Peer Gynt. Ballett. Wiener Staatsoper

Choreographie und Libretto: Edward Clug, Musik: Edward Grieg, Dirigent: Guillermo Garcia Calvo

Edward Clug, seit 2015 Ballettchef des Slowenischen Nationaltheaters in Maribor, ist ein Meister seines Faches. Kaum ein anderer kann so exzellent Erzählung in Ballett/Bewegung, Tanz umsetzen!

Für die Musik wählte Clug nicht nur die Bühnenmusik Griegs zu Peer Gynt, sondern auch weitere Werke des Komponisten, die zur Textur und Dynamik des Ballettgeschehens passen. Guillermo Garcia Calvo dirigierte mit hoher Sensibiltät, immer die Tänzer im Blick. Den Klavierpart spielte Shino Takizawa sehr innig und berührend.

Edward Clug ändert an der Aussage Ibsens nichts Wesentliches: Peer Gynt ist ein junger, später alter Mann, der nie aus den Kinderschuhen herausgewachsen ist. Immer noch kehren seine Gedanken zur Mutter zurück, die ihn züchtigt und verzärtelt. Vor ihr spielt er den erfolgreichen Helden. Aber ihre Liebe erwiedert er nicht. Ebenso wenig die Liebe Solveigs. Erst am Ende seines Lebens erkennt er, welch Irrwege er gegangen ist und wie er das Wesentliche im Leben verpasst hat: eben die Liebe.

Denys Cherevychko ist in allen Phasen der Entwicklung ein überzeugender Peer Gynt: Als unbekümmerter Draufgänger, der die Hochzeit Ingrids (Eszter Ledan) stört, sich die Braut ohne Rücksicht auf den Bräutigam schnappt, mit der geheimnisvollen „Frau in Grün“ ( hinreißend wie immer: Rebecca Horner) ein Kind zeugt und entsetzt vor ihrem Trollgesicht flieht. Nichts kann ihn aufhalten, auch nicht der Tod der Mutter – ihn treibt es in die Welt hinaus! Überzeugend tanzt Cherevychko den Macho, der in Marokko Teppiche und Frauen auswählt. So lange, bis er in der Irrenanstalt landet. Dort drehen sich die Rollen um: Aus dem selbstherrlichen Macho wird ein Gefangener, von den Irren gefesselt und verhöhnt. Besonders berührend ist die Schlussszene: Gynt kehrt als alter Mann zurück, Solveig – schlicht und berührend von Nina Polatkova getanzt – erwartet ihn, kurz nur hat er die Vision, mit ihr in einem Haus zu leben. Doch der Tod holt sie ein. Sie verschwinden gemeinsam in einer Lichttür, die sich langsam schließt. Der Pas de deux Gynts mit Solveig ist von so schlichter Innigkeit, dass man vergißt, ein Ballett zu sehen. Man fühlt sich direkt in die Szene involviert.

Zsolt Török als Hirsch. Fotocredit: Ashley Taylor

Geschickt inszeniert Edward Clug die Figuren rund um Peer Gynt. Ein weißer Hirsch – hervorragend getanzt von Zsolt Török – begleitet ihn als Alter Ego durch die verschiedenen Stationen. Am Ende wird er ihn und Solveig wie ein gütiger Todesengel in das Jenseits führen, sein Geweih und die Krücken über die Tür hängen. Dem Tod, der eher ein Behüter Gynts ist, verleiht Eno Peci eine heiter-bedrohliche Note. Vladimir Shishov – endlich wieder einmal auf der Bühne zu erleben!! – ist ein eindrucksvoller Schmied. Tänzerisch wuchtig gestaltet er den Kampf gegen Peer Gynt, den er beinahe mit der Axt getötet hätte, hätte da nicht der Tod „rettend“ eingegriffen. Clug baut viele solche Momente ein, die das Geschehen in das Reich des Traumes versetzt. Vielleicht ist Peer Gynts Leben nur ein Traum, evoziert durch den Tod, der ihn von Beginn an gemeinsam mit dem Hirsch begleitet. Das Schöne an dieser Inszenierung ist eben die Vieldeutigkeit.

Nicht unerwähnt bleiben sollen die phantasievollen Kostüme (Leo Kulas), das schlichte, aber wirkungsvolle Bühnenbild von Marko Japelj und die Lichtregie von Tomaz Premzl sein. Mit diesem Team arbeitet Edward Clug schon viele Jahre zusammen.

Langer Applaus und viele Bravos für Denys Cherevychko.

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„Rosmersholm“ von Ulf Stengl nach Motiven des gleichnamigen Ibsendramas. Theater in der Josefstadt

Regie: Elmar Goerden, Bühnenbild: Silvia Merlo und Ulf Stengl

Was man mit Ibsens Drama „Rosmersholm“ nicht alles anstellen kann: Figuren rausstreichen, Figuren umdeuten, alles überhaupt neu schreiben. Nur den Titel belassen – er lockt vielleicht ein literatur- und theateraffines Publikum eher an.

Also diesmal „Rosmersholm“ von Ulf Stengl. Drei Schauspieler, die großartig spielen, manchmal etwas überdreht, aber zur Rolle passend: Katharina Klar.

Die Bühne: Ein Landhaus sollte es sein, irgendwo weit abgeschieden. Statt dessen: Ein leerer Raum – eingerahmt von grünchangierenden Lamellen. Keine Requisiten. Das Bettzeug für den unerwarteten Gast Kroll wird auf dem Boden ausgebreitet. Als Erinnerungszitat, dass wir uns in einem ziemlich noblen Landhaus befinden, steht dann plötzlich ein hölzerner Bauernsessel auf der Bühne. Etwas lächerlich wirkende avantgardisitische Bemühtheit.

Das Match zwichen Links und Rechts

Im ersten Teil matchen sich der Gutsbesitzer Johannes (Herbert Föttinger) und der linke Journalist Kroll (Joseph Lorenz). Die Freunde haben einander ein Jahr lang nicht gesehen. Der Grund des unerwarteten Besuches: Kroll hat einen ziemlich rechtslastigen Artikel auf einer Naziplattform entdeckt, der mit dem Namen seines Freundes unterschrieben ist. Entsetzt über die politische Kehrtwendung seines Freundes hält er ihm eine politische Standpauke. Johannes rechtfertigt sich mit lahmen Argumenten, zuletzt damit, dass er den Artikel gar nicht selbst hineingesetzt hat. Der Diskussion der beiden um populistische Ansichten kann man ein gewisses Niveau nicht absprechen, sie geht aber nicht über die schon oft und allerortens zitierten Schlagwörter hinaus. Dennoch:: Herbert Föttinger als behäbig gewordener Literaturprofessor und Joseph Lorenz als leicht herabgekommener, linker Journalisten faszinieren durch ihre intensive Darstellung. Das ist Schauspielkunst vom Feinsten: Oft Gehörtes und allzu oft in TV-Debatten Abgespultes zum schauspielerischen Erlebnis gestalten! Joseph Lorenz in einer gänzlich neuen Rolle: leicht angealtert, in einem rosa Regenmantel, aus dem er sich mühselig herausarbeiten muss, zunächst verlegen, dann mit scharfer Argumentation gegen seinen Freund vorgehend, erinnert an so manche Thomas-Bernhard-Figuren: Kritisch, nörgelnd, mit moralischem Zeigefinger, Recht habend, auch Recht haberisch. Herbert Föttinger ist ein weichlicher, unsicherer Mann, der es sich längst schon unter der manipulativen Fuchtel der rasenden Rebekka bequem gemacht hat.

Match zwichen altem Mann und junger Furie

Katharina Klar, seit 2019 neu in der Josefstadt, spielt die Rebekka sehr mutig: so richtig widerlich. Man möchte sie von der Bühne stoßen, ihr den Mund stopfen. Ihr Outfit imitiert perfekt ein Jungmitglied der AFD oder sonst einer Rechten. Auffallend oft schimpft sie auf alles und drückt ihren Frust mit Fäkalienwörtern aus, weil ihr die differenzierte Sprache fremd zu sein scheint. Ihre Aktionen sind radikal und provokant, als wäre sie ein Teenager am Gipfel der Pubertät. Man muss den Einsatz, mit dem Katharina Klar diese Rolle bis zur Selbstverleugnung ausspielt, bewundern.

Immer dort, wo ein wenig Ibsen durchschimmert, wird es spannend. Etwa, wenn es um die Frage geht, wer am Selbstmord der Ehefrau Rosmers Schuld hat. Nach einer Schrei-Schlacht, in der sich beide in lächerlicher Weise mit Alkohol überschütten und dann vielleicht mit einem Feuerzeug anzünden – oder doch nicht, man weiß es nicht so genau – stehen beide in verzweifelter Umarmung. Nach dem beiderseitigen Schuldgeständnis folgt die Erschöpfung.

Applaus und Bravorufe für die Leistung aller drei Schauspieler.

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Véronique Olmi: Bakhita. Hoffmann und Campe Verlag

Aus dem Französischem von Claudia Steinitz

Sie ist fünf Jahre alt, als sie von Banditen aus ihrem Dorf im Sudan entführt und nach einem langen und qualvollen Marsch durch die Wüste auf dem Sklavenmarkt in El Obid verkauft wird. Dass sie nicht zusammenbricht, seelisch verkrüppelt, verdankt sie nur ihrer Fähigkeit, ihre Seele wie ein Segel einzuziehen, sich von dem Leid abzukapseln. In Karthoum kommt sie in das Haus des italienische Konsuls und kann sich von ihren körperlichen Schmerzen ein wenig erholen. Als dieser samt Familie den Sudan Richtung Italien verlässt, setzt sie es durch, dass er sie mitnimmt. Sie wird eine sanftmütige Dienerin in einer italienischen Familie, rettet deren Baby vor dem sicheren Tod, muss nochmals mit in den Sudan, wo all ihre entsetzlichen Erinnerungen wieder aufkeimen. Zurück in Italien kann sie Ruhe in einem Kloster in Venedig und anderen Orten finden, wo sie bis zu ihrem Tod als Nonne lebt und von allen sehr geliebt und geschätzt wird. Ihre Stärke ist das Zuhören. Obwohl sie ihre Muttersprache längst vergessen und nie das Italienische wirklich gelernt hat, wird sie immer wieder aufgefordert, über ihr Leben zu erzählen. Daraus wird ein Buch – die Quelle dieser Romanbiografie.

Stilistisch großartig! Véronique Olmi gelingt es, der Sklavin und späteren Nonne Bakhita eine entsprechende Stimme, Ausdruck zu geben. Mit kurzen, oft fragmentarisch wirkenden Sätzen beschreibt die Autorin all die körperlichen Leiden – für den Leser fast unerträglich deutlich – und alle seelischen Vorgänge.

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Elisabeth-Joe Harriet: „Hat sich mir gemocht a Schmerz.“ Eden Bar

Literarisch-musikalischer Abend. Eine Reise durch jüdisches Leben.

Klavier und Geige: Bela Fischer

Wehmütig seufzt die Geige. Sie stimmt uns ein. Auf einen Abend mit Schmerz, Schmunzeln und Lachen. Elisabeth-Joe Harriet, für Verzauberung der vielfältigsten Art zuständig, führt das Publikum in der schummrigen Eden Bar durch das jüdische Leben im Jahreskreis. Gleich jammert und singt sie los: „Oje, oje, hab ich mir aus dem Mantel a Röckle gemacht. Weil das in Teile zerfiel, hab ich mir a Häubl gemacht …bis nix mehr übrig blieb als a Schnipsl und am End a Lidl.“ – In Liedform ist die jüdische Philosophie und Lebenskunst zusammengefasst – die da meint: Aus dem Wenigen doch Großes – „a Lidl“ – machen! Begleitet von Bela Fischer auf der Geige und am Klavier führt die Künstlerin ihr Publikum in das Leben einer jüdischen Gemeinde ein, erzählt über den Rabbi als zentrale Auskunftstelle für alles und jedes. Zur Auflockerung bringt sie jüdische Witze. Sie alle – nämlich die Witze – leben von diesem „Loch“ zwischen Anlauf und Auflösung, der Kunstpause, die die Überraschung vorbereitet. Harriet nennt es „Ellipse“. Ein köstliches Beispiel sei hier zitiert (Kurzfassung): Ein altes Ehepaar beim Abendmahl. Sagt er: „Wenn einer von uns beiden stirbt, ziehe ich nach Paris.“

Eine Schikse wie ich weiß nichts über jüdische Feste. Für solche kam der Abend gerade richtig! Beste Gelegenheit, über Ursprung und Inhalt etwa des Purim- oder Pessachfestes informiert zu werden. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass die jüdische Frau sich am Schabbat nicht frisieren darf – das ist Arbeit und daher verpönt. Eine Perücke löst das Problem elegant. All das und mehr hat Elisabeth-Joe Harriet in einem informativen Büchlein zusammengefasst, illustriert mit Porträts des jüdischen Malers Isidor Kaufmann (1853-1921):

„Jüdischer Festkalender mit Humorbeigaben. Was Sie schon immer nicht gewusst haben! “ Hrsg. Elisabeth-Joe Harriet. Verlag Austria Nostra.

Jeder Besucher bekam auch einen Handzettel mit einer Zusammenfassung der wichtigsten jüdischen Wörter, die zum Teil auch im Wienerischen Eingang fanden, und einigen Sprichwörtern. – „Eine jüdische Seele kann man nicht ergründen“ oder „Eine Frau stellt einen auf die Füße und wirft einen von den Füßen“ – nachzulesen ebenda. In Zukunft werde ich keine E-Mails, sondern „Blizbrife“ versenden. Meschigeh!

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Great Voices im Wiener Konzerthaus: Juan Diego Flórez

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland – Pfalz

Dirigent: Jader Bignamini

Die Sänger und Sängerinnen , die im Rahmen von“Great Voices“ im Konzerthaus auftreten, haben längst in den Herzen des Publikums einen fixen Platz. Zwischen den Künstlern und dem Publikum herrscht eine fast regelhafte Übereinkunft: Der Künstler gibt sein Bestes, das Programm ist gefällig. Das Publikum dankt mit rauschendem Beifall. So wird es immer ein Fest.

Erst recht, wenn Publikumsliebling Flórez auftritt. Zuerst wärmt er sich und die Zuhörer mit zwei Ohrwürmern aus der Oper „Rigoletto“ auf: „Questa o quella“ – dem Feschak nimmt man den leichtsinnigen Grafen ungeschaut ab. Auch seinen kurzfristigen Schmerz über den Verlust seines lieben Engels: „Ella mi fu rapita“. Danach mischt er geschickt wenig Bekanntes ins Programm: „Oh dolore“ aus Verdis Oper „Attila“. Da gelingt es Flórez, mit schlichtem Gesang, ohne große Gestik in die Tiefe eines Schmerzes hineinzugleiten, was ja bei einem Liederabend besonders heikel ist. Denn allzu leicht entblößen sich Gesten, die, weil schon oft gesehen, als hohl. Na ja, und irgendwann will und muss – vom Publikum erwartet -er seine Leichtfüßigkeit in der Höhe demonstrieren. Das tut er gekonnt und ohne Anstrengung am Ende der Arie „Odio solo..“ aus Verdis „I due Foscari“: Atmen, kurze Pause, um dann mit weit ausgebreiten Armen und leicht zurückgebeugtem Oberkörper die Höhe zu erklimmen. Wie zu erwarten: Das Publikum jubelt. Nach der schlicht vorgebrachten Liebesarie aus „La Traviata“ geht es in die Pause.

Um danach mit dem Hit „Dein ist mein ganzes Herz“ aus Lehars „Land des Lächelns“ die Herzen vor allem der Damen höher schlagen zu lassen. Operette muss wohl sein an so einem Abend, um nicht hinter Kaufmann und Beczala zurück zu bleiben. Hier mein ganz persönlicher Eindruck: Flórez macht es noch besser als seine Kollegen. gerade weil seine Interpretation verhalten und schlicht ist. Danach mit Augenzwinkern und leichtem Lächeln, das andeutet: „Sorry, aber dieses Lied gibt es nun einmal“: Lehars allgemeine Huldigung an die Schönheit der Frauen: „Gern hab ich die Frauen geküsst“. Da fiele wohl keiner Frau im Zuschauerraum ein, sich über die Existenz des Liedes und seiner Interpretation aufzuregen. #MeToo hin oder her! Nach dem Reißer „Freunde, das Leben ist lebenswert“ kehrt wieder die Klassik ein: Nach Werthers „Pourquoi me réveiller“ die innig gesungene Unterwerfung Don Josés unter Carmen: „La fleur que tu m´avais jetée“ und dem leisen Vorstellungslied Rodolfos aus der „Bohème“ „Che gelida manina“ beginnt das gemeinsame „Feiern“ – heißt: das Publikum tobt und erklatscht sich 5! – fünf!! – Zugaben. Eh klar, mit Gitarre: Zuerst das bekannte Lied von Carlos Gardel: El dia che mi chieras. Nicht ganz Gardel, ein wenig Tango, sehr viel Flórez-Charme. Dann auf Zuruf aus dem Publikum „Cucurrucucu -paloma“ – „Granada“ reißt das Publikum endgültig von den Sitzen. Zuletzt – welche Überraschung: „Nessun dorma“ – nein, da hat wirklich keiner geschlafen!! Eine Zugabe ist mir durchgerutscht. sorry!

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Nächstes Konzert im Rahmen von „Great Voices“: Anita Rachvelishwili am 19. Jänner 20120

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Shakespeare: Hamlet. Landestheater Niederösterreich

Inszenierung: Rikki Henry, Bühne: Max Lindner. Kostüme: Cedrik Mpaka. Musik: Nils Strunk. Licht: Günter Zaworka

Rikki Henry ist ein junger Regisseur aus London. Als er an das Münchner Landestheater kam, lernte er Martin Kusej und Ulrich Rasche kennen. Von letzterem stammt das geflügelte Wort: „Theater muss unangenehm sein!“. Henry hat diese These inhaliert.

An Hamlet glauben viele Regisseure, sich abarbeiten zu dürfen, ihn neu erfinden zu müssen. Denn was Shakespeare so geschrieben hat, sei klassisch-bieder, fad. Deshalb Hamlet neu. So auch am Landestheater.

Hamlet ist ein spätpubertierender Jungerwachsener, eher noch ein Jugendlicher. Er träumt davon, den Mord an seinem Vater zu rächen. Im Traum stellt er Szenen so um, wie er sie haben möchte: Da bricht er dem Onkel und seiner Mutter das Genick – man hört die Knochen knacken und knirschen. Er schickt die Ophelia ins Kloster, aber sie geht nicht, statt dessen beginnt sie von „Sein und Nichtsein“ zu delirieren. Wirklich wahnsinnig scheint sie nicht zu werden. Aber sehr wohl fühlt sie sich nicht in ihrer Rolle zwischen Ophelia aus Shakespeare und dem Handy, mit dem sie vielleicht mit Hamlet oder Gott oder mit niemandem kommuniziert. Ertrunken findet man sie in der Wasserschüssel. Darf gelacht werden? Einige finden ja. Es gibt auch wirklich witzige Einfälle, die ein wenig die Langeweile, die diese Inszenierung verbreitet, mit Staunen durchmischt: Der Königshof guckt mit 3D-Brillen dem Schauspiel zu, in dem der Mord an Hamlets Vater nachgespielt wird. Ganz lustig, Wieder hie und da ein Lacher. Man ist irgendwie auch wirklich dankbar für solche Szenen. Denn: Den Text, den die Schauspieler so zwischen Hochsprache und Gags von sich geben (da reimt sich peinlicher Weise „Mutter“ auf „kaputter“, dann meint Claudius: Wir müssen den Hamlet los werden, sonst sehen wir alt aus) ist streckenweise kaum zu verstehen. Muss ja nicht sein – meint wohl der Regisseur, denn er bedient ja das Publikum mit genug Gags.

Am Ende viel Applaus und einige brummen und brüllen. Sind jetzt Tierlaute statt Bravorufen die Form der Akklamation, die zum „neuen Theater“ passen?

Ehrlich: Mir ist ein klassischer Hamlet lieber, da lasse ich mich gerne gestrig oder bieder schimpfen.

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Hans-Josef Ortheil: Der von den Löwen träumte. Luchterhand-Verlag

In diesem soeben erschienen Band vereint Ortheil alle seine thematischen Vorlieben: Über eine interessante Persönlichkeit schreiben – Hemingway – über einen von ihm geliebten Ort schreiben – Venedig – und über das Schreiben selbst, beziehungsweise über Schreibhemmungen, schreiben.

Literarische Parallelen

Während der Lektüre erlebt der Leser einige Déjà-vu, die zu analysieren ihm spezielles Vergnügen bereiten könnte: Er erinnert sich vielleicht an den Werfelroman über Verdi: Der Komponist kam nach Venedig in einer echten Schaffenskrise, als er glaubte, nie mehr auch nur eine Note komponieren zu können. Dann wird dem Leser unweigerlich Thomas Manns „Tod in Venedig“ einfallen. Als Mann in einer schweren Schaffenskrise steckte, schrieb er sich diese an der Figur von Aschenbach ab. Für Thomas Mann alias Aschenbach wird Venedig zum Todesmythos. Während der Lektüre des Ortheil-Romanes fielen mir weiters die Parallelen zum Film „Il postino“ (Der Postmann) und zum Roman von Antonio Skarmeta „Mit brennender Geduld“, der dem Film zugrunde liegt, ein: Der Dichter Pablo Neruda findet in den Gesprächen mit dem jungen Briefträger einen gelehrigen Schüler, der bald auch Ideengeber wird. So auch in Ortheils Geschichte.

Hemingway, der große Trinker, in der Schaffenskrise

Wir schreiben das Jahr 1948. Ernest Hemingway und seine vierte Ehefrau Mary mieten sich im Hotel Gritti in Venedig ein. Dank des Revolverblatt-Journalisten Sergio Carini weiß bald ganz Venedig, wo und mit wem sich der große Schriftsteller, Kriegsheld und Großwildjäger herumtreibt. Das aber stört Hem, wie ihn Freunde nennen, nicht besonders. Er streift, mit allen nur möglichen Fremden redend und trinkend, durch die Stadt. Alles ist ihm recht, um von seiner Schreibhemmung abzulenken. Sein letzter Roman liegt schon lange zurück. Von Venedig erhofft er sich neuen Stoff und künstlerische Gestaltungskraft. Mit Paolo Carini, dem Sohn des besagten Journalisten, schließt er Freundschaft und engagiert ihn als „Hermes von Venedig“. Während der langen und gemütlichen Bootsfahrten durch die Kanäle notiert er akribisch alles, was er sieht, auch die banalsten Banalitäten. Dem Autor auf die bekannten und weniger bekannten Orte wie Harry‘ Bar, Torcello oder diverse campi zu folgen, bereitet zwar Vergnügen, ist aber doch durch die Banalität der Beschreibungen ermüdend. Etwas zäh wird die Geschichte, als sich Hemingway in die (real existierende) junge Adelige Adriana Ivancich verliebt. Er ist ein alter, müder Mann, der sich von der Achtzehnjährigen Verjüngung und emotionale Hochs erhofft. Aus den Begegnungen mit dieser infantil wirkenden Schönheit entsteht der Roman „Über den Fluss und in die Wälder“, der von der Kritik mit sehr viel Häme aufgenommen wurde und sicher nicht zu seinen besten Werken zählt. Der junge Fischer Paolo Carini wird zu seinem schärfsten Kritiker, ihn stößt alles, was mit dem Roman zu tun hat, ab. Er fordert von Hemingway einen ehrlichen, tiefgehenden Roman und schlägt ihm vor, von einem alten Fischer zu erzählen, der zum letzten Mal aufs Meer hinaus fährt und den Kampf mit einem Riesenfisch aufnimmt. – „Der alte Mann und das Meer“ wird zu einem der wichtigsten und bleibenden Werke Hemingways und Paolo ist stolz, Geburtshelfer gewesen zu sein.

Stilistische Tricks und Schwächen

Ortheil ist ein Meister der Spiegelfechtereien. Geschickt schiebt er reale Fakten und Fiktionen in- und übereinander. Hemingways Aufenthalte und Trinkorgien in „Harry ‚ s Bar“ sind hinlänglich bekannt. Dass der ermüdende Roman „Über den Fluss und in die Wälder“ tatsächlich auf die Liebe Hemingways zu Adriana Ivancich zurück zu führen ist und bei der Kritik durchfiel, ist historisches Faktum. Auch dass Hemingway die junge Adelige samt Mutter nach Cuba auf seine Finca einlud und seine Frau Mary damit ordentlich brüskierte, ist Faktum und wird von Ortheil als Fiktion in den Roman eingebaut. Mit der Familie Carini, Vater und Sohn, später auch Schwester und Mutter, führt Ortheil erfundene Personen ein und verquickt sie mit dem realen Geschehen. Das ist amüsant, weil sich der Leser stets fragt, was ist Fiktion und was Realität. Auf die Spitze treibt Ortheil das Spiel, wenn er Hemingways bekannte Manie, alles, was er beobachtet, akribisch aufzuzeichnen, im Roman eins zu eins umsetzt. Denn die banalen Details bleiben auch als Ergüsse eines Genies immer noch banal und langweilig. Peinlich wird es, wenn Ortheil vorgibt, den Gesprächen zwischen Hemingway und Adriana zu lauschen. Da wird es mehr als banal, peinlich banal.

Unterm Strich: „Der von den Löwen träumt“ ist ein gefälliger Roman, der vielerlei Leserinteressen bedient: Allen voran die der Liebhaber Venedigs, die dem Autor begeistert an bekannte Orte folgen. Auch alle Fans von Romanbiografien werden an dem Buch ihr Vergnügen haben. Immer vorausgesetzt, sie haben die Toleranz, die ausufernde Wiedergabe von Beobachtungen und Gesprächen als inhaltlich notwendig zu akzeptieren.

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Drago Jancar: Wenn die Liebe ruht. Zsolnay Verlag

Aus dem Slowenischen von Daniela Kocmut

Seit dem Roman „Die Nacht, als ich sie sah“, schrieb sich Drago Jancar in die Liste der besten slowenischen Autoren ein. Im Jahre 1944 verschwinden eine junge Frau und ihr Ehemann spurlos. Nachforschungen ergaben, dass beide von Titopartisanen verschleppt und umgebracht wurden. Zum ersten Mal bringt ein Autor Licht in die verwirrende politische Lage Sloweniens vor und nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Der Roman hatte nachhaltige Wirkung.

Nun also war man auf den neuen, mit viel Vorschusslorbeeren bedachten Roman neugierig. Wieder befasst sich Jancar mit der Zeit um 1944, als Slowenien von den Deutschen besetzt wurde. In der Kleinstadt Maribor werden Nicht -Deutschstämmige und solche, die nicht für Hitler sind, ausgewiesen, in Lager geschickt oder gleich an die Wand gestellt. Partisanen formieren sich zum Widerstand, nur sehr wenig von den Bauern unterstützt. Denn diesen droht von der Gestapo Schlimmes, wenn sie Partisanen verstecken oder unterstützen.

Der geschickt ausgewählte Titel imaginiert, wie schon im ersten Roman, eine Liebesgeschichte. Die gibt es zwar, ist aber nur der dünne Faden, der die Spannung erhalten soll: Sonja und Valentin sind glücklich verliebt, solange bis er zu den Partisanen geht, geschnappt wird und von der Gestapo aufs Grausamste verhört wird. Sonja gelingt es, den verhörenden Offizier zu einer Freilassung zu „überreden“. Als Gegenleistung verlangt er eine Nacht mir ihr. Sie willigt ein, doch aus dem Koitus wird nichts – die Potenz des mächtigen Gestapomannes versagt vor ihrer kalten Unbeteiligtheit.

Valentin ist frei, aber unter Beobachtung der Gestapo. Zwischen ihm und Sonja ist etwas zerbrochen, er ahnt, um welchen Preis, den sie ja nicht wirklich zahlen musste, er frei kam. Verstummen der Liebe. Ab da wird das Buch eine fürchterliche Detailbeschreibung der Hölle, der Folter, der Ermordungen. Keiner traut mehr dem anderen, daher lieber ihn gleich umbringen: Angst und Argwohn, jeder verdächtigt jeden, mit (den genau beschriebenen Foltermethoden) will man „die Wahrheit“ seinem Gegner herausquetschen. Angst, Verrat, Hoffnungslosigkeit sitzen in den Seelen und haben Lebensfreude und Liebe ausgelöscht. Auch als der Krieg vorbei ist, geht das Morden weiter. Da ist der Leser bereits so erschöpft und deprimiert, dass er das Ende des Buches herbeiblättert.

Ist die krasse, detailreiche Beschreibung all der Grausamkeiten wirklich notwendig? Man respektiert, wie genau der Autor recherchiert, in den Archiven des Grauens nachgelesen hat. Das Bild, das er abliefert, gleicht einem Protokoll eines Gefängnisses, eines Lagers. Recherchen sind die eine Sache, daraus ein literarisch gültiges Werk zu machen, die andere. Dass Drago Jancar weiß, wie es literarisch auch anders funktioniert, zeigte er ja in dem Roman „Die Nacht, als ich sie sah“.

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Ballett: Jewels. Wiener Staatsoper

Choreographie: George Balanchine

Kostüme: Barbara Karinska

Bühnenbild: Peter Harvey

Dirigent: Paul Connelly

George Balanchine, der amerikanische Russe georgischer Herkunft und französisiertem Namen, war der große Schweiger, wenn es darum ging, seine Ballettchoreographien zu erklären. Unter seinen 450 Choreographien nimmt „Jewels“ eine Sonderstellung ein, gilt es doch als erstes „abstraktes Ballett“. Mag schon sein, dass die Pracht der Smaragde, Rubine und Diamanten in der Auslage des Juweliers Van Cleef & Arpels in der Fifth Avenue in New York Ideengeber war. Die Titel der drei Teile untermauern die Vermutung.

Manuel Legris bringt dieses Meisterwerk nun gleichsam als Abschiedsgeschenk zum Abschluss seiner Ära als Ballettdirektor zur Gänze auf die Bühne.

EMERALDS – MUSIK: GABRIEL FAURÉ

Gabdullin, Mair in „Emeralds“

Vor einem giftgrünen Himmel, in dem man vielleicht eine Sonne vermuten kann, und zwischen herabregnenden „Smaragden“ tanzen die beiden Paare Natascha Mair mit Robert Gabdullin und Madison Young mit Roman Lazik, eingerahmt vom Corps de Ballet und Ioanna Avraam, Alice Firenze, Dumitru Taran. Noch bleibt die erwartete Faszination aus, zu klassisch und zu oft gesehen ist die Tanzsprache. „Sehnsucht“ könnte man hinter der Musik und dem Gestus vermuten. Schön, aber langweilig.

RUBIES – MUSIK: IGOR STRAWINSKI

Papava und Ensemble

Mit der Musik von Strawinskis „Capriccio“, dem spritzigen Bühnenbild und den Kostümen in flammendem Rot ändert sich sofort die Temperatur des Tanzes: Ketevan Papava hat an ihrem aufmüpfigen Hüftdrehungen sichtlich Spaß. Ganz in der Rolle zwischen Clown und Commedia dell‘ Arte -Figuren gehen Nikisha Fogo und Davide Dato auf. Das Ensemble hüpft und dreht sich, als ob es im „Triadischen Ballett von Oskar Schlemmer agiere. Begeisterter Applaus, Blumenbouquets fliegen auf die Bühne.

DIAMONDS – MUSIK: TSCHAIKOWSKI. SYMPHONIE NR. 3

Feyferlik und Esina

Prima la Primaballerina, dopo il Ballerino! Das gilt besonders für den letzten Teil der „Jewels“, in dem Olga Esina mit ihrer strahlende Tanzkunst das Publikum betört. Von Jakob Feyferlik mit sichtlichem Respekt und Begeisterung unterstützt tanzt sie mit der ihr innewohnenden Ruhe. Jede Figur wird von innen her gelebt und fließend mit der nächsten verbunden. Beider Soli sind Glanzleistungen, die vom Publikum mit langem Applaus bedacht werden. Nicht unerwähnt sollte die Leistung des Corps de Ballet bleiben, die exakt und scheinbar mühelos die klassische Schule tanzen.

Insgesamt ein eindrucksvoller Abend. Das Publikum dankte mit viel Applaus.

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Peter Shaffer, Equus. Theater Scala.

Auch heute noch, fast fünfzig Jahre nach der Uraufführung am britischen Nationaltheater, schockiert das Stück. Nicht jeder Zuschauer kann den Nacktszenen, den homoerotischen und an Sodomie anspielenden Szenen gelassen zusehen. Doch im Gegensatz zu den 7oer Jahren des vorigen Jahrhunderts ist man nicht über die Tatsache geschockt, dass ein 17 – jähriger Junge ein Pferd wie einen Gott verehrt und sich in einem orgiastischen Ritt gleichsam mit ihm vereint, sondern man ist geschockt, wie der Junge so sehr in Einsamkeit und Verzweiflung getrieben werden konnte, dass er sich diesen Ersatz für fehlende Wärme und Gefühle sucht.

Alan Strang (mutig und mit intensivem, körperlichem Einsatz von Angelo Konzett gespielt) wird in die Jugendpsychiatrie eingeliefert, nachdem er drei Pferden die Augen ausgestochen hat. Unter der kundigen Führung des Psychiaters Martin Dysart (hervorragend: Anelm Lipgens) löst er sich aus der Schockstarre und beginnt sich zu erinnern, bis er die ganze unheilvolle Nacht offen ausagiert. Ist das ein Weg zur Heilung, fragt sich Dysart? Was heißt überhaupt geheilt? – Dem Menschen seine Fähigkeit zu leiden, zur Leidenschaft zu nehmen und ihn in eine öde Normalität führen, ihn zu einem braven Bürger zu machen, der nichts mehr empfinden kann? Der Autor führt die Figuren an die Grenzen der Psychiatrie, formuliert die Zweifel des Psychiaters und stellt damit die Grundsatzfrage: Was kann Psychiatrie leisten? Welchen Menschen soll/darf sie aus dem Kranken machen? Was heißt „gesund“ und „krank“? Fragen, die sich auch der schizophrene Schriftsteller Thomas Melle in seinem Buch „Die Welt im Rücken“ stellt. (Joachim Meyerhoff hat es genial auf der Bühne umgesetzt)

Dem Regisseur Sam Madwar gelang eine dichte, beklemmende Inszenierung. Er stellte ein Holzpodium in die Mitte der Bühne, umgeben von Bänken, auf denen die Schauspieler auf ihren jeweiligen Einsatz warten. Einmal ist es der Behandlungsraum, dann der Stall mit den Pferden oder auch das Zuhause von Alan. Mit diesem nüchternen Bühnenbild nimmt Sam Madwar die Schwüle, die sich vielleicht einstellen könnte, vollkommen heraus. Nichts lenkt ab von dem intensiven Spiel der Darsteller, die alle großartig sind: Birgit Wolf als bigotte Mutter, die ihren Sohn in eine Art religiösen Wahn treibt. Christoph Prückner als Vater, der gegen den religiösen Fanatismus seiner Frau und seines Sohnes nicht ankommt. Großartig die drei Pferde, muskulöse Tänzer in schwarzen Strapsen, um das homoerotische Element zu betonen (Tom Wagenhammer, Eduard Martens, Bernardo Ribeiro). Den Mut, auf dem Mannpferd nackt zu reiten und den Orgasmus voll auszuagieren muss man an dem jungen Angelo Konzett voll bewundern. Ebenso auch Angela Ahlheim, die als junge Pferdenärrin Jill den schüchternen Alan zum Sex verführen will. Da er sich aber von den Pferden beobachtet fühlt, misslingt der Sex total. Aus Wut darüber sticht Alan den Pferden die Augen aus.

Am Ende bleiben ein erschöpfter und von Zweifeln an seiner Methode gequälter Psychiater und ein hilflos am Boden liegender, von allen Schutzhüllen entblößter Alan zurück. Und ein tief berührtes Publikum, das mit viel Applaus seine Bewunderung ausdrückt, aber auch die eigene Beklemmung wegklatscht.

Weitere Aufführungen bis zum 22.11. 2019 jeweils Di-Sa um 19.45h

http://www.theaterzumfuerchten.at

Wie versteckt man einen Elefanten? Kasino des Burgtheaters.

Von Joel Horwood nach dem Roman „The Great Elephant Chase“ von Gillian Cross.

Trotz strahlendem Spätsommerwetterwar das Kasino bis auf den letzten Platz ausverkauft. Mindestens ein Drittel des Publikums war zwischen vier und zehn Jahre alt.

Erwachsene wie Kinder hatten ihren Spaß! Erwachsene vielleicht noch mehr, da sie auch die feinen Anspielungen und den hintersinnigen Humor genießen konnten, der für de Kinder doch manchmal zu subtil war. Den Kindern war der Elefant Kush, der da in Lebensgröße über die Bühne stapfte und allerlei Unliebsames erlebte, ohnehin am wichtigsten! Hier gleich ein großes Lob an die vier Akteure, die dieses Pappmache-Tier über die Bühne bewegen mussten: Katharina Hallub, Daniel-Frantisek Kamen, Iris Schmid, Stephan Witzlinger. Bewegen allein war schon ein Kraftakt. Voller Einsatz war von ihnen verlangt, wenn es hieß, den Elefant in einem Waggon, in einer Scheune zu verstecken oder gar auf ein schwankendes Floß zu verfrachten. Verantwortlich für diese Elefantenakrobatik und den ganzen Bühnenzauber waren der Puppenmagier Mervyn Millar und der Regisseur Ingo Berk. Mit wenigen Mitteln und in Sekundenschnelle ließen sie Zeit, Ort- und Personen wechseln. Dafür brauchte es natürlich ein gut eingespieltes Ensemble, das mit körperlichem Höchsteinsatz und größter Konzentration diese schnellen Szenenwechsel bewerkstelligte.

Zu Beginn des Amerikanischen Bürgerkrieges, so etwa um 1860, zieht ein Magier (Markus Kiepe in einer seiner vier Rollen) mit seiner Tochter (Maresi Riegner) und einem Elefanten durch die Dörfer und Städte der Südstaaten. Trickreich luchst er den Bewohnern viel Geld ab, was wiederum die Gier eines Gaunerpärchens ( Gunter Eckes und Alexandra Henkel, beide in mehreren Rollen) hervorruft. Sie beschließen, den Elefanten zu kapern. Vater, Tochter und Elefant müssen fliehen, sich verstecken. Unfreiwillig mit auf der Flucht ist Tad – sympathisch und überzeugend gespielt von Leonard Dick-, der bisher wie ein Sklave von dem Gaunerpaar gehalten wurde und nun eine erste Ahnung bekommt, was Freiheit bedeutet. Wie das in einem Kinderstück so sein muss, werden die Bösen bestraft. Das Gaunerpärchen muss ins Gefängnis. Die beiden Jugendlichen und der Elefant landen glücklich bei der guten Tante Ketty. In dieser und mehreren anderen Rollen wieder einmal Elisabeth Augustin erleben zu dürfen, war reine Freude. Wie das ganze Stück den Alten und sehr Jungen reine Freude bereitete.

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Nino Haratischwili: Das achte Leben (Für Brilka)

Frankfurter Verlagsanstalt

Georgien war lange von der literarischen und politischen Landkarte ausradiert. Seit es aber 2018 als Gast zur Frankfurter Buchmesse eingeladen war, staunten Verlage und Leser nicht schlecht über die Fülle an Literatur, die da im Abseits gediehen war. Georgien war durch Jahrhunderte ein Spielball verschiedener Mächte. Um 1900 lebte es unter dem russischen Zaren, dann nach einer kurzen Zeit der Freiheit wieder unter der russischen Macht. 1991 konnte es sich nicht wirklich von den verkrusteten politischen Strukturen, die Russland dem Land und seinen Menschen einzementiert hatte, freikämpfen. Bürgerkriegsähnliche Zustände verhinderten lange Zeit eine stabile Regierung.

Nino Haratischwili ist 1973 in Tiflis geboren, lebt heute in Hamburg und schreibt auf Deutsch. Ihr fast 1.300 Seiten starker Roman ist ein Gang durch die Geschichte Georgiens. Aber erzählt wird nicht die Geschichte bekannter Namen, sondern von Menschen, die von der „offiziellen Geschichtsschreibung“ ungenannt bleiben. Indem Nino Haratischwili die Geschichte der Familie Jaschi durch sechs Generationen erzählt, gibt sie denen eine Stimme, die in der Diktatur Russlands keine Chance hatten, gehört zu werden. Der Roman ist gleichsam ein Aufbegehren gegen die in Diktaturen üblichen Fälschungen der Tatsachen. Aus demselben Grund überschwemmen zur Zeit auch Familiengeschichten aus der ehemaligen DDR den Markt: Man will die Geschichte aus der privaten Perspektive erzählen und den bisher Ungehörten eine Stimme geben.

Die Icherzählerin bleibt lange ungenannt, im Hintergrund. Nur hin und wieder taucht sie als ein Ich auf. Erst im letzten Drittel des Romans erfährt man ihr persönliches Schicksal. Die Geschichte beginnt mit ihrem Ururgroßvater, der mit einem geheimnisvollen Schokoladenrezept den Reichtum der Familie begründete. Seine Tochter Stasia erbt das Rezept, das sie wiederum nur an eine Frau aus der Familie weitergibt. Der Roman konzentriert sich hauptsächlich auf die Frauen der Familie, die alle sehr eigenwillig und selbstbewusst sind. Als Gegenspieler fungiert Kostja, der eine glänzende Karriere in der russischen Marine macht und sich als Familienoberhaupt geriert. Haratischwili berichtet über Folter, Bestechung, Bespitzelung in der sowjetischen Diktatur. Wie die Menschen entweder von Angst geleitet sich unterordnen oder aufbegehren. Es sind eher die Frauen, wie etwa die Sängerin Kitty, die sich aufbäumen und trotz erlittener Folter stark bleiben und sich ein Leben im Ausland aufbauen. Aber das Trauma, das sie und alle anderen Frauen des Romans erleben, prägt sie und ist unauslöschbar. Vielleicht wird die 13-jährige Brilka als erste dieses Trauma auflösen. Für sie schriebt die Icherzählerin die Geschichte der Familie auf. Offen bleibt, was Brilka mit diesem Wissen machen will. Deshalb endet der Roman mit Leerseiten.

Haratischwili ist eine Erzählerin, die weiß, wie sie ihre Leser durch die 1.300 führen muss, ohne dass diese den Atem und die Lust am Weiterlesen verlieren. Zu Anfang jedes Kapitels listet sie das politische Weltgeschehen, im Besonderen aber die Ereignisse in Georgien in einer kühlen, unpersönlichen Faktensprache auf, um danach auf die Ereignisse der Familie einzugehen. Sofort ändert sie Stil und Temperatur, sie erzählt warm, poetisch, manchmal zu poetisch von den Frauen, ihren Versuchen, sich vom Trauma der Geschehnisse freizukämpfen.

Achtung – es droht Suchtgefahr! Man stürzt in das Geschehen hinein, kann nur mit Mühe aufhören zu lesen! Am besten, man gönnt sich einige Urlaubstage, um ungestört in das Leben dieser starken Frauen eintauchen zu können.

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Christoph W.Bauer: Niemandskinder. Haymon- Verlag

Bücher über Kriege, Nachkriegszeiten und Terror überschwemmen den Markt. Da fällt der Roman von Christoph W. Bauer zunächst positiv auf. Er „erzählt“ von den Niemandskindern, die als Väter französische Soldaten hatten und von den Einheimischen mit Verachtung gestraft und mit Böswilligkeiten verfolgt wurden- Ein Thema, das hochaktuell ist. Viele – jetzt längst schon Erwachsene – suchen heute per Internet oder Fernsehen ihre Erzeuger.

Chrisoph W. Bauer kann sich nicht entschließen, ob er das Thema als Historiker oder als Schriftsteller behandeln soll. Er macht es sich und dem Leser nicht leicht, switcht zwischen Zeiten, Orten und Personen, dass man ihm kaum und nur ungern folgt. Die „Handlung“ – soweit nacherzählbar:

Der Icherzähler ist in Tirol aufgewachsen, entflieht dem engen und stockbürgerlichen Innsbruck, lebt in Paris, erlebt eine intensive Liebe mit einer jungen Frau, die wahrscheinlich – so genau wissen er und der Leser es nicht – marokkanische Wurzeln hat. Sie genießen ihr Leben in der Banlieue von Paris. Leben von dem wenigen Geld, das sie verdient. Er redet nur – von einem Roman, den er schreiben wird, aber nie beginnt. Dann zerbröselt die Beziehung. Man bekommt mit, dass der Icherzähler Karriere an der Uni in Innsbruck macht. Ihm fällt ein Foto in einem Zeitungsartikel von Marianne, einer ehemaligen Freundin aus Kindheitstagen, in die Hände. Sie sei seit Jahren spurlos verschwunden. Er macht sich auf die Suche. Sucht zugleich auch nach seiner ehemaligen Paris-Geliebten. Nun wird die Geschichte immer wirrer. Marokkanische Soldaten als Zeugungsväter kommen ins Spiel. Alles sehr unklar. Man liest das Buch zu Ende, weil man wissen möchte, was unter dem Strich herauskommt. Und ist verärgert, weil ein wichtiges Thema vergeigt wurde. Besatzungskinder und deren Mütter hätten entweder eine reine Dokumentation oder einen Roman auf Basis klarer Strukturen verdient.

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Andrea Jonasson und Roland Koch lesen Tolstoi, Anna Karenina.

Ort: Gläserner Saal, Musikverein. Musikalische Begleitung: Alexander und Konstantin Wladigeroff. Konzept und Dramaturgie: Angelika Hager.

Andrea Jonasson (Bildrechte: Sepp Gallauer/CPS Austria)

Roland Koch (Bildrechte: Bernhard Uhlig)

Angelika Hager gelang das schier Unmögliche: Sie schrieb eine ideale Lesefassung des mehr als tausend starken Romans, den Rosemarie Tietze neu übersetzte. Dabei konzentrierte sich Angelika Hager auf die Liebe zwischen Anna und Wronskij. Die Geschichte von Kitty und dem Gutsbesitzer Ljewin ließ sie außen vor. Kitty wird nur erwähnt, um Wronskij zunächst als leichtsinnigen Bonvivant zu charakterisieren, der dem Mädchen den Hof macht, ohne auch nur im Geringsten an eine Heirat zu denken.

In inneren Monologen, die aus subtil angedeuteten Gesten plötzlich Realität werden, lassen die beiden Vollblutschauspieler Andrea Jonasson und Robert Koch die Leidenschaft aufglühen, zeichnen ein Bild der verlogenen, verknöcherten Gesellschaft in Moskau des 19. Jahrhunderts auf. Eine Gesellschaft, deren Spott und Verachtung Anna zu spüren bekommt, während Wronskij unattackiert bleibt und sein Leben in der Öffentlichkeit fast wie früher leben kann. Die Bösartigkeit und die immer schwächer werdende Liebe Wronskijs treiben Anna in den Selbstmord. Sie wirft sich vor einen Zug.

Andrea Jonasson ist Anna Karenina, im Aussehen elegant, in der Stimme erotisch, verliebt, reuig, verzweifelt und zerstört. Roland Koch ist zunächst ein brillanter Fraueneroberer, dem man den Erfolg in der Gesellschaft abnimmt. Aber auch einer, der aus Liebe zu Anna die militärische Laufbahn aufgibt und mit Verantwortungsbewusstsein diese Beziehung lebt. Und auch einer, der verzweifelt, als er merkt, dass Langeweile und manchmal sogar Hass seine Liebe zu Anna zerstören und er seine Abneigung nicht mehr verbergen kann. Beide lesen, nein spielen diese leidenschaftlich Beziehung ohne Pathos, aber mit einer Intensität, die den Zuschauer voll in das Geschehen mit einbezieht.

Die beiden bulgarischen Musiker Konstantin und Alexander Wladigeroff begleiten und untermalen das Geschehen mit subtilen musikalischen Einfällen. Ein Abend, den man gerne ein zweites Mal erleben möchte. Wo und wann?

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Jonas Kaufmann im Wiener Konzerthaus.

Im Rahmen der Reihe „Great Voices“ sang Jonas Kaufmann Lieder aus Strauß-Operetten und Wiener Lieder. An seiner Seite: Rachel Willis Sorensen. Begleitet wurde er von der Prager Philharmonie. Dirigent: Jochen Rieder.

Ungeduldig wartete das Publikum auf Jonas Kaufmann. Nervöses Gemurmel: Er wird doch nicht absagen. Als er dann kam, entschuldigte er sein spätes Erscheinen damit, dass er über die Fernsehübertragung verärgert sei. Wie? Das sagte man ihm nicht? Es sei das erste Konzert zu Beginn einer langen Tournee. Da hätte er lieber zwangloser gesungen, meinte er.

Im ersten Teil standen Johann Strauß Operetten mit Liedern aus „Eine Nacht in Venedig“, „Die Fledermaus“, „Die Tänzerin Fanny Elssler“ und „Wiener Blut“ am Programm. Mag es nun der Verärgerung geschuldet sein oder dem allzu lautem Orchester, das Jochen Rieder eher marschmäßig dirigierte – Kaufmann und seine Sopranistin Willis-Sorensen kamen nicht so richtig in Fahrt. Im „Uhrenduett“ aus der Fledermaus war Kaufmann stimmlich zwar voll da, aber wirkte ein wenig gekünstelt. Willis Sorensen konnte die Szene auch nicht richtig auflockern. Ihr Sopran wirkte hart.

Nach der Pause

Nach der Pause war Kaufmann in voller Form, das Publikum bejubelte ihn. Nicht nur, weil er das Wienerische so gut drauf hatte, als wäre er hier aufgewachsen. Er strahlte vor Selbstsicherheit und Fröhlichkeit, ließ den Schmelz seiner Stimme ins Publikum strömen. „Im Prater blüh´n wieder die Bäume“, „Wien, du Stadt meiner Träume“ – man glaubte ihm einfach alles, fühlte sich fortgetragen vom „Wiener Schmäh“ und den darin verheißenen Glücksmomenten. Der Sopranistin Willis Sorensen gelang ein zauberhaftes „Vilja, Waldmägdelein“ – und so waren alle glücklich. Jonas Kaufmann beschenkte sein begeistertes Publikum mit fünf Zugaben, u.a. „Schenkt man sich Rosen in Tirol“, „Sag beim Abschied leise Servus“, „in einem kleinen Café in Hernals“ und dann noch: „Der Tod, des muss a Weana sein“.

Bürgermeister Ludwig überreichte dem Tenor den goldenen Rathausmann, weil „Kaufmann mit seinen Liedern die Schönheit Wiens in die Welt hinaus trägt“.

Das nächste Konzert der Reihe „Great Voices“ im Wiener Konzerthaus findet am 14. November 2019 statt. Man darf sich auf Juan Diego Flórez freuen!

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Gianrico Carofiglio: Drei Uhr morgens.

Folio Verlag. Aus dem Italienischen von Verena von Koskull

„Wann hattest du deinen ersten Sex, Vater“ fragt der knapp 18-jährige Antonio seinen Vater.

Antonio war Epileptiker und muss auf Anraten des behandelnden Arztes einen Stresstest machen: Er soll zwei Tage und zwei Nächte ohne Schlaf verbringen. Sollte er in dieser Zeit keinen Anfall bekommen, dürfe er sich als geheilt betrachten. Ausgerechnet in Marseille muss Antonio, begleitet von seinem Vater, diese Zeit durchstehen. Marseille in den frühen 80er Jahren ist nicht gerade eine sichere Stadt, schon gar keine Touristenstadt. Dennoch marschieren Vater und Sohn angstfrei durch die Tage und die Nächte. Dabei kommen sie sich näher, stellen Fragen, die sie im normalen Alltag nicht gestellt hätten. Bis zu diesem Zeitpunkt hat ja Antonio seinen Vater nur als Abwesenden erfahren. Nun sind beide offen füreinander. Die forcierte Wachheit macht beide wach für das Gegenüber und auch wach gegenüber Fremden. Sie lernen Menschen kennen, die sie niemals sonst angesprochen hätten. Dass sein Vater außer ein genialer Mathematiker auch ein ausgezeichneter Jazzpianist ist, erfährt Antonio in einer Jazzspelunke. Er ist stolz auf seinen Vater. Zwischen den beiden entsteht Vertrauen und Vertrautheit, was für beide ein beglückendes, neues Erlebnis ist. Am Ende dieser intensiven Zeit erfährt Antonio, dass er sich als geheilt betrachten kann. Beide kehren zurück nach Paris. Wenige Monate später stirbt der Vater. Beide hatten gedacht, sie hätten noch viel Zeit, um weiterzureden.

In einer klaren, unaufgeregten Sprache schildert Carofiglio diese intensive Begegnung von Vater und Sohn. Langsam und behutsam führt er die beiden zueinander, ganz ohne emotionalen Kitsch, dennoch tief berührend.

Gianrico Carofiglio, geboren 1961 in Bari, seit 2007 Antimafiastaatsanwalt, ist ein großartiger Erzähler. Von der ersten Zeile an folgt man dieser fein gewebten Seelen-Textur, die er vor dem Leser ausbreitet.

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Angelo Branduardi am 1. November im Konzerthaus!

Alle Italienfreunde, die in 80er, 90er Jahren mit Begeisterung die Cantautori hörten, sollten das Konzert von Angelo Branduardi nicht versäumen. Wir erinnern uns an die heitere Melodie von „Pulce D`Aqua“ oder „La Luna“ . Dem leicht melancholischen Minnesänger flogen und fliegen alle Herzen zu, sobald er zur Gitarre greift und mit seiner sanft, schmeichelnden Stimme über die Liebe, die Schönheit der Natur, die wir gerade im Begriff sind zu zerstören, singt.

Begleitet wird er von Antonello D`Urso, Gitarre, Stefano Olivato, Bass, Fabio Valdemarin, Keybord, Davide Ragazzoni, Schlagzeugg.

Alle Auftrittstermine:

29.10.2019 Linz, Brucknerhaus

30.10. 2019 Graz, Stefaniesaal

01.11. 2019 Wien, Konzerthaus

02.11. 2019 Salzburg, Congress . Alle um 19.30h

http://www.angelo-branduardi.at

http://www.angelobranduardi.it

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„Der Vorname“ Französische Hitkomödie in den Kammerspielen.

„Unser Sohn wird Adolphe heißen“ – mit dieser Ankündigung schockt Vincent Larchet seine Freunde, die zu einem Abendessen bei Elisabeth und Pierre Garaut zusammentreffen. Darf man seinen Sohn so nennen? – Mit dieser Frage entzünden die Autoren Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière ein komödiantisches Feuerwerk der Sonderklasse. Mach- und Gangart der Komödie erinnert stark an Jasmine Rezas Stück „Der Gott des Gemetzels“: Man führt zu Beginn höfliche, in unserem Fall freundschaftliche Konversation. Alle Beteiligten haben beste Manieren und sind einigermaßen gebildet. Doch die Hülle fällt bald. Darunter schießt Schadenfreude an der Blamage des anderen hervor. Alle und alles wird aufgedeckt, ohne Rücksicht darauf, wie sehr man einander verletzt. Höhepunkt der „Aufklärungs- und Wahrheitscampagne“: Der schüchterne Claude gesteht seine Liebe zu der (auf der Bühne nicht anwesenden) Francoise, Mutter von Vincent und der Gastgeberin Elisabeth. Mehr als zwanzig Jahre Altersunterschied – der Gedanke ist für Vincent unerträglich. Seine Mutter hat ein Verhältnis mit seinem gleichaltrigen Freund! Wütend fällt er über ihn her.(Es ist anzunehmen, dass die bekannte Liebesgeschichte zwischen Macron und seiner Lehrerin zu dieser Wendung in der Komödie Pate stand)

Gegen Ende muss sich die Szene so weit abkühlen, dass das bürgerliche Wohlverhaltenbild wieder hergestellt ist. Doch die Wunden, die geschlagen und empfangen wurden, werden nicht so rasch verheilen. Aber gut erzogene Erwachsene werden sicher zur Tagesordnung übergehen, als wäre nichts gewesen.

Eine gut geschriebene komödiantische Satire auf die bürgerliche Gesellschaft.. Exzellent gespielt: Michael Dangl als Vincent Larchet spielt den verwöhnten, von allen Mädchen, später Frauen bewunderten Sonnyboy, der mit viel Hinterfotzigkeit die Freunde und Eheleute gegeneinander ausspielt, bis er selbst seinen Teil abbekommt. Susa Meyer ist die gestresste Hausfrau, die ihrem Ehemann endlich all ihren Frust entgegenschleudern darf. Herrlich ihr Abgang mit der Weinflasche in der Hand und dem Götzzitat im Mund! Ihr Ehemann (Markus Bluhm) bekommt von alles Seiten sein Fett ab, wird als Geizhals und lästiger Besserwisser abgestempelt. Schön langsam wird aus dem gebildeten Literaturprofessor eine ziemlich verunsicherte Existenz. Der fast bis zum Schluss schweigende Musiker und Freund aller Anwesenden (Oliver Rosskopf) bekommt gegen Ende des Stückes seinen Auftritt, als er von seiner Liebe zu der um Jahrzehnte älteren Francoise, Mutter von Vincent und Elisabeth, erzählt. Damit Vincent nicht all zu sehr der Kamm schwillt, dafür sorgt seine Freundin Anna (Michaela Klamminger) bravourös.

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Familie Flöz: Teatro Delusio im Theater Akzent

Si waren wieder da! Die genialen Masken der Familie Flöz. Voriges Jahr begeisterten sie das Publikum mit „Hotel Paradiso“, nun also mit der Produktion „Teatro Delusio“.

Die Familie Flöz ist eine internationale Theatercompagnie mit Sitz in Berlin. Sie spielen mit Gesichtsmasken, die obwohl starr, doch immer wieder Gefühle zeigen. Die kommen von den Spielern hinter den Masken. Es genügen kleinste Gesten, ein zartes Rucken mit dem Kopf – und schon versteht man: Diese Figur ist traurig, traurig über ihr Versagen. Dazu die Statements der Familie Flöz:

„Wir glauben, dass Masken eine ebenso universale wie geniale Erfindung des Menschen und untrennbar mit dem Theater und uns selbst verbunden sind. Wir glauben, dass das Scheitern im Leben die heimliche Hauptrolle spielt. Deshalb versuchen wir, dem Scheitern in unserer Arbeit einen wichtigen Platz einzuräumen.“

„Teatro Delusio spielt hinter der Bühne. Unsichtbar, hinter einer Bretterwand, hört man Musik aus diversen Opern und Applaus. Drei Bühnenarbeiter, der lange Ungeschickte, der kleine Angeber und der Dicke Aufpasser und Wichtigtuer mischen sich unter die Bühnenfiguren, die sich für ihren Auftritt oder den Endapplaus vorbereiten. Was dabei alles passiert, ist von einer tragischen Komik, wie man sie anderswo noch nie sah. Wenn der lange Ungeschickte sich in eine Balleteuse aus dem „Schwanensee“ verliebt und die beiden in der Klamottenkiste verschwinden, um sich ungestört dem Liebesspiel widmen zu können. Wenn der Ungeschickte, immer wieder vom Dicken attackiert, sein Felltierchen aus der Kiste holt und die beiden in seinem Heft lesen. Am Ende ist das arme Vieh dann tot. In unzähligen Szenen werden Eitelkeit, Bösartigkeit und auch die Liebe, Bewunderung in schneller Abfolge karikiert, immer mit dem verzeihenden Blick auf den Menschen an sich. Drei Darsteller schaffen die Illusion, dass sich an die dreißig Figuren auf der Bühne bewegen. Ein Kunststück der Sonderklasse. Und das alles ohne Worte!

Begeisterung beim Publikum!! Bitte bald wieder kommen!

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Choreographien von Forsythe, Van Manen, Kylián.

Wiener Staatsoper. Im Bild: Esina und Feyferlik in „Trois Gnossiennes“

ARTIFACT SUITE

CHOREOGRAFIE: FORSYTHE ZUR MUSIK VON BACH UND GROSSMANN – HECHT

Forsythe nannte die „Artifact Suite“ eine Ode an das Ballett. Fernab von den Hebefiguren, Pirouetten und Sprüngen des klassischen Balletts bewegen sich die Tänzer in extremen Streckungen und Dehnungen in den Raum hinein, als wollten sie ihn in seinen Dimensionen austesten. Dadurch entstehen neue Konstellationen, verblüffend meist. Nur hin und wieder schimmern klassische Ansätze durch. Zwei Paare (großartig: Nikisha Fogo und Jakob Feyferlik mit überschäumendem Jugendtemperament , Nina Polaková und Roman Lazik in verlangsamtem Ernst) werden eingerahmt, kommentiert von einer im Saal trainierenden Ballettgruppe. Dabei entstehen die witzigsten Bilder, wenn etwa die Gruppe nur mit den Beinen einen Lattenzaun bildet oder wie Körperuhren die Zeit anzeigt. Vieles daran erinnert an Bilder und Einfälle von Oskar Schlemmer. Als Überraschung fällt immer wieder einmal der Vorhang. Doch das Publikum ist gewitzt und weiß, es ist noch nicht zu Ende. Zur fast metronomartig wirkenden Klaviermusik von Grossmann-Hecht, die übergangslos eingespielt wird, bewegen sich die Tänzer in einem immer gleichbleibenden Bewegungsablauf, was bald eintönig wirkt.

TROIS GNOSSIENNES

CHOREOGRAPHIE: HANS VAN MANEN ZUR MUSIK VON ERIC SATIE

Ein Höhepunkt dieses Abends: Olga Esina und Jakob Feyferlik in einem Geschlechtertanz. Kalte Annäherung, ohne Emotion zunächst, erst als er sie wie eine Trophäe vor sich her trägt, entsteht leise Erotik. Das ist hohe Kunst: In dieser kalten Beziehungsgeschichte Annäherung zu tanzen! Olga Esina ist eine stilsichere Ikone des Balletts und Feyferlik ihr kongenialer Partner. Beide meistern diese Passagen ganz meisterlich!!

SOLO

CHOREOGRAPHIE: HANS VAN MANEN ZUR MUSIK VON BACH

Es darf gelacht werden! Masayu Kimoto, Richard Szabó und Dimitru Taran fegen wie ausgelassene Gassenbuben über die Bühne, wollen einander übertreffen und prahlerisch beeindrucken. Bewegungen aus der Commedia dell’Arte unterstreichen die Komik.

PSALMENSYMPHONIE

CHOREOGRAPHIE:JIRI KYLIÁN ZUR MUSIK VON STRAWINSKY

Rote Teppiche an der Hinterwand der Bühne und hochlehnige Sessel (Bühne: William Katz) zitieren einen Kirchenraum. Zu den schweren Klängen der Musik, begleitet von den Zitaten aus den Psalmen, schreiten die Tänzer langsam den Sakralraum aus, demütig einen Gott anbetend. Szene und Musik erinnern an Carl Orffs „Carmina Burana“ – monumental die Musik, monumental die Frage nach dem Wesentlichen, ausgedrückt in langsamen Bewegungen.

Alles in allem: Eine sehr beeindruckende Ensembleleistung. Durch diese revolutionierenden Choreographien wurde das Ballett von der Vergangenheit, in der die Ästhetik der Bewegungen bestimmend war, in eine neue Ära geführt.

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Eugène Ionesco: Die Stühle. Akademietheater

Der beste Ionesco, einen besseren findst du nit!

Was für ein Komödiantenpaar! Maria Happel und Michael Maertens in gewohnter Höchstform. Sie genießen ihre Übertreibungen, ihr Spiel mit dem blanken Unsinn! Erinnerungen steigen auf: Maertens klettert auf eine hohe Leiter, um auf das Meer zu schauen. – Becketts „Endspiel“ – auch da stieg er die Leiter rauf und runter, um über das Meer – ist gleich das Leben, das es nicht mehr gibt – zu berichten. In beiden Stücken leben die Protagonisten auf einer öden Insel, umgeben vom öden Meer.

Vor vielen, vielen Jahren sah ich „Die Stühle“ in Paris: da war es ein tragisch-trauriges Stück. Zu lachen gab es nichts, eher zu weinen. Weinen über die beiden Alten, die sich mit unsichtbaren Gästen unterhalten, sich noch einmal, bevor sie sich in Nichts auflösen, Bedeutung zuschreiben wollen. In Erinnerungen, Streit und blanken Unsinn sich überschlagen.

Jetzt: Eine Slapstick-Komödie. Ein Unsinn, Widersinn jagt den anderen. Sätze ohne Sinn, ausgefüllt und erfüllt mit Leben durch die komödiantische Kunst der beiden Protagonisten: Maria Happel in ihrem Riesenrock mit rot-weißem Petticoat, einem aus dem Bustier überquellenden Busen, das Gesicht puppenhaft im Stil der 20er Jahre geschminkt, und einer Perücke, die jedem Friseur Ehre macht, weil so unglaublich unwahrscheinlich, ist eine bezaubernde Semiramis. (Kostüme Margit Koppendorfer). Michael Maertens als ihr Ehemann hinkt in Altherrenhosen, die hoch bis zur Brust reichen und durch Hosenträger gehalten werden, über die Bühne. Wenn er in Selbstmitleid zerfließt und nach seiner Mama ruft, dann darf er sich auf den Knien seiner Semiramis hockend, wie ein Baby von ihr trösten lassen und genüsslich an ihrem Busen grapschen. Eine Szene, die man so schnell nicht vergessen wird!

Die beiden haben 70 Jahre Ehe hinter sich. Der Glanz ist ab, er jedoch braucht Bewunderung, will seine Weisheit und Lebensphilosophie den Gästen durch einen Redner verkünden. Für diese nicht existierenden Gäste, schleppt Semiramis Stühle. Wie sie das macht, ist Komödie pur! Er macht Konversation, stellt die Gäste einander vor. Beide versinken in ehrfürchtige Bücklinge, als sogar der Kaiser sich ankündigt. Während Ionesco die beiden Selbstmord begehen lässt, ändert das Regieduo Peymann/Haußmann das Ende: Die beiden Alten entschwinden Hand in Hand in einem Nebel des Glücks. Irgendwie tröstlich steigen zwei rosa Luftballons auf. Ein letztes Zeichen der Poesie des Unsinns.

Weniger passend ist der Schluss: Der lang erwartete Redner erscheint dann doch, latscht verlegen über die Bühne, spuckt ein paar unverständliche Laute aus und schreibt „Adieu“ auf die Bühne. Mavie Hörbiger fühlt sich in dieser Rolle sichtlich nicht wohl.

Dieser Abend ist dann doch irgendwie ein „Adieu“, ein Abschied von Peymann als Regisseur. Ihn wird man unter Kusej nicht mehr erleben. Fein, dass er in der Josefstadt ein neues Zuhause gefunden hat.

Bravorufe und lang anhaltender Applaus für das großartige Duo Happel/Maertens. So viel Vergnügen wird man wohl kaum in nächster Zeit an der Burg erleben können. Da erwartet uns schwere Kost. Daher: „Die Stühle“ nicht versäumen!

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Ferenc Molnar, Liliom. Salzburger Festspiele 2019

Jörg Pohl als Liliom und Maja Schöne als Julie waren die ideale Besetzung: hineingeworfen in eine ratlose Armut und Hoffnungslosigkeit klammert sich Julie an ihre Liebe zu Liliom. Dem fehlt die Sprache, um ihr seine Liebe zu gestehen. Auch die Gesten. In seiner Ratlosigkeit schlägt er sie. In stumpfsinniger Hilflosigkeit sucht er nach einer Geldquelle, um Julie und das Kind, das sie erwartet, durchzubringen. Der geplante Raubüberfall geht schief und Liliom ersticht sich. Ein Himmelsgericht schickt ihn nochmals auf Erden, um Liebe zu „lernen“. Der Lernversuch will nicht ganz gelingen.

Molnars Drama wurde von Alfred Polgar in Wienerische übertragen und übersetzt. Seither ist Liliom ein Wiener Strizzi aus dem Prater. Der Regisseur Kornél Mundruczo jedoch löst Figuren und Umgebung aus diesem üblichen Umfeld, siedelt die Handlung zwischen irgendwo hier und irgendwo dort oben an, mag sein im Himmel, den er mit den den komischesten Figuren bevölkert. Schwule, Beamte der Sonderklasse aBallettschwäne und anderes „witziges“ Volk. Es ist ganz offensichtlich, dass Mundruczo Scheu vor der Sozialromantik des Stückes (harter Bursche, aber innen weicher Kern) hat und deshalb zu ironisierenden Mitteln greift. So lässt er gleich zu Beginn die Bühne von Robotergreifarmen bestücken. Minutenlang „tragen“ sie Bäumchen für Bäumchen auf die Bühne, auch der Mond darf nicht fehlen, in dessen Licht sich Julie und Liliom küssen. Man schmunzelt, doch die Szenen bleiben außen vor – dem Herzen. Irgendwie kalt sieht man dem Geschehen zu. Erst als die Hauptszenen, in denen sich Liliom zwischen einer Rückkehr zu Frau Muskat (hervorragend gespielt von Oda Thormeyer) oder einem Leben mit Julie entscheiden muss, auf der Videowall groß eingespielt werden, greift das intensive Spiel zwischen den Dreien. Da kommt der Regisseur dem Kern des Stückes, der Aussage, die Molnar intendierte, ziemlich nahe.

Ratlos entlässt der Regisseur die Zuschauer am Ende: Liliom darf auf die Erde zurück. Er übt als unsichtbarer Liliom mit seiner Tochter Schnurspringen. Die Nagelprobe und der zentrale Satz Julies bleiben aus. „Es ist möglich, mein Kind, dass einem jemand schlägt, und es tut gar nicht weh.“ Durch die Streichung und Änderung der Schlussszene tilgt der Regisseur die zentrale Aussage Molnars: Liebe kann vieles verzeihen. Aber natürlich – im Zeitalter der Metoo-Hysterie ist so ein Gedanke völlig absurd.

Zusammengefasst: Tolle Schauspieler, witzige, manchmal nur schwer deutbare Regieeinfälle, die allzu häufig ausufern.

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Arthur Schnitzler: Anatol. Szenische Lesung im Südbahnhotel am Semmering

Für viele eine freudige Überraschung: Statt des erkrankten Michael Maertens las Joseph Lorenz den Anatol!

Daniel Keberle war Anatols „Gewissensspiegel“ Max und Gerti Drassl las/spielte die diversen Damen Anatols. Bravourös begleitet und angefeuert wurden Publikum und Darsteller von Maciej Golebiowski auf der Klarinette und Alexander Shevchenko am Bajan.

Joseph Lorenz, mit Schnitzlers Werken sehr vertraut, besonders aber mit der Rolle des Anatol, war – wie zu erwarten – der Anatol schlechthin: Melancholiker, Verführer und immer auch zugleich derjenige, der als Jagender doch der Verlierer ist. Mit der feinen Mischung aus Melancholie, Selbstzweifel und vor allem Ironie schuf Lorenz einen Anatol, wie man ihn in den letzten Jahren besser nicht erlebte. Jede feinste Regung war ihm abzulesen: Eitelkeit, Stolz auf seine Eroberungen, verletzter Stolz. Für humorige Spiegelkritik sorgte Keberle als Max. Er war nicht Stichwortbringer, sondern gleichberechtigter Motor des Geschehens. Beide spielten einander die Pointen in einem gekonnten Ping-Pongspiel zu.

Zwischen ihnen Gerti Drassl zunächst als etwas dümmlich-verliebte Cora in der Episode „Frage an das Schicksal“. Da hatte sie ja nicht allzu viel zu spielen. Schlafen, schlafen, aufwachen und von nichts was wissen. Die freche, schlagfertige Anni im „Abschiedssouper“ war ihr schon eher auf den Leib geschrieben. Großartig der Schluss: Beide wollen einander in der Fertigkeit des Betrügens übertreffen, Anatol muss erkennen, dass ihm Anni überlegen ist. Weniger überzeugte Gerti Drassl in der Episode „Weihnachtseinkäufe“ – sie tat sich schwer, die Mondäne aus Hietzing glaubhaft rüberzubringen.

In „Anatols Hochzeitsmorgen“ liefen alle drei zu Hochform auf: Anatol in seiner Verzweiflung und Angst vor der nahen Hochzeit und dem von Ilona drohenden Boykott, Ilona zuerst als schnurrend-verliebtes Kätzchen, fährt die Krallen aus und Max ist der verzweifelte Schlichter.

Das Trio spielte an zwei Nachmittagen hintereinander. Beide habe ich besucht. Vielleicht war die zweite Vorstellung noch um einen Deut intensiver. Gerti Drassl wirkte sicherer, und Joseph Lorenz konnte noch ein paar Nuancen zulegen. Aber das ist eine sehr subjektive Meinung.

http://www.kultursommer-sememring.at

Elisabeth R. Hager: Fünf Tage im Mai. Klett-Cotta

Die Groß- und Urgroßeltern behaupten sich in der Literatur. Es sind besonders die Autorinnen, die sich um das Thema der alten/älteren Generation annehmen. In Renate Welsh, Die Schuhe der Großmutter und in Dacia Maraini, Drei Frauen sind es die Großmütter, die die aufmüpfige Jugend verstehen. Und umgekehrt, die rebellische Jugend versteht die „Uralten“ besser als die „Alten“ – sprich „Eltern“. Logisch, denn Großeltern haben die Freiheit, über die Rebellion der Jungen zu lächeln. Meist nicken sie verständnisvoll. Erziehen müssen und wollen sie nicht mehr. Das überlassen sie der mittleren Generation.

Auffallend ist, dass in all diesen Romanen der Stil nüchtern ist. Fast peinlich darauf bedacht, nicht in Kitschverklärung zu verfallen, wählen alle drei Autorinnen – auch Elisabeth Hager – eine schlichte Sprache mit hohem Poesiewert.

Hager beginnt ihre Erzählung am 8. Mai 1986. Illy soll zur Kommunion. Doch das Kleid zwickt, sie bekommt keine Luft, rennt aus der Kirche und verpasst die Kommunion. Draußen wartet ihr geliebter Urgroßvater Tat`ka. Als Ersatz für die Hostie steckt er ihr ein Pocket Coffee in den Mund – und die WElt ist wieder in Ordnung. Zehn Jahre später gerät sie in Gefahr, sie könnte auf die schiefe Bahn geraten. Tat’ka holt sie da raus. Wieder zehn Jahre später ist es Tat’ka, der ihre Liebe zu Tristan versteht. Dieser Tat’ka ist ein weiser Alter, lehrt sie das Leben verstehen. Unter anderem bringt er ihr auch den Sinn seines geliebten Handwerkes bei. Nach seinem Tod (100!) übernimmt Illy die Fassbinderei.

Eine innige Geschichte aus St. Johann in Tirol, wo die Autorin ihre Kindheit verbrachte. Jedes Wort sitzt an seinem Platz. Es wird nicht zu viel und nicht zu wenig geredet.

http://www.klett-cotta.de

David Österle: „Freunde sind wir ja eigentlich nicht“. Kremayr-Scheriau Verlag.

Untertitel: Hofmannsthal, Schnitzler und das Junge Wien.

Im ersten Teil beschreibt- nein, zählt der Autor wie ein eifriger Schüler auf, welche Dichter in den frühen Tagen um 1890 sich in welchen Kaffeehäusern zusammenfanden. Welche Leserschaft er hier ansprechen möchte, ist wohl die Frage: Denn alle, die mit der Literatur rund um die Jahrhundertwende nur ein wenig vertraut sind, fadisieren sich bei diesem Name-dropping. Wer über diese Zeit erste, grundlegende Informationen bekommen möchte, ist am falschen Lesedampfer. Überfordert von so vielen Namen ohne Konturen wird er das Buch weglegen.

Ab der Mitte wird das Werk konkreter. Österle schildert mit deutlicher Ironie, mit welch eitler Hingabe die Autoren sich selbst analysieren, vor den anderen brillieren wollen, Erfolge neiden. Kurz – es menschelt. Bis in tiefst persönliche Erlebnisse werden für die Literatur ausgeschlachtet. Schnitzler ist da besonders skrupellos: Ob er den Tod eines Kindes, Ehekrisen oder neue, junge Geliebte zu Novellenfutter ausschlachtet – Skrupel hat er keine.Hofmannsthal, Beer-Hofmann und alle anderen auch betreiben einen Kult der Schönheit, der schlicht und einfach dekadent genannt werden darf. Kämpfe der Arbeiterpartei, die pure Not in den Massenunterkünften Wiens kümmern keinen. Sie haben ja ihre Refugien in Wien und anderswo. Wie verschwommen die Wirklichkeit sich ihnen darstellt, zeigt Klimt in der Reihe der „Fakultätsbilder“ mit der Darstellung der Philosophie: Die Göttin, die Weisheit, Klarheit schaffen soll, schwebt in einem verschmurgelten Rauch von Gesichtern und Leibern in die Höhe. Wirklichkeit bleib uns ferne – so mag wohl das Credo dieser Künstlergeneration um 1900 gelautet haben.

Schade, dass David Österle diesen kritischen Faden nur hin und wieder aufleuchten lässt. Da wäre das Buch um einiges spannender geworden.

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Gerhard Roth, Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier. S. Fischer

Es hat schon Tradition, in Venedig sterben zu wollen. Thomas Mann hat den „Tod in Venedig“ in höchste literarische Form gegossen. Seither wird das Klischee der morbiden Stadt immer wieder bemüht. Leider ist Venedig ja selbst zum Sterben verurteilt. Warum schreibt eigentlich kein Autor einen Text über den Tod Venedigs?

Gerhard Roth zeichnet seinen Protagonisten Emil Lanz als müden Typen. Als Lebensmüden. Seine ewig gleichen Wege am Lido mag er nicht mehr gehen. Verständlich, denn am Lido reizt nichts die Phantasie an und erfrischt nichts das Denken: Ein Strand, voll mit Schirmen, Menschen in Liegestühlen, horrible Betonkonstruktionen aus den 60er Jahren, deren Zweck sich nicht mehr erschließt , und seit Jahren geschlossene Nobelhotels. Lanz beschließt zu sterben. Aber nicht auf dem Lido – der ist ihm als Sterbeort doch zu banal. Er fährt nach Torcello, ein Kleinod unter den Inseln, wenn nicht gerade Touristenhorden darüber trampeln. In der Basilica Santa Maria Assunta betrachtet er noch einmal das Goldmosaik über das „Jüngste Gericht“. Die Teufel sind aktiv…Er beschließt, sich einen ruhigen, stilvollen Platz zum Sterben auszusuchen. Die Pistole ist in seiner Jacke wohl verwahrt. Doch leider schläft er sturzbetrunken ein, bevor er sich erschießen kann. – Gerhard Roths Humor ist wahrhaftig teuflisch!

Als Lanz erwacht, wird er Zeuge eines Mordes und weiß nicht so recht, ob er noch lebt oder sich schon ins Jenseits befördert hat. Dieses Gefühl der Unsicherheit, des Schwebens zwischen Realität und eventuellem Jenseits verlässt ihn nun nicht mehr – auch den Leser nicht, der in gleicher Weise wie der Protagonist verwirrt durch Venedig schwankt. Sterben will Lanz nun nicht mehr. Der Schock über den miterlebten Mord hat ihm das Leben wieder lebenswerter gemacht. Tod und Leben sind Nahkampferfahrungen. Weiter geht es nicht in Donna Leon -Manier. Denn die Aufklärung des Mordes verdünnt sich immer wieder im Strudel der sich verzweigenden Erzählstränge, wird unwichtig, um irgendwann später wieder aufgenommen zu werden. Der Roman mäandert zwischen den Gassen und Kanälen, zwischen geheimnisvollen Figuren, die aus Shakespeares „Sturm“ entlehnt sein könnten, hin und her. Ab da empfiehlt es sich, in kleinen Dosen zu lesen. Denn lange hält man die ausufernden, oft auch ermüdenden Exkursionen in Metaphysik, in unbekannte Sphären der Literatur nicht aus. Tröstlich ist der Schluss: Lanz bekommt von seinem geheimnisvollen Gönner, der ähnlich wie Prospero im Sturm die Fäden des Geschehens lenkt, den ehrenvollen Auftrag, den ganzen Shakespeare zu übersetzten. Und da schließt sich auch der Titel des Romans auf, der ein Zitat aus dem Drama „Der Sturm“ ist. Glücklich macht sich Lanz ans Werk.

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Marco Bolzano: Das Leben wartet nicht. Diogenes Verlag

Aus dem Italienischen von Maja Pflug

Dem Verlag gilt mein Dank, dass er dieses großartige Buch im deutschsprachigen Raum erscheinen ließ! Wer sich für den Süden Italiens, die Auswanderungswelle vom Süden in den Norden, insbesondere nach Mailand in den 1960er Jahren, interessiert, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Wer sich nicht dafür interessiert, sollte es erst recht lesen. Denn Marco Bolzano kann erzählen, dass einem beim Lesen Herz und Hirn aufgehen! Ein weiteres Lob gilt Maja Pflug, die diese schlichte, aber hoch qualifizierte Sprache, die nie artifiziell wird, aber sehr poetisch ist, eins zu eins perfekt ins Deutsche übersetzt hat.

Ninetto ist ein Knirps, der seine Kindheit in Sizilien verbringt, immer schon sehr kritisch denkt und sich in den ärmlichen Verhältnissen gut zurecht findet.. Sein großes Vorbild ist der Lehrer Vincenzo, der ihm die Liebe zu Gedichten beibringt und die Welt erklärt, soweit er sie selbst versteht. Als die Mutter mit einer schweren, unheilbaren Krankheit ins Altersheim eingeliefert wird, ohne Chance auf Besserung, und der Vater trinkt und das Geld verspielt, entschließt sich Ninetto mit einem ziemlich fiesen Typen nach Mailand auszuwandern, um Arbeit zu finden. Dort angekommen muss er feststellen, dass er für jede Art von Arbeit noch zu klein und zu jung ist. Aber er beißt sich durch, auch wenn er ausgenützt und ausgebeutet wird. Als er 15 ist, verliebt er sich in Maddalena, die aus Calabrien stammt. Weil sie heiraten wollen, aber vom Vater des Mädchens keine Erlaubnis bekommen, brennen sie durch. In Ninettos Heimatdorf erhalten sie eine Art „Blitztrauung“. Zurück nach Milano schuftet sich Ninetto die Seele aus dem Leib, um seiner heiß geliebten Maddalena und später seiner Tochter ein einigermaßen schönes Leben zu bieten. Was ihm auch gelingt, aber unter welchen Bedingungen! Er „verkauft“ sich als Fließbandarbeiter an die Alfa-Romeowerke – für ihn die reinste Hölle. Die nächste Hölle erwartet ihm in Gefängnis – er büßt eine jahrelange Strafe ab und kommt als fast gebrochener alter Mann heraus.

Mehr sei über den Inhalt nicht verraten. Bolzano ist ein begnadeter Erzähler, weiß, wie er Spannung erzeugt und dabei auch kluge Lebensphilosophie einflicht. Wie Perlen fügt er Satz an Satz, jeder einzelne eine Kostbarkeit, die sich gerade in der überzeugenden Schlichtheit und Echtheit, wie Ninetto die Welt erlebt und reflektiert, manifestiert. Im Nachwort schreibt Bolzano, der selbst in Mailand lebt und unterrichtet, dass er für dieses Buch viele aus dem Süden Italiens Ausgewanderte interviewt und lange Gespräche mit ihnen geführt hat. Dadurch wirken alle Figuren sprachlich und inhaltlich sehr authentisch. Ninetto durchlebt gleichsam als Leit- und Symbolfigur die Hoffnungslosigkeit und das Ausgeliefertsein der Zeit von 1960 bis knapp nach 2000, den vergeblichen Kampf der Arbeiter für mehr Rechte. die neue Einwanderungswelle der Chinesen, den Niedergang vieler Fabriken. Das Ende des industriellen Aufschwungs und das Herannahen des digitalen Zeitalters sind erahnbar.

Unbedingt lesen!!!

http://www.diogenes.ch

Tennessee Williams: Die Glasmenagerie. Akademietheater

„Jeder Mensch ist ein Kannibale“ merkte Tennessee Williams zu diesem Stück an. Es gibt sie, diese „sanften“ Kannibalen, die den anderen die Luft zum Atmen nehmen. Diesmal ist es Amanda Wingfield, die ihren beiden erwachsenen Kindern, Tom und Laura, das Recht auf ein Leben nimmt, wie sie es leben wollen: Laura -zurückgezogen, in sich gekehrt, verträumt mit ihren Glastieren spielend, Tom, der sich als Dichter und Abenteurer sieht. Das Fatale dabei ist: Amanda hat recht, wenn sie die Lebensunfähigkeit bejammert, die Aussichtslosigkeit auf Besserung der Lebensumstände. Denn Williams schrieb dieses Stück in den 1940er Jahren, und da war der Mittelstand abgemeldet, chancenlos.

David Bösch inszeniert die „Glasmenagerie“ realistisch. Laura (Viktoria Frick) ist nicht die Verträumte, wie man sie aus vielen Verfilmungen in Erinnerung hat, sondern eher die Realistische, die glaubt, einsehen zu müssen, dass sie kein Recht auf „bürgerliches Glück“ hat, sich für völlig unbegabt hält, und deshalb keine Anstrengungen macht, sich für das „Leben da draußen“ zu rüsten. Die Mutter (großartig Regina Fritsch) will das nicht wahrhaben, redet sich die Tochter schön und schwärmt ihr pausenlos von ihrer eigenen Jugend vor, als sie von zahllosen Verehrern umgeben war. Man glaubt es ihr, denn sie ist noch immer eine (verblühende) Südstaatenschönheit, charmant, eitel und völlig unrealistisch. Wie sie ihren Sohn Tom quält, an ihm herumerziehen möchte, das erinnert sicher viele Zuschauer an ihre eigene Kindheit. Eigentlich ist die Mutter die Hauptperson in dieser Inszenierung. Regina Fritsch beherrscht ihre Kinder und das Bühnengeschehen.

An einigen Stellen verbröselt sich die Inszenierung in Langeweile, wenn die drei zum Beispiel minutenlang Karten spielen, ohne miteinander zu reden. Oder wenn Sohn Tom (Merlin Sandmeyer) betrunken in der trostlosen Dachwohnung herumtorkelt, das Bild des Vaters herunterreißt und vergeblich versucht, es wieder aufzuhängen. – Das Symbol ist allzu deutlich, und man ist verstimmt.

Ob der Einsatz von Video unbedingt notwendig war, ist fraglich. Alles in allem eine Inszenierung sehr à Terre.

http://www.burgtheater,at

Wenn Andrea Breth Regie führt, weiß man, dass der Abend lang wird. Aber zweieinhalb Stunden ohne Pause – das ging über das Sitz- und Auffassungsvermögen so mancher Zuschauer weit hinaus. Noch dazu, wo sich streckenweise Langeweile einschlich. Und – was es teilweise unmöglich machte, der Aufführung zu folgen: Ab der 14. Reihe im Parkett waren ganze Passagen nicht mehr zu verstehen. Besonders schwierig war es, Ofczarek in der Rolle des bösen Bruders Bruno zu verstehen. Man konnte nur aus der Gestik und Körpersprache entnehmen, dass er ein geistig Zurückgebliebener und Bösartiger sein sollte. Was er vor sich hinnuschelte, blieb unklar. Auch andere Rollen waren streckenweise kaum zu verstehen. Man hatte das Gefühl, dass es den Schauspielern schwer fiel, den großen Raum des Burgtheaters akustisch zu füllen. Setzte sich Breth nicht bei der Generalprobe in die hinteren Reihen, um die Akustik zu überprüfen?

Gerhart Hauptmann hatte mit dem Stück seine liebe Not. Einige Male schrieb er es um, änderte den Titel und das Ende. Breths Inszenierung ist nicht gerade erhellend. Sie lässt das Ganze in einer Art Traumsequenz spielen – die Figuren sind nicht von dieser Welt: Sie stapfen durch Müll aus Geschirr, Möbeln und Papier (Martin Zehetgruber -Bühne), die Bühnenwände sind ständig in Bewegung, nur die Riesenratten aus Plastik stehen unbeweglich. Es wirkt nicht wie ein Stück aus dem Naturalismus. Die Sozialkritik, die Hauptmann ein Anliegen war, wird zum verwaschenen Symbolismus, Und die eigentliche Handlung um das entwendete Kind geht in einem Strudel von Unklarheiten unter. Den Schauspielern merkte man an, dass sie sich redlich bemühten, den Figuren Leben einzuhauchen. Die schwierigste Rolle der Frau John meisterte Johanna Wokalek recht gut. Sven- Eric Bechtolf durfte als schwadronierender Theaterdirektor brillieren. Die Ensembleleistung war insgesamt zu bewundern. Das Publikum auch. Fast alle hielten bis zum Ende durch. http://www.burgtheater.at

Andrea De Carlo: Das wilde Herz. Diogenes

Aus dem Italienischen von Petra Kaiser und Maja Pflug

Er hat es wieder einmal geschafft! Andrea De Carlo fesselt seine Leser von der ersten bis zur letzten Seite. Das Thema ist so alt wie auch klischeeverdächtig: Mara Abbiati ist eine temperamentvolle junge Bildhauerin, Italienerin. Craig Nolan ein etwas in die Jahre gekommener, aber weltberühmter Anthropologe. Engländer durch und durch. Seit sieben Jahren führen sie eine Ehe, die bereits einem eintönigen Rhythmus folgt: Die Winter verbringen sie in England. Ein paar Sommerwochen in einem gottverlassenen Dorf in den Bergen von Ligurien. In einem ziemlich ramponierten Haus, in das sich Mara in ihrer Jugend verliebt hatte. So weit der Klischeerahmen. Aber De Carlo weiß mit diesem Klischee virtuos zu spielen, zerlegt es, kaut es wieder und spuckt es verächtlich aus.

Ein heißer Sommer. Craig will kaputte Dachziegel reparieren und stürzt ein. Die Verletzungen sind nicht lebensgefährlich, aber gehhinderlich. Wie vom Himmel gefallen braust ein Supertyp (Pferdeschwanz, Tätowierungen, Muskeln überall) auf einem Supermotorrad an und bietet sich an, mit seiner Truppe um eine erstaunlich geringe Summe das Dach in wenigen Tagen zu reparieren. Klar, was kommt: Der temperamentvollen Mara, die sich schon lange mit ihrem faden Ehemann langweilt, gefällt dieser Ivo, von dem sie nichts weiß, nicht woher er kommt, woher er das Spitzenbaumaterial und die Schwarzarbeiter hat. Für Craig ist das alles ein Dauerärgernis. Er soll seine nächste Fernsehsendung vorbereiten, Artikel schreiben – aber immer wieder gehen ihm dieser Ivo und Maja durch den Kopf. Und dann brausen die beiden auch noch für einen Nachmittag ab…Mehr sei hier nicht verraten.

Stilistisch zieht sich De Carlo großartig aus der Klischeeschlinge. Seitenweise, ohne den Leser zu fadisieren, lässt er Craig menschliches Verhalten analysieren und wissenschaftliche Erklärungen für das Unverstehbare zu finden. Da steckt eine gehörige Portion Ironie und Angriff gegen verknöcherte Wissenschaft, die am Leben vorbei geht, darin! Die Geschichte zwischen Mara und Ivo lässt der Autor geschickt bis zum Schluss in der Schwebe, immer wieder unterbrochen von den einsamen Gedanken Maras und den wirren Überlegungen Ivos. So ganz nebenbei liefert De Carlo noch eine köstliche Analyse vom Leben in dem abgelegenen Dorf, von den vergeblichen Versuchen des „Fremden“, sich in dieser für ihn öden und leeren Umgebung zu beheimaten.

Unbedingt lesen!!

Nein, der Titel bezieht sich nicht, wie man vermuten könnte, auf die Kunst. Sondern auf die Berge von Plastikmüll, die auf der Biennale täglich in den Bistros produziert werden. Vom Besteck über Teller, Becher und Verpackungen diverser Salate – alles Plastik. Ich saß am Ende des Tages in einem der Cafés in den „Giardini“ und beobachtete den Arbeiter, der an die fünf Riesensäcke mit diesem Abfall füllte, und stellte mir die Menge vor, die täglich von allen Bistros zusammen anfällt. Wohin damit? Ins Meer? Verbrennen? Alles keine Lösung. Ein Vorschlag zur Verbesserung: Geschirr, das man abwaschen kann.

Nun zu den Themen. Im Arsenal. Jahrmarkt oder Kunstmarkt beliebiger Sujets? Doch einige Schwerpunkte waren auszumachen, etwa die Welt Afrikas, ihre Zerstörung, die Ängste der Menschen in sprechenden Porträts ablesbar. Umwelt- Klimaprobleme treten eher in den Hintergrund. Digitalisierung und Sex mit Robotern scheint Künstler zu faszinieren und das Publikum zu unterhalten.

In den „Giardini“ bespielt erstmals eine Frau alleine den Österreichpavillon. Provokant und aufregend sollte es werden, hieß es im Vorfeld. Wer die Arbeiten von Renate Bertlmann kennt, weiß, dass alles mit einem Schuss Ironie zu nehmen ist. So auch in ihrem Biennalebeitrag. Ihrem Lieblingsthema, Vormacht und Ohnmacht des Penis, widmet sie ganze Innenwände. Im Innenhof blühen rote Rosen aus Muranoglas, in Diagonalen angeordnet. Auf den ersten Blick nett, aber nicht aufregend, wären da nicht die aggressiven Metalldornen auf jeder Blume.

Aufregender war der Russlandpavillon. Der Regisseur Alexander Sokurow bearbeitete in eindrucksvoller Form Kunstwerke aus der Petersburger Hermitage. Im Obergeschoss zitiert er die Geschichte des Verlorenen Sohnes von Rembrandt. Im dunklen Untergeschoss belebt der Installationskünstler Schischkin-Hokusai ebenfalls Bilder von Rembrandt. Auf von ihm übermalten Tableaus bewegen sich die Figuren und geben den Bildern neue Akzente. Eine starke, sinnliche Arbeit!

Infos:

http://www.labiennale.org

http://www.vela.avmspa.it

http://www.enit.at

http://vela.avmspa.it/it

https://www.labiennale.org/en

Joseph Roth: Radetzkymarsch. Theater in der Josefstadt

Regie und Dramatisierung: Elmar Goerden

Den Roman über den Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie für das Theater zu adaptieren verlangt profundes Wissen über das Werk Joseph Roths, die Zeit und die historischen Fakten, aber ebenso viel Gespür, was im Theater möglich und wirksam ist. Elmar Goerden gelang die Umsetzung des Romans in ein Theaterstück perfekt! Durch die Einführung eines Erzählers, der kommentiert und die Gedanken der Figuren formuliert, die diese nicht auszusprechen wagen, bekommt das szenische Geschehen eine epische Erzählstruktur. Zugleich treibt Goerden seine Figuren in ein wahnwitzigen Tempo hinein – sie stolpern, rennen in den persönlichen Untergang und in den Untergang der alten Welt und der Monarchie. Vielleicht geschehen Schauplatz- und Rollenwechsel ( bis auf Joseph Lorenz und Florian Teichtmeister übernehmen alle mehrere Rollen) manchmal zu rasch. Wer mit dem Roman nicht vertraut ist, der mag manchmal Schwierigkeiten mit dem rasanten Ablauf haben.

Silvia Merlo und Ulf Stengl schufen ein fragiles Gebilde aus Papier und dünnen Holzleisten, das so schnell und leicht zusammenbricht wie die Monarchie.

Getragen wird der Abend von der intensiven Spielstärke des ganzen Ensembles. Da schwächelt nicht eine einzige Figur. Joseph Lorenz hat sich in der Rolle des Bezirkshauptmanns Freiherr von Trotta und Sipolje geradezu neu erfunden. Bisher kannte man ihn als Charmeur, Intrigant oder arroganten Ehemann. Nun also ein alter Mann, der präzise nach Reglement und Uhr lebt. Scheinbar liebeleer und einsam. Aber hinter der steifen Beamtenfassade hat er viel Liebe für seinen „patscherten“ Sohn Carl Joseph (großartig Florian Teichtmeister). Diesem Sohn „passiert“ das Leben, ohne dass er selbst viel dazu tut. Zwei Frauen (sehr wandlungsfähig: Pauline Knof) lieben ihn und bezahlen diese Liebe teuer. Er weiß von diesem Opfer nichts. Erstaunt sieht er die Welt um sich untergehen. Handlungsunfähig wird er von anderen bestimmt: Zuerst von seinem Vater, dann von den Frauen, später von den Militärkameraden. Und auch sein Tod „passiert“ ihm.

Eine besondere Doppelrolle spielt Andrea Jonasson. Als schwarz-düsterer Erzähler zu Beginn, dann als Graf Chojnicki. In einer starken Szene prophezeit sie/er hellsichtig und in verzweifelter Selbstironie den Untergang der Monarchie. Alles in allem ein interessanter und spannender Theaterabend.

http://www.josefstadt.org

Aus dem Französischem von Amelie Thoma

Gut, dass ich Slimanis Roman: „Dann schlaf auch du“ zuerst las. Sonst wüsste ich nicht, wie gut diese Autorin schreiben kann. Denn der war spannend, flott geschrieben und lieferte eine gehörige Portion Gesellschaftskritik ohne moralischen Zeigefinger. Für ihn bekam die Autorin den Prix Goncourt.

Daraufhin war ich auf den anderen Roman neugierig. Über ihn urteilten die Kritiker- wie auf der Rückseite des Covers zu lesen ist: „Slimani schrieb eine „moderne Madame Bovary“ „, sie sei „die neue Stimme der französischen Literatur“ und gar auch: „Furchtlos zieht Slimani den Vorhang auf und zeigt, was in Frauen im Stillen vor sich geht.“

Was in Adèle – der Portagonistin – vor sich geht, ist: Langeweile, Sexsucht und sonst nichts. Die Langeweile überträgt sich schnell auf den Leser. Nach der sechsten, siebten Sexszene, noch dazu ziemlich vordergründig auf Voyeurismus der Leser zielend geschrieben, beginnt man die Seiten zu überblättern. Was das Ende des Interesses bedeutet.

Adèle gehört der oberen Mittelschicht an. Ihr Mann ist Chirurg, sie haben einen sechsjährigen Sohn. Beide sind für Adèle ein Born der Langeweile. Spannend wird es erst, als ihr Mann auf ihre Sexabenteuer draufkommt und sie kurzerhand aufs Land in eine Villa verfrachtet. Dort soll sie nun die brave Hausfrau und Mutter spielen. Und – Überraschung – sie tut es. Das ist alles.

Kunsthistorisches Museum: Ganymed in Love

Inszenierung: Jacqueline Kornmüller, Produktion: Peter Wolf

Diesmal also ist die Liebe das Thema. Als Gegenentwurf zur mehr und mehr liebeleeren Welt? Oder als Nachdenkimpuls: Wen liebe eigentlich ich? Wer liebt mich? Was ist banale Liebe? Unterschiedliche Begriffe von Liebe werden szenisch, musikalisch im nicht immer klar verständlichen Zusammenhang mit dem gewählten Bild dargestellt. Was aber nicht unbedingt ein Fehler ist. Je mehr Fragen, desto intensiver das nachfolgende Nachdenken darüber. Hier nun meine persönlichen Favoriten:


Johanna Prosl „Frigide“
Foto: Helmut Wimmer

Der Text von Lize Spit zu dem Bild von Joseph Heintz „Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers“ und die intensive Spielweise von Johanna Prosl gehen unter die Haut. Allerdings kann man den Zusammenhang zwischen Bild und Performance nur erahnen. Ein Mädchen beobachtet ihren Vater, als er mit heruntergelassener Hose Pornobilder im Internet anschaut. Voller Angst schleicht sie in ihr Zimmer, der Vater geht ihr nach. Aber nicht die erwartete Missbrauchszene folgt, sondern der ein vorsichtiger Versuch des Vaters, ihr sein Verhalten zu erklären. Gut gespielt.

Ulli Maier (Foto: Funke-Stertz.de)

Ulli Maier zählt zu den intensivsten Schauspielerinnen im Josefstadtensemble. Wer sie als Maria in „Josef und Maria“ von Peter Turrini erleben durfte, weiß, wovon ich rede. Wie sie den Text von Milena Michiko Flasar zum Bild „Alte Frau am Fenster“ von Gerard Drou spielt, das hat Intensität und Tiefe. Eine alte Frau schaut auf ihr Leben zurück, nimmt Abschied von ihr lieb gewordenen Dingen. Nicht wehmütig, sondern fast zufrieden.

Mystisch und einfach schön: Gesang und Tanz von Mira Lu Kovacs vor dem Bild „Das Haupt der Medusa“ von Peter Paul Rubens.

Die Geschichte „Die Schöne und das Biest“ mag wohl Gedankenpate gewesen sein für die Interpretation des Bildes „Heilige Margarete“ von Raffael. Die Heilige blickt unerschrocken auf das fauchende Ungeheuer zu ihren Füßen. Genial, wie Martin Eberle mit seiner Trompete die Leiden, das Warten auf die Schöne (wunderbar getanzt von Manaho Shimokawa) bringt!

Zwölf Szenen und Interpretationen über die Liebe! In der Verschiedenheit liegt der Reiz dieses Abends.Weitere Vorstellungen: 29.5./ 5.6./ 15.6

http://www.ganymedinlove.at


Komödie von Richard Alfieri, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Johan Grumbrecht

Die Story folgt dem Strickmuster: Ältere Dame sucht (jüngeren) Tröster in einsamen Zeiten. Achtung Klischeegefahr! Aber: Wenn Klischee so gekonnt und amüsant gespielt wird, dann lässt man Kritik Kritik sein und lässt sich frohen Herzens vom Spiel mitreißen.

Oder beginnt nachzudenken, Parallelen zu ziehen, innerlich zu nicken. Gerührt sein, lachen, sich am Tanz erfreuen und nachher im Ballroom mittanzen – so Frau einen Tänzer findet.

Lily Harrison ist seit sechs Jahren Witwe (der Autor scheint eine innere Beziehung zur Zahl sechs zu haben). Außer mit einer lästigen alten Nachbarin hat sie keine Kontakte. Sie entschließt sich, einen Tanzlehrer ins Haus zu bestellen. Vielleicht bringt ihr der Tanz wieder Lebensfreude. Es tanzt ein vollkommen durchgedrehter Schwuler namens Michael Minetti an. Nichts passt zusammen: weder Sprache – er vulgär, sie gespreizt – noch Alter. Er zwischen 35 und 40, sie 64.

Sie „tanzen sich zusammen“ – und am Ende wird daraus Freundschaft, die sich bewährt, als Lily gegen ihren Krebs Bestrahlungen bekommt und er sich liebevoll um sie kümmert.

So weit, so rührend. Wären da nicht die beiden tollen Schauspieler: Andrea Eckert ist eine toughe, sportgestählte ältere Dame, die sich gerne elegant kleidet und vorgibt, tanzen lernen zu wollen. Zunächst mimt sie die aufmerksame Schülerin, doch blad wird klar, dass sie fast eine Profitänzerin ist. Hart gegen sich selbst, hart gegen den Tanzlehrer gesteht sie erst zögernd körperliche Schwächen ein, die sie mit Launen in den Wechseljahren abtut. Wie aus der unnahbaren Mittelstandslady eine um Freundschaft und Nähe heischende Frau wird, das ist die große Kunst von Andrea Eckert.

Markus Meyer als quirliger, überdrehter Tanzlehrer mit viel Herz ist einfach umwerfend. Wenn er seine Gliedmaßen durch den Raum schleudert, meint man, er hat Gummiknochen. Mit Bravour und viel Herz gewinnt er das Vertrauen der harten Lady. Am Ende können dann beide über ihre Probleme offen sprechen – sie über ihre langweilige Ehe mit einem Baptistenprediger, den frühen Tod ihrer Tochter, er über die Probleme, die er als Schwuler noch immer hat, über seine Mutter, die an Alzheimer erkrankte und die er bis zu ihrem Tod pflegte.

Richard Alfieri reißt einige gesellschaftliche Probleme an, aber in die Tiefe geht er nicht. Denn er will in erster Linie eine handwerklich gut gemachte Komödie schreiben, was ihm auch gelungen ist.

Nicht unerwähnt soll die Band bleiben, die sich ordentlich ins Schlagzeug legte: Leonhard Dickson am Schlagzeug, Andreas Radovan Gesang, Bass und Gitarre, Emily Stewart Percussion, Gesang und Violine, Alexander Wladigeroff Trompete, Gesang und Keyboard, Konstantin Wladigerpff Keyboard und Klarinette. Für das witzige Outfit von Markus Meyer und die eleganten Designerkleider von Andrea Eckert war Lejla Ganic zuständig. Für die flotte Regie Martina Gredler.

Viel Applaus und Bravorufe für das gesamte Team, besonders aber für Andrea Eckert und Markus Meyer.

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Raffaella Romagnolo: Bella Ciao. Diogenes Verlag

Aus dem Italienischen von Maja Pflug

Wieder einer der vielen Romane , die Familiengeschichten mit historischem Hintergrund -meist Kriegen – verbinden. Romane dieser Strickart überschwemmen seit einiger Zeit den Markt: Familiengeschichten – oft von Urgroßeltern an bis in die Gegenwart reichend-, eng verknüpft mit der Aufarbeitung historischer Ereignisse, die äußerst akribisch recherchiert wurden. Mit großer Detailliebe, um nicht zu sagen Detailverliebtheit, werden Grausamkeiten und politische Intrigen geschildert, und die eigentliche Geschichte der Familie bleibt dabei oft auf der Strecke oder verstrickt sich und mäandert durch den Roman, ohne Fuß zu fassen. Im jüngst veröffentlichten Roman „Alle, außer mir“ verknüpft etwa Francesca Melandri die Geschichte des italienischen Kolonialismus in Äthiopien mit der jüngsten Vergangenheit rund um Berlusconi mit einer ziemlich verwirrenden Familiengeschichte. Weitaus besser, um nicht zu sagen genial, gelang es ihr hingegen in ihrem Roman „Eva schläft“, die Geschichte Südtirols am Beispiel einer Mutter-Tochter -Vater Beziehung aufzurollen. Gelungen ist ihr das deshalb so gut , weil sie sich in der Anzahl der handelnden Personen auf einige wenige beschränkte und der Leser problemlos beide Stränge – Historie und Familie -gut verknüpfen kann.

Romane, die die lange Ahnentafel zum besseren Verständnis des Lesers im Vor- oder Nachwort anführen, lassen auf ein mühsames Hin- und Herblättern schließen. Wenn es dem Autor nicht gelingt, einzelne Charaktere klar herauszuarbeiten und der Leser immer wieder nachschlagen muss, von wem gerade die Rede ist, dann wird die Lektüre mühevoll.

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Wer ist wer? Und wer lebt noch?

Romagnolo erzählt in ihrem Roman „Bella Ciao“ über die schwierigen politischen Zeiten Italiens in den beiden Weltkriegen. In dem kleinen Dorf Borgo di Dentro, irgendwo in den Bergen im Piemont, erleben die Familien alle politischen Stürme, die da waren: Die Zeit der „mezzadria“, im Roman als „Halbpächter“ bezeichnet. Die mezzadri mussten den Adeligen die Hälfte der Ernte abliefern und waren der Willkür der Pächter ausgesetzt. Die Ausbeutung der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Seidenweberei und ihr vergeblicher Kampf um bessere Löhne, dann der erste Weltkrieg und der Kampf der Italiener gegen die Österreicher, die Zeit des aufkommenden Faschismus, der Untergrundkampf der Sozialisten, Kommunisten und der Partisanen gegen Faschisten und die deutsche Besatzung. Es sterben Väter, Söhne, Frauen werden vergewaltigt, Unwetter verheeren die Ernten, Hungersnot und Leid sind Alltag.

Auch für diesen Roman gilt: Weniger wäre mehr! Die Zahl der Personen verwirrt. Nur einige wenige bekommen genug Zeit und Seiten zugestanden, um das Interesse des Lesers für diese Figur wach zu halten. Zu schnell dreht sich das Rad der Erzählung von einer Zeit in die andere, vor und zurück und gleich wieder vor. Die Schilderungen der Gräueltaten nehmen viel zu viele Seiten ein. Man beginnt zu überblättern. Und das ist das schlimmste Urteil, das man über ein Buch fällen kann. Schade, denn das Thema wäre interessant.

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