Kultursommer Semmering: Joseph Lorenz liest Arthur Schniztlers Traumnovelle
- Silvia Matras
- 23. Aug.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Sept.

Die Welt der Erotik und des Sexlebens ist heute banal, in diversen Foren ohne Scheu dargestellt, in Single – und Swingerclubs freizügig ausgelebt. Und da kommt einer, setzt sich hin und liest die „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler. Und fesselt und begeistert alle – Mittelalter bis hohes Alter. Die Jungen nicht, weil nicht anwesend.
Schnitzler veröffentlichte das Werk 1926, geschrieben hat er es wahrscheinlich schon lange vorher. Manche Quellen geben 1907 an. Er erzählt von einem Ehepaar, mehr als gutbürgerlich. Er heißt Fridolin, sie Albertine. Beim Klang dieser eleganten Namen weiß man schon: Diese Ehe ist steril-glücklich, weil alles, was stört, unter den Teppich gekehrt wird. Oder doch nicht? Schnitzler schickt Fridolin auf einen Erotiktrip, der zunächst harmlos beginnt: Die farblose Marianne gesteht ihm unter Tränen ihre Liebe – er flieht vor Langeweile. Die jungen, ganz jungen Mädchen üben zwar einen Reiz auf Fridolin aus, aber er geht seiner Wege. Ihn treibt es in eine geheimnisvolle, von Todesgefahr brodelnde Erotik einer geheimen Szenerie. Bevor ihn dort gewaltbereite Männer in Mönchskutten umzubringen drohen, opfert sich eine Schöne dieser Nacht und er kann entkommen. Hat er das alles wirklich erlebt? Schnitzler meint, ja. Den Männern war es um die Jahrhundertwende möglich, ihre erotischen Träume auszuleben, ganz ohne Rücksicht auf Ehefrau oder geheimnisvolle Retterinnen. Die Frau hingegen: Sie durfte ihre Erotikwünsche im Traum erleben, im Traum, auf den der Ehemann dann auch noch eifersüchtig war. Messerscharf analysiert Schnitzler die Geschlechterrollen und reißt den Männern schonungslos Maske um Maske herunter.
So weit, so interessant für Leser bis Ende des 20. Jahrhunderts. Nun aber, 2025, gleicht es einem Auferstehungswunder, dass diese Novelle reüssiert! Den Erfolg verdankt sie einerseits der plastisch-subtilen Sprache Schnitzlers, vor allem aber der Darstellung von Joseph Lorenz. Er führt diesen Fridolin schonungslos vor, legt dessen geheimen Lüste bloß, schlüpft in sein gieriges, kaltes Herz. Zart, ja zärtlich skizziert er Albertine, umhüllt sie mit Traumworten und Traumgedanken. Den jungen, ganz jungen Mädchen lässt er ihre Unschuld, auch wenn sie sich verkaufen. Delikat und souverän spielt Joseph Lorenz auf der Darstellungsskala, die bei ihm vom gierig-sexuell getriebenen Mann bis zur Verletzlichkeit der Ehefrau reicht. Das macht diesem Beherrscher des Wortes bis in die letzten Tiefen so rasch keiner nach.


