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Clare Chambers, Scheue Wesen. Eisele Verlag

  • Silvia Matras
  • 9. Sept.
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Sept.


© Raymond Booth/Bridgeman Images
© Raymond Booth/Bridgeman Images

1952 wurde in Bristol in einem von Pflanzen umwachsenen Haus ein nackter Mann mit langen Haaren und Zweimeterbart entdeckt und in eine Klinik gebracht, wo er gegen Schizophrenie behandelt wurde, schreibt die Autorin im Nachwort. Sie hat die Namen aller Beteiligten geändert und die Geschichte ins Jahr 1964 versetzt, weil dieser Zeitpunkt "interessant in der Geschichte der Psychiatrie und der Gesellschaft selbst" war. Damit spielt sie wohl auf die neuen Wege in der Behandlung der Geisteskrankheiten an. Abgesehen von den Details seiner Entdeckung, sei ihre Version reine Erfindung, besonders auch die hoffnungsvolle Zukunft, die sie der Hauptfigur zuschrieb. Soweit die Autorin im Nachwort.


Wieder ein Buch über Schizophrenie und die Behandlung in einer psychiatrischen Anstalt! Dieses Thema scheint beim Publikum gut anzukommen - siehe auch in meinem Beitrag über "Die Vegetarierin" von Han Kang. Doch Clare Chambers geht es nicht um die Grausamkeiten diverser Behandlungen, im Gegenteil, sie erzählt von den intensiven Bemühungen des Chefs der Klinik, die Patienten so wenig wie möglich mit Medikamenten zuzuschütten. Was allerdings auf heftge Kritk des zweiten Arztes der Westbury Park Klinik (im Süden Londons) stößt.


Der Roman beginnt mit der Schilderung einer heftigen Liebesaffäre zwischen der Kunsttherapeutin Helen Hansford und dem attraktiven Chef der Klinik, der aber leider verheiratet ist. Doch dieser Erzählstrang ist nur "Aufputz", um das Interesse vor allem der weiblichen Leserschaft bei der Stange zu halten. Der Kern des Romans ist dafür umso interessanter: Aus einem abbruchreifen Haus, in dem man jahrelang keine Menschenseele aus- und eingehen sah, fliegen Kleider und Hausrat in den Garten und auf die Straße. Die Polizei findet einen etwa vierzigjährigen Mann, total verwahrlost. Er ist scheu und spricht nicht. Er wird in die Westbury Park Klinik eingeliefert. Dort bemüht sich besonders die Kunsttherapeutin Helen Hansford um ihn. Sie ist es auch, die sein Zeichentalent entdeckt und ihn behutsam wieder in die Welt der Sprache zurückbringt. Vorsicht und Liebe öffnen den Mann...mehr sei hier nicht verraten.

Interessant sind auch die Fachgespräche zwischen Helen und ihrem Chef Gil. Wie weit kann man ohne Medikamente behandeln, gilt es abzuwägen. Wo liegt die Wurzel des Verstummens?

Der positive Schluss ist erfreulich, wenn auch ein wenig konstruiert. Aber bei all den "Greuelromanen" rund um das Problem psychischer Erkrankungen kommen die Behutsamkeit, mit der das Thema behandelt wird, und die positive Einstellung der Autorin, die sich in der Figur der Helen Hansford spiegelt, allemal gut an.


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