Simon Stephens: Heisenberg. Akademietheater

Eine Übernahme aus dem Düsseldorfer Schauspielhaus aus der Spielzeit 2016/17

Regie: Lore Stefanek, Bühne und Kostüm: Janina Audick

Georgie Burus: Caroline Peters, Alex Priest: Burghart Klaußner

Man nehme: Einen superklugen Komödientext, zwei irre gute Schauspieler – und fertig ist ein toller Theaterabend! Man muss sich auf dem Wiener Theaterteppich viele, qualvoll langweilige Stücke ansehen, bis man endlich auf eines wie dieses stößt, das „alle Stückeln“ spielt. Und das ist dann eine Übernahme aus Düsseldorf. Keine Eigenproduktion.

Bitte sich nicht vom Titel irritieren lassen und während der Aufführung irgendeine intelligente Erklärung dafür suchen! Wahrscheinlich gibt es keine, er – der Titel – ist Teil der Komödie. Wer unbedingt eine Erklärung braucht: bitte sehr -hier meine. Sehr simpel. Irgendwie spricht Heisenberg von der Unmöglichkeit, zwei komplimentäre Eigenschaften eines Teilchens gleichzeitig genau zu bestimmen. Die beiden unmöglichen Elemente sind die 44 jährige Georgie und der 77 jährige Alex. Im normalen Leben würden sie aneinander vorbeigehen, sie wären nicht gleichzeitig genau zu orten. Aber Georgie, die an einer nervtötenden Logorrhoe leidet, quatscht den schüchternen Alex auf dem Bahnhof an. Er reagiert abweisend, was aber Georgie nicht stört. Sie lässt nicht locker. Findet seinen Arbeitsplatz – eine Fleischhauerei ohne Kunden – heraus und stalkt ihn ganz ohne Genierer. Wie dieser grantige Alex da in seiner weißen Fleischhauerschürze in der Tür seines Geschäftes steht und um nichts in der Welt auch nur ein Zipfelchen seiner Gedanken freilegen will, das erinnert an die Fleischhauer-Szene aus den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ – nur mit umgekehrten Vorzeichen: Hier nun ist es Georgie, die sich diesen Mann krallen will – ganz einfach, weil sie Geld braucht! Die Szene könnte auch von Nestroy sein.

Wie sich die Temperatur zwischen den beiden ganz langsam ändert, sie sogar Sex haben (übrigens ganz ohne peinliche Nacktheit) und dann gemeinsam nach Amerika aufbrechen, um den Sohn Georgies zu suchen, das alles ist nicht billige Komödie, sondern faszinierend- tiefgründiger Text, gepaart mit kongenialer Schauspielkunst.

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Elisabeth-Joe Harriet: „Hat sich mir gemocht a Schmerz.“ Eden Bar

Literarisch-musikalischer Abend. Eine Reise durch jüdisches Leben.

Klavier und Geige: Bela Fischer

Wehmütig seufzt die Geige. Sie stimmt uns ein. Auf einen Abend mit Schmerz, Schmunzeln und Lachen. Elisabeth-Joe Harriet, für Verzauberung der vielfältigsten Art zuständig, führt das Publikum in der schummrigen Eden Bar durch das jüdische Leben im Jahreskreis. Gleich jammert und singt sie los: „Oje, oje, hab ich mir aus dem Mantel a Röckle gemacht. Weil das in Teile zerfiel, hab ich mir a Häubl gemacht …bis nix mehr übrig blieb als a Schnipsl und am End a Lidl.“ – In Liedform ist die jüdische Philosophie und Lebenskunst zusammengefasst – die da meint: Aus dem Wenigen doch Großes – „a Lidl“ – machen! Begleitet von Bela Fischer auf der Geige und am Klavier führt die Künstlerin ihr Publikum in das Leben einer jüdischen Gemeinde ein, erzählt über den Rabbi als zentrale Auskunftstelle für alles und jedes. Zur Auflockerung bringt sie jüdische Witze. Sie alle – nämlich die Witze – leben von diesem „Loch“ zwischen Anlauf und Auflösung, der Kunstpause, die die Überraschung vorbereitet. Harriet nennt es „Ellipse“. Ein köstliches Beispiel sei hier zitiert (Kurzfassung): Ein altes Ehepaar beim Abendmahl. Sagt er: „Wenn einer von uns beiden stirbt, ziehe ich nach Paris.“

Eine Schikse wie ich weiß nichts über jüdische Feste. Für solche kam der Abend gerade richtig! Beste Gelegenheit, über Ursprung und Inhalt etwa des Purim- oder Pessachfestes informiert zu werden. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass die jüdische Frau sich am Schabbat nicht frisieren darf – das ist Arbeit und daher verpönt. Eine Perücke löst das Problem elegant. All das und mehr hat Elisabeth-Joe Harriet in einem informativen Büchlein zusammengefasst, illustriert mit Porträts des jüdischen Malers Isidor Kaufmann (1853-1921):

„Jüdischer Festkalender mit Humorbeigaben. Was Sie schon immer nicht gewusst haben! “ Hrsg. Elisabeth-Joe Harriet. Verlag Austria Nostra.

Jeder Besucher bekam auch einen Handzettel mit einer Zusammenfassung der wichtigsten jüdischen Wörter, die zum Teil auch im Wienerischen Eingang fanden, und einigen Sprichwörtern. – „Eine jüdische Seele kann man nicht ergründen“ oder „Eine Frau stellt einen auf die Füße und wirft einen von den Füßen“ – nachzulesen ebenda. In Zukunft werde ich keine E-Mails, sondern „Blizbrife“ versenden. Meschigeh!

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Hans-Josef Ortheil: Der von den Löwen träumte. Luchterhand-Verlag

In diesem soeben erschienen Band vereint Ortheil alle seine thematischen Vorlieben: Über eine interessante Persönlichkeit schreiben – Hemingway – über einen von ihm geliebten Ort schreiben – Venedig – und über das Schreiben selbst, beziehungsweise über Schreibhemmungen, schreiben.

Literarische Parallelen

Während der Lektüre erlebt der Leser einige Déjà-vu, die zu analysieren ihm spezielles Vergnügen bereiten könnte: Er erinnert sich vielleicht an den Werfelroman über Verdi: Der Komponist kam nach Venedig in einer echten Schaffenskrise, als er glaubte, nie mehr auch nur eine Note komponieren zu können. Dann wird dem Leser unweigerlich Thomas Manns „Tod in Venedig“ einfallen. Als Mann in einer schweren Schaffenskrise steckte, schrieb er sich diese an der Figur von Aschenbach ab. Für Thomas Mann alias Aschenbach wird Venedig zum Todesmythos. Während der Lektüre des Ortheil-Romanes fielen mir weiters die Parallelen zum Film „Il postino“ (Der Postmann) und zum Roman von Antonio Skarmeta „Mit brennender Geduld“, der dem Film zugrunde liegt, ein: Der Dichter Pablo Neruda findet in den Gesprächen mit dem jungen Briefträger einen gelehrigen Schüler, der bald auch Ideengeber wird. So auch in Ortheils Geschichte.

Hemingway, der große Trinker, in der Schaffenskrise

Wir schreiben das Jahr 1948. Ernest Hemingway und seine vierte Ehefrau Mary mieten sich im Hotel Gritti in Venedig ein. Dank des Revolverblatt-Journalisten Sergio Carini weiß bald ganz Venedig, wo und mit wem sich der große Schriftsteller, Kriegsheld und Großwildjäger herumtreibt. Das aber stört Hem, wie ihn Freunde nennen, nicht besonders. Er streift, mit allen nur möglichen Fremden redend und trinkend, durch die Stadt. Alles ist ihm recht, um von seiner Schreibhemmung abzulenken. Sein letzter Roman liegt schon lange zurück. Von Venedig erhofft er sich neuen Stoff und künstlerische Gestaltungskraft. Mit Paolo Carini, dem Sohn des besagten Journalisten, schließt er Freundschaft und engagiert ihn als „Hermes von Venedig“. Während der langen und gemütlichen Bootsfahrten durch die Kanäle notiert er akribisch alles, was er sieht, auch die banalsten Banalitäten. Dem Autor auf die bekannten und weniger bekannten Orte wie Harry‘ Bar, Torcello oder diverse campi zu folgen, bereitet zwar Vergnügen, ist aber doch durch die Banalität der Beschreibungen ermüdend. Etwas zäh wird die Geschichte, als sich Hemingway in die (real existierende) junge Adelige Adriana Ivancich verliebt. Er ist ein alter, müder Mann, der sich von der Achtzehnjährigen Verjüngung und emotionale Hochs erhofft. Aus den Begegnungen mit dieser infantil wirkenden Schönheit entsteht der Roman „Über den Fluss und in die Wälder“, der von der Kritik mit sehr viel Häme aufgenommen wurde und sicher nicht zu seinen besten Werken zählt. Der junge Fischer Paolo Carini wird zu seinem schärfsten Kritiker, ihn stößt alles, was mit dem Roman zu tun hat, ab. Er fordert von Hemingway einen ehrlichen, tiefgehenden Roman und schlägt ihm vor, von einem alten Fischer zu erzählen, der zum letzten Mal aufs Meer hinaus fährt und den Kampf mit einem Riesenfisch aufnimmt. – „Der alte Mann und das Meer“ wird zu einem der wichtigsten und bleibenden Werke Hemingways und Paolo ist stolz, Geburtshelfer gewesen zu sein.

Stilistische Tricks und Schwächen

Ortheil ist ein Meister der Spiegelfechtereien. Geschickt schiebt er reale Fakten und Fiktionen in- und übereinander. Hemingways Aufenthalte und Trinkorgien in „Harry ‚ s Bar“ sind hinlänglich bekannt. Dass der ermüdende Roman „Über den Fluss und in die Wälder“ tatsächlich auf die Liebe Hemingways zu Adriana Ivancich zurück zu führen ist und bei der Kritik durchfiel, ist historisches Faktum. Auch dass Hemingway die junge Adelige samt Mutter nach Cuba auf seine Finca einlud und seine Frau Mary damit ordentlich brüskierte, ist Faktum und wird von Ortheil als Fiktion in den Roman eingebaut. Mit der Familie Carini, Vater und Sohn, später auch Schwester und Mutter, führt Ortheil erfundene Personen ein und verquickt sie mit dem realen Geschehen. Das ist amüsant, weil sich der Leser stets fragt, was ist Fiktion und was Realität. Auf die Spitze treibt Ortheil das Spiel, wenn er Hemingways bekannte Manie, alles, was er beobachtet, akribisch aufzuzeichnen, im Roman eins zu eins umsetzt. Denn die banalen Details bleiben auch als Ergüsse eines Genies immer noch banal und langweilig. Peinlich wird es, wenn Ortheil vorgibt, den Gesprächen zwischen Hemingway und Adriana zu lauschen. Da wird es mehr als banal, peinlich banal.

Unterm Strich: „Der von den Löwen träumt“ ist ein gefälliger Roman, der vielerlei Leserinteressen bedient: Allen voran die der Liebhaber Venedigs, die dem Autor begeistert an bekannte Orte folgen. Auch alle Fans von Romanbiografien werden an dem Buch ihr Vergnügen haben. Immer vorausgesetzt, sie haben die Toleranz, die ausufernde Wiedergabe von Beobachtungen und Gesprächen als inhaltlich notwendig zu akzeptieren.

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Heimito von Doderer: Die Strudelhofstiege

Theater in der Josefstadt

Regie: Janusz Kica, Bearbeitung: Nicolaus Hagg

Noch ist der Dramaturg nicht geboren, der eine spannende, stringente Fassung der Strudelhofstiege verfassen kann. Der müsste ein Genie sein. Nicolaus Hagg ist zwar ein erfahrener „Bearbeiter“ und hat auch für Reichenau (im Südbahnhotel) vor Jahren ein Fassung erarbeitet, aber auch die war sperrig, um nicht zu sagen langweilig. Das lag sicher nicht an ihm.

Nun nochmals in der Josefstadt. Man fragt sich für wen? Für Leute, die wie ich, den 1000-Seitenroman immer nur angefangen und ihn nach 50 Seiten ermattet weggelegt haben, ist diese Theaterfassung keine Aufmunterung, ihn doch einmal zu lesen. Für die versierten Dodererfans – und davon soll es ja einige geben – keine Bestätigung ihrer Begeisterung. Sie werden sich fragen: Cui bono?

Also das Beste, was man über diesen Abend sagen kann: die Schauspieler bemühen sich! Und das kommt eigentlich einem Negativurteil gleich. Da steht ein Melzer (Ulrich Reinthaller) ziemlich rat- und empfindungslos am Rande der Bühne und sieht dem Treiben der Reichen und Verwöhnten zu. Sie müssen sich Emotionen schaffen, am Besten, man klettert auf die Rax, da gibt es wenigstens den klitzekleinen Kitzel der Gefahr. Das war noch vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges. Danach ist die ganze Gesellschaft monitär und auch sonst sehr reduziert. Die Frauen mehr hysterisch als zuvor, die Männer teils melancholisch wie Melzer oder verzweifelt. Man spricht nicht wirklich miteinander, sondern murmelt gescheite Stehsätze vor sich hin. Manchmal hat eine, zum Beispiel Etelka (Pauline Knof), orgiastisch-hysterische Ausbrüche und schleckt alle Männer, die sie ergreifen kann, mit ihrer gierigen Zunge ab, bevor sie sich umbringt. Hysterie, die eher peinlich wirkt. Dazwischen die „Geistfigur“ des Major Laske (Roman Schmelzer), der eigentlich tot ist, aber vom Rande des Geschehens seine Kommentare abgibt. Als sich das gnädige Dunkel über die Bühne senkt, sind alle froh. Die Rätsel des Romans bleiben mir, der Nichtdoderer-Leserin, ungelöst. Wahrscheinlich auch denen, die schon in der Pause das Weite gesucht haben.

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Christoph W.Bauer: Niemandskinder. Haymon- Verlag

Bücher über Kriege, Nachkriegszeiten und Terror überschwemmen den Markt. Da fällt der Roman von Christoph W. Bauer zunächst positiv auf. Er „erzählt“ von den Niemandskindern, die als Väter französische Soldaten hatten und von den Einheimischen mit Verachtung gestraft und mit Böswilligkeiten verfolgt wurden- Ein Thema, das hochaktuell ist. Viele – jetzt längst schon Erwachsene – suchen heute per Internet oder Fernsehen ihre Erzeuger.

Chrisoph W. Bauer kann sich nicht entschließen, ob er das Thema als Historiker oder als Schriftsteller behandeln soll. Er macht es sich und dem Leser nicht leicht, switcht zwischen Zeiten, Orten und Personen, dass man ihm kaum und nur ungern folgt. Die „Handlung“ – soweit nacherzählbar:

Der Icherzähler ist in Tirol aufgewachsen, entflieht dem engen und stockbürgerlichen Innsbruck, lebt in Paris, erlebt eine intensive Liebe mit einer jungen Frau, die wahrscheinlich – so genau wissen er und der Leser es nicht – marokkanische Wurzeln hat. Sie genießen ihr Leben in der Banlieue von Paris. Leben von dem wenigen Geld, das sie verdient. Er redet nur – von einem Roman, den er schreiben wird, aber nie beginnt. Dann zerbröselt die Beziehung. Man bekommt mit, dass der Icherzähler Karriere an der Uni in Innsbruck macht. Ihm fällt ein Foto in einem Zeitungsartikel von Marianne, einer ehemaligen Freundin aus Kindheitstagen, in die Hände. Sie sei seit Jahren spurlos verschwunden. Er macht sich auf die Suche. Sucht zugleich auch nach seiner ehemaligen Paris-Geliebten. Nun wird die Geschichte immer wirrer. Marokkanische Soldaten als Zeugungsväter kommen ins Spiel. Alles sehr unklar. Man liest das Buch zu Ende, weil man wissen möchte, was unter dem Strich herauskommt. Und ist verärgert, weil ein wichtiges Thema vergeigt wurde. Besatzungskinder und deren Mütter hätten entweder eine reine Dokumentation oder einen Roman auf Basis klarer Strukturen verdient.

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Jonas Kaufmann im Wiener Konzerthaus.

Im Rahmen der Reihe „Great Voices“ sang Jonas Kaufmann Lieder aus Strauß-Operetten und Wiener Lieder. An seiner Seite: Rachel Willis Sorensen. Begleitet wurde er von der Prager Philharmonie. Dirigent: Jochen Rieder.

Ungeduldig wartete das Publikum auf Jonas Kaufmann. Nervöses Gemurmel: Er wird doch nicht absagen. Als er dann kam, entschuldigte er sein spätes Erscheinen damit, dass er über die Fernsehübertragung verärgert sei. Wie? Das sagte man ihm nicht? Es sei das erste Konzert zu Beginn einer langen Tournee. Da hätte er lieber zwangloser gesungen, meinte er.

Im ersten Teil standen Johann Strauß Operetten mit Liedern aus „Eine Nacht in Venedig“, „Die Fledermaus“, „Die Tänzerin Fanny Elssler“ und „Wiener Blut“ am Programm. Mag es nun der Verärgerung geschuldet sein oder dem allzu lautem Orchester, das Jochen Rieder eher marschmäßig dirigierte – Kaufmann und seine Sopranistin Willis-Sorensen kamen nicht so richtig in Fahrt. Im „Uhrenduett“ aus der Fledermaus war Kaufmann stimmlich zwar voll da, aber wirkte ein wenig gekünstelt. Willis Sorensen konnte die Szene auch nicht richtig auflockern. Ihr Sopran wirkte hart.

Nach der Pause

Nach der Pause war Kaufmann in voller Form, das Publikum bejubelte ihn. Nicht nur, weil er das Wienerische so gut drauf hatte, als wäre er hier aufgewachsen. Er strahlte vor Selbstsicherheit und Fröhlichkeit, ließ den Schmelz seiner Stimme ins Publikum strömen. „Im Prater blüh´n wieder die Bäume“, „Wien, du Stadt meiner Träume“ – man glaubte ihm einfach alles, fühlte sich fortgetragen vom „Wiener Schmäh“ und den darin verheißenen Glücksmomenten. Der Sopranistin Willis Sorensen gelang ein zauberhaftes „Vilja, Waldmägdelein“ – und so waren alle glücklich. Jonas Kaufmann beschenkte sein begeistertes Publikum mit fünf Zugaben, u.a. „Schenkt man sich Rosen in Tirol“, „Sag beim Abschied leise Servus“, „in einem kleinen Café in Hernals“ und dann noch: „Der Tod, des muss a Weana sein“.

Bürgermeister Ludwig überreichte dem Tenor den goldenen Rathausmann, weil „Kaufmann mit seinen Liedern die Schönheit Wiens in die Welt hinaus trägt“.

Das nächste Konzert der Reihe „Great Voices“ im Wiener Konzerthaus findet am 14. November 2019 statt. Man darf sich auf Juan Diego Flórez freuen!

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„Konversationen im Café Herrenhof“ -2. Saison: Olga Schnitzler im Gespräch mit Berta Zuckerkandl

Elisabeth-Joe Harriet als Olga Schnitzler und Beatrice Gleicher als Berta Zuckerkandl.

Idee, Text und Regie: Elisabeth – Joe Harriet

“ Schon als junges Mädl mischten Sie sich in Männergespräche, wussten alle um sie herum zu faszinieren. Wie machten Sie das nur?“ fragt Olga Schnitzler ein wenig neidisch und ein ganz kleines Bisserl eifersüchtig Berta Zuckerkandl. – Ein leichtes Schmunzeln, unmerkliches Achselzucken und die uneitle Antwort: „Ich bin in einer weltoffenen Familie aufgewachsen. Wir Kinder waren gewohnt, an den Gesprächen der Erwachsenen teilzunehmen. Und da ging es meist um Politik und Kunst.“

Elisabeth-Joe Harriet als Olga Schnitzler in einem roten Gehrock und streng zurückgekämmten Haaren führt das Gespräch geschickt, diskret, gibt sehr bald die Führung an Berta ab. Beatrice Gleicher als Berta Zuckerkandl, in einem jugendstilartigen Umhang, die Haare zu einem üppigen Knoten gekämmt, erzählt mit lebhaftem Geist, Humor und sehr viel Empathie für die Figur Details aus dem Leben dieser interessanten Frau.

Flüssig, als stünden sie nicht auf einer Bühne, unterhalten sich da zwei Damen, reden über Politik, das Leben, die Männer und wie es war, damals, so um 1900, eine selbständige, kluge Frau gewesen zu sein. Und unmerklich gleiten sie ins Präsens, sprechen sich mit einem vertrauten Du an, das Geschehen wird gegenwärtig. Fasziniert hört man Bertas Erinnerungen zu: Über ihren Vater Moritz Szeps, Herausgeber des „Neuen Wiener Tagblatts“ und Freund des Kronprinzen Rudolf. Sie begleitet ihren Vater auf all seine Reisen, protokolliert die Gespräche und Geschehnisse. Mit den „Großen“ der Weltbühne zu sprechen, ist ihr selbstverständlich. Ohne Scheu heckt sie mit George Clémenceau, dem späteren Ministerpräsident Frankreichs, die bösesten Scherze aus, bezaubert ihn so sehr, dass er einen Brief an sie mit den Worten endet: “ A toi, Ma vie! Sie heiratet mit 22 Jahren den Anatomieprofessor Emil Zuckerkandl, führt wie schon ihre Mutter einen Salon, wo sich alles, was in Wien Rang und Namen hat und nur einen Hauch von künstlerischer Verrücktheit aufweisen kann, trifft. Während des Ersten Weltkrieges tritt sie als Vermittlerin zwischen Frankreich und Österreich auf, wird in Österreich deswegen sogar der Spionage verdächtigt. Doch all ihre Friedensbemühungen sind umsonst. Österreich ist nach 1918 am Ende, Tausende Kinder verhungern. Da schreibt sie, von einem tiefen Gefühl des Mitleidens um das Schicksal der Kinder geleitet, einen zu Herzen gehenden Brief an George Clémenceau und bittet ihn, der inzwischen Österreich als Feind betrachtet, um Hilfe. Und die Hilfe kommt.

Als Beatrice Gleicher als Berta Zuckerkandl diesen Brief, den Harriet aus den Tiefen der Nationalbibliothek ausgegraben hatte, vorliest, wird es still im Raum. Sie selbst und viele der Zuhörer kämpfen mit den Tränen. So nah ist die Vergangenheit, so direkt in die Seele eindringend!

1938 muss Berta Zuckerkandl Wien fluchtartig verlassen. Über Paris reist sie nach Algier, wo sie bis 1945 lebt. Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches kehrt sie nach Paris zurück, wo sie am 16. Oktober 1945 stirbt.

Dieses intime Gespräch zwischen zwei höchst interessanten Frauen sollte man nicht versäumen. Die nächsten Termine:

6. Oktober , 10. November, 8. Dezember 2019, 12. Jänner, 9. Februar, 8. März, 19. April 2020 jeweils sonntags um 15 Uhr im Steigenberger Hotel Herrenhof, Herrengasse 10.

Anmeldungen: 0676/899 68 050 oder per E-Mail: sylviareisinger@aon.at

Alle Informationen zu Elisabeth – Joe Harriets Aktivitäten: http://www.elisabeth-joe-harriet.com

Beatrice Gleicher ist die Gründerin der Theatergruppe „KUNSTSPIELEREI“ und spielt u.a. Berta Zuckerkandl im Stück „Berta Zuckerkandl -Willkommen in meinem Salon“. Ab 9. November 2019 hat ihre neue Produktion „Ankunft. Heute. Hedy Lamarr“ im Palais Schönburg Première http://www.kunstspielerei.com

„Der Vorname“ Französische Hitkomödie in den Kammerspielen.

„Unser Sohn wird Adolphe heißen“ – mit dieser Ankündigung schockt Vincent Larchet seine Freunde, die zu einem Abendessen bei Elisabeth und Pierre Garaut zusammentreffen. Darf man seinen Sohn so nennen? – Mit dieser Frage entzünden die Autoren Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière ein komödiantisches Feuerwerk der Sonderklasse. Mach- und Gangart der Komödie erinnert stark an Jasmine Rezas Stück „Der Gott des Gemetzels“: Man führt zu Beginn höfliche, in unserem Fall freundschaftliche Konversation. Alle Beteiligten haben beste Manieren und sind einigermaßen gebildet. Doch die Hülle fällt bald. Darunter schießt Schadenfreude an der Blamage des anderen hervor. Alle und alles wird aufgedeckt, ohne Rücksicht darauf, wie sehr man einander verletzt. Höhepunkt der „Aufklärungs- und Wahrheitscampagne“: Der schüchterne Claude gesteht seine Liebe zu der (auf der Bühne nicht anwesenden) Francoise, Mutter von Vincent und der Gastgeberin Elisabeth. Mehr als zwanzig Jahre Altersunterschied – der Gedanke ist für Vincent unerträglich. Seine Mutter hat ein Verhältnis mit seinem gleichaltrigen Freund! Wütend fällt er über ihn her.(Es ist anzunehmen, dass die bekannte Liebesgeschichte zwischen Macron und seiner Lehrerin zu dieser Wendung in der Komödie Pate stand)

Gegen Ende muss sich die Szene so weit abkühlen, dass das bürgerliche Wohlverhaltenbild wieder hergestellt ist. Doch die Wunden, die geschlagen und empfangen wurden, werden nicht so rasch verheilen. Aber gut erzogene Erwachsene werden sicher zur Tagesordnung übergehen, als wäre nichts gewesen.

Eine gut geschriebene komödiantische Satire auf die bürgerliche Gesellschaft.. Exzellent gespielt: Michael Dangl als Vincent Larchet spielt den verwöhnten, von allen Mädchen, später Frauen bewunderten Sonnyboy, der mit viel Hinterfotzigkeit die Freunde und Eheleute gegeneinander ausspielt, bis er selbst seinen Teil abbekommt. Susa Meyer ist die gestresste Hausfrau, die ihrem Ehemann endlich all ihren Frust entgegenschleudern darf. Herrlich ihr Abgang mit der Weinflasche in der Hand und dem Götzzitat im Mund! Ihr Ehemann (Markus Bluhm) bekommt von alles Seiten sein Fett ab, wird als Geizhals und lästiger Besserwisser abgestempelt. Schön langsam wird aus dem gebildeten Literaturprofessor eine ziemlich verunsicherte Existenz. Der fast bis zum Schluss schweigende Musiker und Freund aller Anwesenden (Oliver Rosskopf) bekommt gegen Ende des Stückes seinen Auftritt, als er von seiner Liebe zu der um Jahrzehnte älteren Francoise, Mutter von Vincent und Elisabeth, erzählt. Damit Vincent nicht all zu sehr der Kamm schwillt, dafür sorgt seine Freundin Anna (Michaela Klamminger) bravourös.

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Familie Flöz: Teatro Delusio im Theater Akzent

Si waren wieder da! Die genialen Masken der Familie Flöz. Voriges Jahr begeisterten sie das Publikum mit „Hotel Paradiso“, nun also mit der Produktion „Teatro Delusio“.

Die Familie Flöz ist eine internationale Theatercompagnie mit Sitz in Berlin. Sie spielen mit Gesichtsmasken, die obwohl starr, doch immer wieder Gefühle zeigen. Die kommen von den Spielern hinter den Masken. Es genügen kleinste Gesten, ein zartes Rucken mit dem Kopf – und schon versteht man: Diese Figur ist traurig, traurig über ihr Versagen. Dazu die Statements der Familie Flöz:

„Wir glauben, dass Masken eine ebenso universale wie geniale Erfindung des Menschen und untrennbar mit dem Theater und uns selbst verbunden sind. Wir glauben, dass das Scheitern im Leben die heimliche Hauptrolle spielt. Deshalb versuchen wir, dem Scheitern in unserer Arbeit einen wichtigen Platz einzuräumen.“

„Teatro Delusio spielt hinter der Bühne. Unsichtbar, hinter einer Bretterwand, hört man Musik aus diversen Opern und Applaus. Drei Bühnenarbeiter, der lange Ungeschickte, der kleine Angeber und der Dicke Aufpasser und Wichtigtuer mischen sich unter die Bühnenfiguren, die sich für ihren Auftritt oder den Endapplaus vorbereiten. Was dabei alles passiert, ist von einer tragischen Komik, wie man sie anderswo noch nie sah. Wenn der lange Ungeschickte sich in eine Balleteuse aus dem „Schwanensee“ verliebt und die beiden in der Klamottenkiste verschwinden, um sich ungestört dem Liebesspiel widmen zu können. Wenn der Ungeschickte, immer wieder vom Dicken attackiert, sein Felltierchen aus der Kiste holt und die beiden in seinem Heft lesen. Am Ende ist das arme Vieh dann tot. In unzähligen Szenen werden Eitelkeit, Bösartigkeit und auch die Liebe, Bewunderung in schneller Abfolge karikiert, immer mit dem verzeihenden Blick auf den Menschen an sich. Drei Darsteller schaffen die Illusion, dass sich an die dreißig Figuren auf der Bühne bewegen. Ein Kunststück der Sonderklasse. Und das alles ohne Worte!

Begeisterung beim Publikum!! Bitte bald wieder kommen!

http://www.akzent.at www.floez.net

Ferenc Molnar, Liliom. Salzburger Festspiele 2019

Jörg Pohl als Liliom und Maja Schöne als Julie waren die ideale Besetzung: hineingeworfen in eine ratlose Armut und Hoffnungslosigkeit klammert sich Julie an ihre Liebe zu Liliom. Dem fehlt die Sprache, um ihr seine Liebe zu gestehen. Auch die Gesten. In seiner Ratlosigkeit schlägt er sie. In stumpfsinniger Hilflosigkeit sucht er nach einer Geldquelle, um Julie und das Kind, das sie erwartet, durchzubringen. Der geplante Raubüberfall geht schief und Liliom ersticht sich. Ein Himmelsgericht schickt ihn nochmals auf Erden, um Liebe zu „lernen“. Der Lernversuch will nicht ganz gelingen.

Molnars Drama wurde von Alfred Polgar in Wienerische übertragen und übersetzt. Seither ist Liliom ein Wiener Strizzi aus dem Prater. Der Regisseur Kornél Mundruczo jedoch löst Figuren und Umgebung aus diesem üblichen Umfeld, siedelt die Handlung zwischen irgendwo hier und irgendwo dort oben an, mag sein im Himmel, den er mit den den komischesten Figuren bevölkert. Schwule, Beamte der Sonderklasse aBallettschwäne und anderes „witziges“ Volk. Es ist ganz offensichtlich, dass Mundruczo Scheu vor der Sozialromantik des Stückes (harter Bursche, aber innen weicher Kern) hat und deshalb zu ironisierenden Mitteln greift. So lässt er gleich zu Beginn die Bühne von Robotergreifarmen bestücken. Minutenlang „tragen“ sie Bäumchen für Bäumchen auf die Bühne, auch der Mond darf nicht fehlen, in dessen Licht sich Julie und Liliom küssen. Man schmunzelt, doch die Szenen bleiben außen vor – dem Herzen. Irgendwie kalt sieht man dem Geschehen zu. Erst als die Hauptszenen, in denen sich Liliom zwischen einer Rückkehr zu Frau Muskat (hervorragend gespielt von Oda Thormeyer) oder einem Leben mit Julie entscheiden muss, auf der Videowall groß eingespielt werden, greift das intensive Spiel zwischen den Dreien. Da kommt der Regisseur dem Kern des Stückes, der Aussage, die Molnar intendierte, ziemlich nahe.

Ratlos entlässt der Regisseur die Zuschauer am Ende: Liliom darf auf die Erde zurück. Er übt als unsichtbarer Liliom mit seiner Tochter Schnurspringen. Die Nagelprobe und der zentrale Satz Julies bleiben aus. „Es ist möglich, mein Kind, dass einem jemand schlägt, und es tut gar nicht weh.“ Durch die Streichung und Änderung der Schlussszene tilgt der Regisseur die zentrale Aussage Molnars: Liebe kann vieles verzeihen. Aber natürlich – im Zeitalter der Metoo-Hysterie ist so ein Gedanke völlig absurd.

Zusammengefasst: Tolle Schauspieler, witzige, manchmal nur schwer deutbare Regieeinfälle, die allzu häufig ausufern.

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Nina Scholz, Heiko Heinisch: Alles für Allah. Molden Verlag

Untertitel: Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert.

Ein wichtiges Buch. Ohne zu polemisieren, analysieren die beiden Autoren nüchtern die Lage: Und die heißt: Es ist später, als du denkst! Der politische Islam hat auf legistischem Weg unsere Gesellschaft schon längst unterwandert, sich in öffentlichen Institutionen eingenistet und weit reichende Veränderungen im Denken unserer demokratischen Gesellschaft erreicht.

Die gefährlichsten und augenscheinlichsten Veränderungen sind schon passiert: An manchen Schulen beherrschen Burschen mit islamistischem Hintergrund die Klasse, sehr oft auch die Lehrer und Lehrerinnen. Unsere Gesellschaft beugt sich, lässt aus falsch verstandenem Toleranzgedanken zu, dass Mädchen und Lehrerinnen sich ihrem Kleiderkodex unterwerfen. Das ist nur ein kleines Detail – die Unterwerfung, getarnt als multikulturelle Einbindung der Moslems in unsere Gesellschaft – ist dem immer und überall von der demokratischen Seite her gepredigten Toleranzgedanken geschuldet. Erst vor einigen Wochen überlegten die Parlamentsparteien wieder einmal, das Kultur- und Konferenzzentrum König Abdullahs. Vorläufig ist es beim Überlegen geblieben. Fix ist nix. Die Autoren liefern überzeugende Fakten – aber wo ist die Gegenwehr der demokratischen Gesellschaft? Scholz und Heinisch warnen: „Wenn es uns nicht gelingt, die Ausbreitung des politischen Islam zu stoppen, wird eine steigende Anzahl fundamentalistisch eingestellter Muslime unsere Gesellschaft und politischen Systeme sukzessive verändern.“

http://www.styriabooks.at

Den Namen muss man erst einmal erfinden: Immerjahn. Das klingt nach Jammern, Lebensunfähigkeit. Gotthelf dazu! Gott kann so einem Menschen wie Gotthelf Immerjahn auch nicht wirklich zu einem sinnvollen Leben verhelfen.

In Barbara Zemans Debütroman langweilt sich Gotthelf Immerjahn gründlich – und der Leser mit ihm. Der Mann hat alles: Eine Villa, von Mies van der Rohe gebaut, eine Kunstsammlung, um die ihn jedes Museum beneiden würde: unzählige van Goghs, und noch Dutzende andere große Namen. Die hängen alle dicht auf dicht in seiner Villa. die er demnächst zu einem Museum umgestalten will. – Aber eben nur will, sein Plan bleibt Plan, weil Immerjahn eigentlich nicht will. Alles sträubt sich dagegen. Diesen immensen Reichtum hat ihm sein Vater hinterlassen, der mit der Zementfabrik viel Kohle machte. Der Sohn ist der typische Erbe: ihn ödet alles an. Er mäandert durch die Villa, durch seine Vergangenheit und durch seine nicht existierende Zukunft, bleibt an belanglosen Kleinigkeiten hängen. Genau da ist die Crux dieses Romans zu orten: Nicht jeder Leser ist bereit, diesen Irrweg des jammernden Immerjahns mitzugehen. Herr Gott, soll er doch endlich aufwachen, irgendetwas Gscheites mit dem Erbe machen, denkt so manch einer (auch ich) beim Lesen. Und mir fiel ein anderer, real existierender Erbe ein: Antonio Presti. Sein Vater hat mit Beton das große Geld gemacht, Sizilien – wahrscheinlich mit Hilfe der Mafia – zugepflastert. Sohn Antonio will mit Beton nichts zu tun haben – er steckt das geerbte Geld in Kunst, stellt Projekte auf wie „Fiumara d‘ Arte“, baut ein „Museo Albergo“ und gründet einen Verein, der Straßenkinder unterstützt. So geht’s auch.

Ob die Autorin die jämmerliche Untätigkeit eines typischen Erben aufblättern möchte, ist zu bezweifeln. Da liest man eher Bewunderung für die Welt der Reichen, der Kunstsammler und Kunstkenner, der Nichtstuer heraus. Die Sprache ist gewollt gekünstelt, krallt sich an Details fest, die uninteressant sind. Ironie ist nicht ihre Domäne. Aber das Feuilleton liebt Barbara Zeman.

http://www.hoffmann-und-campe.de

Musik: Thomas Adès. Libretto: Philip Hensher. In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln.

Großartig, elektrisierend, aufregend, nahe dem Skandal und doch keiner! Der war schon, ist schon fast vergessen! Wer erinnert sich noch an das skandalumwitterte Sexidol der 1950er Jahre, Lady Margaret Campbell (1912-1993)? Als ihr zweiter Ehemann, Herzog von Argyll, die Scheidung einreichte, empörten sich alle über sie. Die Medien fanden in den Ausschweifungen der Lady ein gefundenes Fressen, das so genannte Volk empörte sich über den immensen Luxus, in dem sie und der ganze Hochadel lebten, und der Adel war entsetzt, wie so ein Skandal in ihren Reihen explodieren konnte.

Diesen Stoff nun vertonte Adès schon zwei Jahre nach dem Tod der Lady. Das ganz und gar unprüde Libretto von Philipp Hensher sorgte und sorgt für Aufregung bei den damaligen und heutigen Moralisten.

Der Jungregisseur Martin G. Berger ist mit Sexszenen, Doppelmoral und was sonst noch alles dazugehört, durchaus vertraut (La Cage aux Folles). Fellatio, Vierer und sonstige Sexvarianten auf die Bühne zu bringen, da gehört viel Fingerspitzengefühl und ein überreiches Angebot an verblüffenden Bildern dazu! All das hat er im Gepäck. Kongenial unterstützt wird er von der Bühnenbildnerin Sarah Katharina Karl und dem Kostümbildner Alexander Djurkov Hotter. Genau zur Musik getaktet wechseln schnelle, skurrile und „queere“ Szenen. Bilder, wie man sie noch selten oder gar nicht auf der Bühne sah.. Die Schauspielsänger, allen voran Ursula Pfitzner als die Skandalnudel-Herzogin, singen und spielen sich die Seele aus dem Körper!!

An Einsatz und Spielfreude lassen es die anderen auch nicht fehlen: Morgane Heyse wechselt blitzschnell zwischen sechs verschiedenen Rollen. Besonders als affenartige Gafferin beeindruckt sie gemeinsam mit David Sitka, der wiederum als sexliefernder Kellner grandios ist. Bart Driessen hat als Hotelmanager, Herzog und Richter starke Auftritte.

Die kleine Ausgabe des Orchesters der Volksoper Wien ist unter dem Dirigat von Wolfram-Maria Märtig bestens gerüstet.

Viel verdienter Applaus und Bravos!!

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Wiener Staatsballett: Le Pavillon d`Armide und Le Sacre.

Staatsoper, 20. März 2019

John Neumeier ist der Grandseigneur unter den Choreographen. Elegant, immer aus einem Guss, auf höchstem tänzerischen Niveau und immer sehr intensiv – so erlebt das Wiener Publikum seine Werke.

„Le Pavillon d‘ Armide“ ist dem großen Tänzer des Ballets Russes Vaslav Nijinsky gewidmet. John Neumeier erzählt mit subtilem Einfühlungsvermögen das grausame Schicksal dieses genialen Revolutionärs des Tanzes: Von 1919 bis zu seinem Tode 1950 lebte Nijinsky in der Psychiatrie, verfolgt von den quälenden Erinnerungen seiner berühmten Rollen. Mihail Sosnovschi verkörpert diesen genialen, kranken Mann. Bewundernswert, wie tief er in diese Rolle einsteigt, wie er in einem atemberaubenden Solo all seine Qualen heraustanzt, um nicht zu sagen: herausschreit. Man erlebt den Wechsel von katatonischer Erstarrung über die vergeblichen Versuche, die Bewegung aus der Erinnerung einzufangen, bis hin zu den hellen Momenten, wenn sich die Gliedmaßen vom Stupor befreit in Harmonie bewegen. Wie immer ist Neumeier auch für Licht, Bühnenbild und Kostüme verantwortlich – nur so kann ein Werk wie dieses aus einem Guss entstehen. Einzelne aus der großartigen Gesamtleistung hervorzuheben, fällt schwer. Denn John Neumeier arbeitet an jeder Figur, und sei sie noch so „unbedeutend“, bis ins kleinste Detail das Innere, das Wesen heraus. Nie werden hier Choreographien abgetanzt, sondern immer aus dem Charakter der Figur ertanzt, erlebt

Michael Boder war ein congenialer Dirigent, der die Tänzer durch die wunderbare Musik von Nikolai Tscherepnin behutsam führte.

Nach der Pause das Kontrastprogramm: Der wilde Furor des „Sacre“ von Strawinski. Das Ballett, das bei der Uraufführung in Paris in der Interpretation von Nijinsky den größten Theaterskandal aller Zeiten ausgelöst hatte. John Neumeier lässt die Tänzer im Nudekostüm tanzen. Der menschliche Körper ist die Welt, die Kulisse, die Aktion. Figuren finden zusammen, lösen sich auf. Exakt, wild, losgelöst von Konventionen und Normen rasen, fliegen, krümmen sich die Menschen. Man könnte es einen Skulpturentanz nennen, wenn man so will.

Tosender Applaus, Blumen fliegen auf die Bühne. Ein Abend, den man nicht oft genug erleben kann!!

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Choreographie: Davide Bombana

Bühnenbild, Kostüme und Licht: rosalie

Liebe und Hass wurden von Shakespeare in die Form eines absolut gültigen Dramas gegossen, das Prokofjew und Berlioz als Vorlage für ihre Ballettmusik diente. Hector Berlioz‘ Musik ist weit weniger bekannt als die von Prokofjew, weil seltener gespielt. Daher ist es spannend, das Werk in der Choreographie von Davide Bombana auf der Bühne der Volksoper zu erleben. Er legt den Schwerpunkt auf die gesellschaftliche Auseinandersetzung verschiedener sozialer Schichten: Die Montagues sind eine Straßengang, die ihren Mut an den noblen Capulets erprobt. Die Kampfszenen erinnern sehr an die „Westside Story“ von Bernstein. Hochdynamisch die Leistungen von Martin Winter als Tybalt, Alexander Kaden als Mercutio und Gleb Shilov als Benvolio. Arne Vandervelde als Romeo (Rollendebüt) kann mehr in diesen Kampfszenen brillieren als als Verliebter. In der bekannten Gartenszene, in der er um Julias Liebe wirbt und sie sich ihm hingibt, bleibt er an Zartheit, Einfühlungsvermögen hinter ihr (Maria Yakovleva) weit zurück. Diese Julia hat alles: Jugendliche Strahlkraft, Ungestüm, Hingabe und das große Urvertrauen in die Liebe.

Schuld an dem Hass zwischen den beiden Familien ist die Königin Mab, aus dem Reich des Unbewussten, mag sein auch aus den Träumen entstanden. Katevan Papava (Rollendebüt) tanzt sie mit einem alles hinwegschwemmenden Furor. Wo sie auftaucht, gibt es keine Versöhnung. Selbst als der Priester Lorenz am Totenbett der beiden Liebenden die verfeindeten Familien mit beschwörenden Tanzsequenzen zur Versöhnung mahnt, gelingt das nur für kurze Momente. Intensiv dazu das Lied des Tenors Mehrzad Montazeri (Rollendebüt), der die Menschen auffordert, den Hass zu vergessen und die Herzen für die Liebe zu öffnen. Vergeblich -Schon zerrt Mab die Hände auseinander, die sich die Familien als Zeichen des Friedens gereicht haben.

Besonders hervorgehoben sei noch die Gesangssolistin Martina Mikelic, die zum Solo Julias, die von der Liebe zu Romeo träumt, das Lied von der Verzauberung durch die erste Liebe singt. – Eine Szene, die in Erinnerung bleiben wird.

Die Musik von Berlioz klingt unter dem Dirigat von Gerrit Prießnitz wuchtig und zart zugleich. Manchmal scheint es jedoch, als jagte er die Tänzer durch sein Extremtempo allzu sehr von einer Figur in die andere.

Rosalie (Gudrun Müller) starb 2017 mitten in den Vorbereitungen zu diesem Ballett, ihre Entwürfe wurden von Thomas Jürgens realisiert. Das aus farbigen Lichtstäben fast irreale Bühnenbild passt sich atmosphärisch an die Temperaturen der Szenen an: Einmal eisig weiß-kalt, dann kämpferisch-rot. Nie romantisch. Fast als würde es die Liebe negieren wollen.

Ein großartiger Abend, der wieder einmal zeigt, was das Staatsopernballett leisten kann!!

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Mit: Philipp Hochmair und Die Elektrohand Gottes. Als Buhlschaft: Ulrike Beimpold.

Philipp Hochmair ist ein Berseker. Er schont sich nicht, er schont das Publikum nicht. Das weiß man, wenn man seine Performance besucht und schätzt seinen vollen Einsatz bei Kafka „Amerika“, seine ungewöhnliche Rezitation der Schillerschen Balladen oder seine Wertherinterpretation.

Doch im Jedermann übertreibt Hochmair bis zum Exzess. Lärm (seine Band sorgt im Übermaß dafür) und ein über weite Strecken unverständlicher Text machen die an sich interessante Performance zu einem Höllenspektakel. Würde man nicht den Text Hofmannsthals so ungefähr im Gedächtnis haben, wüsste man über weite Strecken nicht so recht, worum es geht. Bekanntlich spielt ja Hochmair immer alle Rollen. Diesmal leuchten zur besseren Orientierung des Publikums im Hintergrund die Namen der jeweiligen Rollen auf.

Es geht -no na – um den schäbigen Reichtum, den Jedermann anhäuft. Es geht um den Geiz und die Gier. Auch das ist bekannt. Es geht um die Unbarmherzigkeit. Es geht um die Angst vor dem Sterben. Alles bekannt. Um dem Bekannten eine neue Note zu geben, schreit, tobt Hochmair durch das Schicksal Jedermanns mit einem unermüdlichen Furor. Da gibt es keine leisen Töne, kein Innehalten, keine Änderung des Höllentempos. Es ist, als ob ein Pferd zum Sprung ansetzt und am höchsten Punkt mit allen vier Beinen in der Luft stehen bleibt, nie auf dem Boden landet. Da gibt es kein Ziel, keine Ankunft. Dieses Stilmittel – oder besser Unstilmittel – ermüdet und wirkt oft auch ungewollt lächerlich. Die einzige, die den Rasenden für kurze Zeit auf den Erdboden bringt, ist die Buhlschaft. Beimpold überzeugt und berührt. (Warum ist niemand auf die Idee gekommen, sie als Buhlschaft nach Salzburg zu rufen?)

Am Ende der Clownerie ist man froh, dass der tobende Jedermann seine Ruhe gefunden hat und man heimgehen darf.

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Elke Körver und Maria Caleita, nach William Rose

Wer wie ich nie den Film mit Alec Guiness gesehen hat, geht unvoreingenommen in diese Komödie – und genießt sie. Die schlechten Kritiken verstehe ich ganz und gar nicht.

Was mich wundert: Es gibt kein Programm, nur einen Theaterzettel mit den Namen aller Beteiligten – außer dem eines Regisseurs. In den einzelnen Kritiken lese ich, es sei Cesare Levi. Hat er sich von dieser Regie distanziert oder wurde sein Name bei der Première versehentlich genannt oder jetzt versehentlich vergessen? -Egal, es erwartet mich also ein Stück, bei dem alle Beteiligten Regie führten – denke ich. Flugs vergesse ich die Frage nach dem Regisseur und genieße den Abend, lache herzlich und merke nichts von „eingeschlafenen Füßen“, wie ein Kritiker schreibt.

Bühnenbild von Maurizio Baló und Kostüme von Birgit Hutter passen gut – ein wenig verplüscht und verrüscht, wie es sich für ein englisches Haus und seine Bewohner aus der Zeit der Jahrhundertwende gehört. Marianne Nentwich als Mrs. Wilberforce bringt die nötige Naivität einer alten Dame mit. Sie holt sich – wie in „Biedermann und die Brandstifter“ – die Bösewichte selbst ins Haus. Und wie sollte sie dem verqueren Charme der Bande nicht erliegen? – allen voran dem des herrlich verschrobenen Professor Marcus von André Pohl. Wojo van Brouwer ist ein herzensguter Gauner, der es nie übers Herz brächte, diese alte Dame zu töten. Martin Zauner und Siegfried Walther treiben ihre Figur auf eine herrliche Spitze des Unsinns. Markus Kofler liefert eine gekonnte Parodie des „coolen“ Verbrechers. Dem ganzen Team war die Freude am Ulk und der (maßgerechten) Übertreibung voll anzumerken. Wenn tatsächlich alle Akteure gemeinsam das Stück erarbeiteten, dann sollte der Herr Direktor öfter „regielose“ Stücke spielen. Spart Geld und kommt beim Publikum gut an, wie der Applaus an diesem Abend zeigte.

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Am besten, man vergisst Roths Roman und sieht die Aufführung mit unverstelltem Blick, ohne Erinnerung daran, mit welchem Leid Roth seine Figuren erfüllt hat und wie sehr man dadurch erschüttert wurde.

Leiden müssen in der Inszenierung alle. Schauspieler, weil es der Text so will, Zuschauer, weil die Aufführung viel zu lang ist.

Zu Beginn fasziniert das scherenschnittartige Bühnenbild (Stefan Hageneier): Auf einer ins Unendliche gähnenden Leere bewegen sich die Menschen, verloren in ihrer Einsamkeit. Amerika leuchtet als Hoffnungsland in hellem Schriftzug, dann wieder als Land, das keine Heimat sein kann, weil zu fremd, in schwarzen Großbuchstaben. Aha, denkt man, der Regisseur Christian Stückl setzt auf Abstraktion, um dem Pathos zu entgehen. So sieht man mehr interessiert als geschockt zu, wie die drei Geschwister den epileptischen Bruder Menuchim (Tino Hillebrand) ertränken wollen. Man sieht gerührt zu, wie der Vater Mendel Singer seinen Sohn füttert und versucht, ihm Worte zu entlocken. Vergebens, denn mehr als „Mama“ bringt Menuchim nicht heraus. Man staunt über die Stärke und Klarheit von Deborah Singer (großartig Regina Fritsch), die sich gegen ihren Mann auflehnt, der nur in seinen Schriften lebt und den der Glaube weltfremd macht.

Der eine Sohn will zu den Soldaten, die Tochter treibts mit den Kosaken. Mendel und seine Frau müssen raus aus Russland – die Notwendigkeit der Flucht lässt der Regisseur beiseite. Das Geld reicht nur, um einen Sohn mitzunehmen. Welchen mitnehmen? Welchen zurücklassen? Ab da vermisst man die Tragik, die diesem Roman innewohnt. Hier waltet eher der Zufall als ein schweres Schicksal. Menuchim bleibt unversorgt zurück – geht halt nicht anders. Der Sohn, den man nicht freikaufen kann, wird Soldat. Geht halt nicht anders.

Nach der Pause wachen alle in Amerika auf. Nun spult Michael Sturminger alle Amerika- und Flüchtlingsklischees durch. Ab da ist die Spannung draußen, man wartet nur auf das unglaubliche und unverhoffte Erscheinen Menuchims. Er ist dann kein Retter, sondern ein knochentrockener Karrierist. „Ich muss jetzt gehen. Ich habe gleich Orchesterprobe“, sagt er zu seinem Vater, der sein Glück noch gar nicht fassen kann. In dieser Szene verspielt Sturminger viele Chancen: Mendel Singer – noch ganz in der Rolle des Gottverleugners und Verzweifelten, erkennt Menuchim nicht sofort. Langsam dämmert ihm, wer vor ihm steht. Diese Szene müsste vor Spannung knistern (ähnlich wie die Erkennungsszene zwischen Elektra und Orest). Wenn sie daneben geht, weil zu banal, dann deswegen, weil alle – inklusive dem Regisseur – Angst vor Pathos haben. Aber wer sich an diesen Roman wagt, der muss Mut zum Pathos haben. Sonst wird’s nichts.

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Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler.

Es gibt Bücher, die muss man einfach mögen. Dazu gehört ganz sicher dieser neue Roman „Drei Frauen“ von Dacia Maraini. Seit Maraini Bücher schreibt, kämpft sie für die Rechte der Frauen, ohne das Wort „Emanzipation“ je in den Mund – besser in die Feder – zu nehmen. Zu Zeiten, als in Italien unverheiratete Frauen aus „gutem Haus“ um 21h zu Hause zu sein hatten, wollten sie nicht als leichte Mädchen gelten, schrieb Dacia Maraini für die Freiheit und Selbstbestimmung der Frau. Als man von der Me -too – Bewegung noch Lichtjahre entfernt war, erschien ihr Roman „Die Stumme Herzogin“ (2002) und erregte weltweit Aufsehen, weil er ein Tabuthema aufgriff: Das Opfer der Vergewaltigung, eben die stumme Herzogin, wird mit ihrem Vergewaltiger, einem alten Onkel, sogar noch verheiratet, damit die Schande unter dem Deckel bleibt. Doch das Opfer lernt, dieses Trauma der Vergewaltigung zu überwinden und das Leben selbst bestimmend zu gestalten

Nun also „Drei Frauen“ – eine ganz neue, heitere Dacia Maraini. In einer Art WG leben die 60- jährige Großmutter Gesuina, die ca. 40-jährige Mutter Maria und die 16-jährige Tochter Lori zusammen. Gesuina verkörpert die jugendliche Alte, die sich im Internet junge Adoranten angelt, beim Bäcker jeden Morgen Brot und einen Kuss holt. Ja, eigentlich ist diese Großmutter eine patente Frau, wundert sich über die Kapriolen und Launen der Enkelin, akzeptiert sie aber so, wie sie ist. Lori ist das, was Nestroy eine „Krätzn“ nennen würde: Sie nimmt sich, was ihr gerade in den Sinn kommt, schläft mit einem Mitschüler und verführt Francois, den Geliebten der Mutter. Maria hält den Haushalt aufrecht, putzt, kocht und arbeitet an der Übersetzung von „Madame Bovary“. Sie ist die einzige, die wirklich arbeitet und das nötige Geld verdient. Als Ersatz für ihr eher tristes Dasein schreibt sie an den fernen Geliebten poetische Briefe über ihre Liebe zu ihm. Manchmal gehen die beiden gemeinsam auf Reisen. Als Francois, ein wirklich schöner Mann, Maria besucht, setzt Lori ihn sofort auf ihre Eroberungsliste und verführt ihn. Die Folge: sie ist schwanger von ihm. Er reist ab, ohne davon zu erfahren. Als Lori der Mutter alles gesteht, versucht diese sich umzubringen. Sie kann gerettet werden, aber ob sie je aus dem Koma erwachen wird, ist mehr als fraglich. Gesuina pflegt die im Koma Liegende zu Hause, Lori bekommt einen Sohn.

Die Autorin lässt den Roman mit einem hoffnungsfrohen Lächeln ausgehen. Am Ende haben alle ihre Chance. Sogar Lori.

Dacia Maraini wählt einen jungen, flotten Stil. Sie verlässt die auktoriale Erzählstruktur. Jeder der drei Frauen schreibt sie ein bestimmtes Medium als Erzählform zu: Gesuina ihr Diktiergerät, Lori ihr Tagebuch und Maria die Briefe an Francois. Dass ihre Sympathie letztendlich Gesuina gilt, ist nicht verwunderlich, schon allein wegen des Alters. Diese Frau hat das Leben begriffen: Zupacken, wenn nötig, und sich nicht den Freuden, die das Leben noch immer zu bieten hat, verschließen. Die Jugend in der Gestalt von Lori kommt irgendwie am schlechtesten weg: Sie sieht das Leben wie eine Torte, von der sie für sich das größte und beste Stück beansprucht. Ihre Launen müssen von der Umgebung ignoriert, besser noch: als notwendige Lebensform akzeptiert werden.

Maraini versucht hier nicht, ein so genanntes „typisches“ Generationenbild zu entwerfen, dazu sind die Figuren viel zu differenziert und eigenwillig durchgezeichnet. Der Roman ist ein Möglichkeitsentwurf: So können drei Generationen neben- und dann auch miteinander leben, wenn jede die Freiheit und Existenz der anderen respektiert. Lori gelingt das am aller wenigsten, doch am Ende glimmt ein Funken Hoffnung auf.

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Wer Zeit und Lesegeduld für fast 700 Seiten aufbringt, der wird mit einem spannenden Historientableau belohnt: In Izmir, das um die Jahrhundertwende noch den wundervoll klingenden Namen Smyrna trug, leben Griechen, Türken, Franzosen, Engländer und Deutsche zusammen. In der hochkultivierten Stadt gibt es Bars, Theater, Oper, Paläste von ehrwürdigen Familien, Villen Neureicher. Man liebt das Leben und genießt es.

Klara aus Berlin hat sich Peter aus Smyrna eingebildet. Schon bei der prunkvollen Hochzeit in Smyrna weiß sie, dass dieser brave Ehemann sie fürchterlich langweilen wird. Bald hat sie Affären, mischt in der Familie ordentlich auf. Als es zum Showdown kommt, sie geprügelt am Boden liegt, hilft ihr der armenische Arzt Sevan. Zwischen den beiden entsteht eine tiefe Liebe. In dem Haus der Granatäpfel auf einer kleinen Insel vor Smyrna finden die Zuflucht und Ruhe.

Die Liebesgeschichte ist der rote Faden, der die Leser wie am Nasenring durch die Wirren des Ersten Weltkrieges, den Kampf der Türken gegen die Griechen zieht. Man erlebt hautnah und brutal den Wahnsinn der Kriege, in dem der Nachbar plötzlich zum Feind wird, die Politiker ohne auf die Menschen Rücksicht zu nehmen, die einst so schöne Stadt in Schutt und Asche legen. Atatürk Kemal war es, der diese Stadt total zerstörte.

Lydia Conradi (Pseudonym) ist es gelungen, in dieses fast undurchschaubare Kriegsgeschehen, den Kampf zwischen Griechen und Türken, Klarheit zu bringen. Ihre Recherchen sind überwältigend genau.

Nach dem gleichnamigen Roman von Anna Weidenholzer

Es spielen: Petra Strasser, Elisabeth Veit, John F. Knittl

Inszenierung: Margit Mezgolich

Raumgestaltung: Agnes Hamvas

Kostüme: Katherina Kappert

Produktion: Liesa Marie Wondraschek

Ein Theaterabend der besonderen Art, den man auf keinen Fall versäumen soll!!

Alles an diesem Abend ist ungewöhnlich: Gespielt wird in einem aufgelassenem Gassenlokal im 14. Bezirk, drei SchauspielerInnen spielen ca. zehn Figuren, Bühne im herkömmlichen Sinn gibt es keine. Bei Raumbedarf werden die Zuschauer gebeten, sich wo anders hinzusetzen. Requisiten sind Bänke, Küchenstockerln aus den 50er Jahren, Kostüme könnten von Humana sein. Wie die Gruppe mit dieser Minimalausstattung einen intensives Theater hinbekommt, ist ein kleines Wunder

Alles klappt wie am Schnürchen: Blitzschnell wechseln die Personen ihre Rollen, blitzschnell ist ein und derselbe Raum einmal Wohnzimmer, dann Boutique, dann Arbeitsamt.

Rosa (Petra Strasser) ist 52 Jahre alt, hat 25 Jahre in einer Boutique gearbeitet und ist nun schon 2 Jahre arbeitslos. Ihr Gang zum Arbeitsamt ist die reinste Demütigung. Sie träumt sich zurück in ihr Leben, das auch nicht gerade rosig war. Elisabeth Veit ist Rosa in jungen Jahren, dann wieder die Kollegin in der Boutique, dann die Beamtin im Arbeitsamt. Kutil spielt den Boutiquenbesitzer, den Chef des Arbeitsamtes, den Ehemann der jungen Rosa und wenn Not an einer Frauenrolle ist – auch eine Frau. Dieser schnelle Rollenwechsel fasziniert und nimmt der traurigen Geschichte von Rosa, die völlig vereinsamt und ohne Aussicht auf Arbeit lebt, die Rührseligkeit, die eventuell in der Geschichte stecken könnte. Überraschung am Ende: Wer möchte, kann die ausgestellten Klamotten der Boutique (alle von Jungdesignerinnen) auch kaufen!

Infos

Spielort: Gassenlokal, 1140 Wien, Hütteldorfer Straße 141, Eingang Gründorfgasse

Wiederaufnahme: 21., 22., 23., 28. Februar, 01., 02., 07., 08., 09. März.2019 Beginn : 19.30h

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Mit Elisabeth-Joe Harriet und Stephan Paryla-Raky. 

Gesang: Diana Finta

Ort: Eden Bar

Zeit: Valentinstag, Abend.In der überfüllten Edenbar herrscht Hochstimmung! Harriet und Paryla-Raky brennen ein buntes Feuerwerk an ironisch-witzig-bissigen und hin und wieder auch romantischen Texten ab! Geschickt spielen sie einander die Wortbälle zu, wechseln rasch von einem Text zum anderen. Mit Erich Frieds bekanntem Liebesgedicht „Sagt die Liebe“ werden die Spielarten der Liebe und die Rollenverteilung von Mann und Frau abgesteckt. Eine kurze geschichtliche Zusammenfassung über den heiligen Valentin wird launisch aufbereitet, bevor es ins Eingemachte geht. Köstlich der fiktive Briefwechsel zwischen Maria Theresia und Friedrich – zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Große. Er gesteht ihr seine Impotenz und stellt ihr garantierte Kinderlosigkeit in Aussicht, falls sie ihn als Ehemann akzeptiert. Ihre Antwort: „Na danke, samma lieba glei bös!“ Berührend der Brief des Schriftstellers Erich Maria Remarque an Marlene Dietrich, poetisch und zerbrechlich die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, voller bissigem Humor der Streit zwischen dem grantigen Ehepaar „Das Ei ist hart“ von Loriot und dazwischen immer wieder Auszüge aus dem „Tagebuch von Adam und Eva“ von Mark Twain. Wenn Adam am Anfang von diesem „ES“, wie er dieses neue Geschöpf in seinem Garten nennt, gar nicht begeistert war, so muss er am Ende zähneknirschend gestehen: „Ich habe mich geirrt. Es ist besser, mit ihr außerhalb des Gartens zu leben als ohne sie im Garten.“ Mit dieser galanten Verbeugung des Mannes vor dem weiblichen Geschlecht endet dieser feine, klug komponierte Regenbogen über die Liebe.

Zum Abschied gab es für jeden Gast einen dunkelroten Liebesapfel und eine englische Valentinskarte aus 1876.

Infos über die ganze Programmpalette von Elisabeth-Joe Harriet: http://www.elisabeth-joe-harriet.com

Das Foto zeigt Elisabeth-Joe Harriet als Kaiserin Zita neben der Büste Kaiser Karls.

Ort: Hofmobiliendepot

Mitwirkende: Zita: Elisabeth-Joe Harriet. Gräfin Korff: Sylvia Reisinger

Konzept: Elisabeth-Joe Harriet

Stilgerecht begrüßt Gräfin Korff, die treue Gefährtin der kaiserlichen Familie, die Gäste. Man wartet auf das Erscheinen der Kaiserin Zita. Sie betritt langsamen Schrittes, ganz in Schwarz, auf einen Stock gestützt, den Raum. Mit mild-strengem Blick begrüßt auch sie die Wartenden. Als sie im typischen, leicht gezogenen Sprachduktus der damaligen Adeligen zu sprechen beginnt, ist man sofort von dieser nonnenhaft wirkenden Frau eingenommen und vergisst, dass hier nicht Zita erzählt, sondern eine Schauspielerin. Sie berichtet, ohne in romantisches Schwärmen zu geraten, von der ersten Begegnung mit Erzherzog Karl, der glücklichen Verlobungszeit und der Heirat 1911 auf Schloss Schwarzau. Romantische Schwärmerei war ja ihre Sache nie. Von ihren Eltern (Herzog Robert von Parma und Maria Antonia von Breganza) wurde sie schon als Kind zu Wohltätigkeit und Arbeit für die Armen erzogen. Luxus und Verschwendung waren ihr fremd, daher auch jeglicher Hang zu Romantik oder Hochmut.

Nach der Hochzeit hatte ihr Mann große Schwierigkeiten – so berichtet Zita – seine Friedensbemühungen bei Kaiser Franz Josef vorzubringen, da er nie zu den Militärbesprechungen hinzugezogen wurde. Er wusste aber schon sehr bald, dass Österreich den Krieg verlieren würde. Als er 1916 Kaiser wurde, bemühte er sich intensiv um einen Frieden. Die verhängnisvollen Friedensverhandlungen, die er diplomatisch ziemlich ungeschickt unter Umgehung seines deutschen Bündnispartners mit den Franzosen führte, streift Zita nur mit wenigen Worten und meint: Hätten die Verhandlungen geklappt, dann wäre der Zusammenbruch nicht so verheerend gewesen.

Gespannt verfolgt man die Darstellungen Zitas, die „ihren Karl“ auf allen Linien verteidigt. Ihre ungebrochene Treue zur Monarchie, ihr strenger Glaube und die Sorge um die Familie helfen ihr über die harte Zeit des Exils und den Tod Kaiser Karls hinweg. Nüchtern berichtet sie von den zahlreichen Übersiedlungen, von dem armseligen Leben in Funchal. Wo sie kann, hilft sie. Als Österreich nach dem 2. Weltkrieg hoffnungslos darniederliegt, sammelt sie in den Staaten Gelder. Sie ist fest überzeugt, dass Österreich das erste Opfer Hitlers war! Als Österreich von den Hilfsgeldern des Marshallplanes ausgeschlossen werden sollte, startet sie eine Überzeugungsfeldzug für das Land, das sie noch lange nicht einreisen ließ.

Als Zuschauer mag man für Zita vielleicht nicht die große Sympathie hegen, aber am Ende dieser spannenden und interessanten Performance bewundert man ihre Treue, ihren Einsatz für Österreich. Man hat Respekt vor dieser Frau, wie sie all die Schwierigkeiten meisterte, ohne je verbittert zu wirken. Und das, obwohl sie in der Republik lange Zeit nicht willkommen war und man der Familie Habsburg alle Besitzungen genommen hatte. Elisabeth-Joe Harriett war eineinhalb Stunden Zita. Man hörte ihr fasziniert zu und musste am Ende einen Schalter umlegen, um im Bewusstsein aus Zita wieder Elisabeth-Joe Harriet werden zu lassen.Am Ende teilt Zita ein Fotobild, das eine gewollte Ähnlichkeit mit katholischen Heiligenbildern hat, von ihrem geliebten und verehrten Kaiser Karl an alle Zuschauer aus. Ein kleines Lächeln ironisiert diese Geste ein wenig. Auf der Rückseite ist ein Ausspruch von Zita zu lesen: „Die Pflichten eines Christen besitzen mehr Gewicht als alle Privilegien der Geburt.“ für Zita mehr als ein Spruch, sondern ein Lebensgebot.

Info über weitere Termine

http://www.hofmobiliendepot.at

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Einer kommt mit dem Schiff im Hafen von New York an. Die Hoffnung, die Neugierde, die Angst vor dem Neuen, vorm Verlorensein. Die Freiheitsstatue – machtvoll, von der Freiheit kann der Ankömmling nur träumen. Enttäuschungen, Härten, Armut, Bitternis – all das erwartet ihn. Diese Amerika-Stereotype liest man häufig, in jüngster Zeit etwa in den beiden großartigen Romanen: Theodora Bauer, Chikago (sic) und Klaus Zehrer, Das Genie. (beide Romane sehr zu empfehlen!)

Karl Roßmann

Kafka war nie in Amerika. Und dennoch weiß er alles über dieses gigantische Land. Weiß von dem Moloch, der die Neuankömmling verschluckt, ausbeutet und ausspuckt. Dennoch ist es mit Karl Roßmann ein wenig anders. Wie anders, das holt Philipp Hochmair aus dem Text heraus. Er spielt Karl als einen „tumben Tor“, der mit seinen 17 Jahren noch nichts von der Bosheit der Menschen weiß, obwohl ihn seine Eltern ziemlich schroff hinausgeworfen und auf das Schiff nach Amerika verfrachtet haben. Philipp Hochmairs Karl ist halb Parzival, halb Don Quijote. Als edler junger Ritter kämpft er für den Heizer – erfolglos natürlich. Wie durch ein Wunder nimmt ihn ein reicher Onkel (das Klischee des „reichen Onkels von Amerika“, auf den in Europa viele gesetzt haben!) auf, bildet ihn aus, wirft ihn hinaus, als er sich über ihn ärgert. Und Karl stürzt völlig hilf- und ratlos, aber nie wirklich verzweifelt, von Stufe zu Stufe in den Abgrund. Bis er nach einer langen Zugfahrt im „Naturtheater von Oklahoma“ ankommt, sich bewirbt und engagiert wird.

Hochmair – das enfant terible

Philipp Hochmair ist kein Schauspieler, der sein Publikum in der Wohlfühlzone dösen lässt, wo sie einen gemütlichen Theaterabend genießen können. Gemütlich wird es nie, wenn er auf der Bühne ist, seinen Körper, seinen Geist, ja selbst die Bühnenbretter aufs Äußerste fordert. Er spielt nicht Karl, er sprüht ihn in die Zuschauer! Er redet nicht davon, wie Karl geschlagen wird, er schlägt ihn, er malträtiert ihn, wirft sich ungebremst auf die Bretter. Ist Karl, ist Onkel, ist Heizer, ist Gauner zugleich.

Philipp Hochmair ist ein Theaterereignis!

Das Publikum dankte ihm mit frenetischem Applaus, holte ihn wohl zehn Mal von ganz hintern nach vorne zur Rampe. Hochmair ging nicht, er stürmte vor, bis es ihm zu viel wurde und er abwinkte!! Auch ein Philipp Hochmair wird einmal müde.

Ich muss wieder einmal staunen, welch Geschick die Intendantin Maria Rötzer bei der Stückauswahl beweist. Da ist alles drin, was ein volles Haus sichert. Das Programm ist spannend, anspruchsvoll und niveauvoll. Schräge Verblödelung eines Textes gibt es nicht. Und das ist gut so.

In Wien fragt man sich immer wieder, was mit dem Volkstheater nach dem Abgang von Badora (endlich) geschehen soll. Warum so ratlos? Ein Blick auf das Landestheater Niederösterreich genügt, um die Marschrichtung für das Volkstheater festzulegen!!

Liebe Frau Mag. Kaup-Hasler tun Sie das

Bild: Helene Funk, Akt, in den Spiegel blickend. 1908

Durch die Ausstellung führte die Kuratorin Sabine Fellner

Wien, Stadt der Frauen? Ironie oder Statement? „Beides“, meint Sabine Fellner. Am Ende der Ausstellung gelangt man zur Überzeugung, dass Malerinnen in der Zeit zwischen 1900 und 1938 tatsächlich ein beachtlicher Durchbruch gelang. Obwohl ihnen das Studium an den verschiedenen Akademien verwehrt wurde, wurden sie als Künstlerinnen durchaus wahrgenommen. Sie stellten in der Sezession, im Hagenbund und in renommierten Galerien Wiens aus, waren gut mit dem Ausland vernetzt und waren anerkannte Weggefährtinnen der Wiener Moderne. Vielleicht waren sie nicht unbedingt die großen Neuerinnen, nie jedoch nur schlichte Nachahmerinnen. Um sich gegen die männliche Konkurrenz durchzusetzen, bedurfte es immenser Anstrengungen, sturköpfiger Ausdauer. Vor allem galt es, die Vorurteile in der Gesellschaft gegen Künstlerinnen, im Speziellen gegen Malerinnen, auszumerzen. „In der Zeit von 1900 bis 1938 machten die Frauen große Fortschritte in der Emanzipation. Nach 1945 war es aus. Entweder landeten die Künstlerinnen, weil sie Jüdinnen waren, in Lagern oder sie emigrierten.“ So Sabine Fellner. Die Bilder verschwanden in Kellern, in Privatdepots. An die Namen erinnerte sich nach 1945 kaum einer.

Sabine Fellners großes Verdienst ist es, die mehr als fünfzig Malerinnen aufgespürt zu haben. Ein wenig erzählt sie während der Führung über die schwierigen Wege des Findens.

Mit Verblüffung stellt man das immense künstlerische Potential dieser Frauen fest. Mutig malten sie Akte, obwohl Frauen der Zugang zum Aktstudium nicht erlaubt war. Mutig malten sie ihren eigenen nackten Körper oder den von geschundenen Frauen der Unterschicht. Der weibliche Körper war nicht mehr erotisches Objekt, den begierigen Augen der Bewunderer ausgesetzt, sondern opponierte gegen Macht, Männerblicke und Ausbeutung. „Gefälligere“ Themen, wie Stillleben oder Landschaften, wurden durch exzessive Pinselführung und glühende Farben zu selbstbewussten Manifesten der Eigenständigkeit.

Wer von den vielen Künstlerinnen dieser Ausstellung wird sich posthum doch noch einen Namen machen? Verdient hätte es jede einzelne.

Information zu Kunstführungen:

http://www.belvedere.at/kunstvermittlung

Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth

Besser wäre es, das Buch „Erzählungen aus dem Mittleren Westen“ zu nennen. Viele Einzelgeschichten werden aneinander gereiht, die sich nur lose durch die Figur der Schriftstellerin Lucy Barton zu einem Ganzen zusammenfügen.

Elizabeth Strout hat ihre treue Leserschaft, zu der ich nicht zähle. Nach der Lektüre dieses Buches auch nicht. Obwohl die Autorin mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, konnte mich „Alles ist möglich“ nicht wirklich überzeugen. Zugegeben, das Milieu einer muffigen Kleinstadt, die überall in der Welt sein könnte, hat sie gut getroffen . Mir fehlt aber das wirklich einigende Band eines Romans. Dass Elizabeht Strout Figuren gut charakterisieren kann, steht außer Zweifel. Da ist zum Beispiel die Lehrerin Patty Nicely, die von ihren Schülern wegen ihrer Fettleibigkeit offen verspottet wird, oder der nette Schulwart Tommy Guptill. Er verlor seine Farm durch einen Brand, ist aber mit seinem Dasein als Schulwart dennoch zufrieden. Die beiden sind eine der wenigen positiven Figuren in diesem Buch. Die meisten versinken in ihrem Elend, werden gewalttätig oder depressiv. Mitleid, Liebe oder Lebensfreude – das sind Emotionen, die in diesem Buch fast nicht vorkommen. Die Menschen wissen gar nicht, dass sie durch Liebe oder Güte ein wenig Licht in ihr eigenes Leben bringen könnten. Sie sehen nur ihr persönliches Elend, das Strout manchmal mit fast voyeuristischer Genauigkeit schildert, wobei immer deutlich ihre Empathie mitschwingt.

Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine geboren und lebt in Maine und New York City. Ihre zahlreichen Romane wurden in viele Sprachen übersetzt. http://www.randomhouse.de/luchterhand/

Nach der Übersetzung von Wolf Heinrich Graf von Baudissin, überarbeitet von Bruno Max

Der Regisseur Bruno Max: „Shakespeare, grausam und ehrlich.“ Dazufügen könnte man noch: Homers Ilias auf dumme Männerkriegsphantasien abgeklopft!

Die geniale Inszenierung von Bruno Max wird congenial unterstützt von Marcus Ganser, der ein Bühnenbild schuf, das heutige Kriegsschauplätze mit den antiken verbindet, und Alexandra Fitzinger, die passende Kriegs-Kostüme entwarf, und Gerhard Hradil, der das Kampftraining mit den Schauspierlern einstudierte. Nicht zu vergessen auch die situationsangepasste Musik von Fritz Rainer. Und natürlich:

Das einfach tolle Ensemble

das eine Spitzenleistung abliefert. Mit dem Shakespearetext können alle souverän umgehen, was nicht immer selbstverständlich ist, wenn ich an so manche Shakespeareaufführungen an anderen Bühnen denke. Wen soll man besonders hervorheben? Es fällt mir schwer, da alle in ihrer Rolle großartig sind und mit vollem Einsatz spielen.

Herrlich, wie die Kriegslust der Männer als nackte Angeberei und Dummheit entlarvt wird! Da brüllen sie vor Kampfgier und kommen mit blutiger Nase vom Kampfplatz zurück, da protzen sie mit Muskeln, da sprudeln Dummheit und Borniertheit nur aus den Köpfen heraus. Egal, ob im Lager der Griechen oder in der belagerten Stadt Troja – die Männer haben Schaum vor dem Mund und das Hirn ausgeschaltet. Und die Liebe zwischen Troilus und Cressida? – Sie wird durch den Krieg zerstört.

Mein Rat: unbedingt ansehen, aber vorher eine gute Inhaltsangabe der „Ilias“ von Homer lesen, denn dann versteht man die ironischen Seitenhiebe besser!

Aufführungen noch bis 02. Februar 2019.

Theater Scala-Ein Theater der TZF (Theater zum Fürchten)

http://www.theaterzumfuerchten.at/TheaterScala

Olga Schnitzlers Talkshow mit Hugo von Hofmannsthal

Elisabeth-Joe Harriet mangelt es nie an ungewöhnlichen Einfällen, wie man Literatur interessant und neu aufbereitet dem Publikum servieren kann. Wobei ich das Wort „servieren“ ganz bewusst wähle. Denn in der Caféhausatmosphäre des „Steigenberger Hotel Herrenhof“ in der Herrengasse 10 im Zentrum Wiens wird tatsächlich Literatur mit Kaffee, Likör und der Herrenhoftorte serviert. Letzteres natürlich in der Pause.

Interessante Form einer TalkshowDie Idee ist neu: Die Autorin Elisabeth -Joe Harriet schlüpft in die Rolle von Olga Schnitzler, der Ehefrau Arthur Schnitzlers. Zeitpunkt des imaginierten Gespräches: Hofmannsthal ist tot, Schnitzler ebenfalls. Es bleibt offen, ob Olga das Interview als noch im Exil Lebende führt oder ebenfalls schon gestorben ist. Eher ist die Ausgangslage so: Beide sind tot, wissen um ihren Tod, das Interview findet unter diesem Blickwinkel auf die Vergangenheit statt. Dabei wird immer wieder zwischen den Zeiten hin- und hergeswitcht. Das ergibt ein amüsantes Gedankenspiel zwischen Realität und Spiel, zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Wobei die Gegenwart zwei Ebenen meint: Einmal die der Aktion – wenn Olga aus persönlichen Briefen und Tagebüchern vorlesen will, Hofmannsthal sich dagegen vehement wehrt. Olga aber weist darauf hin, dass bereits alles längst veröffentlicht ist. Dabei spielt die Autorin auch geschickt auf die zweite Ebene an : Die Indiskretion als Hauptantrieb in heutigen Talkshows. Im Wissen um das Schicksal beider Personen genießt das Publikum dieses Doppelspiel der Zeiten.

Ein wenig lang dehnt sich Olgas Befragung nach einzelnen Erfolgsstationen des Dramatikers Hofmannsthal aus. Da könnte man durchaus kürzen. Denn – um es unumwunden zuzugeben – spannend wird es gerade, wenn Olga auf Hofmannsthals Privatleben eingeht. Fragen nach seiner braven und gütigen Ehefrau Gertrud, die dazu da war, ihrem Dichtergatten das Alltagsleben zu erleichtern, nach seinen intensiven Freundschaften mit Männern, seinen Liebesbeziehungen – vielleicht rein platonisch – zu anderen Frauen. Hofmannsthal blockt all diese Fragen geschickt und empört ab. Olga setzt nicht nach. Schade, dachte ich.

Dass dieser literarische Nachmittag nicht in die Langeweile der heutigen weich gespülten Talkshows oder einer Deutschnachhilfestunde abgleitet, dafür sorgen die beiden Darsteller. Florian Sedivy in einer Hofmannsthal verblüffend ähnlichen Maske spielt den eitlen, begabten und sehr sensiblen – um nicht zu sagen „angrührten“ Dichterfürsten in Gestik und im typischen leicht raunzig-gezogenen Tonfall der Wiener Hautvolée um 1900. Harriet ist eine Dame, aber keine Salonière, aus dieser Zeit, mit deutlichen Attitüden einer forschen Interviewerin der Gegenwart.

Weitere Aufführungen: 10. Februar, 10. März, 14. April 2019, jeweils sonntags um 15h im Hotel Steigenberger Herrenhof.

Weitere Informationen:

http://www.elisabeth-joe-harriet.com

Opernübertragung aus der MET im Kino

Es war wieder eine der Sternstunden aus der Serie Met Opera. Unter dem sensiblen und detailreichen Dirigat von Gianandrea Noseda in der bekannten und bewährten Inszenierung von Sir David Vicar (die auch schon an der Wiener Staatsoper zu sehen war) sang Anna Netrebko die Rolle der Adriana Lecrouvreur mit einer Intensität, wie man sie in ihren Anfängen erleben konnte. Bewundernswert auch, wie sie in die Gestik und Mimik einer Schauspielerin des beginnenden 19. Jahrhunderts hineinschlüpfte, ohne je ins Peinliche zu gleiten. Als ihre Rivalin gestaltete Anita Rachvelishvili die Rolle mit Furor und toller Altstimme. Die beiden lieferten sich ein Gesangs- und Eifersuchtsduell der Sonderklasse!! Zwischen den beiden lavierte Piotr Beczala als Maurizio – perfekt in der Rolle zwischen des ein wenig aalglatten Verliebten und politischen Ehrgeizlings! Ambrogio Maestri war berührend als der treuherzige Theaterprinzipal.

http://www.metimkino.de

Volker Hage: Die freie Liebe. Luchterhand Verlag

Volker Hage ist ein Literaturmensch, forscht, lehrt und schreibt über Literatur. Seine Romanbiografie über Arthur Schnitzler „Des Lebens fünfter Akt“ ist feinsinnig und einfühlsam geschrieben. Also wurde ich neugierig und las „Die freie Liebe“. Darin verarbeitet der 1949 geborene Autor wohl vieler seiner eigenen Erfahrungen über die sexuellen Freiheiten der späten 60er und 70er Jahre, die sich der Jugend plötzlich eröffneten. Gerade hatte sich Wolf aus einem engen Elternhaus und von einer frustrierenden Beziehung befreit, ist  nach München gezogen, um zu studieren, da erlebt er in einer WG „die große sexuelle Befreiung“ – er verliebt sich hals über kopf in die nervige Lisa, die ihrerseits mit dem toleranten Andreas verlobt ist. Es hat den Anschein, als ob die Dreierbeziehung funktionieren könnte. Aber eben nur könnte.

Das wirklich Interessante an diesem Buch sind nicht die ausführlichen Beschreibungen der sexuellen „Tätigkeiten“, sondern die Hinweise auf Filme und Bücher, die in den 70ern aktuell waren. Der Rest ist langweilig und nicht immer glaubwürdig. 

http://www.randomhouse.de/Verlag/Luchterhand-Literaturverlag/2400.rhd

Peer Gynt. Ballett an der Wiener Staatsoper

Edward Clug, Ballettchef am Slowenischen Nationaltheater in Maribor, zählt zu den  Choreographen, die das erzählende Ballett ohne peinliche Übergestik auf die Bühne bringen.  

An der Wiener Staatsoper sah man (letzte Aufführung am 10. Dezember) seine kluge Bearbeitung von Ibsens Drama „Peer Gynt“. Durch die feinfühlige musikalische Zusammenstellung mit ausschließlich Werken von Edvard Grieg gelang ein rund um gelungener, faszinierender Ballettabend. „Peer Gynt“  wird zur Parabel von einem, der nicht begreift, was im Leben am wichtigsten ist -die Liebe. Von Eitelkeit und kindischem Egoismus getrieben tanzt er durch das Leben, zerstört Beziehungen, reist durch das Land der Trolle, zeugt mit der Frau in Grün (ausgezeichnet getanzt von Nikisha Fogo) ein Kind, fliegt nach Marokko, wo er sich wie mieser Kolonialherrscher aufführt und landet für eine Zeit im Irrenhaus. Denys Cherevychko verkörperte alle Altersstufen Peer Gynts ausgezeichnet: den schlaksig-unbekümmerten Knaben und den satten, egoistischen Mann, der am Ende seines Lebens als gebrochener Greis zu Solveig zurückkehrt. Nina Polákova – einmal nicht in der Rolle einer eiskalten Frau – verkörpert Solveig mit Anmut und tänzerischer Leichtigkeit. Berührend ist die Schlussszene, in der sie das Haus auf dem Rücken tragend Peer Gynt einlädt, einzutreten. Doch für ein gemeinsames Leben ist es zu spät.

Edward Clug fügt Peer Gynt einen Hirsch als Alter Ego bei, der ihn in die Welt hinauslockt, zu den unmöglichsten Abenteuern verleitet. Zsolt Török tanzt ihn mit verführerischer Grazie. Die Figur des Todes (Eno Peci) entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Statt Peer Gynt in sein Reich zu führen, paukt er den Draufgänger immer wieder aus gefährlichen Situationen heraus. Humor ist ein wesentlicher dramaturgischer Griff von Edward Clug – wobei ihn Leo Kulas mit fantasievollen Kostümen und Marko Japeli mit verblüffend einfachen Bühnenbildern tatkräftig unterstützen. Dazu kommt noch die verführerisch schöne Musik Edvard Griegs, die Simon Hewett mit hoher Konzentration auf die Tänzer und sehr einfühlsam dirigiert. Ein Abend, den man voll genießen kann, ohne sich bei jeder Szene nach der Symbolik und dramatischen Aussage fragen zu müssen. Zurücklehnen, hören, schauen und staunen! 

http://www.staatsoper.at

Alex Capus, Königskinder. Hanser Verlag

Die beste Liebesgeschichte seit Léon und Louise! Alex Capus ist ein Meister der subtilen Seelenschau. 

Es geht um die Frage, was Erzählen, Literatur im weitesten Sinn, kann.  Tina und Max führen seit 26 Jahren eine Ehe, die sich durch Streitlust und Diskussionsfreude frisch hält. Als sie auf einem Gebirgspass im Auto eingeschneit werden, erzählt Max eine „wahre Geschichte“, um die doch  bedrohliche Situation für Tina erträglicher zu machen.

Wir schreiben das Jahr 1779.Irgendwo in der deutsch-französischen-Schweizergrenzregion lebt der Viehhüter Jakob. Ins Tal kommt er nur, wenn Abtrieb ist. An so einem Tag sieht er Marie und Marie sieht Jakob. Die Liebe kommt über die beiden wie ein Naturereignis. Doch dem Vater Maries, einem reichen Bauern, ist die Liebe seiner Tochter zu dem „Alpentrampel“, wie er Jakob nennt, nicht recht. Jakob muss vor seinem Zorn fliehen, geht zum Militär. Die Jahre vergehen. Beide haben nur eines im Sinn: ein Wiedersehen. Wenn auch nur kurz. Wieder muss Jakob seine Marie verlassen. Prinzessin Elisabeth, die Schwester Ludwigs XVI., lässt ihn als Kuhhirt auf ihren Pseudobauernhof holen. Widerstand wäre zwecklos. Dort verlebt nun Jakob eine ruhige Zeit, die Revolutionswirren gelangen nicht bis zu dem Bauernhof. Doch er hat Sehnsucht nach seiner Marie. Prinzessin Elisabeth will, dass er glücklich ist. Deshalb lässt sie Marie holen. Die beiden heiraten, Marie erwartet ein Kind. Als der Königshof Versailles verlässt, ziehen sie heim ins Schweizer Grenzland, kaufen einen Bauernhof und leben glücklich.

Und Tina und Max? Der Schneepflug hat sie am Morgen mit Schnee zugeschüttet. Sie kriechen aus dem Auto und marschieren zu Fuß ins Dorf, wo sie von der Polizei aufs Kommissariat gebracht werden und wegen Verstoßes gegen das Straßenverkehrsgesetz verhört werden.

Alex Capus erzählt die Geschichte von Marie und Jakob in der Sprache der Märchen – schlicht und voller Poesie. Durch die Unterbrechungen in die Gegenwart der beiden im Auto Eingeschlossenen wird die Erzählung ironisch unterlaufen. Tina fragt immer wieder nach: Ist die Geschichte auch wahr? -Sie ist wahr im Augenblick des Erzählens. Wie alles wahr ist, was gut und zum richtigen Zeitpunkt erzählt wird.

http://www.hanser-literaturverlage.de 

Juli Zeh ist Meisterin im Finden aktueller Themen. In ihrem vorletzten Buch „Unterleuten“ legt sie ihren Schreibfinger auf das Leben in einem Dorf im ehemaligen Ostdeutschland, schildert tief in die Seelen der Bewohner schürfend deren Abgründe.

In ihrem neuesten Roman „Neu Jahr“ scheint alles zu passen: Nette Familie, Vater, Mutter, zwei Kinder. Vater Henning beschließt über Weihnacht ein Ferienhaus in Lanzarote zu buchen. Alles perfekt: Wetter, Haus und Insel. Bis sich Henning aus einem ihm unerklärlichen Trieb heraus früh am Morgen aufs Fahrrad setzt und nach Femès hinaufradelt. (Kennt Juli Zeh den wunderbaren Roman „Mararía“ von Rafael Arozarena? Er spielt  in Femès der 1950er Jahre, als Insel und Dorf noch im dunklen Mittelalter lebten) Oben angekommen labt Lisa, eine alleinstehende Frau und Künstlerin, den total Erschöpften. Ein Brunnenschacht, bemalte Steine im Ausstellungsraum rufen in ihm Erinnerungen aus der Kindheit wach. Er war schon einmal in diesem Haus, hat schreckliche Dinge erlebt, von denen er bis ins Erwachsenenalter Albträume und unerklärbare Erregungszustände hat. Der Sommer mit seinen Eltern und seiner Schwester steigt in seiner Erinnerung auf. In diesem Haus hat sich Fürchterliches abgespielt! Vor den Augen des Lesers entwickelt July Zeh einen Seelenkrimi, spannend wie ein echter Thriller.

Großartig, wie Juli Zeh die Zaubermacht der Insel Lanzarote mit unserer heutigen, nüchternen Welt verknüpft. Auf der Vulkaninsel kommen im Menschen Kräfte hoch, wie durch Magma ins Bewusstsein getrieben. Das kann befreiend sein für denjenigen, der die Erkenntnisse akzeptiert, aber auch bedrohlich und alle Kraft raubend.

Juli Zeh einmal ganz anders! Absolut lesenswert.

http://www.luchterhand.de

Natürlich denkt man sofort an Schnitzlers „Reigen“, insbesondere an die Szene „Das süße Mädel und der Dichter“. Glattauer dreht jedoch die Verhältnisse um: Das süße Mädel ist gar nicht süß. Martina Ebm als Lisa ist frech, selbstbewusst, vor allem jung und heizt dem um Jahrzehnte älteren und arroganten Dichter Frederic Trömerbusch (August Zirner) ganz ordentlich ein, reduziert seinen männlichen Stolz auf Null, empfiehlt ihm Viagra, gibt ihm zu verstehen, dass sie von seinen Romanen ebenso wenig hält wie von seiner Männlichkeit. In dieser Schlüsselszene zeigen beide ihr Können: Ohne ins Klischee des abgehalfterten Dichters und Mannes allzu sehr abzugleiten, lässt August Zirner die Verletzlichkeit spüren, die in dem großen  „Dichterfürsten“ liegt. Martina Ebm ist ehrlich, brutal -offen und fast unsympathisch in ihrer aufdringlichen Jugendlichkeit. Glattauer spielt hier gekonnt mit dem Klischee „älterer Mann“ und „junge Frau“. 

Klischees aufzudecken, sie vordergründig zu bedienen und zugleich zu demaskieren, ist ja Glattauers Stärke. Er lässt das Stück in einem ehemaligen Luxushotel, das seine Glanzzeit schon lange hinter sich gelassen hat, spielen. Fauteuils, Betten aus den frühen 60er Jahren, eine verblasste Tapete füllen die Bühne (Ece Anisoglou). Der verzweifelte Erbe dieses schäbigen Hotels mit dem bezeichnenden Namen David-Christian  Reichenshoffer  (Dominic Oley) – er hofft vergeblich auf reiche Gäste -möchte mit  Lesungen und Interviews bekannter Persönlichkeiten ein kulturaffines Publikum anlocken. Susa Meyer als supergut vorbereitete und in Anbetung erstarrende Interviewerin und August Zirner als gelangweilter „großer Dichter“ sind das Paradebeispiel für Interviews der langweiligsten Art, wie man sie aus „Gesprächsrunden mit wichtigen Persönlichkeiten“ aus Radio oder Fernsehen kennt. Alles geht schief, der Dichter boykottiert die Fragen der allzu peniblen Moderatorin, der Hotelbesitzer erkennt, dass mit den „Sternstunden“, wie er die Gespräche nennt, keine Gäste anzulocken sind. „Ich habe ein Kulturhotel und keine Kultur“ – mit dieser Erkenntnis kündigt er seiner glücklosen Moderatorin.

Daniel Glattauer hat wieder einmal dem Hang nach einem positiven Schluss nachgegeben und lässt die beiden Verzweifelten, den gerade von seiner jungen Geliebten geschassten Dichter, und die arbeitslose Moderatorin zusammenfinden. Die energiegeladene Lisa angelt sich den gescheiterten Hotelier. So ein Schluss verlangt von den Schauspielern eine gehörige Portion Ironie, um sie aus dem Griff des all zu Platten zu befreien. Das Quartett schafft das locker, professionell unterstütz vom Regisseur Michael Kreihsl.

Man schmunzelt, lacht, erkennt eigene Eitelkeiten und die unserer Gesellschaft. Perfekt, vielleicht ein wenig zu glatt-perfekt. Unterhaltsam allemal.

http://www.josefstadt.org

Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch. Tropen Verlag

Michal Hvorecky, geboren 1976 in Bratislava, ist Autor, Journalist und engagierter Kämpfer für die Pressefreiheit und gegen antidemokratische Bestrebungen. In dem Roman „Troll“ führt er uns die allzu nahe Zukunft vor Augen: Die EU – lahme Ente, die Trolle im Internet beherrschen das politische Geschehen im „Reich“ – eine Anspielung auf Russland oder auch andere Diktaturen. „Trolle“ agieren im Internet ohne Identität, verbreiten Hass und Unwahrheiten, die emotional geladen und so geschickt getarnt und formuliert sind, dass die Community sie für wahr hält. Nachrichten dieser Art verbreiten sich im Netz in unglaublicher Schnelligkeit und können Wahlen manipulieren und Staaten destabilisiere

Der namenlose Erzähler lernt in einer Heilanstalt die schwer traumatisierte, drogenabhängige und hoch intelligente Johanna kennen. Die beiden werden Freunde und beschließen gegen das autoritäre System und die Lügen im Netz zu agieren. Sie lernen sich als Trolle im Internet zu bewegen, torpedieren die Zentrale der Trolle, setzen sie außer Kraft und gründen ein Team von Freiwilligen, die alle Lügen des Staates aufdecken und in den Schulen Medienerziehung einrichten, damit die Jugend auf Propaganda und Lügen richtig reagieren lernt. Doch der „Sieg“ ist fragil, immer wieder wird Johanna angegriffen. Der Erzähler hat sich einer Gesichtsoperation unterziehen müssen, weil der Mob seine Identität im Netz aufgedeckt hat und sich ganz aus dem Internet zurückgezogen.

Was dem Leser  vielleicht als übertrieben oder als ferne Zukunft erscheint, ist beinharte Realität, die schon in den Startlöchern lauert. Ein Roman, der allen, wirklich allen, die noch an eine bourgeoise Sicherheit glauben, dringend zu empfehlen ist. Sicherheit ist nirgendwo, das ist die bittere Conclusio des Romans. Er erinnert in seinem Bedrohungsszenario an Houellebecqs „Unterwerfung“. Das rasante Tempo und der messerscharfe Stil, in dem Michal Hvorecky erzählt, entspricht ganz der Gefährlichkeit des Geschehens. 

http://www.tropen.de