Wiener Staatsballett: "Kallirhoe".
- Silvia Matras
- vor 6 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Choreographie Alexej Ratmansky, Musik: Aram Chatschaturjan arrangiert von Philip Feeney, Bühne und Kostüme Jean-Marc Puissant. Musikalische Leitung: Paul Connelly

Den ersten Liebesroman der Antike, verfasst von dem bisher unbekannten Autor Chariton von Aphrodisias, hat sich also Alexej Ratmansky für die Saisoneröffnung 2025&26 unter der neuen Leitung von Alessandra Ferri ausgesucht.
Der Plot ist vergleichbar mit einer Netflixserie oder auch einem Fortsetzungsroman, wie er in einer dieser Literaturzeitschriften des 19. Jahrhunderts hätte erscheinen können: Turbulente Handlung, viel Liebesgefühle, viel Aktion. Leicht zu choreographieren? - Ganz und gar nicht.
Die Handlung in wenigen Sätzen -daher sehr, sehr verkürzt: Kallirhoe (Madison Young -elegant und zerbrechlich) ist von göttlicher Schönheit. Das ist nie von Vorteil, denn sie wird von zahlreichen Männern begehrt und das kann unangenehm werden. Einer kann sie sofort für sich gewinnen: Chaireas (Victor Caixeta mit überzeugender Sprungkraft)! Schnell wird geheiratet, aber sogleich bricht der erste Ehestreit aus. Er schlägt sie, sie wird ohnmächtig und für tot gehalten. Doch sie lebt, wird von Räubern in den Orient verschleppt, wo sie wiederum zum begehrlichen Ziel diverser, exakt dreier, Männer wird. Die schwangere Kallirhoe entscheidet sich für den sanften Dionysios - sehr überzeugend Allessandro Frola. Doch auch ein Mithridates (überzeugend männlich: Timor Afshar) und der König von Babylon (imposant: Marcelo Gomes) begehren sie. Um eine Frau zu kämpfen, das weiß man schon aus Homers Ilias, heißt Krieg! Während Homer alles in einem Blutbad enden lässt, pocht der Autor Chariton auf Vergebung. Wem wird sie vergeben? - Natürlich ihrem ersten Anbeter und Ehemann - Chaireas, denn der hat sie gesucht und gefunden. Ende gut , alles gut.
Klassik in Perfektion
Victor Caixeta Rinaldo Venuti Caixeta & Young. © Aschley Taylor
Wie kann so eine Fülle an Aktionen, Gefühlsaufwallungen jeglicher Art in einem Handlungsballett verstehbar gemacht werden? Gleich vorweg das Geständnis: Ohne vorangegangene mehrmalige Lektüre der Handlung (Programm) hätte man (ich) den Handlungsknoten nicht entwirren können.
Ratmansky lässt es ruhig angehen: Priesterinnen ehren und feiern die Göttin Venus, deren zierliche Statue das antike Milieu der sonst leeren Bühne zitiert. Mitten unter ihnen Kallirhoe. So viel Weiblichkeit lockt die Jungmannschaft an - sie produzieren ihr Können. Auch Chaireas ist unter ihnen. Husch, schon haben sich die beiden in einem "coup de foudre" ineinander verliebt und wollen heiraten. Vor der Hochzeit muss noch der Zwist der beiden Väter beigelegt werden, dann wird gefeiert. Bis dahin ist alles klar. Die Gefühle der Verliebten äußern sich in einem zarten pas de deux. Doch danach überstürzen sich die Ereignisse in unglaublicher Geschwindigeit, um nicht zu sagen Hast. Man hat den Eindruck, dass dem Choreographen nicht genug Zeit bleibt, um die einzelnen Aktionen und Gefühlslagen austanzen zu lassen. Es sind eher Zitate. Es bleibt kaum Zeit, die kräftigen Sprünge von Victor Caixeta als Chaireas oder die zarte Einfühlsamkeit der Gesten des Alessandro Frola als Dionysios zu bewundern. Und beinahe verschwindet in dieser sich überschlagenden Handlung auch das feine Bewegungsrepertoire von Madison Young als Kallirhoe. Was klar ist: Es gibt Krieg, angeheizt von der berühmten, aufwühlenden Musik Chatschaturjans, dem Säbeltanz. Da zeigen Victor Caixeta und Rinaldo Venuti (Freund Chaireas') ihr grandioses Sprungrepertoire! Und am Ende, wie eben in einem erfolgreichen Liebesroman erforderlich, feiert das Paar Kallirhoe und Chaireas Versöhnung, das heißt; sie vergibt ihm und er übt sich in Demut - natürlich in klassischer Manier mit vielen schönen Hebefiguren.
"Kallirhoe" ist ein durch und durch klassisches Ballett, wo die Spitze gefeiert wird, und die Männer mit kräftigen grand jeté und Pirouetten beeindrucken. Und das Ganze ist noch stilvoll in antikisierenden Gewändern schön anzuschauen! Also ein Ballett für Genießer der Klassik.








