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Kultursommer Semmering ein Wochenende voller Höhepunkte: Joseph Lorenz, Andrea Eckert und Sven-Eric Bechtolf

  • Silvia Matras
  • 25. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 28. Aug.

Führte vor wenigen Tagen Joseph Lorenz durch Schnitzlers „Traumnovelle“ in die Abgründe erotischer Wünsche, sprachlich und darstellerisch unübertroffen (s. Beitrag vom 23. August 2025), so brachten am darauffolgenden Sonntag gleich zwei weitere Ikonen der Sprach-. Lied- und Schauspielkunst am Vormittag jüdische Emigationsdichtung und am Nachmittag die düstere Welt Kafkas dem Publikum näher: Andrea Eckert und Sven-Eric Bechtolf.

Andrea Eckert: Zum Weinen schön, zum Lachen bitter. Am Klavier Philipp Jagschitz, Saxophon, Akkordeon und Klarinette: Othmar Klein

Andrea Eckert ©
Andrea Eckert ©

Andrea Eckert führte in ihrem Programm durch die leid- , aber auch humorvollen Situationen der deutschsprachigen Exilliteratur. (Nach einer Idee von André Heller). Klangvollen Namen wie Ralf Benatzky, Hermann Leopoldi, Stefan Zweig, Georg Kreisler lieh sie ihre Stimme. Gefühlvoll, heiter manchmal, oft auch traurig und mit Sentiment. Voller Schwung beginnts mit Ralf Benatzkys Schlager „Im Paradeisgartl“: Franz führt seine Josefine ins Paradeisgartl, da gibts Backhendl, Lannerwalzer und vor allem ein Feuerwerk, das alle Sternderlwünsche erfüllt! Mit Schwung und gekonnter Wiener Dialektfärbung entführt Andrea Eckert in die strahlenden Augen der Josefin´, die in der Sternenwelt des Feuerwerks höchstes Glück findet.

Exil hieß Sehnsucht nach der Heimat, für manche auch Glück, überlebt zu haben. Mit viel Charme und österreichisch angehauchtem Schmäh konnte das Genie Hermann Leopoldi auch in New York überleben: Er sang einfach alle seine Texte auf Englisch – und das klang ziemlich überzeugend, wie Andrea Eckert bewies. Nicht alle Künstler konnten sich ins Exil retten. Löhner-Bedna, bevorzugter Librettist Lehars, wurde in Auschwitz ermordet. Doch seine Lieder bleiben – gewürzt mit Witz. Etwa die köstliche Klage „Benjamin, ich hab nichts anzuziehen“ – Andrea Eckert machte aus dem Text ein Minikabaretstückerl. Doch danach wurde sie ernst und las zur eigenen Ergriffenheit und vieler im Publikum den Abschiedsbrief Stefan Zweigs vor, den er kurz vor seinem Selbstmord am 22. Februar 1942 verfasste. Da blieb es eine Minute lang still im Publikum, keiner klatschte, und Andrea Eckert schämte sich ihrer Tränen nicht. Die Sehnsucht nach dem alten Europa, das es so nicht mehr geben wird, war wohl für Zweig unstillbar und zu groß. Wie sagte der Regisseur Ernst Lothar: “ Heimweh ist eine unbeachtete Krankheit.“

In dieser heiteren Wehmutsmichung führte Andrea Eckert durch ihr Programm. Einmal fröhlich, dann zum Weinen traurig schön. Und viele Male sehr ernst – wie etwa im berührenden Lied von Georg Kreisler“ Mein kleines Mädele“ oder in André Hellers Hommage an Leon Wolke, den Leiter des jüdischen „Welcome Service Vienna“. Darin heißt es: Wer Treblinka überlebt hat, fürchtet sich auf Erden nicht.“ Doch so traurig wollte sie nicht enden, daher gab es als Zugabe den flotten Song: „Bei mir bist du schen (schön)“.

Mit standing ovations dankte das Publikum für den heiter-ernsten, gerade in diesen Zeiten sehr wichtigen und mutigen Beitrag zum Frieden. Und vor allem auch den beiden Musikern Othmar Klein und Philipp Jagschitz, die mit dezentem Einfühlungsvermögen für die richtige Stimmung sorgten.

Sven-Eric Bechtolf: Franz Kafka, Ein Bericht für eine Akademie & Eine kleine Frau

Foto: Salzkammergut Festspiele Gmunden
Foto: Salzkammergut Festspiele Gmunden

Ganz ohne Vorwarnung. Nicht der kleinste Hinweis, auf das was kommt: Grunzen, unartikulierte Geräusche, ein Art dumpfes Grollen, Bellen: Der Affe durchquert das Publikum und betritt die Bühne. Man muss sich eingestehen: Der da oben als Affe agiert, hat wenig Menschliches an sich. Man vergißt, dass hinter der Affenmaske der Schauspieler Sven-Eric Bechtolf steckt. Entledigt aller menschlichen Außenmerkmale, wie zum Beispiel Rock und Hose, rudert er, in einem an Großvaters Unterhosenpyjama ähnlichen, durchgeknöpfelten Untergewand zum Rednerpult, um uns, die Mitglieder der ehrenwerten Akademie, uns Menschen mit aller gebotenen Mißachtung eines Affen für die Rasse Mensch zu begrüßen. Und erzählt uns, wie aus ihm, dem Affen im Urwald, ein Mensch wurde: Durch schlaue Anpassung, schnelles Lernen und Annahme der menshlichen Charakteristika, wie Saufen und brutalem Sex mit einer kleinen Schimpansin. Er reißt dem verstörtem (Akademie)-Publikum die Maske des Menschseins herunter. Gruselig, schrecklich wahr und urkomisch! Ja, Kafka fand im Entsetzen immer schon die Komik, das entblößende Grinsen der Menschen.

Abgelegt das Großvateruntergewand und angetan mit schwarzer, eleganter Hose, Sakko, Strohut und Stöckchen wird aus dem Affen ein Manns-Bild, das dem Kafka auf den überlieferten Fotos gleicht. Was will er denn mit der „kleinen Frau“? – Nichts, keine Beziehung bitte. Dass diese Frau an ihm hängt, obwohl sie sich nur über ihn aufregt, erzählt er ziemlich arrogant, abgehoben. Ohne Sentiment. Ob er leidet? – Vielleicht, aber Hauptsache, das alles bleibt unverbindlich, verborgen vor der Öffentlichkeit. Diesen grausamen, sich selbst analysierenden und selbstzerfleischenden Text schrieb Kafka im Todesjahr, als er seltsam glücklich mit Dora Diamant im Sanatorium Kierling „lebte“. Starkes, hochdramatisches Spiel, eingehüllt in einen dahineiernden, fast einschläfernden Text. Kafka ganz ohne Maske! Das Publikum war perplex!

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