Weimar: Gropius contra Goethe. Ein Bauhausbericht.
- Silvia Matras
- 29. Apr. 2019
- 5 Min. Lesezeit
Weimar istErinnerungsort. Kein Haus, in dem nicht irgendein Großer aus dem Lexikonwohnte. Goethe, Schiller – klar. Vor diesen aber schon Bach, Herder, Wieland.Nach ihnen Liszt, Nietzsche, und neuerdings reiht sich auch Walter Gropiusunter die großen Namen.
Eigentlich begann alles…
Eigentlichbegann alles mit Goethe, der in Weimar eine Bilderbuchkarriere hinlegte, vonder ein Politiker heute nur träumen kann: Vom Erzieher des jungen Prinzen zum Hofdichter, Minister für allesMögliche bis zum Hofrat und Baron. Der Fall ist klar: Goethe war ein genialerDraufgänger mit dem unwahrscheinlichen Gespür für Chancen. Als er sichentschloss, aus der Großstadt Frankfurt, wo er es bestenfalls zum dichtendenRechtsanwalt gebracht hätte, in das Operettenherzogtum Weimar zu ziehen, dasauf der politischen Bühne Deutschlands nicht einmal eine Statistenrollespielte, lachten und wunderten sich alle. Er aber wusste: In diesem Ministaatwürde er den Freiraum haben, sein Image vom pubertierenden Wertherrevoluzzerabzustreifen und sich zum Künstler mit einer Prise Erhabenheit, die man späterKlassik oder Klasse nennen sollte, zu wandeln. Dass diese Erhabenheit ihn als Büstenheros in die Vitrinen derBildungsbürgerwohnzimmer bannen wird, konnte er damals natürlich nicht ahnen.Wer weiß, vielleicht hätte ihm diese Rolle sogar gefallen.
Goethe omnipräsent in Weimar




NeuerBüstenanwärter
Anfang des20. Jahrhunderts, genauer gesagt im April 1919, meldet ein gewisser WalterGropius einen Anspruch auf Büste und Verehrung an. Noch ist es nicht so weit.Denn er ist eigentlich ein Noname: Sein Architekturstudium hat er abgebrochen,gebaut hat er auch nichts Nennenswertes. Außer der Glasfassadenbeschmückung füreine Schuhleistenfabrik in Alfeld kann er nichts auf seine „Werkliste“ setzen.Seine Ehe mit Alma (geschiedene Mahler) beschert ihm zwar Kontakte, ist aber imZerbröckeln. Wahrscheinlich war es Alma, die ihn auf die Idee brachte, sich inWeimar zu bewerben. Denn eines wollte dieses ehrgeizige Sexidol ganz sichernicht: einen unbedeutenden Ehemann in ihrer Liste der erlegten Opfer führen.
Also reistWalter Gropius nach Weimar. Zuvor informiert er sich noch ausführlich im„Deutschen Werkbund“ und im „Arbeitsrat für Kunst“, was so an neuen Ideen imUmlauf ist. Mit diesen im Gepäck gelang ihm mit Hilfe eines einflussreichenOffiziers vom alten Adel das Husarenstück, die von Henry van de Veldegegründete Kunstgewerbeschule zu übernehmen und sie unter dem Titel „Bauhaus“von 1919 bis 1925 als Direktor zu leiten. Van de Velde verließ bald darauf Weimar,er hatte eingesehen, dass er neben dem Organisations- und Redetalent Gropiuskeine Chance hatte. Gropius‘ Stärke war auch in Weimar nicht das Bauen –außer einem Entwurf für ein Kriegerdenkmal hat er nichts Handfestesvorzuweisen. Er war Direktor, der die Fäden und die Laufbahn der Lehrer – inder Bauhaussprache mit „Meister“ angeredet – und die der Schüler bestimmte. Andieser Stelle muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass fast 50% derStudierenden Frauen waren. Die aber nie – auch nicht in dem jüngst eröffnetenBauhausmuseum – so richtig gewürdigt wurden.
Flachdach gegen Giebel: Haus am Horn

Gropius weißzu überzeugen, Sponsoren und Gelder aufzustellen, um berühmte Künstler, wieJohannes Itten, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Schlemmer oder GertrudGrunow, die „Meisterin“ für Tanz und Harmonielehre, an die Schule zu holen.Schwierigkeiten spielt er mit Glanzreden oder Glanzfesten hinweg. Mag sein,dass diese Feste, bei denen es nach der Vorstellung der Weimarer unziemlichzuging, zur Vertreibung des Bauhauses beitrugen. Ein weiterer Riss ging durchdie heile Welt der Weimarer, als der Architekt Georg Muche „Am Horn“, dem Hügelüber dem Illpark, neben die honorigen Villen in neoklassizistischen Stil eineweiße Schachtel hinbaute. Noch dazu mit Flachdach! Das war Provokation pur. Mitdiesem „Musterhaus“ änderte sich die Ausrichtung des Bauhauses: Statt wievorher Handwerk und Kunst in den einzelnen Disziplinen zu vereinen, setzteWalter Gropius mehr auf industrielle Produktion. Der moderne Mensch im Aufbruchbraucht neue Wohnformen, für jeden leistbar, lautet nun die Bauhausdevise.Diesen Richtungswechsel konnten viele Meister nicht mitmachen und verließen dasBauhaus. Unter anderem Johannes Itten, der für die künstlerische Seite desBauhauses zuständig war. Als dienational-konservativen Kräfte immer stärker wurden, sah sich Walter Gropiusgezwungen, das Bauhaus mit Sack und Pack nach Dessau zu übersiedeln, wo er unddie wenigen, die ihm folgten, (vorerst) mit offenen Armen aufgenommen wurden.In Dessau manifestierte er den Spruch: „Das Bauhaus bin ich!“
Museum stattBüste
„Das Bauhausfeiert sein hundertjähriges Bestehen!“ Weimar, Dessau und Berlin übertreffeneinander mit neuen Museen und Festivitäten. Die Weimarer überlegten, was sieihren Besuchern anlässlich des Bauhausgeburtstages zeigen könnten. Die Schule –natürlich, besonders das „Gropius-Zimmer“, für das er selbst die Möbelentworfen hatte. Doch es gibt einen Haken: Man darf es fotografieren, abernicht veröffentlichen, es sei denn, man zahlt. So an die hundert Euro werdengemunkelt. Das kommt bei den Medien vielleicht nicht so gut an. Also warumnicht gleich ein neues Bauhaus-Museum. Um 27 Millionen stellte die ArchitektinHeike Hanada einen hellgrauen Betonkubus ins Feld. Auf die versprocheneGlasarchitektur wurde aus welchen Gründen auch immer verzichtet. Heike Hanadaerklärt ihr uninspiriertes Konzept so: „Indem sich der Körper nach außenabschließt, gibt er der Idee Halt. Das Gebäude selbst ist reduziert auf eineneinfachen geometrischen Körper.“ Über die Ästhetik des Bauwerkes kann manunterschiedlicher Meinung sein. Ein objektives Urteil wird erst möglich sein,wenn Erdhaufen auf der Rückseite und Baumaschinen auf dem Vorplatz verschwundensein werden und Bäume den grauen Block behübschen. Im etwas düsteren Innerenzeigt man über drei Geschoße Werke aus der Schule: Entwürfe zum Thema „Der neueMensch im Industriezeitalter“, Pläne für die Zukunftsindustrie, Keramik, Möbel,Videos mit dem „Triadischen Ballett“ von Oskar Schlemmer und natürlich dieWiege von Peter Kaler in den typischen Bauhausformen und -farben: Blauer Kreis,gelbes Dreieck und rotes Viereck. Sie wurde zum Weimar – Bauhauslogo erhoben,das nun als Fotografie die Auslagen diverser Designgeschäfte ziert.


Und welcheSpuren hat das Bauhaus sonst in dem nach wie vor von Schiller und Goetheregierten Städtchen hinterlassen? In den Werkstätten der „Bauhaus UniversitätWeimar“ wie sich die Schule heute nennt, ist Rainer Reisner Werkmeister undHerr über viele Hämmer, Zangen und Seilzüge. „Hier lernen die Studenten, mitden Händen zu arbeiten und nicht nur Computertasten zu betätigen. Das Handwerksoll hier seinen alten Stellenwert zurückbekommen“, bekennt sich Rainer Reisnerzum ehemaligen Postulat des Bauhauses. Fragt man in der Stadt nach „Alumni“(korrekter Name der Schüler) des Bauhauses, so bekommt man die Adresse derSchmuckwerkstatt von Nane Adam. Sie kreiert Ringe, deren Innenseite mitflexiblem Material ausgekleidet ist, wodurch sich der Ring denunterschiedlichen Stärken des Fingers anpasst. Ihr Motto: Funktion vor Form!Auch die Hutdesignerin und ehemalige Bauhausschülerin Claudia Köcher „baut“ihre Hüte nach diesem Motto: „Zuerst muss die Funktion stimmen. Erst wenn dieHüte perfekt sitzen. Dann kommt die Form, die ich mit meiner Fantasiegestalte.“
„Weimar hat Brennglasfunktion zwischen Klassik und Aufbruch in die Moderne“, erklärte Wolfgang Holler, Direktor der „Klassik Stiftung Weimar“ anlässlich der Eröffnung des Museums und trifft damit genau die ambivalente Positionierung der Stadt. Klarer Sieger nach Punkten bleibt dennoch Goethe. Er dominiert das Stadtbild: Gemeinsam mit Schiller thront er auf einem Sockel vor dem Stadttheater, ein Warenhaus trägt seinen Namen, die Auslagen der Buchhandlungen sind voll mit Werken von und über ihn, in der Auslage des Perückenmachers darf er als Toupetträger herhalten, das Theater im Gewölbe spielt fast ausschließlich Stücke „aus dem Leben Goethes oder Schillers“ und nicht zuletzt wacht das Klassikduo über den Schlaf der Gäste im schicken „Dorinthotel“. Und bei Einheimischen und Touristen ist der nach den Plänen von Goethe gestaltete Landschaftspark an der Ill noch immer Hotspot Nummer eins. Ein Aufbruch in die Moderne?
Literatur
Bernd Polster, Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms. Hanser 2019. Für alle, die sich für das Bauhaus und insbesondere für dessen Gründer interessieren – ein wichtiges Buch. Der Autor rückt das Bild von Walter Gropius zurecht
Hajo Düchting, Wie erkenne ich Bauhaus? Belser Verlag, 2. Auflage 2019. Eine gute Einführung in die künstlerischen Merkmale der Bauhaus-Produktionen.
Tom Saller, Wenn Martha tanzt, Ullstein Verlag 2019. IN einem Rückblick wird das Leben von Martha Wetzlaff geschildert, die zunächst im Weimarer Bauhaus unter Oskar Schlemmer am „Triadischen Ballett“ mitarbeitet und nach dem 2. Weltkrieg in New York große Karriere macht.
Andreas Hillger, gläserne zeit, Osburg Verlag 2019. Ein Bauhaus Roman aus der Dessauer Zeit. Geschickt eingebettet in eine Liebesgeschichte erfährt man viel über die Schwierigkeiten, die das Bauhaus auch in seinem neuen Domizil in Dessau hatte.


