Festspielhaus St.Pölten eröffnet mit „Das Dschungelbuch“ nach Kiepling. Eine Produktion von Théâtre de la Ville-Paris

In englischer und französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Regie, Bühne und Licht: Robert Wilson. Musik und Liedtexte: CocoRose

Was für ein heiterer, unbeschwerter Auftakt nach der langen Corona bedingten Schließung! Robert Wilson hat sich eine zarte Mischung aus Musical und Zirkus ausgedacht. Wie immer arbeitet er mit zauberhaften Lichteffekten. Wie ein Märchen aus der unschuldigen Zeit, als Tiere noch friedvoll und Menschen so was von pfui waren, mutet alles an. Erzählt wird von einer Art Märchenelefantentante, Kinderfrau in weißem Nachthemd und riesigen Ohren ( Aurore Deon). Den Mowgli gibt Yuming Hey.Von ihm geht ein besonderer Zauber aus, vielleicht auch weil er an den „Kleinen Prinzen“ von Saint Exupéry erinnert: zart, klein, in einem roten Hemd, die Haare in einzelnen Zipfeln aufgekämmt. ER tanzt mit großen Kinderaugen zwischen den Tieren. Als er zu den Menschen kommt , staunt er über deren Eigenarten, beschließt, sie nicht zu mögen und kehrt flugs in den Dschungel zurück. Ein besonders liebenswerter, tollpatchiger Bär (Francois Pain-Dozene) tanzt und singt sich in die Herzen der Zuschauer hinein. Jede einzelne Figur ist witzig, ironisch. Die Musik flott, die Tanzszenen einfach, die Kostüme von Jacques Reynaud bezaubernd, nicht übertrieben.

Mowgli und der Tiger (Roberto Jean) (Foto: Lucie Jansch)

Insgesamt eine frisch-fröhliche Inszenierung, Gott sei Dank ganz ohne Corona- und sonstige Bezüge. Robert Wilson will einfach nur ein Märchen erzählen. Und das ist ihm exzellent gelungen. Das Publikum dankte mit viel Applaus dem ganzen Ensemble, besonders den bei der Première anwesenden Robert Wilson.

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Elisabeth Joe Harriet eröffnet die 3. Saison der „Konversationen im Herrenhof“: Olga Schnitzler konversiert mit Karl Kraus.

Durch die weit geöffneten Fenster des Salons im „Café Herrenhof“ strömt milde Spätsommerluft. Fiaker ziehen vorbei, ihr Hufgeklapper ist die Musik, die zu diesem Nachmittag passt: Olga Schnitzler (Elisabeth-Joe Harriet) plaudert mit Karl Kraus (Kurt Hexmann). Man könnte meinen, in die Zeit nach 1900 rückversetzt worden zu sein.

Olga im Midikostüm aus der Zeit, die Haare zu einem strengen Knoten im Nacken gefasst, Karl Kraus im eleganten dunklen Anzug mit Fliege, Nickelbrille und strengem Lächeln – so schreiten sie Arm in Arm vor zum Podium. Und dann beginnt ein Feuerwerk an geistreichen Gesprächen – wehmütig fragt man sich: Wo sind so spritzige Dialoge heute noch zu erlerben? Hat uns die Digitalisierung das analoge Denken im Sprachzentrum zerstört. Man lehnt sich zurück und genießt das Salongeplauder.

Olga Schnitzler ist eine versierte Gesprächspartnerin, steht ihrem sprachgewaltigen Gast an Wissen und Witz um Nichts nach. Wie um ihren Gast gesprächslocker aufzuwärmen, fragt sie ihn über seine Kindheit in dem Städtchen Giltschin in Böhmen und seine Jugend in Wien aus. Über die Professoren wird ein wenig gelästert, und Kraus/Hexmann liefert eine gelungene Parodie seines Geographieprofessors.

Schnell ist man bei den Feindbildern: Hermann Bahr, den er so gar nicht mochte, qualifiziert er als zu wankelmütig ab. Der wechselte seiner Meinung nach Haltungen und politische Richtungen wie das berühmte Hemd. Für die „Neue Freie Presse“ im speziellen und die Medien im Allgemeinen hat er nur Verachtung. Er nennt sie neue feile Presse. Seinen Kampf gegen Dummheit und Korruption lebte er bekanntlich in der „Fackel“ gründlich aus.

Olga Schnitzler, kluge Schmeichlerin, möchte mehr über den Privatmenschen Karl Kraus erfahren. Geschickt entlockt sie ihm die intimsten Gedanken über die Liebe. Ganz verschwärmt erinnert sich Karl Kraus an seine große Liebe, die Schauspielerin Annie Kalmar. Sie starb sehr jung an Krebs in Hamburg. Er besorgte das Begräbnis und pflegte ihr Grab.

Diskretion war Karl Kraus wichtig. Dass von seiner Wohnung in der Lothringerstraße Fotos existieren, empört ihn über den Tod hinaus. Sie war sein Rückzugsort, wohin nicht einmal die besten Freunde eingeladen wurden. Er hatte nur wenige Freunde, denen er aber ein Leben lang die Treue hielt. Ob Arthur Schnitzler dazu gehörte? Wohl kaum. Sonst würde er ihm nicht „sexuelles Tirolertum“ vorwerfen. Olga lächelt dazu, wissend und gequält.

Karl Kraus war auch ein ahnungsvoller Prophet. Sehr früh schon erkannte er, dass die Menschheit die Natur gierig ausbeutet und dabei sich selbst am meisten schadet. So endet er die Konversation mit den bitteren Worten: „Seitdem sich die Menschheit mit einem Propeller verbindet, geht es mit der Natur abwärts!“

Diese geistreiche Konversation sollte man nicht versäumen! Wie immer werden in der Pause im Café Herrenhof Tee, Kaffee, Kirschlikör und die Steigenberger Herrenhoftorte serviert. Die nächsten Termine im Steigenberger Hotel Herrenhof : 20., 27. September, 1. 15. 29. November jerweils um 15h.

Karten nur im Vorverkauf unter: 0676/ 899 68 050 oder sylviareisinger@aon.at

Informationen über das gesamte Programm von Elisabeth-Joe Harriet:

http://www.elisabeth-joe-harriet.com

Dürrenmatt nach Shakespeare: König Johann

Künstlerische Leitung und Regie: Anna Maria Krassnigg

Das Ensemble „wortwiege“ ist vom Thalhof in die Kasematten nach Wr. Neustadt umgezogen. Dort weiß es die Gemäuer und die Atmosphäre dieses ehemaligen Waffenlagers aus dem Mittelalter ausgezeichnet zu nützen: Mit einem fantasievollen Bühnenbild (Andreas Lungenschmid), einer raffinierten Lichtregie (Lukas Kaltenbäck) und einer zum jeweiligen Geschehen punktgenau passenden Musik (Christian Mair) wird das Publikum vom Anfang an gefesselt.

Die Geschichte um diesen Johann (1167-1216), der auch oft „Johann ohne Land“ tituliert wird, ist ziemlich verworren. Kurz zusammengefasst: König Johann lässt sich in Verhandlungen mit König Phlipp ( sehr überzeugend:Jens Ole Schmieder) ein, um Teile seiner Erbländer in Frankreich zurückzubekommen. Beide schließen Verträge, die sie nicht halten, gehen Bündnisse ein, die sie gleich wieder brechen. Es mischt natürlich auch die Kirche mit, belegt zuerst König Johann mit dem Kirchenbann, gleich darauf König Philipp. Am Ende stehen beide vor den Trümmern ihrer Machtgier, haben Tausende von Menschen geopfert und nichts an Vernunft gewonnen.

Ein hoch motiviertes Ensemble macht dieses schwierige Stück zum faszinierenden Erlebnis. Allen voran Horst Schily. Er gibt diesem König Johann einen vielschichtigen, keinesfalls einschienig bösen Charakter. Mal ist er fies, dann wieder kindisch, gleich darauf ein Wüterich. Wenn er so ganz langsam seine Augen schweifen lässt, dann kann man nicht erahnen, was in ihm vorgeht. Manchmal ist er ein armseliger Tropf, dann ein hinterhältiger Machtmensch, gleich darauf weinerlich. Nie brüllt er, eher ist seine Stimme verhalten, als wollte er seine geheimsten Gedanken nicht preisgeben. Dürrenmatt hat die Frauenrollen in dem Stück deutlich aufgewertet. Blanka (Petra Staduan) tobt sich als Jungemanze aus. Kaugummikauend und in Halbstiefeln stapft sie über den Steg, weigert sich als Schachfigur im Machtspiel der Männer missbraucht zu werden, lässt den von ihr gewünschten Ehemann, den sie aber aus politischen Gründen nicht bekommt, von Knechten auspeitschen,weil er (Niko Lukic )sich nicht für sie eingesetzt hat. Frauenemanzigpation mit einem Schuss Ironie! Herrlich überzeichnet auch die Rolle des Kardinals, der im Namen des Papstes den Bann ausspricht. Isabella Wolf im Conchita Wurst-Look legt in dieser Rolle eine Tanzparodie der Sonderklasse hin. Und Österreich? – ja, das Land hält sich aus den Intrigen draußen. Nina Gabriel als Herzog Leopold V. von Österreich steht im Hintergrund im Steirerhut mit Geweih und langem Mantel und mampft Äpfel. Er kann zuschauen, wie sich Johann und Philipp gegenseitig vernichten, hat er doch gerade vor kurzem Richard Löwenherz gegen ein hohes Lösegeld frei gegeben. Mit dem Geld baute er Wiener Neustadt als uneinnehmbare Festung auf. (Ein Teil davon sind die Kasematten). Julian Waldner sorgt für Gelächter, wenn er in Blitzeseile von einer Rolle in die andere schlüpft und das aufgeblasene Gehabe der Diplomatie ad absurdum führt.

Ein spannender Abend, den man nicht versäumen sollte. Ein Tipp: Vor der Vorstellung ist es ratsam, sich über die Geschichte dieses Johann schlau zu machen. Denn sonst wird es besonders am Anfang schwierig, dem schnellen Geschehen zu folgen. Noch dazu, wenn die Akustik dieses Raumes nicht die beste ist. Aber – so hört man – die kommenden Vorstellungen sollen in einem anderen Saal mit besserer Akustik gespielt werden.

Termine und Infos:

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„Romeo und Julia“ in Perchtoldsdorf – Aufführung am 13. August 2020

Regie: Veronika Glatzner, Textbearbeitung und Dramaturgie: Angelika Messner.

Es hat sich ausgezahlt, zu warten. Um 19.30 war es noch immer nicht sicher, ob gespielt werden wird. In der Umgebung tobte ein heftiges Unwetter. Über der Burg brauten sich dunkle Wolken zusammen. Doch mit einiger Verspätung konnte dann doch das Spiel um Hass, Liebe und Tod begonnen werden.

Zunächst das Eingangsbild: Gestalten in weißer Kleidung (Kostüme: Marie Sturminger), manche Männer mit ziemlich dümmlichen Frauenattributen, beginnen aufeinander los zu gehen, fallen um. Tot. Dann erscheint eine starre Fürstin (Marie-Christine Friedrich), die, geschockt über so viele Tote, endlich Frieden zwischen den Capulets und Montegues verlangt. Nach dieser schon sehr schrägen Introduktion beginnt das Spiel, ziemlich vergagt und überinszeniert. Die Amme (ebenfalls M-Ch. Friedrich) ist hysterisch, sexgeil und leicht verblödet. In dieser Rolle zwar exzellent, aber man fragt sich, wozu diese Übertreibungen. Dann die Balkonszene: Valentin Postlmayr hängt als knabenhaft verliebter Romeo auf dem Stahlgerüst und wird von den weißen Segeltuchvorhängen, die der Wind in die Luft und um ihn wirbelt, eingehüllt. (Bühne: Paul Sturminger). Diese ungewollte Komik passt natürlich überhaupt nicht zu der Balkonszene – das Publikum lacht herzlich und beklatscht Romeo, der sich tapfer gegen die Riesenleintücher wehrt. Auch Julia (Lena Kalisch) bewahrt die Contenance und bleibt tapfer am Text.

Inzwischen zischen Blitze über den Himmel über der Burg, passend zu der Kampfszene zwischen dem ewig lästernden und stänkernden Mercutio (Emanuel Fellmer) und Tybalt (Raphael Nicholas). Beide legen eine ziemlich gute Perormance hin, Mercutio schnaubt und wütet wie ein Tier. Leider ist die ganze Szene viel zu lang, wodurch ihr die Schärfe und Brillanz genommen wird.

Nach der Pause (einige Zuschauer haben das Theater verlassen) werden die Szenen dichter und berührender. Tragik und Leid werden spürbar. Die Spannung steigt, obwohl ja jeder im Publikum den Ausgang kennt) Nun verzichtet die Regie auf Gags und setzt ganz auf große Gefühle. Der Selbstmord der beiden – auf einem Podest über dem Bühnenboden- lässt alle allzu komödiantischen Einfälle des ersten Teils vergessen.

Viel Applaus und Bravorufe für das ganze Ensemble.

Es wird noch bis Freitag 4. September gespielt.

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Neil Simon: Sunny Boys im „Schwimmenden Salon“

Ort: Thermalbad Vöslau. Mit dem Komödien-Trio Petra Morzé, Micheal Maertens und Roland Koch.

Es war einer dieser wunderbaren Sommerabende. Die Kulisse des Thermalbades imaginierte Vergangenheit, das Publikum war erwartungsvoll und zahlreich gekommen.

Das Trio durfte sich in Komik, Schrulligkeit und handfestem Klamauk austoben. Maertens als Willy Clark im kniekurzen Bademantel, einer scheußlichen Bermuda, dazu karierte Socken – der Grantler, wie er im Büchl steht. Petra Morzé war in voller Fahrt einmal als Nichte und verzweifelte Managerin ihres Onkels, dann als Krankenschwester im Set. In dieser Szene war sie umwerfend sexy: Im Kurzkleidchen, das gerade über die Popobacken reichte, weißen Halterstrümpfen mit rotem Zierblumen hielt sie Maertens ihr Hinterteil entgegen, der verzückt darauf starren durfte:

Maertens und Morzé . Foto: Katharina Schiffl/Thermalbad Vöslau

Robert Koch als Al Lewis überraschte durch seine schräge Sturheit, mit der er seinen Kumpel attackierte. Die „Poch-Poch- Szene“ gestaltete er zu einem Dauerlacherfolg.

Ein bei szenischen Lesungen immer wiederkehrender Trick wurde natürlich auch wirksam eingesetzt: Man verliert den Textfaden, die Seiten rutschen unter den Tisch und kudernd suchen alle danach. Auch das waren gut eingebaute Lachhits. Vielleicht waren die Texthänger aber gar nicht so gewollt. Denn manchmal klebten die Augen der Schauspieler zu sehr an dem Papier statt am Partner und man hatte das Gefühl, einer Textprobe beizuwohnen.

Für das Vergnügen bedankte sich das Publikum mit viel Applaus und Bravorufen

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Thermalbad Bad Vöslau. Schwimmender Salon 2020: Alma Hasun und Claudius Stolzmann: Arthur Schnitzler:“Fräulein Else“ und „Leutnant Gustl“

Mit Musikbegleitung von Ian Fisher

Was für ein Hochgefühl: Endlich darf Kultur wieder stattfinden! Zwar nicht wie üblich auf der Insel, wie das Foto zeigt, sondern auf der Wiese. Die Sessel im richtigen Abstand zueinander.Angelika Hager: „Dieser Abend erfüllt mich mit zittriger Freude!“ Uns, die Zuschauer auch.

Es wurde keine Lesung im herkömmlichen Sinn. Schon die Grundidee, zwischen den beiden Novellen Schnitzlers ein Art Crossover zu knüpfen, verblüffte, machte aber eines deutlich: Die Frau (Else) wählt den Selbstmord, weil sie sich gesellschaftlich dazu gezwungen sieht, der Mann (Leutnant Gustl) kommt noch einmal davon und feiert sein neu gewonnenes Leben mit Champagner. Die Rolle der Frau sah Schnitzler noch unter dem allgemeinen Diktat der Gesellschaft, die Unterordnung unter die Gegebenheiten verlangte.

Alma Hasun war eine ideale Besetzung für Else: Nervig überdreht bringt sie diesen fein gesponnenen inneren Monolog. Unsicher, abhängig von der Meinung der Gesellschaft, der sie sich als Tochter einer armen Familie, besonders eines Vaters, der Gelder veruntreut hat, unterlegen fühlt. Zugleich aber aufmüpfig, von einem selbstbestimmten Leben träumend, aber eben nur träumend. Die schockierende Forderung Dorsdays weist sie mit Empörung zurück. „Schuft“ schimpft sie ihn, ebenso ihren Vater, der sie in diese Lage brachte. Dazwischen agiert immer wieder Stolzmann als Leutnant Gustl, räsonniert über sein trauriges Schicksal, das ihn zum Selbstmord zwingt. Ein „Ehrentod“, den er aber so gar nicht akzeptieren will. Als er erfährt, das er sich gar nicht erschießen muss, stürzt er sich ins volle Leben, das heißt Champagner und Geliebte. In dieser Szene wird die Idee, beide Figuren einander gegenüber zu stellen, stimmig: Der Mann darf ins Leben gehen, die Frau in den Selbstmord – oder Scheinselbstmord. Die Rollen zwischen Mann und Frau sind damals so festgelegt. Heute?

Schade nur, dass die spannende Szene, in der Else sich im Speisesaal allen Gästen nackt zeigt, irgendwie vergeigt wurde. Man hatte den Eindruck, dass da ein wenig der Text durcheinander geraten ist. Hasun wurstelt eine Weile unter einem Mantel an ihrem Kleid, man fürchtet – manche vielleicht hoffen, sie wird nackt dastehen. (Man sah ja schon einige Aufführungen mit dieser berühmten Nacktszene, die nie peinlich wirkt, sondern sich logisch ergibt.) Jedenfalls scheint die Textur im allgemeinen „Todesgefühl“ aufgeweicht worden zu sein.

Ian Fishers Gesang zur Gitarre gab ein Rätsel auf: Was hatte die Musik mit Schnitzler zu tun? Aber das Publikum nahm sie wohlwollend auf.

Großer Applaus für alle drei Mitwirkenden.

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Theater Scala: Casanova kocht. Ein galantes Dinner im Jahr 1791.

Buch und Regie: Bruno Max

Eine handfest-witzige, ausgeklügelt derbe, gut gewürzte Regie des Regiemeisters Bruno Max macht den Abend zum puren Vergnügen. Zum Entstehen des Abends schreibt er: „Wir haben schamlos geplündert: musikalisch von Mozart, Vivaldi, Caterina Valente, Angelo Branduardi und Nino Rota. Literarisch und szenisch: von Casanova „Mein Leben“, „Die Nächte von Paris“ von Restif de la Bretonne und Schnitzler „Casanovas Heimfahrt“ und verschiedenen Filme.“

Aus dem Parterre sind die Sessel weg geräumt. An mit Gourmetköstlichkeiten gedeckten Tischen nimmt das Publikum Platz, darf essen und trinken nach Lust und Laune -beides stellt sich sofort ein. Ein frecher Weiberchor begrüßt und begleitet das Publikum hinein in die Vita des Casanova. Im Schnellverfahren sehen wir den kleinen Jungen Giacomo, gerade noch aufmüpfiger Puppenzwerg und gleich darauf der charmante Jüngling, der in Venedig Adelige, Nonnen und Huren bezaubert und verführt. Die absolut vergnüglichen, akrobatischen (Bett)Szenen choreographierte Ivana Stojkovic, die so nebenbei in acht verschiedenen Rollen ihr schauspielerisches Talent beweist.

Bezaubernd auch die Kostüme (Sigrid Dreger), die an die Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts angepasst sind. Bewunderndswert ist die Schnelligkeit, mit der die Schauspieler Rollen und Hülle wechseln.

Casanova selbst ist ein alter, müder Mann (Hermann J. Kogler), der mit einer gewissen Altersresignation und Wehmut auf sein einst so buntes Leben zurückblickt: Einmal begehter Verführer, dann elender Gefangener, dann Spieler und Lebensgenießer. ER nimmts, wies kommt. All das erzählt er dem Schriftsteller Restif de la Bretonne (Bernie Feit), einem zufälligen Reisegefährten. Marc Mayr und Eric Lingens teilen sich die vergnüglichen Sexszenen, in die der junge Casanova gestürzt wird.

Bruno Max entwarf ein interessantes, weil ambivalentes Bild Casanovas. Er zeigt den Jungen, dem alles gelingt, selbst die Flucht aus den Bleikammern Venedigs und den Alten, der vom Gnadenbrot des Grafen Waldstein lebt und in dessen Schloss seine Memoiren schreibt.

Aufgrund der allgemeinen Schließung der Theater konnte nur die Première im Theater Scala gespielt werden. Der Schaden durch Spielausfall ist enorm. Bruno Max hofft, dass nach Ende der Krise nachgespielt werden kann. Denn es wäre schade, diese tolle Inszenierung nur für einen Abend aufgestellt zu haben. Dann aber unbedingt anschauen!!!

Zum Schluss sei hier noch die Speisenfolge angeführt, die serviert wird:

Mediterrane Vorspeise, Königinnenpastete, Muschelnudeln, Käse und Trauen und als Abschluss Venusbrüstchen mit Nussnougat und weißer Schokolade!

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Karl Valentin muss man nicht vorstellen. Robert Meyer auch nicht – beide sprach- und spielverliebte Künstler. Jedes Wort wird auf Sinn und Unsinn untersucht, auf die Goldwaage des Humors gelegt. Viele Schauspieler haben sich auf die Sätze des bayrischen Kabarettisten gesetzt, oft wurden aus den herrlichen Unsinnszweideutigkeiten eher banale Eindeutigkeiten. Nicht so bei Robert Meyer. Durch Pausen, Dehnungen, Übertreibung und andere Stilmittel findet er genau den humoristischen Dreh- und Angelpunkt des Textes, auf den es ankommt. Auf einmal weiß man, wie blühender Unsinn zu Sinn wird.

Als gebürtiger Bayer sind für Robert Meyer die Färbung des bayrischen Dialekts und der knautschige Ton Karl Valentins kein Problem.

Die Auswahl war ein „Best of Valentin“. Selbstverleugnerisch ist Robert Meyer einmal der strohdumme, eitle Feuerwehrtrompeter, dann wieder der Theaterneuling oder der Besitzer eines Aquariums. Noch lange könnte die Aufzählung der Tiere sein, wenn sie zum Maskenball aufmarschieren. Man kann von diesem herrlichen Unsinnsreimen gar nicht genug bekommen!

WEil ein Vollblutschauspieler wie Robert Meyer ganz genau weiß, dass man das Publikum nicht mit einem Kalauer nach dem anderen überschütten darf, gibt es dazwischen zünftige Blasmusik von der volksoperneigenen Kapelle.

Am 29. April wird Robert Meyer nochmals als Karl Valentin zu erleben sein.

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Anton Tschechow: Der Kirschgarten. Theater in der Josefstadt

Deutsche Fassung von Elisabath Plessen nach einer Übersetzung von Ulrike Zemme

Regie: Amelie Niermeyer, Bühne: Stefanie Seitz, Kostüme: Annelies Vanlaere, Songs: Jan Fisher.

Es sollte wohl der amüsante Untergang einer heutigen Gesellschaft sein. Aber das Daueramusement langweilt auf die Dauer. Das Abnormale wird normal, weil es nur das gibt. Keine Kontraste, keine Identifikationsfiguren, will heißen, alle sind irgendwie gleich – spinnig. Es fehlt ein Gegenpol. Vielleicht nur Otto Schenk als alter Diener, der auf der Suche nach der alten Ordnung durch die Menschen schlurft, sich über nichts mehr wundert, auch nicht über den nackten Tänzer, der ihm vor der Nase herumwuselt. Es wird einfach zu viel getanzt, gekotzt – das ist ja bereits state of the art in allen Theatern – zu viel kalt geduscht, zu viel Unsinn gequasselt.

Ein Unsinn, den man bereits in der 6. Reihe Parkett nicht mehr versteht. Was tun, wenn die Personen ineinander verkeilt irgendwie kaum voneinander unterscheidbar sind? Wenn jede Figur irgendetwas vor sich hin singt, brabbelt und man es aufgibt, darin jetzt einen Sinn zu entdecken. Hin und wieder blitzt dann ein Grundgedanke auf. Etwa wenn der Bauer Lopachin ( hervorragend Raphael von Bargen)davon schwärmt, den Kirschgarten abzuholzen und statt dessen Sommerhäuser zu bauen und zu vermieten. Da hört man einen der vielen Investoren reden, die in die „unberührte Natur, in die wilde Bergschönheit, an die wunderbare Küste“ ihre Superluxus-Hotels oder Apartements stellen wollen. Gegen die wehren sich jetzt endlich einmal die ersten vifen Bewohner. Aber nicht die Bewohner von diesem Landgut. Sie sind alle keine Vifzacks, auch nicht die Gutsbesitzerin Ranjewskaja (Sona Mac Donald). Gegen Ende legt Lopachin noch einmal ein Solo aufs Parkett, dass die Dielen und die Ohren krachen! Dass er das Gut wahrhaftig ersteigert hat, kann er noch nicht recht glauben. Ein irrsinniger Freudentanz und ein Saxophonsolo sollen ihm helfen, diese Ungeheuerlichkeit zu verstehen. Eine tolle Einlage von Raphael von Bargen.

Irgendwie ist man froh, als ein Riesenvollmond und eine Riesenschrift „SOLD“ das nahe Ende verkündet. Es dauert noch eine gefühlte halbe Stunde, bis alle abziehen. Dann ist die Flachwurzlerrevue vorbei. Den alten Diener haben sie vergessen, zurückgelassen. Er legt sich auf den Boden, findet die lang gesuchte alte Ordnung in der Stille. Ihm wird mit besonderem Applaus gedankt.

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Joseph Lorenz: Ich, Casanova. 2. Teil

Wieder war der Andrang groß. Im „Theater im Salon“ hatte nicht einmal mehr der kleinste Sessel Platz. Wenn Lorenz liest, dann kommen alle. Und alle passen halt nicht in den Raum, der gerade einmal fünfzig Plätze hat.

Also nun: Fortsetzung des spannenden Lebens von Casanova. Einmal mehr fragt man sich, wie sich Joseph Lorenz durch alle 18 (!) Bände der von Casanova eigenhändig verfassten Biografie durchgearbeitet haben konnte.

Nach einer kurzen Zusammenfassung des ersten Teiles führt uns Joseph Lorenz/ Giacomo Casanova in das bescheiden Haus des Philosophen Jean Jacques Rousseau und lernt dort auch dessen um Jahre ältere Lebensgefährtin, von Rousseau nur „Maman“ genannt, kennen. Mehr scheint Casanova von Voltaire beeindruckt zu sein. Treffen doch da zwei Geistesgrößen aufeinander, die mit Witz, Ironie und scharfem Verstand die Gesellschaft sezieren.

Von Frankreich treibt es Casanova nach Rom, wo ihn Papst Benedikt XIV. empfängt und ihm den freien und ungehinderten Zugang zu den Büchern der vatikanischen Bibliothek erlaubt, auch zu allen, die auf dem Index standen! Als ihm Graf Waldstein 1785 eine gut bezahlte Stellung als Bibliothekar im Schloss Dux anbietet, nimmt Casanova gerne an, ist er doch des ewigen Herumreisens schon müde. Dort hätte er ein bequemes Leben führen können, wäre da nicht aus Venedig ein geheimnisvoller Brief eingelangt, der ihm Rehabilitation versprach. Casanova bricht sofort auf. Auf der Reise holt er sich eine „Galanteriekrankheit“ und muss sich erst einmal auskurieren. Diese pikante und unrühmliche Episode fehlte bisher in Casanovas Memoiren. Erst vor einigen Jahren fand man die fehlenden Seiten, die Casanova nicht zur Veröffentlichung freigeben wollte.

Nur halb genesen reist er voller Ungeduld nach Venedig, in der Hoffnung, von dem Bann, der ihn so viele Jahre von seiner Heimatstadt fernhielt, befreit zu werden. In Venedig lässt ihn der Doge jedoch fünf Stunden warten, um ihm dann ausrichten zu lassen, dass er schleunigst die Stadt zu verlassen habe, will er nicht nochmals in den Bleikammern landen. Zurück auf Schloss Dux schreibt er weiter an seinen „Memoires de ma vie“, die mit dem Jahr 1774 enden und zu Casanovas Lebezeiten nicht veröffentlicht wurden. Der Autor starb 1798 auf Schloss Dux.

Über Umwegen gelangte das Manuskript in den Besitz der Familie Brockhaus. 2010 kaufte es die „Bibliothèque nationale de France“ um 7 Millionen Euro!

Joseph Lorenz führte an diesen beiden Abenden durch das Geschichtstableau des 18. Jahrhunderts. Es war eine Zeit des Auf- und Umbruchs: Gegen den strengen Absolutismus bereiteten geniale Denker wie Voltaire die Revolution vor, während der Großteil des Adels noch ein sorloses Luxusleben führte. Casanova war der beste Zeitzeuge für dieses Jahrhundert. Dank der Ausdruckskraft, mit der Joseph Lorenz aus den Memoiren las, folgte man ihm mit intensiver Aufmerksamkeit.

Infos zum Theater im Salon: http://www.theaterimsalon.at

Kammerspiele: Engel der Dämmerung.

Regie: Torsten Fischer, Bühnenbild und Kostüme: Herbert Schäfer und Vasilis Triantaphillopoulos. Liveband: Christian Frank, Herbert Berger, Andy Mayerl, Klaus Pérez-Salado

Mut zur entblößenden Selbstdarstellung bis zur Entstellung zeigt Sona McDonald in der Rolle als Marlene Dietrich. Und: Mit unerschöpflicher Kraft sowohl gesanglich als auch darstellerisch führt sie gemeinsam mit ihrem congenialen Kollegen Martin Niedermair das Publikum durch die Höhen und Tiefen im Leben von Marlene Dietrich.

Bevor sie zur „der“ Dietrich wurde, musste sie durch Berlin und Wien (!) tingeln. Es dauerte nich lange, da fiel sie Josef von Sternberg auf. Er formte sie und machte sie zum best bezahlten Star ihrer Zeit. Nicht nur der Broadway und Hollywood lagen ihr zu Füßen, auch die Soldaten in den Schützengräben, die ihr Leben im Kampf gegen Hitler riskierten. Drei Jahre tingelte sie unter härtesten Bedingungen von Lager zu Lager, um die „Jungs“ aufzuheitern. Das war ihr Beitrag im Kampf gegen Hitler. Sie hasste nicht ihr Vaterland, sondern die Nazis und Hitler. Dem exzessiven Leben folgte die große Einsamkeit: 13 Jahre lang verließ sie ihre Wohnung nicht mehr und starb allein.

In einer dämmergrauen Bühne, die einmal Schlachtfeld, Schlafzimmer, Bühne in der Bühne ist, durchlebt und durchtanzt Sona McDonald mit grandiosem Einsatz all ihrer Fähigkeiten dieses Leben eines Stars, der Männer, Ruhm, Niederlagen, Drogen, Alkohol in vollen Zügen konsumierte, nur um über ihre Scham hinwegzukommen, eine Deutsche zu sein. Nachdenklich steht sie am Bühnenrand und raisonniert: Ob irgendjemand den Konflikt in ihr verstehen kann: Froh zu sein über das Bombardement der Alliierten und zugleich die Bomben zu verfluchen, die ihre Mutter, die in Berlin lebte, töten könnten.

Durch alle Höhen und Tiefen, ihre Triumphe, ihr Verliebtsein, ihre bodenlose Enttäuschung, wenn sie wieder einer ihrer Liebhaber verlassen hatte, begleitete sie congenial Martin Niedermair. Er war Sternberg, Coward, wurde Yul Brynner oder irgendein anderer der befristeten Liebhaber. Er war Beschützer, Begleiter, Kritiker – wenn man so will, ihr zweites Ego.

Begeisterter Beifall dankte den beiden Künstlern und der Band.

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Bernhard Schir (Amadeus) und Joseph Lorenz (Albertus)

Regie: Peter Wittenberg. Bühnenbild: Florian Parbs. Kostüme: Alexandra Pitz

Es ist zwar nicht das stärkste Stück Schnitzlers, aber doch eines, das eine Aufführung rechtfertigt. Schon allein deswegen, weil es um Ehe, Trennung, Scheidung, Freundschaft geht. Themen, die damals wie heute aktuell sind. Hätten aber nicht so prächtige Schauspieler auf der Bühne agiert, wäre das Zwischenspiel in Belanglosigkeiten abgesoffen. So aber wurde daraus ein Abend, an dem das Publikum wieder einmal „Schnitzlerton vom Feinsten“ genießen durfte.

Die Bühne ist in diffuses Halbdunkel getaucht. Sich drehende spiegelartige Panele reflektieren die Menschen, die in ihren Eitelkeiten und Überheblichkeiten nicht merken, dass sie am Leben vorbeispielen. Schnitzlers Worte „Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug“ sind hier nicht relevant. Denn alle spielen sich was vor und halten das Spiel für das Leben. Keiner, auch nicht der ätzende Kommentator und Freund Albertus – wie immer von Joseph Lorenz in elegant-ironischer Manier gespielt – steigt aus der Rolle heraus ins Leben. Alles wird mit Worten, nutzlosen Diskussionen zerredet. Ein ziemlich aktuelles Thema: Heißt es doch heute: Lass es uns „ausdiskutieren“ – ja und dann? Ist alles beim Alten.

Bernhard Schir (Amadeus) und Maria Köstlinger als Cäcilie (Foto: Herwig Prammer)

Nur Cäcilie (Maria Köstlinger) bekommt eine Ahnung vom Leben, wie es sein könnte. Nach der von ihrem Mann Amadeus (großartig gespielt von Bernhard Schir) geforderten Trennung in Freundschaft, lässt sie sich von der Berliner Luft und der Freiheit, die diese verheißt, berauschen. Als ihr Mann sie wieder für sich allein zurückhaben will (“ sie soll mir allein gehören“) – da winkt sie ab. Zurück bleiben die ratlosen Männer: allen voran Amadeus, der einsehen muss, dass die Frau kein Objekt ist, das man weglegt und bei Bedarf wieder hervorholt. Auch sein Freund Albertus ist ratlos, weil ihm die Schablone für seine geplante Komödie abhanden gekommen ist. Für seine Frau Marie hat er nur eine Geste der Verachtung übrig – er scheucht sie aus dem Raum, wie eine lästige Fliege. Eine Frau wie Marie – rechtlos, von allen für dümmlich gehalten, an ihrer eigenen Talentlosigkeit leidend ist im Kaleidoskop Schnitzlerscher Frauenfiguren einmalig. Die meisten haben gewisse Stärken, wissen sich gegen die Männerwelt zur Wehr zu setzen. Marie hingegen ist ihrem arroganten Ehemann Albertus auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie bewundert ihn – und alle anderen – über alle Maßen. Diese schwierige Rolle meistert Martina Stilp mit unglaublicher Selbstaufopferung und umschifft die Gefahr der Peinlichkeit, die so eine Rolle leicht mit sich bringen könnte, bravourös.

Ein Abend, an dem alle Rollen stimmig besetzt sind. Auch Silvia Meisterle als überdrehte und kokett-verliebte Gräfin Moosheim und Roman Schmölzer als all zu ehrenwerter Fürst Sigismund. Das Publikum dankte mit für diesen „erziehungs- und politfreien“ Theaterabend mit viel Applaus.

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Dürrenmatt: Das Versprechen. Requiem auf einen Kriminalroman.

Inszenierung und Bühnenfassung: Klaus Tröger. Bühne: Klaus Gaspari. Kostüm: Anna Pollack.

Drei kleine Mädchen wurden ermordet. Man hält den Landstreicher für den Mörder, obwohl der immer wieder seine Unschuld beteuert. Als er sich in der Zelle erhängt, ist der Fall für alle gelöst und abgeschlossen. Nicht für den Kriminalkommissar Mattai. Er gab der Mutter des toten Mädchens das Versprechen, dass er den Mörder finden wird. Monate und Jahre sucht er. Bis er eines Tages ein kleines Mädchen als Köder dort einsetzt, wo er vermutet, dass der Mörder vorbeikommen wird. Mattai ist knapp dran, den Täter zu schnappen. Doch der wird, bevor er wieder zur Tat schreiten kann, von einem Lastwagen zu Tode gefahren.

Ein karges Bühnenbild aus schwarzen, verstellbaren Panelen unterstreicht die düstere Stimmung, die im Dorf herrscht. Gerade fand man wieder die Leiche eines kleinen Mädchens. Mattai interessiert sich nur sehr peripher für den Fall. ER ist schon mehr in Jordanien, wo er einen neuen Job antritt. Doch dann wird er durch den Schmerz der Mutter, der er die Nachricht vom Tod ihrer Tochter bringen muss, und durch den Selbstmord des zu Unrecht verdächtigten Landstreichers gleichsam aus seiner professionellen Routine herausgeholt und aus der Starre aufgeweckt. Er hält es für seine Pflicht, den Mörder zu finden, auch wenn er dabei das Leben eines anderen kleinen Mädchens riskiert. Aus dem Profi wird ein persönlich Engagierter, ein Betrooffener. Diesen Wandel darzustellen gelingt Klaus Rohrmoser nur teilweise.. Er spielt ihn äußerlich, rast unruhig auf der Bühne umher. Die seelischen Brüche und Umbrüche müssten leiser, dafür um so intensiver gespielt werden. Überhaupt wird zu viel und zu hektisch umhergerannt, was besonders dem tragischen Schluss abträglich ist: Da hat ein Mensch geglaubt, für die Gerechtigkeit gekämpft zu haben, und muss nun erkennen, dass er das Gesetz verletzt hat, weil er das Mädchen als Köder einsetzen wollte und dabei fast ihr Leben riskiert hätte. Dürrenmatt stellt die Frage, wo die Grenze zwischen Recht und Unrecht verläuft. Sie bleibt in dieser Inszenierung ungestellt und daher unbeantwortet.

Der Regisseur Claus Tröger führt das Ensemble im Stile Brechts: Frei von Gefühlsanhaberei. Ereignisse werden ohne Bühnenblut und ohne diesen widerlichen Flirt mit der offen und ungeschminkt dargestellten Gewalt auf der Bühne dargestellt. Damit hebt sich die Inszenierung positiv von derzeitigen Bühnenmoden ab, wie man sie zum Beispiel an der Burg erlebt. Das Ensemble spielt insgesamt engagiert. Für alle, die weder den Film noch den Roman kennen, sicher ein spannender Abend.

Weitere Termine:

14.02. – 29.02. jeweils Di – Sa um 19.45h

Details unter: http://www.theaterzumfuerchten.at/TheaterScala

Jubiläumskonzert, Musikverein 28. Jänner 2020: „Feuerreiter“. Gesänge und Geschichten von Feuer, Mord und Liebe.

Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, Dirigent: Johannes Prinz Am Klavier zu vier Händen :Eduard und Johannes Kutrowatz. Sprecher: Joseph Lorenz

  1. Teil: „Liebes- und Beziehungsgeschichten“

Rotes Licht überstrahlt die Orgelempore, die Bühne liegt in geheimnisvoller Dunkelheit. Plötzlich überhell, fast weiß angestrahlt: Der Sprecher Joseph Lorenz. Er „befeuert“ mit Glut das Publikum, lässt den „Feuerreiter“ von Eduard Mörike durch den Saal rasen. Die Flammen zucken über die Köpfe der Sänger und des Publikums hinweg. Was für ein ungewöhnlicher Beginn! Man glaubte sich im Theater oder in der Oper, aber wahrlich nicht im ehrwürdigen goldenen Musikvereinssaal. Und glutvoll ging es weiter. Die Stimmen des Singvereines sangen verführerisch über die Gefahren und Fallstricke in der Liebe (u. a.Johannes Brahms und Robert Schuhmann). Dazwischen warf das Fräulein Kunigunde den Handschuh in die Arena, mitten unter die blutrünstigen Bestien, und forderte den Jüngling arrogant auf, ihn ihr wiederzubringen. Er tat es und statt auf den Liebesdank zu warten, wirft er ihr den Handschuh ins Gesicht. Aber wie! Wenn Joseph Lorenz die bekannte Ballade Schillers liest, dann lebt das Publikum mit, schmunzelt über die dumme Pute Kunigunde und vergönnt ihr die Zurückweisung vor versammeltem Hof.

Joseph Lorenz lässt Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ lebendig werden, macht aus dem Tyrannen einen ziemlich dumm-herrischen Tropf. Aus Damon einen Leidenschaftlichen, der gegen Angst und Naturgewalten kämpft, um rechtzeitig zurückzukehren und den Freund vor dem Tod zu retten. Wir wissen alle, wie es ausgeht: Von dieser Liebe und Treue zwischen den Freunden gerührt, bittet der Tyrann um die Freundschaft derer, die er gerade noch am Galgen hat wollen hängen sehen. Im Gegensatz zu Schiller, der den Tyrannen voller Reue und zerknirscht sein lässt, schaut Lorenz tiefer in diese schwarze Politikerseele: Die Reue ist Schein, einmal Tyrann- immer Tyrann, auch wenn er sich „gerührt“ gibt. Denn was lehrt die Gegenwart: Die Worte eines Mächtigen gelten nur so lange es ihm passt.

Nach der Pause wurde in theatralisch wirksamer Inszenierung „Tödliches“ in guter Mischung aus Dramatik und Nonsense vorgebracht. Joseph Lorenz entzündete in fast totaler Dunkelheit eine Kerze und gab der „Flamme“ von Christian Morgenstern seine leise-gefährliche Stimme: gieirig züngelt sie über alles, was in ihre Nähe kommt und tötet Mensch, Vorhang, Zimmer, Haus, Häuser, Wälder, ringsum alles Leben. Dann, dann ist alles tot, verbrannt…Man erschaudert, Bilder von den riesigen Bränden in Australien steigen auf. Die Stimme des Sprechers reißt alles nieder. Pathos pur, aber ein Feuerpathos, das so sein muss. Gleich darauf: Stilles Pathos, Leid, Rachegedanken, die niedergerungen werden: Conrad Ferdinand Meyers Ballade „Die Füße im Feuer“. Dazwischen heiter, geschliffen vorgebrachter Nonsens in Christian Morgensterns „Werwolf“. Und am Ende Goethes „Erlkönig“ – Lorenz ist ängstlicher Knabe, todbringender Verführer mit homoerotischer Anmutung, ein Vater, der sein Kind nicht schützen kann. In Joseph Lorenz hat die Tragik, die hintergründige Heiterkeit eine adäquaten Interpreten gefunden, der sich vor großen Gesten und bewusst gesetztem Pathos nicht scheut.

Joseph Lorenz (Foto:Conactor-Schauspielagentur)

Auch das musikalische Menü folgte dem Prinzip der Abwechslung zwischen drohender Gefährdung, Gewalt, Heiterkeit und Spott. Großarig Ligetis „Pápáine“ für gemischten Chor a cappella. Ein musikalischer Höhepunkt waren sicherlich Brahms „Ungarische Tänze“, von Johannes und Eduard Kutrowatz auf dem Klavier zu vier Händen mit Rasanz und bewundernswerter Übereinstimmung gespielt. Ebenso der Nonsenssong „km 21“ von Franz Tischhauser, bravourös gesungen von dem Tenor Wolfgang Adler.

Was den Abend so einmalig machte, war diese unprätentiöse und intelligente Mischung aus Musik und Vortrag. Eine Auswahl, die ohne jegliche „erzieherische Tendenz“ auskam, allein zur Erbauung – welch selten gewordenenes, schon gehörig in Misskredit gekommenes Wort-.

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Felix Mitterer: Mein Ungeheuer. Theater Akzent

Eine Produktion von STEUDLTENN Tirol Zillertal

Regie: Hakon Hirzenberger

Das Ehedrama aus dem Bauernmilieu schrieb Felix Mitterer in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Doch seine Aktualität ist brennender denn je. Es geht um die Frage: Wie gehen Menschen miteinander um, wenn Arbeitslosigkeit und tiefste Armut, dazu Bildungslosigkeit und daher Chancenlosikeit den Alltag bestimmen. Er, Hans Zach (Martin Leutgeb), säuft seine tiefgründige Lebenstraurigkeit, seine unerfüllte Sehnsucht nach Nähe einfach in Grund und Boden. Zach ist allerdings schon 15 Jahre tot, doch er drangsaliert noch immer seine Ehefrau Rosa (Susanne Altschul) als Geist.

Schauplatz ist irgendein Dorf in Tirol in der Nähe von Schwaz. Wie gesagt, Zach ist tot, aber „zach“ sekkiert und drangsaliert er seine Frau Rosa. Die hat ihn 15 Jahre lang angeschwiegen. Weil er ihr nicht glauben will, dass Felix sein leiblicher Sohn ist. Für ihr Schweigen rächt er sich nun als „Quälgeist“ mit Dauerpräsenz.

Felix Mitterer verquickt dramaturgisch geschickt die verschiedenen Zeit- und Realitätsebenen. Ohne Bruch switscht er zwischen einst, dem lebenden Zach, und dem Geist hin und her. Im „Schlagabtausch“ zwischen der schweigsamen Rosa und dem brüllenden Hans geht es hoch her: In dem kargen Bühnenbild (Gerhard Kainzner) – ein Sofa, ein Holzsarg – wütet, schreit, schimpft, springt Martin Leutgeb mit beeindruckender Rasanz und Bühnenpräsenz herum. Währenddessen sitzt Rosa auf dem Sofa und schweigt. Wie zum Schutz gegen ihren besoffenen Ehemann hält sie eine Puppe im Arm. Was Martin Leutgeb hier an Wortwucht und Körpereinsatz einbringt, das gelingt Susanne Altschul ebenso intensiv durch Schweigen. Keine leichte Rolle, die sie bravourös meistert. Felix Mitterer hat ihr zum Ausgleich mehrere sehr berührende Szenen zugeschrieben, z.B Wenn sie von der innigen Zärtlichkeit zwischen ihr und dem taubstummen Almhirten erzählt. Oder mit welch starkem Stolz sie an ihrem armseligen Haus hängt, das sie mit eigenen Händen gebaut und selbst finanziert hat. Susanne Altschul meistert diese Rolle mit schlichter Innigkeit, ohne je auch nur in die Nähe des Kitsches, der Rührseligkeit abzurutschen.

Es scheint, zwischen den beiden herrscht nur Hass – bis in alle Ewigkeit. Doch als Hans seiner Frau erstmals erzählt, wie er als neunjähriger Bub seine tote Mutter in der Nacht aus dem Grab geholt und vom Friedhof weggetragen hat, weil er nicht glauben wollte, dass sie tot war, da bricht zwischen beiden die Mauer des Hasses. Rosa bettet den weinenden Ehemann in ihren Schoß und tröstet ihn. Um keine Rührung aufkommen zu lassen, schließt Felix Mitterer mit einem leichten Augenzwinkern und Schmunzeln: der Geist Zach verschwindet endgültig in die Ewigkeit. Rosa ruft ihm tröstend nach: „Ich komm bald nach.“ Er- leicht verschmitzt und ein wenig ruppig: „Lass dir Zeit. Du versamst dort nix.“

Matthias Jakisic unterlegt die Szenen, die von der ungestillten Sehnsucht nach Geborgenheit, Zärtlichkeit und Träumen von einem besseren Leben erzählen, mit zarter Musik, die hin und wieder an alte Kinderlieder erinnert.

Dank des großartigen Textes von Felix Mitterer, der einfühlsamen Regie und Musik und vor allem dank der beiden intensiven Schauspieler wurde es ein Abend, der es wert ist, in die Chonik des Theaters „Akzent“ einzugehen-

Lang anhaltender Applaus für die Schauspieler. Auch für den Regisseur und den Autor, die persönlich auf die Bühne kamen. Im Publikum waren auch einige Schauspielerkollegen zu sehen – unter anderem Stefano Bernardin und Peter Simonischek.

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Tolstoi: Die Kzeuzersonate. Gelesen von Joseph Lorenz.Theater Akzent

Atemlos saßen wir alle und hörten und erlebten intensiv, wie ein Mensch zum Mörder wird. Am Ende des Abend wussten wir: Wir hatten gerade an einem Theaterereignis teilhaben dürfen, wie es nur ganz selten eintritt!

In einer theatralisch perfekt angelegten Klimax ließ Joseph Lorenz die Erzählung ablaufen: Im Zugateil wird Belangloses geredet, bis eine Dame von Liebe säuselt und ein anderer, bisher stummer Mitreisender. sich spöttisch über dieses oberflächliche Gerede äußert. In der Einsamkeit der nächtlichen Zugfahrt erzählt dieser dann dem jüngeren Mitreisenden, der als einziger von der Gesellschaft die Reise mit ihm fortsetzt, seine Geschichte. Wie und warum er zum Mörder seiner Frau wurde. Langsam lässt Joseph Lorenz die Spannung ansteigen. Lässt vor uns einen jungen Schnösel entstehen, der sich die Frauen nach seinen sexuellen Gelüsten aussucht und nicht weiter nachdenkt, was in ihnen vorgeht. „Laster nach Maß“, nennt er es. Zynisch, arrogant, in totaler Selbstüberschützung lässt er diesen Frauenverächter in die Ehe gehen. Schon bald langweilt sich das Paar, findet keinen Gesprächsstoff mehr. Aus gegenseitiger Verachtung wird Hass. Den transportiert Joseph Lorenz in das Auditorium. Fast bekommt man die Gänsehaut, wenn er diese abgrundtiefe Abneigung spielt, mit allem: Gesten, Mimik, mit der Modulation seiner Stimme. Dass er an einer Stimmbandentzündung leidet und sich deswegen ansagen ließ, hat er wohl vergessen, so intensiv ist er in der Rolle drinnen. Wir erleben die Qualen und den Hass, den er seiner Frau bei den alltäglichen Kleinigkeiten (Tee trinken, die Haare aus der Stirn streichen..) entgegenbringt. (Wie die Frau diese Ehe erlebt, lässt Tolstoi unerwähnt) Am Höhepunkt seines irrsinnigen Hasses glaubt er, auf einen Geiger, den er bewusst als möglichen Gegenspieler in seine Haus einlädt, eifersüchtig sein zu müssen. Qualen erlebt er, wenn seine Frau und der vermeintliche Liebhaber die Kreuzersonate spielen. Die Musik holt Gefühle aus ihm hervor, die er nicht wahrhaben will. In wahnvollem Hass und in unerträglicher Wut ersticht er seine Frau und glaubt sich im Moment der Tat im vollen Recht. Im Auditorium ist es totenstill geworden, als wäre man tatsächlich Zeuge eines Mordes geworden. Erschöpft bricht der Mörder zusammen – und man bangt um ihn, den Erzähler, den Mann da vorne auf der Bühne. Ob er aus diesen Gefühlsausbrüchen in die Realität zurückfindet? Sich als Schauspieler, als Joseph Lorenz wieder findet, aus der Rolle heraussteigt? Bange Momente vergehen, dann wird der Erzähler ruhig, zieht eine Decke über den Kopf und schläft ein. Dankbar dafür, dass ihm sein Gegenüber die ganze Nacht zugehört hat. Dankbar für die zarte Geste, mit der der Mitreisende ihm über die Schulter streicht und sich verabschiedet.

Tolstois Novelle „Die Kreuzersonate“ ist eine subtile und irritierende Seelenanylyse, eine gnadenlose Abrechnung eines Mannes mit sich selbst, eines Mannes, der das Gefühl der Liebe nicht kennt, aus gesellschaftlicher Konvention heraus, weil man halt mit 30 heiratet, ein Frau ehelicht, die „seinen Ansprüchen gerecht wird“. Frauen sind für ihn und den Großteil der Männer Objekte, nur dazu da, die sexuelle Lust zu stillen. „Liebe“ ist ein leerer Begriff, von Romantikern geschaffen. Der Gedanke der Emanzipation ist in den Köpfen dieser Generation noch nicht geboren. So schildert Tolstoi die russische Gesellschaft um 1890. Letztendlich aber ist die Novelle eine Abrechnung mit der Selbstherrlichkeit des Mannes, der sich das Recht herausnimmt, über die Frau als Objekt zu verfügen.Dass Tolstoi den ERzähler schlussendlich vor seiner eigenen Tat erschaudern lässt, zeigt aber nur, dass er mit der Moral dieser Zeit ins Gericht geht. Über die Frau verliert er kein Wort. Sie bleibt, was sie zu Beginn der Erzählung war: Ein schönes Objekt, das es besser zu meiden gilt, will Mann nicht in den Abgrund unkontrollierter Gefühle gezogen werden.

Als Joseph Lorenz die Erzählung beendet und das Buch zuschlägt, kehren alle im Zuschauerraum langsam aus dem Albtraum eines Mordes in die nüchterne Wirklichkeit des Theaterraumes zürück. Langer Applaus dankt ihm für diesen intensiven Abend.

Am 28. Mai 2020 wird Joseph Lorenz „Amok“ von Stefan Zweig im Akzent lesen.

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Edward Albee: Wer hat Angst vor Virginia Wolf? Burgtheater

Aus dem Englischen von Pinkas Braun, Regie Martin Kusej, Bühne und Kostüme Jessica Rockstroh. Eine Übernahme aus dem Residenztheater München.

Am Ende dieser Bühnenschlacht ist so mancher Zuschauer wahrscheinlich froh, als Single durchs Leben zu gehen..

Martha (Bibiana Beglau) und George (Norman Hacker) ertränken ihren Lebens- und Eheüberdruss in Whisky. Suchen den anderen mit Verbalgemeinheiten zu verletzen. Als das alles nicht genug an Reiz ist, lädt Martha das Ehepaar Nick (Johannes Zirner) und Honey (Elma Stefania Agustsdottir sprang für Nora Buzalka ein und machte ihre Sache ausgesprochen gut) ein. Das Spiel kann beginnen (1. Akt groß überschrieben: Fun and Games). Nun gilt es jeder gegen jeden – nur die hilflos liebenswürdige Honey tut da nicht mit, wird aber dennoch hineingezogen. Es geht darum, den anderen zu demütigen, zu vernichten. Um ihn zur Weißglut zu reizen, fickt Martha ganz ungeniert vor Georges Augen mit Nick. Bibiana Beglau geht ja der Ruf voraus, dass sie ohne Wenn und Aber an die Grenzen der Darstellungsmöglichkeiten geht. So auch in diesen Sexszenen. Aus Rache demontiert George das Lügengebäude, das sich beide aufgebaut haben: Er schreit ihr ins Gesicht, dass es keinen Sohn gibt, dass sie beide ihn nur erfunden haben. Diese Art von Lebenslüge nimmt man den beiden nicht ab, dazu wirken sie zu intelligent. Da gab es bessere Autoren, die dieses Thema zentral behandelten, z.B. Tennessee Williams.

Inzwischen sind auch Nick und Honey am Ende ihrer körperlichen und geistigen Kräfte und verlassen die Szene. Übrig bleibt ein Ehepaar, das sich die Masken vom Gesicht gerissen hat, dahinter ist nichts außer Leere, die mit Whisky gefüllt wird. Als Edward Albee in den späten 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts dieses Stück schrieb, waren Alkohol und Drogen das große Porblem. Heute sind es eher die Medikamentensucht und ganz andere Drogen -härtere als damals und weit lebensgefährlichere. Zu diesem Thema schrieben T.C. Boyle den Roman „Das Licht“ und Salman Rushdie „Quijotte“.

Alles spielt sich vor einer grellweißen Wand ab. Im Laufe des Abends verstärkt sich immer mehr der Eindruck, einer hochexplosiven psychiatrischen Sitzung in einer Klinik beizuwohnen. Wie sie in den 70er Jahren praktiziert wurden: Man schrie sich an, heulte, biss, kratzte, schlug zu. Trieb das Spiel wie einen exorzistischen Akt. Danach sollte – so dachte man – eine Art Läuterung, Katharsis eintreten. Die blieb allerdings an diesem Abend auf der Bühne und im Publikum aus. Man war froh, als die Hassaktionen zu Ende waren. Da die Akteure immer auf höchster Reizstufe agieren mussten, trat besonders im 2. Akt (Walpurgisnacht betitelt) eine gewisse Ermüdung ein. Andauernde Klimax ist weder im Leben noch auf der Bühne bekömmlich..

Der Applaus war freundlich, aber endenwollend. http://www.burgtheater.at

Johann Nestroy: Einen Jux will er sich machen. Theater in der Josefstadt.

Endlich! Endlich! Ein Nestroy, der klug und doch nicht übergscheit inszeniert ist. Will sagen, dass der Regisseur Stephan Müller, dem das Theater in der Josefstadt zuletzt die spannende Inszenierung vom „Besuch der alten Dame“ verdankt, auch diesmal mit seiner unverkennbaren Handschrift das Stück geprägt hat:

Gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Sophie Lux und den Kostümen von Birgit Hutter schuf er ein für Nestroy untypisches Ambiente: Zunächst rennen die Figuren gegen ihre eigene Wand, nur hin und wieder tut sich ein Fensterchen auf. Bis sie dann in die „weite WElt“ der Stadt kommen, wo sich das Abenteuer auftut und die Welt plötzlich offen und die Kostüme der Damen hell und bunt werden. Vor allem aber erarbeitet Stephan Müller gemeinsam mit der Choreographin Daniela Mühlbauer ein Bewegungskonzept, das den Witz und die Ironie, die den Nestroyschen Figuren innewohnt, betont: Die Frauen bewegen sich wie Puppen, gelenkt von starren Benimmregeln. Die Männer locker, allzu sicher ihrer selbst, sich an Beweglichkeit überbietend, wenn es darum geht, Geld zu scheffeln, andere übers Ohr zu hauen.

Was das Ensemble vor allem kann: sprechen! Das ist am Theater von heute nicht mehr selbstverständlich. Schon gar nicht, Nestroy sprechen! Denn die philosophischen Sprudelein eines Weinberl muss man erst einmal sprachlich bewältigen. Und Johannes Krisch – neu an der Josefstadt – ist nicht nur ein wortgewandter, sondern auch ein „körpergewandter“ Nestroy-Weinberl. Wie er jedes Wort mit Gesten, Sprüngen oder Körperdrehungen zu untersteichen weiß, das muss ihm einemal erst einer nachmachen! Dass die der aktuellen Politik angepassten Couplets, die ihm von Thomas Artz verordnet werden, nicht gerade geistsprühend sind, dafür kann er nichts!

Sein Gegenspieler ist Zangler, ein Krämer, wie er im Nestroy-Büchl steht: Mit Robert Joseph Bartl eine Idealbesetzung: Groß, schwer, mit zusätzlichen Fettpölstern ausgestattet, überragt er alle. Die Rolle des dummen Onkels, der von seinem Mündel an der Nase herumgeführt wird, ist ihm auf den Leib geschrieben. Als optisches Gegengewicht zu dem dürren Weinberl – perfekt.

Damen dürfen auch mitspielen – und wie! Das Duo Madame Knorr (köstlich Martina Stilp) und ihre Freundin Frau von Fischer (ebenso hinterlistig und frivol wie Madame Knorr: Alexandra Krismer) sind unschlagbar in ihren grellbunten Kleidern. Bei Erregung und Bedarf kann der Reifrock hochgezogen werden und den Blick auf näckische Rüschenunterwäsche freigeben. Selbst die Nebenrollen sind brillant besetzt, etwa Elfriede Schüsseleder als Frau Gertrud oder dieselbe als Fräulein von Blumenblatt.

Fazit: Ein Theaterabend, den man genießen kann. Ein Labsal nach einigen eher qualvoll erlebten Inszenierungen, die der neue Burgdirektor uns beschert.

Ein Tipp: Über die Aktualität des Stückes liest man Erhellendes im Programm! Hier ist Klartext geschrieben.

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Richard Teschners Figurenspiel. Theatermuseum Wien

„Welch eine Oase in der Wahnsinnsweihnachtsstadt Wien!“ So begrüßt Angela Sixt, eine der vier Puppenspielerinnen das Publikum. Wer sich vielleicht gerade durch den Adventmarkt amKarlsplatz oder am Rathausplatz durchgedrängt hat, der nickt verständnisvoll. Das Museum wird kaum von Adventtouristen heimgesucht. Liebhaber des Balletts und des Theaters kennen natürlich diesen Ort der Beschaulichkeit.

Richard Teschner

Nach einer ausführlichen Besichtigung der aktuellen Ausstellung „Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne“ betritt man den vielleicht allerkleinsten Theaterraum Wiens, wenn nicht sogar Österreichs, wenn nicht Europas! Ein Theaterzimmerchen im reinsten Jugendtil: Der wundervolle Jugendstilluster wirft ein mattes Licht auf die Vitrinen aus den Wiener Werkstätten. In ihnen lagern die Puppen des vielbegabten Richard Teschner (1879-1948). Er war ein Allroundgenie: Maler, Grafiker, Bildhauer, Puppenbauer und Pupenspieler. Letzteres mit intensiver Leidenschaft.Als er die Tochter des K&K Hoftischlermeisters Paulick heiratete, verbrachte er die Sommerfrische mit ihr in der väterlichen Villa am Attersee, wo auch Klimt, Emilie Flöge und viele Künstler der Jahrhundertwende verkehrten. Während des Aufenthaltes in Amsterdam und Den Haag lernte er die indonessichen Wayang-Puppen und die Marionetten aus Bali kennen. Davon beeinflusst schuf Richard Teschner seine Figuren. Mit Holzstäben werden Kopf, Hände und Beine bewegt. „Ich habe ihnen nie ein Wort, und wäre es von Goethe selbst, in den hölzernen Mund gelegt“, soll er gesagt haben.

Die Lebens- Uhr und Der Sonnentanz

Hinter einem Rundspiegel aus geölbtem Glas bewegen sich laut- und sprachlos die zarten Figuren. Dazu ertönt leise Musik. Man muss sehr konzentriet zusehen, um die kleinen Bewegungen der Puppen zu verstehen.

Das Spiel beginnt: Vor der Darstellung der astronomischen Rathausuhr in Prag hockt der Tod, in nonnenartiges Gewand gehüllt. Er wartet auf Opfer: Dem Bettler schenkt er weitere Lebenszeit, der Narr foppt ihn. den armen Gelehrten jedoch fällt er mit der Sense, die Mutter, die am Leben verzweifelt und ihm ihr Kind hinreicht, überlässt er einem jungen Ritter. Der Tod als Richter, als Tröster auch.

Auf einer goldenen Kugel tanzt der Sonnengott, der zugleich die vier Jahreszeiten und die vier Lebensalter symbolisiert.

Diese beiden Spielminiaturen werden von zarter Musik begleitet, manchmal Flöte mit Gamelaninstrumenten, dann wieder Klavier. Für eine kurze Stunde vergisst man Hektik und Sorgen, glaubt sich im Kreis von Gamelanspielern in Bali oder Java.

Bis 23. Dezember ist das „Weihnachtsspiel“ zu sehen. Ein wichtiger Tipp: Kommen Sie früh genug, um sich einen Platz in der 1. oder 2. Reihe zu sichern. Denn in der 5. Reihe sind die Feinheiten der Figuren auch für Normalsichtige nur schwer auszumachen.

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Theater Scala: Elektra

Von Hugo von Hofmannsthal nach Sophokles

Wer in der Burg die „Bakchen“ sah und meinte, für lange Zeit von Antikendramen genug zu haben, der traue sich dennoch in das Theater Scala. Dort spielt unter dem jungen Regisseur Matti Melchinger, der aus der Theater der Jugend-Szene kommt, ein engagiertes Ensemble die „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal. Keine leichte Kost – auch wenn der Abend im Programmheft als „erbauliche Unterhaltung“ angepriesen wird. Das kann nur ironisch gemeint sein.

Denn:

Es geht um Mord, Rache, Blut und wieder Blut. Erbaulich ist da gar nichts. So wie der Resisseur die Schauspieler führt und Sam Machwar die Bühne und Katharina Kappert die Kostüme entwarfen, handelt man an diesem Abend die große Frage der Menschen, die heute gewichtiger denn je ist, ab: Was bringen Rachegelüste? Sind Rache und Vergeltung je ein Mittel gewesen, die Welt zu verstehen, sie zu verbessern? Dass die Welt heute mehr denn je von Rache dirigiert wird, ist Tatsache. Und das Ende des Stückes zeigt das Ergebnis: Blut und Untergang.

Elektra – etwas überzeichnet, aber mit Intensität gespielt von Kim Bormann – hat nur eines im Sinn: Den Mord an ihrem Vater Agamemnon – der übrigens absolut kein Heiliger war, aber das bleibt im Stück unerwähnt – zu rächen. Ihr Bruder Orest soll die Mutter Klytaimnestra und deren Liebhaber Aigisth töten, die Agamemnon gemeinsam im Bad mit dem Beil erschlugen. Das Stück selbst ist klug gebaut: Mit jeder einzelnen Figur muss sich Elektra auseinandersetzen. Mit den Mägden, die sie verhöhnen. Mit der Schwester Chrysothemis, der einzig Vernunftbegabten in diesem Blut- und Rachespiel und von Angela Ahlheim mit der nötigen Glätte und Ruhe gespielt. Dann im Zentrum des Stückes: Die Auseinadersetzung mit der Mutter – großartig in dieser Rolle: Bettina Soriat, die, obwohl sie sich ansagen ließ, alles an diesem Abend gab: Sie war die Mutter, die in Elektra vergeblich eine Tochter sucht, die von Elektra bitter und scharf auf ihre Leidenschaft und Schuld reduziert und angeklagt wird. Versöhnung ist für Elektra ein Hohnwort. Doch auch die Mutter kennt letztendlich keine. Wer wem den Herrscherstab an die Gurgel setzt, bleibt offen.

Zuletzt die Begegnung Elektra-Orest. Sophokles schrieb die Begegnung als einen der großen Höhepunkte im griechischen Drama. Wer einmal diese Szene in altgriechischer Sprache im Theater von Epidaurus sah, der wird sich sein Leben lang an diese Spannung zwischen den beiden Personen erinnern: Ohne ein Wort gehen sie aufeinander zu, misstrauisch zuerst, dann von Moment zu Moment erkennend: hier kommt der Ersehnte, hier spricht die Geliebte – die Schwester. Die intensive Stille war bis in die letzten Ränge zu hören, die Freude zu spüren.

Matti Melchinger verzichtet auf dieses Momentum. Er lässt die beiden in eher rachegeschwängerten Düsternis aufeinander zugehen. Da ist kein Licht, keine Freude. Nur der Wunsch: Mord, Mord. Und Orest – ziemlich wüst gespielt von Felix Krasser – schlägt zu, brüllt, schlachtet und schleppt seine blutigen Opfer eins nach dem anderen, zuerst die Mägde, dann Aigisth und am Schluss Klythaimnestra heraus aus dem Palast und wirft sie auf die Treppen. Dazu tanzt Elektra nach Popmusik von Fritz Rainer einen Triumphtanz. Ein Fanal, das Grausen macht. Das Publikum war ziemlich geschockt, und es dauerte eine Weile, bis die ersten Bravorufe ertönten und der Applaus einsetzte. Allen war klar: Diese Elektra ist kein Wesen, mit dem man Mitleid haben kann, sondern ein blutiger Rachedämon, der die Welt in Krieg und Blut versinken lässt. Eine Ahnung von Kommenden mag durch den Raum gegangen sein.

http://www.theaterzumfuerchten.at

Weitere Termine: 4.12.- 21.12.2019, jeweils Di bis Sa, 19.45h.

Joesph Lorenz, Wolfgang Hübsch und Julia von Sell: Th. Bernhard, Der Ignorant und der Wahnsinnige.Theater Akzent

1972 war die Uraufführung des Stückes bei den Salzburger Festspielen ein Skandal. Nicht so sehr wegen des Inhalts, als wegen des Aufführungsverbotes, das Thomas Bernhard aussprach. Er verlangte am Ende der Aufführung totale Finsternis ohne Notlicht.

2012/2013 wurde es auf der Burg aufgeführt. Als Komödie, ohne Skandal.

Nun also, fast 50 Jahre später, als szenische Lesung im Theater Akzent. War es am Ende total finster? Vielleicht ja, so genau erinnere ich mich nicht. Auch unwichtig! Wichtiger die Frage: Was kann Kunst, die immer wieder punkt- und notengenau repetiert wird, an authentischem Wert liefern? Was erwartet das Publikum von der Sängerin der Königin der Nacht? Nur das hohe C? Nur das Artifizielle in höchstmöglicher Perfektion? Wenn Netrebko heute schon müde und lustlos ihre Arien im Trubadour heruntersingt, das Publikum begeistert applaudiert (muss es ja, denn es hat ja die Karte sauteuer bezahlt), dann wird der ganze Kunstbbetrieb fraglich.

Was heißt Authentizität in der Kunst? Dass der Künstler, die Künstlerin sich jedes Mal, und auch zum zweihundertsen Mal, voll in die Rolle hineinsteigert, sich verausgabt? Wie weit soll und muss Routine akzeptiert werden? Ist Routine noch „Kunst“?

Joseph Lorenz mag sich diese Frage bei der Inszenierung dieses Stückes gestellt haben. Nicht nur dabei, sondern überhaupt. Denn er ist ein Schauspieler, der um das „Authentische“ ringt, der sich in jeder Rolle, in jeder Aufführung voll verausgabt. Zur Erinnerung: In Reichenau als Arzt in „Amok“ oder als Baumeister Solness, um nur zwei von vielen Rollen zu zitieren. Übrigens: Das Publikum wird ihn ab Sommer 2020 in Reichenau schmerzlich vermissen.

Zurück zur szenischen Lesung im Theater Akzent. Ganz auf den Text reduziert, mit nur einem Tisch und zwei Sesseln als Requisite ergießt sich die redundante Redesuada des Doktors – wenn man so will: des Wahnsinnigen – über das Publikum. Da muss dem Text gehörig an seine Struktur gerückt werden! Was Lorenz bestens gelingt. Mit Hochgenuss seziert er verbal die Leichen, holt Gedärme heraus, zerschneidet Herzen, dass es dem Publikum zu grausen beginnt. Dabei setzt Lorenz vor allem Sprache und Mimik ein. Die Gestik bleibt eher reduziert. Dass bei dieser Suada über Sezieren, Kunstbetrieb, Publikum- und Kritikerbeschimpfung dem Publikum keine Sekunde langweilig wird, ist ganz allein Josephh Lorenz und seinem immensen „authentischen Einsatz“ zu verdanken. Hübsch ist Wortspender, allerdings ein wichtiger. Er ist ein enttäuschter Vater, der über die Unzuverlässigkeit seiner Tochter, der Sopranistin, jammert und säuft. Julia von Sell spielt diese geplagte Koloratursängerin, die die Rolle der Königin der Nacht gerade zum 222. Mal gesungen hat und ihrer mehr als überdrüssig ist, sehr „normal“. Zwar ein wenig zickig, wie man es von einem „Star“ erwartet, aber sehr verzweifelt und dem Leben einer viel gefragten, in der Welt umherjoggenden Künstlerin sehr nahe kommend.

Nochmals zur Frage der Wiederholbarkeit der Kunst, des so genanntnen unwiederholbaren „einmaligen Augenblickes“: Warum sieht man diese Lesung nur einmal? Vielleicht wäre eine Wiederholung im Akzent möglich. Oder im Südbahnhotel? Oder im Landestheater Niederösterreich? Leider halt nicht in Reichenau, wo es thematisch sehr gut hinpassen könnte. Denn da spielen die Schauspieler en suite oft zweimal pro Tag. Kunst ist Business!

Viel Applaus und Bravorufe.

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Paulus Hochgatterer und Nikolaus Habjan: Böhm. Burgtheater

Textfassung: Paulus Hochgatterer. Regie, Puppendesign und Puppenbau: Nikolaus Habjan+Marianne Meindl.Regiemitarbeit: Martina Gredler. Bühne:Julius Theodor Semmelmann. Kostüm: Cedric Mpaka, Licht: Thomas Trummer

Wenn Habjan draufsteht, dann sind Puppen drin! Und dann ist Qualität in Text, Spiel und Regie garantiert.

Habjan und Hohgatterer – beide Musikkenner par excellence – taten sich zusammen und schufen gemeinsam die Geschichte des „Nazimitläufers Karl Böhm“, der nie der Nationalsozialistischen Partei angehörte, aber den Kontakt zu Hitler und dessen Entourage eifrig für seine Karriere nützte. Ab 1943 war er Dirketor der Wiener Staatsoper, 1945 wurde er von den Alliierten wegen seiner Nähe zum Nationalsozialistischen Regime entlassen, 1954-1956 wieder eingestellt. Die Republik Österreich ernannte ihn zum Ehrenbürger.

Hochgatterer führt mit einem alten Mann, der sich in seinen wahnhaften Erinnerungen manchmal für den Dirigenten hält, dann wieder sich nur als sein kritischer Fan sieht, ein geschicktes und spannendes Vexierspiel ein. Da wird nicht linear langweilig ein Leben erzählt, da gibt es keine moralischen Zuweisungen. Und auch nur ein überschaubares Repertoire an Figuren, die Karl Böhms Leben begleiten. Man muss kein Musikkenner sein, um die Szenen zu deuten.

Gleich zu Beginn tyrannsiert der Alte im Wahn, Böhm zu sein, ein imaginäres Orchester, wobei die Zuseher in den ersten Reihen kurzerhand als Orchestermitglieder fungieren und sich anschnauzen lassen müssen. – Zum Gaudium des restlichen Publikums. Genial wiederum die Doppelrolle von Habjan als Puppenspieler und als Pfleger des Alten. Wie Nikolaus Habjan überhaupt alle Rollen selbst spielt und spricht. Wie er die Vielfalt der Dialektfärbung von einer Sekunde zur anderen ändert, die Stimme vom alten Mann zur jungen Schwester des Pflegers, zur Primadonna, zum Politbonzen oder zum arroganten Dirigenten Böhm werden lässt, das ist schlichtweg genial. Er managt jeden Umbau auf offener Szene allein, schlüpft in die verschiedensten Rollen, wie etwa in die Böhms als Direktor an der Wiener Oper, oder des Journalisten Karl Löbels und viele andere.

Hinter dem sehr vergnüglichen Abend steckt natürlich mehr als nur das Amusement, die Freude an den verschiedenen Puppen. Hochgatterer und Habjan zeichnen das für die Zeit so typische Bild eines Verdrängers. Karl Böhm hat sich nie als Mitläufer des Nationalsozialismus gesehen, sondern immer nur sein Engagement für die Musik betont. „Wenn das Politische auf Sie zukommt, dann schauen Sie auf die Noten“, sagt er zu Wolfgang Schneiderhahn. Mit keinem Satz lässt Paulus Hochgatterer den Dirigenten schuldig werden oder sich schuldig bekennen. Die Schuldzuweisung passiert nur in der Figur des Alten, und da nur sehr subtil. Etwa, wenn der Alte Böhm fragen möchte, ob er sich in seiner Villa in der Sternwartestraße (arisiert) wohl fühlt. Oder was er im Innersten empfunden hat, wenn er die Partie dirigiert, in der der Graf (Le nozze di Figaro) seine Ehefrau anfleht: Contessa, perdona me! Resigniert senkt der Alte den Kopf – Stille. Nichts wird Böhm in seinem Leben bereut haben. So wird aus Bewunderung Erkennen. Erkennen, dass das musikalische Genie ein menschlicher Versager war. Der Alte stößt die Büste Böhms vom Sockel. Ein markantes, einprägsames Ende.

Langer Applaus und viele Bravos für Nikolaus Habjan.

Eine Übernahme des „Schauspielhaus Graz“:

http://www.schauspielhaus-graz.com

http://www.burgtheater.at

„Ankunft heute. Hedy Lamarr“ Verein Kunstspielerei

Text und Konzept: Beatrice Gleicher. Inszenierung und Dramaturgie: Erhard Pauer, Entwurf und Kostüme: Josef Sonnberger

Spielort: Palais Schönburg

Im Vorwort des (gut gemachten!) Programmheftes schreibt die Autorin und Hauptdarstellerin Beatrice Gleicher: „Ich muss es schreiben mit den Augen einer Frau, die jeden deiner Momente, ob als Kind, Star, Ehefrau oder Mutter nach zu vollziehen im Stande ist …weil ich eine Frau bin.“

Wie war’s im Gefängnis?

In dem eleganten Palais Schönburg – passend zum glamourösen Ambiente, in dem sich Hedy Kiesler, später Hedy Lamarr bewegte, bewegt sich auch das Publikum. Zu Beginn nimmt es an der Gerichtsverhandlung gegen Hedy Lamarr teil. In einem schlichten Raum im Untergeschoss wird über den Fall Hedy Lamarr verhandelt. Sie wird beschuldigt, mehrere Wäschestücke in einem Kaufhaus ohne Bezahlung mitgenommen zu haben. Doch sie kann sich mit einem „Schmäh“, mit dem sie seit ihrer Jugend alles durchsetzte, was sie wollte, herausreden. Das Publikum weiß allerdings: Diese Frau ist mit 52 Jahren am Ende ihrer Karriere, steht ohne Geld und Engagement da. Das ist die Ausgangslage des Stückes.

Nun wird im Rückblick ihr Leben in Form eines Stationentheaters aufgerollt. Interessant ist der dramaturgische Kniff, dass die junge Hedy (Florine Schnitzel) und die „alte“ (Beatrice Gleicher) oft gemeinsam auf der Bühne stehen: Da sieht Hedy Lamarr – noch immer attraktiv und mit Männern flirtend, aber doch schon von Hollywood auf die Abschussliste gesetzt – ihrem eigenen Lebensweg zu: Sieht sich als junges Mädel, das bei Max Reinhardt Schauspielunterricht nimmt, die ersten Filme dreht, unter anderem den Skandalfilm „Ekstase“. Sieht sich als Gefangene ihres ersten Ehemannes, des reichen Waffenfabrikanten Mandl, sieht sich in Hollywood.

Erfolge mit fragwürdigen Rollen

Immer wieder wird sie auf die „Skandalnudel“, die sich nicht scheute, nackt gefilmt zu werden, reduziert. Die Rollen, die ihr angeboten werden, sind seicht, geben ihr keine Möglichkeit, mehr als nur schönes Dekor zu sein. Sie gründet ihre eigene Filmgesellschaft. Florine Schnitzel verkörpert perfekt diese oberflächliche, selbstverliebteFrau, die sich Männer ohne Bedenken angelt und wieder fallen lässt. 6 Ehemänner sind ihr auf den Leim gegangen. Dazu noch zahllose Affären. Dass sie gemeisam mit dem Filmkomponisten George Antheil das „Frequency Hopping Spread Spectrum“ (FHSS) erfand, wird in einer Szene so dargestellt, als ob die Erfindung in einer verspielten Stunde geboren worden wäre. Das Leichte, Spielerische, Oberflächliche dieser Glamour-Diva war der rote Faden ihres Lebens. Sie war eine Frau, die beinhart alles durchsetzte, alles bekam, was sie wollte. Aber da war sicher noch mehr. Was ging in ihrer Seele vor? -Wie verbrachte sie ihre letzten Jahre? Nun, dieses sehr publikumswirksame und rundum unterhaltsame Theaterstück war nicht für diese Fragen konzipiert. Das Publikum folgte den Stationen des Lebens von Raum zu Raum, was natürlich für Abwechlsung und Heiterkeit sorgte. Man wird aufgefordert, Hedy auf dem Schiff in die Staaten zu begleiten. Liegestühle laden zum Sonnen (im Vestibül) ein. Zum Captainsdinner wird man in einen hübschen Salon geführt, wo an liebevoll dekorierten Tischen Fingerfood serviert wird. Oder: Man sieht in einem Spiegelzimmer den Dreharbeiten von „Samson und Delilah“ zu, wobei sich Hedy Lamarr als richtige eitle Zicke gebärdet.

Ein spielfreudiges Ensemble

Beatrice Gleicher verfügt über ein exzellente Truppe, die alle, wirklich alle toll spielen, in Blitzesschnelle von einer Rolle in die andere springen, sich Bärte aufkleben, Perücken wechseln, in neue Klamotten hüpfen. Nur so ist es möglich, mit insgesamt 9 Schauspielern das ganze Personenpanorma zu bestücken. Insgesamt ein Abend, der amüsiert. Viel Applaus.

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„Rosmersholm“ von Ulf Stengl nach Motiven des gleichnamigen Ibsendramas. Theater in der Josefstadt

Regie: Elmar Goerden, Bühnenbild: Silvia Merlo und Ulf Stengl

Was man mit Ibsens Drama „Rosmersholm“ nicht alles anstellen kann: Figuren rausstreichen, Figuren umdeuten, alles überhaupt neu schreiben. Nur den Titel belassen – er lockt vielleicht ein literatur- und theateraffines Publikum eher an.

Also diesmal „Rosmersholm“ von Ulf Stengl. Drei Schauspieler, die großartig spielen, manchmal etwas überdreht, aber zur Rolle passend: Katharina Klar.

Die Bühne: Ein Landhaus sollte es sein, irgendwo weit abgeschieden. Statt dessen: Ein leerer Raum – eingerahmt von grünchangierenden Lamellen. Keine Requisiten. Das Bettzeug für den unerwarteten Gast Kroll wird auf dem Boden ausgebreitet. Als Erinnerungszitat, dass wir uns in einem ziemlich noblen Landhaus befinden, steht dann plötzlich ein hölzerner Bauernsessel auf der Bühne. Etwas lächerlich wirkende avantgardisitische Bemühtheit.

Das Match zwichen Links und Rechts

Im ersten Teil matchen sich der Gutsbesitzer Johannes (Herbert Föttinger) und der linke Journalist Kroll (Joseph Lorenz). Die Freunde haben einander ein Jahr lang nicht gesehen. Der Grund des unerwarteten Besuches: Kroll hat einen ziemlich rechtslastigen Artikel auf einer Naziplattform entdeckt, der mit dem Namen seines Freundes unterschrieben ist. Entsetzt über die politische Kehrtwendung seines Freundes hält er ihm eine politische Standpauke. Johannes rechtfertigt sich mit lahmen Argumenten, zuletzt damit, dass er den Artikel gar nicht selbst hineingesetzt hat. Der Diskussion der beiden um populistische Ansichten kann man ein gewisses Niveau nicht absprechen, sie geht aber nicht über die schon oft und allerortens zitierten Schlagwörter hinaus. Dennoch:: Herbert Föttinger als behäbig gewordener Literaturprofessor und Joseph Lorenz als leicht herabgekommener, linker Journalisten faszinieren durch ihre intensive Darstellung. Das ist Schauspielkunst vom Feinsten: Oft Gehörtes und allzu oft in TV-Debatten Abgespultes zum schauspielerischen Erlebnis gestalten! Joseph Lorenz in einer gänzlich neuen Rolle: leicht angealtert, in einem rosa Regenmantel, aus dem er sich mühselig herausarbeiten muss, zunächst verlegen, dann mit scharfer Argumentation gegen seinen Freund vorgehend, erinnert an so manche Thomas-Bernhard-Figuren: Kritisch, nörgelnd, mit moralischem Zeigefinger, Recht habend, auch Recht haberisch. Herbert Föttinger ist ein weichlicher, unsicherer Mann, der es sich längst schon unter der manipulativen Fuchtel der rasenden Rebekka bequem gemacht hat.

Match zwichen altem Mann und junger Furie

Katharina Klar, seit 2019 neu in der Josefstadt, spielt die Rebekka sehr mutig: so richtig widerlich. Man möchte sie von der Bühne stoßen, ihr den Mund stopfen. Ihr Outfit imitiert perfekt ein Jungmitglied der AFD oder sonst einer Rechten. Auffallend oft schimpft sie auf alles und drückt ihren Frust mit Fäkalienwörtern aus, weil ihr die differenzierte Sprache fremd zu sein scheint. Ihre Aktionen sind radikal und provokant, als wäre sie ein Teenager am Gipfel der Pubertät. Man muss den Einsatz, mit dem Katharina Klar diese Rolle bis zur Selbstverleugnung ausspielt, bewundern.

Immer dort, wo ein wenig Ibsen durchschimmert, wird es spannend. Etwa, wenn es um die Frage geht, wer am Selbstmord der Ehefrau Rosmers Schuld hat. Nach einer Schrei-Schlacht, in der sich beide in lächerlicher Weise mit Alkohol überschütten und dann vielleicht mit einem Feuerzeug anzünden – oder doch nicht, man weiß es nicht so genau – stehen beide in verzweifelter Umarmung. Nach dem beiderseitigen Schuldgeständnis folgt die Erschöpfung.

Applaus und Bravorufe für die Leistung aller drei Schauspieler.

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Shakespeare: Hamlet. Landestheater Niederösterreich

Inszenierung: Rikki Henry, Bühne: Max Lindner. Kostüme: Cedrik Mpaka. Musik: Nils Strunk. Licht: Günter Zaworka

Rikki Henry ist ein junger Regisseur aus London. Als er an das Münchner Landestheater kam, lernte er Martin Kusej und Ulrich Rasche kennen. Von letzterem stammt das geflügelte Wort: „Theater muss unangenehm sein!“. Henry hat diese These inhaliert.

An Hamlet glauben viele Regisseure, sich abarbeiten zu dürfen, ihn neu erfinden zu müssen. Denn was Shakespeare so geschrieben hat, sei klassisch-bieder, fad. Deshalb Hamlet neu. So auch am Landestheater.

Hamlet ist ein spätpubertierender Jungerwachsener, eher noch ein Jugendlicher. Er träumt davon, den Mord an seinem Vater zu rächen. Im Traum stellt er Szenen so um, wie er sie haben möchte: Da bricht er dem Onkel und seiner Mutter das Genick – man hört die Knochen knacken und knirschen. Er schickt die Ophelia ins Kloster, aber sie geht nicht, statt dessen beginnt sie von „Sein und Nichtsein“ zu delirieren. Wirklich wahnsinnig scheint sie nicht zu werden. Aber sehr wohl fühlt sie sich nicht in ihrer Rolle zwischen Ophelia aus Shakespeare und dem Handy, mit dem sie vielleicht mit Hamlet oder Gott oder mit niemandem kommuniziert. Ertrunken findet man sie in der Wasserschüssel. Darf gelacht werden? Einige finden ja. Es gibt auch wirklich witzige Einfälle, die ein wenig die Langeweile, die diese Inszenierung verbreitet, mit Staunen durchmischt: Der Königshof guckt mit 3D-Brillen dem Schauspiel zu, in dem der Mord an Hamlets Vater nachgespielt wird. Ganz lustig, Wieder hie und da ein Lacher. Man ist irgendwie auch wirklich dankbar für solche Szenen. Denn: Den Text, den die Schauspieler so zwischen Hochsprache und Gags von sich geben (da reimt sich peinlicher Weise „Mutter“ auf „kaputter“, dann meint Claudius: Wir müssen den Hamlet los werden, sonst sehen wir alt aus) ist streckenweise kaum zu verstehen. Muss ja nicht sein – meint wohl der Regisseur, denn er bedient ja das Publikum mit genug Gags.

Am Ende viel Applaus und einige brummen und brüllen. Sind jetzt Tierlaute statt Bravorufen die Form der Akklamation, die zum „neuen Theater“ passen?

Ehrlich: Mir ist ein klassischer Hamlet lieber, da lasse ich mich gerne gestrig oder bieder schimpfen.

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Peter Shaffer, Equus. Theater Scala.

Auch heute noch, fast fünfzig Jahre nach der Uraufführung am britischen Nationaltheater, schockiert das Stück. Nicht jeder Zuschauer kann den Nacktszenen, den homoerotischen und an Sodomie anspielenden Szenen gelassen zusehen. Doch im Gegensatz zu den 7oer Jahren des vorigen Jahrhunderts ist man nicht über die Tatsache geschockt, dass ein 17 – jähriger Junge ein Pferd wie einen Gott verehrt und sich in einem orgiastischen Ritt gleichsam mit ihm vereint, sondern man ist geschockt, wie der Junge so sehr in Einsamkeit und Verzweiflung getrieben werden konnte, dass er sich diesen Ersatz für fehlende Wärme und Gefühle sucht.

Alan Strang (mutig und mit intensivem, körperlichem Einsatz von Angelo Konzett gespielt) wird in die Jugendpsychiatrie eingeliefert, nachdem er drei Pferden die Augen ausgestochen hat. Unter der kundigen Führung des Psychiaters Martin Dysart (hervorragend: Anelm Lipgens) löst er sich aus der Schockstarre und beginnt sich zu erinnern, bis er die ganze unheilvolle Nacht offen ausagiert. Ist das ein Weg zur Heilung, fragt sich Dysart? Was heißt überhaupt geheilt? – Dem Menschen seine Fähigkeit zu leiden, zur Leidenschaft zu nehmen und ihn in eine öde Normalität führen, ihn zu einem braven Bürger zu machen, der nichts mehr empfinden kann? Der Autor führt die Figuren an die Grenzen der Psychiatrie, formuliert die Zweifel des Psychiaters und stellt damit die Grundsatzfrage: Was kann Psychiatrie leisten? Welchen Menschen soll/darf sie aus dem Kranken machen? Was heißt „gesund“ und „krank“? Fragen, die sich auch der schizophrene Schriftsteller Thomas Melle in seinem Buch „Die Welt im Rücken“ stellt. (Joachim Meyerhoff hat es genial auf der Bühne umgesetzt)

Dem Regisseur Sam Madwar gelang eine dichte, beklemmende Inszenierung. Er stellte ein Holzpodium in die Mitte der Bühne, umgeben von Bänken, auf denen die Schauspieler auf ihren jeweiligen Einsatz warten. Einmal ist es der Behandlungsraum, dann der Stall mit den Pferden oder auch das Zuhause von Alan. Mit diesem nüchternen Bühnenbild nimmt Sam Madwar die Schwüle, die sich vielleicht einstellen könnte, vollkommen heraus. Nichts lenkt ab von dem intensiven Spiel der Darsteller, die alle großartig sind: Birgit Wolf als bigotte Mutter, die ihren Sohn in eine Art religiösen Wahn treibt. Christoph Prückner als Vater, der gegen den religiösen Fanatismus seiner Frau und seines Sohnes nicht ankommt. Großartig die drei Pferde, muskulöse Tänzer in schwarzen Strapsen, um das homoerotische Element zu betonen (Tom Wagenhammer, Eduard Martens, Bernardo Ribeiro). Den Mut, auf dem Mannpferd nackt zu reiten und den Orgasmus voll auszuagieren muss man an dem jungen Angelo Konzett voll bewundern. Ebenso auch Angela Ahlheim, die als junge Pferdenärrin Jill den schüchternen Alan zum Sex verführen will. Da er sich aber von den Pferden beobachtet fühlt, misslingt der Sex total. Aus Wut darüber sticht Alan den Pferden die Augen aus.

Am Ende bleiben ein erschöpfter und von Zweifeln an seiner Methode gequälter Psychiater und ein hilflos am Boden liegender, von allen Schutzhüllen entblößter Alan zurück. Und ein tief berührtes Publikum, das mit viel Applaus seine Bewunderung ausdrückt, aber auch die eigene Beklemmung wegklatscht.

Weitere Aufführungen bis zum 22.11. 2019 jeweils Di-Sa um 19.45h

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Wie versteckt man einen Elefanten? Kasino des Burgtheaters.

Von Joel Horwood nach dem Roman „The Great Elephant Chase“ von Gillian Cross.

Trotz strahlendem Spätsommerwetterwar das Kasino bis auf den letzten Platz ausverkauft. Mindestens ein Drittel des Publikums war zwischen vier und zehn Jahre alt.

Erwachsene wie Kinder hatten ihren Spaß! Erwachsene vielleicht noch mehr, da sie auch die feinen Anspielungen und den hintersinnigen Humor genießen konnten, der für de Kinder doch manchmal zu subtil war. Den Kindern war der Elefant Kush, der da in Lebensgröße über die Bühne stapfte und allerlei Unliebsames erlebte, ohnehin am wichtigsten! Hier gleich ein großes Lob an die vier Akteure, die dieses Pappmache-Tier über die Bühne bewegen mussten: Katharina Hallub, Daniel-Frantisek Kamen, Iris Schmid, Stephan Witzlinger. Bewegen allein war schon ein Kraftakt. Voller Einsatz war von ihnen verlangt, wenn es hieß, den Elefant in einem Waggon, in einer Scheune zu verstecken oder gar auf ein schwankendes Floß zu verfrachten. Verantwortlich für diese Elefantenakrobatik und den ganzen Bühnenzauber waren der Puppenmagier Mervyn Millar und der Regisseur Ingo Berk. Mit wenigen Mitteln und in Sekundenschnelle ließen sie Zeit, Ort- und Personen wechseln. Dafür brauchte es natürlich ein gut eingespieltes Ensemble, das mit körperlichem Höchsteinsatz und größter Konzentration diese schnellen Szenenwechsel bewerkstelligte.

Zu Beginn des Amerikanischen Bürgerkrieges, so etwa um 1860, zieht ein Magier (Markus Kiepe in einer seiner vier Rollen) mit seiner Tochter (Maresi Riegner) und einem Elefanten durch die Dörfer und Städte der Südstaaten. Trickreich luchst er den Bewohnern viel Geld ab, was wiederum die Gier eines Gaunerpärchens ( Gunter Eckes und Alexandra Henkel, beide in mehreren Rollen) hervorruft. Sie beschließen, den Elefanten zu kapern. Vater, Tochter und Elefant müssen fliehen, sich verstecken. Unfreiwillig mit auf der Flucht ist Tad – sympathisch und überzeugend gespielt von Leonard Dick-, der bisher wie ein Sklave von dem Gaunerpaar gehalten wurde und nun eine erste Ahnung bekommt, was Freiheit bedeutet. Wie das in einem Kinderstück so sein muss, werden die Bösen bestraft. Das Gaunerpärchen muss ins Gefängnis. Die beiden Jugendlichen und der Elefant landen glücklich bei der guten Tante Ketty. In dieser und mehreren anderen Rollen wieder einmal Elisabeth Augustin erleben zu dürfen, war reine Freude. Wie das ganze Stück den Alten und sehr Jungen reine Freude bereitete.

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„Der Vorname“ Französische Hitkomödie in den Kammerspielen.

„Unser Sohn wird Adolphe heißen“ – mit dieser Ankündigung schockt Vincent Larchet seine Freunde, die zu einem Abendessen bei Elisabeth und Pierre Garaut zusammentreffen. Darf man seinen Sohn so nennen? – Mit dieser Frage entzünden die Autoren Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière ein komödiantisches Feuerwerk der Sonderklasse. Mach- und Gangart der Komödie erinnert stark an Jasmine Rezas Stück „Der Gott des Gemetzels“: Man führt zu Beginn höfliche, in unserem Fall freundschaftliche Konversation. Alle Beteiligten haben beste Manieren und sind einigermaßen gebildet. Doch die Hülle fällt bald. Darunter schießt Schadenfreude an der Blamage des anderen hervor. Alle und alles wird aufgedeckt, ohne Rücksicht darauf, wie sehr man einander verletzt. Höhepunkt der „Aufklärungs- und Wahrheitscampagne“: Der schüchterne Claude gesteht seine Liebe zu der (auf der Bühne nicht anwesenden) Francoise, Mutter von Vincent und der Gastgeberin Elisabeth. Mehr als zwanzig Jahre Altersunterschied – der Gedanke ist für Vincent unerträglich. Seine Mutter hat ein Verhältnis mit seinem gleichaltrigen Freund! Wütend fällt er über ihn her.(Es ist anzunehmen, dass die bekannte Liebesgeschichte zwischen Macron und seiner Lehrerin zu dieser Wendung in der Komödie Pate stand)

Gegen Ende muss sich die Szene so weit abkühlen, dass das bürgerliche Wohlverhaltenbild wieder hergestellt ist. Doch die Wunden, die geschlagen und empfangen wurden, werden nicht so rasch verheilen. Aber gut erzogene Erwachsene werden sicher zur Tagesordnung übergehen, als wäre nichts gewesen.

Eine gut geschriebene komödiantische Satire auf die bürgerliche Gesellschaft.. Exzellent gespielt: Michael Dangl als Vincent Larchet spielt den verwöhnten, von allen Mädchen, später Frauen bewunderten Sonnyboy, der mit viel Hinterfotzigkeit die Freunde und Eheleute gegeneinander ausspielt, bis er selbst seinen Teil abbekommt. Susa Meyer ist die gestresste Hausfrau, die ihrem Ehemann endlich all ihren Frust entgegenschleudern darf. Herrlich ihr Abgang mit der Weinflasche in der Hand und dem Götzzitat im Mund! Ihr Ehemann (Markus Bluhm) bekommt von alles Seiten sein Fett ab, wird als Geizhals und lästiger Besserwisser abgestempelt. Schön langsam wird aus dem gebildeten Literaturprofessor eine ziemlich verunsicherte Existenz. Der fast bis zum Schluss schweigende Musiker und Freund aller Anwesenden (Oliver Rosskopf) bekommt gegen Ende des Stückes seinen Auftritt, als er von seiner Liebe zu der um Jahrzehnte älteren Francoise, Mutter von Vincent und Elisabeth, erzählt. Damit Vincent nicht all zu sehr der Kamm schwillt, dafür sorgt seine Freundin Anna (Michaela Klamminger) bravourös.

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Familie Flöz: Teatro Delusio im Theater Akzent

Si waren wieder da! Die genialen Masken der Familie Flöz. Voriges Jahr begeisterten sie das Publikum mit „Hotel Paradiso“, nun also mit der Produktion „Teatro Delusio“.

Die Familie Flöz ist eine internationale Theatercompagnie mit Sitz in Berlin. Sie spielen mit Gesichtsmasken, die obwohl starr, doch immer wieder Gefühle zeigen. Die kommen von den Spielern hinter den Masken. Es genügen kleinste Gesten, ein zartes Rucken mit dem Kopf – und schon versteht man: Diese Figur ist traurig, traurig über ihr Versagen. Dazu die Statements der Familie Flöz:

„Wir glauben, dass Masken eine ebenso universale wie geniale Erfindung des Menschen und untrennbar mit dem Theater und uns selbst verbunden sind. Wir glauben, dass das Scheitern im Leben die heimliche Hauptrolle spielt. Deshalb versuchen wir, dem Scheitern in unserer Arbeit einen wichtigen Platz einzuräumen.“

„Teatro Delusio spielt hinter der Bühne. Unsichtbar, hinter einer Bretterwand, hört man Musik aus diversen Opern und Applaus. Drei Bühnenarbeiter, der lange Ungeschickte, der kleine Angeber und der Dicke Aufpasser und Wichtigtuer mischen sich unter die Bühnenfiguren, die sich für ihren Auftritt oder den Endapplaus vorbereiten. Was dabei alles passiert, ist von einer tragischen Komik, wie man sie anderswo noch nie sah. Wenn der lange Ungeschickte sich in eine Balleteuse aus dem „Schwanensee“ verliebt und die beiden in der Klamottenkiste verschwinden, um sich ungestört dem Liebesspiel widmen zu können. Wenn der Ungeschickte, immer wieder vom Dicken attackiert, sein Felltierchen aus der Kiste holt und die beiden in seinem Heft lesen. Am Ende ist das arme Vieh dann tot. In unzähligen Szenen werden Eitelkeit, Bösartigkeit und auch die Liebe, Bewunderung in schneller Abfolge karikiert, immer mit dem verzeihenden Blick auf den Menschen an sich. Drei Darsteller schaffen die Illusion, dass sich an die dreißig Figuren auf der Bühne bewegen. Ein Kunststück der Sonderklasse. Und das alles ohne Worte!

Begeisterung beim Publikum!! Bitte bald wieder kommen!

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Choreographien von Forsythe, Van Manen, Kylián.

Wiener Staatsoper. Im Bild: Esina und Feyferlik in „Trois Gnossiennes“

ARTIFACT SUITE

CHOREOGRAFIE: FORSYTHE ZUR MUSIK VON BACH UND GROSSMANN – HECHT

Forsythe nannte die „Artifact Suite“ eine Ode an das Ballett. Fernab von den Hebefiguren, Pirouetten und Sprüngen des klassischen Balletts bewegen sich die Tänzer in extremen Streckungen und Dehnungen in den Raum hinein, als wollten sie ihn in seinen Dimensionen austesten. Dadurch entstehen neue Konstellationen, verblüffend meist. Nur hin und wieder schimmern klassische Ansätze durch. Zwei Paare (großartig: Nikisha Fogo und Jakob Feyferlik mit überschäumendem Jugendtemperament , Nina Polaková und Roman Lazik in verlangsamtem Ernst) werden eingerahmt, kommentiert von einer im Saal trainierenden Ballettgruppe. Dabei entstehen die witzigsten Bilder, wenn etwa die Gruppe nur mit den Beinen einen Lattenzaun bildet oder wie Körperuhren die Zeit anzeigt. Vieles daran erinnert an Bilder und Einfälle von Oskar Schlemmer. Als Überraschung fällt immer wieder einmal der Vorhang. Doch das Publikum ist gewitzt und weiß, es ist noch nicht zu Ende. Zur fast metronomartig wirkenden Klaviermusik von Grossmann-Hecht, die übergangslos eingespielt wird, bewegen sich die Tänzer in einem immer gleichbleibenden Bewegungsablauf, was bald eintönig wirkt.

TROIS GNOSSIENNES

CHOREOGRAPHIE: HANS VAN MANEN ZUR MUSIK VON ERIC SATIE

Ein Höhepunkt dieses Abends: Olga Esina und Jakob Feyferlik in einem Geschlechtertanz. Kalte Annäherung, ohne Emotion zunächst, erst als er sie wie eine Trophäe vor sich her trägt, entsteht leise Erotik. Das ist hohe Kunst: In dieser kalten Beziehungsgeschichte Annäherung zu tanzen! Olga Esina ist eine stilsichere Ikone des Balletts und Feyferlik ihr kongenialer Partner. Beide meistern diese Passagen ganz meisterlich!!

SOLO

CHOREOGRAPHIE: HANS VAN MANEN ZUR MUSIK VON BACH

Es darf gelacht werden! Masayu Kimoto, Richard Szabó und Dimitru Taran fegen wie ausgelassene Gassenbuben über die Bühne, wollen einander übertreffen und prahlerisch beeindrucken. Bewegungen aus der Commedia dell’Arte unterstreichen die Komik.

PSALMENSYMPHONIE

CHOREOGRAPHIE:JIRI KYLIÁN ZUR MUSIK VON STRAWINSKY

Rote Teppiche an der Hinterwand der Bühne und hochlehnige Sessel (Bühne: William Katz) zitieren einen Kirchenraum. Zu den schweren Klängen der Musik, begleitet von den Zitaten aus den Psalmen, schreiten die Tänzer langsam den Sakralraum aus, demütig einen Gott anbetend. Szene und Musik erinnern an Carl Orffs „Carmina Burana“ – monumental die Musik, monumental die Frage nach dem Wesentlichen, ausgedrückt in langsamen Bewegungen.

Alles in allem: Eine sehr beeindruckende Ensembleleistung. Durch diese revolutionierenden Choreographien wurde das Ballett von der Vergangenheit, in der die Ästhetik der Bewegungen bestimmend war, in eine neue Ära geführt.

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Eugène Ionesco: Die Stühle. Akademietheater

Der beste Ionesco, einen besseren findst du nit!

Was für ein Komödiantenpaar! Maria Happel und Michael Maertens in gewohnter Höchstform. Sie genießen ihre Übertreibungen, ihr Spiel mit dem blanken Unsinn! Erinnerungen steigen auf: Maertens klettert auf eine hohe Leiter, um auf das Meer zu schauen. – Becketts „Endspiel“ – auch da stieg er die Leiter rauf und runter, um über das Meer – ist gleich das Leben, das es nicht mehr gibt – zu berichten. In beiden Stücken leben die Protagonisten auf einer öden Insel, umgeben vom öden Meer.

Vor vielen, vielen Jahren sah ich „Die Stühle“ in Paris: da war es ein tragisch-trauriges Stück. Zu lachen gab es nichts, eher zu weinen. Weinen über die beiden Alten, die sich mit unsichtbaren Gästen unterhalten, sich noch einmal, bevor sie sich in Nichts auflösen, Bedeutung zuschreiben wollen. In Erinnerungen, Streit und blanken Unsinn sich überschlagen.

Jetzt: Eine Slapstick-Komödie. Ein Unsinn, Widersinn jagt den anderen. Sätze ohne Sinn, ausgefüllt und erfüllt mit Leben durch die komödiantische Kunst der beiden Protagonisten: Maria Happel in ihrem Riesenrock mit rot-weißem Petticoat, einem aus dem Bustier überquellenden Busen, das Gesicht puppenhaft im Stil der 20er Jahre geschminkt, und einer Perücke, die jedem Friseur Ehre macht, weil so unglaublich unwahrscheinlich, ist eine bezaubernde Semiramis. (Kostüme Margit Koppendorfer). Michael Maertens als ihr Ehemann hinkt in Altherrenhosen, die hoch bis zur Brust reichen und durch Hosenträger gehalten werden, über die Bühne. Wenn er in Selbstmitleid zerfließt und nach seiner Mama ruft, dann darf er sich auf den Knien seiner Semiramis hockend, wie ein Baby von ihr trösten lassen und genüsslich an ihrem Busen grapschen. Eine Szene, die man so schnell nicht vergessen wird!

Die beiden haben 70 Jahre Ehe hinter sich. Der Glanz ist ab, er jedoch braucht Bewunderung, will seine Weisheit und Lebensphilosophie den Gästen durch einen Redner verkünden. Für diese nicht existierenden Gäste, schleppt Semiramis Stühle. Wie sie das macht, ist Komödie pur! Er macht Konversation, stellt die Gäste einander vor. Beide versinken in ehrfürchtige Bücklinge, als sogar der Kaiser sich ankündigt. Während Ionesco die beiden Selbstmord begehen lässt, ändert das Regieduo Peymann/Haußmann das Ende: Die beiden Alten entschwinden Hand in Hand in einem Nebel des Glücks. Irgendwie tröstlich steigen zwei rosa Luftballons auf. Ein letztes Zeichen der Poesie des Unsinns.

Weniger passend ist der Schluss: Der lang erwartete Redner erscheint dann doch, latscht verlegen über die Bühne, spuckt ein paar unverständliche Laute aus und schreibt „Adieu“ auf die Bühne. Mavie Hörbiger fühlt sich in dieser Rolle sichtlich nicht wohl.

Dieser Abend ist dann doch irgendwie ein „Adieu“, ein Abschied von Peymann als Regisseur. Ihn wird man unter Kusej nicht mehr erleben. Fein, dass er in der Josefstadt ein neues Zuhause gefunden hat.

Bravorufe und lang anhaltender Applaus für das großartige Duo Happel/Maertens. So viel Vergnügen wird man wohl kaum in nächster Zeit an der Burg erleben können. Da erwartet uns schwere Kost. Daher: „Die Stühle“ nicht versäumen!

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Ferenc Molnar, Liliom. Salzburger Festspiele 2019

Jörg Pohl als Liliom und Maja Schöne als Julie waren die ideale Besetzung: hineingeworfen in eine ratlose Armut und Hoffnungslosigkeit klammert sich Julie an ihre Liebe zu Liliom. Dem fehlt die Sprache, um ihr seine Liebe zu gestehen. Auch die Gesten. In seiner Ratlosigkeit schlägt er sie. In stumpfsinniger Hilflosigkeit sucht er nach einer Geldquelle, um Julie und das Kind, das sie erwartet, durchzubringen. Der geplante Raubüberfall geht schief und Liliom ersticht sich. Ein Himmelsgericht schickt ihn nochmals auf Erden, um Liebe zu „lernen“. Der Lernversuch will nicht ganz gelingen.

Molnars Drama wurde von Alfred Polgar in Wienerische übertragen und übersetzt. Seither ist Liliom ein Wiener Strizzi aus dem Prater. Der Regisseur Kornél Mundruczo jedoch löst Figuren und Umgebung aus diesem üblichen Umfeld, siedelt die Handlung zwischen irgendwo hier und irgendwo dort oben an, mag sein im Himmel, den er mit den den komischesten Figuren bevölkert. Schwule, Beamte der Sonderklasse aBallettschwäne und anderes „witziges“ Volk. Es ist ganz offensichtlich, dass Mundruczo Scheu vor der Sozialromantik des Stückes (harter Bursche, aber innen weicher Kern) hat und deshalb zu ironisierenden Mitteln greift. So lässt er gleich zu Beginn die Bühne von Robotergreifarmen bestücken. Minutenlang „tragen“ sie Bäumchen für Bäumchen auf die Bühne, auch der Mond darf nicht fehlen, in dessen Licht sich Julie und Liliom küssen. Man schmunzelt, doch die Szenen bleiben außen vor – dem Herzen. Irgendwie kalt sieht man dem Geschehen zu. Erst als die Hauptszenen, in denen sich Liliom zwischen einer Rückkehr zu Frau Muskat (hervorragend gespielt von Oda Thormeyer) oder einem Leben mit Julie entscheiden muss, auf der Videowall groß eingespielt werden, greift das intensive Spiel zwischen den Dreien. Da kommt der Regisseur dem Kern des Stückes, der Aussage, die Molnar intendierte, ziemlich nahe.

Ratlos entlässt der Regisseur die Zuschauer am Ende: Liliom darf auf die Erde zurück. Er übt als unsichtbarer Liliom mit seiner Tochter Schnurspringen. Die Nagelprobe und der zentrale Satz Julies bleiben aus. „Es ist möglich, mein Kind, dass einem jemand schlägt, und es tut gar nicht weh.“ Durch die Streichung und Änderung der Schlussszene tilgt der Regisseur die zentrale Aussage Molnars: Liebe kann vieles verzeihen. Aber natürlich – im Zeitalter der Metoo-Hysterie ist so ein Gedanke völlig absurd.

Zusammengefasst: Tolle Schauspieler, witzige, manchmal nur schwer deutbare Regieeinfälle, die allzu häufig ausufern.

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Tennessee Williams: Die Glasmenagerie. Akademietheater

„Jeder Mensch ist ein Kannibale“ merkte Tennessee Williams zu diesem Stück an. Es gibt sie, diese „sanften“ Kannibalen, die den anderen die Luft zum Atmen nehmen. Diesmal ist es Amanda Wingfield, die ihren beiden erwachsenen Kindern, Tom und Laura, das Recht auf ein Leben nimmt, wie sie es leben wollen: Laura -zurückgezogen, in sich gekehrt, verträumt mit ihren Glastieren spielend, Tom, der sich als Dichter und Abenteurer sieht. Das Fatale dabei ist: Amanda hat recht, wenn sie die Lebensunfähigkeit bejammert, die Aussichtslosigkeit auf Besserung der Lebensumstände. Denn Williams schrieb dieses Stück in den 1940er Jahren, und da war der Mittelstand abgemeldet, chancenlos.

David Bösch inszeniert die „Glasmenagerie“ realistisch. Laura (Viktoria Frick) ist nicht die Verträumte, wie man sie aus vielen Verfilmungen in Erinnerung hat, sondern eher die Realistische, die glaubt, einsehen zu müssen, dass sie kein Recht auf „bürgerliches Glück“ hat, sich für völlig unbegabt hält, und deshalb keine Anstrengungen macht, sich für das „Leben da draußen“ zu rüsten. Die Mutter (großartig Regina Fritsch) will das nicht wahrhaben, redet sich die Tochter schön und schwärmt ihr pausenlos von ihrer eigenen Jugend vor, als sie von zahllosen Verehrern umgeben war. Man glaubt es ihr, denn sie ist noch immer eine (verblühende) Südstaatenschönheit, charmant, eitel und völlig unrealistisch. Wie sie ihren Sohn Tom quält, an ihm herumerziehen möchte, das erinnert sicher viele Zuschauer an ihre eigene Kindheit. Eigentlich ist die Mutter die Hauptperson in dieser Inszenierung. Regina Fritsch beherrscht ihre Kinder und das Bühnengeschehen.

An einigen Stellen verbröselt sich die Inszenierung in Langeweile, wenn die drei zum Beispiel minutenlang Karten spielen, ohne miteinander zu reden. Oder wenn Sohn Tom (Merlin Sandmeyer) betrunken in der trostlosen Dachwohnung herumtorkelt, das Bild des Vaters herunterreißt und vergeblich versucht, es wieder aufzuhängen. – Das Symbol ist allzu deutlich, und man ist verstimmt.

Ob der Einsatz von Video unbedingt notwendig war, ist fraglich. Alles in allem eine Inszenierung sehr à Terre.

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Wenn Andrea Breth Regie führt, weiß man, dass der Abend lang wird. Aber zweieinhalb Stunden ohne Pause – das ging über das Sitz- und Auffassungsvermögen so mancher Zuschauer weit hinaus. Noch dazu, wo sich streckenweise Langeweile einschlich. Und – was es teilweise unmöglich machte, der Aufführung zu folgen: Ab der 14. Reihe im Parkett waren ganze Passagen nicht mehr zu verstehen. Besonders schwierig war es, Ofczarek in der Rolle des bösen Bruders Bruno zu verstehen. Man konnte nur aus der Gestik und Körpersprache entnehmen, dass er ein geistig Zurückgebliebener und Bösartiger sein sollte. Was er vor sich hinnuschelte, blieb unklar. Auch andere Rollen waren streckenweise kaum zu verstehen. Man hatte das Gefühl, dass es den Schauspielern schwer fiel, den großen Raum des Burgtheaters akustisch zu füllen. Setzte sich Breth nicht bei der Generalprobe in die hinteren Reihen, um die Akustik zu überprüfen?

Gerhart Hauptmann hatte mit dem Stück seine liebe Not. Einige Male schrieb er es um, änderte den Titel und das Ende. Breths Inszenierung ist nicht gerade erhellend. Sie lässt das Ganze in einer Art Traumsequenz spielen – die Figuren sind nicht von dieser Welt: Sie stapfen durch Müll aus Geschirr, Möbeln und Papier (Martin Zehetgruber -Bühne), die Bühnenwände sind ständig in Bewegung, nur die Riesenratten aus Plastik stehen unbeweglich. Es wirkt nicht wie ein Stück aus dem Naturalismus. Die Sozialkritik, die Hauptmann ein Anliegen war, wird zum verwaschenen Symbolismus, Und die eigentliche Handlung um das entwendete Kind geht in einem Strudel von Unklarheiten unter. Den Schauspielern merkte man an, dass sie sich redlich bemühten, den Figuren Leben einzuhauchen. Die schwierigste Rolle der Frau John meisterte Johanna Wokalek recht gut. Sven- Eric Bechtolf durfte als schwadronierender Theaterdirektor brillieren. Die Ensembleleistung war insgesamt zu bewundern. Das Publikum auch. Fast alle hielten bis zum Ende durch. http://www.burgtheater.at

Joseph Roth: Radetzkymarsch. Theater in der Josefstadt

Regie und Dramatisierung: Elmar Goerden

Den Roman über den Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie für das Theater zu adaptieren verlangt profundes Wissen über das Werk Joseph Roths, die Zeit und die historischen Fakten, aber ebenso viel Gespür, was im Theater möglich und wirksam ist. Elmar Goerden gelang die Umsetzung des Romans in ein Theaterstück perfekt! Durch die Einführung eines Erzählers, der kommentiert und die Gedanken der Figuren formuliert, die diese nicht auszusprechen wagen, bekommt das szenische Geschehen eine epische Erzählstruktur. Zugleich treibt Goerden seine Figuren in ein wahnwitzigen Tempo hinein – sie stolpern, rennen in den persönlichen Untergang und in den Untergang der alten Welt und der Monarchie. Vielleicht geschehen Schauplatz- und Rollenwechsel ( bis auf Joseph Lorenz und Florian Teichtmeister übernehmen alle mehrere Rollen) manchmal zu rasch. Wer mit dem Roman nicht vertraut ist, der mag manchmal Schwierigkeiten mit dem rasanten Ablauf haben.

Silvia Merlo und Ulf Stengl schufen ein fragiles Gebilde aus Papier und dünnen Holzleisten, das so schnell und leicht zusammenbricht wie die Monarchie.

Getragen wird der Abend von der intensiven Spielstärke des ganzen Ensembles. Da schwächelt nicht eine einzige Figur. Joseph Lorenz hat sich in der Rolle des Bezirkshauptmanns Freiherr von Trotta und Sipolje geradezu neu erfunden. Bisher kannte man ihn als Charmeur, Intrigant oder arroganten Ehemann. Nun also ein alter Mann, der präzise nach Reglement und Uhr lebt. Scheinbar liebeleer und einsam. Aber hinter der steifen Beamtenfassade hat er viel Liebe für seinen „patscherten“ Sohn Carl Joseph (großartig Florian Teichtmeister). Diesem Sohn „passiert“ das Leben, ohne dass er selbst viel dazu tut. Zwei Frauen (sehr wandlungsfähig: Pauline Knof) lieben ihn und bezahlen diese Liebe teuer. Er weiß von diesem Opfer nichts. Erstaunt sieht er die Welt um sich untergehen. Handlungsunfähig wird er von anderen bestimmt: Zuerst von seinem Vater, dann von den Frauen, später von den Militärkameraden. Und auch sein Tod „passiert“ ihm.

Eine besondere Doppelrolle spielt Andrea Jonasson. Als schwarz-düsterer Erzähler zu Beginn, dann als Graf Chojnicki. In einer starken Szene prophezeit sie/er hellsichtig und in verzweifelter Selbstironie den Untergang der Monarchie. Alles in allem ein interessanter und spannender Theaterabend.

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Komödie von Richard Alfieri, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Johan Grumbrecht

Die Story folgt dem Strickmuster: Ältere Dame sucht (jüngeren) Tröster in einsamen Zeiten. Achtung Klischeegefahr! Aber: Wenn Klischee so gekonnt und amüsant gespielt wird, dann lässt man Kritik Kritik sein und lässt sich frohen Herzens vom Spiel mitreißen.

Oder beginnt nachzudenken, Parallelen zu ziehen, innerlich zu nicken. Gerührt sein, lachen, sich am Tanz erfreuen und nachher im Ballroom mittanzen – so Frau einen Tänzer findet.

Lily Harrison ist seit sechs Jahren Witwe (der Autor scheint eine innere Beziehung zur Zahl sechs zu haben). Außer mit einer lästigen alten Nachbarin hat sie keine Kontakte. Sie entschließt sich, einen Tanzlehrer ins Haus zu bestellen. Vielleicht bringt ihr der Tanz wieder Lebensfreude. Es tanzt ein vollkommen durchgedrehter Schwuler namens Michael Minetti an. Nichts passt zusammen: weder Sprache – er vulgär, sie gespreizt – noch Alter. Er zwischen 35 und 40, sie 64.

Sie „tanzen sich zusammen“ – und am Ende wird daraus Freundschaft, die sich bewährt, als Lily gegen ihren Krebs Bestrahlungen bekommt und er sich liebevoll um sie kümmert.

So weit, so rührend. Wären da nicht die beiden tollen Schauspieler: Andrea Eckert ist eine toughe, sportgestählte ältere Dame, die sich gerne elegant kleidet und vorgibt, tanzen lernen zu wollen. Zunächst mimt sie die aufmerksame Schülerin, doch blad wird klar, dass sie fast eine Profitänzerin ist. Hart gegen sich selbst, hart gegen den Tanzlehrer gesteht sie erst zögernd körperliche Schwächen ein, die sie mit Launen in den Wechseljahren abtut. Wie aus der unnahbaren Mittelstandslady eine um Freundschaft und Nähe heischende Frau wird, das ist die große Kunst von Andrea Eckert.

Markus Meyer als quirliger, überdrehter Tanzlehrer mit viel Herz ist einfach umwerfend. Wenn er seine Gliedmaßen durch den Raum schleudert, meint man, er hat Gummiknochen. Mit Bravour und viel Herz gewinnt er das Vertrauen der harten Lady. Am Ende können dann beide über ihre Probleme offen sprechen – sie über ihre langweilige Ehe mit einem Baptistenprediger, den frühen Tod ihrer Tochter, er über die Probleme, die er als Schwuler noch immer hat, über seine Mutter, die an Alzheimer erkrankte und die er bis zu ihrem Tod pflegte.

Richard Alfieri reißt einige gesellschaftliche Probleme an, aber in die Tiefe geht er nicht. Denn er will in erster Linie eine handwerklich gut gemachte Komödie schreiben, was ihm auch gelungen ist.

Nicht unerwähnt soll die Band bleiben, die sich ordentlich ins Schlagzeug legte: Leonhard Dickson am Schlagzeug, Andreas Radovan Gesang, Bass und Gitarre, Emily Stewart Percussion, Gesang und Violine, Alexander Wladigeroff Trompete, Gesang und Keyboard, Konstantin Wladigerpff Keyboard und Klarinette. Für das witzige Outfit von Markus Meyer und die eleganten Designerkleider von Andrea Eckert war Lejla Ganic zuständig. Für die flotte Regie Martina Gredler.

Viel Applaus und Bravorufe für das gesamte Team, besonders aber für Andrea Eckert und Markus Meyer.

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Kein Groschen, Brecht! off-theater

Mit Tamara Stern als alle Frauen rund um Bert BrechtAls die Biografie von John Fuegi, Brecht & Co 1997 auf Deutsch erschien, da schlugen die Wellen des Feuilletons hoch. Denn Fuegi zeichnete Brecht als miesen Kerl, der Frauen reihenweise schwängerte, sie verließ oder sie in die Zahl seiner Adorantinnen eingliederte. Vor allem wies er darauf hin, dass der böse Mann seine Frauen für ihn forschen, übersetzen und auch gleich dichten ließ. Das war für die Brechtanhänger einfach zu viel. Sie empörten sich und suchten eifrig nach Fehlern, die Fuegi in dieser Biografie gemacht hatte, um ihn als unglaubwürdig hinzustellen. Nach der kurzen Empörung wurde es ruhig um Brecht und Fuegi. Heute wollen es alle schon gewusst haben, dass Brecht kein ganz so feiner Mann war, dass zum Beispiel Elisabeth Hauptmann große Teile der „Dreigroschenoper“ verfasste und dafür keinen Groschen bekam.

Der Titel „Kein Groschen, Brecht!“ ist Programm und das Signal, mit dem Tamara Stern den Abend anlegt: „Ich bin die Frau hinter Brecht, die keiner kennt“ verkündet sie kämpferisch. Im einfachen schwarzen Kittel, derben Schuhen und mit schwarz umrandeten Augen ist sie eineinhalb Stunden Helene Weigel, Elisabeth Hauptmann und all die Frauen, die man nicht kennt. All denen gibt Tamara Stern ihre Stimme. Und was für eine Stimme! Dunkel-grell, heftig, temperamentvoll interpretiert sie die bekannten Songs aus der Dreigroschenoper, die sie geschickt in Parallele zum Leben Brechts und seiner Frauen setzt. Hört man sonst diese Songs vielleicht ein wenig nebenbei – an diesem Abend leuchten sie in einem neuen Kontext auf und beginnen zu glänzen. Musikalisch begleitet wurde Tamara Stern am Klavier von Elise Mory. Für Regie, Texte und Bühne ist Ernst Kurt Weigel mit gewohnter Bravour zuständig.

Ein Abend, den man nicht versäumen sollte.

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Kathrin (Martina Stilp) und Arnold (Martin Niedermair)

Was kommt heraus, wenn sich ein begnadeter Autor (Stefan Vögel), ein stilsicherer Regisseur (Folke Braband) und ein Schauspielerteam, wie es besser nicht sein könnte, zusammentun? – Die perfekte Komödie mit Tiefgang!

Man lacht herzlich, aber fragt sich zugleich nachdenklich: Wie würde ich reagieren, wenn mir ein nahestehender Mensch mitteilt, dass er eine, nämlich meine Niere benötigt, um weiterleben zu können?

In einem schicken Wohnzimmer mit „coolen“ Möbeln (Stephan Dietrich) leben Arnold (Martin Niedermair), seines Zeichens aufstrebender Architekt, und seine Frau Kathrin (Martina Stilp). Er -sehr aufgeregt ob seines neuen Auftrages, einen 36 Stockwerke hohen Turm zu bauen, sie – deprimiert, weil sie gerade die Diagnose „Niereninsuffizienz“ erfahren hat. Wie es der Komödienteufel will, haben beide dieselbe Blutgruppe. Also – was liegt näher, dass der liebende Ehemann ihr liebend gerne seine Niere spenden wird? Oder doch nicht? Als das Ehepaar Diana (Pilar Aguilera) und Götz (Oliver Huether) sich in die Diskussion einmischen, drehen und winden sich die Argumente in blitzschneller Abfolge. Kaum hat sich der Zuschauer mit einem Argument einverstanden erklärt – schon hat sich alles ins Gegenteil verkehrt. Geschickt spielt Stefan Vögel mit allen gängigen Fakten rund um eine Organspende und entlässt den Zuschauer mit der Erkenntnis, dass es keine eindeutig „richtige“ Entscheidung in so einem Fall geben kann. Wesentlich ist, dass er mit Wortwitz und gutem Gespür für Situationskomik peinlichen Moralismus vermeidet. Deshalb und auch, weil alle vier Darsteller an ihren Rollen sichtlich Spaß haben , ist „Die Niere“ eine perfekte Komödie.

Langer Applaus und viele Bravos am Ende

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Akademietheater

Fassung und Bearbeitung: Florian Hirsch

Wer durchschaute einst und wer durchschaut heute das undurchschaubare Politgeschehen? Gustav Flaubert schrieb 1874 über dieses Thema die damals wie heute gültige Komödie „Der Kandidat“ und Carl Sternheim bearbeitete sie 1915. Seine Fassung unterschied sich nicht wesentlich von der Flauberts. 2018 aktualisierte Florian Hirsch die Komödie für das Akademietheater. Und wir stellen fest: Seit 1874 bis heute hat sich das Politkarussell nicht in Worten, Taten und Tempo verändert. – Verblüffend und doch eine Binsenwahrheit, die Flaubert-Sternheim-Hirsch sehr griffig erfasst haben.

Das Bühnenbild von Volker Hintermeier ist der eigentliche Akteur des Stückes: Eine hellglänzende Roulettescheibe, die sich dreht, nach vorne kippt und die Spieler zum Eiertanz auf der glatten Oberfläche zwingt, sie nach Lust und Laune zu Fall bringt oder überhaupt aus dem Geschehen katapultiert. Wenn das Publikum glaubt, als Unbeteiligte sich an dem Spiel um Macht und Geld ergötzen zu können, dann findet es sich plötzlich in dem auf dem Bühnenplafond angebrachten Spiegel wieder. Und aus ist es mit dem Unbeteiligtsein.

Aus Langeweile, weil er schon alles erreicht hat und ihn selbst der Immobilienmarkt nur mehr peripher interessiert, will der reiche Herr Russek (eventuelle Ähnlichkeiten mit Trump sind nicht zu überhören) in die Politik einsteigen, ohne das Geringste von dieser Schlangengrube zu verstehen. Köstlich, wie Gregor Bloéb den Wandel vom tumben Tor bis zum fiesen Sieger spielt, der mit unbeteiligter Stimme sein Angst machendes (weil Hirsch ganz genau die Aktualität hier eingeschrieben hat) Regierungsprogramm verkündet. Zuerst von Medien, einer Spindoktorin und diversen Gegenkandidaten umstellt, befreit er sich von diesem „Ballast“, um mit Hilfe des großen Medienmoguls als siegreicher Bewerber um das große Amt hervorzugehen. Ein Spiel, das wir alle kennen, schon xmal „durchschaut“ haben. Das ist vielleicht auch der Grund, warum die Spannung teilweise nachlässt. Zwar bemühen sich Regisseur und Darsteller, mit Tempo und körperlichem Einsatz das Publikum bei der Stange zu halten. Doch einmal mehr muss eine mangelnde Sprachdeutlichkeit moniert werden. Wie soll die auch bei dem Höllentempo und der erforderlichen Konzentration, auf der rotierenden Scheibe das Gleichgewicht zu halten, möglich sein? Und noch etwas muss wieder gesagt sein: Zu viel ist zu viel. Fast jeder zweite Theaterabend in Wien und Umgebung bemüht dieses Thema: Achtung vor dem Rechtspopulismus, Extremismus und der Rassendiskriminierung. Die Warnungen verpuffen, wenn sie zu oft und allzu plakativ erfolgen. Wie so oft: Weniger wäre mehr!

Was nicht unerwähnt bleiben soll, ist der körperliche Einsatz aller Akteure. Besonders Petra Morzé als Frau Russek, Sabine Haupt als Anwältin und Spindoktorin, Florian Teichtmeister als Grübel, Sebastian Wendelin als Bach und Dietmar König als Seidenschnur.

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Landestheater St. Pölten

Wie schreibt man ein bitterböses Kasperltheater auf jemanden, der sich täglich selbst zum Kasperl macht? Elfriede Jelinek hat es 2017 versucht. Nun ist ihr Stück über Donald Trump und die gesellschaftlichen Folgen seiner Präsidentschaft in der Inszenierung von Nikolaus Habjan am Landestheater St. Pölten zu sehen. 2013 schuf der Puppenmacher und Puppenkünstler die erste Jelinek-Puppe für das Stück „Schatten (Eurydike sagt)“. Da sitzt sie am Rande der Bühne und mokiert sich über ihr eigenes Stück. Eine zündende und damals einmalige Idee!

Nun nehmen die Autorin und Habjan diesen Trick wieder auf. Die Jelinek sitzt gleich dreifach auf die Bühne: einmal als Junge, dann als Mittelalterliche und schließlich als Alte, dem Tode hingeneigt, wie sie selbst sagt. Zu Beginn des Stückes wird sie geblendet und redet fortan als Seherin Kassandra oder, wenn man so will, als geblendeter Ödipus – auf diese Sage gibt es im Stück immer wieder Querverweise, die ziemlich an den Haaren herbeigeschrieben wirken. Als Blinde sieht sie aber, anders als Kassandra, keine Zukunft, die erscheint ihr nur finster. Zu diesem Handlungsstrang wird aus dem Off die Stimme der Autorin eingeblendet, die sich über ihr Alter beschwert und meint, sie habe eigentlich nichts mehr zu sagen.

Der andere Handlungsstrang spielt auf der eigentlichen Bühne, die Jakob Brossmann zu einem runden Pavillon, der sich bei Bedarf nach Innen öffnet und an das oval Office in Washington erinnert, gestaltete. In diesem Raum, der zugleich das Reich des Königs ist, wo eine Trumpfigur einmal als plärrendes Baby, dann als vergoldeter König Midas agiert, und ebenso die liebdienende Welt um ihn herum darstellt, lässt Habjan seine Puppen tanzen, quieken, schreien und manchmal schnell – allzu schnell und oft undeutlich werdend – sprechen. Vielleicht ist die Sprachundeutlichkeit ja gewollt. Trump versteht man ja auch nicht.

In der quirlig bunten Puppenwelt der Muppet Show und den Irrgängen der Jelineksprache sich zurecht zu finden, ist oft mühevoll. Gar manche Sequenzen rauschen als ungelöste Rätsel vorbei.

Weniger wäre mehr!

Dennoch – Anerkennungsapplaus für die Leistung der Schauspieler, die da waren: Hanna Binder, Tim Breyvogel, Sabrina Ceesay, Bettina Karl, Manuela Linshalm, Tilman Rose und natürlich für Nikolaus Habjan.

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