundert auf, dann wieder sucht sie nach einer idealen Form des Tanzes, verwirft, beginnt neu, verästelt die Bewegungen zu abstrakten Figuren, betont deutlich die Härte der Schritte, man hört, wie die Spitze ihrer Schuhe auf dem Boden klopft. Fasziniert sieht man einer Tänzerin zu, die je nach Laune einmal buchstäblich ihre Muskeln spielen lässt, dann wieder verträumt sich in der Musik verliert. Zusammenfassend: Großartig!

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Musik für Cembalo von Bohuslav Martinù. Choreographie: Mark Morris. Bühne und Kostüm: Isaac Mizrahi

Vor einem Tableau aus hellen Frühlingsfarben tanzen 12 Männer. OHNE FRAUEN. Sie scheinen sich auf einem Platz im Dorf, im Park, in einem Winkel der Stadt, auf einer Wiese regelmäßig zu treffen, um im Tanz „Dampf abzulassen“. Ganz ähnlich den Jugendlichen, die sich zum Wettstreit im Breakdance irgendwo abseits von Zuschauern treffen. Ihnen geht es nicht um Demostration vor Besuchern, Touristen – sie genügen sich selbst als Zuschauer. Einer zeigt seine neuen Figuren vor, prahlt ein bisschen, die anderen sitzen davor, gucken aufmerksam zu. Mangels Frauen proben sie Hebefiguren von Mann zu Mann – erotisch und kämpferisch zugleich. Es wird Abend, sie tanzen, es wird Nacht und wieder ein Morgen. Sie tanzen. Weil sie das erfüllt, sie sich als Männer fühlen, obwohl einige noch Grünschnäbel sind. Une Pièce von heiterer Leichtigkeit.

Viel Applaus nach jedem Stück, am Schluss großer Extraapplaus für das Orchester und den Dirigenten.

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Sergio del Molino, Leeres Spanien. Wagenbach Verlag

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen

Sergio del Molino arbeitete als Journalist für die spanische Zeitung „Heraldo di Aragon“. und war viele Jahre im „leeren Spanien“ unterwegs. Besonders im Ebrobecken, in der Meseta und in der Mancha sind die Dörfer leer, entvölkert. Die Abwanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte -vor allem in den Umraum von Madrid – hatte zur Folge, dass 84 % der Bevölkerung heute in den Städten lebt und nur 15% im leeren Spanien. Wenn die Jungen keine Arbeit im ländlichen Raum fanden, wanderten sie in die Städte .- ein Phänomen, das nicht nur in Spanien virulent ist. Als Spanien 1986 der EU beitrat, die ländliche Bevölkerung aber keine Förderungen bekamen, kam es zu bürgerkriegsartigen Bewegungen und man begann sich in Politik und Wissenschaft mit dem Problem zu beschäftigen. Auch dieses Buch – so vermerkt der Autor in der Einleitung – hat an der Bewusstwerdung der Probleme einen großen Beitrag geleistet.

Unter dem Francoregime hatte man nur Verachtung für die ländliche Bevölkerung, konstatiert del Molino. Im „leeren Spanien“ wurden Atomkraftwerke geplant und umweltschädliche Uranminen errichtet. Im Umraum von Madrid entstanden Elendsviertel.

Ein ausführliches Kapitel widmet der Autor dem „Mythos der leeren Landschaft“, gefördert durch das plötzliche Interesse der Städter, die sich ähnlich wie einst Don Quijote auf die Suche nach einer Idylle aufmachten. Eine Suche, die sich nicht realisieren ließ. Noch heute belustigen sich die wenigen Bewohner der Mancha über die Reisenden, die „auf den Spuren Don Quijotes“ durch das leere Land ziehen. Das Verlorensein in einer scheinbar endlosen Weite fasziniert Romantiker, ändert aber nichts an der Lage der Bevölkerung.

Seit Erscheinen dieses Buches 2016 hat sich – so der Autor im Vorwort – doch einiges bewegt. Der Autor hat keine Problemlösungen parat, aber indem er aufzeigt, welche soziale und wirtschaftlichen Folgen die entleerten Landschaften haben, wird zumindest über Lösungsmöglichkeiten nachgedacht.

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Landestheater St. Pölten: Elias Canetti, Die Blendung

Dramatisierung: Paulus Hochgatterer. Inszenierung: Nikolaus Habjan. Bühne: Jakob Brossmann. Kostüme: Denise Heschl. Musik: Kyrre Kvam

Ein Trio Infernal, das diesen Theaterabend zu einem Ereignis machte: Elias Canetti, der einen kafkaesken, mysteriösen Roman über den Untergang der Kultur schrieb, Paulus Hochgatterer, der dieses schwer zu entschlüsselnde Werk genial zu einer adäquaten und stimmigen Bühnenfassung formte und dann Nikolaus Habjan, der mit seiner herrlich skurrilen Regie, dem gekonntem Einsatz von Puppen und seinem feinen Sinn für Humor und menschliche Abgründigkeit dem Abend die schräge Würze verlieh.

Stimmig unterstützt wurde das Trio durch eine dezent, aber wirksam eingesetzte Musik (Kyrre Kvam), die dem grotesken Geschehen einen unirdischen Touch einhauchte. Irdisch und bewusst blass sind die Kostüme, zeitlos, weil die Figuren auch heutige sind. Bis auf den Bauschrock von Therese und den aufgesetzten Hüften. Dieser Rock ist ein wesentlicher Teil der Figur.

Alle Schauspieler, Puppen und deren Spieler – allen voran die von mir so geschätzte Manuela Linshalm (siehe meinen Beitrag „Die Welt ist ein Würstelstand“) spielen genial an der Grenze von Realität und Groteske. Bettina Kerl als Professor Kien ist unwirklich, außerhalb jeder Realität. Er lebt in und mit seinen Büchern. Was in der Welt passiert, geht an ihm spurlos vorbei. Eine Anmahnung Canettis an die Intellektuellen, die den Eintritt Hitlers nicht rechtzeitg wahrgenommen haben? Seine Gegenspielerin ist Therese Krumbholz. Von Julia Kreusch zu einer schrillen Figur geformt, ihre Sprache und Bewegungen könnten von einer lebendigen Puppe sein. Ihre grotesken Aktionen sorgen für Lacher im Publikum. Apropos Sprache: Paulus Hochgatterer ordnete jeder Figur eine charaterisierende Ausdrucksweise zu. Da hört man den Urwiener im Herrn-Karl-Ton à la Helmuth Qualtinger, Polizei und Kommandant (Tim Breyvogel) scheinen aus den „Letzten Tagen der Menschheit“ entstiegen zu sein. Festgezurrt in seiner verbalen und äußeren Hässlichkeit ist der Hausbesorger Pfaff – ein Puppen-Monstrum, bedrohlich und primitiv – gekonnt bespielt von Manuela Linshalm. Witzig und ebenso bedrohlich wirkt Laura Laufenberg als Fischerle. Wenn im zweiten Teil fast tierähnliche Monster die Bühne bevölkern, dann scheint der wahnsinnig gewordene Kien noch der Normalste zu sein. Wenn er am Ende sich und seine immaginäre Bibliothek anzündet, dann kündigt sich das Inferno des Naziregimes und des Zweiten Weltkrieges an. Es endet mit einer gruseligen Aktualität: Wo sind die Mahner gegen den Krieg? Verbrennen wir gerade unsere eigene Kultur?

Einziger Wermutstropfen: Es war die letzte Aufführung!

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Burgtheater: Der Zauberberg nach dem Roman von Thomas Mann

Regie: Sebastian Kraft, Bühne: Peter Baur, Video: Sophie Lux, Kostüme: Jelena Miletic, Licht: Michael Hofer

Frech, jung, witzig stemmt Sebastian Kraft diesen Megaroman, einst Mekka aller Bildungbürger, die genüßlich die Affären von Liebe und Tod, Krankheit als geistige Überkraft, verschlungen haben.

Es geht um vieles, aber alles nur spielerische Theorie. Man kokettiert mit der Krankheit, philosophiert über „Zeit“, „Vergänglichkeit“, „Liebe“ und vernimmt es gelassen, wenn die resolute Krankenschwester wieder einen neuen Todesfall verkündet. Kranksein ist Pflicht, da oben auf dem Berg in Davos. Krankheit adelt. Wer nicht krank ist, bemüht sich schnell um ein wenig Fieber. Das muss man haben. Die Fieberkurve ist der Gradmesser für den Eintritt in diese Welt oben, die arrogant auf dasTiefland unten blickt. Dass manches, wie 7 Minuten Fiebermessen in totaler Stille oben auf der Bühne und unten im Publikum, ein wenig langweilig und affektiert wirkt, sei auch gesagt.

A propos Publikum und Bühne: Selten, bis gar nicht habe ich so viel Harmonie, Gleichklang zwischen dem Geschehen auf der Bühne und dem im Zuschauerraum erlebt! Oben sprach man über Husten, Fieber, unten wurde gehustet als wäre das Burgtheater eine Außenstelle von Davos. Als auch noch auf der Bühne der Arzt Dr. Behrens über die Lunge referierte und der Theaterarzt diskrret nach draußen gebeten wurde, dachte ich kurz an eine ganz besonders raffinierte Inszenierung. Ist ja alles möglich im Theater von heute.

Nun aber zur Meisterleistung des Regisseurs und der Schauspieler: Bastian Kraft arbeitet gerne mit einem Vexierspiel zwischen der greifbaren Wirklicheit der Bühne und der irrealen Welt des Videos. Manche würden seufzen: „Nicht schon wieder!“ Aber Kraft kann es wirklich! Ich denke an die dramatisierte Fassung von Oscar Wildes Roman „Dorian Gray“, die seit Jahren ein Publikumserfolg ist. Wie er und Peter Baur den Zauberberg als Kristallteile auf die Bühne stellen, das hat Wucht und beeindruckt. In, auf und zwischen diesen kantigen Klippen lässt er vier Schauspieler alle Figuren des Romans spielen: Felix Kammerer, Dagna Litzenberger Vinet, Markus Meyer und Sylvie Rohrer sind abwechselnd Hans Castorp und zugleich – als Video eingeblendet – eine der anderen Figuren. Mit diesem ungewöhnlichen Vorgehen vermeidet Bastian Kraft fast immer Langeweile. Aber eben nur „fast“ immer. Denn es gibt Strecken, in denen der Zuseher leicht wegdriftet, weil einfach zu viele Gesichter und Themen auf ihn einwirken. Etwa während der Carnevalszene.

Packend ist der Schluss: Christentum, Humanismus, Kommunismus, Sozialismus – alle „Ismen“ haben versagt, konnten den Krieg nicht verhindern. Der Glaube der Gutmenschen fällt in sich zusammen. Gewalt ist stärker als alle Theorie. Hans Castorp wird in den Krieg ziehen. Starker Abgang!

Am Ende noch eine Schlussbemerkung, wenn man so will eine Bitte: Ich knüpfe da an einen Artikel des ehemaligen Operndirektor Ioan Holender im Kurier an: Er monierte die langen Aufführungszeiten ohne Pausen. Zwei Stunden und länger sind für schlanke Menschen ohne viel Sitzfleisch hart! Außerdem vermisse ich die Halbzeitdiskussionen in den Pausen! Hat man Angst, dass zu viele Zuschauer in der Pause gehen?

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Volksoper Wien: Le nozze di Figaro von W.A. Mozart

Julian Rachlin dirigiert das Orchester der Volksoper Wien

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Ein „Figaro“, wie man ihn sich nicht schöner wünschen kann. Wenn Marco Arturo Marelli inszeniert, dann weiß man, dass es nicht nur gut, sondern exzellent wird! Und so war es auch. Marelli, dafür bekannt, dass er für Regie, Bühne und Licht zeichnet, stellt ein Gesamtkunstwerk auf die Bühne. Dekor und Kostüme (Dagmar Niefind) bleiben in der Zeit vor der Französsichen Revolution. Marelli verzichtet bewusst auf die für das Publikum oft leidvolle Aktualisierung und wirkt deshalb umso „moderner“. Zauberhaft ist das Bühnenbild, wofür er sich von dem Gemälde Bayeux`“Sturz der Giganten“ und Daniel Grans „Aufnahme Dianas in den Olymp“ inspirieren ließ. Verstellbare Wände und große Fenster imaginieren viel Licht. Dass Marelli ein großer Lichtkünstler ist, ist ebenfalls bekannt und bestätigt sich in dieser Inszenierung einmal mehr. Von feinem Lichtzauber eingesponnen sind ganz besonders die Szenen im Salon der Gräfin, die ihren melancholischen Erinnerungen an die vergangene Liebe nach-sinnt:“Dove sono i bei momenti..“ Kamila Dutkowska ist als verletzte Gräfin gut besetzt. Sie liebt den Grafen noch immer, ist aber einem kleinen Gspusi mit Cherubino nicht abgeeigt. Ganz zart, fein gesponnen umhüllt das Licht Susanna, wenn sie im letzten Akt wie im Traum versunken die Arie „Vieni, non tardar o gioia bella“ singt. Lauren Urqhart ist die bezauberndste Suanna, die man sich vorstellen kann: Mit ihrer Stimme, die den Himmel öffnet, gepaart mit intensiver Spielfreude ist sie Zentrum und Star des Abends. Hoffentlich wird so noch lange der Volksoper erhalten bleiben!!

Marellis Stärke liegt auch, und das ganz besonders, in einer genauen Personenführung. Die große Zahl der Personen, Intrigen, Capriolen und Verwirrungen punktgenau und gestochen scharf zu inszenieren, ist eine große Kunst. Jede kleinste Bewegung hat Sinn, ist komisch und zugleich Charakteristikum. Den Grafen Almaviva (Orhan Yildiz) lässt er nicht als den großen Unsympathler erscheinen, sondern eher als harmlosen Lebemann der jedem Weib aus Gewohnheit nachstellt, insbesondere aber Susanna, die ihn mit ihrem Charme und Unerschrockenheit reizt. Am Ende hat er ja doch das Nachsehen und bekennt sich (mehr unfreiwillig als freiwillig) zu seiner Frau. Gott sei Dank lässt sich Marelli nicht auf die übliche, inzwischen auf vielen Bühnen schon allzu üblich gewordene Metoo-Anspielungen ein. Wie er sich überhaupt von jedem Regie- und Modetheater fern hält, wofür ihm das Publikum dankbar ist.

Evan Hughes ist als Figaro zwar der Hansdampf in allen Gassen, doch die Lösung des Problems findet nicht er, sondern Susanne. Stimmsicher fordert er den Grafen heraus: „Se vuol ballare..“, aber gegen Ende muss er erkennen, dass Susanna und nicht er das Heft in der Hand hat.

Bezaubernd ist Wallis Giunta als Cherubino. Mit ihrer Auftrittsarie „Voi che sapete cos`è amor“ hat sie Susanna und die Gräfin für sich gewonnen. Ebenso das Publikum. Mit sportlichem Hocheinsatz und großem Talent für Situationskomik sprintet sie unter Betten, Röcke, Sessel und Tische und sorgt ordentlich für Verwirrung am Hofe des Grafen.

Julian Rachlin, den wir bisher nur als Geiger kennenlernten, entpuppt sich als einfühlsamer Dirigent. Geschickt führt er auf Ton und Aktion hin punktgenau passend Orchester und Sänger zusammen. Selbst im größten Tumult verliert er nie die Führung. Man hört jede komische Gebärde, die leisen Untertöne oder die feine Ironie genau heraus. So wurde der Abend zu einem ganz besonderen ERlebnis!!

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Theater in der Josefstadt: Thomas Bernhard: RITTER, DÄNE, VOSS

Regie: Peter Wittenberg, Bühnenbild: Florian Parbs.

Gleich einmal vorneweg: Ich bin eine bekennende Nicht-Bernhard-Anhängerin. Und: Ich habe die berühmte Urfassung dieses Stückes nie gesehen. Was für die aktuelle Aufführung gut ist, weil ich ohne verklärende Erinnerungen den Abend genießen konnte. Ja, zu meiner Überraschung habe ich – im Gegensatz zu den meisten Kritikern – das Stück ganz unvoreingenommen genießen können. Wenn ich mich bei den meisten Bernhardaufführungen – es waren arg viele! – schnell langweilte, so stellte ich fest: Diesmal nicht!

Ich rufe daher auch nicht nach Peymann, im Gegenteil, Wittenberg machte seine Sache gut. Auch das Bühnenbild passt und ist gefinkelt: Ein „bürgerlicher“Salon“ mit Stehpendeluhr, eleganten Stühlen und Anrichte. An den bordeauxroten Wänden hängen, wie ich nachlesen konnte, die Bilder von den berühmten Dreien: Ritter, Däne, Voss. Die – so verstehe ich Wittenbergs Einfall, einen Museumswärter in den Hintergrund zu setzen – bitteschön der Vergangenheit angehören. Denn jetzt spielen andere das

Stück! Und die machen ihre Sache gut, sehr gut sogar:

Sandra Cervik ist die betuliche, aber bedauernswerte ältere Schwester. Sie heißt zwar laut Programm Dene, wird aber genauso wie ihre Schwester Ritter (Maria Köstlinger), nie mit Namen genannt. Denn beide sind nur arme Figuren um EINEN MANN herum, der Ludwig genannt wird (Johannes Krisch).

Es tut weh mitzuerleben, wie sich diese beiden Frauen gegenseitig bekriegen, um die Gunst des unerträglichen Mannsbildes buhlen. Beide spekulieren auf erotische Wirkungsmöglichkeiten, die an Ludwig jedoch verlorene Liebesmüh sind. Küsse gehen ins Leere, denn er ist ein von Erotik freigefegter Mann. Der hat nur seine wirren Gedanken, zusammengesetzt aus der Philosophie eines Ludwig Wittgenstein und dem Irrsinn des Neffen Paul Wittgenstein, im Kopf. Sein ganzes Da -sein in dieser ihm verhassten Wohnung mit den verhassten Bildern der Eltern (Voss als Vater, Dene als Mutter) hat nur eine Richtung: Wie er die beiden Frauen mit seiner „Krankheit“ quälen kann. Sein Irrsinn hat Sinn: Er bleibt Herr über die Schwestern, zieht alles, was sie unternehmen ins Lächerliche, samt Tischtuch und Geschirr. Wenn er Möbel umstellt, Geschirr zerbricht, Bilder umhängt, Essen ausspuckt und gegen seine Vergangenheit und seine Schwestern tobt, dann bekommen diese Szenen den absurd-aberwitzigen Charakter eines Ionescostückes. Was durchaus gut beim Publikum ankam, wie der lange Applaus und die Bravorufe bewiesen.

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Tiziano Scarpa: Stabat mater. Wagenbach Verlag

Aus dem Italienischen von Olaf Matthias Roth

Cäcilia lebt seit ihrer Geburt im „Ospedale della Pietà“, einem der Waisenhäuser Venedigs. Sie weiß nicht, wer ihre Mutter ist, die sie als Säugling vor dem Tor des Ospedale abgelegt hat. Als Cäcilia 16 Jahre alt wird, beginnt sie nach ihrer Mutter zu forschen. Eine Schwester zeigt ihr die Erkennungszeichen, die die Mutter hinterließ. Doch daraus lässt sich kein Schluss ziehen.

Im Kloster legt man größten Wert auf Musik. Alle Kinder werden musikalisch gefördert. Cäcilia ist besonders begabt. Ihr Geigenspiel erregt auch bei dem neuen Musikmeister und Komponisten (Antonio Vivaldi) Interesse. Er möchte sie zu seinem Star machen, was aber hieße, dass Cäcilie auf ein Leben außerhalb der Klostermauern verzichten müsste. Sie lehnt das Angebot ab, zieht sich Männerkleider an, besteigt ein Schiff Richtung Griechenland, wo sie hofft, ihre Mutter zu finden.

Tiziano Scarpa wählt ein gehobene, sehr feministische Sprache, in der er Cäcilia die Briefe verfassen lässt. Des öfteren allrdings beschwert das Pathos das Lesen. Interessant wäre für den Leser zu erfahren, ob die in dem Roman geschilderten Lebensumstände der Mädchen historisch belegt sind. Etwa, dass die Mädchen nur selten das Kloster verlassen dürfen. Wenn, dann nur unter strengster Bewachung und von oben bis unten verhüllt. Nur ein Augenschlitz ermöglicht ihnen eine schmale Sicht auf die Welt. Weitere strenge Lebensregeln werden geschildert. War das Leben tatsächlich so engmaschig nur auf Musik ausgerichtet? „Wir sind lebendig gleichsam in einem Sarg aus Musik begraben“ (73) schreibt Cäcilia an die unbekannte Mutter. Zu öffentlichen Messen spielen sie alle mit Maske – ihre Körperlichkeit soll verleugnet werden, um die Zuhörer – meist Männer – nicht vom Hören ablenken. Aufbegehren gilt nicht. Sie sollten lieber dankbar sein, leben zu dürfen. Früher wären die unehelichen Kinder gleich nach der Geburt ertränkt worden wie junge Katzen, erklärt eine Schwester dem geschockten Mädchen.

Der Roman lebt von den poetischen, manchmal stark überhöhten Bildern und fordert dem Leser einiges an Geduld ab. Über Venedig selbst erfährt man wenig.

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Schuberttheater: Die Welt ist ein Würstelstand

Ein MUSS für Puppenspielliebhaber, oder eigentlich für alle, die witziges, pointiertes, schräges, launiges, Lachen machendes Theater lieben!!

Idee und Spiel: Manuela Linshalm, Buch: Manuela Linshalm, Stephan Lack, Regie: Christine Wipplinger, Musik: Heidelinde Gratzl, Puppen: Nikolaus Habjan, Manuela Linshalm, Marianne Meinl, Lisa Zingerle. Bühne: Denise Heschl, Licht: Simon Meusburger.

Man muss sie einfach bewundern: Manula Linshalm bespielt solo (sollte das nicht genderkorrekt „sola“ heißen? – na ich habs nicht so mit dem Gendern) alle Puppen, oft zwei gleichzeitig. Sie schlüpft nicht nur mit den Händen in die Puppen, sondern auch mit ihrer Seele. Das merkt man, wenn man einmal von der Puppe wegguckt und sich auf ihre Mimik konzentriert. Sie ist nicht nur Stimme, sondern sie leidet, freut oder ärgert sich mimisch mit der Puppe mit.

Manuela Linshalm begann gemeinsam mit Nikolaus Habjan im Schuberttheater – ich erinnere mich an großartige Aufführungen, wie zum Beispiel „Was geschah mit Baby Jane?“, wo sie unter der Regie von Nikolaus Habjan schon damals alle Puppen bespielte. Viele gemeinsame Auftritte mit Nikolaus Habjan folgten. Nun steht sie also wieder als Hauptakteurin hinter den Puppen – grandios!

©Schuberttheater

Die Geschichte der Resi Resch, die seit Jahrzehnten den Würstelstand führt, ist rührend, jedoch ohne das Geringste Fuzerl Kitsch. Tapfer und lebensoptimistisch steht sie Tag für Tag hinter der Budel, winkt ihren alten Kunden zu, fragt nach dem werten Befinden der Mutter, Tante, Oma, des Ehemanns. Sie kennt sie alle beim Namen, weiß über Blutdruck bis Masern Bescheid. . Doch keiner kauft ihre Würsteln. Der eine hat Diabetes, der andere ist Vegetarier geworden – da kann sich Resi über die Vegetarier und Veganer alterieren -. Der einzig treue Kunde ist ein depressiver Witwer. Er kommt täglich, um sich auszujammern. Köstlich sind die Dialoge zwischen den beiden – er trauert seit Jahren seiner Verstorbenen nach, und Resi gibt ihm Ezzes, wie er neue Frauen kennenlernen könnte. Sie steht mitten im Leben, das zwar nicht rosig ist, aber sie lässt sich nicht unterkriegen. Ärgert sie sich – und das passiert sehr oft – dann lässt sie perfekte wienerische Schimpfkanonaden los. Ihr besonderer Schützling ist ein Obdachloser. Er darf neben ihrer Hütte seinen Rausch ausschlafen.

In der Naht ist ihr Stand geschlossen. Da schlüpft aus dem Abfallkübel die glückliche Ratte. Glücklich, weil der Philosoph Schopenhauer ihr persönlichen Ratgeber ist. Genüsslich verspeist sie die Reste, die sie im Umkreis des Standes findet, begleitet von der zarten Melodie eines Xylophons. Heidelinde Gratzl hüllt das Spiel der Puppen durch ihre Musik in eine fast irreale- mystische Atmosphäre. Wenn sie den Betrunkenen mit leisen Akkordeontönen in den Schlaf begleitet oder die exaltierte amerikanische Touristin mit einem wilden Walzer berauscht, dann wird das Theater zur Traumsequenz, in der Vergänglichkeit und Gegenwart verschmelzen.

Jede einzelne Szene ist eine Köstlichkeit per se. Man lacht, trauert, schluchzt und leidet mit den Puppen und muss sich dafür kein Bißchen schämen!

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Volksoper Wien: Jacques Offenbach: Orpheus in der Unterwelt

Fast drei Stunden Ausstattungsorgie! Teils optischer Genuss, teils witzig, teils überflüssig. Julian Crouch, für Bühne und Kostüme verwantwortlich, schwelgt im bewusstem Kitsch, manchmal fein dosiert mit ironischer Wirkung, manchmal schwappt diese Orgie über den Topfrand und wird zu viel. Im ersten Teil genießt man all diese Gags – Theater im Theater, das Bühnenbild wie aus der Kitschmottenkiste mit humorigem Zwinkern; da hüpft Eurydike ( Hedwig Ritter stimmlich ziemlich tough) zwischen Tempelsäulen und sammelt Blumen für ihren Liebsten, einen Schäfer. Sie klagt über ihren langweiligen Ehemann Orpheus, Schäfer tauchen auf, Zeit der Schafschur ist – eines der entzückendsten Ballettszenen des Abends entrollt sich: Schafstanz , zuerst in der vollen Wolle, dann geschoren. Choreographie (Gail Skrela) und Kostüme überschlagen sich hier an Einfällen. Orpheus betritt die Bühne (Daniel Kluge – köstlich in der Selbstverleugnung) und gleicht so gar nicht dem aus der Antike tradierten Bild. Statt eines schönen Jünglings, dessen Gesang Steine zum Heulen bringt, spielt da ein selbstverliebter, unattraktaktiver Langeweiler. Eigentlich kann er gar nicht richtig Geige spielen, als Ehemann und Lehrer taugt er schon gar nicht.

Dann Sprung in die Götterwelt – der Schäfer entpuppt sich als Pluto, Gott der Unterwelt – Timothy Fallon gibt einen behäbigen Gott, stimmlich gut. Dass Eurydike nun in der Unterwelt gefangen gehalten wird, ist ihr gar nicht recht. Sie langweilt sich, niemand liebt sie. In den Szenen mit Styx als Wächter und Fliege (Sebastian Matt) haben die Regisseure viele Chancen auf echt gute Humorszenen vergeben. Denn leider fehlt hier das geistvolle Blödeln, es bleibt nur die reine Blödelei. Noch dazu ist Sebastian Max – wie auch Ruth Brauer-Kvam als öffentliche Meinung oder Marco di Sapia als Zeus – nur schwer verständlich. All die folgenden Szenen im Götterhimmel geraten zu langatmig, da fehlt der kluge Strich. Mühsam gehts mit der Vorstellung jeder einzelnen Gottheit voran – wer weiß schon was über die Büchse der Pandora, das Pantscherl zwischen Mars und Venus oder warum Merkur auf Rollschuhen daherkommt. Die Nomenklatur der Götter ist vielleicht gerade noch aus den klassischen Heldensagen bekannt – und das ist kein gesichertes Wissen. Die Langeweile wird dann von zwei herrlichen Tanzszenen aufgemischt, zuerst durch die Parade der Liebespolizei des Cupido. Da hört man die Kinder vor Lachen kreischen und jubeln. Und darauf der temperamentvoll und toll getanzte Cancan – das war Augenweide für die Erwachsenen. Wie überhaupt die Aufführung mehr durch optische Opulenz und tänzerische Einlagen als durch geistreichen Witz begeistert.

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Peter Turrini: Der tollste Tag, nach Beaumarchais

Theater Scala.

Ein toller Tag ist, wenn tolles Theater zu sehen ist: Wenn Text, Inszenierung, Kostüme und vor allem Schauspieler einen vollen Erfolg garantieren!

Der Regisseur Peter M. Preissler hat sein feines Händchen für Komödien schon mehrfach bewiesen – z. B. in dem Stück „Umsonst“ von Nestroy. Dass Peter Turrini ein hervorragender Dramatiker mit einem Gespür für Humor und überbordende Komik ist. braucht hier nicht noch extra betont zu werden. Mit seiner Bearbeitung des gleichamigen Stückes von Beaumarchais beweist er wieder einmal meisterhaft, was „Bearbeitung“ wirklich heißt: Ehrfurcht vor dem Autor, aber genügend Witz und Mut zu Änderungen, bzw. Aktualisierungen. Entgegen aller anderen Figarobearbeitungen hält es Turrini mit einem krasssen Schluss: Figaro bringt in höchster Verzweiflung, weil ihm schon keine weitere List gegen diesen machtgeilen Graf Almaviva einfällt, dieses Monster um. Danach künden die herabfallenden Marionetten die Revolution an. Unterstrichen wird diese „Komödie“, die eigentlich ein traurig-komische Angelegenheit ist, durch die absurd-witzigen Kostüme der Nebenfiguren, wie etwa der Marcelline (selbstverleugnerisch gut Sibylle Kos), des Intriganten Bacillus, von Randolph Destaller zwischen einfältig und bösartig bestens verkörpert oder des bis zur Verblödung die Befehle des Grafen nachplappernden Dieners Raimund Brandner. Besondeere Leckerbissen des komödiantischen Könnens liefern Florian Lebek als Don Guzman di Stibiza, Richter seines Amtes, und ihm zur Seite Bernie Feit als Schreiber Zettelkopf. Hinter ihrem Spiel lauert die grausame Aktualität – die Korruption quer durch alle Sparten.

Die Hauptfiguren spielen in passender Alltagskleidung, denn ihr Spiel um Macht, versuchter List und Abwehr der Übergriffe sollen möglchst nahe der Normalität angesiedelt sein. Wenn Graf Almaviva sich ungeniert an Susanna (sehr gradlinig, ehrlich: Lena Antonia Birke) vergreifen will, dann wird aus dem Scherz grausamer Ernst. Hermann J. Kogler gibt einen richtig fiesen Anmacher, der jedem Frauenzimmer an die Wäsche geht, nur nicht seiner eigenen Frau – was diese unverständlicher Weise sehr bedauert, Christine Saginth ist eine sehr heutige Gräfin, die auch gerne ein Pantscherl mit dem blutjungen Cherubin hätte. Alduin Gazquez gibt keinen engelsgleichen Cherubin, der ja bei Mozart in aller Unschuld die Frauen verführt, sondern einen ziemlich abgebrühten Jungschurken, immer auf seinen Vorteil bedacht. Zwischen all diesen Figuren versucht Figaro (flink, verzweifelt einen Ausweg suchend: Philipp Stix) seine Susanne vor dem Zugriff des Grafen zu retten. Dessen Macht und Intrigantentum treiben Figaro in die Verzweiflungstat – er erwürgt den Grafen. Was für ein Schluss: Revolutionen entstehen, wenn die Unterdrückten keinen Ausweg mehr sehen, alle Mitteln ausgeschöpft haben. Und krachend fallen die Puppen, die das ganze Spiel über vom Plafond herunterhingen, auf den toten Grafen. Was mit Susanne und Figaro weiter passiert, bleibt offen.

Langer Applaus, auch für Peter Turrini, der an diesem Abend unter den Zuschauern saß und begeistert applaudierte.

Info und Vorverkauf unter 01/ 544 20 70, Theater Scala. Wiedner Hauptstraße 108, 1050 Wien

http://www.theaterzumfuerchten.at

Bösendorfer Festival: Schubert, Winterreise

Günther Groissböck: Gesang. Florian Krumpöck: Klavier. Kasematten Wiener Neustadt

Das Opernpublikum kennt Günther Groissböck als außergewöhnlichen Sänger und Rollengestalter, etwa als Wassermann in „Rusalka“ oder als Ochs im „Rosenkavalier“. Nun erobert sich Groissböck auch die Liedszene. Ohne seinen ganzen Stimmunfang zu demonstrieren – wie man das von manchen bekannten Opernstars kennt, die sich auch im Lied als Opernstar beweisen wollen – ziseliert er Wort für Wort, Ton für Ton den Schmerz dieses Menschen, der durch den Winter seiner Seele und der Natur geht und erfährt, was Einsamkeit heißt. Tempowechsel und Steigerung vom Piano zum vollen Bass, leise, zart, bis deutlich laut- weil zutiefst verletzt – so führt Groissböck sich und sein Publikum durch diese Reise. Trotz mehrmaliger Störung (Handy und ein dringend notwendiger Rettungseinsatz) bleibt er konzentriert, bleibt in der Seele des Wanderers, macht alle Tiefen durch, allen Schmerz, der sich in Tränen auflöst und doch nicht weniger wird.

Er beginnt nüchtern („Gute Nacht“): Nimmt Abschied von seinem Liebchen, wünscht ihr gute Nacht. Lässt die Hunde heulen. Es klingt wie ein Faktum: eben nach Abschied. Doch mit jedem Lied steigert Groissböck die Intensität bis zum ersten Höhepunkt – zur „Erstarrung“: Tränen gefrieren zu Eis, der Sänger jagt durch den Schmerz, immer nach „ihrem“ Bild suchen, den Schmerz verstärkend. Im „Lindenbaum“ führt er uns durch eine kurze Idylle, die bald in Dramatik umschlägt. Ab nun gibt es keine Wehmut, nur Dramatik. Traum und Wirklichkeit mischen sich , aber daraus erwachend erkennt er: Die Welt ist eben so beschaffen, in dieser Welt bleibt er immer einsam. Die Krähe wird ihm Lockvogel, lenkt seine Gedanken in den Tod. Vorher noch die bittere Erkenntnis: Menschen sollt ich scheuen, ich muss eine andere Straße gehen. Ein letztes Aufbäumen. Dann der Leiermann. Niemand beachtet seine Musik, doch er findet in ihr Ruhe.

Großartig, wie Günther Groisböck diese Reise gestaltete. Begleitet wurde er kongenial von Florian Krumböck. Wie dessen Finger über die Tasten schwebten, Schuberttöne in selten gehörter Zartheit hervorzauberten, dann wieder mit Macht, aber ohne vorlaute Wucht der Dramatik des Liedes folgten – das war Schubert in reinster, vollkommenster Form!

Infos zu weiteren Veranstaltungen

http://www.kasematten-wn.at und http://www.boesendorfer-wn.at

George Saunders, Bei Regen in einem Teich schwimmen. Luchterhand Verlag

Untertitel: Von den russischen Meistern lesen, schreiben und leben lernen.

Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert

Für Bücherwürmer, Büchernarren, Bücherabhängige, Neugierige, Gierige – also für alle, die gerne lesen, ist dieses Buch ein MUSS!

Immer wieder frage ich mich, warum ich ein Buch von der ersten Seite an mag. Welche Tricks stecken dahinter? Wie stellt es der Schriftsteller an, den Leser bei den Seiten zu behalten? George Saunders lehrt Literatur und Schreiben an der Syrakuse University / New York. Dass er weiß, wie ein Autor seine Leser bei der Stange hält, merkt man sofort. Als „Einführung“ in die Geheimnisse, die einen guten Schriftsteller ausmachen, legt er als Kostprobe die Erzählung „Auf dem Wagen“ (1897) von Anton Tschechow vor. Dann stellte Saunders die richtigen Fragen, die in das Innere der Schreibgeheimnisse Tschechows führen. Das geschieht nicht lehrerhaft, sondern ganz nah am Leser und mit viel Humor. Sechs weitere Erzählungen folgen, die allesamt von den großen russischen Erzählern, wie Tschechow, Turgenjew, Tolstoj und Gogol stammen. Es empfiehlt sich, nicht alle Erzählungen und deren „Lösungen“ auf einmal zu lesen. Am besten man liest eine mehrmals, lässt die Fragen und Deutungen auf sich wirken, lässt sie „rasten und reifen“. Eine Weile später entscheidet man sich für die nächste. Eine gute Torte verschlingt man ja auch nicht auf einmal!

http://luchterhand.de

Carsten Henn, Der Buchspazierer. Pendo Verlag/Piper Verlag

Carsten Henn widmet diesen Roman allen „Buchhändlern und Buchhändlerinnen. Selbst in der Krise versorgen sie uns mit einem ganz besonderen Lebensmittel“.

„Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ein Resonanzkörper wie die Seele eines Lesers“ – diesem Motto von Stendhal, dem Roman vorangestellt, kann der Leser vertrauen – es löst sich wie ein gegebenes Versprechen Seite für Seite ein.

Bücher über Bücher zu schreiben ist ein Trend. Elke Heidenreich, George Saunders oder Ruth Ozeki – um nur einige zu nennen, haben sich diesem Thema in verschiedenster Weise genähert. Für Carsten Henn ist ein Buch tatsächlich Leben und Lebensmittel. Es gibt dem Leser Ruhe, vor allem dem einsamen Leser. Einsamkeit ist Henns Hauptthema. Schon im „Die Geschichten des Bäckers“ geht es darum, Menschen zu zeigen, die ohne Liebe vereinsamen. Der Bäcker weiß darum und hilft mit seinen Geschichten.

Auch Carl, der Buchspazierer, weiß um die Einsamkeit der Menschen. Jeden Abend packt er Bücher liebevoll ein und marschiert mit ihnen zu seinen Kunden, reicht ihnen ein stückweit Trost, Hilfe. Carl könnte längst schon in Pension gehen. Aber er hängt an seinem Beruf als Buchhändler. Seit die Tochter des Ladenbesitzers das Geschäft übernommen hat, droht ihm die Entlassung. Aber unbeirrt davon marschiert er mit seinen Büchern von Kunde zu Kunde. Bis eines Tages sich ein zehnjähriges Mädchen ihn ungebeten begleitet. Sascha ist ein wenig altklug, gewitzt und versteht sehr schnell, dass auch Carl unter Einsamkeit leidet. Sie lehrt ihn, das Leben anzupacken.

Vielleicht tut so mancher Leser das Buch als „Jugendlektüre“ ab. Als gute zwar, aber lässt sich deshalb nicht so richtig auf den Inhalt ein. Mancher mag vielleicht „Kitschalarm“ orten. Aber solche Leser wollen die Botschaft der tiefen Menschlichkeit nicht wahrhaben. „Weißt du, die Menschen vergessen immer mehr zu lesen. Dabei sind Menschen zwischen den Deckeln, ihre Geschichten. In jedem Buch ist ein Herz, das zu pochen beginnt, wenn man es liest, weil das eigene Herz sich mit ihm verbindet“, erklärt Carl dem Mädchen (S46). Ja, es menschelt in den Büchern von Carsten Henn. Manchmal vielleicht sehr sogar. Und unsere Zeit ist dafür nicht immer gemacht, solche Bücher zu lesen, ihre Botschaft zu akzeptieren. Aber gerade deshalb sind Henns Bücher wichtig.

http://www.pendo.de und http://www.piper.de

Ileana Cotrubas und Manfred Ramin: Die manipulierte Oper. Verlag Der Apfel

Ein Buch, das jeder Kulturinteressierte gelesen haben muss. Welch Erleichterung, dass endlich Autoren, die es wissen, weil sie die Misere am eigenen Leib erfahren mussten, offen über die Krankheit „Regietheater“ schreiben und hinter die Kulissen blicken. Was übrigens für die Oper gilt, gilt für jedes Theater. Wie ich schon andernorts schrieb, gibt es gutes Theater und Regietheater. Letzteres ist zunehmend unerträglich geworden

Ileana Cotrubas war seit den 1970er Jahren auf allen Opernbühnen der Welt zu Hause, sang Susanna, Manon, Violetta und viele andere Partien. Manfred Ramin war Dirigent und managte die Karriere seiner Frau. Beide sind also mit dem Opernbetrieb bestens vertraut. Und sie haben den Mut, über den Missbrauch zu schreiben. Regisseure – und sie nennen bekannte Namen wie Neuenfels, Kusej oder Calixto Bieito – missbrauchen das Werk, um durch skandalöse Inszenierungen zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen zu werden. Je skandalöser eine Inszenierung ist, desto mehr steigt der Ruhm des Regisseurs. Die Liste der „Parasitenregisseure“, wie die Autoren sie nennen, kann beliebig verlängert werden. Parasitenregisseure deswegen, weil “ es sich dabei um Gebilde handelt, die aus eigener Kraft nicht existieren können. Sie sind auf einen Träger angewiesen, den sie dann oft überwuchern.“ (S 42)

Die Autoren bleiben nicht an der Oberfläche, sie gehen in die Tiefe des Übels. Das beginnt beim Direktor – welche Regisseure bestellt er? Wann weiß der Sänger, die Sängerin (der Schauspieler, die Schauspielerin), welcher Regisseur inszenieren wird? – Meist viel zu spät, um aus der Produktion noch aussteigen zu können. Warum bestellen Politiker – und hier seien einmal mehr für Österreich Andrea Mayer und Veronika Kaup-Hasler genannt – immer wieder unfähige Direktoren? Interessiert sich die Politik überhaupt für Kultur? Eher sehen die Zuständigen sie als notwendiges Lockmittel für Touristen.

Hoffnung blinkt da und dort auf – erstens durch dieses ungemein wichtige Buch, das man jedem Kulturverantwortlichen auf den Schreibtisch legen und ihn zur Lektüre verpflichten müsste. Dann durch Künstler, wie Nikolaus Habjan oder den Dirigenten Philipp Jordan, die sich offen gegen das Regietheater stellen. Und durch den Kurierjournalisten Thomas Trenkler, der immer wieder in seinen Artikeln auf die fragwürdigen Bestellungen von leitenden Posten in der Kultur hinweist.

http://www.verlagderapfel.at

Burgtheater: Marieluise Fleißer: Ingolstadt

Es gibt gutes Theater und es gibt Regietheater! Diese Inszenierung von Ivo van Hove fällt unter die letztere Kategorie. Gleich zweimal wurde Maria Luise Fleißer von Männern, die sich als Regisseure und Besserwisser sahen, vergewaltigt. Das erste Mal durch Bert Brecht, der ihr Stück „Pioniere in Ingolstadt“ derartig krass änderte, dass die Autorin auf allen deutschen Theatern und in ihrer Heimatstadt Ingolstadt als persona non grata gemieden wurde. Das zweite Mal nun durch Ico van Hove, der aus den Stücken „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Pioniere in Ingolstadt“ ein unerträgliches zweieinhalbstündiges Machwerk machte und pausenlose Gewalt und Geschrei auf das Publikum niederließ. Da mussten junge, unbekannte Schauspieler und Schauspielerinnen Waterbording bis kurz vorm Ertrinken ertragen, Vergewaltigungen mit heruntergelassenen Hosen waren Normalität. Kämpfe mit ungeheurer Brutalität – man hoffte, dass sich keiner ernsthaft verletzte. Das alles pausenlos und schier endlos. Schade um die Zeit, schade um Marialuise Fleißer, schade um die jungen Darsteller!

http://www.burtheater.at

P.S.: Gegen den Publikumsschwund in Theater und Oper gäbe es ein probates Mittel: Weg mir den allzu radikalen Regisseuren, die sich wie Götter fühlen. Eine Buchempfehlung zum Thema Regietheater:

Cotrubas/Ramin: Die manipulierte Oper, Verlag Der Apfel. Offene Kritk, mutig, längst notwendig!

Staatsoper: Ballett: Dornröschen von P. I. Tschaikowski

Musik: P.I. Tschaikowski und Giacinto Scelsi. Choreographie: Martin Schläpfer und Marius Petipa. Bühne: Florian Etti. Kostüme: Catherine Voeffray. Dirigent: Patrick Lange

Ein Abend, der Ballettfans Freude macht. Vor allem denjenigen, die gerne auf Spurensuche gehen: Wo ist Petipa zu sehen, wo die Hand Schläpfers zu merken? Letzterer hat wie Künstler, die fremde Bilder übermalen, seine Choreographie über die Petipas gelegt oder – wie im dritten Akt – ein ganz neues Bild gemalt, um in der Sprache der bildenden Kunst zu bleiben.

Man darf ausgiebig in den Farben der Romantik schwelgen. Zwischen kräftigen roten Rosendekor und bunten Kostümen entwickelt sich das Märchen. Der Beginn (Prolog) ist zwar naiv, bis überflüssig: Im weißen Himmelbett beten die Königin und der König um Kindersegen, legen sich hin und-…Ja, es hat gefunkt! Neun Monate später hängt eine winzige Wiege im Rosenhimmel. Und es darf gefeiert werden. Olga Esina als Königin – von Martin Schläpfer zu Recht in ihrer Rolle aufgewertet – beherrscht wie immer die Szene, sobald sie tanzt. Darüber brauche ich nicht mehr zu schwärmen! Ihre Eleganz und Bühnenpräsenz stellt sie wie immer unter Beweis. Dem König (Masayu Kimotu) kommt eine marginale Rolle zu – hat Schläpfer feministische Attitüden? Es entwickeln sich die von Petipa entworfenen Tanzszenen, alle – Schläpfer will ja immer das ganze Ensemble glänzen lassen – dürfen mit großem Eifer glänzen. Auch die Jüngsten als Elfenkinder, die wie Spielpuppen hereingetragen werden. Knapp bevor es langweilig werden könnte – der erste Höhepunkt: Der fulminante Auftritt der bösen Fee Carabosse! Claudia Schoch ist dank der über Petipas Choreografie darübermalenden Pinselstriche Schläpfers eine temperamentvolle, bedrohliche Fee. In Begleitung ihrer beiden Adlati Calogero Failla und Igor Milos zerstört sie die Idylle und verhöhnt mit ihrer Macht die allzu satte Feiergesellschaft( Titelfoto). Ioanna Avram als zauberhafte Fee Lilas kann das Todesurteil in hundertjährigen Schlaf verwandeln. Hier setzt Schläpfer auch starke Akzente mit Symbolkraft, indem er die böse und die gute Fee zuletzt zu einer Einheit im Tanz verschmelzen lässt. Der dritte Akt mit der Musik (aus der Konserve) von Scelsi bezaubert das Publikum mit einer Waldkulisse und verträumt-idyllischen Tänzen des Blauen Vogels (Giorgio Fourès) und des Fauns (Daniel Vizcayo). Mit dieser Choreographie hat Martin Schläpfer Spannung, Atmosphäre und den ganzen Zauber eines Märchens in den Ablauf hineingebracht. Nach dem dritten Akt dürfen noch Hyo-Jung Kang als wachgeküsstes Dornröschen und Brendan Saye als Prinz ihr Können zeigen. Letzterer trumpft mit einer Sprungqualität auf, die an Nurejew erinnert. Leider wirkt der vierte Akt,ganz der Petipachoreographie einverschrieben, altmodisch, trotz der modernen Kostüme – oder gerade auch deswegen. Besonders unkleidsam ist das der Königin. Dass König und Königin nach der Hofübergabe sterben und auf dem Bühnenvordergrund liegen wie les giants in französichen Kathedralen, ist eine überflüssige und peinliche Idee.

Patrick Lange führt sehr behutsam, ganz auf Märchenpfoten, das Publikum durch die Märchenmusik!

Langer und begeisterter Beifall belohnte Ensemble, Musiker und Dirigenten.

Albertina: Ruth Baumgarte, Malerin der Farben und des Lichts in Afika

Foto oben „Burning Sky“

Bilder, die einen sofort in ihren Bann ziehen. Da glühen Rot, Gelb, abgeschattetes Lila – die ganze Palette der puren Farben- und Lebensfreude auf. Fasziniert gehe ich von einem Bild zum anderen, eigene Erinnerungen an Äthiopien und andere von mir bereiste Länder steigen auf. Landschaften, die ich durchwandert, Menschen, denen ich begegnet bin. Die Bilder Ruth Baumgartes erhöhen die eigenen inneren Bilder in eine Absolutheit, Stimmigkeit. Sie malt keine „Kolonialbilder“, keine Tourismuserinnerungen, keine „typisch afrikanischen Bilder“, borgt sich nicht die Kunst der afrikanischen Bewohner, schielt nicht nach Angleichung, Verbrüderung.

Ruth Baumgarte, 1923 in Coburg geboren, bereiste Afrika von Norden bis in den Süden, war von den Menschen, der Landschaft fasziniert. Ihre Bildersprache erzählt von den ungeheuren Anstrengungen der Menschen, ihr Leben zu bewältigen, trotz Feuer und Dürre. Die Gesichter heischen nicht um Mitleid, sondern zeigen Selbstbewußtsein, Stolz.

Ruth Baumgarte betreibt keinen Verklärungskult. Sie sieht genua hin, weiß um die Nöte der Menschen, die sich hilflos einer gealtigen Landschaft ausgeliefert sehen.

Die Feuersbrunst jagt übers Land, Flucht. (Bild Mitte). Wie klein ein Mensch in der gewaltigen Landschaft ist, die im Farbenrausch aufzubrechen scheint, zeigt ein und dasselbe Bild, einmal außen rechts: Der Mensch ist winzig, von der lebensharten,, bedrohlichen und doch herrlichen Landschaft fast verschluckt. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man ihn – den Menschen- ruhig stehend, abwartend – Bild links außen.

Ruth Baumgarte kann auch ohne Farben berühren. Ihre Zeichnungen zeigen das Leid der Frau, ganz ohne prächtige Farbgestaltung. Hilflos sehen die Figuren (Kinder?) zu, wie die Mutter erschöpft daliegt. Blut um sie.

Ein Jahr vor ihrem Tode 2013 gründete sie die Kunststiftung Ruth Baumgarte, deren heuriger Preisträger Athi Patra Ruga mit einigen interessanten Werken in der Ausstellung vertreten ist

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Die Ausstellung ist noch bis 5. März 2023 zu sehen.

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Arthur Schnitzler, Das weite Land. Akademietheater

Regie: Barbara Frey. Bühne: Martin Zehetgruber. Kostüme: Esther Geremus

Die Untoten sind passiv, manchmal lasziv, wenig kreativ, dank der Regie von Barbra Frey. Zu Beginn ist es stockdunkel – Thomas Bernhard hätte seine Freude an dieser totalen Finsternis! Aus dem Off spricht eine Stimme über Fliegen, Maden, Ameisen, die einen Leichnam auffressen, erklärt über gefühlte zehn Minuten, wie der frische Leichnam aussieht und wie er nach zwei Jahren aussieht. Der Text wirkt wie aus einem Readiokolleg von Ö1, ist nicht aus Schnitzlers Feder. Was dann folgt ist ein Trauerspiel über 2 Stunden ohne Pause. Vor einem dunkelgrau- schwarzen Vorhang stehen schwere, dunkelbraune Lederfauteuils, sonst nichts. In einem sitzt Genia (Katharina Lorenz), stumm, verstummt. Steif gefroren vor Langeweile in ihrem trostlosen Eheleben. Aus den Vorhängen schälen sich die weiteren Totfiguren heraus, alle sehr bedrückt – doch auch neugierig nach Sensationen: Warum hat sich der junge, begabte Korsakov erschossen? Verschiedene Gerüchte scheinen die Untoten ein wenig aufzuwärmen. Was dann folgt ist ein ziemlich amputierter Schnitzler. In diesem Untotenspiel wirkt selbt Erna (Nina Siewert), die von Schnitzler als kokette, lebneslustige junge Frau, die ihre ersten koketten Krallen an Hofreiter schärft, bechrieben wird, wie aus einer griechischen Tagödie entlehnt. Und Hofreiter, der galante, elegante Verführer, ist zu einem behäbigen, ziemlich lustlosen Verführer verkümmert (Michael Maertens). Hin und wieder gelingt es Maertens, so was wie einen Hofreiter à la Schnitzler hervorzuholen, ein paar treffende Bonmots über das Leben im Allgemeinen und über die Liebe, die es gar nicht gibt, im Besonderen, anzubringen. Dann wird sogar gelacht. Dass Genia und der junge Otto Aigner (Felix Kammerer) ein Verhältnis haben sollen, wirkt deshalb unglaubwürdig, weil dieser Otto eher wie ein Kind und nicht wie einer, der den Marinedienst antreten wird,, wirkt. Der Rest der Untoten sind Schattenfiguren, die das weite Land der Unterwelt bevölkern.

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Carsten Henn, Der Geschichten Bäcker. Piper Verlag

Dieses Buch ist eines der wenigen, das einen festen Platz in meinem Regal bekommt. Und oft herausgenommen wird, wenn ich einzelne Seiten lesen will. Oder wenn ich es einem ganz lieben Freund, einer Freundin borgen will. Aber nur denen, die keine Berührungsängste vor Emotionen haben. Ich sage: Endlich ein Buch, das nicht kopflastig, keine detailverliebte Nabelschau ist, das keine Moralpredigten, keine Lebensanleitungen, keine philosophisch-intellektuellen Abhandlungen als Roman verkaufen will – es ist schlicht und einfach ein Buch, das ich von der ersten Seite an liebte. Ich war traurig, als ich es zu Ende gelesen hatte. Eben, weil es zu Ende war. Wenn die Figuren des Buches sich ein wenig zurückziehen und das banale Alltagsleben mich wieder in den Klauen hat. Aber ich sage mir: es gibt die Figuren ja weiter, sie existieren, ich brauche sie nur abzurufen.

Wer sind diese Figuren? Die Tänzerin Sofie: Ihre Karriere als gefeierte Primaballerina wurde durch eine Verletzung abrupt beendet. Sie lebt im luftleeren Raum ohne Plan, ohne Aufgaben. Eine Situation, die vielen schon passiert ist. Wie soll es weitergehen? Ihr Mann ist Choreograph am Theater, wo sie bisher getanzt hat. Er versteht Sofies Rat- und Ruhelosigkeit, Versucht ihr auf seine Weise zu helfen. Aber wie das so ist mit den gutgemeinten Ratschlägen – sie werden zu Schlägen. Da tritt wie ein deus ex machina die Figur des Bäckers Giacomo in ihr Blick- und Lebensfeld. Er behandelt Leben, Menschen und alles Lebendige mit Liebe, Sorgfalt. Besonders auch seinen Teig, Deshalb ist sein Brot das beste weit und breit. Und er bringt Sofie das Brotbacken und die Liebe zum Leben bei. Wie das gehen kann, ist der Inhalt dieses Buches. ZAUBERHAFT!

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Theater in der Josefstadt: Erwin Steinhauer liest „Leviathan“ von Joseph Roth.

Musikalische Begleitung: Andrej Serkov auf dem Knopfakkordeon

Intensiv und schlicht – so lässt sich dieser Abend zusammenfassen. Erwin Steinhauer liest. Ruhig, gelassen fließt die klare Sprache Joseph Roths dahin. Er – Josph Roth und mit ihm Erwin Steinhauer – lässt sich Zeit, verbreitet dichte Bilder des fiktiven Städtchens Progrody, das nicht zufällig an Brody, die Geburtstadt Joseph Roths, anklingt: Bauern und Bäuerinnen kommen zum Wochenmarkt, es wird gefeilscht, danach geht man zum Korallenhändler Nissen Piczenik und kauft Korallen. Nicht irgendwelche, sondern sorgfältig ausgewählte und liebevoll gehegte. Die Korallen sind für Nissen Piczenik lebendige Wesen, mit Blut erfüllt. Sie kommen aus den Tiefen des Meeres, wo Leviathan sie bewacht. Steinhauers Stimme lässt ein Kopftheater mit dichten Bildern entstehen. Wir sehen die Bäuerinnen, die sich die Korallenketten umglegen, wir sehen das Städtchen, wie es vor mehr als 150 Jahren ausgesehen haben mag. Wir sehen Nissen Piczenik, lassen im Kopf sein Bild entstehen.

Dazwischen spielt Andrej Serkov auf seinem Knopfakkordeon. Seine Töne zaubern ebenfalls Bilder in unsere Seele. Einmal sind es die Korallen, die wie Perlen durch die Hände der Bäuerinnen rieseln, dann hört man die Töne des Dorfes, meint die schweren Schuhe auf dem unebenen Pflaster zu vernehmen.

Dann wird Piczenik vom Teufel versucht – Lakatos liefert Plastikkorallen. Die Bauern verlieren den Respekt vor dem Echten, kaufen den Plunder. Und Piczenik kauft ebenfalls, mischt die echten mit den unechten. Erliegt der teuflischen Welt des Billigmarktes. Verzweifelt über seinen Treuebruch, beginnt er zu trinken. Verkommt. Steigt in den Zug. Wieder begleitet ihn und uns die Musik Serkovs, der Zug wird schneller, rast dem Ziel, dem Hafen zu, wo der Korallenhändler ein Schiff besteigt, das ihn nach Kanada bringen soll. Doch er überlegt es sich anders, gibt seinem Wunsch, zu seinen geliebten Korallen hinabzusteigen, nach und stürzt sich in die Tiefe. Andrej Serkov lässt ganz leise die Wellen über Nissen Piczenik zusammenschlagen. Stille. Lange Zeit schweigt das Publikum, lässt das Kopftheater weiter wirken. Spät erst kommt Applaus auf und dankt für einen Abend, ganz frei von Regieeitelkeiten. Wort und Musik waren die Hauptakteure.

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Konversationen im Herrenhof: Olga Schnitzlers Talkshow mit Joseph Roth

Olga Schnitzler: Elisabeth-Joe Harriet. Joseph Roth: Ralph Sami. Idee, Buch, Regie: Elisabeth-Joe Harriet

Heiter plaudernd marschiert das Paar in das (imaginierte) Café im Herrenhof ein: Olga Schnitzler im Midikostüm der Epoche, Joseph Roth im dunklen Anzug mit Fliege. Sie wundert sich über sein elegantes Auftreten, er darauf: „Wenn ich schon Urlaub aus der anderen Welt und wieder einen Körper habe, muss ich das ausnützen.“ Danach, ganz perfekte Gastgeberin. bietet ihm Olga Wasser an. Roth enttäuscht: „Nur Wasser? Sonst nix?“ Natürlich ist auch Wein da, er fragt nach dem Korkenzieher. Wird nicht mehr gebraucht – Drehverschluss. Staunen über die fremde neue Zeit. Solche Spielchen zwischen den Zeiten liebt Olga und spielt sie mit allen ihren Gesprächspartnern (Karl Kraus, Hofmannsthal, Berta Zuckerkandl). Nach diesem heiteren Geplänkel möchte sie mit seiner Geburtsstadt Brody beginnen, was er nicht so gerne hat. Brody wäre doch nur eine unbedeutende Provinzstadt gewesen. Da hält ihm Olga, die immer eifrig recherchierende, seinen eigenen Text über Brody unter die Nase: „Er lese ihn bitte vor“. Und während nun Joseph Roth liest, klappern draußen die Fiaker vorbei. Im Kopf der Zuhörer verschmilzt die Gegenwart zur aktuell sich abspielenden Vergangenheit, die Vergangenheit Joseph Roths: Die zerbrechliche Beziehung zu seiner Mutter, der nicht existierende Vater, der durch das Idealbild des Kaisers ersetzt wurde. sein Aufstieg zum gutverdienenden Journalisten und Romancier („Hiob“ war ein Riesenerfolg, tolle Verkaufszahlen). Roth: „Ja, ich habe mein Leben schön fabuliert!“ Doch früh schon die Erkenntnis, dieser Hitler ist eine große Bedrohung. Seine Liebe zu seiner jungen und schönen Frau Friederike, seine Selbstvorwürfe, sie in der Krankheit im Stich gelassen zu haben. Immer wieder Warnungen vor Hitler, dem Kriegstreiber,und schließlich 1933 seine Abreise ins Exil nach Paris. Dort endet die „Konversation“, Olga Schnitzler wollte keinen vom Alkohol zerstörten Schriftsteller dem Publikum zeigen, sondern das feinfühlige Sprachgenie, das so vieles mehr als alle anderen Zeitgenossen sah, verstand und in seinen Werken poetisch, dokumentarisch und journalistisch verarbeitete.

Alle Aktivitäten, Reisen, Theaterabende unter:

http://elisabeth-joe-harriet.com

Puccini: La Bohème. Volksoper Wien.

164. Vorstellung. Neueinstudierung: Angela Brandt

Regie: Harry Kupfer (1935-2009)

Ein Abend des musikalischen Wiedererkennens und Erinnerns. Harry Kupfers dem Realismus verschriebener Regie, die Personenführung gepaart mit dem praktischen und eher unromantischen Bühnenbild von Reinhart Zimmermann ergaben einen Abend des fast puren Operngenusses. Fast – weil Carlo Goldstein meinte, er müsse Kupfers Regie durch ein erdiges und oft sehr deftig-lautes Dirigat betonen. So ging die zauberhafte Kennenlernszene von Rodolfo und Mimi im Getöse des Orchesters unter. Anett Fritsch als Mimi und Giorgio Berrugi als Rodolfo hatten große Mühe, ihre Stimmen über den Orchestergraben hinwegzutragen. Beide passen in die Rollen stimmlich und schauspielerisch gut, wenn das Orchester ihnen die Möglichkeit lässt, ihr Können zu beweisen.

Harry Kupfers Regiekonzepte waren dem Realismus eines Bert Brecht verpflichtet: Gutes, solides Bühnenbild, keine Extravaganzen in der Interpretation, sondern immer dem Werk treu ergeben. Ein Parsifal im Gefängnis – wie man ihn letztens in der Staatsoper in Wien zu sehen bekam – wäre ihm nie in den Sinn bekommen. Seine Figuren sind, was der Komponist in sie hineinkomponierte: Menschen, und keine Metafiguren. Daher musste sich der Zuhörer nie mit sonderbaren Regieeinfällen plagen und darüber die Musik „überhören“. Deshalb sorgt die Wiederaufnahme der Bohème für ein fast „neues“, weil seit Jahren nicht mehr erlebbares – Opernerlebnis: Einfach dem Komponisten und dem Regisseur zuhören, was er uns erzählt: Das Leben von jungen Leuten, die auf die Borugoisie pfeifen, nichts ernst nehmen, bis dann das Leben sie ernst nimmt. So greift Kupfer im 2. Akt in die volle Lebenslust, lässt Kinder, Gaukler und Menschen tanzen, singen, um dann im 3. Akt die trübe Wirklichkeit um so stärker wirken zu lassen. Unromantisch und sehr realistisch beschließen Mimi und Rodolfo nicht im Winter sich zu trennen, sondern erst im Frühjahr, wenn die ersten Blüten den Schmerz mildern. Und ganz schnörkellos und schlicht stirbt Mimi. Fast unbemerkt. Kein Tränendrama, sondern harte Realtiät.

Gespielt und gesungen wird von dem Ensemble mit großem Einsatz, wenn der Dirigent ihnen die Chance gibt. Neben den beiden Protagonisten fallen Lauren Urquhart als Musetta und Andrei Bondarenko als Marcello stimmlich und schauspielerisch auf. Leider kam die berühmte „Mantelarie“ des Colline (Aaron Pendleton) zu unspektakulär über die Bühne. Die in ihr enthaltene Gesellschaftskritik blieb ungehört. Zusammenfassung: Ein wichtiger Abend, der so manche Regisseure an ihre eigentliche Aufgabe erinnern sollte: Nicht die Egomanie mit unverständlicher und skandalträchtiger Regie befriedigen, sondern dem Werk und der Musik sich unterordnen!

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Edith Schreiber-Wicke: Im Schatten deiner Flügel.Amalthea Verlag

Schreiber-Wicke ist bekannt als Kinder- und Jugendbuchautorin. In ihrem ersten Buch für Erwachsene beweist sie trockenen Humor, Beobachtungsgabe und Sprachwitz, gepaart mit genauen Recherchen. Als Thema wählte sie die Judenverfolgung in Venedig ab September 1943. Ein unangenehmens Thema, das, so die Autorin im Buch, von vielen bis heute in die Kiste der Vergessens gesteckt wird. Die an der Wiener Oper als Star gefeierte Sängerin Lilly Salomon versteckt sich in Venedig, weil sie – und viele andere auch – meint, dass Mussolini Juden nicht verfolgt. Ein lebensbedrohlicher Irrtum! Im September 1943 werden alle Juden Italiens aufgegriffen und in Lager verschickt. So auch Lilly Salomon. Damit endet der erste Teil der Geschichte, die spannend und interessant geschrieben ist. Immer wieder verbindet die Autorin das Schicksal Salomons mit der Geschichte Toscas, die von Scarpia bedrängt wird. Auch Lilly läuft ihrem Scarpia in die Arme, dem machtbesessenen Conte Montanara. Wenn er sie nicht besitzen kann, will er sie zerstören….Sie wird von der italienischen Polizei abgeführt.

Dann springt Schreiber-Wicke 75 Jahre weiter, ein Toter wird aus der Lagune gefischt. Die polzeilichen Ermittlungen laufen an. Es gibt einen Commissario, eine elegante Assistentin, einen golfspielenden Chef, der sich nicht sehr um die Ermittlungen kümmert, und vieles mehr, das wohl ganz bewusst an Donna Leons Krimi erinnert. Die Parallelen sind gewollt, und es macht Spaß, die zahlreichen déjà -us zu entdecken. Weniger die umständlichen, mit allzu großer Detailverliebtheit geschmückten, wenn auch sprachlich witzigen Beschreibungen und Wiederholungen. Dem Labyrinth der Nachforschngen des Commissario und seinem Team folgt der Leser zwar mit Interesse, aber die Schlingen, Verirrungen, Abschweifungen ermüden ein wenig. Von Lilly Salomon ist kaum mehr die Rede, erst am Schluss gibt es eine Andeutung, dass sie vielleicht überlebt hätte. Ihr (erfundenes) Leben weiter zu erzählen wäre spannender gewesen als die umständlichen Ermittlungen des Commissario. Was man aber wirklich genießt, sind die ironisch-kritischen Blicke, die die Autorin auf Venedig, die Venezianer und die Touristenmassen wirft. Sie kennt diese Stadt wie ihre sprichwörtliche Westentasche!!

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Wiener Konzerthaus: „Capucelli“ im Zyklus „Grenzenlose Musik“

Der Titel ist Programm: Gautier Capucon und sechs junge Cellisten aus der „Classe d`Excellence de Violoncello“ der Fondation Louis Vuitton Paris offerierten ein buntes Programm, gut gemischt aus klassischen und eigens für diese Gruppe komponierten Werken. Spannend, aufregend. Zum Rahmen „Grenzenlose Musik“ passend kommen die Musiker und Musikerinnen aus verschiedenen Ländern: Frankreich, Österreich, Belgien, Deutschland. Alle haben bereits eine internationale Karriere vorzuweisen.

Ein Musikabend wie dieser löst Reflexionen aus: Man spricht überall von der Krise des Theaters, ja der Kultur im allgemeinen. Führt diverse Gründe, wie Pandemie, Krieg oder Umweltprobleme an, die die Menschen vom Besuch eines Kulturevents abhalten. Aber dass dieser Abend ausverkauft war – wie passt das? Die Erklärung ist einfach: Musik, wie sie an diesem Abend erklang, schafft Bildertheater im Kopf. Der Zuhörer muss sich nicht von dümmlichen Einfällen diverser egomanischer Regisseure quälen lassen – er ist sein eigener Regisseur. Und es waren intensive Bilder, die die Capucelli auslösten!

Mit Astor Piazzollas „La muerte del Angel“ wird das ungewöhnliche Programm eröffnet: Keine Tangostimmung, sondern eher verhaltene Trauer. Léo Delibes „Viens Malika“ ist Romantik pur. Spannend, aufregend dann „The Forest“ von Bryce Dessner, eine Komposition eigens für diese sieben Cellisten. Er wurde durch den Brand der Nôtre Dame dazu inspiriert, als die uralten Eichenbalken langsam verbrannten und zu Boden krachten. Hohe Spannung, das Feuer greift um sich, was für die Ewigkeit geschaffen wurde, stürzt in sich zusammen. Die von der Musik evozierten Bilder sind stark!

Das Programm liefert ein Wechselbad der Gefühle: Auf das Schwere folgt Leichtes: Bela Bartok bittet zum Tanz. Gleich darauf rührt das Stück „Lasst mich allein“ zu Tränen: Antonin Dvorák setzt seine Trauer um die von ihm geliebte Schwägerin Josefina Cermakova in zu Herzen gehende Musik um. Getreu dem Motto auf Schweres folgt Leichtes wiegen die sieben Celli das Publikum in zärtlichen Walzertönen von Tschaikowsky, darauf führt Edvard Grieg Peer Gynt in die Halle des Bergkönigs. Interessant, wie Guillaume Connesson seine Liebe zu Gärten in Musik transponiert: Im „Jardin angleis“ sehen wir lange Blickachsen, elegante Landschaften, der „Jardin japonais“ bleibt abstrakt, kühl, während man im „Jardin francais“ Gekicher, Gekose, Zärtlichkeiten, Tratsch und Intrige mithört. Die drei Stücke wurden ebenfalls für diese Gruppe der Cellisten komponiert. Caroline Sypniewski übernimmt die Melodienführung als Carmen von George Bizet. Und wie! Musik und Körper sind eins. Sie IST Carmen, ihr Cello ist Carmen. Grandios! Mit Maurice Ravels „Bolero“ und Bernsteins „Manbo“ aus der Westsidestory reißen die Capucelli das Publikum zu standing ovations hoch. Den begeisterten Applaus belohnen sie mit zwei Zugaben.

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Max Frisch: BIOGRAFIE: EIN SPIEL

Theater Akzent, eine Koproduktion von STEUDLTENN &Waldviertler Hoftheater

Regie: Hakon Hirzenberger

Landauf, landab wird die „Biografie“ gespielt, in Salzburg, in Chemnitz und nun im Theater Akzent in Wien. Woher dieses plötzliche Interesse? Für ein Stück, in welchem die oft gestellte Frage: Was würde ich in meinem Leben anders machen, wenn ich nochmals beginnen könnte, Zentralthema ist. Die meisten stellen sich diese Frage, wenn überhaupt, nur theoretisch. Doch der Gedanke wird nie thematisiert, höchstens in einer Freundesrunde als Gesellschaftsspiel. Max Frisch hat sich diesen Gedanken zum Leitmotiv seiner Werke gemacht, wie in den Romanen „Mein Name sei Gantenbein“ und „Stiller“ und eben ganz deutlich im der Komödie „Biografie“. Ein anderer sein zu wollen, sein gelebtes Leben, seine Vergangenheit zu ändern, bestimmen zu können, wie neu begonnen werden kann und schließlich die Erkenntnis: Die großen Lebenszüge kann keiner ändern, Veränderung geschieht nur in Minimalstrukturen, in der Person selbst. Eigentlich banale Erkenntnisse, die Max Frisch in eine eher trockenen „Komödie“ im Stil der Brechtschen Verfremdung geschrieben hat. Was also ist an dem Thema heute so reizvoll? – Wahrscheinlich entsteht in Krisenzeiten in vielen der Wunsch, dieses aktuelle Leben voller Probleme in irgendeiner Form hinter sich zu lassen, ein anderer werden. Sich von Ängsten und Zwängen befreien und einfach so zu tun, als hieße man Gantenbein oder eben Hannes Kürmann, der sich ein „Leben ohne Antoinette“, seine Ehefrau, wünscht.

Dem Regisseur Hakon Hirzenberger gelingt es, durch intelligenten Einsatz von Slapstick-Versatzstücken aus dem eher theoriebeladenen Stück tatsächlich eine Komödie zu machen. Dank einer bestens eingespielten und hoch talentierten Schauspieltruppe: Manuel Witting gibt den mit seinem Leben unzufriedenen Professor Hannes Kürmann, geradlinig und lakonisch-verzweifelt. Alexander Braunshoer den nüchternen, strengen Spielleiter, der über den kindischen Versuch, ein anderes Leben zu wünschen, und Zynismus fragt: „Was machen Sie dann mit Ihrer Freiheit?“ Und gleich selbst die ernüchternde Antwort gibt: „Es ändert sich nicht viel“. Runa Schymanski ist die Ehefrau Antoinette, die Kürmann aus seinem Leben ausgelöscht wissen will. Sie erschießen ist keine Lösung, besser sich selbst erschießen?! Um diese drei Hauptpersonen wuseln an die 30! gefühlte andere Gestalten herum, dargestellt von den beiden Verwandlungskünstlern und Komikertalenten: Lisa Lena Tritscher und Thomas Frank. Sie sind Putzfrau, Gäste, Professorenkollegen – kurz alles, was aus diesem Stück eine „intelligente Komödie“ macht.

Man spricht von einer allgemeinen Theaterkrise – an diesem Abend war davon nichts zu spüren. Publikum und Schauspieler waren eine Einheit. Das geschah, weil der Regisseur kein Regietheater zur Befriedigung seiner Eitelkeit ablieferte, sondern solide Arbeit, gut durchdacht!!!

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„Wenn sie nicht reitet, schreibt sie Romane“, schreibt der Verlag auf der Rückseite des Covers über Karen Duve. Zum Beispiel einen über Kaiserin Elisabeth. Nein, eher über „Sisi“, gemeint ist die Kaiserin ganz privat. Um allen von vornherein klar zu machen, worum es in diesem Buch geht, zieren die beiden Zirkuspferde der Kaisern, Flick und Flock, das Titelbild. Die beiden wurden von Elisabeth persönlich dressiert – sie sollten aufsteigen und das andere Pferd gleichsam umarmen lernen. Sind ja Zirkuspferde, dachte wohl Elisabeth, die müssen all diese (unnötigen) Dressuren über sich ergehen lassen. Wie wenig Sisi die Pferde liebte, zeigt Duve in den Passagen, wo sie ohne Rücksicht auf Verluste die Pferde bei Fuchsjagden oftmals fast zu Tode hetzt. Sie hätschelt zwar die Pferde, striegelt sie auch manchmal selbst, aber im Grunde ersetzen ihr die Tiere einen Therapeuten und Eheberater. Reiten ist für Elisabeth Obsession, Herausforderung, an die äußersten Grenzen zu gehen, den Kaiserhof und alle Probleme im rasenden Galopp hinter sich zu lassen. Reiten gibt ihr die absolute Freiheit, die Loslösung von allen Bindungen.

Duve beginnt ihre romanhafte Darstellung der viel bewunderten Kaiserin mit der Beschreibung einer dieser grausamen Hetzjagden auf Füchse, wie sie in England damals beliebt waren. Je gefährlicher, je rasanter und wilder so eine Jagd ist, desto wohler fühlt sich Sisi. England galt damals (circa 1870) als das Mekka für Fuchsjagdreiter. Leider sind die Passagen der Jagdschilderungen im ganzen Werk allzu hervorherrschend, bestimmend, da verliert eine Nichtreiterin – so wie ich – schnell das Interesse an den überpräzisen Beschreibungen, angefangen von Kleidung bis zur Jagd- und Gesellschaftsordnung. Denn es ist klar, da darf nicht Hinz und Kunz mitreiten. Man kann ja über diese ausführlichen Passagen hinweglesen, denn Karen Duve liefert daneben noch genügend interessanten Stoff: Da lesen wir keinen Funken von Verehrung für die Kaiserin. Duve lässt sie als kaltherzig und nur auf ihren Vorteil bedacht erscheinen, als eine Frau, die dank ihrer Position über das Leben anderer bestimmt. Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, entreißt sie ihre Nichte Marie Louise ihren Eltern und Freundeskreis, um sie zu einem ihr hörigen Geschöpf zu erziehen. Über die Hofdamen Marie Festetics und Ida Ferenczy bestimmt sie, als wären sie ihr Eigentum. Mit welcher Hartherzigkeit und Gleichgültigkeit sie ihrem Sohn Rudolf und ihrem Ehemann gegenüber agiert, lässt beim Leser manchmal Zweifel aufkommen, ob er es mit einer Biografie zu tun hat oder nicht doch eher einem Roman. Doch die Autorin beruft sich im Nachwort auf verlässliche Quellen. Sie scheint, wie so viele Menschen damals wie heute, zwischen Bewunderung – was die Reitkünste betrifft auf jeden Fall – und ironischer Ablehnung gegenüber der Kaiserin zu schwanken. Auf jeden Fall bereitet die Lektüre dem voyeuristischen Leser – und das sind wir im Grunde ja alle – großes Vergnügen.

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Giulia Caminito: Das Wasser des Sees ist niemals süß. Wagenbach

Chapeau der Übersetzerin Barbara Kleiner, die diesen geborstenen Staudammwortschwall an Bösartigkeiten ins Deutsche übersetzte.

Und Chapeau natürlich der Autorin, die immer neue, noch grauslichere Bilder für die Wut, den Frust der Hauptakteurin erfand.

Und natürlich Chapeau allen Lesern, die diesen Schwall an Hass lesen. Man glaubt bei der Lektüre, all dieser unaufgestaute Hass, den Gaia den Mitmenschen ins Gesicht und dem Leser in die Seele spuckt, schleudert, bleibt an der Haut kleben, lässt sich nicht mehr abkratzen. Es ist zu empfehlen, dieses Buch nicht vor dem Einschlafen zu lesen. Albträume sind erwartbar.

Gaia wächst in engsten Verhältnissen in einem kleinen Ort am Braccianosee auf. Mutter Antonia hält mit Putzen die Familie beisammen, so gut es geht. Gaia rebelliert gegen die Mutter, ihren Perfektionismus. Zugleich aber möchte sie ihr beweisen, dass sie das Leben besser im Griff haben wird: durch Bildung. Sie strebert, strebert sich aus der Verachtung der Mitschüler in eine gewisse Achtung hinauf. Doch wirklich ist niemand an ihrer Seite. Auch nicht Iris, die alles für diese seltsame Außenseiterin tut. Wenn Gaia von irgendjemandem enttäuscht wird, dann rächt sie sich – einmal durch Brandschatzung, ein andermal durch versuchten Mord, Als Leserin konnte ich dieser Figur nur eingeschränktes Verständnis entgegenbringen, gerade so viel, wie man für ein schizophrene Person hat. Und irgendwie will die Autorin auch klarmachen, dass wir es mit einer Kranken zu tun haben. Die Wellen der Wut kommen abrupt, sie bleiben lange und vernichten viel. Für dieses Buch braucht man einen langen Atem, viel Geduld, um all diese Hasstiraden auszuhalten. Bewundernswert ist das reiche Repertoire an Bildern für die Hasszustände. Allerdings – so überbordend – ermüden sie die Geduld des Lesers. Weniger wäre mehr!

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Elisabeth Joe-Harriet: Constanze Mozart erzählt ihr Leben. Ort: Haus für Mozart, Domgasse 5 Wien

Gar keine kleine Schar wartet im Foyer des Mozarthauses auf SIE. Bevor sich leichte Ungeduld breit macht, guckt eine weiße Spitzenhaube um die Ecke. Darunter staunen große Augen in die Schar: „Was so viele Leut kommen mi heut besuchen!?“ Da Constanze und ihre Familie aus dem Raum Mannheim stammen, spricht sie Badisch! Diesen Dialekt wird sie ihr ganzes Leben lang pflegen. Und auch während wir sie besuchen, erklärt sie witzig, humorvoll und detailreich im breitesten Dialekt, wie sie sich in Mozart verliebt hat. der aber am Anfang nur Augen für die Schwester Aloisia, die mit der schönen Stimm und dem schönen Gsicht, gehabt hat. Aber Costanze ist hartnäckig, lässt sich den Mozart auch nicht von Mutter Weberin ausreden. Die Heirat war bescheiden, ohne Pomp. Nach vielen Umzügen dann endlich diese feudale Wohnung in der Domgasse 5 mit allen Räumen, wie sie für so eine respektable Person wie Mozart dazugehörten: Spielzimmer und Empfangssalon inbegriffen. Während Constanze plaudert, teilt sie die kleinen goldenen Marzipankugeln aus: „Wenn das der Mozart wüßt, daß ma ihn in a Kügele steckt“, kichert sie. Während des Rundgangs korrigiert sie immer wieder die Irrtümer oder Gerüchte, die sich um ihren Mann rankten, etwa, dass die Familie bitterarm war. Geld wäre schon genug da gewesen, aber die Ausgaben waren hoch. So mussten immer wieder Schulden gemacht werden. Von Salieri sei er „ganz gwiss net“ vergiftet worden. Salieri und Mozart waren enge Freunde. Über den Tod des geliebten Mannes erzählt sie nur wenig, um nur ja keine Rührung aufkommen zu lassen.

Beendet wird der Rundgang in dem Foyer vor dem Kaffeeautomaten. Constanze serviert ihren Besuchern Kaka -o – gar nicht so übel, aus diesem Ding da, meint sie. Kaka-o und Punsch waren Mozarts Lieblingsgetränke. „Kaka-o sei guat gegen die Kaker-ei“, soll er gerne gesagt haben. Unter heiterem Geplauder endet der Besuch. Die Gäste bekommen noch eine Kopie des Briefes mit, in dem Mozart Constanze seine Liebe gesteht.

Wer mehr über Mozarts Wirken in Wien, über die Orte, wo er sich aufgehalten hat,erfahren will, dem sei das Buch von Elisabeth Joe-Harriet empfohlen: Wolfgang Amadé, Dichtung und Wahrheit. Was Sie schon immer über Mozart wissen wollten. Mozart geliebter Hund Gaukerl führt launig zu all den Wirkungsstätten des musikalischen Genies. Man kann auch eine Führung durch Mozarts Wien mit der Autorin buchen. Alle Infos dazu und zu allen Aktivitäten dieser vielseitig begabten Schauspielerin: www.elisabeth-joe-harriet.com

Theater in der Josefstadt: Anna Karenina von Leo Tolstoi

Amelie Niermeyer und Armin Petras nach Leo Tolstoi unter Verwendung der Neuübersetzung von Rosemarie Tietze

Titelfoto: Alma Hasun als Kitty und Alexander Absenger als Lewin.

Durch die interessante und gut durchdachte Regie von Amelie Niermeyer bekommen die Figuren genau die Charakterkonturen, die ihnen Tolstoi im Roman gab. Das gelingt einerseits durch eine genaue Personenführung, andrerseits durch den Einsatz von Originaltexten, die in die Dialoge ein- oder dazugefügt werden. Texte, die das Innere der Personen tiefer aufschließen als der Dialog und die Handlung es vermögen. Dazu ein Bühnenbild (Stefanie Seitz), das flexibel und ohne Umbauten den jeweils nötigen Raum imaginiert – den Bahnhof, das Stadtpalais, den Eislaufplatz, die Kirche etc. Die Kostüme (Christian Schmidt) sind zeitlos elegant, können heutig, gestrig oder vorvorgestrig sein. Sie passen sich genau dem Charakter der Figur an: Anna in schlichten, eleganten Kleidern, Kitty in verspielten, in Farben überlaut, wie auch ihr anfängliches Temperament Die Männer im von Moden unabhängigen Stil.

Also die besten Voraussetzungen für ein Ensemble, das die Rollen ausfüllt, als ob sie aus dem Roman herausgeschnitten wären. Klar setzt die Regisseurin die drei Paare voneinander ab: Alma Hasun in der Rolle der quirligen Kitty ist ein Sprühregen an Temperament. Bewundernswert, wie sie über das Eis tanzt, passend zum Text Kapriolen zieht. Um sie herum tanzt Lewin als komischer Kauz (Alexander Absenger), wirbt, zögert, zittert, philosophiert, macht ihr auf dem Eis rutschend einen Heiratsantrag, den die verwirrte Kitty ablehnt. Lewin, der Bauer und Philosoph, spiegelt die Gedanken Tolstois wieder, seine sozialen Ideen zur Bodenreform. Weiters das in steter Ehekrise lebende Paar Dascha (Alexandra Krismer) und Stepan (Robert Josef Bartl). Was aus einer großen Liebe im Laufe der Jahre und nach vielen Seitensprüngen des Mannes und großem Frust der Ehefrau wird – das zeigt Niermeyer mit viel Humor. Wie überhaupt immer wieder Szenen eingefügt sind, über die man schmunzeln kann. Etwa der Ball und die Quadrille, die Szenen auf dem Eis – da führen Hasun und Absenger gefährliche Akrobatik auf -, oder die Hochzeit von Kitty mit Lewin, der sich verspätet, weil er kein Hemd findet. Stepan, der Lebensgenießer und Frauenverführer, hat die Aufgabe, alles Tragische durch humorvolle Einfälle zu relativieren und auf eine menschlich-verständliche Ebene zu transponieren. Begleitet und untermalt werden solche Einlagen durch schräge Musik- und Tanzeinlagen (Imre Bozoki). Köstlich sind die Tanzparodien, die Kitty oder Stepan so mitten im Geschehen aufs Parkett hinlegen. Humor und schräge Musik – wie soll sich das aus dem Roman erklären, haben vielleicht einige Besucher kopfschüttelnd gefragt. Es passt, weil es die großen Worte „Liebe“ und „Tragik“ relativiert.

Auffallend ist, dass die Regisseurin die beiden Hauptfiguren Anna (Silvia Meisterle) und Wronsky (Claudius von Stolzmann) nicht unbedingt immer in den Mittelpunkt des Geschehens stellt. Sie agieren mit den anderen, beeinflusst von der Gesellschaft, in deren Mitte sie leben. Das bekommt besonders Anna zu spüren. Silvia Meisterle ist eine beeindruckende Anna, die sich zunächst ihrer Stellung bewusst ist, bis ihr diese zur Fessel wird und sie sie abstreift. Heftig und berührend sind die Liebesszenen. Nackt, in inniger Umarmung, den Augen des Publikums ausgesetzt, direkt an der Rampe. Eine tief berührende Szene. Wronsky ist Liebhaber ohne eitles Gehabe. Und am Ende ein Verzweifelter, weil er Anna nicht aus ihrem eifersüchtigen Wahn und der Angst vor den gesellschaftlichen Konsequenzen befreien kann. Interessant ist auch, wie Karenin, der Ehemann Annas, von Raphael von Bargen dargestellt wird. Im Roman ist er ein steifer Beamter, der nur für seine Karriere und das gesellschaftliche Ansehen lebt. Anders aber nun: Als er von der Beziehung Annas zu Wronsky erfährt, versucht er noch einen Weg zu finden, der lebbar wäre. Man hegt durchaus Sympathien für ihn. Aber die Unerbittlichkeit Annas macht ihn hart und so treibt er Anna in das gesellschaftliche Abseits.

Die großartige Leistung des ganzen Ensembles wurde mit viel Applaus belohnt.

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Das Ensemble „TANGO5“ der Wiener Symphoniker spielte Piazzolla und Händel

Titel: Rhythmus und Dynamik. Ort: Bassano Saal im Kunsthistorischen Museum – im Rahmen der Reihe: Donnerstagabend im Kunsthistorischen

Besetzung: Sophie Heinrich Violine, Ivaylo Jordanov Kontrabass, Andrea Wild E-Gitarre, Maria Radutu Klavier, Milos Todorovski Bandoneon

Die Wiener Symphoniker sind für ihre Vielseitigkeit und innovativen Ideen für Aufführungsorte bekannt. Sie spielen in Gaststätten, an ungewöhnlichen Orten in den Wiener Bezirken und eben auch im Kunsthistorischen Museum. TANGO5 wurde 2021 gegründet mit dem Ziel, den „Tango Nuevo“ von Astor Piazzolla dem Publikum näher zu bringen. Mit Einsatz und Mut zum Experiment beeindruckten sie an diesem Abend im Bassano Saal des Museums, der bis zum letzten Platz gefüllt war.

„Ja, wir können auch Tango spielen“, begrüßte Sophie Heinrich humorvoll das Publikum. „Und ja, wir sind überzeugt, Händel und Tango gehen wunderbar zusammen!“ Die Gemeinsamkeit liegt in der starken Emotionalität. In der Oper „Giulio Cesare in Egitto“ geht es um ganz große Dramatik und Liebe. Die vom Ensemble ausgesuchten Stücke – Ouvertüre, die Arie der Kleopatra „Piangero la sorte mia“ und „Da tempeste il legno infranto“- sind Musik voller Traurigkeit, Sehnsucht – Elemente, die sich im Tango wiederfinden.

Jeder Tango erzählt von Sehnsucht und Schmerz, die unerfüllte Sehnsucht ist süßer Schmerz, vom Bandoneon in langanhaltenden Tönen und langsamen Rhythmen interpretiert. Daher kein Tango ohne Bandoneon! Der Bandoneonspieler Milos Todorowsi war akklamierter Meister dieses Instruments, Sophie Heinrich eine temperamentvolle Geigerin, die den Rhythmus trug, Maria Radutu eine einfühlsame Klavierspielerin, Anna Wild brillierte auf der E-Gitarre und Ivaylo Jordanov ein sicherer Kontrabassist, der für den dunklen Untergrund sorgte.

Buenos Aires ist Tango, ist schön und hässlich, ist elegant und verlottert, ist banal und interessant. Ist Musik, Duft und stinkender Höllenlärm. Tango und Buenos Aires sind eins, ein faszinierendes und verwirrendes Konglomerat“, schrieb ich einmal während einer meiner zahlreichen Aufenthalte in Buenos Aires. Und weiter heißt es in meinen Aufzeichnungen:

 „Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sprach die Welt plötzlich von der reichen Stadt Buenos Aires. Aus Europa holte man sich Architekten und Künstler, um aus der namenlosen Stadt ein neues Paris, London, Madrid und New York zu machen.  Mit an Bord waren die Armen aus allen Teilen Europas: Italiener, Spanier, Polen, Franzosen, Engländer, die nichts weiter mitbrachten als die Sehnsucht nach ihrer Heimat, ihre Musik und die Hoffnung auf das große Geld. Geblieben sind die Sehnsucht und die Musik. Aus der Hoffnung wurde Hoffnungslosigkeit, und aus dem Gemisch von allem entstand der Tango. In den Bars und auf den Plätzen der Vorstädte tanzten die Einwanderer ihre Enttäuschungen weg, sangen von Liebe, Betrug, untreuen Frauen und dem großen Unglück des Lebens. Der Tango war bittersüß, melancholisch, erotisch und oft auch politisch brisant, daher auch lange Zeit bei den braven Bürgern verpönt. Aber die Verlockung dieser Musik war zu groß. Bald erlag ganz Buenos Aires dem Tangofieber, der Tango wurde salonfähig. In jedem Viertel gab es Tanzsalons, Tangoorchester und Tangosänger. Der Sänger Carlos Gardel, der Komponist Astor Piazzolla und Dichter wie Jorge Luís Borges oder Horacio Ferrer machten den Tango weltweit bekannt. Heute verleiht der Tango jedem Stadtviertel von Buenos Aires einen speziellen Mythos, eine unverwechselbare Aura, in die einzutauchen es sich lohnt. Wie und wo man Tango tanzt, das wird zum Signum des Viertels. Nur wenige „barrios“ (Stadtviertel) sind tangofrei.

Ich entkomme ihm nirgendwo. Sich gegen ihn zu wehren, ihn negieren zu wollen ist sinnlos. Er ist das ideale Instrument, mit und in der Stadt zu leben, ihren Puls zu spüren und vom Zuschauer zum Mitmacher aufzusteigen. Und so verbringe ich meine Sonntage in San Telmo. Vor mehr als hundert Jahren zogen die reichen Bürger aus Angst vor der Cholera weg, und Arbeiter aus der Vorstadt nahmen die Patrizierhäuser in Besitz. Der Putz blätterte ab, die Fenster wurden blind, die Gehsteige voll mit Abfall. Diese vernachlässigte Pracht ist heute der ideale Background für Tango und lockt Tänzer und Nichttänzer an. Aus den Cafés, den Wohnungen und Tanzsalons ertönt Tangomusik bis in den frühen Morgen.

Jeden Sonntag tanzen auf der Plaza Dorrego mitten zwischen Buden voll mit Trödel und so genannten Antiquitäten Profitänzer. Hitze oder Regen scheinen ihnen nichts auszumachen. Wenn sie am Abend das Feld räumen, dann ziehen die Hausfrauen von San Telmo Tanzschuhe an und tanzen mit Ehemann oder Sohn bis spät in die Nacht. Sie tanzen ihren eigenen Stil, schwungvoll, erotisch und gefühlvoll. Ich mische mich mit Begeisterung unter sie, weil ich auf den Dichter Horacio Ferrer vertraue, wenn er sagt: „In Buenos Aires ist jeder ein „tanguero“, (einer, der den Tango liebt), auch wenn er nicht tanzen kann.“

Warum ich an dieser Stelle meinen persönlichen Erinnerungen so großen Raum gebe? Weil ich an diesem Abend gespannt warte, ob der Tango, wie ihn das Ensemble spielt, mich erreicht, mich die Gegenwart und den Raum um mich herum vergessen und Buenos Aires in mir aufsteigt lässt. Zum Großteil ist es gelungen, besonders während des Tangos „Adios Nonino“. Vielleicht auch, weil gerade dieser Tango zu meinen Lieblingsstücken zählt und ich oft nach seiner Sehnsuchtsmusik getanzt habe. Das Ensemble spielt den ersten Teil in einem auffallend aggressiven Rhythmus, wodurch im langsamen Mittelteil Sehnsucht, Melancholie und die Unerfüllbarkeit der Hoffnungen umso stärker wirken. Berührend war auch der Tango „Alone“, von Milos Todorowski komponiert und allein mit seinem Bandoneon ohne andere Begleitung gespielt.

Resümee des Abends: Ein Fest für die Sinne. Das Ensemble wurde bejubelt. TANGO5 wird am 3. Dezember 2022 im Muth wieder zum Tango aufspielen. Nach dem Konzert wird das Publikum auf die Bühne zur Milonga gebeten.

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http://www.muth.at

http://www.symphoniker.at Das nächste Konzert der Wiener Symphoniker im Kunsthistorischen findet am 8.12. 2022 unter dem Motto: „Die Macht der Liebe statt“.

Edward Albee: Die Ziege oder Wer ist Sylvia

Regie: Elmar Goerden, Bühnenbild: Silvia Merlo, Ulf Stengl, Kostüme: Lydia Kirchleitner

Eine fein gesponnene Komödie, die so manchen Zuschauer verstört: Da liebt einer eine Ziege! Soll das ernst gemeint sein! – Nein, ganz und gar nicht, alles nur ein Spiel im Spiel, wenn man dem Hauptdarsteller nur genau zuhört und zusieht. Da feiert der „Stararchitekt“ Martin (Joseph Lorenz) seinen 60er! Er ist berühmt, lebt in einer Art kühlen, nichtssagenden Penthouse?- Wohnung. Alles clean, nur ein paar vielleicht kostbare Masken an den Wänden. Seine Ehe mit Stevie (Sandra Cervik) gilt als glücklich, nirgendwo nicht einmal der kleinste Seitensprung. Der noch immer pubertierende Sohn Billy (Julian Valerio Rehrl) hat alle Freiheiten und latscht frustriert mit Kopfhörern durch den Raum. Soweit alles gut – oder doch nicht? Martin spielt ein wenig den Alzheimer an, tut so, als ob er Namen und Ereignisse vergisst – ganz offensichtlich lotet er die Geduld seiner Ehefrau aus. Die reagiert, wie es sich für eine glückliche Ehefrau gehört: geduldig und gelassen. Also mit diesem Trick kann er sie nicht auf die Palme bringen und das Glückseis ein wenig aufbrechen. Daher treibt er das Spiel auf die Spitze und gesteht seinem Freund Ross (Michael Dangl) in einem nicht stattfindendem Interview (der Interviewte verweigert passende Antworten), dass er in eine Ziege verliebt sei. Schock, Schock, Ross flüchtet und teilt dieses unmögliche Geständnis – wie Martin es erwartet und lanciert hat – prompt der Ehefrau mit. Dann geht die erwartete Schlacht los. Vasen, Masken und Souvenirs fliegen durch den Raum, die brave Stevie zuckt aus, stößt den Urschrei des Entsetzens aus. Alles kippt – ganz so, wie es der Spielleiter Martin erwartet hat. Nur eines hat er in diesem teuflischen Spiel nicht berechnet: Dass er seine Frau und seinen Sohn ins Tiefste verletzt und dass er selbst unter dem Spiel fast dabei zugrunde geht.

Diese Feininterpretation lässt sich aus dem subtilen Spiel von Joseph Lorenz gut herauslesen. Er agiert mit Ironie, mit der spürbaren Distanz zum Geschehen und zu den Menschen um ihn herum. Selbst zu seiner Frau. Denn ihr gegenüber braucht es kühlen Kopf, er will das alteingefahrene Spiel der perfekten Ehe aufbrechen und neu aufstellen. Dabei aber übersieht er, dass er zu weit gegangen ist und dass er nicht nur die Menschen, die er liebt, gefährdet,, sondern auch sich selbst. Atemlos sieht man Lorenz zu, wie er verfällt, gleichsam auf der Bühne um Jahre altert, als er das Scheitern seines Spiels erkennt. Einfach große Schauspielkunst. Das Stück gelingt auch deshalb, weil auch die anderen Mitspieler intensiv in die Rolle einsteigen. Vor allem aber auch deshalb, weil Elmar Goerden sich von allen Regietheatermätzchen fern hält. Er vertraut auf die Kraft des Autors, der eine fiese Komödie perfekt durchexerziert, und auf die Kraft der Schauspieler.

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Leila Slimani: Schaut, wie wir tanzen

Aus dem Französischem von Amelie Thoma. Luchterhand Verlag

Im ersten Teil ihrer Romantrilogie „Das Land der anderen“ erzählt die Autorin die Geschichte ihrer Großeltern in Romanform: Mathilde aus dem Elsass verliebt sich am Ende des 2. Weltkrieges in den marokkanischen Soldaten Amine. Die beiden heiraten und ziehen nach Marokko. In diesem Band ihrer Familiengeschichte fokussiert Slimani das Geschehen auf die beiden Protagonisten – die Frage nach der Akzeptanz des anderen, lässt die Traditionen und Gewohnheiten des jeweils anderen aufeinanderprallen und doch auch irgendwie verschmelzen..

In „Schaut, wie wir tanzen“ bleibt sich Slimani ihrem Stil der nüchternen Berichterstattung noch mehr treu als im ersten Teil. Sie streut oder verstreut das Geschehen auf mehrere Personen, jede davon ist ein Puzzle in der Entwicklung, die Marokko nach der Unabhängigkeit 1956 nimmt. Slimani steigt mit der Machtübernahme des König Hussein II. in das Geschehen ein. Sie aktiviert die bekannten Figuren Mathilde und Amine als Vertreter der reichen Grundbesitzer, die von der aktuellen Entwicklung Marokkos ab 1956 keine Ahnung haben (wollen). Amine wird immer reicher, aber er und auch Mathilde haben die Ausrichtung ihres Lebens aus den Augen verloren: Ihr Sohn Selim ist in der Hippieszene verkommen und landet irgendwo in Amerika. Die Tochter Aisha ist nach ihrem Medizinstudium in Straßburg in die Heimat zurückgekehrt. Sie heiratet den mächtigen Staatsbeamten Mehdi, einst ein vielversprechender Schriftsteller und Kämpfer für Freiheit. Beide führen in Rabat ein Leben nach westlichen Vorbildern: Sie arbeiten, geben Einladungen, gehen auf Partys und haben ein Sommerhaus am Meer.

Über allem steht als grausamer Wächter König Hussein II, Er hat alle demokratischen Bestrebungen ausgetilgt, überlebt zwei Attentate und lässt sich wie ein Gott verehren.

Unter all diesen Reichen, Pseudomächtigen und Möchtegernmitläufern leben die Hausmädchen, die Taglöhner und die Heerschar von Bettlern. Hussein will keine Intellektuellen, die schreiben nur unnötige Bücher und schüren den Aufstand. Sie werden öffentlich hingerichtet. Die Hinrichtungen werden im Fernsehen zur Hauptsendezeit übertragen. Das Volk soll Angst haben. Diese angstbesessene Zeit und diese verlorene Generation der 60er Jahre seziert Slimani in kurzen, harten Sätzen. Verschmuste Weichzeichnung war ja bekanntlich noch nie ihr Anliegen.

Es empfiehlt sich, beide Bände kurz nacheinander zu lesen. So bleibt man mit den Figuren auf verrautem Fuß.

Luchterhand. Der Literaturverlag. (penguinrandomhouse.de)

Wiener Konzerthaus: Andrè Schuen und Daniel Heide: Franz Schubert: Die schöne Müllerin

Zyklus Lied, 1. Konzert

Es geschieht noch: Das Wunder der Magie stellte sich an diesem Abend ein. Dem jungen Bariton aus Südtirol gelang es gemeinsam mit dem Pianisten Daniel Heide, den Liedzyklus „Die schöne Müllerin“ als existentielles Erleben zu gestalten. Ohne mit Tiefen und Lautstärke zu prunken, sang er von der Liebe und dem Tod.

Franz Schubert soll – so im Programmheft nachzulesen – den Gedichtband von Wilhelm Müller vom Schreibtisch eines Freundes, ohne ihn zu fragen, mitgenommen und in einer Nacht einen Großteil der Lieder komponiert haben. Die Faszination dieser schlichten Texte rührten ihn zu tiefgehenden Melodien.

Andrè Schuen schuf an diesem Abend ein Minidrama: Er begann als fröhlicher Bursche, der in die Welt hinausgeht, um sie zu erobern. Der Bach, sein Rauschen, führt ihn in das Haus der schönen Müllerin. Bis dahin klingt alles sehr biedermeierlich. Doch dann taucht Andrè Schuen in die Tiefen der menschlichen Existenz ein. In sich versunken, wird die Stimme immer inniger, nach Innen ausgerichtet. Er zieht das Publikum mit in die Leiden der Liebe, der Eifersucht und der Sehnsucht nach dem Tod. Daniel Heide folgt ihm auf dem Klavier auf dieser Reise als treuer Partner. Ein Abend, wie man ihn selten erleben kann!!! Langanhaltender Beifall, der nicht enden wollte. Selbst auf der Straße und im Bus hörte man mit Begeisterung von diesem Abend reden.

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Das Buch ist kein Pageturner im üblichen Sinn. Ganz einfach, weil jeder Satz, jeder Absatz zu kostbar ist, um rasch verschlungen zu werden. Alex Capus ist ein Meister der feinen Klinge, baut Leseminiaturen, die aneinandergereiht eine Perlenkette von preziosen Gliedern ergeben.

Es ist kein Roman, auch keine Romanbiografie. Ich würde es am ehesten eine poetische Biografie nennen. Capus erzählt die Geschichte von Susanna Faesch, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Basel geboren wurde. In der (damaligen) Kleinstadt herrscht bigotter Trübsinn, Lebensfreuden sind verpönt. Ihr Vater – ehemaliger Legionär, ihre Mutter eine geistig immer Abwesende. (Köstlich die Szene, in der die Mutter mit Mozartmusik die Moralpauken ihres Mannes ausblendet). Ein wenig Abwechslung bringt Karl Valentiny, ein ehemaliger Kriegskamerad des Vaters. Susanna ist ein eher unauffälliges Kind. Ihre Willenskraft jedoch erstaunlich groß. Als die Mutter eines Tages beschließt, dem nach New York abgereisten Karl Valentiny gemeinsam mit Susanne nachzureisen, nimmt das Kind das gleichmütig auf. Nach dem Vater und den 2 Brüdern sehnt sie sich sowieso nicht. Nun schildert Capus mit eindringlicher Präzision, ohne je dem Recherchewahn zu verfallen, die Entwicklung dieses erstaunlichen Mädchens, das mitten in der größten Industrierevolution (Elektrizität, Eisenbahn,, Dampfschiff) aufwächst Sie wird Porträtmalerin, heiratet und bekommt einen Sohn. Doch eines Tages wird ihr das bürgerliche Leben zu eintönig, sie packt ihren inzwischen 13-jährigen Sohn und bricht in den „Wilden Westen“ auf, um Buffalo Bill kennenzulernen und ihm das Bild, das sie von ihm gemalt hat, zu übergeben.

Der Reiz dieser Biografie liegt einerseits in der unaufgeregten Nüchternheit, mit der Capus den eigenwilligen Weg Susannas aufzeichnet, und andrerseits in der bis ins Detail feingesponnenen Sprache, die den Leser überall hin mitnimmt. Es ist ein Werk, das man nur ungern weglegt. Am Ende angekommen, hat man Lust, sofort wieder neu zu beginnen.

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Staatsoper Wien: Gustav Mahler, Von der Liebe Tod. Das klagende Lied, Kindertotenlieder

Dank des wunderbaren Dirigats von Lorenzo Viotti, der die Musik Mahlers feinsinnig und detailreich dirigierte, war dieser unselige Abend auszuhalten. Man musste nur die Augen schließen, dann blieb man von diesem „spektakulären Bühnenbild“ (so Direktor Roscic) von Calixto Bieito verschont. Plastikschläuche und Körperverrenkungen – was hatte sich dieser Regisseur dabei gedacht? Manche Sequenzen glichen einer Schülerauffführung. Dass das Publikum angetan war, kann ich nicht behaupten. Rund um mich herum nur Kopfschütteln. Diese Aufführung bestätigt wieder einmal mehr, wie Regietheater Oper kaputt macht – man versteht, warum Philippe Jordan keine Lust mehr hat, an der Wiener Oper zu dirigieren.

Eigentlich müssten der Direktor und der Bühnenbildner am Ende der Aufführung dem Publikum das Eintrittsgeld zurückgeben. A propos Geld: Es hat sich noch nicht überall herumgesprochen, dass man an der Tageskasse bis 18h Karten für fast alle Vorstellungen um 49 Euro bekommt. Und dass vor der Tür einer steht, der ein ganzes Paket an Karten für diverse Vorstellungen – auch für Rigoletto!! – um 49 € anbietet. Die Dummen sind die Vollzahler!!!

Odeon-Theater: Haruki Murakami: Die unheimliche Bibliothek. Welturaufführung

Bearbeitung der Novelle und Inszenierung: Jacqueline Kornmüller. Musik: David Müller und Klemens Lendl, bekannt als Die Strottern. Gitarrist und Erzähler: Peter Rom.

Foto: Der Schafsmann (Peter Wolf) und der Junge (Nils Arztmann)

Ein Zauber liegt über der Bühne: Große Bücher stehen in diagonalen Linien quer durch den Raum.. Ruhig geht die Aufseherin durch, prüft, ob sie alle ordentlich ausgerichtet sind. Denn Ordnung ist in einer Bibliothek oberstes Gebot. Was dann geschieht, ließe sich in drei banalen Sätzen erzählen: Ein Jugendlicher betritt die Bibliothek, um sich Bücher über das Steuersystem im Osmanischen Reich auszuborgen. Der Bibiothekar führt ihn in einen unterirdischen Keller, wo er ihn einsperrt. Mit Hilfe eines wundersamen Vogels kann er sich befreien. Das wäre in dürren Worten der Inhalt der Geschichte.

Jacqueline Kornmüller faltet aus dieser Erzählung alles Wunderbare und Märchenhafte heraus und bezaubert mit Musik und schlichter Dialogführung das Publikum. Jede Bewegung und jedes Wort wird zum Märchen, zum Wunderbaren hin choreografiert. Schüchtern betritt der Junge(Nils Arztmann)die Bibliothek. Er ist kein Draufgänger, kein Revoluzzer. Sondern wohlerzogen. Seine Ängste kaum verbergend fragt er den strengen Bibliothekar (Christian Nickel) nach Büchern zum Thema „Steuerhinterziehung im Osmanischen Reich – in der Schnelligkeit ist ihm kein anderes Thema eingefallen. Mit drei Wälzern ausgerüstet muss er eine steile Treppe hinunter in ein Kellerverlies steigen. Er will nicht, wehrt sich. Die Situation ist kafkaesk: Der strenge Bibliothekar kettet ihn an ein Lager. Warum, was hat er verbrochen? Er weiß es nicht, die Angst wird immer größer. Als ein geheimnisvoller Schafsmann (Peter Wolf) das Verlies betritt, steigern sich die Ängste zu Todesangst. Wenn er nicht gehorcht – so der Schafsmann – , wird ihm der Bibliothekar den Kopf abschneiden und das Gehirn untersuchen. All das wird teils vom Erzähler, teils vom Jungen berichtet, von einer sanften Musik untermalt und der grausamen Prophezeihung die Schärfe genommen – es wirkt, als wäre alles nur ein Traum. Die Bücher über das Osmanische Reich entführen den Jungen in die orientalische Märchenwelt, eine junge Schönheit (Manaho Shimokawa) bringt ihm Essen. Sie ist stumm, doch ihre Gesten sind zärtlich und tröstlich. Der Bibliothekar möchte den Jungen im Keller behalten und erklärt ihm, hier drinnen sei die reale Welt, alles außerhalb seien nur Schatten. – Ein umgekehrtes Höhlengleichnis! Doch der Junge will nicht bleiben – er sorgt sich um seine Mutter, die vor Kummer sterben könnte, und um seinen geliebten Vogel. Schafsmann, stumme Schönheit und er fliehen gemeinsam. Ein geheimnisvoller Vogel hilft und tötet den Bibliothekar. Der Schluss bringt die nüchterne, reale Welt zurück: Die Mutter fragt nicht, wo er gewesen, es scheint keine Minute vergangen zu sein, seit er das Haus verlassen hat. Nur sein geliebter Vogel ist tot.

Das Publikum erlag eineinhalb Stunden der märchenhaften Verführung, die dieser Aufführung innewohnt, und dankte mit frenetischem Applaus.

Noch bis zum 5. Oktober 2022. 2023 Wiederaufnahme: 19.-21., 28.29. Jänner, 2. und 3. Februar 2023

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Volksoper Wien, Carl Millöcker/Theo Mackeben: Die Dubarry

Regie: Jan Philipp Gloger. Musikalische Leitung: Kai Tietje

Foto: Martin Enenkel als Lebell, Harald Schmidt als König Ludwig und Annette Dasch als Dubarry.

Es ist ein kluger Schachzug von Lotte de Beer , mit dieser Operette die Saison und die Ära ihrer Direktion zu eröffnen. Aufgewertet durch aktuelle Gags, optisch witzig durch passende Bühnenbilder (Christof Hetzer) und pfiffige Kostüme (Sibylle Wallum) hat dieser Abend durchaus Potential zum Renner. Gloger hat es an Anspielungen und szenischen Gags nicht fehlen lassen, wenn auch dadurch der Abend sich ein wenig in die Länge zieht. Manche Einfälle sind ziemlich banal – etwa die „Unterrichtsstunde“, in der die Dubarry als Preussin für ihren Aufttritt vor dem Kaiser Franz Josef vorbereitet werden soll. Da werden alle Kalauer über die sprachliche Kluft zwischen Preussen und Österreich aufgeführt. Man kennt sie alle zur Genüge- dem Publikum aber gefällts.

Gloger arbeitet gekonnt mit Zeitensprüngen – einmal sind wir im Berlin der 20er Jahre, dann auf dem französischen Hof, dann wieder in einem Wiener Ballsalon, und im sehr witzigen Diskurs zwischen Dubarry und Ludwig XV. gar in der Gegenwart. Da dürfen sich zwei Theatertiger an witzigen, oft spontanen Einfällen übertreffen. Für den Showmaster Harold Schmidt ist König Ludwig eine Glanzrolle, die er sichtlich genießt. Annette Dasch als Dubarry ist ihm in dieser Szene eine ebenbürtige Partnerin. Stimmlich geraten ihr hin und wieder die Spitzentöne zu hart. Aber vielleicht ist das gewollt – quasi als Rollenbruch.

Das Ensemble singt und spielt insgesamt mit großer Freude und Einsatz. René Lavallery als Kunstmaler und Liebhaber der Dubarry hatte verdienten Szenenapplaus. Besonders reizend spielte und sang Juliette Khalil die Rolle der Verkauferin Margot.

Alles in allem ein amüsanter Abend, der auch manchmal mit drastischen Szenen – etwa die versuchte Vergewaltigung der Dubarry oder die bewusst abstoßende Szene der betrunkenen Männergesellschaft – nicht Operette pur bringt. Ein totaler Schock der Schluss – gekonnt gemacht. Aber er sei hier nicht verraten. Manche Zuschauerinnen waren – wie man in der Pause und nachher vernahm – regelrecht schockiert und meinten, das sei keine Operette. Irgendwie wahr, aber gerade deshalb interessant.

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Ein Bericht von der Generalprobe am 2. September 2022

Sara Mesa: Eine Liebe. Wagenbachverlag

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen

Eine Liebe soll das sein? – Eher eine Obsession, die in Selbstauflösung endet. Sara Mesa schildert in einer kristallklaren Sprache gnadenlos die Zerstörung einer Persönlichkeit. Die Ursachen sind nicht ganz einfach auszuloten. Nat, so die Hauptfigur, hat sich irgendwie freiwillig in ein Dorf irgendwo in Spanien katapultiert. Dort ist das pure Nichts: ein paar Häuser und sehr neugierige, subtil zudringliche Nachbarn. Auch die nächste Kleinstadt ist trostlos.

ZU Beginn des Romans denkt man an Juli Zehs Romane über die Stadtflüchter („Über Menschen“ und „Unterleuten“): Oje, schon wieder ein Roman über die Enttäuschungen, die Städter in trostlosen Dörfern erleben. Doch dann gewinnt Nats Geschichte an Fahrt: Die Menschen rund um sie werden ihr unheimlich, sie kann nicht „warm werden“, will nicht an ihren Gartengrillpartys teilnehmen. Die Männer, so ihr Eindruck, betrachten sie lüstern, der Vermieter ist ein echter Ungustl. Das Haus eine Katastrophe. Doch sie bleibt – trotz aller Unannehmlichkeiten. Als sich „der Deutsche“ – so wird er von den Bewohnern genannt – ihr einen seltsamen Vorschlag macht, ist sie schockiert: Er reapariert das Dach ihres Hauses, dafür möge sie ihn „einmal kurz reinlassen“, wie er den Sexualakt umschreibt. Sie geht auf den Vorschlag zunächst aus kühlem Kalkül ein. Aus dem Kalkül wird Gier nach Sex. Sie kann von ihm nicht mehr lassen, auch nicht, als er diese seltsame Beziehung beendet. Und die Dorfbewohner wissen natürlich davon und schneiden sie. Als ihr Hund dann noch das Nachbarmädchen ins Gesicht beißt, wird sie von allen gemieden, ja sogar indirekt bedroht. Noch immer fragt man sich, warum sie bleibt: Der Selbstzerstörungstrieb hat sie in diesen Unort getrieben. Der Leser bekommt immer mehr den Eindruck, alles was um sie und mit ihr passiert, treibt sie in ein Nichts, das sie gewünscht und gesucht hat. Das offene Ende ist grandios, passend zu dieser grandiosen Analyse einer Frau, die sich selbst aufgibt.

Mit feiner Beobachtungsgabe schildert Mesa die Reaktion der Dorfbewohner. Wie mit einem Skalpell legt sie die Intrigen, die Mißgunst und den Neid bloß. Nat soll sich entweder fügen, einfügen oder verschwinden. Sie verschwindet auf ihre Weise.

Packend, nachdenklich machend. Ein Buch, das provoziert! Gut so!

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Joseph Rebell: Im Licht des Südens

Ausstellung im Unterem Belvedere

Foto: Sonnenuntergang über den Campi Flegrei gegen die Inseln Procida und Ischia. 1819. (©Johannes Stoll, Belvedere, Wien)

Neben “ Viva Venezia! “ ist dies nun die zweite Ausstellung im Belvedere, die Bilder aus dem Sehnsuchtsland Italien zeigt. Joseph Rebell ist selbst Kunstinteressierten kaum bekannt. Daher ist das Verdienst des Museums um so größer, diesen Maler des Lichts und der Sehnsucht nach den inneren Bildern Italiens, die so mancher Betrachter in sich trägt, zu zeigen. 1787 in Wien geboren studierte Rebell an der Wiener Akademie der bildenden Künste. 1810 zog es ihn nach Italien, wo er zunächst in Oberitalien Bilder vom Comosee und Luganosee malte. 1813-1816 lebte er in Neapel, genoss die Gunst der kunstsinnigen Königin Caroline Murat (Schwester Napoleons) und malte für sie und die kaufkräftige Schicht Genrebilder aus der Umgebung von Neapel. Auf Anfrage konnte er jedes vom Käufer gewünschte Motiv in gewünschter Größe malen. Er verdiente sehr gut, da er ein exzellenter Selfmanager war. Als Caroline Murat Neapel verlassen musste, zog Rebell nach Rom und lebte und arbeitete in der Villa Malta, wo sich viele internationale Künstler trafen. Dort wurde auch Kaiser Franz I. auf ihn aufmerksam. Begeistert von dessen Malerei ernannte er Jospeh Rebell zum Direktor der Kaiserlichen Gemäldegalerie im Oberen Belvedere, wo er bis zu seinem Tod 1824 sehr effektiv und erfolgreich tätig war.

Joesph Rebells Gemälde bezaubern durch das Licht, das er im Hintergrund der Landschaft aufglühen lässt. Seine frühen Werke zeigen schon seine ganze Kraft: In arkadischen, lichtdurchfluteten Wäldern wandeln mythische Personen eine erträumte Welt der Sorglosigkeit. Später wird aus Arkadien das konkrete Italien mit wieder erkennbaren Motiven, die sich leicht verkaufen ließen. Man steht gefesselt vor seinen Bildern, wie dem Ausbruch des Vesuvs, Bildern vom sturmdurchtobten Meer oder Bildern von verträumten Ufergestaden. Vielleicht seufzt so mancher Betrachter, der die Gegend heute kennt: Viel ist von der einstigen Romantik heute nicht mehr zu entdecken. Tourismus und Bauwut haben viel zerstört. Heute sind die Werke Rebells „Trost- und Erinnerungsbilder“.

Die Ausstellung ist noch bis zum 13. November 2022 zu sehen.

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Kultursommer Semmering: Joseph Lorenz liest Stefan Zweig, Amokläufer

Unverwechselbar: Joseph Lorenz

Unverwechselba: Stefan Zweig

Stefan Zweigs Sprache ist gesprochene Musik – Josph Lorenz bringt diese Musik der Worte zum Klingen. Sie sind Partner, es könnte keinen besseren Interpreten für Stefan Zweigs große Sprachkunst geben.

Ganz ohne Regiefirlefanz lässt Lorenz das Psychogramm eines Besessenen entstehen. Jedes Wort hat seinen Wert, glänzt auf. Etwa in der Passage, in der Zweig den Nachthimmel über dem Meer beschreibt. Man spürt, erlebt das Licht hinter dem Sternen. Das Strahlen in der Dunkelheit.

Wie es die Novellenform verlangt, bettet Zweig diese rasante Erzählung in einen Rahmen. Gleichsam, um von dem Ungeheuerlichen, der Wucht der Tragik ein wenig Abstand zu gewinnen: Der Erzähler begegnet auf einer Schiffspassage von Kalkutta nach Neapel einem „Nachtpassagier“, der die Menge meidet. Doch dem Erzähler eröffnet er seine Tragik – den fatalen Fehler, eine Frau allzusehr begehrt zu haben und darüber seine ärztliche Pflicht zu helfen verabsäumt zu haben. Er fühlt sich für ihren Tod verantwortlich, ist es auch. Bevor sie stirbt, nimmt sie ihm das Versprechen ab, die wahre Ursache ihres Tode – eine verpfuschte Abtreibung – ihrem Ehemann und der Welt niemals preiszugeben. Dieses Versprechen hält er und opfert dafür sein Leben.

Ich habe schon mehrmals diese Lesung erleben dürfen – erleben ist das richtige Wort. Auch beim fünften Mal zogen die Wucht der Erzählung und die Kraft des Interpreten mich in den Bann. Das Herz klopfte heftig und der Puls stieg. Immer, wenn die Lesung endet, brauche ich eine WEile, um wieder „herunterzukommen“. Pardon, dass ich meine persönlichen Gefühle so offen hier beschreibe. Mich wundert es jedesmal wieder, wie Joseph Lorenz eine Welt, einen Charakter – besser gesagt, alle Charaktere der Erzählung – lebendig werden lässt. Dazu braucht er nicht Kostüm, Maske oder andere Requisiten, die nur stören würden. So mancher Regisseur könnte nach so einer „Lesung“ seine selbstverliebten Regiekonzepte überdenken und vielleicht sogar verwerfen. Aber das geschieht nicht – ganz einfach, weil sich kein Regisseur dafür Zeit nähme.

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