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Festspiele Reichenau: Joseph Roth, HIOB

  • Silvia Matras
  • 3. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 28. Aug.

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Regie: Alexandra Liedtke. Bühne und Kostüme: Johanna Lakner. Dramaturgie: Angelika Messner. Musik: Aliosha Biz

Mit „HIOB“ wird die diesährige Festspielsaison in Reichenau eröffnet. Gleich vorweg: Die Latte wird durch diese Première für alle folgenden Stücke sehr hoch gesteckt. Denn man erlebt eine der selten gewordenen Theaterabende, die im Gedächtnis bleiben werden. Lange, noch nach vielen Jahren wird man sich erinnern, besonders an einen ganz großen Darsteller, der als Mendel Singer alles gab, bis zur Erschöpfung diese Figur durchlitt – an Joseph Lorenz! Schmerzlich musste ihn das Publikum die letzten Jahre in Reichenau vermissen. Jetzt ist er zurückgekehrt und begeisterte alle!

Doch vom Anfang an! Gleich zu Beginn kam die traurige Ansage, dass sich Wolfgang Hübsch bei der Generalprobe verletzt hatte und daher ausfiel. Seine Rollen las die Regisseurin Alexandra Liedtke aus dem Textbuch, was sich gut in das Spielgeschehen einfügte. Denn Liedtke hat sich gemeinsam mit dem Team entschieden, möglichst viel von der Originalsprache Roths beizubehalten. Und so entstand im ersten Teil eine gelungene Mischung aus gelesenen „Zitaten“ und dramatisierten Dialogen nahe am Text. Eine Vorgangsweise, die erfahrene „Reichenauer“ aus den früheren Matinéen kennen, die hauptsächlich von Lorenz gestaltet wurden – zum Beispiel „Amok“ von Stefan Zweig.

Nach einem kurzen Lesung aus Roths Brief aus dem Jahr 1930, in dem er über die schwierigen Zeiten und seine innere Zerrissenheit klagt, glitt Lorenz übergangslos in die Rolle des Mendel Singer, wurde zum Lehrer der kleinen jüdischen Gemeinde irgendwo in Galizien, der versucht die Menschen und das Leben aus der Tiefe seines Glaubens zu verstehen. Seine Frau Deborah (Julia Stemberger ganz die jüdische Mutter!) ist für die Bürden des Alltags zuständig und erträgt die Versponnnehnheit ihres Ehemannes mit Fassung. Sie schützt den schwer behinderten Sohn Menuchim vor Spott und Angriffen, sie liebt ihn mehr als ihre anderen Kinder. In diese Scheinidylle bricht das Unglück herein: Krieg kündigt sich an. Sohn Jonas (Alex Kapl) meldet sich zu den Soldaten, Sohn Schemarjah (Gregor Schulz) flieht über die Grenze, Tochter Mirjam treibt sich mit Burschen im Korn herum. All das wird im Schnelltempo, den Kapiteln des Romans folgend, erzählt, teils zitiert und/oder gelesen. Dadurch entsteht so etwas wie ein Brechtscher Verfremdungseffekt – das Publikum bleibt in Distanz zur Handlung. Erst als Lorenz als Mendel Singer in die „Rolle einsteigt“, nimmt man Anteil. Das geschieht, als Mendel Singer seinen stummen Sohn Menuchim ( der durch das Symbol eines Kinderpullovers dargestellt wird, was jedoch genau in dieser Szene störend wirkt) verzweifelt umarmt und Gott anfleht, ihn dieses Kind lieben zu lehren.

Im zweiten Teil (in Amerika) übernimmt Lorenz als Mendel die Bühne, die distanzierte Form der „Lesung“ und Zitate wird durch hochdramatisches Theater im engsten Sinn abgelöst. Deborah stirbt aus Schock und Kummer über den Tod ihres Sohnes Jonas. Als auch noch Schemarjah – der jetzt Sam genannt wird- im Krieg stirbt und die Tochter in eine Nervenheilanstalt eingeliefert werden muss – da bricht Mendels Gottvertrauen zusammen. Wie gelingt es Lorenz auf der Bühne ganz ohne äußere Hilfmittel vom noch rüstigen Mendel zum alten, gebrochenen Mann zu werden?? Mit welcher Intensität er seinem Gott das Vertrauen und den Gehorsam aufkündigt – das gehört zu den ganz großen Momenten des Theaters. Er rast, wütet, schreit seinen hilflosen Zorn gegen einen leeren Himmel und bricht zu einem fast leblsoen Bündel zusammen. Bis das große Wunder geschieht – der kranke Sohn Menuchim (ebenfalls Gregor Schulz) ist zu einem berühmten Musiker geworden. Vater und Sohn finden zueinander. Die Begegnung zwischen den beiden ist vollkommen kitschfrei, aber mit tiefer Emotionalität gespielt. Jospeh Lorenz traut sich bis an die Grenzen der inneren Gefühle wie Freude, Liebe und kindliches Wundern schauspielerisch vorzudringen. Danach Stille, bis das Publikum in Jubel und Beifall ausbricht, wohl auch, um die eigene Rührung zu kaschieren. Voller Erfolg auch für die jungen Darsteller Katharina Lorenz als Mirjam, Alex Kapl als Jonas (und zwei weiteren Rollen) und Greor Schulz als Schemarjah und Menuchim.

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